E-Book 391-400 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 391-400 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Ich klage Sie an, Sebastian Trenker! E-Book 2: Der Tag an dem ich zu dir fand E-Book 3: Das erste Busserl... E-Book 4: Der Liebe wegen nach St. Johann E-Book 5: Ich glaube an dich! E-Book 6: Macht des Schicksals E-Book 7: Tina geht ihren Weg E-Book 8: Neue Heimat, neues Glück? E-Book 9: Unnahbare Schönheit E-Book 10: Angst um den kleinen Sebastian

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Inhalt

Ich klage Sie an, Sebastian Trenker!

Der Tag an dem ich zu dir fand

Das erste Busserl...

Der Liebe wegen nach St. Johann

Ich glaube an dich!

Macht des Schicksals

Tina geht ihren Weg

Neue Heimat, neues Glück?

Unnahbare Schönheit

Angst um den kleinen Sebastian

Der Bergpfarrer – Staffel 40 –

E-Book 391-400

Toni Waidacher

Ich klage Sie an, Sebastian Trenker!

Andreas will endlich Rache

Roman von Waidacher, Toni

»Die Post ist gerad’ gekommen«, sagte Sophie Tappert. »Sie liegt auf Ihrem Schreibtisch.«

Sebastian Trenker nickte und nahm sich noch eine Tasse Kaffee, bevor er sich ins Arbeitszimmer setzte. Er sah die Briefe durch. Die meisten waren an das Pfarr-amt St. Johann gerichtet, zwei trugen die persönliche Adresse des Geistlichen.

Den einen Brief hatte ein Amtsbruder geschrieben, der seit einem Jahr in Südamerika lebte und dort eine Missionsstation leitete. Sebastian hatte den Kollegen anläßlich einer Kirchentagung kennengelernt, und sie waren in Kontakt geblieben. Alle paar Wochen schrieben sie sich ein paar Zeilen.

Der andere Umschlag trug keinen Absender. Der Seelsorger schaute auf der Rückseite nach, aber auch dort war kein Name zu finden. Sebastian legte die beiden Briefe beiseite und widmete sich seiner täglichen Arbeit. Bis zum späten Vormittag hatte er weitgehend all das aufgeholt, was in der letzten Zeit liegen geblieben war. Auch die Post vom heutigen Tag hatte er durchgesehen, soweit sie an das Kirchenbüro gerichtet war. Als seine Haushälterin zum Mittag rief, rieb er sich zufrieden die Hände.

Es ging doch nichts über einen aufgeräumten Schreibtisch! Max saß bereits in der Küche, wo die Woche über gegessen wurde. Es duftete verführerisch aus dem Backofen. Sophie Tappert hatte die Klappe gerade geöffnet und holte eine Auflaufform hervor. Darin zischte und dampfte es. Sie stellte die Form auf eine Unterlage, die schon auf dem Tisch bereit stand, und der Bruder des Geistlichen leckte sich die Lippen.

»Ah, eine Lasagne«, stellte Pfarrer Trenker fest. »Sehr schön. Dazu würd’ eigentlich ein Glas Rotwein passen…«

Er sah den jungen Polizisten an, der bedauernd den Kopf schüttelte.

»Ich hab’ noch Dienst«, sagte Max.

»Na ja«, eine Apfelschorle wird auch schmecken«, meinte Sebastian, griff nach der Karaffe mit dem Mixgetränk und schenkte ein.

Die italienische Spezialität, die Sophie Tappert zubereitet hatte, fand allgemeine Anerkennung. Selbstverständlich waren die Nudelplatten, die die einzelnen Schichten des Auflaufes trennten, in Handarbeit von der Haushälterin selbst gemacht, und für die Sauce hatte sie Tomaten aus dem Pfarrgarten verwendet.

Während des Essens wurden Neuigkeiten ausgetauscht, und die Unterhaltung war angeregt.

»Bruder Körner hat geschrieben«, berichtete Sebastian. »Allerdings bin ich noch net dazu gekommen, den Brief zu lesen. Ich werd ’s aber gleich nach dem Essen nachholen.«

»Sag’ mal, du warst lang’ net mehr unterwegs«, meinte Max.

Er sprach damit die Leidenschaft seines Bruders an – das Wandern und Klettern in den Bergen. Pfarrer Trenker nickte.

»Stimmt, aber morgen geht’s endlich wieder los«, erzählte er freudestrahlend. »Ich hab’s mir schon lang’ vorgenommen, und jetzt halten mich keine zehn Pferde davon ab.«

Den sorgenvollen Blick seiner Haushälterin ignorierte er. Die Perle des Pfarrhaushaltes hatte immer eine fürchterliche Angst, Hochwürden könne bei einer seiner geliebten Bergtouren verunglücken.

Dabei war diese Angst völlig unbegründet. Sebastian kannte sich in den Bergen aus wie kein zweiter, und nicht umsonst nannten ihn seine Freunde den »Bergpfarrer«. Bis jetzt war er noch von jeder Tour unbeschadet zurückgekehrt! Nach dem Essen nahm sich der Seelsorger die Zeit, den Brief seines Amtskollegen zu lesen, dabei fiel ihm auch wieder der Umschlag ohne Absender in die Hände. Beinahe hatte er schon gar nicht mehr daran gedacht.

Er riß das Kuvert auf und nahm das Schreiben heraus. Stirnrunzelnd las er, was da in großen Buchstaben geschrieben stand:

»ICH KLAGE SIE AN, PFARRER TRENKER!«

Noch einmal schaute Sebastian auf die seltsame Überschrift. Eine Anklage? Gegen ihn?

Der Geistliche lehnte sich in seinen Bürostuhl zurück und las ungläubig, wessen man ihn beschuldigte.

*

»Hallo, Sonja, kann ich Ihnen helfen?«

Das dunkelhaarige Madel sah den jungen Burschen an, der in den Garten gekommen war. Sonja Raithel war gerade damit beschäftigt, die Äpfel aufzusammeln, die der Sturm in der letzten Nacht von den Bäumen geweht hatte. Sie sah Simon Gartner lächelnd an.

»Dank’ schön, aber das ist net nötig.«

»Schade«, meinte er. »Hätten S’ doch was beim Essen gesagt. Ich hätt’ Ihnen gern’ geholfen.«

Er bückte sich trotzdem und hob ein paar Äpfel vom Boden auf.

»So geht’s schneller.«

Er legte die Früchte in den Korb, der zu Füßen des Madels stand. Sonja spürte, wie eine feine Röte ihr Gesicht überzog und drehte sich zur Seite, damit er es nicht bemerkte.

»Sagen S’, hätten S’ net Lust, am Samstag mit in den Löwen zu geh’n?« fragte Simon. »Ich hab’ gehört, der Tanzabend dort ist immer eine große Gaudi.«

Sonjas Herz klopfte vor Aufregung, als er ihr diese Frage stellte. Seit der gutaussehende Mann auf den Hof der Eltern gekommen war, schien nichts mehr so, wie zuvor. Die Bauerstochter mußte sich eingestehen, daß sie sich Hals über Kopf in Simon Gartner verliebt hatte.

»Ich weiß net«, antwortete sie ausweichend. »Ich glaub’, der Vater sieht’s net gern’, wenn ich mit einem Gast ausgeh’…«

In Anbetracht des immer mehr zunehmenden Fremdenverkehrs, waren viele Bauern im Wachnertal dazu übergegangen, preiswerte Unterkünfte anzubieten. Das Frühstück inbegriffen, zahlten die Gäste deutlich weniger, als in den Hotels und Pensionen verlangt wurde. Natürlich war der Komfort nicht derselbe, aber das wußten die Touristen vorher.

Auch auf dem Raithelhof hatte man die Gelegenheit, ein wenig Geld hinzuzuverdienen, ergriffen und vermietete Zimmer in dem alten Gesindehaus. Simon Gartner hatte sich vor drei Tagen eingemietet. Er wollte eine gute Woche bleiben.

»Na ja«, sagte er und warf einen Blick zum Bauernhaus hinüber, »er muß es ja net wissen…«

Dabei zwinkerte er verschwörerisch mit dem Auge.

Sonja neigte ihren Kopf.

»Lust hätt’ ich schon«, gestand sie. »Aber wir müßten uns heimlich treffen…, damit’s dann wie ein Zufall ausschaut.«

»Prima«, lachte Simon Gartner und biß in einen Apfel. »Dann ist’s abgemacht?«

Das Madel nickte.

»Jetzt muß ich aber hinein. Mutter wird sich bestimmt schon wundern wo ich bleib’.«

Die Bauerstochter nahm den Korb auf und wandte sich um. Zuvor warf sie dem Burschen einen vielversprechenden Blick zu.

Der beobachtete das schlanke Madel, wie es ins Haus ging. Dann schlenderte er durch den Garten, umrundete die große Scheune und setzte sich auf der anderen Seite auf einen Felsbrocken, der zwischen dem Gebäude und dem Zaun lag. Von hier aus hatte er einen prächtigen Blick zu den Bergen hinüber.

Lange Zeit saß er still da und schaute nur, während ihm tausend Gedanken durch den Kopf gingen.

Irgendwo da oben war es also passiert! Simon schloß für einen Moment die Augen und versuchte, sich vorzustellen, wie es geschehen war. Er kramte in seiner Erinnerung, doch die Bilder wollten sich nicht einstellen. Drei Jahre war er damals gewesen, viel zu klein, um sich jetzt noch daran zu erinnern. Was er darüber wußte, war nur das, was ihm in all den Jahren immer wieder berichtet worden war.

Er öffnete die Augen, blinzelte einen Moment, als die Sonne ihn blendete, und blickte dann zur anderen Seite hinüber, wo das Dorf lag, in dem das Unglück seinen Anfang genommen hatte. Viel konnte er von hier aus nicht sehen, nur die Spitze des Kirchturms, die in die Höhe ragte.

Simon Gartner atmete tief durch, als er an den Mann dachte, wegen dem er hier war. Lange hatte er auf diesen Moment gewartet, jetzt war die Zeit gekommen, den Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Er würde für das bezahlen müssen, was er zu verantworten hatte!

Auge um Auge – so stand es in der Bibel…

Simon Gartner erhob sich und ging zum Gesindehaus hinüber. Das Zimmer, das er bewohnte, war nicht sehr groß aber behaglich eingerichtet. Er war zufrieden damit, und über das Frühstück konnte er auch nicht klagen. Es war reichlich und gut. Die anderen Mahlzeiten nahm er unten im Dorf ein, und wenn er abends in seinem Bett lag, dann dachte er an das Madel, dem er den Kopf verdreht hatte, und an das, was er vorhatte.

Der erste Schritt war getan. Der Schuldige hatte die Anklage erhalten, jetzt hieß es, die nächsten Schritte sorgfältig abzuwägen und keinen Fehler zu begehen. Denn das, was ihn hierher getrieben hatte, sollte vollkommen sein – sein Durst nach Rache und Genugtuung sollte endlich gestillt werden.

Der junge Bursche hatte keine Zweifel daran, daß das, was er vorhatte, richtig war. Und er tat es nicht für sich, sondern für die Frau, die er über alles liebte!

*

Max Trenker sah seinen Bruder forschend an.

»Sag’ mal, du hast doch was. Ist was passiert?« fragte er.

Nach dem Abendessen war der Polizist nicht, wie üblich, in seine Wohnung gegangen, die über der Revierstube lag. Ihm war die merkwürdige Stimmung aufgefallen, die Sebastian zwar zu verbergen suchte, was ihm aber nicht so recht gelang. So einsilbig hatte Max den Älteren noch nie erlebt, und er kannte den Bruder gut genug, um zu wissen, daß der ein Problem mit sich herumschleppte. Er war Sebastian in dessen Arbeitszimmer gefolgt und hatte ihm die Frage gestellt.

Der Geistliche sah den Polizisten nachdenklich an.

»Ich hab’ dir doch von dem Brief erzählt, den Bruder Körner mir geschrieben hat«, begann er schließlich. »Es ist noch ein anderer gekommen, den ich beinahe vergessen hätte…«

»Und der macht dich so nachdenklich?«

»Na ja, es ist schon ein recht merkwürdiges Schreiben«, antwortete Sebastian Trenker. »Jemand klagt mich darin an, für den Unfall einer Frau verantwortlich zu sein, die seitdem im Rollstuhl sitzt. Und dieser jemand schwört mir bittere Rache.«

Max fuhr entsetzt auf.

»Was? Das gibt’s doch net! Wer schreibt denn solchen hanebüchenen Unsinn?«

Sebastian zuckte die Schulter.

»Ich weiß net. Es gibt keinen Absender und auch keine Unterschrift. Der Brief ist anonym.«

»Wo ist er? Zeig’ her.«

Der Bergpfarrer reichte seinem Bruder das Schreiben. Max faßte es nur mit den Fingerspitzen an und las es durch. Mit jeder Zeile wurde sein Gesicht blasser.

»Das…, das kommt ja einer Morddrohung gleich«, sagte er fassungslos. »Wie kommt dieser Mensch nur dazu, so etwas zu schreiben? Du und schuldig an einem Unglück – das ist doch genau so unsinnig, wie wenn einer behauptete, du würdest Kirchengelder unterschlagen oder so etwas Ähnliches!«

Er sah Sebastian an.

»Weißt du von irgendwas, das den Verfasser dieser Zeilen annehmen lassen könnte, daß er im Recht sei?«

»Ich hab’ schon den ganzen Tag darüber nachgedacht«, erwiderte der Seelsorger. »Aber mir will nix einfallen, und dabei ist mein Gedächtnis ja nun wirklich net schlecht. Doch so sehr ich mir auch das Hirn zermarter – ich komm’ net drauf.«

»Vielleicht etwas, das schon sehr lang’ zurückliegt?« forschte Max weiter. »Hast’ vielleicht mal jemandem die Suppe versalzen, und der sucht jetzt nach einer Möglichkeit, sich dafür zu rächen?«

Sebastian zuckte die Schulter.

»Keine Ahnung«, sagte er. »Da gibt’s natürlich eine ganze Menge Leute, die dafür in Frage kämen.«

Er schmunzelte.

»Denk’ nur daran, wie oft ich uns’rem Bürgermeister auf die Finger geklopft hab’, wenn er

mal wieder über’s Ziel hinausschießen wollte.«

»Ich glaub’ net, daß der Bruckner-Markus zu solch drastischen Mitteln greifen würd’.«

Der Polizist faltete vorsichtig das Papier zusammen, ohne es viel zu berühren. Dann nahm er eine Plastikhülle vom Schreibtisch seines Bruders und steckte den Brief hinein.

»Wie auch immer«, sagte er, »das hier kommt gleich morgen früh ins Polizeilabor. Die Kollegen werden’s auf Fingerabdrücke untersuchen. Vielleicht kommen wir da dem anonymen Schreiber schon auf die Spur.«

Er steckte die Hülle in die Innentasche seiner Jacke.

»Du mußt morgen früh gleich zu mir herüberkommen, damit wir deine Abdrücke zum Vergleich abnehmen. Außerdem wirst’ auf keinen Fall deine geplante Bergtour unternehmen. Das wär’ viel zu gefährlich. Wer weiß, ob der Kerl net schon da oben irgendwo lauert?«

Sebastian zog die Stirn kraus.

»Jetzt übertreib’ net«, meinte er. »Erstens weiß kaum jemand, daß ich morgen früh los will. Und außerdem – wer sagt denn, daß der Schreiber ein Mann ist? Es kann genausogut eine Frau sein. Der Brief ist ja net handschriftlich, sondern mit der Maschine geschrieben.«

Er schüttelte energisch den Kopf.

»Nein, nein, auf keinen Fall werd’ ich mich jetzt hinter’m Ofen verkriechen und mich net mehr aus dem Haus trau’n. Soweit kommt’s noch.«

Der Polizist zog eine bittere Miene. So etwas hatte er sich schon gedacht. Er wußte, daß der Bruder sich nur schwer von seinem einmal gefaßten Entschluß abbringen ließ.

»Dann sei aber vorsichtig«, bat er. »Wer auch immer dahintersteckt – es scheint ihm bitter ernst zu sein, mit dem, was er da behauptet. Ich werd’ auf jeden Fall Aug’ und Ohren offenhalten. Zu allererst nehm’ ich mir die Touristen vor. Jeder, der sich irgendwo einmietet, muß sich ja ins Melderegister eintragen. Das wird allerdings einige Zeit dauern, bis ich die ganzen Hotels und Pensionen durch bin.«

»Ich glaub’ net, daß dieser Aufwand gerechtfertigt ist«, warf Sebastian ein. »Es ist ja gar net gesagt, daß, wer auch immer dahinter steckt, dieser jemand überhaupt hier in Sankt Johann ist. Du solltest dich net damit aufhalten.«

Max machte große Augen.

»Na hör’ mal«, rief er, beinahe empört, »da droht jemand meinem Bruder Rache an, und du verlangst, ich soll nix d’rauf geben?«

Der junge Polizist hatte sehr erregt und laut gesprochen. Der Seelsorger legte den Zeigefinger auf den Mund.

»Net so laut«, mahnte er. »Ich möcht’ net, daß die Frau Tappert was davon mitbekommt. Du weißt, wie leicht sie sich aufregt. Überhaupt darf nix davon bekannt werden, die Sache muß unter uns bleiben.«

Es fiel Max nur sehr schwer, dem zuzustimmen. Die Sorge um den Bruder stand ihm ins Gesicht geschrieben, und am liebsten

hätte er allen davon erzählt, um Sebastian den größtmöglichen Schutz zukommen zu lassen. Eine Bewachung, rund um die Uhr. Aber er wußte, daß Sebastian dem nicht zustimmen würde, und vielleicht war es wirklich das Beste, wenn vorläufig niemand in St. Johann etwas davon erfuhr. Seine Nachforschungen würde er so diskret wie nur möglich anstellen.

»Ich seh’ schon – von deiner Tour morgen kann ich dich net abbringen. Aber dann komm’ jetzt mit zu mir, damit ich deine Fingerabdrücke abnehmen kann.«

»Also gut«, stimmte der Bergpfarrer seufzend zu.

Sie verließen das Pfarrhaus. Das Polizeirevier lag eine Straße weiter. Max Trenker bereitete alles vor, um die Fingerspuren seines Bruders abzunehmen. Anschließend reichte er Sebastian ein mit einer reinigenden Flüssigkeit getränktes Papiertuch.

Der Geistliche säuberte seine Finger.

»Also, dann schlaf’ gut«, sagte er zu dem Beamten. »Wir seh’n uns morgen abend. Zum Mittagessen bin ich noch net zurück.« Auf seinem Weg zurück ins Pfarrhaus begegnete ihm keine Menschenseele. St. Johann hob sich wohltuend von anderen Ferienorten ab. Hier gab es keine Diskothek, und von einem regen Nachtleben konnte man nicht sprechen. Das einzige Ereignis fand jeden Samstagabend statt, wenn im Löwen die Musik aufspielte, und Einheimische und Touristen ihre Gaudi hatten.

Sebastian ging nicht gleich nach Hause. Er betrat die Kirche, die Tag und Nacht geöffnet war, und setzte sich in die erste Bank vor dem Altar. Dort saß er sehr lange und versuchte, sich zu erinnern.

Selbstverständlich nahm er die schwere Anschuldigung gegen ihn nicht auf die leichte Schulter. Nicht zuletzt seiner Liebe wegen, die er jedem seiner Mitmenschen gegenüber empfand, war er Priester geworden. Das Unglück eines anderen Menschen verschuldet zu haben, wog daher doppelt schwer für ihn.

Er hatte in seinem Leben immer alles getan, um anderen zu helfen, oft begab er sich dabei auch selbst in Gefahr. Doch niemals hätte er das Leben eines Menschen gefährdet. Was ihm jetzt vorgeworfen wurde, war so ungeheuerlich, daß der gute Hirte von St. Johann zum ersten Mal, seit er Geistlicher war, an seiner Berufung zweifelte.

Sebastian Trenker schlug die Hände vor das Gesicht. Unwillkürlich stöhnte er laut auf, als er merkte, daß die Verzweiflung nach ihm griff.

»Bin ich wirklich schuldig?« rief er in die Stille und schaute auf das Kreuz über dem Altar.

Minuten währte diese Verzweiflung. Minuten, in denen er mit seinem Herrgott sprach, und dieses Gebet schenkte ihm neue Kraft. Seine schlanke, sportliche Gestalt straffte sich, und ein unmerkliches Zucken ging durch das stets leicht gebräunte Gesicht.

Nein, sagte er zu sich, das kann alles nur ein Irrtum sein! Oder jemand hat sich einen schlechten Scherz erlaubt. Ich würde niemals so gelebt haben, wie ich lebe, wenn ich das Unglück eines Menschen verschuldet hätte!

Sebastian stand auf, kniete vor dem Kreuz und verließ seine Kirche. Er war gestärkt, für alles, was da auf ihn zukommen mochte.

*

Obgleich er in dieser Nacht nur wenige Stunden geschlafen hatte, war der Geistliche wach, noch bevor der Wecker klingelte. Nachdem er eine Tasse Kaffee getrunken hatte, verließ er das Pfarrhaus, auf dem Rücken seinen Rucksack, wie immer gut gefüllt, mit belegten Broten. Sophie Tappert gab ihm stets reichlich mit – sollten sich ihre düsteren Ahnungen mal bewahrheiten, und Hochwürden tatsächlich verunglücken, dann würde er wenigstens nicht verhungern, bis Hilfe kam.

Sebastian überquerte die Straße und wandte sich nach links. Nach ein paar hundert Metern hatte er den Ortsausgang passiert und wanderte den steilen Pfad hinauf. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und der anbrechende Morgen wurde noch in jenes diffuses Licht getaucht, das manchem ängstlichen Zeitgenossen einen Schauer über den Rücken jagen konnte.

Natürlich galt sein erster Gedanke, noch vor dem Aufstehen, dem anonymen Brief, der so unvermittelt Aufregung in sein Leben gebracht hatte. Während der Seelsorger gemächlich auf den Bergwald zuschritt, dachte er darüber nach, wer wohl dahinter stecken mochte. Wie gestern schon wollte ihm kein Ereignis einfallen, das Anlaß für solch eine Drohung gegen ihn sein könnte.

Seit er geboren war, lebte Sebastian Trenker im Wachnertal. Er kannte jeden Weg und jeden Stein, kein Bergpfad war ihm fremd, und vor allem kannte er die Menschen, die hier wohnten, so, wie sie ihn kannten.

In jungen Jahren, als er noch studierte, hatte der spätere Pfarrer in den Semesterferien als Bergführer gearbeitet. Jetzt überlegte er, ob es damals gewesen sein könnte, daß er das beschriebene Unglück verursacht hatte. Leider hatte der Verfasser der »Anklageschrift« sich nicht weiter darüber ausgelassen. Nur, daß Sebastian Schuld habe, daß eine junge Frau verunglückt sei und seitdem an den Rollstuhl gefesselt wäre.

Aber etwas anderes als ein Bergunfall kam kaum in Frage. Seit der Geistliche einen Führerschein besaß, und das war nun schon beinahe dreißig Jahre, war er unfallfrei gefahren. Ein Verkehrsunfall schied also aus. Der Bergpfarrer hatte den Höllenbruch durchquert und wanderte den Pfad hinauf, der zur Hohen Riest führte. Jetzt erst ging langsam die Sonne auf, allerdings standen ein paar Wolken am Himmel, die anzeigten, daß das Wetter sich nicht halten würde. Gestern schon hatte es ein kleines Gewitter mit Windböen gegeben. Sebastian wußte die Anzeichen gut genug zu deuten, um zu ahnen, daß es sich in den nächsten Tagen wiederholen konnte.

Nach drei Stunden Wanderung machte er eine erste Rast. Der heiße Kaffee aus der Thermoskanne erfrischte ihn, und die belegten Brote schmeckten in der freien Natur noch mal so gut. Amüsiert beobachtete er ein paar Wildkaninchen, die neugierig über den Weg hoppelten und zu ihm herübersahen. Wenn er sich bewegte, verschwanden sie blitzschnell wieder im nahen Wald.

Der Geistliche hatte gerade seinen Rucksack wieder übergehängt und wollte weitergehen, als er Schritte vernahm. Zweige zerbrachen unter schweren Stiefelsohlen. Wenig später sah er die Gestalt durch das dichte Gestrüpp des Bergwaldes. Ein Jagdhund folgte ihm.

»Grüß Gott, Hochwürden«, rief Christian Ruland.

»Bist’ auch schon auf den Beinen?« fragte Sebastian, nachdem er die dargebotene Hand geschüttelt hatte.

Der Förster deutete zum Wald hinüber.

»Ja, ich wollt’ mir ein Bild machen, über den Schaden, den der Sturm gestern angerichtet hat«, antwortete er. »Es ist zwar net so schlimm, wie ich befürchtet hab’, aber ein paar Bäume müssen meine Leute doch fällen.«

Sie unterhielten sich ein Weilchen, dann stieg Christian ins Tal hinunter. Von der Hohen Riest hatte er es nicht weit, bis zum Anringer Wald, in dem das Forsthaus stand.

»Grüß mir die Kathie, deinen Schwiegervater und vor allem deinen Buben«, rief Sebastian ihm nach.

»Mach’ ich«, winkte der Förster zurück und pfiff nach seinem Hund, der wohl die Fährte der Kaninchen aufgenommen hatte und in der Gegend herumtollte.

Nero kam sofort, als er das Signal seines Herrn hörte.

Der Seelsorger wanderte weiter hinauf. Am späten Vormittag hatte er die Bockshornalm erreicht. Sie war ein beliebtes Ausflugsziel für die Touristen. Allerdings wunderte sich Sebastian, daß heute außer ihm niemand den Weg herauf gefunden hatte. Er fragte den Alten nach dem Grund dafür.

»Es wird das Wetter sein, das die Leut’ abhält«, mutmaßte Anton Levander, der Hüttenwirt. »Gestern hat’s eine Wandergruppe überrascht. Pitschnaß sind’s geworden.«

»Tja, das ist natürlich schlecht fürs Geschäft«, nickte der Pfarrer mit Blick auf die beiden Madeln, die gelangweilt vor der Hütte saßen.

Iris Levander, Antons Enkelin, und ihre Freundin Gesa Sommerfeld, waren extra heraufgekommen, um sich ein wenig Geld zu verdienen. Es waren Ferien, und sie wollten bald für eine Woche lang an die Nordsee fahren und dort Urlaub machen.

»So, wie’s ausschaut, können wir uns’ren Urlaub wohl getrost zu Haus’ verbringen«, meinten sie mit betrübten Gesichtern.

»Ach, wer weiß?« sprach Sebastian ihnen Mut zu. »Bestimmt kommen noch ein paar schöne Tage, und mit ihnen auch wieder mehr Gäste herauf.«

Maria Levander kam heraus und begrüßte den Geistlichen. Sebastian war immer wieder erstaunt, wenn er hier oben zu Gast war, daß die beiden alten Leute den Betrieb noch bewältigten. Immerhin gingen Anton und seine Frau bereits auf die Siebzig zu.

»Das macht die gute Luft hier oben«, lachte die Hüttenwirtin.

Sie setzten sich zu den Madeln, und der Wirt brachte eine Schüssel Suppe auf den Tisch. Ein einfaches, aber schmackhaftes Gericht, zu dem Brot gereicht wurde, das seine Frau erst am Morgen gebacken hatte.

Während des Essens, gab es viel zu erzählen. Seit Sebastians letztem Besuch war schon einige Zeit vergangen. Und schließlich verirrte sich doch noch ein Gast in die Bockshornhütte. Ein junger Mann, der freundlich grüßte und sich zu ihnen setzte.

»Kommen S’ auch von Sankt Johann herauf?« erkundigte sich der Bergpfarrer.

Der neue Gast nickte und blies in seine Suppe, damit sie abkühlte.

»Ja«, antwortete er zwischen zwei Löffeln, »aber wenn ich vorher gewußt hätte, was das für ein Weg ist, dann hätt’ ich’s mir wohl anders überlegt.«

Er sagte es mit einem sympathischen Lachen.

*

Simon Gartner stand in der Diele des Bauernhauses und sah Sonja Raithel lächelnd an. Der Tisch war für die Pensionsgäste gedeckt. Außer dem jungen Mann wohnte noch ein älteres Ehepaar auf dem Bauernhof.

»Möchten S’ sich net setzen?« fragte das Madel mit einem scheuen Blick zur Küchentür, hinter der es rumorte. »Ich bring’ Ihnen gleich den Kaffee.«

Simon nahm auf dem Stuhl Platz, auf dem er schon die ganzen Tage gesessen hatte. Das Ehepaar war nicht da, aber das benutzte Geschirr zeigte an, daß die zwei ihr Frühstück bereits beendet hatten.

Während er sich setzte, war sein Blick unverwandt auf die Bauerntochter gerichtet. Sonja nahm mit zitternden Händen das schmutzige Geschirr vom Tisch.

»Sie sollten mich net so anschau’n«, sagte sie, mit leichtem Tadel in der Stimme, während ihr Herz wieder einmal bis zum Hals hinaus klopfte. »Sie machen mich ja ganz verlegen!«

Der Bursche senkte erst schuldbewußt den Blick, sah sie aber dennoch weiter an.

»Ich kann aber net anders«, antwortete er. »Immer wenn Sie da sind, muß ich Sie ansehen…«

Wieder schaute Sonja zur Küchentür.

»Bitte net«, flüsterte sie. »Wenn das jemand hört!«

»Wäre das so schlim?«

»Ich hab’s Ihnen gestern schon gesagt, daß der Vater es net leidet, wenn ich mit einem Gast…«

»Ja? Wenn Sie was?«

»Ach, hören S’ auf«, sagte sie, halb ärgerlich, halb amüsiert und wandte sich um.

Dabei fiel ihr eine Kaffeetasse herunter. Blitzschnell hatte Simon zugegriffen und das gute Stück davor bewahrt, in tausend Scherben zu zerspringen. Er stellte die Tasse auf den Stapel, den Sonja in den Händen hielt. Es war wohl kein Zufall, daß dabei seine Finger ihren Arm streiften…

»Dank’ schön.«

Wieder spürte sie die Röte in ihrem Gesicht.

»Es bleibt doch bei uns’rer Verabredung?« fragte er.

Sonja nickte hastig und machte zwei Schritte zur Tür. Er war schneller und zog sie auf. Mit einem Lächeln ließ er sie eintreten, dann setzte er sich wieder an den Tisch und betrachtete zufrieden das Frühstück.

Nach einer Weile kam das Madel zurück und brachte den Kaffee.

»Sagen S’ mal, was kann man hier eigentlich so alles unternehmen?« erkundigte er sich, bevor Sonja wieder in der Küche verschwinden konnte. »Ich mein’, einmal abgeseh’n von dem Tanzabend.«

»Oh, da gibt’s eine Menge Möglichkeiten«, antwortete sie. »Es kommt ganz darauf an, was Sie gern’ tun würden. Vom Bergwandern bis zum Reiten ist alles möglich. Sogar surfen, wenn S’ das wollen. Dafür müssten S’ allerdings ein bissel fahren. Der Achsteinsee ist eine halbe Autostunde entfernt.«

»Und wie schaut’s mit Denkmälern aus? Schlösser vielleicht, oder schöne Kirchen?«

Die Bauerntochter hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte an dem alten Dielenschrank, in dem das gute Geschirr und die Tischwäsche aufbewahrt wurde.

»Also Schlösser«, sagte sie nachdenklich, »da fällt mir nur Hubertusbrunn ein. Ein altes Jagdschloß im Ainringer Wald. Aber das kann man net besichtigen. Es gehört uns’rem Herrn Pfarrer, der dort eine Jugendbegegnungsstätte eingerichtet hat.«

Simon hob erstaunt die Augenbrauen.

»Einen Pfarrer habt ihr hier, der ein Schloß besitzt?« meinte er. »Ist der so reich?«

»Nein, nein«, erwiderte das Madel mit einem Schmunzeln. »Das Schloß ist eine Schenkung, und Pfarrer Trenker hat ’s ja auch gar net für sich behalten. Es war ihm ein Anliegen, es für junge Menschen zugänglich zu machen. Ferienfreizeiten und Seminare werden dort abgehalten.«

»Aha. Das scheint ja ein bemerkenswerter Mann zu sein, dieser Pfarrer«, meinte Simon Gartner.

»Ich glaub’, wir können uns keinen bess’ren wünschen«, antwortete Sonja aus ehrlicher Überzeugung. »Bestimmt können S’ ihn kennenlernen, wenn S’ die Kirche besichtigen. Sie ist übrigens sehr schön und einen Besuch wert.«

Der junge Bursche lachte auf.

»Wenn man Ihnen zuhört, könnt’ man glatt meinen, Sie wären vom Fremdenverkehrsverein«, sagte er. »Ich werd’ Ihrer Empfehlung folgen und mir die Kirche ansehen. Vielen Dank für den Tip.«

Die Haustür wurde geöffnet, und Ludwig Raithel kam herein. Stirnrunzelnd sah er seine Tochter in der Diele stehen.

»Hast nix zu tun, daß hier herumsteh’n kannst?« fragte er.

»Schimpfen S’ net«, bat Simon. »Ihre Tochter hat gerad’ den Kaffee serviert und mir gesagt, was man unbedingt geseh’n haben muß, wenn man im Wachnertal weilt. Ich bin ihr sehr dankbar dafür.«

Der Bauer warf Sonja dennoch einen ärgerlichen Blick zu.

»Dann kannst’ ja jetzt wieder an deine Arbeit geh’n.«

Der junge Bursche zwinkerte ihr verstohlen zu, und Sonja machte, daß sie in die Küche kam.

Ludwig Raithel wünschte dem Gast einen guten Appetit und verschwand die Treppe hinauf.

Simon ließ sich die frischen Semmeln und die gute Butter schmecken. Alles was auf dem Tisch stand, war köstlich. Während er aß, überlegte er seine weiteren Schritte. Einen Besuch der Kirche hatte er ohnehin vorgehabt. Er war gespannt darauf, Pfarrer Trenker kennenzulernen.

*

»Da hab’ ich ja richtig Glück gehabt, daß ich an Sie geraten bin«, freute sich Rolf Erdmann. »Einen besseren Bergführer kann man sich ja gar net wünschen.«

Der junge Lehrer stammte aus einem kleinen fränkischen Ort, hatte er erzählt, während sie ins Tal hinabstiegen. Während des Mittagessen auf der Bockshorn-alm waren er und Sebastian ins Gespräch gekommen. Der Pädagoge hatte ungläubig die Augen aufgerissen, als er hörte, daß sein Tischnachbar, der so sportlich ausschaute, der Pfarrer von St. Johann sei. Rolf hätte eher auf einen Prominenten aus Film oder Fernsehen getippt.

Der Bergpfarrer kannte diese Reaktion nur zu gut und wunderte sich schon lange nicht mehr darüber, wenn die Menschen ihn für jemand anderen hielten.

Der Lehrer erzählte, daß er erst gestern angekommen sei. Er wohnte in einer kleinen Pension, und gleich heute morgen hatte er sich zu einer ersten Wanderung aufgemacht.

»Allerdings muß ich gestehen, daß ich’s mir sehr viel einfacher vorgestellt hatte«, sagte er. »Man unterschätzt die Entfernung in den Bergen doch ganz gewaltig.«

Dankbar nahm er Sebastians Angebot, mit ihm wieder hinabzusteigen, an und erzählte, daß er in den vergangenen Jahren meistens ins Ausland geflogen sei. Als Student hatte er in Ferienclubs in der Türkei und in Griechenland als Animateur gejobbt und dabei seine Liebe zu fernen Ländern entdeckt.

»Aber inzwischen habe ich gemerkt, daß ich viele von den schönen Dingen, die uns’re Heimat zu bieten hat, gar net so recht kenn’. Darum wollt’ ich in diesem Jahr mal net in die Ferne.«

Die beiden Männer waren einen kürzeren Weg zurück gewandert. Rolf Erdmann staunte, wie schnell sie das Dorf erreichten.

»Wenn man sich auskennt, dann ist’s natürlich einfach«, schmunzelte Sebastian. »Allerdings ist der Weg, den S’ heut’ morgen gegangen sind, von der Landschaft her viel schöner. Und ein bissel Mühsal sollt’ man schon auf sich nehmen, wenn man so belohnt wird.«

»Da haben S’ recht, Hochwürden«, gab der junge Lehrer mit einem Nicken zurück. »Ich dank’ Ihnen jedenfalls recht schön. Vielleicht könnten wir ja mal zusammen eine Tour unternehmen.«

»Sehr gern«, stimmte der Seelsorger zu.

Sie verabschiedeten sich. Während Rolf Erdmann zur Pension weiterging, stieg Sebastian den Weg zum Pfarrhaus hinauf. Max erwartete ihn schon ungeduldig.

»Da bist’ ja«, sagte er erleichtert. »Ist alles in Ordnung?«

»Was soll denn net in Ordnung sein?« entgegnete sein Bruder.

»Ich hab’ gerad’ mit dem Labor telefoniert«, berichtete der Polizist. »Auf dem Brief sind, außer deinen, keine anderen Fingerabdrücke. Der Bursche scheint mit dünnen Stoffhandschuhen gearbeitet zu haben. Außer ein paar Faserspuren war nix zu finden.«

Sie setzten sich in die Küche. Sophie Tappert hatte ihren freien Nachmittag und besuchte eine Freundin, so daß sie ungestört reden konnten.

»Was macht dich eigentlich so sicher, daß es ein Mann ist, der den Brief geschrieben hat?« fragte Sebastian.

Max zuckte die Schulter.

»Meiner Meinung nach deutet alles darauf hin – die Art, wie das Schreiben abgefaßt ist, die Drohung, sich fürchterlich an dir rächen zu wollen. So schreibt keine Frau. Das meint übrigens auch Dr. Anhalter, der Polizeipsychologe. Ich hab’ ihn gebeten, den Brief zu lesen und zu begutachten.«

Der Geistliche machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Hm, dann ist der Schreiber vielleicht der Mann dieser armen Frau.«

»Oder der Sohn, der Freund, ein naher Verwandter«, meinte Max. »Da kommen viele in Betracht. Ich hab’ übrigens die ersten Nachforschungen angestellt. Viel ist allerdings net dabei herausgekommen.«

Noch vor Dienstbeginn war der Bruder des Bergpfarrers in die Kreisstadt gefahren und hatte den anonymen Brief ins Polizeilabor gebracht. Die Kollegen, der kriminaltechnischen Untersuchung machten ihm von Anfang an keine große Hoffnung, irgendwelche Spuren zu finden, und das Ergebnis konnte er nicht vor dem späten Nachmittag erwarten.

Max war zurückgefahren und hatte damit begonnen, in den Hotels und Pensionen die Meldelisten zu überprüfen. Dabei kam es ihm besonders darauf an zu erfahren, welche männlichen, alleinreisenden Personen sich seit wann in St. Johann aufhielten. Um ganz sicher zu gehen, fragte er die Wirte aber auch nach weiblichen Personen, die im Rollstuhl saßen. Aber es war niemand darunter.

Der Polizist war erstaunt, zu erfahren, wie viele Männer ihren Urlaub alleine verbrachten – ganze vier waren es. Davon wohnten zwei im Hotel »Zum Löwen«, und zwei in Pensionen. Die Überprüfung ergab allerdings keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich der Briefschreiber darunter befand. Bis auf einen vielleicht…

»Sagt dir der Name Rolf Erdmann etwas?« fragte Max seinen Bruder.

Sebastian schmunzelte.

»In der Tat«, antwortete er. »Den hab’ ich heut’ mittag auf der Bockshornhütte kennengelernt. Wir sind zusammen hinabgestiegen.«

Der Polizeibeamte war entsetzt, als er das hörte.

»Was? Bist’ von allen guten Geistern verlassen?« rief er, außer sich. »Wie leicht hätt’ dich der Kerl in einen Abgrund stürzen können!«

»Ich glaub’ net an Geister«, lachte der Pfarrer. »Außerdem – gab’s auf uns’rem Weg keinen Abgrund, in den man mich hätte stürzen können. Ganz abgeseh’n davon halt ich den Herrn Erdmann für einen netten Touristen, und wenn’s in den nächsten Tagen einmal paßt, werden wir gemeinsam eine Tour unternehmen.«

»Das verbiet’ ich dir!« sagte Max energisch. »Net bevor ich den Burschen net unter die Lupe genommen hab’!«

Sebastian beugte sich vor. Er machte ein ernstes Gesicht.

»Nun mal langsam, Max«, sagte er eindringlich. »Wir dürfen net den Fehler machen und in Panik verfallen. Wenn wir in jedem Fremden, der uns begegnet, einen potentiellen Attentäter seh’n, dann darf ich mich wirklich net mehr aus dem Haus trau’n.«

»Das wär’ mir auch das Liebste«, gestand sein Bruder. »Aber wahrscheinlich hast’ recht. Trotzdem werd’ ich mir diesen Herrn Erdmann einmal anschau’n. Sicher ist sicher.«

*

Der junge Mann stand nachdenklich an der Straße und sah zur Kirche hinauf. Schon zweimal, im Laufe des Tages, war Simon Gartner den Weg zum Gotteshaus hinaufgegangen. Beim ersten Mal traf er niemanden an. Bei seinem zweiten Besuch sah er den Mesner am Altar stehen und dort die Blumen erneuern. Zuerst hatte der Besucher geglaubt, es handele sich um Pfarrer Trenker, doch Alois Kammeier erklärte, daß Hochwürden im Moment nicht in der Kirche sei und erst zur Abendmesse wieder da wäre.

Simon hatte den Tag damit verbracht, die Zeit, bis zum Beginn der Messe, totzuschlagen. Er war durch das Dorf gewandert, hatte im Wirtshaus gesessen und später in einem Café. Von einer Telefonzelle aus hatte er zu Hause angerufen und sich schließlich in den Biergarten des Hotels gesetzt. Dort verbrachte er den restlichen Nachmittag und überlegte, wie er es anstellen konnte, Pfarrer Trenker auf einen Berg zu locken, damit dem Geistlichen endlich das gerechte Schicksal widerfuhr.

Beißender Haß stieg in ihm auf, als er sich vorstellte, wie er den Mann einfach in einen Abgrund stürzte.

Natürlich durfte der Geistliche dabei nicht sterben! Das wäre ja keine richtige Strafe, für das, was er getan hatte. Nein, überleben sollte er das »Unglück« schon. Welch ein Vergnügen würde es ihm, Simon, dann bereiten, den Verletzten hilflos zurück zu lassen. So wie er damals die junge Frau zurückgelassen hatte. Irgendwann würde man ihn vermissen, und sich auf die Suche nach ihm machen. Wenn sie ihn dann gefunden hatten, dann war es zu spät. Den Rest seines Lebens würde Pfarrer Trenker im Rollstuhl verbringen, so wie die Frau, für die Simon Gartner diesen perfiden Racheplan ausführen wollte.

Der junge Mann hatte sich so in seine Phantasie hineingesteigert, daß er gar nicht merkte, wie sich sein Gesicht zu einer Grimasse verzerrte. Seine Augen glühten förmlich, und ein satanisches Lächeln spielte um seine Lippen.

Zwei ältere Frauen, am Nachbartisch, sahen zu ihm herüber. Dann schauten sie sich befremdet an, doch das nahm er überhaupt nicht wahr.

Als die Kirchenglocken zur Abendmesse riefen, bezahlte Simon und verließ den Biergarten. Eine ganze Zeitlang stand er unten am Weg, unschlüssig, ob er hinaufgehen sollte, oder nicht. Auch wenn er den Geistlichen unbedingt sehen wollte, so bekam er jetzt doch Angst vor der eigenen Courage. Doch dann dachte er an die Frau im Rollstuhl und riß sich zusammen.

Die Gläubigen waren längst in der Kirche und die Messe hatte bereits begonnen, als er die Tür öffnete und hineinschlüpfte. Er setzte sich in die letzte Kirchenbank und beobachtete den Mann, der vor dem Altar stand.

Das also war Pfarrer Trenker!

Simon prägte sich das Gesicht gut ein. Allerdings wurde ihm auch bewußt, daß er sonst nichts weiter über den Seelsorger wußte. Er kannte nicht seinen Tagesablauf und auch nicht seine Gewohnheiten. Er würde sich also umhören müssen, Leute befragen und aushorchen. Je mehr er über Sebastian Trenker wußte, um so leichter würde es sein, den »Gegner« einzuschätzen und im richtigen Augenblick zu überrumpeln.

Während er in der Kirche saß und nur am Rande wahrnahm, was der Geistliche sagte, dachte er an Sonja Raithel. Sie hatte ihm ja schon bereitwillig Auskunft gegeben. Bestimmt würde er ihr noch mehr entlocken können. Er mußte es nur richtig anstellen.

Aber das sollte ihm nicht schwerfallen. Schon am Tag seiner Ankunft auf dem Bauernhof hatte sie ihn mit großen Augen angesehen, und Simon erkannte sehr schnell, daß sich das Madel in ihn verguckt hatte.

Er war indes einem Flirt nicht abgeneigt. Sonja sah sehr hübsch aus, und für die Zeit seines Aufenthaltes konnte es eine nette Abwechslung bedeuten, wenn er sie weiterhin umgarnte.

Simon schmunzelte unwillkürlich, als er merkte, daß er sich sogar auf ihre heimliche Verabredung zum Tanz freute.

Die Gläubigen erhoben sich zum Segen. Noch bevor sie die Kirche verließen, war der junge Mann hinausgegangen. In der Abenddämmerung stand er abseits und beobachtete, wie Pfarrer Trenker seine Gemeindemitglieder verabschiedete. Erst als der Geistliche wieder hineinging, machte sich Simon auf. Bevor er den Kiesweg betrat, warf er einen grimmigen Blick auf die geschlossene Kirchentür.

*

Nach einer unruhigen Nacht war Max Trenker recht früh auf den Beinen. Die Sorge um den Bruder hatte ihn nicht schlafen lassen, und jetzt wollte er gleich wieder los, um die umliegenden Pensionen und Unterkünfte abzufahren. Der Polizeibeamte konnte nicht sagen, woher er die Gewißheit nahm, aber er war überzeugt, daß der anonyme Briefeschreiber sich hier irgendwo in der Gegend aufhielt.

Allerdings war ihm auch bewußt, welch ein schwieriges Unterfangen es war, diese Nachforschungen anzustellen. Zum einen gab es mehr als zweihundert Beherbergungsbetriebe im Wachnertal, zum anderen mußte er die Befragung diskret durchführen, schließlich sollte der Mann nicht schon vorher gewarnt werden. Nach einem kleinen Frühstück setzte sich Max in seinen Dienstwagen und fuhr los. Die Tatsache, daß viele Bauern dazu übergegangen waren, Touristen zu beherbergen, machte seine Aufgabe nicht einfacher. Aber er würde alles unternommen haben, um seinen Bruder zu schützen!

Der Beamte überlegte, ob wohl noch mehr solcher Drohbriefe eintreffen würden. Bisher war das nicht der Fall. Allerdings hatte Dr. Anhalter ihn auf diese Möglichkeit hingewiesen. Nicht wenige Menschen, die derartige Briefe schrieben, ergötzten sich an der Vorstellung, wie die Empfänger darauf reagierten und in ständiger Angst lebten.

Außerdem dachte Max an Rolf Erdmann. Es gefiel ihm überhaupt nicht, daß Sebastian sich mit diesem Mann zu einer Bergtour treffen wollte.

Was wußten sie schon von ihm?

Daß er Lehrer war – gut und schön, das war aber auch schon alles. Max nahm sich vor, ihn sich genau anzusehen, und sollte nur das Geringste darauf hindeuten, daß er etwas mit dem anonymen Brief zu tun hatte, würde er ihn sofort festnehmen!

Acht Bauernhöfe hatte der Polizist auf seiner Liste. Obgleich er in aller Herrgottsfrühe losgefahren war, dauerte es bis zum Vormittag, ehe er sieben abgehakt hatte. Auf keinem hatte er die erwartete Auskunft erhalten. Stets waren es Ehepaare, die die Zimmer bewohnten, wobei die Frauen kerngesund waren. Alleinreisende Männer waren nicht darunter.

Zum Schluß blieb der Raithelhof übrig. Max schaute auf die Uhr. Wenn er sich beeilte, schaffte er es, pünktlich zum Mittagessen im Pfarrhaus zu sein.

Kurz bevor er den Hof erreichte, kam ihm ein Auto entgegen. Routinemäßig sah er auf das Kennzeichen des Fahrzeuges. Oberlech, eine Stadt im nordöstlichen Teil Bayerns, an der Grenze zu Tschechien. Max registrierte gleichfalls, daß ein junger Mann hinter dem Steuer saß. Das alles spielte sich in Sekundenbruchteilen ab, dann war das Auto vorbei.

Der Beamte bog auf den Hof ein. Ludwig Raithel saß auf seinem Traktor. Es sah so aus, als wollte er gerade losfahren. Als er den Polizeiwagen erkannte, hielt er an und sprang von seinem Sitz herunter.

»Nanu, die Polizei?« rief er erstaunt. »Ist was passiert?«

»Grüß Gott, Raithelbauer«, nickte Max ihm zu. »Nein, net direkt. Ich brauch’ nur eine Auskunft.«

Er sagte dem Bauern, was er wissen wollte. Seine Miene hellte sich auf, als Ludwig ihm bestätigte, daß ein junger Mann sich eingemietet hatte.

»Der mit dem roten Auto, der mir da g’rad begegnet ist?« fragte er.

»Ja, ein rotes Auto fährt der Herr Gartner.«

»Gartner heißt er also«, meinte der Polizist. »Kann ich mal den Eintrag in das Meldebuch seh’n?«

»Natürlich. Aber worum geht’s überhaupt?« wollte der Bauer wissen.

»Ach, nix weiter. Eine routinemäßige Überprüfung«, wich Max aus.

Sie gingen ins Haus, und Ludwig Raithel nahm das Meldebuch, das in der Diele auf einer Anrichte lag. Er zeigte auf den Eintrag.

»Simon Gartner, Student aus Oberlech«, las der Beamte.

Er sah den Bauern an.

»Was wissen S’ sonst noch von dem Mann?«

Ludwig zuckte die Schulter.

»Was soll ich wissen? Nix. Er hat das Zimmer über den Fremdenverkehrsverein reserviert und will bis zur nächsten Woche bleiben. Bezahlt hat er im voraus und ansonsten ist er ein ruhiger, angenehmer Gast.«

»Aha. Und was macht er so den ganzen Tag? Ich mein’, unternimmt er irgendwelche Ausflüge, Wanderungen?«

»Also hören S’, Herr Trenker, ich kümmer’ mich net darum, was meine Gäste mit ihrer Zeit anfangen. Schließlich hab’ ich auch noch was and’res zu tun.«

»Natürlich«, nickte Max.

»Was mir einfällt…«, sagte der Bauer plötzlich.

»Ja?«

»Na ja, ich weiß net, warum ich’s überhaupt erwähn’, aber er hat sich heut’ bei der Sonja nach Ihrem Bruder erkundigt.«

Der Polizist wurde hellhörig.

»Nach meinem Bruder? Was wollte er denn da wissen?«

»So genau hab’ ich’s gar net mitbekommen, nur so, im Vorbeigehen gehört, daß er sich nach Hochwürden erkundigt hat. Wenn S’ mehr wissen wollen, müssen S’ das Madel schon selbst befragen.«

»Das werd’ ich. Wo ist denn Ihre Tochter?«

Ludwig Raithel deutete auf die Küchentür.

»In der Küch’. Haben S’ sonst noch Fragen? Ich muß nämlich los. Bin eh’ schon spät dran.«

»Fahren S’ nur«, meinte Max. »Ich red’ mit der Sonja.«

Er klopfte an die Tür, während der Bauer hinausging. Sonja Raithel stand am Herd und legte Fleischpflanzerl in eine Pfanne. Sie war nicht weniger erstaunt, als ihr Vater, als sie den Polizisten sah. Max erklärte, worum es ging – eine routinemäßige Überprüfung des Meldebuches. Dabei habe er vom Vater erfahren, daß der Herr Gartner sich nach dem Pfarrer erkundigt habe, ob es dafür einen besonderen Grund gegeben hatte.

Das Madel schüttelte den Kopf.

»Nein, eigentlich net.«

Die Bauerntochter berichtete von dem gestrigen Gespräch, bei dem sie Schloß Hubertusbrunn erwähnt hatte. Simon Gartner habe sie daraufhin heute morgen noch einmal angesprochen und gefragt, was Pfarrer Trenker für ein Mensch sei, der so selbstlos ein herrschaftliches Anwesen für eine Einrichtung, wie die Jugendbegegnungsstätte hergab. Sonja hatte dabei ein bißchen über den Bergpfarrer geplaudert und auch über dessen Leidenschaft für das Wandern und Klettern geredet.

Genauso arglos, wie am Morgen, sprach sie auch jetzt darüber. Sie dachte sich nichts Schlimmes dabei. Allerdings kam es ihr schon merkwürdig vor, daß der Polizist sich so genau danach erkundigte.

»Hätt’ ich vielleicht nix sagen sollen?« fragte sie und machte dabei ein ängstliches Gesicht.

»Nein, nein«, lachte Max, »es ist ja kein Geheimnis, was für ein Mensch mein Bruder ist.«

Er bedankte sich für die Auskunft und wünschte noch einen schönen Tag. Als er vom Hof fuhr, war er nachdenklicher, als zuvor.

Simon Gartner. War das der Mann, den er suchte? Warum hatte er sich so intensiv nach Sebastian erkundigt? Wieso wollte er wissen, was der Geistliche für ein Mensch war?

Mehr noch als Rolf Erdmann, würde er Simon Gartner unter die Lupe nehmen müssen, soviel stand für Max Trenker fest.

Er fuhr nach St. Johann zurück. Gerade noch rechtzeitig zum Mittagessen kam er im Pfarrhaus an. Als er die Küche betrat, duftete es nach dem Fischsud, in dem Sophie Tappert die Forellen pochierte.

»Es gibt Neuigkeiten«, raunte der Polizist seinem Bruder zu.

»Jetzt net«, gab der, mit Blick auf die Haushälterin zurück

Max nickte verstehend und setzte sich. Sebastian nahm ihm gegenüber Platz. Nichts schien die Ruhe des Geistlichen erschüttern zu können.

*

Sonja Raithel schaute sich verstohlen um, ehe sie zum Gesindehaus hinüberlief, in dem die Gästezimmer eingerichtet waren. Noch einmal einen Blick zurückwerfend, öffnete sie die Tür und schlüpfte hindurch. Vor einer halben Stunde war Simon zurückgekommen. Sonja hatte allerdings warten müssen, bis ihre Eltern sich zu ihrem Mittagsschläfchen hingelegt hatten, bis sie das Bauernhaus verlassen konnte, ohne, daß sie es bemerkten.

Sie klopfte an Simons Zimmertür, und der Bursche öffnete. Erstaunt sah er sie an.

»Sonja, das ist aber eine Überraschung.«

»Net so laut«, bat sie. »Darf ich einen Moment hereinkommen?«

»Aber natürlich«, antwortete er und gab den Weg frei.

Die Bauerntochter wußte, daß das Ehepaar Frieling sich ebenfalls in seinem Zimmer aufhielt, und wollte natürlich nicht, daß die zwei etwas von ihrem Besuch hier mitbekamen. Wie leicht konnte dadurch der Vater etwas davon erfahren. Sie huschte in das Zimmer, Simon schloß die Tür. Er lächelte sie an.

»Also, was gibt’s?«

Sonja rieb verlegen die Hände aneinander. Seit Max Trenker dagewesen war und sich so eingehend nach dem Gast erkundigt hatte, überlegte sie, ob sie Simon davon erzählen sollte. Ihr erster Gedanke war, daß er von der Polizei gesucht werden könne…

»Ja, also, es ist so…«, begann sie, »heut’ mittag war die Polizei da…«

»Ich weiß«, nickte der junge Bursche. »Ich hab’ den Wagen geseh’n, als ich ins Dorf gefahren bin und hab’ mir gedacht, daß er hierherfährt. Warum erzählen S’ mir das?«

»Na ja, weil – der Max Trenker, das ist der Beamte, sich so eingehend nach Ihnen erkundigt hat…«

Seine Miene verriet nicht, was er jetzt dachte.

»So, was hat er denn wissen wollen?« fragte Simon leichthin.

Sogar ein Lächeln brachte er zustande, während es in seinem Kopf arbeitete.

»Warum Sie sich so für seinen Bruder, den Herrn Pfarrer interessieren, hat er gefragt. Ich glaub’, Vater hat ihm gesagt, daß Sie sich nach ihm erkundigt haben.«

Ach ja. Simon Gartner fiel die Namensgleichheit auf. Der Beamte hieß ja auch Trenker. Als Sonja seinen Namen gesagt hatte, war es ihm gar nicht so bewußt gewesen.

Das Madel sah ihn forschend an.

»Haben S’ was mit der Polizei zu tun? Werden S’ vielleicht sogar gesucht…?«

Jetzt lachte er laut auf.

»Nein, da kann ich Sie beruhigen, Sonja. Ich hab’ nix auf dem Kerbholz, und polizeilich gesucht werd’ ich auch net.«

Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Simon konnte deutlich sehen, wie erleichtert sie war.

Hoppla, dachte er, die Kleine liebt dich ja wirklich!

Er machte einen Schritt auf sie zu und zog sie in seine Arme. Sonja ließ es geschehen, daß er sie küßte.

»Mach’ dir keine Sorgen«, sagte er, während er ihr zärtlich über das Haar strich. »Es hat nix zu bedeuten, daß dieser Polizist sich nach mir erkundigt hat. Wahrscheinlich war’s nur Zufall, daß er überhaupt von mir gehört hat. Na, und weil ich nach seinem Bruder gefragt hab’, wird er halt gewußt haben wollen, mit wem er’s zu tun hat.«

Dabei schaute er sie mit treuen Augen an. Das Madel nickte. Nur zu gerne wollte sie es ihm glauben und lehnte sich an seine Brust.

»Schad’, daß ich schon geh’n muß«, flüsterte die Bauerntochter. »Aber wenn die Eltern aufwachen und etwas bemerken, dann ist der Teufel los.«

Simon küßte sie noch einmal, wild und leidenschaftlich, dann gab er sie frei.

»Du hast recht«, nickte er, »es braucht niemand zu wissen, daß’ bei mir warst.«

Er brachte sie zur Tür. Sonja strich über sein Gesicht.

»Ich freu’ mich auf morgen abend«, sagte sie, bevor sie hinausging. Simon schloß hinter ihr ab und ging nachdenklich zum Bett. Dort streckte er sich aus und überlegte, was er von der Neuigkeit zu halten hatte. Daß der Bruder des Pfarrers bei der Polizei war, hatte er nicht gewußt. Deshalb hatte er sich auch nichts dabei gedacht, als er den Streifenwagen zum Raithelhof fahren sah. Jetzt war die Situation natürlich eine andere. Sehr wahrscheinlich wußte der Beamte durch den Geistlichen von dem Drohbrief und stellte seine Nachforschungen an. Simon hatte mit solch einer Möglichkeit nicht gerechnet. Nicht einmal damit, daß Pfarrer Trenker sich überhaupt an die Polizei wenden würde. Ein Mann in so einer exponierten Stellung konnte es sich doch gar nicht erlauben, daß dieser Skandal an die Öffentlichkeit kam, auch wenn er schon lange Jahre zurück lag. Daß der Mann allerdings mit einem Polizisten verwandt war, hatte Simon Gartner nicht ahnen können. Dann hätte er sich vorsichtiger verhalten.

Er richtete sich auf und starrte die Wand an.

»Wie auch immer«, sagte er im Selbstgespräch, »ich werd’ tun, was ich mir vorgenommen hab’. Ganz egal, was dabei mit mir passiert!«

*

»Simon Gartner?«

Sebastian schüttelte den Kopf.

»Den Namen hab’ ich noch nie gehört«, antwortete er auf die Frage seines Bruders. »Wer soll das sein?«

Es war Freitagabend. Sie saßen nach dem Essen im Arbeitszimmer des Geistlichen. In der Küche war Sophie Tappert mit Aufräumen und dem Abwasch beschäftigt.

»Ein Student aus Oberlech«, sagte Max. »Er wohnt auf dem Raithelhof und hat sich bei der Sonja recht auffällig nach dir erkundigt.«

»Aha. Und was genau wollt’ er wissen?«

Der Polizist berichtete, was er von dem Madel erfahren hatte.

»Oberlech – das liegt doch an der Grenze zu Tschechien«, überlegte Sebastian Trenker.

»Genau«, nickte sein Bruder. »Verbindest etwas damit? Bist’ vielleicht sogar schon mal da gewesen?«

»Nein, nie. Und was damit verbinden kann ich auch net, außer, daß es dort eine Glasmanufaktur gibt, die besonders schöne und vor allem teure Gläser herstellt. Ansonsten weiß ich nix darüber.«

Max Trenker strich sich nachdenklich über die Nasenspitze.

»Jedenfalls werd’ ich gleich morgen früh noch einmal zum Raithelhof fahren und mir den Burschen ansehen«, erklärte er.

Der Bergpfarrer lehnte sich zurück.

»Und was willst’ da machen? Den Herrn Gartner fragen, ob er mir einen Drohbrief geschrieben hat?«

Er runzelte die Stirn.

»Ich glaub’ net, daß der Mann das so ohne weiteres zugeben wird. Und du hast ja selbst gesagt, daß es keine Hinweise auf den Urheber gibt. Die Experten im Polizeilabor haben doch nix finden können.«

»Ich werd’ ihn fragen, warum er sich nach dir erkundigt hat«, antwortete der Polizist. »Irgend’was wird er ja darauf antworten müssen.«

Die Brüder sprachen noch eine ganze Weile über die Angelegenheit, bevor sich Max auf den Weg in seine Wohnung machte. Sebastian blieb in seinem Arbeitszimmer sitzen. Seine Haushälterin hatte ihm einen frisch aufgebrühten Tee gebracht, und der Geistliche dachte, während er trank, über das nach, was der Jüngere ihm berichtet hatte.

Gartner. Hatte er diesen Namen schon einmal gehört? Und wenn ja, wann war das gewesen? Es mußte eine Ewigkeit her sein, denn in den letzten Jahren war ihm niemand begegnet, der so hieß. Sebastian schloß die Augen und versuchte, sich auf die Vergangenheit zu konzentrieren. Wenn überhaupt, dann konnte das, was man ihm vorwarf nur passiert sein, als er als Führer so manche Wandergruppe, oder auch einzelne Personen in die Berge gebracht hatte. Unzählige waren es gewesen, denn schon damals hatte der junge Trenker einen legendären Ruf. Es gab nur eine Handvoll Männer, die sich zwischen den Gipfeln gut auskannten, und er gehörte dazu.

Die Jahre flossen an seinem inneren Auge vorbei, und so manche, längst vergessen geglaubte Begebenheit tauchte wieder auf. Herrliche Wanderungen, mit lustigen Gruppen, fröhliche Hüttenabende mit Musik und Tanz, überraschende Unwetter, bei denen man sich in Schutzunterkünfte flüchten mußte – Gesichter waren plötzlich da, und die dazugehörenden Namen fielen Sebastian wieder ein.

Aber Gartner?

Plötzlich schoß der Geistliche hoch. Doch – irgendwo, tief in seinem Unterbewußtsein verborgen, war da etwas, das ihn aufhorchen ließ.

Gartner… Gartner…

Sebastian stand auf. Die Arme vor der Brust verschränkt ging er in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Allmählich setzte die Erinnerung ein. Es mußt mindestens zwanzig Jahre her sein. Wenn nicht länger.

Der Teerest in der Tasse war inzwischen kalt geworden. Der Seelsorger trank ihn trotzdem aus. Ja, jetzt sah er das Gesicht deutlich vor sich. Eine junge Frau, Evelyn Gartner. Zusammen mit dem Mann und ihrem Sohn machten sie Urlaub in St. Johann. Sebastian, der damals noch im Elternhaus wohnte, lernte die Familie kennen, als die Urlauber einen Bergführer suchten. Alois Vinger, der Leiter der Bergwacht, der heute noch als Bergführer arbeitete, vermittelte seinerzeit den jungen Trenker.

Sebastian kramte in seinem Gedächtnis. Sebastian – war das der Name des Buben gewesen? Drei Jahre mußte er alt gewesen sein. Der Geistliche erinnerte sich, ihn damals auf der Schulter getragen zu haben.

Ja, Simon war richtig!

Der gute Hirte von St. Johann setzte sich wieder. Jetzt, wo die alte Geschichte wieder auftauchte, war er die Ruhe selbst. Stück für Stück setzte er die Erinnerungsstücke, wie ein Puzzle, zusammen. Und dann stand die ganze Geschichte vor ihm, der Tag, an dem er das Ehepaar Gartner bis kurz unter den Gletscher geführt hatte…

*

Zufrieden schaute Sepp Reisinger in den vollbesetzten Saal. Ungefähr dreihundert Personen fanden darin Platz, und der Gastwirt beglückwünschte sich einmal mehr zu der guten Idee, den

samstäglichen Tanzabend eingeführt zu haben. Nicht nur die Einheimischen nahmen daran teil, Touristen, die in St. Johann weilten, fanden ebenso gerne den Weg hierher, und wenn die Musik aufspielte, gab es für Jung und Alt kein Halten mehr.

Dazu flossen Bier und Wein in Strömen, und zu später Stunde hatten sich so manche Herzen gefunden. Der Samstagabend im Löwen war auch so etwas, wie eine »Hochzeitsbörse«. Man kam, sah und verliebte sich, und so manche Ehe war hier schon angebahnt worden.

Daran dachte auch Sonja Raithel, als sie sich durch die Tanzenden drängte. Dabei glitt ihr Blick suchend über die Menge. Die Tische, die in der Nähe der Musiker standen, waren in der Regel für die Jugend reserviert, während die Alten lieber etwas davon entfernt saßen. Für sie war das Tanzen nicht ganz so wichtig, sie unterhielten sich lieber, tauschten den neuesten Tratsch aus und redeten über die zu erwartende Ernte.

Die hübsche Bauerntochter winkte einigen Bekannten zu und versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen. Nirgendwo konnte sie Simon Gartner entdecken.

Sollte er etwa ihre Verabredung vergessen haben? Oder, noch schlimmer, es sich anders überlegt? Seit dem Frühstück hatte sie ihn nicht mehr gesehen.

Plötzlich stieg ein schlimmer Verdacht in ihr auf. Max Trenker war am Morgen noch einmal auf den Hof gekommen und hatte sehr lange mit Simon gesprochen. Sonja mußte kurz darauf ihre Mutter ins Dorf begleiten. Nach ihrer Rückkehr waren weder Simon, noch der Polizist mehr da.

Hatte Max den Geliebten etwa mitgenommen? Hatte der nicht die Wahrheit gesagt, und es lag doch etwas gegen ihn vor?

Ihr Herz klopfte plötzlich heftig. Sie meinte, sich zu erinnern, daß Simon ganz blaß geworden war, als der Beamte so unerwartet in der Diele stand. Zu gerne wäre sie dabei geblieben und hätte gehört, was der Polizist von ihm wollte. Aber das ging natürlich nicht. Diskret hatte sie sich zurückgezogen und war gleich darauf mit der Mutter losgefahren.

Jemand faßte sie an der Schulter und zog sie herum. Über Sonjas Gesicht ging ein Strahlen, als sie ihn erkannte. Simon Gartner lächelte sie an.

»Wollen wir tanzen?« fragte er.

Das Madel nickte. Zu den Klängen eines Walzers drehten sie sich über das Parkett. Simon war ein hervorragender Tänzer, der seine Partnerin zu führen wußte. Sonja schwelgte im Glück, und alle Sorgen, die sie eben noch erfüllten, waren verschwunden.

»Ich hab’ schon geglaubt, du würdest gar net kommen«, gestand sie, als er sie an den Tisch führte, an dem er saß.

»Aber, aber – ich werd’ doch ein Rendezvous mit solch einem Madel net vergessen«, antwortete er mit einem Blick, der sie dahinschmelzen ließ. »Was möchtest’ trinken?«

Auf ihren Wunsch hin bestellte er bei einer der Saaltöchter einen Schoppen Wein. Er selbst hatte noch eine Maß Bier auf dem Tisch stehen.

»War’s schwer, von zu Haus fortzukommen?« erkundigte er sich.

»Na ja, der Vater sieht’s net gern’, wenn ich allein losgeh’«, erwiderte sie. »Aber Mutter hat ihm zugeredet, und so hat er ’s schließlich doch erlaubt.«

Simon prostete ihr zu.

»Also, irgendwie kann ich deinen Vater versteh’n«, meinte er. »Wenn man so eine hübsche Tochter hat, da ist man schon ein bissel eifersüchtig auf jeden Burschen.«

Sonja spielte gedankenverloren mit dem Stiel ihres Weinglases.

»Er hat halt Angst, daß ich den falschen Burschen anbring’«, sagte sie schmunzelnd. »Wenn’s nach Vater geht, dann muß es einer sein, der etwas von der Landwirtschaft versteht und obendrein noch einen Haufen Geld mitbringt.«

»Aha, dann wirst’ einmal den Hof erben?«

»Ja. Der Sohn, den Vater sich immer gewünscht hat, ist ihm leider versagt geblieben. Inzwischen hat er sich wohl damit abgefunden, daß er eines Tages einen Schwiegersohn akzeptieren muß. Auch wenn’s net leicht für ihn ist…«

In dem allgemeinen Trubel fiel es nicht weiter auf, wie vertraut sie miteinander waren. Selbst, als Simon sich zu ihr herüberbeugte und ihr einen Kuß gab, achtete niemand darauf.

»Was wollt’ denn der Max Trenker schon wieder von dir?« fragte Sonja.

Sie hatte lange überlegt, ob sie die Frage überhaupt stellen sollte, aber sie brannte ihr auf der Seele. Auch wenn Simon vielleicht darüber böse war – sie mußte es einfach wissen.

»Ach, nix Besond’res«, winkte er ab.

Zuerst sah es so aus, als wolle er sich darüber ausschweigen, dann erzählte er es doch. Er war schon erschrocken gewesen, als der Polizist in der Diele stand und ihn durchdringend ansah. Simon hoffte, daß er sich in der Gewalt hatte und man ihm seine Unsicherheit nicht anmerkte.

Auch daß Sonja, die ihm gerade den Kaffee serviert hatte, verwirrt auf die beiden Männer schaute, entging ihm nicht. Er war erleichtert, daß sie kurz darauf in die Küche zurückging.

»Max Trenker, vom Polizeiposten Sankt Johann«, stellte sich der Besucher vor. »Herr Simon Gartner?«

Simon nickte.

»Ja, bitt’ schön, was kann ich für Sie tun?«

Er versuchte fröhlich zu wirken, auch wenn er bis unter die Haarspitzen angespannt war.

»Bin ich zu schnell gefahren? Oder stand mein Wagen irgendwo im Halteverbot?«

Der Beamte schüttelte den Kopf. »Nein, es geht um was and’res…«

Simon deutete auf einen Stuhl am Tisch. »Nehmen S’ doch Platz«, sagte er höflich.

Max setzte sich.

»Weshalb ich Sie sprechen möcht’…«, begann er und sah den jungen Burschen direkt an. »Sie haben sich hier, bei der Familie Raithel nach Sebastian Trenker erkundigt. Er ist net nur der Pfarrer von Sankt Johann, sondern auch mein Bruder. Ich hätt’ von Ihnen gern’ den Grund für Ihr Interesse gewußt.«

Simon Gartner überlegte fieberhaft. Jede Antwort konnte gut oder schlecht sein. Wie sollte er dieses Interesse erklären?

Um Zeit zu gewinnen, trank er einen Schluck Kaffee. Dann zuckte er die Schulter.

»Ach, wissen S’, Herr Trenker, ich bin da mit der Sonja ins Gespräch gekommen«, erklärte er schließlich. »Eigentlich hab’ ich mich bei ihr nach irgendwelchen Sehenswürdigkeiten erkundigt. Alte Schlösser und so. Die Sonja hat mir von Hubertusbrunn erzählt, das ja Ihrem Bruder gehört, und das er in so selbstloser Weise Jugendgruppen zur Verfügung stellt. Na ja, ein Mensch, der so großzügig ist, weckt halt mein Interesse, und so kamen wir auf Ihren Herrn Bruder zu sprechen. Ich war neugierig geworden, als ich hörte, daß der Schloßbesitzer ein Geistlicher ist. Sonja empfahl mir, die Kirche zu besichtigen, und dann erzählte sie noch, welch begeisterter Wanderer und Kletterer Hochwürden ist. Und da wurd’ ich erst recht hellhörig. Wissen S’, ich würd’ schon gern’ mal eine Bergtour unternehmen, nur allein trau’ ich mich net so recht. Aber mit einem, der sich so auskennt, wie Ihr Herr Bruder, da hätt’ ich keine Angst.«

Simon nahm erneut die Tasse und trank.

»Ja, das ist eigentlich schon die ganze Geschichte«, sagte er zum Schluß.

Max hatte ihm wortlos zugehört. Jetzt überlegte er, was er davon halten sollte. Plausibel klang es ja, was der Bursche da erzählte.

Hab’ ich mich da womöglich in etwas verrannt, fragte sich der Polizist. Aus lauter Angst um den Bruder? Vielleicht hat Sebastian ja recht, mit seiner Vermutung, und es hat sich nur jemand einen, wenn auch dummen Scherz erlaubt. Weitere anonyme Briefe waren nicht angekommen, und wenn er sich Simon Gartner so anschaute, dann mochte Max nicht glauben, daß der ein Attentäter sein sollte.

»Sie würden also gern’ mal mit meinem Bruder eine Bergtour unternehmen«, stellte er fest. »Warum net? Er nimmt öfter mal jemanden mit, der sich net auskennt. Wenn S’ möchten, richt’ ich’s ihm aus. Aber vielleicht kommen S’ einfach mal in die Kirch’ und reden mit ihm selbst.«

»Das hatte ich ohnehin vor«, nickte der Bursche. »Außerdem möcht’ ich mir natürlich die Kirch’ anschau’n, von der das Fräulein Raithel so schwärmt.«

Max Trenker erhob sich.

»Ja, dann nix für ungut«, sagte er. »Und guten Appetit noch.«

»Dank’ schön«, grinste Simon Gartner und griff nach einer Semmel.

*

»Ja, das war’s eigentlich«, beendete er seine Erzählung.

Sonja war erleichtert. Das ungute Gefühl, das sie schon den ganzen Tag beschlichen hatte, war verschwunden.

Während sie tranken, beglückwünschte sich Simon noch einmal zu der guten Idee, die ihm am Morgen gekommen war. So schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen konnte er den Polizeibeamten beruhigen, zum anderen wußte er jetzt, wie er Pfarrer Trenker in die Berge locken konnte.

Als seinen Bergführer…

»Komm, laß uns tanzen«, rief er übermütig. »Schließlich wollen wir doch Spaß haben und fröhlich sein!«

Sonja ließ es nur zu gerne geschehen, daß er sie auf die Tanzfläche zog. Selig lag sie in seinen Armen, und als er sie küßte, war es ihr egal, ob es jemand sah oder nicht.

»Puh, ist mir warm«, sagte sie nach dem vierten oder fünften Tanz.