Echt jetzt, Herr Fessor? - Andreas Ferner - E-Book

Echt jetzt, Herr Fessor? E-Book

Andreas Ferner

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Beschreibung

Andreas Ferner ist Lehrer und Kabarettist. Manche behaupten, er macht in beiden Berufen dasselbe: vor Menschen stehen und blöd reden. In diesem Buch versammelt er seine witzigsten Geschichten über die WhatsApp-Gruppen der Eltern, digitalen Unterricht und hochbegabte Schüler. Außerdem gibt er Antworten auf die wichtigen Fragen: Wie klingt die Wirtschaftskrise als Rap-Song? Und was passiert im Biologiekammerl wirklich? Verständnisvoll und mit einem wahren Feuerwerk an Pointen beschreibt Ferner eine Generation von Schülern, von denen die Lehrer noch etwas lernen können. Das richtige Selfie zum Beispiel.

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Seitenzahl: 205

Veröffentlichungsjahr: 2024

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ECHT JETZT, HERR FESSOR?

Andreas Ferner, Marion Dimali:

Echt jetzt, Herr Fessor?

Alle Rechte vorbehalten

© 2024 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover: edition a

Satz: Bastian Welzer

Gesetzt in der Premiera

Gedruckt in Deutschland

1 2 3 4 5 — 27 26 25 24

ISBN: 978-3-99001-605-3

eISBN: 978-3-99001-606-0

ANDREAS FERNER MARION DIMALI

Echt jetzt,Herr Fessor?

Alltag eines Lehrers

edition a

INHALT

Lebenslanges Lernen

Zentralmatura oder: Wie wir alle gleich blöd werden

Gangaufsicht oder: Wo der Lehrer noch die Kontrolle behält

Aufmerksamkeitsvorspiegelungstaktiken oder: Warum blicken die alle so gespannt?

Die erste Schularbeit oder: Vorbereitung für den Ernstfall

Handy in der Klasse oder: If you make it in Handelsschule, you make it überall

Die lieben Kollegen oder: Wir stecken da alle gemeinsam drin

Der Schulwart oder: Die wahren Chefs der Schule

Sex in der Schule oder: Warum wir auf Schulfotos immer so schrecklich aussehen

Elterngespräche oder: WhatsApp-Nachrichten aus der Hölle

Verhaltenskreativität oder: Mein Kind ist hochbegabt

Gendern in der Schule oder: Gleichberechtigung, Oide!

Herbstferien oder: Warum ein Lehrer Ferien hasst

Zeitgemäßer Unterricht oder: Austria’s Next Superschüler

Mitarbeit im Unterricht oder: Der Finanzkrisen-Rap

Digital Natives und Digital Idiots oder: Schüler und Lehrer

Homeschooling oder: Das Zoo-Meeting

Gratistests in der Schule oder: Wie das Bildungssystem in Österreich funktioniert

Learnings oder: Wie geht es jetzt weiter?

Der schiefe Turm von Pisa oder: Sollen wir noch benoten?

Warum müssen wir Buchhaltung lernen?

Vorwort

Seit Jahren schreibe ich etwa alle drei Jahre ein neues Kabarettprogramm über die Herausforderungen für Lehrer in diesen schnelllebigen Zeiten. Dabei arbeite ich immer wieder mit Autoren, aber vor allem mit meiner Regisseurin Marion Dimali eng zusammen. Als der Auftrag kam, ein Buch auf Basis meiner Kabarettprogramme zu schreiben, war schnell klar, dass wir beide wieder ein Team bilden würden.

Bevor Sie sich ins Lesevergnügen stürzen, ist es uns noch wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir uns selbstverständlich herausnehmen, in so einem Buch mit kabarettistisch-satirischen Überhöhungen und drastischen Bildern zu arbeiten. Wir greifen dabei jedoch nicht auf den heute so beliebten Zwinkersmiley zurück, sondern setzen ganz auf Ihre Fähigkeit, eine humoristische Betrachtung auch ohne Zwinkersmiley zu erkennen.

Sollten sich irgendwelche Ähnlichkeiten mit lebenden Personen ergeben, dann ist das häufig nicht zufällig. Auch wenn wir selbstverständlich nicht die tatsächlichen Namen der jeweiligen Personen verwenden, so haben wir vorher mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schülern abgeklärt, ob wir ihre Geschichten verwenden oder sie zitieren dürfen. Das Schöne an ihnen ist, sie haben allesamt genug Humor, um über sich selbst lachen zu können, und gönnen auch Ihnen dieses Vergnügen!

Damit bleibt uns nur noch, Ihnen viel Spaß zu wünschen. Denn nichts ist so unterhaltsam wie die Schule!

Lebenslanges Lernen

»Herr Ferner, irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die Grundgesetze der Mathematik in all den Jahren noch immer nicht zu Ihnen durchgedrungen sind. Dass eine simple Division Teil Ihrer Matura sein könnte, hätten Sie aber annehmen können. Sollen wir Sie in die Unterstufe zurückversetzen, weil Sie es bisher nicht der Mühe wert fanden, das kleine Einmaleins zu lernen?«

Befände sich nicht zwischen Professor Winter und mir ein Katheder, er hätte mich wohl angesprungen. Ich versuche, mich in den Griff zu kriegen. Den Schweiß abzustellen, der mir das Hemd wie einen nassen Fetzen am Körper kleben lässt.

»Andi, alles gut. Es ist nur Matura. Du kannst das Einmaleins. Schau ihn nicht an, schau einfach auf die Angabe, dann weißt du die Lösung sofort.« Das wiederhole ich im Geiste, um mich zu beruhigen.

Aber ich bin nicht beruhigt. Der Angabezettel ist unlesbar, der ganze Text von meinem heruntertropfenden Schweiß verwischt. Ein Wimmern entfährt mir. Da läutet die Schulglocke.

»Riiiiiing!« Durchdringend und ganz nah an meinem Ohr. Und noch einmal. »Riiiiiing!«

Wo bin ich? Wie lange habe ich geschlafen? Wann hatte ich zuletzt diesen Matura-Albtraum?

Während der Schweiß langsam abkühlt, erinnere ich mich, dass Wochenende ist. Erleichterung überkommt mich. Frau und Kinder sind außer Haus, bei den Schwiegereltern. Weder muss ich selbst die Schulbank drücken noch vor der Tafel stehen.

Aus dem ängstlichen Mathematuranten von damals ist selbst ein Rechnungswesenlehrer geworden. Zum Teil liegt das wohl daran, dass ich mein Schultrauma verarbeiten wollte. Allerdings war ich immer der Überzeugung, dass man diesen Beruf besser leben kann als Professor Winter mit seinem Katheder. Und in dem Versuch, die Diskrepanz zwischen eigenem Anspruch und der Realität zu verarbeiten, bin ich schließlich Kabarettist geworden.

Ich bin also Lehrer und Kabarettist. Böse Zungen behaupten deshalb, ich tue den ganzen Tag das Gleiche. Ich stehe vor Leuten und rede deppert. Aber das stimmt nicht. Ich leiste wichtige Bildungsarbeit, vermittle komplexe Inhalte und rette damit Leben. Und tagsüber unterrichte ich auch.

Zentralmatura oder:Wie wir alle gleichblöd werden

Auf dem kleinen Platz vor der Schule herrscht große Aufregung. Kichernde und kreischende Jugendliche tummeln sich neben einem Polizeiauto, alles so dicht gedrängt, dass fast keine Chance besteht, zum Schultor vorzudringen.

»Herr Fessor, ham’S schon gsehn?!«

»Es is so arg!«

»Es is so lustig!«

»Oida, endlich sagt einer, wie’s is!«

Aber ich habe noch nichts »gsehen«, außer einem Massenauflauf vor unserer Schule. Als ich bei meinem Versuch, mich durch die Menge zu zwängen, an einem Polizisten vorbeikomme, fragt mich der, ob ich zur Schule gehöre und ob ich irgendetwas Verdächtiges gesehen hätte. Ich versuche, ihm zu erklären, dass die Anwesenheit kreischender Jugendlicher vor einer Schule kaum verdächtig ist und ich noch nicht einmal wirklich das Schultor gesehen habe. Was schlecht ist, weil ich in wenigen Minuten vor meiner diesjährigen Maturaklasse stehen und sie über die Wichtigkeit dieses letzten Schuljahres aufklären sollte.

In dem Moment sehe ich, was ich die ganze Zeit wohl schon hätte sehen sollen.

»Steckts eich eichere Oaschloch Oaschmatura in

Oasch! Fukk HAK, gehts alle scheißen,

ihr Huansöhne! Emilio«

Das prangt in dicken roten Lettern an der ansonsten weißen Hauswand.

Im Weitergehen höre ich das Gespräch des Direktors mit dem zweiten Polizisten.

»Herr Direktor, als ersten Ermittlungsschritt schlage ich vor, Sie sagen uns, ob Sie einen Schüler namens Emilio an der Schule haben oder im letzten Jahr hatten, und dann befragen wir den einmal.«

»Ja, sicher haben wir einen solchen Schüler«, antwortet der Direktor. »Aber so deppert kann man doch nicht sein, dass man sowas tut und dann noch mit seinem eigenen Namen unterschreibt!«

Was soll ich sagen? Er war so deppert ...

Das wusste ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht.

»Wir werden dann eh noch einen Handschriftenvergleich machen, um sicher zu gehen«, meinte der Polizist.

»Ach, das können’S vergessen. Niemand schafft es, auch nur annähernd gleich mit einem Kuli und einer Spraydose zu schreiben. Das weiß ich, weil ich vor Jahren einmal ...« Mitten im Satz wird mir bewusst, dass ich den weiteren Teil der Information wohl besser für mich behalten sollte, falls das mit der Verjährung doch nicht so ist, wie ich glaube.

Ja, auch ich war einmal ein depperter Jugendlicher und es war ein wirklich hässlicher Betonpfeiler. Aber das ist lange her. Mittlerweile bin ich ein depperter Erwachsener und eigentlich eine Respektsperson. Zumindest wenn ich vor meinen Schülern stehe. Was jetzt langsam passieren sollte.

»Wie bitte?«, fragt der Polizist.

»Ich muss leider weiter, Respekt einflößen! Viel Erfolg noch bei der Ermittlung!«

Kein Wunder, dass der Spraydosen-Gangster vergangenes Jahr die Matura nicht geschafft hat. In solchen Fällen verspüre ich Mitleid mit den Deutschlehrern. Täglich kämpfen sie einen aussichtslosen Kampf gegen das Gesetz der gesprochenen Sprache, die ständiger Veränderung unterworfen ist, was sich aber in den schriftlichen Aufsätzen möglichst nicht niederschlagen sollte.

Die Kids von heute lesen zwar mehr als noch vor wenigen Jahren, aber eben keine vollständigen Sätze. Das Englisch von Emilio war dafür relativ in Ordnung. »Fuck« stand immerhin an der richtigen Stelle, wenn auch mit Doppel-K geschrieben.

Ich verstehe den verzweifelten Hilferuf an der Schulmauer irgendwie. Ich habe zwar kein Verständnis für die Sachbeschädigung oder die Anhäufung der Kraftausdrücke, aber seit es die Zentralmatura gibt, haben sich einige Lehrer schon ähnlich dazu geäußert.

Halt, Stopp, Verzeihung. Das ist natürlich Blödsinn und stimmt so nicht. »Zentralmatura« ist falsch. Es müsste heißen: standardisierte, kompetenzorientierte Reife- und Diplomprüfung. Wenn Sie Lehrer sind und das nicht gewusst haben: kein Wunder, dass die Zentralmatura nicht funktioniert.

Was bedeutet das für uns? Seit Jahren erwarteten Gesellschaft und Politik von Schulen und Lehrern, individuelle Schwerpunkte zu setzen und auf jeden Schüler einzugehen, seine Talente zu fördern und seine Interessen zu stärken. Mit dem Ergebnis, dass nach all der individuellen Förderung bei der Zentralmatura alle genau dasselbe gefragt werden und wissen sollten.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was passiert, wenn alle tatsächlich genau das Gleiche wissen? Die Millionenshow, Quotenbringer der heimischen Unterhaltung, wäre mit einem Schlag obsolet. Die kann man vergessen, wenn alle das Gleiche wissen!

Ums »Wissen« geht es allerdings gar nicht mehr. Es geht um, wie der Name sagt, »Kompetenzen«. Man muss nur noch können, nicht wissen. Die Schüler von heute brauchen nur noch die Kompetenz zum effizienten Suchen. So neu ist das nicht, schon mein Geschichtsprofessor pflegte vor sehr vielen Jahren zu sagen: »Es macht keinen Sinn, alles wissen zu wollen. Sie müssen nur wissen, wo Sie es finden, wenn Sie es brauchen.«

Das war zu meiner Schulzeit noch eine eigene Kompetenz: wissen, wo man nachschlägt. Heute erledigt das »der Herr Professor Google«, »die Frau Wikipädak«, wie meine Schüler diese Hilfsmittel nennen, oder ChatGPT. Aber könnte es nicht sein, dass man ein wenig Grundwissen haben sollte, damit man feststellen kann, ob das alles stimmt, was man im Netz so findet? Vielleicht steht da ja der größte Schmarren, aber wie sollte ich das herausfinden, wenn ich nur kann, aber nicht weiß?

Ja, auch Google und Alexa haben ihre Grenzen. Probieren Sie es ruhig aus, fragen Sie mal: »Alexa, wer ist mein Vater?« Ein Schüler von mir hat darauf die Antwort bekommen: »Frag deine Mutter.« Sie wusste es auch nicht.

Wie auch immer, die Zentralmatura macht nicht glücklich. Niemanden. Wahrscheinlich nicht mal ihre Erfinder. Und die Schüler, wie man an unserer Schulmauer sieht, auch nicht.

Aber vielleicht ist sie gar nicht für die Schüler gedacht. Vielleicht geht es gar nicht darum, deren Hochschulreife zu überprüfen, wie früher einmal. Vielleicht will man damit nur die Lehrer überprüfen. Ob sie imstande sind, aus kleinen Individualisten in wenigen Jahren brave, gleichgeschaltete Bürger zu machen. Jahr für Jahr liest man jedenfalls in den Gazetten: »Zentralmatura entlarvt miese Lehrer.«

Manchmal frage ich mich: Was habe ich in meinem Leben nur falsch gemacht? Wenn ich früher in der Schule schlecht war, bin ich geschimpft worden. Wenn heute meine Schüler schlecht sind, werde wieder ich geschimpft.

Scheitert heute ein Schüler, dann waren eben die Lehrer schlecht. Irgendwie erinnert mich das an den österreichischen Fußball. Wenn die Nationalmannschaft gegen Kasachstan verliert, dann war es entweder der Trainer, das Wetter oder der Platz oder der Schiedsrichter oder das Publikum oder alles zusammen, aber natürlich nie die Spieler. Und der Ball war auch nicht so richtig rund ...

Ich bleibe dabei, die Zentralmatura hat unser aller Leben nicht verbessert und wird darum natürlich immer noch von vielen infrage gestellt, von Eltern, Lehrern und Schülern. Nicht jedoch von sogenannten Bildungsexperten. Aber das ist ein ganz anderes Thema.

Zugegeben, sowas wie die Zentralmatura gibt es in vielen Ländern schon lange. Aber auch Syphilis und Durchfall gibt es in vielen Ländern schon lange. Deshalb muss es doch noch nicht automatisch etwas Gutes sein.

Denken wir uns das Ganze einfach mal logisch durch. Da bekommen wir extra diese Zentralmatura, damit alle Schüler genau das Gleiche geprüft werden und wahrscheinlich auch die Leistung der Lehrer kontrolliert werden kann. Und dann müssen wir Lehrer die Matura-Arbeiten unserer eigenen Schüler korrigieren, statt sie extern korrigieren zu lassen. Das führt für mich die ganze Idee der Zentralmatura vollkommen ad absurdum!

Das alles ist ungefähr so, als würden wir bei der Bundespräsidentenwahl hochprofessionell mit unzähligen Beisitzern geheim im Wahllokal abstimmen lassen und dann die Briefwahl-Stimmen von schlecht trainierten Schimpansen auszählen lassen. Das würde doch auch niemand ... Oh, vergessen Sie’s.

Wie konnte dem Bildungsministerium dieser schwere Fehler zur Objektivierung der Matura-Arbeiten passieren? Die Gewerkschaft hat natürlich nachgefragt.

Die Antwort war tatsächlich: »Für das Geld, das die Lehrer für die Korrektur kriegen, macht das sonst niemand.«

Das ist einer der wenigen Fälle, in denen man sich auch als Österreicher wünschen würde, dass irgendein Ausländer kommt und einem die Arbeit wegnimmt. Oder, um Kosten zu sparen, könnten die Schüler ihre Arbeiten einfach selbst verbessern. Die machen das bestimmt gratis und mit Freude. Die würden sogar noch was zahlen! Von dem Geld könnte man endlich den Commodore 64 an den Schulen durch einen Laptop ersetzen!

Endlich bin ich vor dem Klassenzimmer angekommen. Schnell rein in den Raum und das hohe Lied der Zentralmatura und ihrer Bedeutung für den Rest des Lebens gesungen. So gehört sich das am Schulanfang als Klassenvorstand einer Maturaklasse.

Ich spreche erst drei Minuten von meinen geplanten zehn zur Segnung der Matura, als sich von hinten eine Stimme meldet.

»Herr Professor, jetzt einmal ganz im Ernst. Wozu brauche ich eine eigene Abschlussprüfung, wenn ich ohne entsprechenden Abschluss in den Vorjahren sowieso nicht hier sitzen würde? Man könnte doch auch das letzte Jahr, so wie alle anderen davor, einfach in jedem Gegenstand in seiner Gesamtheit benoten und fertig. Dieses Matura-Tamtam ist doch eigentlich nur eine Farce.«

Das ist eine berechtigte Frage und eine berechtigte Kritik, aber nicht ausgerechnet am ersten Schultag im Maturajahrgang. Da bringt uns das Hinterfragen nichts, da gibt’s nur Augen zu und durch.

Also antworte ich diplomatisch mit einer Gegenfrage: »Dominik, kann’s sein, dass du über die Ferien vergessen hast, dass wir uns per Handzeichen melden und nicht einfach rausrufen?«

Sowas lernen wir Lehrer schon in der ersten Woche unserer Ausbildung: Zeit schinden.

»Ja, Herr Professor, das kann sein«, erwidert Dominik. »Aber Sie haben uns beigebracht, man beantwortet eine Frage nicht mit einer Gegenfrage.«

Verdammt, warum bin ich nur so ein fantastischer Lehrer?

Lisa zeigt auf und ich bin gerettet. »Ja, Lisa, was möchtest du?«

»Mich der Frage von Dominik anschließen. Warum gibt’s nicht einfach nur einen normalen Abschluss in der letzten Klasse, wozu soll die Matura gut sein?«

Ein Orkan bricht los.

»Ja, genau, voll sinnlos!«

»Bitte, das frag ich schon, seit ich hier auf der Schule bin!«

»Oida, endlich sagt einer, wie’s is!« (Jetzt weiß ich auch, wer das vorher war.)

»Meine Schwester sagt, da geht’s nur um die letzte Machtdemonstration der Lehrer, ehe sie dich nicht mehr unterdrücken können!« (Isabellas Schwester studiert Politikwissenschaften und erfreut uns immer wieder mit ihren Analysen.)

»Ist ja gut, beruhigt euch wieder!« Ich werde lauter, um mich über das Stimmengewirr hinwegsetzen zu können. »Ich finde es erfreulich, dass ihr euch mit bildungspolitischen Fragen beschäftigen wollt. Und ja, das ist eine berechtigte Frage. Der könnt ihr euch ausgiebig widmen, sobald ihr Bildungsminister geworden seid. Damit ihr aber überhaupt dort hinkommt, müsst ihr eure Matura machen. Und damit ihr das tun könnt, beschäftigen wir uns jetzt mit unserem eigentlichen Fach: Rechnungswesen.«

Unwilliges Murren, aber sie wissen, jetzt habe ich die Oberhand. Erkan zeigt auf.

»Ja, bitte, Erkan?«

»Warum muss isch eigentlich Buchhaltung lernen?

Dem braucht doch nur, die was Buchhalter

werden will.«

Ich seufze. Es ist also einer von diesen Tagen.

»Das, der, der, Erkan.«

»Was ist los?«

»Das braucht doch nur der, der Buchhalter werden will.«

»Ja eben, sag isch ja!«

»Nein, ich meine die Artikel! Es heißt nicht ›dem braucht doch nur‹, sondern ›das braucht doch nur‹.«

»Ach so, dem weiß isch eh.«

»DAS!«

»Ja, isch weiß!«

»Warum sagst du es dann nicht?"

»Ich sag es immer rischtisch, wenn ich schreib, aber nischt, wenn isch red.«

»Dann lass uns doch, aus Spaß an der Freude, das ganze heurige Jahr versuchen, es auch beim Sprechen richtig zu machen«, schlage ich vor. »Das könnte dir das Leben bei der Matura gehörig erleichtern und danach auch noch bei Vorstellungsgesprächen sehr nützlich sein.«

Erkan gibt sich noch nicht geschlagen.

»Na gut. Also, warum muss isch ... ich Buchhaltung

lernen, wenn isch nischt Buchhalter werden will?«

Er grinst jetzt. »Geht auch ganz ohne Artikel.«

»Schau Erkan, du willst doch ein erfolgreicher YouTuber werden, nicht wahr?«

Er nickt.

»Gut, das bedeutet, du bist dann ein EPU. Was ist ein EPU? Die Frage geht an alle!«

»Ein Ein-Personen-Unternehmen«, ertönt es genervt im Chor.

»Richtig! Und das bedeutet, du hast keine Angestellten, die dir die Buchhaltung abnehmen, sondern musst es selbst können. Außer du engagierst einen Steuerberater.«

Jasmin zeigt auf und platzt auch schon raus: »Bitte, meine Mutter ist auch ein EPU, aber sie hat gesagt, sie braucht keine umständliche Buchhaltung, die wir hier lernen. Sie sagt, sie ist Einnahmen-/Ausgabenrechner!« Sie schaut mich triumphierend an.

»Ja, Jasi, das stimmt. Aber das bedeutet, sie hat entweder einen freien Beruf …«

»Ja, sie ist voll frei!«, ruft Jasmin dazwischen. »Sie tut, was sie will!«

»… oder aber sie hat keinen so hohen Umsatz«, beende ich den Satz.

Darauf folgt Gejohle. Ich erinnere die Kids, dass ich auch noch da bin. »Habe ich den Eindruck gemacht, ich wäre fertig gewesen mit dem Reden?«

»Herr Fessor, das sind Sie doch nie, deswegen müssen Sie sogar am Abend noch weiterreden ohne Ende«, sagt Jasmin und die Klasse lacht. Auch ich muss schmunzeln.

»Und jetzt kommt das Ärgste: Im Gegensatz zu dir kriege ich beide Male dafür bezahlt. Und damit wären wir auch wieder beim Thema.« Ich atme einmal tief durch. »Lieber Erkan. Du willst ein sehr erfolgreicher YouTuber werden, mit sehr hohen Umsätzen. Wie hoch soll denn so ungefähr dein Jahresumsatz werden?«

»Was weiß isch?« Er schaut mich ratlos an. »So eine Million oder zwei!«

Ja, Selbstbewusstsein hat er, der Gute. Und ich dadurch auch gleich ein handfestes Argument.

»Siehst du, da klappt das mit der simplen Einnahmen-/Ausgabenrechnung nicht mehr. Wer erinnert sich noch aus dem Vorjahr, ab wann muss man doppelte Buchhaltung machen?« Ein paar Hände schießen nach oben. Ich habe gewonnen. Fürs Erste.

Gangaufsicht oder:Wo der Lehrer noch dieKontrolle behält

»Michelle, komm doch kurz an die Tafel und zeig uns ...«

Die Glocke läutet.

Michelle grinst und ihr entfährt ein lautes »Yes!«

Die Formel »Ich weiß, ihr vergesst es nur zu gerne, aber die Stunde beende immer noch ich!« wäre angebracht. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um den weltweit beliebtesten Lehrersatz.

Meist greife ich aber auf die Kurzform zurück: »Ich sag, wann Schluss ist.«

So auch jetzt: »Ich sag, wann Schluss ist.«

Entsetzter Blick von Michelle.

»Jetzt ist Schluss.«

Ein bisschen Spaß muss sein. Außerdem ist mir eingefallen, dass ich jetzt meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen darf: der Gangaufsicht.

Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein erwachsener Mensch, der im Idealfall studiert hat, muss einen Gang beaufsichtigen. Was soll der Gang tun? Soll der weglaufen?

Seit Neuestem beaufsichtigen wir auch verschlossene Gangtüren! Die sind zugesperrt! Da kann keiner raus oder rein! Aber Ordnung muss sein. Gangaufsicht ist Gangaufsicht, da darf sich kein Gangteil benachteiligt fühlen.

Während man so auf- und abgeht, als Aufsichtsorgan, da weiß man, dass man es geschafft hat.

Und wenn am Abend die Frau von der Arbeit heimkommt und erzählt, was sie den ganzen Tag so gemacht hat: »Alles grad sehr tight. Du weißt ja, die Firmenfusion steht kurz bevor. Wir müssen noch überlegen, wie wir den Vorstand austricksen und das Budget stimmt auch noch nicht ganz, aber es läuft eigentlich sehr gut. Und bei dir?«

… dann antwortest du mit stolzgeschwellter Brust:

»Ich habe einen Gang beaufsichtigt! Stell dir vor,

die Jennifer ist schon wieder am Gang gelaufen

UND hat ihre Hauspatschen nicht angehabt.

Harte Arbeit im Krisengebiet!«

»Oh ja, das ist so sexy! Erzähl mir mehr davon, du Tiger!« So stelle ich mir das zumindest gerne vor, wenn ich einsam meine Gangrunden drehe.

Es kann niemanden verwundern, dass der Lehrerberuf in den Dating-Umfragen immer extrem schlecht abschneidet.

Stellen Sie sich das vor, an der Bar, die attraktive Brünette beugt sich rüber und meint auffordernd: »Und, was machen wir beide heute Abend noch, wir Hübschen?«

Und du antwortest nach einem verstohlenen Blick auf die Uhr: »Was auch immer du willst, Hauptsache, es geht sehr schnell, weil ich habe morgen vor der ersten Stunde wieder Gangaufsicht!«

Die Gangaufsicht kann aber auch praktisch sein. Zum Beispiel, wenn irgendjemand irgendwas braucht: »Geht leider echt nicht, ich hab Gangaufsicht!«

Damit hat man gleich mal zwei Wochen Ruhe von diversen Anfragen, weil du eh vom Schicksal genug geschlagen bist mit dieser sinnlosen Tätigkeit. Berichten zufolge sollte man sich allerdings in manchen Schulen überlegen, ob man für die Gangaufsicht nicht eine Gefahrenzulage anfordert. Dort heißt es auch gar nicht mehr Gangaufsicht, sondern »Gäng«aufsicht.

Während ich über weitere Wortwitze nachdenke, läuft irgendwas mit langen blonden Haaren an mir vorbei.

»Michelle! Du sollst am Gang nicht laufen!«

»Herr Fessor, ich hab’s voll eilig, ich muss für die nächste Stunde in den Computersaal!«

»Bleib stehen!«

»Echt jetzt, Herr Fessor!? Ich hab’s ...«

»... voll eilig, ich habe verstanden. Aber dann geh einfach das nächste Mal früher los.«

»Und stattdessen nicht aufs Klo? Herr Fessor, es gibt einfach im Verhältnis zu wenige Toiletten für Mädchen und ...«

»Gut, gut, gut ... alles klar. Ändert aber nichts daran, dass du keine Hauspatschen trägst.«

»Herr Fessor«, antwortet Michelle schockiert, »das sind HausSCHUHE!«

»In meiner Welt sind das High Heels für den Laufsteg.«

Michelle quietscht vor Vergnügen.

»Aber hey, hallo, echt nicht, die sind ja voll uralt, mit

denen am Laufsteg wär ja extrem cringe!«

Und stöckelt weiter Richtung Computersaal.

Ich habe es zumindest versucht. Aber ich bin einfach nicht geschaffen für all diese Zusatzaufgaben, die mit dem eigentlichen Beruf, der Wissensvermittlung, nichts zu tun haben.

Aufmerksamkeits-vorspiegelungstaktiken oder:Warum blicken die alleso gespannt?

Ich weiß, man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, aber es gab mal eine Zeit, da war die einzige Aufgabe einer Lehrkraft, Wissen an Schüler weiterzugeben. Und dazu brauchte man gerade mal eine Tafel und eine Kreide. Und ein paar Schüler. Vielleicht noch ein kleines Notizbuch zum Eintragen der jeweiligen Leistungen, damit man dann auch weiß, welche Note man mit Feder in die Zeugnisse schreiben muss. Das war’s.

Nach den ersten gebundenen Schulheften sowie aus der Schulbücherei geliehenen und Ende des Schuljahres zurückgegebenen Büchern, in die man natürlich nichts hineinschreiben durfte, und dem einen Lehrbuch des Lehrers pro Schulstufe kam die Zeit der Arbeitsbücher. Was dazu führte, dass schon Volksschüler vollkommen überdimensionierte Schultaschen benötigten, um das alles überhaupt transportieren zu können. Da hat man jahrhundertelang dafür gekämpft, dass Kinder hierzulande nicht mehr ausgebeutet werden und harte Arbeiten verrichten müssen, sondern stattdessen Bildung auf Staatskosten bekommen, und dann verdammt man sie dazu, für ihre Bildung als Packesel zu fungieren. Gleichzeitig schafft man Schritt für Schritt den Turnunterricht ab, der etwas zum Verhindern von schweren Haltungsschäden beitragen könnte.

Bald darauf kamen zu den Arbeitsbüchern, wegen des individuellen Unterrichts, auch noch die Arbeitsblätter, für die man eigene Matrizen zur Vervielfältigung anfertigen musste. So mancher Pädagoge fragte sich, wozu es überhaupt gratis Arbeitsbücher gab, wenn man erst recht selbst Arbeitsblätter erstellen musste. Zunächst noch mühsam mit einer Kurbel gefertigt, in die man jedes Blatt einzeln einlegen musste. Bis alle Blätter lesbar waren, brauchte es schon mal fünfzig Abzüge. Ganz zu schweigen von den violetten Flecken, die wochenlang auf Fingern und Kleidung hafteten.

Der Kopierer hielt Einzug und die Arbeit wurde leichter: zu kopierendes Blatt einlegen, Anzahl der benötigen Kopien eintippen – wenn man Glück hatte, wenn nicht, musste man halt 36 Mal auf »Kopieren« drücken – und fertige Kopien rausnehmen. Geht heute sogar schon automatisch beidseitig bedruckt. Angeblich. In meiner Schule habe ich ein solches Wunderwerk der Technik noch nicht gesehen. Ja, bei Exkursionen ins technische Museum kann man oft Geräte bestaunen, die in der Schule eine Woche zuvor angeschafft worden sind.

Zur Matrizenzeit reichte dann schon kein kleines Notizbuch mehr, weil man wirklich jedes einzelne Arbeitsblatt benoten und jede einzelne noch so kleine Mitarbeit eintragen musste, damit die Note bei Schulschluss den Eltern schlüssig und nachvollziehbar zu erklären war. Denn plötzlich konnte man Noten nachträglich hinterfragen und beeinspruchen. Das Urteil der Lehrer war nicht mehr sakrosankt. An sich eine gute Sache, um Ungerechtigkeiten und Sympathie- beziehungsweise Antipathie-Benotungen zu verhindern. Nur gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

Heute erspart uns zwar der Kopierer das Kurbeln, aber die unendlich vielen Einspruchmöglichkeiten der Eltern gegen die Beurteilungen ihrer Kinder haben dazu geführt, dass wir Lehrer weitaus länger mit administrativen Tätigkeiten, vor allem der lückenlosen Beweisführung unserer Benotung, beschäftigt sind als mit dem simplen Unterrichten. Ganz zu schweigen vom Herstellen eigener Unterrichtsmittel, damit man nicht dem Vorwurf ausgesetzt ist, »nur dem Buch nach« zu unterrichten. Ich frage mich manchmal, wann ist das passiert, dass das Lehrbuch etwas Schlechtes wurde? Früher hieß »wie nach Lehrbuch« noch etwas Gutes.

Man muss sich das mal vorstellen: Da sitzen hochgebildete intelligente Menschen viele Stunden ihres Lebens und schreiben Lehrbücher, in denen meist alles, was man innerhalb eines Schuljahres in einem Fach lernen soll, geschrieben steht, gut verständlich und klar ausformuliert, sinnvoll aufeinander aufbauend.