Ego-Episoden des Alexander Kröger - Alexander Kröger - E-Book

Ego-Episoden des Alexander Kröger E-Book

Alexander Kröger

5,0

Beschreibung

Dr.-Ing. Routschek, der an der Bergakademie Freiberg Markscheidewesen studiert, 17 Jahre im Lausitzer Bergbau, danach in der Bauverwaltung gearbeitet hat, der unter dem Pseudonym Alexander Kröger bekannt gewordene Autor Dutzender wissenschaftlich-phantastischer Romane, Kurzgeschichten und Veröffentlicher seiner Stasi-Akte, stellt heiter-besinnliche Episoden und Geschichtchen vor: keine Biografie, dennoch in Jahrzehnten Selbsterlebtes mit unvermeidlichen Zeitzeugnissen. 86 situationskomisch-pointierte, mitunter skurrile aber auch besinnliche, illustrierte Geschichten, die bei reiferen Lesern Erinnern wachrufen, jüngere mit ehemals Alltagsbestimmendem, heute mitunter Lächerlichem, bekannt machen. LESEPROBE: Verdacht Im Allgemeinen hatten die West-Kommilitonen die Exkursionen so organisiert, dass möglichst geringe Kosten entstanden, das hieß, im Wesentlichen wurden solche Orte und Objekte ausgesucht, in denen spendable Leute das Sagen hatten, die dann, als krönenden Abschluss des Treffens sozusagen, für die mit Mitteln nicht reichlich gesegneten Studenten >etwas springen< ließen. Meist waren es >Alte Herren< der akademischen Burschenschaften. * An einem Tag stand ein modernes Salzbergwerk auf dem Programm, das man uns stolz zeigen wollte. Der für die Führung Zuständige, ein Obersteiger, sollte jedoch, im Gegensatz zu dem oben Gesagten — so unsere Betreuer —, dem Ruf nach ein ausgesprochener Geizkragen sein. Wir wurden schon vor dem Aufbruch beim Frühstück angehalten, Stullenpakete zu bereiten — für unterwegs. Wir kamen pünktlich an, wurden mit neuer Arbeitskleidung versorgt und fuhren — auf für uns Neues gespannt — ins Bergwerk ein. Die Besichtigung wurde sehr sachkundig, freundlich und interessant von dem besagten Mann geführt. Nach dem Ausfahren kam das obligatorische Duschen, und wir standen zum Danksagen und Verabschieden bereit, als jener Obersteiger sichtlich erregt mit einem unserer Betreuer zu uns stieß — die Peinlichkeit stand letzterem im Gesicht — und er verkündete uns: die wertvolle Taschenuhr des Herrn, ein güldenes Erbstück, sei verschwunden. (Ich hatte sogleich das Gefühl als stände die Frage im Raum: Einer von euch ...?) Es hob ein großes Suchen an in allen Räumen, in denen sich jemand der Gruppe aufgehalten hatte. Die abgelegten Arbeitsklamotten wurden durchwühlt, schließlich krempelten wir die Taschen unserer Straßenkleidung nach außen ...

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Impressum

Alexander Krögerr

Ego-Episoden des Alexander Kröger

Wahres, heiter und besinnlich

ISBN 978-3-95655-209-0 (E-Book)

Cover: unbekannter Kröger-Fan

Illustrationen: Susann Hanschke.

Das Buch erschien erstmals 2012 im Regia-Verlag Cottbus.

© 2014 EDITION digital® Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Arbeitnehmerisches

Frauentag

Einer meiner ehemaligen Chefs: ein Ehrgeizling, inquisitorischer Drängler, ein Misstrauischer und Leuteverschleißer, wenn es um sein Fortkommen ging. Dabei, für mich kein Widerspruch, hatte der Mann Gespür, Visionen, war kreativ, aß Äpfel mitsamt dem Griebs, tauchte ungeduscht ins kalte Saunabecken, und er konnte den bloßen Arm tief in Unrat tunken. Und mit den Weibern hatte er’s.

*

Der 8. März, Frauentag, wurde in der Abteilung stets groß begangen — in diesem Jahr in einer hochgelegenen Ausflugsgaststätte. Es lag wadentief Schnee, und wir mussten zu Fuß hinauf steigen. Die Stimmung war ausgezeichnet. Ein wenig schwitzend und mit klammen Kleidern kamen wir an.

Es ging fröhlich in den Abend.

Albern, wie stets einmal im Jahr, servierten die Männer, gestalteten ein kleines Programm, und natürlich wurde sich tüchtig zugeprostet.

Zu etwas fortgeschrittener Stunde begab ich mich eine Treppe tiefer zur dämmrigen Garderobe, um aus meinem Mantel einen Film zu holen. Nummeriert waren die Kleidungsstücke nicht. Sie hingen dicht gedrängt und klamm; ich musste mich suchend gleichsam hindurchwühlen.

Doch da! Ich spürte plötzlich Wärme, ergrabschte Anitas Wuschelhaarbausch, schob einen Mantel ein wenig zur Seite, sah ihren Kopf fest im Knutschgriff des Chefs und seine Hand in der Frau Bluse.

Sehr rasch brach ich die Suche ab und verzog mich.

voreilig

Ein neuer Kommandant zog in die Bernsdorfer (bei Hoyerswerda) Garnison der sowjetischen Armee ein, ein Ereignis, das auch von Amtierenden in den Kommunen wahrzunehmen war. Als Abgeordneter des Kreistages wurde mir erstmalig die Ehre zuteil, dazu geladen zu sein.

Nun wusste ich vom Hörensagen, dass es bei derartigen Anlässen stets hoch her ging, insbesondere, was den Konsum von Wodka betraf.

Von meinen früheren Besuchen der Schwester-Bergakademie Clausthal-Zellerfeld hatte ich in Erinnerung, dass sich dort die Herren Studenten vor ihren Gelagen mit entsprechenden, neutralisierenden Genussmitteln zu präparieren pflegten.

Ich komme aus dem Bergbau, dort ist man, wie man weiß, was den Alkoholkonsum anbelangt, nicht besonders zimperlich. So manchen deftigen Umtrunk habe ich gut überstanden. Aber: ,sicher ist sicher’, dachte ich und besorgte mir eine große Dose Ölsardinen (nicht gerade meine Leibspeise). Als vorsorgliche Grundlage für das zu Erwartende, >verputzte< ich die Fischchen mitsamt dem Öl.

Mit einem gelinden Magendrücken fuhr ich nach Bernsdorf.

*

Überraschung!

Das Einzige, was es während des etwas steifen, ziemlich kurzen Festakts zu trinken gab, war eine abgestandene, süße, rote, künstliche Himbeerlimonade.

Schon auf der Treppe schrie ich bei der Heimkehr trockenen Mundes nach etwas wirklich Trinkbarem.

Das Gleismädchen

Wir saßen im Kantinenwagen, tranken dünnen Kaffee, einige rauchten oder versuchten nickernd, abgebrochenen Schlaf zu vollenden.

Zögernd, beinahe widerwillig wandten sich die Köpfe, wenn die Tür aufging, eingehüllt in Brodem und Gestöber und einem Zug Eisatem ein Neuer in den Raum drang.

Ich saß an einem mit lädiertem, fruchtig bedrucktem Wachstuch bedeckten Tisch und döste. Silvester klang nach; ich sah die fröhlichen Gesichter meiner Kinder im Zischen der Raketen, fröstelte der Busfahrt hinterher, kroch mehr und mehr in mich hinein — gleichsam ruhig gestellt — und ließ den molligen Dunst der Kantine wärmend auf mich wirken.

Weiter vorn, nahe dem Essenschalter, saß ein Mädchen oder eine junge Frau mit rundem, freundlichem Gesicht, das ein dickes Wolltuch umrandete. Sie trug eine geflickte, mit frischen Ölflecken besprenkelte Wattejacke, sah zünftig aus, nicht so wie wir befohlenen, gelegentlichen >Winterkämpfer< in unserer zusammengestoppelten Kluft. Also war sie eine vom Bau.

*

Wieder wurde die Tür aufgerissen, wuchtig und unangenehm weit. Eine Gruppe diskutierender Männer trat ein, übernächtigt einige, rotgefroren: Die Schichtleitung.

Ein Kleiner mit dem schrumpfledernen Teint des starken Rauchers verkündete ohne Umschweife: Die Nachtschicht sei soweit normal verlaufen, die Förderbrücke eins hätte noch Havarie, Schienenbruch. In der Frühschicht nun müsse unbedingt das Kippengleis gerückt werden, dazu drei Mann, fünf Dreck schaufeln zur Brücke zwei, zwei Mann zur Gleisgesundung auf die Baggerseite. Der Rest in die Strosse (Arbeitsebene).

Im Raum hob ein müdes Gebabbel an.

„Wir gehen auf die Kippe, wir drei“, meldete einer von uns und wies auf sich und die Betreffenden.

„Wir Strosse“, ein anderer.

„Brücke“, der Nächste. Auch diese Gruppe war komplett.

„Zwei Mann für das baggerseitige Gleis auf die Rückmaschine — für Hella — brauche ich noch!“, forderte der Aufsichtsmensch nachdrücklich.

Er sagte >Hella<. Die Frau mit dem runden Gesicht und den lebhaften Augen war das einzige weibliche Wesen im Raum.

Es wurde still. Gleisgesunden ist kein Zuckerlecken.

Ich verständigte mich mit Lothar, meinem Kollegen. „Wir zwei gehen auf die Maschine“, meldete er.

„Ordnung“, quittierte der Einteiler. „Ihr könnt ...“

Allgemeiner Aufbruch. Ohne Elan nahmen wir unsere Frühstücksbeutel und Helme auf.

Wir gesellten uns zu dieser Hella. Sie reichte mir bis an die Schulter. ,In Watteanzug und Filzstiefeln ähnelt sie einem kleinen Bären’, dachte ich. „Was ist zu tun?“

„Na, Gleise reparieren“, antwortete sie und musterte mich. Die knappe und etwas unwillige Antwort stand im Gegensatz zu ihrer hellen, ausgeschlafenen Stimme.

Wir stapften über singenden, verharschten Schnee. Auf der Treppe, die in den Tagebau hinabführt, schob ich mich an ihre Seite. „Wie schaut’s unten aus?“

„Es geht. Ein paar Schienenverbinder auswechseln, Laschen und Schwellen gerade rücken ... Wer heute bei mir ist ...“, und sie lächelte, „hat eine ruhige Schicht.“

,Na also’, dachte ich, ,doch den richtigen Riecher gehabt!’ Aber sie sagte >bei mir<! Ein misstrauischer Blick im gelben Schein der Natriumdampflampen überzeugte mich, dass sie höchstens achtzehn, neunzehn, sein mochte mit ihren frostroten Apfelbacken und der nunmehr eher pfiffigen Miene. ,Abwarten’, dachte ich, ,sie sollte uns sicher nur abholen.’

Es dauerte eine Weile — wir trampelten vergeblich gegen die Fußkälte — bis die schwere Gleisrückmaschine einrangiert war. Hella hieß uns warten, flitzte hin und her, kletterte auf das Monstrum, schrie etwas in den Motorenlärm hinein, schleppte Kleineisen heran und packte es auf die Flankenplattform des Kolosses.

Wir griffen zu.

Dann rief sie: „Eingefroren“ und „Wasserholen“ und verschwand abermals zwischen Schuppen und abgestellten Wagen.

Aus dem Führerstand der Maschine blickte einer, der als Bilderbuch-Bäckermeister Modell stehen konnte. Er rauchte eine Pfeife und tat, als ginge ihn das Treiben nichts an. Doch dann rief er: „Da kommt s’e“ und wies mit dem Mundstück über unsere Köpfe hinweg in die Dunkelheit hinein.

Das heiße Wasser taute dampfend die Leitung auf. Der Bäcker gab Gas, und Hella rief: „Einsteigen!“ Wir wandten uns hinauf. Drin, im engen Führerstand, zwängten sich bereits an die zehn Leute; wir dazu.

„Für sieben zugelassen“, schrie Hella und lachte. ,Schöne Zähne hat sie’, dachte ich. Ich habe eine Schwäche für schöne Zähne. „Aber soll’n sie bei der Kälte traben? Die meisten sind im kurzen Wechsel ...“

Sie drängte sich neben den Fahrer, schaute durch das vorgebaute Seitenfenster und rief: „Fahr’ zu, Karl!“

Karl zog den Hebel.

Zum Gehämmere des Diesels gesellten sich Rumpeln und Quietschen, später, im Strossengleis, Rütteln, Stoßen und Schlingern in gewaltigen Ausmaßen.

Ab und an hielt man. Einige stiegen aus, sie hatten ihren Arbeitsplatz erreicht.

Es blieben vier übrig: Hella, Karl, Lothar und ich. Und wir hörten zu dritt auf ihr Kommando.

Ich rückte näher an Hella heran. Sie beobachtete im aufkommenden Tageslicht den knittrigen Schienenstrang vor uns, ruhig, gewöhnt, die Fausthandschuhe unterm Arm geklemmt.

Was für kleine und gepflegte Hände sie hat, ein wohltuender Gegensatz zur ramponierten Wattejacke und verstaubten, kniesigen Maschine. Sollen diese Hände tagaus, tagein Muttern schrauben, groß wie Tintenfässer, Brechstangen hebeln, überdimensionale Schraubenschlüssel, so wie jenen, den sie wie ein Römerschwert im Gürtel trägt?

Karl drosselte den Motor. Die Maschine schlingerte noch einige Meter, stand.

„Ich schlage vor, wir machen bis zum Frühstück ordentlich durch“, ordnete Hella an.

Wir surrten die Ohrenklappen fester und sprangen ab, mäßig begierig, das für uns Neue zu erfahren.

Deutlich kamen Hellas Weisungen, sodass wir bald begriffen. Als wir glaubten, wir wären schon gut, hatte sie noch immer einen verbessernden Kniff.

Und die kleinen Hände schraubten in der Tat tintenfassgroße Muttern, schwangen die Brechstange, als sei sie ein Speer und hebelten so geschickt mit dem überdimensionalen Schraubenschlüssel, dass die Muttern in der Hälfte der von uns dazu benötigten Zeit saßen. Dabei lachte sie, machte Späße über uns Verwaltungsleute, wusste stets Rat, wenn es einen Schienenverbinder anzupassen galt, wies Karl an, neue Löcher zu brennen oder zu fest sitzende Muttern abzuschneiden.

Zwischen diesen Vorgängen fetzte die Maschine den gesamten Gleisrost mit animalischer Kraft auf das seit der letzten Eiszeit jungfräuliche Erdreich zu, vorbereitend für bequemen Baggerfraß im Hochschnitt.

Lothar, unsere Kanone, begann Witze zu erzählen, erst harmlosere — seine Testwitze —, dann dreistere, schließlich derart zweideutige, dass sie schon wieder eindeutig waren.

Hella gab sich nicht prüde. Der Tagebau ist nicht wie weiland ein Mädchenpensionat. Meist schmunzelte sie nur, manchmal lachte sie hell auf. Wenn es zu arg wurde, tat sie, als höre sie nicht zu, oder ließ zur Pointe den Schlüssel ans Eisen schwingen, dass es klirrte.

So näherten wir uns mühend dem Förderbrückenverband II und der Pause.

„Gut geschafft, Jungs“, lobte Hella. „Frühstück ...!“

Wir machten es uns in dem der Brücke angekoppelten ehemaligen Mitropa-Speisewagen gemütlich, waren die alleinigen Frühstücker. Nach dem Frost draußen drang die Wärme wohlig in uns, die Pause längte sich ...

,Sie macht ihr Versprechen wahr’, dachte ich, ,im Ganzen eine ruhige Schicht ...’

*

Von draußen hallten schwere Schritte. Frostig blieb der Kumpel in der Tür stehen. „Seid ihr die von der Maschine?“

Wir nickten ahnungsvoll.

„Die Eins fährt wieder. Ihr sollt den Bruch flicken.“

„Hm.“ Hella sah auf uns, hob bedauernd die Schultern.

Karl packte wortlos die Essutensilien zusammen.

Wir machten unsere Monturen dicht und schlurften hinaus.

Sonnenschein. Ein herrlicher Wintertag, Neujahrstag. Der Schnee glitzerte, dass es in die Augen stach. Oben an der Böschungskante räkelten sich Schneewehen, prall gewölbt, weiß — wie von Rubens. Der Frost ließ die Kristalle unter den Sohlen singen.

Da sprang der Diesel an, und wenig später sahen wir die Bescherung: Auf 20 Meter war das Gleis doppelseitig aufgerissen. Kurze Schienenstücke, knietief in den Boden gewühlt, flickten den Bruch provisorisch. Darauf hatten sie das Riesenaggregat mit seinen 200 Rädern in 18 Stunden Schwerstarbeit zentimeterweise aus dem Sand gezogen. Schwellen waren verdrückt, gesplittert; es sah wüst aus.

Einige Leute, unerfahren wie wir, standen hilfsbereit.

Hella hatte den Helm abgenommen, kratzte sich unter dem Tuch am Kopf. Eine gekräuselte Haarsträhne blies sie aus dem Gesicht. „Na los, Jungs! Wenn wir uns ranhalten, schaffen wir es bis Feierabend.“

Wir hielten uns ran.

Umsichtig, planvoll und ohne Hast teilte Hella ein, maß Schienenstücke und Schwellen, legte Laschen zurecht, Bolzen, Muttern, Nägel und Keile. Dann packte sie mit zu. Nur Schienen schleppte sie nicht, und Keile ließ sie uns eintreiben.

Wir hatten uns eingearbeitet. Bald hingen die Wattejacken an Schwellenstapeln. Die Körper dampften, Scherzworte flogen.

Das Zischen des Schnees unter der Brennerflamme vermischte sich mit dem Klirren des Stahls, dem Keuchen der Männer und manchmal dem Lachen Hellas.

Wir schafften es — buchstäblich in letzter Minute. Die Brücke konnte wieder den gesamten Bereich befahren, was drei Kilometer Kohlefreilegung bedeutete, Kohle, auf die man in diesen Tagen wartete.

Und wir hatten ordentliche Arbeit geleistet. Rostigrot hoben sich die neuen, eingefügten Schienenstücke aus dem Gleisstrang heraus, kantigschwarz die frischen Schwellen. Der Schnee ringsum zerwühlt, zertrampelt ...

Ich fühlte ein wenig Stolz und nahenden Muskelkater.

Hella nahm meinen Blick auf. „Gut, gut! Jetzt aber los, es ist höchste Zeit — sonst sind die Busse weg!“

Hella hatte in der Maschine wieder ihren Platz eingenommen. Ich drängte mich neben sie. „Das war ein Feiertag!“, rief ich dicht an ihrem Ohr gegen den Lärm des Motors.

„Der kommt noch“, antwortete sie. „Heute Abend Disko ...!“

„Wird das nicht ein wenig viel — bei der ruhigen Schicht?“

Sie lachte hell auf ob meiner Anspielung.

*

Ich sehe sie vor mir: Grobe, lederne Fäustlinge, Watteanzug, ölbefleckt, das Wolltuch mit dem Helm darüber, Filzstiefel. Das Gesicht jung, frisch, jetzt mit einem braunen Kohlestrich von der Nase bis zum Ohr. In ihrem Blick, der der Maschine vorausläuft, auch ein wenig Träumen, vielleicht in die Zukunft, vielleicht auch nur in den Abend mit dem Freund ...

errare humanum est

Was des Öfteren vorkam: Zu einem so genannten Freundschaftstreffen luden Angehörige der in der nahen Garnison stationierten Angehörigen der Roten Armee Kollegen zum Feierabend ein. Als Vertreter meiner Abteilung war ich dabei. Der Betriebs-Gewerkschaftsvorsitzende führte die kleine Gästegruppe an.

Es war eine freundlich-fröhliche Gesellschaft in die ich da geriet. Es gab Kaffee, Kuchen und original russisches Konfekt. Eine Babuschka spielte Akkordeon zu traurigen russischen Liedern von Herz, Schmerz und dem legendären Baikalsee. Und man radebrechte, was das Zeug hielt.

An der Wand prangte ein großes Transparent: Auf rotem Untergrund stand: MИPy MᴎP (miru mir: der Welt den Frieden).

Unser Gewerkschaftsboss ließ es sich nicht nehmen, zum Abschied eine Dankesrede zu halten, die er pathetisch, mit ausgestrecktem Arm auf die Losung weisend, mit den Worten schloss: „Mupy mup!“

peinlich

Vorbemerkung: Ich habe eine manchem Menschen wahrscheinlich fragwürdig erscheinende Angewohnheit: Morgens, gleich nach dem Aufstehen (meist gegen sechs Uhr) auf nüchternen Magen und noch vor dem Zähneputzen, trinke ich einen kleinen (!) Schnaps. Der rollt gleichsam bis in den großen Zeh.

Irgendwo habe ich auch gelesen, dass so die Alten alt geworden seien. Wie dem auch sei: Jedenfalls bekommt es mir gut.

*

Mit der >Kammer der Technik< (eine Ingenieurvereinigung) waren wir auf Exkursion zu den in Europa einmaligen thüringischen Untergrundgasspeichern: wieder mit synthetischem — so genanntem Stadtgas — aufgefüllte ehemals natürliche Erdgaslagerstätten.

Die Gruppe übernachtete in Erfurt, im Hotel >Erfurter Hof< (den gab es damals noch — bekannt von Kanzler Brands Besuch in der DDR).

Um sieben Uhr zum Frühstück, ich saß allein an einem Tisch, testete ich, wie öfter bei solcher Gelegenheit, die Gastfreundlichkeit des Hauses und bestellte meinen Weinbrand, was gelang (solches war um diese frühe Tageszeit nicht in jedem Hotel möglich).

Der Leiter der Unternehmung, Dr. Richter, erschien mit seiner Frau, und sie nahmen mit an meinem Tisch Platz.

Wenig später tauchte etwas entfernt der Kellner auf, der auf einem Tablett gut erkennbar, ein kleines, mit einer bräunlichen Flüssigkeit gefülltes Stielglas zwischen den Tischen balancierte.

Die burschikose Frau Richter stieß ihren Mann leicht in die Rippen, nickte in Richtung des Kellners und raunte vernehmlich: „Schau mal, hier muss irgendwo ein versoffenes Schwein (wörtlich!) sein, das in aller Herrgottsfrühe ...“

Da war der Kellner heran. Er setzte schwungvoll das Glas des Anstoß’ auf den Tisch: „Bitte mein Herr, Ihr Cognac, wohl bekomm’s!“, und ich prostete der Frau genüsslich zu.

Honorarverwirrung

Nun ja, ein wenig Weltoffenheit grenzüberschreitend zu demonstrieren, stand der Obrigkeit gut zu Gesicht. So wurden im Lande allenthalben Städtepartnerschaften vereinbart. Eine solche gab es zwischen Cottbus und Saarbrücken.

Der Austausch einer Schriftsteller-Delegation stand an. Loyal, wie ich war, hatte ich das Glück, dabei zu sein.

Wir waren ihrer fünf, der Parteisekretär des Bezirksverbandes der Schriftsteller an der Spitze.

Wie Exoten wurden wir im Saarland empfangen — unter anderem vom Oberbürgermeister — und auch wie solche behandelt. Eine Brauerei wurde besichtigt (mit ordentlichem Umtrunk), einem Platz der Name unserer Stadt verliehen ...

*

Natürlich war auch ein einschlägiger Auftritt, eine Autorenlesung, vorbereitet — im Schloss. Wir fünf Schreiber fanden im überfüllten Saal bei den zahlreichen Zuhörern beifälligen Anklang in Anwesenheit von Rundfunk, Presse und Fernsehen.

Zum Schluss gab es den Paukenschlag: Ein Mensch vom Saarländischen Rundfunk kam auf uns zu mit einem kleinen Packen Geld — Westmark! Jeder von uns, so verkündete er, habe Anspruch auf 500,- Mark Honorar, und das wolle er nunmehr auszahlen.

Unsere Hände zuckten, ausgestreckt zu werden, allein, darüber stand das Menetekel der zu erwartenden heimischen Reaktion. Wir lehnten ab und brachten damit den Rundfunkmann in arge Bedrängnis. Er habe das Geld empfangen, eine Rückbuchung sei kompliziert, und wir hätten doch etwas geleistet, es sei also kein Geschenk!

Schließlich erlösten wir ihn und nahmen an, nicht ohne uns, nachgedrückt vom Sekretär, angemessenes Verhalten nach der Heimkehr vereinbart zu haben.

*

Es gab natürlich ein strenges >Du-du!<. Beflissen lieferte ich meine 500,- DM bei der Chefin ab. Verstaut in einem Kuvert, verschloss ihr Sekretär das Geld im Safe ...

So weit so gut. Die Zeit verfloss ...

*

Selbstzerstörerisch und westseits kräftig nachgeholfen kamen die neuen Lebensumstände und blühenden Landschaften auch über mich.

Da ich weder >IM< (Informeller Mitarbeiter [Spitzel] der Staatssicherheit) war noch anderweitig in früherer Tätigkeit Unbill erzeugt hatte, durfte ich der neuen Obrigkeit dienen und in etwas gehobener Position meine ehemalige Dienststelle >abzuwickeln< helfen.

*

Eines Tages kam jener zu mir, der mein Saarbrücker Honorar im Safe der Chefin verwahrt hatte, legte mir das nämliche Kuvert auf den Tisch mit der Bemerkung: „Deine fünfhundert Westmark ...“

Westhilfe

Es galt, ab Herbst 1990, im Land Brandenburg eine Bauverwaltung nach westlichem Muster einzurichten. Aus Nordrhein-Westfahlen waren von hoher Warte aus Helfer auserkoren, respektive solche aus dem Bereich der Oberfinanzdirektion Münster.

*

Ich, der ich für würdig befunden worden war, in dieser wirren Zeit verantwortlich für das bezirkliche Bauamt zu sein, fungierte als Kontaktmensch. Schließlich mussten jene, die da kommen sollten, wissen, was an qualifizierten Leuten sie im neuen Lande vorfinden und welche von denen sie auf ihre Gebrauchseigenschaften überprüfen wollten.

Ein äußerst agiler, selbstbewusster und keineswegs zimperlicher Dr. E., Architekt und gestandener, erfahrener Baumensch, hatte den Auftrag, den Prozess zu leiten.

Nach mehreren Informationstreffen im kleinen Kreis lud Dr. E. alle Bauamts-Vorsteher des Landes Nordrhein-Westfalen (ca. 20 und alles Studierte)