Eberkäse - Michael Höfler - E-Book

Eberkäse E-Book

Michael Höfler

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  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Was nach einem harmlosen Spaß aussieht, entwickelt sich nach einer unbedeutenden Erpressung des ortsansässigen Metzgers zu einem großen Fiasko in einem kleinen bayrischen Dorf. Polizeihauptkommissar Sodbrenner ist sich zunächst sicher, dass der erste Erpresserbrief nicht ernst zu nehmen ist. Es folgen weitere, die ihm ebenfalls harmlos erscheinen. Bis eines Tages auf dem Dünzingerhof eine Explosion die Wand der Hühnerfarm wegsprengt. LKA, Spezialkräfte und die Journalisten sind sich schnell einig darüber, dass dies nur ein Terrorakt von Tierschützern gewesen sein kann. Sodbrenner wird vom Dienst suspendiert. Doch er ermittelt in eigener Regie weiter und kennt den wahren Täter ganz genau.

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Seitenzahl: 148

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Eberkäse - Sodbrenners einziger Fall

Michael Höfler

Impressum

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

© 110th / Chichili Agency 2015

EPUB ISBN 978-3-95865-518-8

MOBI ISBN 978-3-95865-519-5

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Prolog

Die Weißwürste quollen im Sprudelwasser des Topfes, sie sollten Sodbrenner die Hungerzeit vor dem Sonntagmittagschweinebraten verkürzen. Er hob den Topfdeckel, durch seine Nüsternhaare wehte der Duft des köchelnden Kalbfreischbräts, da begann sein Handy, „Für Elise“ zu fiepen und sich ungemütlich im Kreis zu drehen. So wie ich, wenn man mich bei der Brotzeit stört, brodelte es in Sodbrenner. Er fischte die erste Weißwurst aus dem Topf, fixierte sie mit den Gabelzinnen auf dem Teller, schlitzte sie der Länge nach auf und löste den weißen Inhalt heraus. Dann tauchte er das befreite Brät in den braungelben Senf und schob es unter die Oberlippe. Das vollmundige Aroma ließ seinen speckbackigen Kopf nicken; das Weißbier, das er dazu trank, spülte die im Mund zurückgebliebenen Bröckchen hinunter.

Er kaute bereits die zweite Weißwursthälfte, da gab das Funktelefon weiter keine Ruhe. Mit fleischigen Fingern griff er danach; zunächst entwand es sich seinem Zugriff, aber als die Rotation durch den Senfnapf gestoppt wurde, bekam er es zu fassen. Das Display zeigte „unbekannt“, doch da er einigermaßen gelaunt war, ging er ran.

„Sodbrenner, aber beschäftigt!“, drangen die Worte zwischen den Weißwurstbrocken hindurch.

„Grüß di, Sodbrenner. Du, mir brauchen dich!“ Seine Kollegin, die Kandybowicz; sie schien inkognito zu ermitteln.

„Komm ins Feierwehrhaus. Eine komische Sache, Mord oder so, aber musst selber sehn!“ Sodbrenner murrte „sprich deitsch mit mir“ in den Funkknochen, während er weiter vorverdaute. Doch die Kandybowicz hatte bereits aufgelegt.

Der Kirchturm von St. Georg läutete das Servieren der Schweinebraten in den Viechtaler Wohnstuben ein. Aus den Küchen hinter den vor roten Geranien überquellenden Fenstersimsen drang der Geruch von Kochfleisch, Bratensoße und Kartoffelknödeln. In Sodbrenners Nase drangen auch die Abgase eines einzelnen Landrovers, wodurch, seinem Asthma sei Dank, Reizhusten die Speiseröhre würgte. Er hustete wie ein Rohrspatz, was seinen Appetit aber nur einen Moment lang verdrängte. Dann trat ein unziemlicher, da halbhungriger Polizeihauptkommissar durch das wie immer klemmende Feuerwehrtor. Halbhungrig war schlimmer als ganzhungrig, denn arbeitete Sodbrenners Magen einmal, wollte er richtig befriedigt werden. Drinnen im Spritzenhaus stürzte ihm sogleich Hauptbrandmeister Dünzinger entgegen, die Hand aufs Hinterende des Spritzenhauses gerichtet, das Diensthemd über dem leicht vorwärts gebeugten Oberkörper zugeknöpft, die verblieben Grausträhnen sorgfältig über die Glatze gezogen: „Da Holzpich liegt bei de Schleich. Dod!“

„Hast du gwusst, dass der heilige St. Georg gar nimmer heilig is?“, wechselte Sodbrenner das Thema. „Scho seit 1969 nimmer. Weil’s im dritten Jahrhundert, wo er glebt hot, koane Drachn ned gebn hot! Und sonst a ned.“

Dünzinger blickte weder gläubig noch ungläubig: „Erzähl ma nix, der Holzpich is dod!“ In Vorahnung unerquicklicher Dienstaufgaben drosselte Sodbrenner seinen ohnehin nur mäßig vorwärts drängenden Gang. Er setzte dem Dünzinger auseinander, was für ein tapferer Ritter Georg gewesen sei, und welche Legenden sich alle um ihn spannen. Unterm Reden fragte er sich, wer sich in St. Georgs Namen wohl die Mühe machen sollte, den eh nur bedingt lebendigen Berufstrinker Holzpich über den Hades zu schicken.

Hinter dem einzigen Mannschaftswagen, den die Viechtaler Feuerwehr besaß, lag er, der Holzpich. Das heißt, er saß mehr als dass er lag: der um Schultern und Rücken von einem Parka bedeckte Rumpf an einem Schlauchhaufen lehnend, der Rundschädel auf die mit dem Tattoo einer spitzbrüstigen Amazone verschönerte und nackte Brust gekippt. Holzpichs Zunge hängte aus den Splisslippen des rotweißen Gesichts heraus; ein Blutfleck an der Stirn glänzte in den Sonnenstrahlen, die durch die nachlässig geputzten Scheiben des Spritzenhauses drangen. Pfiati.

Sodbrenner stießen Aromen von Kalbfleisch, Senfkörnern und Petersilie auf; es mundete in dieser Verdauungsrichtung unangenehm. Seine Hirnrinde überlegte, während er die erste Routinefrage stellte: „Wer hat ihn gfundn?“

„I“, antwortete Polizeimeister Rattenhuber kaugummikauend in Uniform danebenstehend.

Polizeioberkommissarin Kandybowicz kniete, die weinroten Haare mit einer Art Stricknadeln zusammengesteckt und die Beine parallel abgewinkelt, auf dem Boden. Sie sicherte Spuren, die nur sie sah.

Sodbrenner hakte nach: „Wia des?“

Rattenhuber gab Auskunft: „Des Tor war auf, und es hot gstunkn.“

„Wann wor des?“

„Vor a hoibadn Stund.“

„Und warum is no koa Arzt da?“

Nun antwortete die Kandybowicz: „Kommt glei. Ich ruf die Kripo, okay?“

„Nix duast!“ Sodbrenners Kleinhirnwindungen meldeten etwas, das seine Laune hob. Er schritt auf Holzpichs unbewegliche Überreste zu. Die nach einem Dutzend Goldkronen riechenden Ausdünstungen ignorierend drückte er mit Mittel- und Zeigefinger tief in das Fettgewebe zwischen Kinn und Hals.

„Tod durch Pulsstillstand, oder?“

Rattenhuber rieb die Sohle seines Cowboystiefels über den Boden, sprach durch die Kaugummimasse hindurch: „Genau: er hot koan Puls!“

„So isses, der Holzpich is a Leich. Aber nur a Alkoholleich. Weil du ned richtig neidruckt host ins Fett!“

„Und de Wundn auf da Stirn?“

„Nahkampf mit dem Trottoir, k.o. in der erstn Rundn. Hier werd er an Schlafplatz gsuacht ham.“ Rattenhubers trotz seiner gerade 28 Jahre lichte Stirn legte sich über den engzusammenstehenden Augen in Falten des Staunens. Der Kandybowicz fror der Lidschatten ein. Obschon ihr halboffener Mund sich kaum bewegte, drangen zwei Worte aus ihr: „Nein, oder?“

Sodbrenner schüttelte den Holzpich, gellte ihm ins Ohr: „Steh auf, Holzpich. Du bist ned dod!“

Und tatsächlich begann der Holzpich den Kopf zu bewegen, lallte: „Schnaps … flüssigs Korn … de Viecha fressn’s trocken …“. Sodbrenner begnügte sich beim Auskosten seines Triumphs mit einem Klaps auf Rattenhubers Haupt, den sensible Menschen freilich als Backpfeife interpretiert hätten. Zufrieden über den erfolgreich aufgeklärten Fall schob er die Hände in die ausgeleierten Taschen seiner Cordhose und saß eine halbe Stunde später im Wirtshaus zum Hammel vor einer Doppelportion Jungschweinebraten mit Knödel extra.

Erster Teil

1.

Nach einem erfreulich ereignisarmen Montagvormittag vor Akten, die nicht murrten, wenn sich ihre Bearbeitung verzögerte, schlürften Sodbrenners Halbschuhe über das locker verlegte Viechtaler Kopfsteinpflaster. Die neumodisch blaue statt früher moosgrüne Uniformjacke hatte er auf der Lehne des Schreibtischstuhls gelassen und stattdessen seine grobmaschige Strickjacke über das hellblaue Diensthemd gezogen.

Wie er es immer tat, wenn er gut gelaunt war und ihn die Kriminellen in Frieden ließen, pfiff er das Lied „Wann I nimmer meng dad, gangad i hoam“ von Gerhard Polt und Hanns-Christian Müller. Dabei traf es das Lied nicht ganz, denn Heimgehen hieß Heimgehen zu seiner Alten, und das war seine Sache auch nicht. Stattdessen wollte er ins Wirtshaus zum Hammel auf ein paar Pferdeknacker. Doch wieder hatte sein Handy etwas dagegen. Das für eine dreistellige Millionensumme von einem Konglomerat deutscher Elektronik- und Fernmeldekonzernen ausgetüftelte neue Polizeifunksystem funktionierte schon seit Monaten nicht.

„Sodbrenner, aber in Mittagspause!“

„Sodbrenner, ich bin’s.“

Freilich die Kandybowicz.

„Wieder an Lebendigen gfundn?“

„Ja, genau, aber diesmal Erpressung! Der Birnwies-Metzger!“ Glück im Unglück, wenn es sich bei dem Opfer einer Nötigung um einen Metzger handelt. Hoffentlich hatte die Auslage mit dem besten Leberkäse Viechtals nicht schon unter der Erpressung gelitten.

Doch Sodbrenners Sorge war unbegründet. Als er die Fleischfachhandlung betrat, hingen die Würste in gewohnter Dicke und Vielzahl von der Rückwand, während sich in der Auslage Speck, Schnitzel, Halsgrate und Rippchen türmten. Vom Warmhalteofen daneben breiteten sich die saftig-schweinernen Aromen des baumdicken Leberkäses aus.

„An Leberkas, bitte“, sagte Sodbrenners Magen, da bemerkten seine Augen erst die Johanniter, die hinter der Vitrine den Birnwies auf einer Trage versorgten. Währenddessen studierten die Kandybowicz und der Rattenhuber am Imbisstisch im Hintereck der Fleischerei ein Papier. Sodbrenners Blick wurde wieder vom Leberkäse angezogen, da drängten sich die Johanniter samt Trage und dem Birnwies darauf an ihm vorbei. Der Birnwies sah aus wie immer: blutverschmierte Metzgerschürze, noppige Haut, Knollennase, aber die Haut weniger rosig als sonst und die Augen unter den Buschbrauen geschlossen.

„Servus Birnwies, geht’s da ned guad?“

Der Birnwies antwortete freilich nicht, dafür einer der Johanniter: „Kreislaufkollaps, bet für ihn!“

Pfiati. Vom Beten hielt Sodbrenner wenig; und bei leerem Magen war ohnehin nicht an Gehirnarbeit zu denken. Sein Körper glich einem Uhrwerk: Entweder es drehten sich alle Rädchen oder das ganze System stand still. So trat er selbst hinter den Tresen, schnitt mit dem Metzgermesser ein kapitales Stück vom Leberkäse, gab drei Esslöffel Senf darauf, schob das Ganze in eine aufgeschnittene Kaisersemmel, biss herzhaft hinein und schlenderte zu den Kollegen am Imbisstisch. Nichts geht über dem Birnwies seinen Leberkäse, meinte Sodbrenners langsam erwachendes Gehirn. Als er Platz nahm, hatte er bereits den zweiten Bissen im Mund.

Er war noch nicht mit Kauen fertig, da wollte er von den Kollegen wissen: „Was hat eam kollabiern lassn, an Birnwies?“

„Lies des mal“, hielt im die Kandybowicz das Papier noch näher hin, als sie es ohnehin schon getan hatte.

„Ham die Sanitäter aufm Boden gfundn“, ergänzte der Rattenhuber. „Übrigens, I müsst wieder auf Streife!“

„Schleich di!“, gestattete es Sodbrenner.

Birnwies Du Dreck Sau!

Du verdienst mit die arme Schweine, aber des stöhrt die Leute nicht. Dafür wird sie stöhren, was jetzt in deim Leber Käse drin ist du Bazi! Du Schlawiner du aus geschämter! Wenn das jemand von mir erfaren tut dann schmiehrst du bald die Wurscht Semmeln von der Gefängnis Kantiene. Aber jetz kriegst du eine gute Nachricht: 500 Euro Spende in un nummerierte Scheine und ich schweig so leise als wie ein Grab. Im nächsten Brief erfarst du wost des Geld hin bringst.

Pfiati!

Pfiati. Auf den Text hätte Sodbrenner ein glattes Ungenügend gegeben. Dem Inhalt zum Trotz kaute er nochmals gründlich die Leberkäsebrocken, die noch in seinem Mund schwammen.

Ihm fiel ein: „Woaßt du, dass den Leberkas koa Bayer ned erfunden hat? Des war a Metzger aus Mannheim, den da Kurfürst Karl Theodor 1776 aus der pfälzischen Wittelsbacher-Linie nach Bayern mitbrocht hod.“

Die Kandybowicz schien es nicht gewusst zu haben, doch das Erstaunen in ihrer Mimik hielt sich in Grenzen. Sie wollte etwas sagen, doch Sodbrenner bedeutete ihr, noch zu schweigen, nahm noch einen dritten Bissen Leberkäse und diagnostizierte: „einwandfrei!“

Er erkannte, dass seine Mitarbeiterin bereits ein Stück vom großen Fleischkäse abgetrennt und luftdicht in einer Tupperschüssel verschlossen hatte. Die trug sie immer in ihrer überdimensionierten Handtasche, weil es ihr wehtat, Lebensmittel wegzuwerfen. Die Ledertasche zierte ein aufgestickter Leopard. Sodbrenner hatte eine Vorstellung, was für Vorleger ihre Wohnstube schmückten. Die Kandybowicz deutete mit ihren von Glitzerelementen übersäten Fingernägeln auf das Papier, das sie ihm neuerlich hinschob: „Die Erpressung müssen wir fei der Kripo in Ingolstadt melden!“

„Nix miaß ma. Der, der wo des gschriebn hot, is a Depp, der woaß ned amoi, wia ma Erpressung schreibt.“

„Aber er könnt trotzdem gfährlich sein!“, gab die Kandybowizc zu bedenken und ergänzte schnippisch: „Die Beurteilung, was eine Erpressung ist, obliegt ausschließlich der Staatsanwaltschaft.“

„Ge, wenn oana `unnummerierte Scheine’ wui, die’s gar ned gibt, dann woaß er a ned, wia a Erpressung funktioniert. Aber wenn’s di beruhigt, dann informier i den Sillaber.“

Der Sillaber war mit ihm vor über zwanzig Jahren nach dem Unterricht in der Polizeischule um die Häuser gezogen. Die Nachttouren hatten sie finanziert, indem sie die Wirte auf deren knausrige Einschenkgewohnheiten hingewiesen hatten, was zu erfahren wiederum das Gewerbeaufsichtsamt nicht erfreut hätte. Randvoll eingeschenktes Freibier für die Polizeianwärter hatte deren Blick für die übrigen Biere getrübt. Heute war der Sillaber bei der Kripo Ingolstadt u. a. für Erpressungen zuständig und arbeitete Hand in Hand mit der Staatsanwaltschaft.

Die Kandybowicz ließ nicht locker, deutete auf ihre Tupperschüssel: „Und den Leberkäs schick ich ins Labor! Jetz glei mit dem Kurier.“

Sodbrenner gestand es ihr zu: „vo mir aus“, sie spekulierte: „Der Rechtschreibung nach hat er bestenfalls an unqualifiziertn Hauptschulabschluss. Wahrscheinlich ein Typ, der nichts zu verliern hat.“

Sodbrenner verweigerte sich der Mutmaßerei über den Täter einer Tat ohne logische Grundlage: „Warum sollt da Birnwies wos in sein Leberkäs nei tun?“

„Immerhin scheint der Erpresser an Computer und an Drucker bedienen zu können. Und was meint er mit `arme Schweine`?“ Statt zu antworten nahm Sodbrenner den nächsten Bissen und den übernächsten. Als die 400 Gramm vertilgt waren, stieß ihm von der Magenröhre her auf. Hoppla, dachte er, denn der Geschmack wich um eine Nuance vom üblichen Leberkäse-Reflux ab. Diese Beobachtung behielt er freilich für sich.

2.

„Da Postbote kimmt glei“, erinnerte Hauptkommissar Sodbrenner Oberkommissarin Kandybowicz am Montag der nächsten Woche daran, wie an jedem Tag den Briefträger am Eingang der Polizeiinspektion Viechtal abzupassen. Doch die Kandybowicz war bereits von ihrem grasgrünen Gymnastikball aufgestanden, freilich nicht, ohne sich vorher eine freischaffende Strähne ihrer inzwischen kastanienbraunen Haare säuberlich hinter das glänzende Spitzohr geklemmt zu haben.

In halbhohen Pumps schritt sie am Rattenhuber vorbei; der tippte am Katzentisch des Vorzimmers in ungelenkem Deutsch Berichte über läppische Verkehrsunfälle und stieß rhythmisch mit den Spitzen seiner Cowboystiefel gegen den Papierkorb. Wenn Sodbrenner gutgelaunt war, ließ er sich die Berichte zeigen und den Rotstift über Orthographie und Grammatik wandern; mit dem rot eingefärbtem Papier watschte er unter maßvollen Worten des Tadels Rattenhubers Hinterohr.

Kandybowizc’ Aufstehen nahm Rattenhuber zum Anlass zu fragen: „Konn i auf Streife? Auf der Landstraß nach Öding gibt’s des neie Speedlimit, des beacht sicher koana!“

„Schleich di!“, erlaubte es Sodbrenner. „Aber nur wennst den BMW heil zruckbringst und nachher deine Berichte fertigmochst!“

„Eh klar, Chef!“

Rattenhuber hatte in den zwei Jahren, seitdem er die Wache verstärkte, immerhin eineinhalb Streifenwagen verschlissen. Freilich hatte er es auf die Raser geschoben, wegen derer er das Gaspedal hätte durchtreten müssen. „I hätt an Ferrari braucht“, hatte er sich entschuldigt, nachdem er auf der Jagd nach einem Porsche einen guten Teil vom Kotflügel des Dienst-BMW an einer Leitplanke gelassen hatte. Sodbrenner hatte extra mit dem zweiten Streifenwagen hinfahren und Spuren aufnehmen müssen, weil die Kandybowizc auf Sumatra geurlaubt hatte. Der Totalschaden resultierte aus einem filmreifen Überholmanöver mit Vollbremsung unmittelbar vor einem Kleinbus, bei dem dessen Fahrer nicht anders gekonnt hatte, als das Polizeiauto zusammenzustauchen. Sein anschließendes Schleudertrauma hatte der Rattenhuber partout als Heldenopfer verbuchen wollen. Die Kandybowizc kam lächelnd mit dem Laborbericht zurück, hatte das Kuvert bereits aufgerissen.

„Und?“, wollte Sodbrenner wissen. „Gammelalarm?“

„Na, viel kurioser.“

„Koa Fleisch?“

„Woher weißt du des?“

„Kommissarische Intuition.“

„Da lies: ‚Rein pflanzliche Bestandteile gefunden … Tofu … Soja … Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren … Fleischanteil: 0%.“

„Pfiati!“ Sodbrenner lachte: „Der Birnwies - ein Vegetarierbazi!“

„Auf jeden Fall nichts fürs Gesundheitsamt, eher für den Verbraucherschutz. I ruf die gleich …“

„Untersteh di! Des is ned unser Gschäft, und wenn die Leit des erfahrn, verkauft da Birnwies in Viechtal koa Gramm Fleisch mehr. Wuist du des verantworten?“

Die Kandybowicz schüttelte den Kopf, kniff die Lippen aufeinander. Sodbrenner sah sie prüfend an; sie schaute weg, sprach aber weiter: „Bei meiner Vernehmung am Vortag im Krankenhaus hat der Birnwies Stein und Bein geschworen, dass er keine Ahnung hat, was mit seinem Leberkäs los ist. Er sagt, er stellt die Masse dafür täglich genau so her, wie er es von seinem Vater glernt hat. Und der von seinem usw.“

„Genau: 4 Teile mageres Rindfleisch, 4 Teile mageres Schweinefleisch, 2 Teile Speck, aber ohne Schwartn, weißer Pfeffer, Salz, Wasser, Zwiebin, Majoran.“

„Ja, so hat mir die Herstellung in da Metzgerei ausgsehn. Sonst scheint er nix rein zu tun, keine Chemie, keine Geschmacksverstärker, keine Konservierungsstoffe. Und sein Fleisch ist einwandfrei zertifiziert. Da hat vielleicht wirklich da Erpresser den Leberkäs austauscht.“

Sodbrenner witzelte: „Wahrscheinlich a Aktivist, aber a saubläder.“

„Ich recherchier trotzdem mal des Thema vegetarischer Leberkäse.“

Die Kandybowicz ermittelte gerne. Jedoch bevorzugt auf bunten Internetseiten, und Befragungen führte sie am liebsten in Chaträumen zum Flirten durch. Mitunter musste Sodbrenner ungemütlich werden, wenn sie den Rattenhuber auf Streife begleiten sollte.

Er verabschiedete sich: „Entschuldigst mi, i muaß weg.“

In der Tat musste er raus, denn erstens fühlte er seinen herunter sackenden Magen, und das im selben Maß blutarme Gehirn lief bestenfalls im ersten Gang; zweitens gab es heute im Wirtshaus zum Hammel Lammkeule; und drittens musste er sicherheitshalber in diesem Nichtfall einer Erpressung etwas veranlassen. Da das Ermitteln auch seine Sache nicht war, bestellte er seinen Freund Hundschneider ein.

Auf dem Weg vernahm Sodbrenner eine Kuhglocke. Er sprang, obschon seit Jahrzehnten hüftsteif, wie ein junger Hüpfer auf die andere Straßenseite. Die mit Blumen behängte Kuh grunzte hämisch unterm Muhen und trampelte in ungelenkem Galopp, verfolgt von ihrem menschlichen Begleiter, dem sie offenbar ausgekommen war, um die Straßenecke. Sodbrenner bekreuzigte sich, dabei glaubte er mehr an die Abermilliarden Sterne im Universum als an den einen von Bethlehem. Er hatte Angst vor Rindern. Panische, tierische Angst. Aber wenn sie durchgebraten auf dem Teller lagen und von einer guten Soße bedeckt wurden, kam er gut mit ihnen aus.

An Viechtal nervten ihn z. B. die Kühe, die man für die Touristen schmückte. Diese verirrten sich ihrerseits wegen der unsterblichen Fersenbeinknochen, die angeblich einst St. Georg trugen, hierher. Der Geschäftsmann Hammerle leaste die Kühe von den Bauern im Umkreis und ließ sie mit Blumengirlanden und Riesenglocken aus seinen Souvenirläden schmücken. Das machte die mit Hörnern bewaffneten Muhmaschinen freilich nicht ungefährlicher, wenn sie durch die Stadt polterten. Es war eine Art täglicher Almabtrieb, nur ohne Alm. Die Rindviecher stoben Luft durch ihre Riesennüstern, und durch Sodbrenners Adern floss quälend aufrührendes Adrenalin.

Bei Viechtal kam Tal nicht von den Bergen, die es außenrum nicht gab, sondern von Senke. Einer zehn Kilometer breiten Delle im Hügelland der Hallertau; ein Meteorit hatte sie vor hunderttausend Jahren in den Boden gesprengt. Das Beste an Viechtal war, dass sich nicht mal die Kriminalität für den Ort interessierte. Sodbrenners Heimatort, das touristisch konkurrierende Nachbardorf Öding, besaß dagegen keine Polizeiinspektion. Die in Viechtal gab es nämlich nur, weil Viechtal im Umkreis von dreißig Kilometern die einzige Stadt war. Was wiederum daran lag, dass der vorletzte Viechtaler Bürgermeister vor 25 Jahren mehr über die Machenschaften im bayrischen Finanzministerium um Fußball-Franz, Aktien-Friedrich und Hendl-Jahn gewusst hatte, als der damalige Ödinger Kollege. Hendl-Jahn selbst hatte damals tausende seiner Brathühner in Viechtal angebaut und neben den Nutzflächen auch die politische Landschaft gepflegt. Touristisch jedoch waren die Ödinger um eine Kuhlänge voraus, denn durch ihr Organisationsgeschick fand man Jod und Schwefel in ihrem Grundwasser. Vor fünf Monaten im April hatten zwei Wellness-Hotels und die