Ein Diwan für zwei - Sabine Strick - E-Book

Ein Diwan für zwei E-Book

Sabine Strick

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Beschreibung

Ninas Leben in Paris scheint auf den ersten Blick perfekt: Sie ist attraktiv, lebenslustig und beruflich erfolgreich. Ihr Privatleben sieht dagegen eher chaotisch aus, denn in der Stadt der Liebe ist es nicht leicht, echtes Liebesglück zu finden. Ausgerechnet der rätselhafte Psychoanalytiker Julien weckt ihre Aufmerksamkeit. Aber kann der eigene Therapeut, der zudem vor seinen Gefühlen für Nina flieht, wirklich der Richtige sein? Oder ist das vielleicht doch eher der leichtlebige Botschaftersohn Salim, mit dem ein sorgloses Leben im Luxus winkt? Nina merkt, dass sie an einem Scheideweg steht: im Job, der sich wie eine Sackgasse anfühlt, und mit dem Gefühlschaos, in das ihre wechselnden Männerbekanntschaften sie stürzen. Ihr wird klar, dass sie ihr Leben umkrempeln muss – und Juliens Herz erobern will …

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Kurzbeschreibung:

Ninas Leben in Paris scheint auf den ersten Blick perfekt: Sie ist attraktiv, lebenslustig und beruflich erfolgreich. Ihr Privatleben sieht dagegen eher chaotisch aus, denn in der Stadt der Liebe ist es nicht leicht, echtes Liebesglück zu finden. Ausgerechnet der rätselhafte Psychoanalytiker Julien weckt ihre Aufmerksamkeit. Aber kann der eigene Therapeut, der zudem vor seinen Gefühlen für Nina flieht, wirklich der Richtige sein? Oder ist das vielleicht doch eher der leichtlebige Botschaftersohn Salim, mit dem ein sorgloses Leben im Luxus winkt? 

Nina merkt, dass sie an einem Scheideweg steht: im Job, der sich wie eine Sackgasse anfühlt, und mit dem Gefühlschaos, in das ihre wechselnden Männerbekanntschaften sie stürzen. Ihr wird klar, dass sie ihr Leben umkrempeln muss – und Juliens Herz erobern will …

Sabine Strick

Ein Diwan für zwei

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Sabine Strick

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Lektorat: S. Lasthaus Korrektorat: Susann Harring

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-162-1

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Paris, September 1999

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Paris, September 1999

1

Es war eine dieser Abendgesellschaften, zu der die Teilnehmer strömten, um ihrer häuslichen Langeweile zu entgehen. Die meisten kamen in der Hoffnung, die Person kennenzulernen, die ihnen künftig weitere einsame Abende ersparen würde. Ob es nur für eine Nacht halten sollte oder für das restliche Leben, blieb jedem selbst überlassen.

Fast alle Gäste, die sich an diesem Septemberabend in dem eleganten Pariser Restaurant zu einem Cocktail-Empfang zusammenfanden, waren ledig oder geschieden und besuchten mehr oder weniger regelmäßig die verschiedenen Singleclubs der Stadt auf der Suche nach dem perfekten Partner.

Seit einigen Jahren gehörte ich auch dazu.

Tanzabende, Theaterbesuche und Sonntagsausflüge füllten meinen Terminkalender und die sich daraus ergebenden Bekanntschaften mein Adressbuch, nicht jedoch die Leere in meinem Dasein. Und das, obwohl ich in einem ständigen Wettlauf gegen die Zeit lebte.

Das Leben ist so paradox.

Schon als ich einen Blick auf die plaudernden und lachenden Grüppchen der Gäste dieses Abends warf, wusste ich, dass ich mich nicht amüsieren würde.

Aber ich war auch nicht zu meinem Vergnügen hier, sondern um meiner Freundin Denise einen Gefallen zu tun, die diesen Abend organisiert hatte. Denise war Leiterin der Partnervermittlung Serenity, die mit dem Slogan „Ausgewählte Begegnungen mit hohem Niveau“ warb.

Trotz des gesalzenen Beitrags hatte ihr Club viel Erfolg bei zahlungskräftigen Leuten zwischen dreißig und fünfzig. Sie konnte es sich leisten, ausgewählten hübschen, jungen Frauen die Mitgliedschaft zu schenken, um der erhöhten Nachfrage des Topmodel-Typs nachzukommen. Gesucht wurden sowohl echte Partnerschaften als auch Abenteuer. Letztere gern von verheirateten Männern aus der Provinz, die beruflich oft in der Hauptstadt weilten und sich dann diskret amüsieren wollten. Oder von trennungswilligen Männern, die erst einmal sehen wollten, was sonst noch so auf dem Markt war, bevor sie das Risiko eingingen, alleine dazustehen.

Genau genommen war Denise nicht meine Freundin. Uns verband seit zwei Monaten lediglich eine Art Geschäft auf Gegenseitigkeit. Sie hatte ein hübsches Foto von mir in ihren Vermittlungsunterlagen und durfte mich den Männern vorstellen, die sich mit mir verabreden wollten, und ich hatte dadurch die Chance, einen gut situierten und beziehungswilligen Mann kennenzulernen, ohne auch nur einen Franc Mitgliedsbeitrag zahlen zu müssen. Zumindest glaubte ich das anfangs noch.

Manchmal lud sie mich auch zu Partys oder Abendessen ein, weil es ihr an vorzeigbaren jungen Damen mangelte. So wie an diesem Abend.

Langsam stelzte ich auf hohen Absätzen durch die Menge, gemessenen Schrittes wegen des engen Rocks, und spähte vergebens nach bekannten Gesichtern.

Ein Ober, der mit einem Tablett herumging, bot mir Champagner an. Dankbar nahm ich ein Glas. Ich hatte es nötig, mir gute Laune anzutrinken.

Endlich fand ich Denise, eine kleine, vollbusige Dame in den Vierzigern mit herzlichem Lächeln und verschmitzten topasbraunen Augen. Als sie mich erblickte, wimmelte sie schnell ihren Gesprächspartner ab, kam lächelnd auf mich zu und küsste mir die Wangen.

„Nina, wie schön, dass du noch kommen konntest.“

„Yves hat in der letzten Minute abgesagt“, erklärte ich säuerlich. „Aber lange bleiben kann ich nicht. Ich muss morgen früh aufstehen, weil ich nach Genf fliege.“

Denise hatte mir Yves, der einen hohen Posten bei einer großen französischen Radiostation bekleidete, vor einem Monat vorgestellt. Er besaß eine Stimme wie Samt und Seide, die mich sofort bei seinem ersten Anruf schwach gemacht hatte, als er mich bat, ihn sofort zu treffen. Eigentlich war ich kein Freund solcher spontanen Rendezvous, schon gar nicht nach einem anstrengenden Arbeitstag, aber den Besitzer dieser Stimme hatte ich schnellstens kennenlernen müssen.

Auch vom Rest war ich alles andere als enttäuscht gewesen, nachdem er aus seinem Wagen gestiegen war, den er vor meinem Haus geparkt hatte, und mir entgegengelächelt hattee. Er war gertenschlank, mit sportlichem Schick gekleidet, besaß ein schmales, gebräuntes Gesicht und hellblaue Augen hinter einer Goldrandbrille. Etwas Sanftes, Liebevolles und zugleich respektvoll Distanziertes ging von ihm aus. Dazu diese sexy klingende Stimme und das dezente teure Herrenparfüm … Mich hatte auf den ersten Blick der Blitz getroffen.

Sein Alter war sein Geheimnis geblieben. Vierzig, hatte er Denise gegenüber behauptet, und sie hatte ihn nicht kränken wollen, indem sie seinen Ausweis verlangte, wie sie es meistens tat. Nicht um das genaue Alter festzustellen, sondern aus Sicherheitsgründen. Wir gaben ihm eher fünf Jahre mehr, aber das änderte nichts an seiner Ausstrahlung.

Yves war ein Verführer der zurückhaltenden Sorte. Statt sich schnellstmöglich auf meinen Körper zu stürzen, hatte er mich eine Weile schmoren lassen. Von da an war ich ihm verfallen gewesen. Leider war er noch verheiratet, wollte sich aber von seiner Frau trennen.

Er hatte Denise erzählt, dass er eine neue Beziehung suche, um den Mut zu finden, sich aus seiner lieblosen, nur noch auf dem Papier bestehenden Ehe zu lösen. Ich hatte das irgendwie rührend gefunden. Der ganze Mann hatte unter dem selbstsicheren, glatten Auftreten des erfolgsgewöhnten Geschäftsmannes rührend empfindsam gewirkt. Madame brauchte ihn nicht mehr; sie lebte den ganzen Sommer über in der Eigentumswohnung in einem schicken Urlaubsort der Bretagne. Der Sohn war neunzehn und ging eigene Wege. Yves hockte alleine in seinem großen Einfamilienhaus in Vincennes, nahe bei Paris. Wahrscheinlich hatte ihn eine akute Einsamkeitskrise in Denise‘ Agentur getrieben.

„Ich sehe da jemanden, den ich dir vorstellen möchte … Jean-Pierre!“ Denise nahm mich am Arm und zog mich durch die Menge.

Ein gut gekleideter, grauhaariger Mann in lässig-gelangweilter Haltung straffte sich und kam uns entgegen.

„Jean-Pierre ist Unternehmer“, zischelte sie mir ins Ohr, während sie bereits ein extrabreites Lächeln aufsetzte. „Er ist geschieden.“

Halleluja.

„Jean-Pierre, das hier ist Nina, von der ich dir erzählt habe. Sie ist Deutsche und lebt seit acht Jahren in Paris“, stellte Denise mich vor, während Jean-Pierre und ich uns artig die Hand gaben.

„Wo'er koomen Sie?“, fragte er höflich in gebrochenem Deutsch.

„Aus Berlin.“

„Ah! Ich war vor zwanzig Jahren mal dort. Eine interessante Stadt.“ Er sprach wieder Französisch. Selbst Franzosen, die fließend Deutsch sprachen, hielten es selten länger als drei Sätze durch.

„Da sollten Sie jetzt mal hinfahren. Sie werden es nicht wiedererkennen.“

„Das kann ich mir vorstellen. Es hat sich vieles verändert seit der Wiedervereinigung, nicht?“

„Das kann man wohl sagen.“ Ich unterdrückte ein Gähnen. Diesen Dialog führte ich im Durchschnitt einmal in der Woche. Andererseits wurde ich es auch nicht leid, über meine Heimatstadt zu sprechen. Im Exil, und war es auch freiwillig und in einer so traumhaften Stadt wie Paris, verklärte sich so manche Erinnerung.

„Warum sind Sie nach Paris gekommen? Wegen der Arbeit?“

„Nein, wegen der Liebe! Mein Exmann ist Franzose“, fügte ich hinzu. „Nach der Scheidung bin ich hier geblieben.“

„Ah. Da haben Sie aber sehr jung geheiratet“, meinte er charmant.

„Eigentlich nicht. Die Ehe hat nur nicht sehr lange gehalten.“ Warum kam es eigentlich immer wieder dazu, dass ich einem völlig Fremden die größten Dramen meines Lebens anvertraute? Warum ließ ich mich immer ausfragen, ohne mich selbst zu trauen, dem anderen ähnlich persönliche Fragen zu stellen? Aber wenn ich ihn ausfragte, würde er glauben, dass ich mich für ihn interessierte, vielleicht etwas von ihm wollte. Womöglich würde er dann anfangen, mich aufzureißen, und ich konnte zusehen, wie ich da wieder herauskam.

„Was machst du eigentlich in Genf?“, erkundigte sich Denise, um die stockende Konversation anzukurbeln.

„Ich fahre von Genf aus nach Evian. Da findet eine Wirtschaftskonferenz für deutsche und französische Topmanager statt.“

„Sind Sie Dolmetscherin?“, fragte Jean-Pierre.

„Nein, Assistentin der Geschäftsleitung bei Bosch Frankreich. Bosch Deutschland ist an der Organisation dieser Treffen beteiligt. Ich übersetze dabei zwar viel, aber für die Konferenzen gibt es natürlich professionelle Simultandolmetscher.“

Denise verdrückte sich mit einer gemurmelten Entschuldigung. Ich verharrte eine Weile bei Jean-Pierre, bekundete betont oberflächliches Interesse an seinem Leben, und wir betrieben höflich-distanzierte Konversation. Eines musste man Denise‘ Männern lassen: Sie waren alle Gentlemen, keine plumpen Aufreißer, und daher sehr angenehm im Umgang. Wenn sie selbstsichere Machos gewesen wären, hätten sie sich wahrscheinlich auch den teuren Mitgliedsbeitrag in einem solchen Club gespart. Das Bistro an der Ecke hätte es dann auch getan.

Außerdem ging es natürlich um Zeitersparnis. Diese Karrieremänner waren zu beschäftigt, um geduldig darauf zu warten, dass eine interessante Frau ihren Weg kreuzte, um die sie werben mussten, und womöglich das Risiko einzugehen, dass besagte Frau keine Partnerschaft wünschte.

Ich selbst ließ mich auch nur ungern in der Öffentlichkeit von wildfremden Männern ansprechen. Wusste man denn, an wen man da geriet? Wenn die Bekanntschaft durch Denise zustande kam, flößte mir das mehr Vertrauen ein. Ich wusste, dass sie die Kandidaten bereits auf Herz und Nieren geprüft hatte.

Jean-Pierre wirkte freundlich und aufrichtig. Leider wirkte er auch so, als könnte er der Jahrgang meiner Mutter sein. Offiziell nahm Denise nur Leute bis fünfzig auf. Manche sahen allerdings so aus, als seien sie schon seit zehn Jahren neunundvierzig.

„Wie findest du Jean-Pierre?“, fragte Denise, als wir uns etwas später zufällig im Waschraum trafen.

„Scheint nett zu sein.“

„Ihr solltet mal einen Abend miteinander verbringen. Kann ich ihm deine Telefonnummer geben?“

„Meinetwegen. Aber vorläufig habe ich keine Zeit.“

„Du solltest nicht zu lange zögern. Er ist eine gute Partie, nett und gut aussehend, so einer ist schnell weg.“

Ich zuckte die Schultern und wuschelte mit den Fingern meine überschulterlange blonde Mähne zurecht.

„Wie ist es eigentlich gestern mit Florian gelaufen?“

„Nicht so toll. Schien nicht an mir interessiert zu sein.“

„Vielleicht braucht er ein bisschen, bis er auftaut. Wie hat er dir gefallen? Er sieht fantastisch aus, oder?“

„Er sieht gut aus, aber der Funke ist eben nicht übergesprungen. Du weißt, dass ich in Yves verliebt bin, ich kann mich im Moment nicht für andere Männer erwärmen.“

„Ich habe kein sehr gutes Gefühl bei Yves. Du solltest dich nicht zu sehr auf ihn fixieren, Nina. Wenn er ernsthaft an dir interessiert wäre, hätte er es möglich gemacht, dich heute Abend noch einmal zu treffen, bevor du fast eine Woche verreist!“

Da hatte sie wohl recht. Noch dazu hatte sich Yves nicht einmal die Mühe gemacht, sich eine gute Ausrede einfallen zu lassen, und nur gesagt, er habe viel zu tun. Wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl war, dass er unsere Affäre beenden wollte. Doch ich wollte es nicht wahrhaben und erfand alle möglichen Erklärungen für sein gleichgültiges Verhalten.

„Immerhin hat er versprochen, mich in den nächsten Tagen anzurufen!“

„Vergiss Yves. Er ist ein Typ, der nicht weiß, was er will, und eine Menge Probleme hat. Ich werde für dich jemand anderen finden, jemand Besseren.“

Was wusste sie, was sie mir nicht direkt sagen wollte? Mit wie vielen anderen Frauen hatte sie Yves zusammengebracht, während ich zu Hause wie hypnotisiert auf mein Telefon gestarrt oder bei Verabredungen alle fünf Minuten auf mein Handy-Display geschielt hatte, weil ich auf einen Anruf von ihm hoffte, der nicht erfolgt war? Ich mochte sie nicht fragen. Ich wollte nicht aus meinem Traum gerissen werden.

Ich plauderte ein wenig mit einem fröhlichen Mann in ausgebeulten Cordhosen und kariertem Hemd, den ich am Anfang des Jahres kennengelernt hatte, als wir denselben Freizeitclub besuchten. Denise‘ Büro befand sich in den Räumen dieses Clubs. Sie hatte mich auf einer Veranstaltung im Sommer getroffen und kurz darauf kontaktiert, um mir ihren Vorschlag zu unterbreiten, wie wir uns gegenseitig nützlich sein könnten. Ich war mit Interesse auf ihr Angebot eingegangen, da mir die Vorstellung gefiel, künftig nur noch Männer höheren Niveaus kennenzulernen. Der Freizeitclub hatte wenig später ohnehin Pleite gemacht.

Ich sah verstohlen auf meine Armbanduhr. Es war erst halb elf. Aber egal. Ich langweilte mich, mir taten Füße und Rücken weh, morgen musste ich früh aufstehen und in Form sein, und wenigstens konnte ich um diese Zeit noch mit der Metro nach Hause fahren und sparte mir das Taxi.

Ich blickte mich verstohlen um, und da ich Denise nicht sah, ließ ich mir an der Garderobe meinen Mantel geben und verdrückte mich klammheimlich.

2

Am nächsten Morgen verließ ich unausgeschlafen um sieben Uhr meine Wohnung, äußerlich auf Business-Frau getrimmt, innerlich ein unglückliches Chaos.

Monsieur Figueredo, der portugiesische Chauffeur meines Chefs, wartete bereits mit der Limousine vor meinem Haus. Er nahm mir Laptop und Koffer ab – ein reichlich großer Koffer für fünf Tage, aber ich brauchte viel Garderobe –, hielt mir die Tür zum Fond auf und schloss sie hinter mir, bevor er mein Gepäck im Kofferraum verstaute.

Ich wohnte im Süden von Paris, ziemlich weit entfernt vom Flughafen Charles de Gaulle. Daher kam ich auch in den Genuss, zu manchen Anlässen von Monsieur Figueredo chauffiert zu werden – es war für die Firma günstiger als ein Taxi. Und mir war der freundliche, diskrete Portugiese bedeutend lieber als die oft rüpelhaften Pariser Taxifahrer.

Ich kuschelte mich in den Rücksitz des Renault Safrane und schloss die Augen, die noch leicht geschwollen waren. Wenn ich die Nacht mit Yves verbracht hätte, wäre mir der Schlafmangel gleichgültig gewesen. Ich wäre trotzdem in fantastischer Form gewesen.

Ich brauchte Yves‘ Nähe dringend und ertrug kaum die Vorstellung, ihn frühestens in einer Woche wiederzusehen. Wie sollte ich in meinem kläglichen Zustand die vielen Details der Konferenz überwachen, intelligente Gespräche führen, lächeln und Kompetenz und Umsicht ausstrahlen?

Als ich in der Nacht eingedöst war, hatte ich geträumt, dass mein Koffer bei Ankunft in Evian leer war und ich ohne passende Kleidung und Make-up dastand. Ein echter Albtraum und womöglich ein schlechtes Omen. Ich befürchtete, dass die Konferenz eine Katastrophe werden könnte. Das Hotel hatte vielleicht nicht genug Zimmer für die vielen Begleitpersonen des Bundeskanzlers, der am Freitag als Gastredner auftreten würde. Da es kein offizielles Staatstreffen war, sondern als private Veranstaltung betrachtet wurde, hatte niemand von uns damit gerechnet, dass Gerhard Schröder mit einem Begleittross von zwölf Leuten anreiste.

Bevor ich mir weitere Katastrophen ausmalen konnte, beschloss ich, lieber wieder an Yves zu denken.

Ich ließ unser erstes Rendezvous Revue passieren und unser zärtlich-leidenschaftliches erstes Mal zwei Wochen später. Nicht zu vergessen dieser romantische Abend Ende August, an dem er in seinem Wohnzimmer für mich Klavier gespielt hatte, bevor wir uns in seinem Whirlpool entspannt hatten. Na schön, im Whirlpool war er dann eingenickt, statt sich mit mir zu beschäftigen, aber er hatte eben einen anstrengenden Tag gehabt.

Ich blinzelte und sah die hässlichen Betontürme der nördlichen Pariser Vorstadt. Bis zum Flughafen war es nun nicht mehr weit.

Drei Stunden später nahm mich in Genf eine andere Limousine in Empfang, um mich nach Evian zu bringen. In Paris hatte es genieselt, doch hier schien die Sonne. Ich sah aufmerksam aus dem Fenster, als wir die Stadt durchquerten, und meine Laune begann sich zu bessern. Genf gefiel mir gut; es verband in meinen Augen französischen Charme mit Schweizer Distinguiertheit.

Während ich die berühmten Wasserspiele betrachtete, machten Nervosität und Beklemmung allmählich einer heiteren Ausgeglichenheit Platz. Ich hielt mir das Handgelenk an die Nase und atmete tief ein. In der Flughafenparfümerie hatte ich mir Habit Rouge von Guerlain aufs Handgelenk gesprüht, Yves‘ Parfüm. So nahm ich wenigstens seinen Geruch mit mir, wenn ich mich schon unaufhaltsam von ihm entfernte.

Vielleicht würde mir der Tapetenwechsel sogar guttun, mich auf andere Gedanken bringen. Tapetenwechsel und viel Arbeit waren für mich das beste Rezept, um Liebeskummer zu überwinden. Ich hatte auch keine Wahl, denn ich konnte mir Unkonzentriertheit nicht erlauben.

Die einmal jährlich stattfindenden deutsch-französischen Treffen in Evian, die sich um sozialpolitische und wirtschaftliche Fragen in Europa drehten, bedeuteten für uns Assistentinnen vier Tage Sklavenarbeit in goldenen Ketten. Morgens um sechs Uhr aufstehen, frühestens um Mitternacht todmüde ins Bett fallen, den ganzen Tag über unzählige Zwischenfälle managen und dabei unter ständiger Anspannung stehen, ob alles glattging. Topmanager und ihre Ehefrauen waren extrem anspruchsvolle Menschen.

Währenddessen wurde ich vom hervorragend geschulten Hotelpersonal selbst wie ein VIP behandelt – man brachte mir alles, was ich wünschte, auf einem Silbertablett. Umsichtige Zimmermädchen räumten meine Sachen auf, aufmerksame Kellner lasen mir jeden Wunsch von den Augen ab. Ich genoss es, einige Tage lang von vorne bis hinten bedient zu werden, gratis die leckersten Gerichte des Sterne-Kochs zu genießen und dazu ausgezeichnete Weine zu kosten.

Der Weg durch die gewundenen Landstraßen der Haute-Savoie dauerte anderthalb Stunden, aber die liebliche Landschaft entschädigte mich dafür. Alles so grün und friedlich. Ein wohltuender Kontrast zu Asphalt, Beton, Hektik und den vollen Zügen der Hauptstadt.

Vor der Kulisse des Genfer Seeslag Le Domaine du Royal Club Evian, ein wunderschöner Komplex von zwei First-Class-Hotels, dem Royal Evian und dem Ermitage, die durch einen gepflegten privaten Park mit zierlichen Brücken, kleinen Wasserfällen, verschlungenen Wegen und großen Wiesen miteinander verbunden waren. Es gab einen Swimmingpool, Tennisplätze und einen Golfplatz. Ein traumhaftes Fleckchen Noblesse, das – genau wie die Wasserquellen in Evian – dem Nahrungsmittel-Imperium Danone gehörte, dessen Konzernleitung der Hauptorganisator der deutsch-französischen Treffen war.

Dominique, die Assistentin des Konzernvorsitzenden, und ihre Kollegin Agnès waren bereits vor Ort, als ich am späten Vormittag im Hotel eintraf. Die beiden Assistentinnen des Geschäftsführers von Bosch Deutschland würden erst am nächsten Tag gemeinsam mit ihrem Boss anreisen.

Die Prominenz wohnte im Hotel Royal, das arbeitende Volk im Ermitage, wo auch die Konferenz stattfand. Das Ermitage hatte den anheimelnden Charme einer urig-eleganten Jagdhütte, und wir Assistentinnen fanden es viel gemütlicher als das Royal, wo alles sehr pompös war. Zu viele geraffte Vorhänge, Kristalllüster und überladene Dekorationen im Rokokostil.

Die Konferenzteilnehmer würden erst am nächsten Tag ankommen. Der heutige war den organisatorischen Vorbereitungen gewidmet. Bereitstellen der Namensschilder und Broschüren, Zuteilung der Zimmer sowie der Limousinen, die die Gäste vom Genfer Flughafen abholen würden.

Stunden später, nach hastigem Kofferauspacken und einem für französische Verhältnisse schnellen Mittagessen, stürzte ich mich in die letzte Etappe der aufwendigen Konferenzorganisation.

Dominique, Agnès und ich saßen mit dem Rezeptionschef des Hotel Royal auf der Terrasse des Ermitage und studierten die Namenslisten unserer VIPs.

Die Zimmervergabe war der kniffligste Teil der Vorbereitung. Wie in jedem guten Hotel gab es die verschiedensten Kategorien, und wir mussten die Entscheidung treffen, welcher VIP wirklich very important genug war, um eine Suite zu erhalten – und ob er Anrecht auf einen Ausblick auf den Genfer See hatte oder nur auf den Park –, und welchen man in ein normales „chambre double de luxe“ stecken durfte, womöglich lediglich mit Blick auf den Pool.

„Die beiden Botschafter bekommen je eine Suite mit Seeblick“, legte Dominique fest.

„Aber der deutsche Botschafter kommt mit seiner Frau und der französische allein“, gab Agnès zu bedenken. „Claude Martin wird sich kaum in seiner Suite aufhalten, das wäre Verschwendung, da kann er auch ein Doppelzimmer haben.“

„Du kannst nicht den deutschen Botschafter in eine Suite stecken und den französischen nicht!“

„Wir sind zu knapp mit Suiten, Dominique!“

„Hm, na schön. Also bekommen Herr und Frau Hartmann eine Suite mit Parkblick, und Claude Martin ein Doppelzimmer mit Seeblick, dann ist das einigermaßen gerecht.“

„Charles, haben wir genug Zimmer mit Seeblick?“

Der Rezeptionschef seufzte. „Mit Verlaub, der deutsche Bundeskanzler mit seinen Begleitern hat unsere Kapazitäten ziemlich geschröpft.“

„Fangen wir von hinten an“, beschloss Dominique. „Wer kommt allein und kann in ein Zimmer mit Blick zum Pool? Nina, wie sieht es mit Ihrem Herrn To-den-’öfer aus?“ Sie verrenkte sich fast die Zunge bei dem Namen.

„Mindestens Parkblick sollte schon drin sein. Er ist immerhin die Nummer Zwei des Konzerns“, meinte ich. „Aber Herrn Fischer, den können Sie in ein kleines Zimmer mit Poolblick stecken.“

Herr Fischer war der ehemalige, inzwischen pensionierte kaufmännische Leiter von Bosch Frankreich, der nur noch eine Beraterfunktion bei Bosch Deutschland ausübte. Er lebte jedoch in Paris, hatte ein Büro gegenüber von meinem und nutzte es schamlos aus, dass ich mit ihm die Treffen von Evian vorbereitete, indem er mir möglichst viel Arbeit aufdrückte, die eigentlich nicht zu meinen Aufgaben gehörte. Er war anstrengend, vom Typ Oberlehrer, und ich konnte ihn nicht besonders gut leiden.

Dominique grinste. „Gut, also die Besenkammer für Herrn Fischer, Charles.“

„Dieser Engländer könnte auch in ein Zimmer mit Poolblick“, meinte Agnès. „Der ist schließlich nur ein Berater von Tony Blair, niemand hat je von ihm gehört.“

So ging es weiter, bis wir allen Gästen eine passende Unterkunft zugeteilt hatten.

Es folgte die Planung, wann welche Limousine wen vom Flughafen abholen und ins Hotel bringen sollte. Genauso heikel, da man wissen musste, welche Personen schlecht aufeinander zu sprechen sowie erbitterte Konkurrenten waren und Ähnliches. Zeitlich musste es natürlich auch passen, man konnte nicht von einem Vorstandsvorsitzenden verlangen, dass er eine Stunde auf das Eintreffen eines anderen Konzernchefs wartete, damit das Auto voll wurde. Dummerweise waren die Ankunftszeiten in Genf quer über den Tag verteilt. Da die Limousinen mit Hin- und Rückweg und etwas Wartezeit am Flughafen drei bis vier Stunden beschäftigt sein würden und wir mit verfügbaren Wagen genauso knapp waren wie mit Hotelsuiten, bereitete auch diese Angelegenheit einiges Kopfzerbrechen.

Mein Handy klingelte. Yves!, durchzuckte es mich.

„Guten Tag, Nina, hier ist Denise. Wie geht es dir?“

„Ach, hallo.“ Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. „Entschuldige, aber es ist gerade ungünstig. Ich bin mitten in einer Besprechung.“

„Gehen Sie ruhig, Nina“, sagte Dominique großzügig. „Wir machen einen Moment ohne Sie weiter.“

Ich verzog mich auf die elegant geflieste Damentoilette, weil ich sicher war, dass ich mit Denise genau die Sorte von Gespräch führen würde, von dem mein berufliches Umfeld um Himmels willen nichts mitbekommen durfte.

„Ich habe da zwei neue Männer, die ich dir vorstellen möchte“, begann Denise.

Sie fing an mich zu stressen mit ihren vielen Männern. Dafür hatte ich im Moment wirklich nicht den Kopf. Ich beugte mich über das Waschbecken, um mir vor dem großen Spiegel mit einem Kleenex die glänzende Nase abzutupfen, während sie mich mit den Vorzügen eines Art Directors namens Alexandre zutextete.

„Der zweite heißt Christophe, ist dreißig, ein hübscher Kerl, der wirklich eine dauerhafte Bindung sucht und etwas aufbauen will. Er ist im Verkauf tätig, aber ein sehr gutes Niveau. Du weißt ja, meine Männer haben alle ein sehr gutes Niveau.“

„Kannst du mir das nicht erzählen, wenn ich wieder in Paris bin? Bis dahin habe ich es nämlich vergessen, bei allem, was ich hier um die Ohren habe.“ Ich versuchte, meine Haare zu glätten. Einzelne Locken hatten sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst und umrahmten wirr meinen Kopf.

„Ja, natürlich. Ich wollte es dir nur schnell erzählen, damit du dich darauf einstellen kannst.“

„Solange ich noch Hoffnung habe, dass aus dieser Geschichte mit Yves was wird, hab ich keine große Lust, jemand anderen zu daten.“

„Es wäre vielleicht nicht verkehrt, Yves ein bisschen wachzurütteln.“

„Was meinst du?“

„Solange er weiß, dass du abends brav zu Hause vor dem Fernseher hockst, braucht er sich ja keine Mühe zu machen.“

„Du meinst, ich soll ihm unter die Nase reiben, dass ich andere Männer treffe?“

„Genau. Und falls ihm das egal ist, solltest du mal darüber nachdenken.“

„Da hast du wohl recht“, murmelte ich. „Ich weiß ja nicht mal, ob wir in seinen Augen überhaupt zusammen sind.“

War man wirklich mit jemandem zusammen, der andauernd übers Wochenende wegfuhr, um es angeblich bei Freunden zu verbringen?

Und am vergangenen Sonntag, einem wunderschönen Spätsommertag, hatte Yves im Keller gehockt und Regale zusammengebaut. Scheinbar waren seine Finger davon so wund geworden, dass er meine Nummer nicht hatte wählen können, um zu fragen, was ich an diesem Tag machte. War das Zusammenbauen von Kellerregalen wichtiger als das Zusammensein mit einer Frau, mit der man zwei oder drei schöne Abende und Nächte gehabt hatte?

Hätte ich mir nicht mit Gewalt die rosarote Brille auf die Nase gesetzt, hätte ich gemerkt, dass da was faul roch. Mit knapp dreiunddreißig Jahren hatte ich bereits einige schlechte Erfahrungen mit Männern hinter mir.

„Sei nicht zu nachsichtig mit den Männern, Nina“, warnte Denise. „Sie sind es auch nur selten mit uns.“

„Stimmt schon“, gab ich zu. „Du hast recht, es kann vielleicht nicht schaden, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Wir telefonieren Anfang nächster Woche, und dann erzählst du mir mehr über die beiden.“

Ich ging auf die Terrasse zurück, ließ mir ein Perrier bringen und hörte mir die Diskussion darüber an, ob es nach der vor Kurzem gescheiterten Bankfusion eine gute Idee war, zwei deutsche Banker zusammen in eine Limousine zu setzen.

3

Es war Mitternacht, und ich lag in der Badewanne meines weiß-silber gekachelten Badezimmers, in dem die Heinzelmännchen während meiner Abwesenheit das Chaos von Schmink- und Pflegeutensilien säuberlich aufgeräumt hatten. Erschöpft, aber zufrieden schloss ich die Augen und tauchte wohlig in das warme, duftende Wasser ein. Was für ein Tag!

Den Großteil dieses Donnerstags hatte ich damit verbracht, in der zugigen Hotelhalle auf die Teilnehmer und Referenten zu warten, die nach und nach eingetrudelt waren. Meine Aufgabe hatte darin bestanden, die deutschen Prominenten zu erkennen, sie zu begrüßen und ihnen ihre Namensschilder und die Teilnehmerunterlagen zu überreichen.

Der Vormittag war ruhig verlaufen, es war nur ein französisches Pärchen eingetroffen, und wir hatten die Zeit genutzt, um mit dem Empfangs- und Restaurantpersonal Einzelheiten abzustimmen. Der nächste Gast, ein deutscher Professor, sollte erst in anderthalb Stunden eintreffen. Es war die einzige Chance, an diesem Tag zu einem Mittagessen zu kommen, und so gingen wir ins Ermitage hinüber.

Während wir dort auf der Terrasse den Lunch einnahmen, ertönte plötzlich das Geräusch eines näherkommenden Helikopters. Ich fühlte mich davon nicht betroffen und verzehrte mit Genuss mein Escalope savoyarde, aber Dominique und Agnès starrten sich entsetzt an.

„Scheibenkleister! Das muss Professor Issing sein! Der sollte doch erst in einer halben Stunde landen!“ Manche Leute vergaßen, uns mitzuteilen, dass sie ihren Flug umgebucht hatten.

Dominique und ich ließen die Gabeln fallen und rannten durch den Park zum Hotel Royal, auf dessen Wiese der Hubschrauber gerade zur Landung ansetzte. In dem Moment, als die Kufen den Rasen berührten, kamen wir atemlos in der Empfangshalle an und nahmen unsere Plätze hinter dem Tisch ein, der speziell für diese Veranstaltung aufgebaut worden war.

Von da an ging es Schlag auf Schlag. Ich schüttelte im Lauf des Nachmittags und Abends zahlreiche prominente Hände, vom deutschen Botschafter in Paris über den Chefredakteur der Zeit bis zu Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratsmitgliedern aus Industrie, Bank und Versicherung.

Zwei sportlich gekleidete junge Männer kamen von der Rezeption zu uns an den Tisch.

„Schönen guten Tag. Sie müssen Frau Rösler sein“, sagte der eine zu mir, ein hagerer, dunkelhaariger Schnurrbartträger.

„Bin ich. Und Sie sind ...?“

„Garber vom BKA Karlsruhe. Und das ist mein Kollege Bugmann.“

Bugmann war ein drahtiger Blonder.

Wir schüttelten uns die Hände.

„An der Rezeption sagte man uns, dass Sie uns helfen könnten – sprachlich gesehen. Unser Französisch ist nämlich nicht gerade fließend.“

„Gerne. Was steht an?“

„Wir müssen einen Sicherheitsrundgang durch das Hotel machen. Wir wollen einen Hotelangestellten dabei haben, der sich mit der Security auskennt. Können Sie das für uns am Empfang regeln? Und Sie brauchen wir dann zum Übersetzen.“

„Hm, ich soll hier eigentlich die Stellung halten, um die deutschen Gäste zu begrüßen.“ Ich erklärte Dominique die Sachlage.

„Wer kommt denn als Nächstes?“ Sie blätterte in ihren Unterlagen. „Monsieur Dormann von Hoechst – den kenne ich, der war letztes Jahr schon hier, außerdem spricht er Französisch. Und Monsieur Fischer, na, das ist sowieso kein Problem. Gehen Sie ruhig, Nina.“

So war ich in der nächsten Stunde damit beschäftigt, mit den beiden Beamten vom Bundeskriminalamt, einem Hotelangestellten und einem Bombenspürhund kreuz und quer durch das Hotel zu laufen und zu dolmetschen, was es zu dolmetschen gab. Vom Keller bis zum Dachgeschoss wurde alles genauestens untersucht. Solchen Aufwand gab es nicht jedes Jahr; es waren spezielle Sicherheitsmaßnahmen für den Bundeskanzler. Dieser nahm nicht an den eigentlichen Treffen teil, sondern würde erst morgen als Gastredner beim Abendessen auftreten.

Auf diese Weise durfte ich die Präsidentensuite besichtigen, die für ihn reserviert und größer als meine Wohnung war. Von der riesigen Fensterfront aus sah man den Genfer See vor der Kulisse der begrünten Berge. Zartblau lag er da, geschmückt mit vielen winzigen, weißen Segeln. Die Jachten blitzten in der goldenen Nachmittagssonne.

Ich stieß einen verzückten Seufzer aus. „Wenn ich einmal nicht zum Arbeiten hierher könnte!“

Garber lachte. „Sie stehen doch auf Du und Du mit der Direktion von Danone, vielleicht spendieren die Ihnen noch ein paar Tage hier. Diese Suite ist ab Samstagmittag ja wieder frei.“

„Und Sie glauben, die lassen eine kleine deutsche Assistentin in derselben Suite wohnen, in der auch schon Bill Clinton und Königin Elizabeth II. übernachtet haben?“

„Ach, Clinton war auch schon hier? Welche Frau hatte er denn dabei?“

Die beiden BKA-Beamten hatten einen trockenen Humor, das machte die Zusammenarbeit angenehm. Weniger angenehm war, dass sie unsere mühevoll erarbeitete Zimmerverteilung durcheinander brachten, weil sie die Bodyguards des Kanzlers in den angrenzenden Zimmern einquartieren wollten. Sie verlangten einen Generalschlüssel für die ganze Etage.

Als ich, erhitzt vom vielen Laufen durch das Hotel, meinen Platz am Empfang wieder einnahm, kam der Vorstandsvorsitzende der Hoechst AG im weißen Bademantel die breite, gewundene und teppichbelegte Treppe heruntergeschwebt. „Wo is’n hier der Swimmingpool?“, fragte er mich lässig. Attraktiver Mann, groß und schlank, sehr blaue Augen und ein reifer Charme. Er hätte glatt zu Denise‘ Agentur gehören können.

Ich begleitete ihn zum Swimmingpool und spürte leises Bedauern, dass er kein Kunde von Denise war und wir beide privat hier waren. Dann hätte ich jetzt mit ihm in den einladenden Pool springen können, statt mir weiter die Beine in den Bauch zu stehen. Meine Füße schmerzten bereits.

Herr Fischer wieselte aufgeregt um mich herum und bat mich sogar auf sein Zimmer, um mich zum Verlauf der Dinge zu interviewen.

Ich war froh, als bald darauf genug Topmanager im Hotel waren, um die er herumwieseln konnte, so dass ich für ihn uninteressant wurde.

Bis einundzwanzig Uhr waren fast alle Teilnehmer eingetroffen und begaben sich nach und nach zum Begrüßungsessen ins Hotelrestaurant, wo ein exquisites Büffet wartete. Mir war bereits vor einigen Wochen beim Übersetzen der Speisekarte das Wasser im Mund zusammengelaufen. Nachdem nun alle deutschen Teilnehmer vor Ort waren, konnte ich es mir erlauben, ebenfalls essen zu gehen und die Delikatessen zu kosten.

Ich aß in Gesellschaft der Assistentinnen, Dolmetscherinnen und Bodyguards.

Als ich mich um halb zwölf endlich in mein Zimmer zurückziehen konnte – so spät mussten wir nicht mehr durch den Park laufen, sondern wurden von einem Hotelpagen ins Ermitage gefahren –, war ich fix und fertig. Am liebsten wäre ich sofort ins Bett gesunken, zumal ich in sechs Stunden bereits wieder aufstehen musste, aber ich wollte mir unbedingt noch die Haare waschen. Das heiße Wasser war eine Wohltat, und fast wäre ich in der Wanne eingeschlafen. Zufrieden stellte ich fest, dass ich den ganzen Tag kaum an Yves gedacht hatte.

4

Spät am Vorabend war auch die Dekoration des Konferenzsaals im Ermitage fertiggestellt worden, und bevor wir ins Bett gegangen waren, hatten wir uns vergewissert, dass alles in Ordnung war. Dominique und Agnès waren zufrieden. Prachtvolle Blumenarrangements thronten zwischen den in U-Form aufgebauten Tischen, und an der Wand prangte zwischen der deutschen und der französischen Flagge der Schriftzug „Deutsch-Französisches Treffen 1999“ in beiden Sprachen.

Während am Freitagmorgen das Treffen offiziell begann, trippelte ich hinter Garber und Bugmann her und dolmetschte ihre Gespräche mit der Ortspolizei von Evian, der Gendarmerie, dem Sicherheitspersonal des Hotels und den französischen Geheimdienstagenten, die ebenfalls Quartier bezogen hatten – unauffällig, wie es sich für den Geheimdienst ziemte. Dessen Anwesenheit erklärte sich damit, dass sich an diesem Nachmittag der französische Minister für Wirtschaft, Finanzen und Industrie, Dominique Strauss-Kahn, zu der illustren Runde gesellen würde, zusammen mit seiner Gattin Anne Sinclair, einer in Frankreich sehr bekannten und beliebten Nachrichtensprecherin und Journalistin.

Wir Assistentinnen, zu denen nun auch Frau Michalski und Frau Brückner von der Bosch-Geschäftsleitung gehörten, hatten den Tisch in der Hotelhalle des Royal verlassen und das kleine Büro neben dem Konferenzsaal des Ermitage bezogen. Dort bauten wir unsere Laptops auf, um unsere Unterlagen auf dem neuesten Stand halten zu können, nahmen telefonische Nachrichten für die Teilnehmer auf und gaben ihre diversen Extrawünsche an das Hotelpersonal weiter.

Am Freitagnachmittag wuchs die Spannung von Stunde zu Stunde. Dominique Strauss-Kahn und Anne Sinclair waren mit dem Helikopter auf der Wiese des Hotels gelandet und dort von der Danone-Geschäftsleitung abgeholt und begrüßt worden. Der Minister wurde sofort in den Konferenzsaal geleitet, wo er zum Abschluss des Tagesprogramms eine Ansprache halten würde. Danach konnten sich die Teilnehmer auf ihre Zimmer zurückziehen, um sich für das Konzert um zwanzig Uhr und das anschließende Abendessen frisch zu machen.

Für mich galt das Gleiche. Ich raste ins Ermitage zurück – immerhin würde ich von der gehaltvollen Küche der Savoie nicht zunehmen, so oft, wie ich durch diesen Park rannte –, duschte in aller Schnelle, frischte mein Make-up auf, schlüpfte in mein königsblaues Cocktailkleid und eilte mit schmerzenden Füßen in hochhackigen Abendsandaletten zurück ins Royal.

Während Herr Fischer, Frau Brückner und Dominique im Restaurant hockten und an der Tischordnung feilten – das war eine hochpolitische, heikle Angelegenheit, zu der ich nichts beitragen konnte –, drängten sich die Gäste im Konzertsaal, aus dem klassische Musik erklang. Danach füllte sich die Eingangshalle mehr und mehr mit Neugierigen, die auf die Ankunft des Bundeskanzlers warteten. Auch Geheimdienstagenten und Polizisten in Zivil waren darunter. Garber und Bugmann, jetzt ebenfalls in Anzügen, liefen mit Funkgeräten in der Hand auf und ab.

Gerhard Schröder war vor einer Stunde in Genf gelandet und sollte in Kürze mit seiner polizeibegleiteten Limousine im Hotel eintreffen.

„Der Kanzler ist jetzt auf zwei Kilometer Entfernung“, bekamen wir über Funk durch. „Noch ein Kilometer.“ „Fünfhundert Meter …“ Es war wie das Zählen am Silvesterabend um kurz vor Mitternacht.

Endlich erhellten vor dem Hoteleingang Autoscheinwerfer und grelle Lampen die Dunkelheit.

Dann ging alles sehr schnell. Ich hielt mich im Hintergrund des Menschenauflaufs und fiel fast in einen der riesigen Blumenkübel, als die Menge zurückdrängte, um Platz zu machen.

Schröder rauschte durch die Halle, zwischen seinem Berater, seinem persönlichen Dolmetscher und seinen Bodyguards. Auch auf High Heels war ich nicht groß genug, um alles zu überblicken, und bekam bloß seine Stirn zu sehen. Er zog sich sofort auf seine Suite zurück und bestellte beim Zimmerservice eine Zigarre.

Minuten später kamen Garber und Bugmann auf mich zugeschossen und zogen mich zum Empfang. „Wir brauchen Sie zum Dolmetschen. In der Badewanne liegt eine Frau!“

„In der Wanne des Kanzlers?“, fragte ich mit aufgerissenen Augen. Das Hotel Royal gehörte sicher nicht zu den Etablissements, die männlichen Gästen solche Wünsche erfüllte.

„Nein, in der Wanne einer seiner Bodyguards! Wie konnte das denn passieren, Mensch?!“

Frau Michalski, die neben mir gestanden hatte, folgte uns an die Rezeption. „Sagen Sie das bloß nicht meinem Chef, der geht an die Decke, wenn er von so einem Zwischenfall hört“, sagte sie nervös.

Es stellte sich heraus, dass die BKA-Männer selbst mit ihrer eigenmächtigen Zimmerumverteilung einiges durcheinander gebracht hatten. Und mit ihrem Generalschlüssel hatten sie dem Personenschützer Zutritt zu dem bereits bewohnten Zimmer verschafft.

Der Empfangschef Charles stellte fest, dass es sich um eine Mitarbeiterin eines der hochrangigen Teilnehmer handelte.

„Die Dame muss da raus!“, erklärte Bugmann kategorisch.

„Die Dame bleibt da drin!“, sagte Charles energisch.

„Sie muss raus!“

„Unmöglich.“

Ich übersetzte hin und her, und mein Kopf flog wie bei einem Tennismatch von links nach rechts. Eindeutig ging es hier um Frankreich gegen Deutschland.

„Darf die Dame denn wenigstens noch zu Ende baden?“, schaltete sich Frau Michalski mit sanfter Stimme ein.

Garber blickte sie zwei Sekunden lang verblüfft an, dann brach er in schallendes Gelächter aus.

Er entschied, dass die Frau ihr Zimmer behalten durfte, da sie zur Veranstaltung gehörte.