Ein Bett im Caravan - Sina Kani - E-Book

Ein Bett im Caravan E-Book

Sina Kani

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Beschreibung

Plötzlich vollkommen mittellos findet sich die luxusverwöhnte Madeleine auf einem Campingplatz wieder. Ihr geliehener Caravan ist alt und winzig und unbequem, aber immerhin ein Dach über dem Kopf. Für gewöhnlich bleibt man auf einem Campingplatz nicht lange allein: Die bereits seit ein paar Jahren hier lebende Simi bietet der völlig überforderten Madeleine Hilfe an, obwohl Madeleine ziemlich kratzbürstig darauf reagiert. Simi denkt auch, dass sie unterschiedlicher nicht sein könnten, aber als hilfsbereiter Mensch versucht sie ihr Bestes. Auch wenn Madeleine das lange Zeit nicht annehmen will, wird sie durch die Umstände dazu gezwungen. Und unerwartet erblühen auf einmal Gefühle wie der Kirschbaum im Frühling. Doch Madeleine sieht das Leben auf dem Campingplatz nicht als ihre Zukunft an. Haben sie denn überhaupt eine Chance im Wohnwagen?

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Seitenzahl: 304

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Sina Kani

EIN BETT IM CARAVAN

Roman

© 2023édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-375-3

Coverfoto:

1

»Das hast du dir selbst zuzuschreiben.«

Madeleine hörte die Worte, aber sie konnte sie kaum glauben. Wie konnte irgendjemand ihr die Schuld dafür geben, was passiert war?

»Ich? Wieso denn ich?«

»Dein ganzer Lebensstil.« Ihre Mutter zog missbilligend die Nase kraus. »Hast du erwartet, dass das ewig gutgeht?«

Madeleines Lippen pressten sich zu einem weißen Strich zusammen. »Was meinst du mit . . . Lebensstil?«

»Du weißt ganz genau, was ich meine.« Obwohl sie beide am Kaffeetisch saßen, musterte ihre Mutter sie, als befände sie sich mindestens zwei Meter über ihr.

Das hatte sie immer schon getan. Solange Madeleine denken konnte.

Ihre Lippen pressten sich noch mehr zusammen. Wenn das überhaupt möglich war. »Ja, das weiß ich«, quetschte sie hervor. Dann holte sie tief Luft. »Das bedeutet also, du willst mir nicht helfen?«

»Das habe ich oft genug getan. Wir haben das getan, solange dein Vater noch lebte. Aber jetzt . . .« Regine Höriger sah Madeleine mit ihren kalten Kristallglasaugen an. »Du musst endlich einmal anfangen, die Konsequenzen deines Handelns zu tragen. Dein Vater hat dich viel zu sehr verwöhnt. Du bist eine erwachsene Frau. Sorg für dich selbst. Du kannst nicht erwarten, dass das jemand anderer für dich tut.«

»Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, hm?«, zitierte Madeleine. »Denkst du, so ist das gemeint?«

»Ja.« Ihre Mutter nickte heftig. »Genauso ist das gemeint.«

»Genauso«, wiederholte Madeleine und stand auf. »Ich verstehe. In die Kirche rennen und beten, das ist in Ordnung. Aber jemand anderem helfen, wenn es darauf ankommt, das ist zu viel verlangt. Noch nicht einmal deiner eigenen Tochter«, setzte sie bitter hinzu.

»Meiner Tochter, die meint, ihr müsste alles auf einem Silbertablett serviert werden«, wandelte ihre Mutter ab. »Die Zeiten sind jetzt vorbei.«

Einer von Madeleines Mundwinkeln zuckte. »Das habe ich von dir gelernt . . .«, sie machte eine bedeutungsvolle Pause, »Mutter. Oder hast du in deinem ganzen Leben schon mal einen Finger gerührt?«

Wieder sah ihre Mutter sie kalt an. »Das brauchte ich nicht, weil ich immer die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Im Gegensatz zu dir.«

Madeleine stand da, sah auf sie hinunter und nickte. »Die richtigen Entscheidungen. Sicher. Du hast einen reichen Mann geheiratet, der alles für dich getan und alles für dich bezahlt hat, meinst du das?«

»Willst du jetzt auch noch auf deinem Vater herumhacken, nicht nur auf mir?«, schnappte ihre Mutter.

»Das habe ich nicht gesagt. Und das weißt du auch.« Madeleine merkte, dass das alles hier keinen Sinn mehr hatte. Wenn ihr das nicht schon vorher klargewesen war. »Dann gehe ich jetzt. Und erwarte nicht, dass ich dich noch einmal anrufe.«

»Warum sollte ich das erwarten?« Die Augen ihrer Mutter, die noch nie einen warmen Schimmer gehabt hatten, reflektierten jetzt das Licht vom Fenster wie ein Spiegel. Ein Spiegel, den nichts durchdringen konnte. Kein Gefühl und keine Anteilnahme. »Du würdest doch nur anrufen, um mich wieder anzubetteln. Darauf kann ich verzichten.«

Madeleines Wangen zogen sich nach innen, sodass sie hohl wirkten. Ihre Kiefer mahlten. »Auf etwas anderes verzichtest du dadurch nicht?«

Ihre Mutter gab ein abschätziges Geräusch von sich. »Sei nicht so naiv. Werd endlich erwachsen!«

Madeleine sagte nichts mehr, sah sie nur an, drehte sich mit einem kalten Blick, der den ihrer Mutter imitierte, um und ging.

Das war dann wohl der letzte Besuch in ihrem Elternhaus gewesen.

Aber was sollte sie jetzt tun?

Welche Möglichkeiten blieben ihr?

2

»Ach Liebchen, du weißt doch, ich bin selbst immer knapp.«

Es war erstaunlich, wie jemand, der von oben bis unten in die teuersten Designerklamotten gekleidet war und einen Kleiderschrank hatte, der von hier bis Honolulu reichte, so etwas behaupten konnte, aber Madeleines angeblich bester Freundin Juliane kam dieses Bekenntnis leicht über die Lippen.

So viel zu besten Freundinnen. »Es wäre ja nur übergangsweise«, versuchte Madeleine zu erklären. »Ich muss aus dem Haus raus und weiß nicht, wo ich hin soll.«

Julianes Haus hätte genügend Zimmer gehabt, aber Madeleine eins davon anzubieten, kam ihr gar nicht in den Sinn.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwierig es ist, die passenden Schuhe zu diesem Kleid zu finden«, wechselte sie einfach das Thema und hielt sich das Kleid vor die Brust, während sie sich vor dem Spiegel drehte. »Ich war schon in London, Mailand und Paris. Aber nichts. Wahrscheinlich muss ich noch nach New York.« Sie seufzte. »Mir bleibt auch nichts erspart.«

Madeleine fragte sich, wieso nicht eins der zweihundert Paar Schuhe, die Juliane bereits im Schrank hatte, passen sollte, aber sie wusste, dass das die falsche Frage war.

»Ja, es ist schwierig«, stimmte sie zu. »Genauso schwierig wie einen Platz zum Wohnen zu finden.«

Es passte Juliane gar nicht, dass Madeleine die Sprache wieder darauf brachte. Jemand, der kein Geld hatte, und dessen Probleme waren ein Unthema in Julianes Kreisen.

Die bisher auch Madeleines gewesen waren. Hatte sie jedenfalls gedacht.

Aber so etwas änderte sich schnell, wenn man die Ansprüche dieser Kreise nicht mehr erfüllen konnte. Ihre Mutter war so, Juliane war so, alle waren so.

Bislang war das Madeleine nie aufgefallen, weil sie noch nie in einer solchen Situation gewesen war. Aber nun war sie es, und es fiel ihr nicht nur auf, es fiel ihr wie der Himmel auf ihren Kopf.

»Willst du nicht mitkommen?« Julianes Augen leuchteten auf, als sie ihren Blick kurz von dem Kleid ab- und im Spiegel Madeleine zuwandte. »Wir könnten zusammen in New York shoppen gehen. Das wäre ein Spaß.«

»Und wovon soll ich das bezahlen?« Madeleine hob die Augenbrauen. »Schon vergessen? Ich habe kein Geld mehr. Nicht mal für die Miete.«

»Miete?« Unwillig zogen Julianes Stirnfalten sich zusammen. Oder hätten es getan, wenn da nicht das Botox gewesen wäre. »Aber ihr habt doch das Haus. Das ist nicht gemietet.«

»Nein, das wird zwangsversteigert«, erwiderte Madeleine kurz angebunden. Langsam ging ihr die Geduld aus. Sich wie eine Bettlerin vorzukommen war nicht gerade ihr Spezialgebiet. »Deshalb muss ich da raus.«

»Dann kauf doch ein anderes«, schlug Juliane selbstvergessen vor, während sie nun ein weiteres Kleid vor ihren Körper hielt und gegen ihre vom ständigen Diäten hervorstehenden Hüftknochen presste, um die Wirkung im Spiegel abzuschätzen.

Madeleine seufzte. »Ja, sicher. Warum tue ich das nicht?«

»Mein Peterchen hat in seiner Jugend ja auf einem Campingplatz gewohnt«, platzte Juliane mit einem ungläubigen Glucksen heraus. »Kannst du dir das vorstellen? Auf einem Campingplatz! Ohne Wasser und Strom.« Angelegentlich verzog sie das Gesicht. »Er war ein richtiger Rebell, bevor er mich kennenlernte. Seine Eltern waren sooo froh, als wir dann geheiratet haben und ich ihn zur Vernunft gebracht habe!«

Und dazu, viel Geld zu verdienen, dachte Madeleine. Um dir diesen Luxus zu ermöglichen.

Aber sie wusste, dass sie als Allerletzte das Recht hatte, so etwas zu denken. War sie nicht in dieselbe Falle getappt?

Wieder versuchte Juliane, die Stirn zu runzeln, was ihr erneut nicht gelang. Ihre Stirn blieb glatt wie ein Kinderpopo. »Mir fällt gerade ein, den alten Wohnwagen hat er immer noch. Der steht noch irgendwo. An einem See. Er fährt da hin, wenn er angelt.« Sie stieß abschätzig die Luft aus. »Männer haben schon langweilige Angewohnheiten.«

»Weißt du, wo der Wohnwagen steht?«, fragte Madeleine.

»Ich? Nein.« Fast empört schaute Juliane sie wieder über den Spiegel an. »Meinst du, ich zwänge mich in so ein Ding? Wo man sich noch nicht mal waschen kann? Iiih!« Sie schüttelte sich vor Ekel. »Und Angeln . . . Also hör mal.« Sie rollte die Augen.

»Ja, natürlich.« Madeleine nickte. Sie verstand das durchaus. In diesem Fall konnte sie Julianes Vorbehalte nachvollziehen. Aber das brachte sie jetzt nicht weiter.

»Viel Spaß in New York, Jane«, sagte sie und winkte in den Spiegel hinein, von dem Juliane noch immer keinen Blick wendete. »Grüß mir die Fifth Avenue.«

»Mache ich«, flötete Juliane, ohne die Anspielung zu verstehen. »Aber das nächste Mal kommst du mit. Versprochen!«

»Hmhm.« Madeleine spitzte die Lippen. »Ich werde eine Bank überfallen.«

Doch das hörte Juliane gar nicht.

Oder wollte es nicht hören.

»Du interessierst dich für meinen Wohnwagen?« Peter lachte am Telefon. »Seit wann stehst du denn auf so was?«

»Seit ich kein Geld mehr habe«, erwiderte Madeleine trocken. »Du hast vielleicht davon gehört.«

»Oh. Ja.« Natürlich hatte er davon gehört. »Ich könnte dir etwas leihen«, bot er an. »Wie viel brauchst du denn?«

»Viel«, sagte Madeleine. »Und danke für das Angebot, aber das kann ich nicht annehmen. Ich brauche nur einen Platz zum Wohnen, für den Übergang, mehr nicht.«

»Aber der Wohnwagen ist alt«, wandte er skeptisch ein. »Wirklich alt. Ich weiß gar nicht, warum ich den da noch stehen habe.« Wieder lachte er. Etwas schuldbewusst. »Oder doch. Ich weiß es. Manchmal . . .«, er räusperte sich, »manchmal habe ich den gebraucht. Wenn Juliane –« Er brach ab. »Na ja, du kennst sie ja. Ihr seid Freundinnen.«

Sind wir das? dachte Madeleine. Es gab anscheinend höchst unterschiedliche Definitionen von Freundschaft. Und Juliane kannte keine davon.

»Du brauchst ihn also noch?«, fragte sie. »Manchmal?«

Er überlegte. »Nein, eigentlich nicht«, meinte er dann. »Ich war schon lange nicht mehr dort. Es gibt andere Möglichkeiten.«

3

Wenn Simi etwas wusste, dann dass sie hier glücklich war. Sie hockte in dem kleinen Garten, den sie um ihren Wohnwagen herum angelegt hatte, grub in der Erde, schaute währenddessen auf das Wasser des Sees, war braungebrannt von der Sonne, als wäre sie gerade im Urlaub gewesen, und freute sich auf ihre Töpferscheibe, wenn sie mit der Gartenarbeit fertig war.

Gab es irgendetwas auf der Welt, was dem Paradies näherkam?

Immer wieder fragte sie sich, warum so viele Menschen so viel brauchten. Ja, sie hatte auch ein paar Sachen, auf die sie nicht verzichten wollte, aber das waren sehr wenige. Die passten fast in einen Schuhkarton.

Je mehr die Welt mit Konsumgütern vollgestopft war, desto weniger wollte sie davon haben. Sie fand das nur überflüssig. Ja, hier in ihrem Wohnwagen war sie glücklich und zufrieden und hatte alles, was sie brauchte. Seit vielen Jahren.

Es gab noch ein paar andere Dauercamper hier. Mit denen war sie befreundet. Sie halfen sich gegenseitig aus, wenn sie etwas brauchten. Es war wie eine kleine Familie, in der jeder auf jeden achtete. Aber wenn man seine Ruhe haben wollte, konnte man das auch einfach sagen, und es wurde respektiert.

Niemand belästigte den anderen, auch wenn man so gut wie alles mitbekam. Jeder war ein Individuum, das ganz individuell lebte, und doch fand diese Individualität ihre Grenze dort, wo sie jemand anderem seine Individualität nahm.

Ich spiele meine Musik und du spielst deine Musik, aber nur so laut, dass sie sich nicht gegenseitig übertönten.

Das geschah lediglich dann, wenn die anderen Camper kamen. Die, die keine Dauercamper waren. Sie kamen aus ihren eingeklemmten Wohnungen, aus ihren Städten ohne Gärten und Grün um den eigenen Lebensraum herum und wollten das nun hier auf dem Campingplatz in vollen Zügen genießen. Koste es, was es wolle.

Wollten draußen grillen, weil ihnen das auf ihrem Balkon zu Hause nicht möglich war oder verboten. Weil sie die Nachbarn fragen mussten und die eventuell nicht einverstanden sein würden. Ihre Freiheit war so eingeschränkt, dass Simi ihren Lebenshunger, ihren Durst nach Ungebundenheit durchaus verstand.

Aber wie sie das manchmal hier auf dem Campingplatz auslebten, das entsprach nicht dem, was sie sich wünschte. Denn es schränkte ihre eigene Freiheit ein.

Doch sie wollte nicht dasselbe mit anderen tun, also hielt sie sich zurück. Wie die meisten der Dauercamper. Wenn die Saison vorbei war oder die Wochenenden, an denen der Platz sich plötzlich so eng füllte, dass kein Spatz mehr dazwischenpasste, wurde es wieder still und gemütlich.

Vielleicht war es ganz gut so, dass es nicht immer so war. So konnte man es noch mehr schätzen.

Und die Zeiten, in denen die Dauercamper auf dem Platz allein waren, waren länger als die Urlaubszeiten und die Wochenenden. Die zeitweisen Camper kamen ohnehin nur, wenn das Wetter gut war. Urlaub oder Wochenende zählte nichts, wenn es regnete oder schneite. Während Simi fand, das war die schönste Zeit.

»Na du? Hast du Hunger?« Sie lächelte den alten Kater an, der immer einmal wieder vorbeikam, als er in der Nähe ihres Gartens herumschlich, ohne sich ihm ganz zu nähern.

Er hatte nur noch ein Auge, seine Ohren waren zerfetzt von vielen Kämpfen mit anderen Katern, und auch sein Fell war stumpf und ungepflegt, teilweise war es gar nicht mehr da. Vielleicht war er gar nicht so alt, wie er aussah, aber er hatte ein hartes Leben gehabt, das sah man ihm an.

Und Simi wollte ihm die letzte Zeit, die er noch hatte, wenigstens etwas leichter gestalten. Zahm würde er wohl nie werden. Streicheln konnte man ihn nicht. Sobald man auf ihn zuging, lief er weg. Blieb aber manchmal in der Entfernung unter einem Strauch sitzen und beobachtete sie.

Dann ging sie zu der kleinen Vorratskiste, in der sie das Katzenfutter aufbewahrte, füllte eine Schüssel, stellte eine Schüssel mit Wasser daneben und verschwand in ihrem Wagen. Die Schüsseln stellte sie ganz an den Rand ihres kleinen Reichs, wo er sich noch sicher fühlen konnte. Aber sie hatte sie trotzdem immer ein Stückchen näher zu sich herangeholt, sodass sie nun nicht mehr so weit entfernt standen wie am Anfang.

Er war sehr misstrauisch gewesen, wollte nicht näherkommen, aber mit der Zeit hatte er gemerkt, dass sie ihm nichts tat, dass ihm hier in ihrem kleinen Reich niemand etwas tat, und so kam er und fraß. Aber danach verschwand er sofort wieder. Das würde sich wohl nie ändern. Dazu hatte er zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, die sich tief eingeprägt hatten.

Simi konnte das verstehen. Schlechte Erfahrungen, vielleicht sogar schon als Kind, machten viele Menschen ebenso misstrauisch, wie es dieser Kater war. Manchmal kam man nie darüber hinweg.

Aber es gab Möglichkeiten, sein Paradies zu finden. Wie sie es gefunden hatte. Davon war sie überzeugt. Auch wenn man manchmal lange danach suchen musste.

»Sag mal, wer ist denn das da an Peters Wohnwagen?« Nele, eine Dauercamperin wie sie selbst, fing Simi ab, als sie in ihren Wagen hineingehen wollte, um dem Kater Gelegenheit zum Fressen zu geben.

»Peters Wohnwagen?« Fragend hob Simi die Augenbrauen.

»Ach ja«, winkte Nele ab. »Den kennst du ja gar nicht mehr. Er war schon lange nicht mehr hier.« Sie schmunzelte. »War aber ein fescher Kerl, als er noch kam. Zum Angeln. Sagte er jedenfalls. Ich glaube, er war nur auf der Flucht vor seiner Frau.« Sie verzog schmunzelnd wissend die Lippen.

»Welcher Wagen ist das?«, fragte Simi und schaute sich um.

»Der da unten, direkt am See, aber mittlerweile sind die Sträucher schon so zugewachsen, man sieht ihn kaum noch.« Nele wies in die Richtung.

»Ach ja.« Simi nickte. »Ich habe mich schon gefragt, wem der gehört. Hab da noch nie jemanden gesehen.«

»Ja, er kommt nicht mehr.« Nele seufzte. »Schade. Aber jetzt steht ein Auto da unten. Als ob jemand gekommen wäre.«

»Das könnte doch dieser Peter sein«, vermutete Simi. »Kommt nach Jahren mal wieder vorbei.«

»Nö. Er isses nich’.« Entschieden schüttelte Nele den Kopf. »So viel hab ich gesehen. Den erkenn ich selbst von Weitem.«

»Dann hast du doch gesehen, wer es ist«, meinte Simi und wollte hineingehen.

Etwas unzufrieden schürzte Nele die Lippen. »Nicht genau«, sagte sie. »Aber ich glaube . . .«, sie beugte sich verschwörerisch vor, »es ist eine Frau.«

Uninteressiert zuckte Simi die Achseln. »Dann ist es vielleicht seine Frau. Er hat sie jetzt auch für den Campingplatz begeistert.«

Neles Lippen spitzten sich zu kleinen Dächern. »Mir hat er immer erzählt, keine zehn Pferde würden sie herbringen. Deshalb war er ja hier. Um sich mal Ruhe von ihr zu gönnen. Weil ein Campingplatz das Letzte ist, wo sie hingehen würde. Muss eine ziemlich verwöhnte Zicke sein.« Sie legte den Kopf schief. »Es ist ein Lexus«, ergänzte sie, als würde sie ein Geheimnis verraten.

Verwirrt runzelte Simi die Stirn. »Was ist ein Lexus?«

»Ihr Auto«, sagte Nele. »Ein Lexus. So ein . . .«, sie schnippte mit den Fingern, weil sie nach einem Wort suchte, »SUV nennt man das glaube ich. Ein Schiff. Und teuer. Sehr teuer. Nur reiche Leute können sich so was leisten.«

Simis Lippen zuckten. »Ja und? Was geht uns das an? Sie kann es sich offenbar leisten, so einen Wagen zu fahren. Warum sollte sie nicht?«

»Also hier, auf dem Campingplatz –«, setzte Nele an.

Aber Simi unterbrach sie. »Hier auf dem Campingplatz kommen sie auch mit solchen Schiffen an. Das ist doch nichts Neues.«

»Aber es ist ein Lexus«, murrte Nele verstimmt. »Und er hat keine Anhängerkupplung.«

»Um das zu sehen, musst du ja nah dran gewesen sein«, meinte Simi zwar durchaus etwas amüsiert, aber mittlerweile doch auch ziemlich genervt.

Sie verlor nicht leicht die Geduld, aber sie sah, wie der Kater um die Sträucher herumstrich. Er hatte bestimmt Hunger. Sie wollte endlich reingehen und ihn fressen lassen.

»Ich habe ein Fernglas«, verkündete Nele beleidigt.

»Ich weiß«, nickte Simi. »Aber sagtest du nicht, das wäre, um Vögel zu beobachten?«

»Ja, natürlich.« Nele zog sich etwas verschnupft zurück. »Deshalb habe ich ja gesehen, wie sie ankam. Weil ich Vögel beobachtet habe.«

»Aha.« Simi musste nun doch wieder schmunzeln. Nele blieb eben Nele. »Dann geh doch hin und sag ihr Guten Tag. Sie wird sich bestimmt freuen, wenn sie jemand begrüßt.«

Das schien Nele aber nicht zu gefallen. Sie wollte lieber klatschen und tratschen. Das machte mehr Spaß als die vielleicht ernüchternde Wahrheit zu erfahren. Die unter Umständen tatsächlich darin bestand, dass Peters Frau sich endlich entschlossen hatte, sich ihm anzuschließen, und nur hergekommen war, um aufzuräumen.

»Igitt, da schleicht wieder dieser Kater rum!«, schrie Nele plötzlich und wollte schon auf ihn zulaufen, um ihn zu vertreiben.

Simi fiel ihr in den Arm. »Lass ihn«, hielt sie sie auf. »Ich habe ihm etwas zu fressen hingestellt. Er frisst aber nicht, solange hier jemand ist.«

»Warum fütterst du dieses Monster auch noch?«, fragte Nele indigniert. »Er ist so was von hässlich. Wenn er nichts zu fressen kriegt, verhungert er vielleicht, und wir sind ihn los.«

»Genau das möchte ich verhindern«, sagte Simi, jetzt mit festerer Stimme.

Nele war manchmal schon eine Plage. Aber auf der anderen Seite auch äußerst hilfsbereit. Wenn es nicht gerade um den Kater ging.

»Ich gehe jetzt in den Wagen«, fuhr Simi fort. »Und entweder du gehst auch oder du kommst mit rein. Damit er seine Ruhe hat.«

»Ich geh ja schon.« Besänftigend hob Nele die Hände. »Aber ich versteh dich einfach nicht. Ich bin ja wirklich gutmütig, aber du . . . du bist irgendwie . . . zu gutmütig.« Sie warf einen Blick zu dem Kater hin, der immer noch mit seinem einen Auge unter den Sträuchern hervorschielte, seinen Blick starr auf die Schüsseln geheftet. »Und er ist so hässlich!«, schloss sie ihre Ausführungen ab, als wäre das ein Beweis für irgendwas.

Simi wartete, bis sie sich tatsächlich verzogen hatte, dann nahm sie die kleine Treppe in ihren Wagen hoch. »Du kannst kommen«, sagte sie lächelnd zu dem Kater. »Ich passe auf, dass dich niemand stört.«

Trotzdem wartete er, bis sie tatsächlich im Wagen verschwunden war, bevor er sich unter den Sträuchern hervortraute.

»Armer Junge«, flüsterte sie, während sie ihm aus dem Fenster heraus beim Fressen zusah. »Was haben sie dir nur angetan?«

4

Das kann ja wohl nicht wahr sein! dachte Madeleine, schon als sie auf den Campingplatz fuhr. Hier kann man doch nicht leben!

Aber es gab anscheinend eine ganze Menge Leute, die anderer Meinung waren. Kleinere und größere Wohnwagen standen hier, auch Wohnmobile, einige mit Vorzelten, manche sogar mit einem Vorgarten. Als ob es eine richtige Siedlung wäre, nicht nur ein Ziel für einen Wochenendausflug.

Auf jeden Fall war sie froh, dass sie einen SUV hatte, keinen normalen Pkw, als sie zu dem Platz, an dem Peters Wohnwagen stand, hinunterfuhr. Sie kam sich vor, als kämpfte sie sich durch einen Dschungel.

Peter hatte nicht genau gesagt, wann er das letzte Mal hier gewesen war, aber vor allen Dingen hatte er Madeleine auch nicht gesagt, dass er es nicht für nötig befunden hatte, jemanden damit zu beauftragen, Unkraut und wuchernde Sträucher zu entfernen, um wenigstens die Zufahrt freizuhalten.

Also pflügte sich ihr Lexus mit aller Gewalt durch das zugewachsene Grundstück, als wäre er ein Eisbrecher. Vermutlich hätte sie weiter oben aussteigen sollen, aber dann hätte sie gar nicht mehr gewusst, wie sie zu dem Wohnwagen, der mehr einem Dornröschenschloss glich, hätte hinkommen sollen.

Sie fuhr so nah wie möglich an das, was sie noch von dem Wohnwagen sehen konnte, heran, drückte auf den Stoppknopf für den Motor und blieb erst einmal entgeistert sitzen. Was hatte sie sich eigentlich gedacht, was sie hier erwarten würde?

Jedenfalls nicht das hier. Sie war noch nie auf einem Campingplatz gewesen, hatte noch nie auf einem Urlaub gemacht. Wie kam sie auch dazu? Wozu gab es Hotels?

Und wenn man aufs Land wollte, konnte man ein Landhaus mieten oder ein Chalet. Im Winter. Zum Skifahren.

Es gab keinen Grund, sich auf einem Platz wie diesem hier aufzuhalten. Keinen einzigen.

Oder doch. Es gab einen. Tatsächlich einen einzigen. Wenn man kein Geld hatte. In der Situation war sie bisher noch nie gewesen, deshalb waren ihr Campingplätze immer irgendwie absurd erschienen.

Wenn sie überhaupt darüber nachgedacht hatte. Warum sollte sie? Offensichtlich war das eine ganz andere Welt als die, in der sie lebte. Für ganz andere Leute als sie.

Aber nun war sie hier und musste sich auch zu diesen Leuten zählen. Selbst wenn es nur vorübergehend war. Nur vorübergehend.

Endlich konnte sie sich dazu überwinden auszusteigen. Sie war bei Peter im Büro vorbeigefahren und hatte sich den Schlüssel abgeholt. Beziehungsweise seine Sekretärin hatte ihn ihr überreicht. Peter war wie immer beschäftigt gewesen, in einer Besprechung.

Deshalb hatte er ihr auch keine weiteren Instruktionen mitgegeben. Vielleicht dachte er, sie wäre schon einmal auf einem Campingplatz gewesen und kannte sich aus. Oder es war ihm einfach egal.

Spätestens als Madeleine es geschafft hatte, sich bis zur Tür durchzukämpfen, den Wohnwagen aufzuschließen und die kleine Treppe, die hineinführte, zu überwinden, dachte sie, dass sie ein paar Instruktionen gut hätte gebrauchen können. Das Ganze hier war eine . . . Katastrophe.

Erneut blieb sie für ein paar Minuten regungslos stehen, wie sie zuvor ein paar Minuten lang in ihrem Auto gesessen hatte. Nicht nur das Grundstück um den Wohnwagen selbst war verwildert, das Innere des Wohnwagens auch. Vermutlich ein Ausdruck der zügellosen Freiheit, die Peter hier genossen hatte.

Nachdem ihre Erstarrung sich gelöst hatte, atmete sie erst einmal tief durch. Das konnte alles nicht wahr sein, und doch war es wahr. Wahrer als sie es sich je erträumt hatte.

Doch von einem Traum konnte hier ohnehin nicht die Rede sein. Höchstens von einem Albtraum. Der immer noch schlimmer wurde. Aus dem sie nicht aufwachen konnte.

Aber sie musste aufwachen. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig. Sie musste heute Nacht wenigstens hier schlafen können, damit sie zur Ruhe kam.

Wo sich wohl das Bett versteckte? Suchend sah sie sich um. Sie hatte bei Bekannten einmal ein Wohnmobil gesehen, das eher einem Kreuzfahrtschiff glich. Oder zumindest einem halben Haus. Auf Rädern.

Diese Leute hatten darauf bestanden, ihr eine Führung zu geben. Obwohl sie nicht darum gebeten hatte. Aber sie waren so stolz auf ihre rollende Burg gewesen. In der sogar ein separates Schlafzimmer vorhanden war, ein Bad, eine voll ausgebaute Küche und viele sonstige Annehmlichkeiten.

Dennoch hatte Madeleine allein die Idee, mit so einem Ding unterwegs zu sein, idiotisch gefunden. Das hatte sie natürlich nicht gesagt, denn immerhin hatten diese Bekannten einen siebenstelligen Betrag für ihr bewegliches Haus hingeblättert. Warum sie das getan hatten, verstand Madeleine allerdings nicht.

Als sie sich jetzt umsah, suchte sie die ganzen Annehmlichkeiten, die diese Leute ihr vorgeführt hatten, jedoch vergeblich. Nichts davon gab es hier. Immer mehr erfasste sie die Panik. Nicht einmal ein separates Bett? Wo sollte sie dann schlafen?

Sie räumte eine schmale Sitzbank von alten Zeitungen frei und ließ sich darauf niedersinken. Was, wenn sie jetzt einfach mal eine Weile weinte? Das war zwar sonst nicht ihre Art, aber einmal war immer das erste Mal. Und hier sah sie ja niemand.

»Kann ich Ihnen helfen?« Es klopfte, und gleich darauf schob sich ein Wuschelkopf durch die Tür herein.

Madeleine gab sich einen Ruck. »Nein, danke«, erwiderte sie kühl. »Ich komme schon zurecht.«

Die junge Frau ging aber nicht, sondern sah sich ebenfalls im Wohnwagen um. Was nicht schwierig war, obwohl sie ihn noch gar nicht betreten hatte. Hier war alles sehr . . . übersichtlich.

»Sieht ja furchtbar aus«, sagte sie. »Dieser Peter muss ein ziemlicher Chaot gewesen sein.«

Madeleine musterte das Gesicht unter dem Wuschelkopf etwas genauer. Die Frau war braungebrannt, als käme sie gerade aus der Karibik zurück, aber sie wirkte nicht wie jemand, der sich das leisten konnte. Sie war ungeschminkt, und ihre Augen lachten unter natürlichen Wimpern.

Langen Wimpern, aber definitiv keinen künstlichen. Als ob sie gerade erst aufgestanden wäre und noch keine Zeit gehabt hätte, sich fertigzumachen, sich auf den Tag vorzubereiten.

»Sie kennen Peter?«, fragte Madeleine höflich, wenn auch uninteressiert an der Antwort. Konversation war etwas, worauf man sich immer zurückziehen konnte, selbst in den schlimmsten Situationen.

»Nein.« Die Frau schüttelte den Kopf und betrachtete Madeleines Frage anscheinend als eine Einladung, den Wohnwagen zu betreten. »Er war nie hier, seit ich auf dem Platz bin.«

Sie stieg die kleinen Stufen herauf und sah sich nun noch etwas genauer um.

»Sie . . .« Madeleine räusperte sich. »Sie campen schon länger?«

»Ein paar Jahre«, sagte die Frau. »Entschuldigen Sie.« Sie lachte. »Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Simi.« Sie streckte die Hand aus, um Madeleine zu begrüßen.

Madeleine sah das Dunkle unter den kurzen Fingernägeln. Nicht einmal die Hände hatte diese . . . Camperin sich gewaschen, bevor sie sie hier belästigen kam?

Deshalb ließ sie ihre eigenen Hände im Schoß liegen, wo sie gut aufgehoben waren, wie sie fand, und sah die andere nur abweisend an. »Höriger«, stellte sie sich vor. »Madeleine Höriger.«

Simi lachte wieder. »So formell sind wir hier nicht. Bei uns reicht der Vorname. Aber aus Gründen der Gleichberechtigung . . .« Sie neigte leicht den Kopf. »Steinert. Simone Steinert. Aber alle nennen mich Simi. Bei Simone würde ich wahrscheinlich gar nicht reagieren.«

Was sollte mich daran jetzt interessieren? fragte Madeleine sich stumm.

Sie ließ ihren Blick auf der Latzhose ruhen, in die dieses merkwürdige Geschöpf gekleidet war. Die Latzhose passte zu den Fingernägeln. Sie war dreckig.

»Sind Sie hier . . . beschäftigt?«, fragte sie. »Das sieht so nach Arbeit aus.«

Mit einem Finger zeigte sie auf die Flecken an den Knien der Hose. Deren Besitzerin musste damit im Dreck gekniet haben.

»Nein, nein.« Das Lachen dieser Simone Steinert schien ein fest eingebauter Bestandteil ihrer Persönlichkeit zu sein. »Ich wohne hier nur. Aber es ist immer etwas zu tun. Vorhin habe ich im Garten gearbeitet.«

»Im . . . Garten?« Madeleines Blick fiel durch die offene Wohnwagentür hinaus auf den Dschungel, der diesen Wohnwagen umgab.

»Ja.« Simi warf auch einen kurzen Blick nach draußen. Sie stand ja sowieso fast noch da. »Meiner sieht natürlich anders aus als der hier. Aber das kriegen Sie schnell hin, wenn Sie erst mal das Unkraut gejätet haben und die Sträucher zurückgeschnitten sind.«

»Gibt es Leute hier, die man beauftragen kann, das zu erledigen?«, fragte Madeleine und warf dabei einen angelegentlichen Blick auf Simis Arbeitskleidung. »Das kann ich ja wohl kaum selbst tun.«

Simis Augenbrauen hoben sich in baffem Erstaunen. Ungläubig. Sie hätte auch gleich sagen können Das können Sie nicht? Wieso nicht? Aber das sagte sie nicht, sondern sie lachte wieder. Musste so eine Art Virus sein.

»Das lernen Sie schnell«, meinte sie zuversichtlich. »Wir machen hier alles selbst. Und wenn wir etwas nicht allein machen können, helfen wir uns gegenseitig. Fragen Sie einfach.«

Ich dachte, das hätte ich gerade getan. Simone Steinerts Antwort war nicht die, mit der Madeleine gerechnet oder die sie erhofft hatte.

Hier lief offenbar alles etwas anders. Aber das war ja auch kein Wunder. Die Leute hier mussten arm sein. Sehr arm. Und sie wusste nicht, wie sich das anfühlte.

Sie schloss kurz die Augen. Oder vielleicht wusste sie es doch. Wenn sie sich vorstellte, dass das hier jetzt ihr Zuhause war. Dass sie hier in diesem . . . Schweinestall schlafen sollte.

Nein! Ihre Haare stellten sich innerlich wie äußerlich auf. Sie fühlte sich wie ein nach innen gewendeter Igel. Nein, nein, nein! Das konnte nicht sein! Widerstrebend öffnete sie die Augen wieder.

»Sie meinen, es gibt hier niemanden, der das für mich machen würde?« Schon an Simones Gesichtsausdruck erkannte sie, dass die Antwort nicht Ja lauten konnte. »Wenn ich ihn dafür bezahle?«

Wovon? dachte sie gleichzeitig. Wieso frage ich das überhaupt? Diese Erkenntnis brach plötzlich über sie herein wie eine Lawine. Die sie erstickte. Sie hustete.

»Alles in Ordnung?« Besorgt kam Simi auf sie zu und beugte sich über sie, legte eine Hand auf ihre Schulter.

Langsam schüttelte Madeleine den Kopf. »Schon gut. Es geht mir gut.« Wenn das nicht die größte Lüge des Jahrhunderts war!

»Sie waren noch nie auf einem Campingplatz, oder?«, fragte Simi. Freundlich lächelte sie auf Madeleine herunter. »Und Ihr Mann hat den Wohnwagen in einem schlimmeren Zustand hinterlassen, als Sie dachten.«

Madeleine stutzte. Eine steile Falte bildete sich über ihrer Nase, als sie den Kopf hob und Simi mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah. »Mein . . . Mann?«

»Na ja.« Simi richtete sich wieder auf. »Peter. Er hat Sie geschickt, um hier aufzuräumen, weil er wiederkommen will. Mit Ihnen.«

In Madeleine zuckte es an mehreren Stellen. Wenn sie das nicht in den Griff bekam, würde sie gleich einen Lachanfall bekommen. Einen hysterischen.

»Peter ist nicht mein Mann«, sagte sie, während sie jede einzelne Faser in sich anspannte wie in einer Pilatesstunde. »Aber er braucht den Wohnwagen nicht mehr. Deshalb . . .«, sie räusperte sich, »hat er ihn mir überlassen.«

Doch dass diese Frau meinte, Madeleine wäre jemand, die man einfach so irgendwo hinschicken könnte, um sauberzumachen, brachte sie endgültig auf die Palme. Wofür hielt diese Frau sie? Für eine Putzfrau?

Sie wollte schon explodieren und diesen unverschämten Eindringling hinauswerfen, da sagte Simi: »Wissen Sie, wie man die Bank da in ein Bett verwandelt?«

Die Überraschung hielt die Explosion in Madeleine zurück. »Nein«, gab sie verblüfft zu und musterte die Bank, auf deren einer Seite sie saß. »Die ist doch viel zu schmal.«

»Stehen Sie auf, dann zeige ich Ihnen, wie das geht, dass Sie darauf schlafen können«, bot Simi mit einem breiten Lächeln im Gesicht an. »Es sind nur ein paar Handgriffe.«

Obwohl sie sich normalerweise weigerte, jede Art von Anweisung zu befolgen, stand Madeleine gehorsam auf und sah zuerst die Bank, dann Simi sehr ungläubig an.

»Sehen Sie hier?« Simi klappte mit geschickten Griffen hier etwas auf, dort etwas zu, zog etwas heraus, hängte etwas ein, verteilte Polster darauf, die Madeleine zuvor gar nicht gesehen hatte, und tatsächlich entstand eine wenn auch ziemlich begrenzte Liegefläche.

»Alte Wohnwagen sind da ein bisschen umständlicher als neue«, teilte Simi ihr mit, als wäre sie eine Verkäuferin in einem Wohnwagenvertrieb, »aber es geht bei allen.«

»Offenbar.« Ungewollt war Madeleine beeindruckt.

Auch wenn der Wohnwagen immer noch eine Art Schuhkarton war und das sogenannte Bett etwas für ein Kinderzimmer, gab es doch tatsächlich eine Möglichkeit, hier zu schlafen.

Und das erleichterte sie ziemlich. Denn langsam machte sich Erschöpfung in ihr breit.

»Danke«, sagte sie und wollte schon in ihre Tasche greifen, um Simi ein Trinkgeld für ihre Bemühungen zu geben. Dann sah sie allerdings, dass sie selbst dafür nichts übrighatte. Und ihre Kreditkarten funktionierten alle nicht mehr.

»Dann überlasse ich Ihnen Ihr Reich mal wieder«, verabschiedete Simi sich freundlich lächelnd. »Damit Sie sich einrichten können.«

Für sie war hier jetzt wirklich kein Platz mehr. Sie stand auf der Seite der Liegefläche, die direkt vor der kleinen Treppe endete, während Madeleine auf der anderen Seite im hinteren Teil des Wohnwagens gerade noch ein bisschen Raum für ihre Füße hatte.

Mit einem kraftvollen Satz sprang Simi hinaus und Madeleine blieb zurück.

Und wie soll ich jetzt hier wieder rauskommen? fragte sie sich.

Dazu musste sie wohl über die Liegefläche kriechen. Oder das Bett in eine Sitzbank zurückbauen.

Wobei sie nicht wusste, wie das ging. Dazu hätte sie erst einmal erneut diese Simone fragen müssen.

Das sind ja schöne Aussichten, dachte sie grimmig.

Wie sollte das bloß gehen? Wie hatte sie sich einbilden können, dass das hier funktionieren würde?

Aber was hatte sie erwartet, wenn sie von einem 12-Zimmer-Haus in einen Schuhkarton umzog?

Sie wusste nicht, ob sie das bewältigen konnte.

Völlig entkräftet ließ sie sich auf das unerwartet erschienene Bett fallen und tat das, was sie noch nie getan hatte.

Sie weinte.

5

Die Frau war ganz schön komisch, dachte Simi, als sie in ihren Wohnwagen zurückkehrte.

Der Kater hatte gefressen und war verschwunden. Sie bückte sich hinunter und nahm die leeren Schälchen mit in den Wagen, um sie zu spülen.

Oder vielleicht war komisch nicht der richtige Ausdruck, überlegte sie weiter. Diese Madeleine passte einfach nicht auf einen Campingplatz. Das traf es eher. Wusste der Himmel, was sie hierher verschlagen hatte.

Peters Frau war sie jedenfalls nicht, das war schon mal klar. Zumindest wenn sie die Wahrheit gesagt hatte. Aber warum sollte sie nicht?

Vielleicht war sie jemand anderes Frau. Die Frau eines Mannes, der sie verlassen hatte? Oder von dem sie eine Auszeit brauchte? Nach einer langen, unglücklichen Ehe?

Sie lachte über sich selbst, als sie das dachte. Das hättest du wohl gern. Dass sie sich an deiner Brust ausweint.

Aber dafür war diese Madeleine gar nicht der Typ. Sie weinte nicht, wenn ihr etwas nicht passte. Sie schlug um sich. Verlangte nach Dienstboten.

Während sie die Schälchen spülte, schüttelte Simi den Kopf. Wie sie sie, Simi, angeschaut hatte . . . Als wäre sie irgendein Krabbeltier, das sie belästigte. Ein dreckiges Krabbeltier.

Und am liebsten hätte sie sie gleich als Mädchen für alles engagiert. Damit sie nichts selbst tun musste.

Nun ja, sie konnte ja auch nichts. Das musste Simi zugeben. Zumindest nichts, was auf einem Campingplatz nützlich war.

Sie war hier in einem Kostüm angekommen, das so was von Stadt! schrie. Und nicht nur Stadt. Reiche Stadt. Wohlhabende Leute in einer reichen Stadt.

Das Kostüm hatte bestimmt mehr gekostet, als Simi hier auf dem Campingplatz im ganzen Jahr für die Pacht bezahlte. Wenn das überhaupt reichte.

Und die Schuhe . . . Simi fragte sich, wie sie damit überhaupt durch das zugewachsene Buschwerk gekommen war. Der Absatz war wahrscheinlich tief eingesunken, so hoch und dünn, wie er herausstach.

Die Schuhe hatten jedenfalls dreckig ausgesehen. Und zerkratzt von den Brombeerranken. Vermutlich waren sie genauso teuer wie das Kostüm gewesen oder sogar noch teurer. Und jetzt konnte Madame Madeleine sie praktisch wegwerfen.

Ihrer Meinung nach jedenfalls bestimmt. Ärmere Leute hätten vielleicht versucht, sie zu reparieren, aber sie, diese große eingebildete Dame, ganz sicher nicht.

Was tat sie hier? Was wollte sie hier?

Sie war eine gutaussehende Frau Anfang vierzig – soweit man das unter dem Make-up und der teuren Frisur, die sicherlich jede Woche von ihrem Friseur erneuert wurde, erkennen konnte –, eine attraktive Frau mit einem fetten Auto, das sie bestimmt hätte verkaufen können, um monatelang, vielleicht jahrelang davon zu leben oder ihre Miete zu bezahlen.

Falls sie Miete zahlte. Sie sah mehr nach Haus oder einer schicken Eigentumswohnung aus.

Stattdessen kam sie hier an, als hätte sie nichts, wäre auf einen Wohnwagen angewiesen. Was einige Leute auf dem Platz hier tatsächlich waren, aber sie gehörte niemals in diese Kategorie. Allein ihr Schmuck hätte mehr gebracht, als viele hier je in ihrem Leben auf einem Haufen gesehen hatten.

Was wollte sie also hier? Diese Frage stellte sich immer wieder.

Wenn überhaupt, hätte Simi so jemanden wie Madeleine Höriger in einem dieser Superluxuswohnmobile erwartet, die so viel wie ein Haus kosteten. Dafür war hier auf diesem Areal allerdings gar kein Platz. Es war nicht für solche schiffartigen Bomber ausgebaut.

Dennoch – wenn schon, dann hätte sie in so ein Wohnmobil gepasst. Wo sie alles hatte, was sie gewöhnt war. Mehrere Zimmer, Dusche, eingebaute Küche. Obwohl sie die sicherlich nicht brauchte. Sie wirkte nicht wie jemand, der wusste, wie eine Küche von innen aussah.

Aber ganz sicher passte sie nicht in einen über vierzig Jahre alten Kleinwohnwagen aus den Achtzigern, der all diese Bequemlichkeiten nicht hatte. Der für Leute gebaut worden war, die ihn für einen preiswerten Urlaub nutzten, weil sie sich noch nicht einmal ein Hotelzimmer leisten konnten.

Doch trotz all diesem Luxus, den sie ausstrahlte, hatte Madeleine Höriger . . . verletzlich ausgesehen.

Simi wusste nicht, wie sie auf diesen Gedanken kam. Er stand plötzlich in ihrem Kopf, als wäre er an eine Tafel angeschrieben. Wie ein Sonderangebot im Gemüseladen.

Sie hatte etwas von dem Kater gehabt, den Simi versorgte. Keine zerfetzten Ohren und noch beide Augen, statt einem struppigen, löchrigen Fell ein sehr gepflegtes, und doch wirkte sie . . . verloren. Genauso verloren wie er.