Das Erbe der Silverstones - Sabine Strick - E-Book
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Das Erbe der Silverstones E-Book

Sabine Strick

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Beschreibung

Wenn die Vergangenheit dich plötzlich einholt …
Ein Liebesroman für Fans von spannenden Familiengeheimnissen

Besser kann das Leben kaum werden! Als junger Hotelerbe kümmert sich Michael um die Luxushotels seiner Familie in Südengland, Rio de Janeiro und Dubai. Sein Glück wird vollkommen, als er die warmherzige Lebenskünstlerin Stephanie kennenlernt und die beiden ein Paar werden. Doch Michael hegt schon länger den Verdacht, dass es in seiner Familie ein düsteres Geheimnis gibt, dessen Ursprung in seiner Kindheit liegen muss. Im Landhaus seiner Großmutter in Devon findet er Briefe, die genau das bestätigen. Dann zeigt sich, dass die Vergangenheit noch eine Rechnung mit ihm offen hat, denn sein Vater erhält ein mysteriöses Erpresserschreiben, dem Michael auf den Grund gehen will. Ihm wird klar, dass er sich mit Stephanie an seiner Seite den Dämonen seiner Vergangenheit stellen muss …

Erste Leser:innenstimmen
„Sehr spannend, ich konnte es bis zum Schluss nicht zur Seite legen!“
„Eine wundervolle Familiensaga mit viel Herzschmerz, viel Spannung und Action vor der malerischen Kulisse Cornwalls.“
„Der Schreibstil von Sabine Strick gefällt mir sehr gut, das Buch reißt einen vollkommen mit!“
„Die Geschichte ist romantisch, spannend, geheimnisvoll und berührend. Eine wunderbare Lektüre, die ich gerne weiterempfehle!“

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Seitenzahl: 496

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Über dieses E-Book

Besser kann das Leben kaum werden! Als junger Hotelerbe kümmert sich Michael um die Luxushotels seiner Familie in Südengland, Rio de Janeiro und Dubai. Sein Glück wird vollkommen, als er die warmherzige Lebenskünstlerin Stephanie kennenlernt und die beiden ein Paar werden. Doch Michael hegt schon länger den Verdacht, dass es in seiner Familie ein düsteres Geheimnis gibt, dessen Ursprung in seiner Kindheit liegen muss. Im Landhaus seiner Großmutter in Devon findet er Briefe, die genau das bestätigen. Dann zeigt sich, dass die Vergangenheit noch eine Rechnung mit ihm offen hat, denn sein Vater erhält ein mysteriöses Erpresserschreiben, dem Michael auf den Grund gehen will. Ihm wird klar, dass er sich mit Stephanie an seiner Seite den Dämonen seiner Vergangenheit stellen muss …

Impressum

Erstausgabe Dezember 2022

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-516-4 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-530-0

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock: © buffaloboy2513, © Heartwood Films, © Uhryn Larysa, © Bernulius, © Kristyna Henkeova stock.adobe.com: © mimadeo elements.envato.com: © PixelSquid360 Lektorat: Regina Meißner

E-Book-Version 28.02.2024, 11:15:22.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Das Erbe der Silverstones

Playlist

The Girl From Ipanema – Stan Getz, João Gilberto, Astrud Gilberto

Feel – Robbie Williams

Remember Me – Cliff Richard

Free – Michael Jackson

Someone Like You – Adele

Enquanto A Gente Batuca – Beth Carvalho

Mais Que Nada – Sergio Mendes & Brasil 66

Rafael – Beatenberg

Don’t You (Forget About Me) – Simple Minds

(I Like) The Way You Love Me – Michael Jackson

Kir Zincirleri – Tarkan

Nour El Ein – Amr Diab

Miss You Nights – Cliff Richard

Te amo – Olodum

Against All Odds – Phil Collins

Shallow – Bossa Bros

Desert Rose – Sting, Cheb Mami

Dubai Nights – Dirk Sandberg

Perfect – Ed Sheeran

Love Never Felt So Good – Michael Jackson

Samba De Janeiro – Bellini

Heartbreak Hotel – Elvis Presley

Father Figure – George Michael

La Vida Es Un Carnaval – Celia Cruz

Samba Reggae – Jimmy Cliff

Always Remember Us This Way – Lady Gaga

Dubai Nights – A Touch of Oriental Mix – Café Americaine

Ain’t No Sunshine – Nara, bossa Bros

Hey Brother – Avicii

Do You Remember? – Phil Collins

My Father’s Eyes – Eric Clapton

Human – Rag’n’Bone Man

She’s The One – Robbie Williams

The Boy From Ipanema – Diana Krall

This Place Hotel – Michael Jackson

Home – Michael Bublé

Sábado em Copacabana – Lio 

You’ll Be in My Heart – Phil Collins

Desafinado – João Gilberto

Bailando – Pablo Cepeda 

The Girl From Ipanema – Frank Sinatra, Antonio Carlos Jobim

1

Rio de Janeiro, 1989

Micaels Herz klopfte so heftig, dass es seine Brust zu zerreißen drohte, als er auf seinen kurzen Beinchen so schnell er konnte an Wellblechhütten und Holzverschlägen vorbeirannte, vor denen finstere Gestalten hockten. Ihm wurde klar, dass er in einer von Rios zahlreichen Favelas sein musste, aber er hatte keine Ahnung, wie er da herauskommen und nach Hause finden konnte, zu dem schönen großen Hotel, in dem er lebte. Er wollte zurück zu seiner Mutter, sich in ihre Arme kuscheln und ihr vertrautes Parfüm riechen. Wo war sie? Warum war sie nicht gekommen, um ihn zu holen? Nur mit Mühe konnte er die Tränen unterdrücken, die er seit dem Vortag zurückhielt.

Seine Lunge schmerzte vom Rennen und er bekam kaum noch Luft. Dennoch musste er weiterlaufen, damit der Mann und die Frau, die ihn gefangen gehalten hatten, nicht einholen und erneut einsperren konnten.

Die Beine gaben unter Micael nach, er strauchelte und fiel in eine Pfütze. Da bemerkte er den brennenden Durst in seiner Kehle, schöpfte hastig mit seinen kleinen Händen das dreckige Wasser und trank davon.

„Hey, Kleiner, was ist los mit dir?“ Er wurde von kräftigen Händen gepackt und auf die Füße gestellt. Micael starrte auf einen Mund voller Zahnlücken. Augen hart wie Stahl musterten abschätzend seine Kleidung, die zwar verschmutzt war, aber intakt und von sichtlich guter Qualität. „Du bist doch nicht von hier, oder?“

Micael schüttelte den Kopf, riss sich los und lief weiter. Er fröstelte, obwohl die Nachtluft mild war. Es waren Müdigkeit, Erschöpfung und Angst, die ihn frieren ließen. Doch er konnte sich nicht erlauben, ein Plätzchen zum Ausruhen zu suchen. Seine Mutter hatte ihn stets vor den Gefahren gewarnt, die in seiner Heimatstadt lauerten. Sie würde aufgebracht sein, weil er sich von Fremden hatte ansprechen lassen, die ihn und seinen Bruder nur wenige Meter vom Hotel entfernt in ein Auto gezerrt hatten, als die Nanny einen Moment lang nicht aufgepasst hatte. Und vor allem würde sie böse sein, weil er Rafael bei den Fremden zurückgelassen hatte. Doch sein Zwillingsbruder hatte fest geschlafen und nicht reagiert, als Micael ihn angestupst hatte. Bis er zu sich gekommen wäre, wäre die Gelegenheit womöglich vorbei gewesen. Micael hatte sich gesagt, dass er schnell entwischen und mit seinen Eltern zurückkehren würde, um Rafael da herauszuholen. Aber was, wenn er die Hütte nicht wiederfand oder Rafael inzwischen nicht mehr dort war? Sein Vater würde ihm den Hintern versohlen, so viel war sicher. Und seine Mutter würde heftig weinen, weil Rafael weg war. Bei diesen Gedanken liefen Micael nun doch Tränen über die kindlich runden Wangen. Er schluchzte kurz auf, wischte die Tränen mit dem Handrücken weg und stolperte weiter durch die Nacht.

Als es heller wurde und er besser sehen konnte, bemerkte er, dass die abgerissenen Hütten in Häuser aus Stein übergegangen waren und die Lehmwege in asphaltierte Straßen, in denen nur wenige Menschen geschäftig ihrer Wege gingen und sich nicht um ihn kümmerten. Er kletterte auf eine niedrige Mauer, stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte sich suchend nach dem Meer um. Sein Zuhause lag direkt am Strand von Ipanema, er würde nur am Wasser entlanglaufen müssen und wäre wieder daheim.

Aber so sehr er auch Ausschau hielt, er konnte das Meer nicht entdecken. In der Ferne erblickte er immerhin den Corcovado mit der Christus-Statue, den er vor Kurzem mit seinen Eltern besichtigt hatte. Er erinnerte sich, dass dahinter der Zuckerhut auf seiner winzigen Halbinsel vor der Küste lag – wenn er den Berg fand, wäre er am Meer. Außerdem gab es an beiden Orten viele Touristen, die fotografierten und sich von Taschendieben bestehlen ließen. Sicher würde ihm von denen weniger Gefahr drohen als von seinen Landsleuten in den Favelas und sie würden ihm helfen. Micaels Vater war Engländer, daher hatte er Vertrauen zu Menschen, die aus dem Ausland kamen, um sich Rio anzusehen. So orientierte er sich in Richtung des Corcovado, schlief in einem versteckten Winkel eines Hauses einige Stunden, stahl vor Hunger etwas zu essen von einem Straßenhändler und sprang schließlich in einen Bus, von dem er hoffte, dass er ihn an sein Ziel bringen würde. Dann legte sich eine Art Nebel über alles.

Brighton, 2017 

Vor Michael Silverstones Augen verblasste die Vision des Zuckerhuts langsam, als er aus dem Fenster auf den üppig begrünten Hotelgarten hinunterstarrte, dessen Friedlichkeit in so scharfem Kontrast zu seinem düster-bedrohlichen Traum stand. Der vielmehr eine Erinnerung war. Eine der ersten längeren Erinnerungen seines Lebens musste ausgerechnet die seiner Entführung sein.

Er atmete tief durch und zwang sich, geistig wieder in das luxuriös eingerichtete Büro seiner Mutter zurückzukehren, in dessen Besprechungsecke sie saßen, um dem Gespräch zwischen ihr und seiner jüngeren Schwester Claudia zu folgen. Sie diskutierten seit mindestens zehn Minuten darüber, ob sie das Zimmermädchen entlassen sollten, das sich ungefragt ein Partykleid von einem Hotelgast ausgeliehen hatte, um sich damit ins Nachtleben von Brighton zu stürzen. Auch wenn sie das Kleid am nächsten Tag gereinigt zurückgebracht hatte, war die Sache aufgeflogen und hatte bei der Dame der High Society, die im Fünfsternehotel Silverstone Brighton logierte, verständlicherweise für Unmut gesorgt.

„Sag endlich auch mal was dazu, Micael“, forderte seine Mutter Mariana ihn auf und schlug die schlanken Beine übereinander. „Sollten wir …“ Sie unterbrach sich plötzlich und blickte Michael prüfend an. „Hattest du letzte Nacht wieder den Traum?“

Er nickte und runzelte gleich darauf die Stirn. „Woran hast du das gemerkt?“

Sie seufzte und strich sich die langen schwarzbraunen Haare zurück. „Ich sehe es dir einfach an, querido.“

Michael betrachtete seine Mutter nachdenklich. Sie war eine attraktive Frau und sah bedeutend jünger aus als einundfünfzig. Besonders seit sie vor einigen Monaten aus Rio de Janeiro zurückgekehrt war, wo sie ein minimal-invasives Lifting hatte vornehmen lassen, wie sie es genannt hatte. Seitdem lag ihre seidige hellbraune Haut wieder straff über den bereits früher vom Schönheitschirurgen perfekt verfeinerten Zügen.

Michael war stolz auf seine Mutter, doch es war ein merkwürdiges Gefühl, dass Mariana nun als seine ältere Schwester durchging. Hingegen hatten auch die besten plastischen Chirurgen nicht die Spuren von Trauer und Bitterkeit tilgen können, die die Tragödie von Rafaels Verschwinden um ihren sinnlichen Mund und in den dunklen Augen eingegraben hatte. Aber vielleicht konnte auch nur er das sehen, weil ihn die gleichen Erinnerungen quälten. Und ihn in unregelmäßigen Abständen im Traum durch eine Favela hetzen ließen.

Doch das war über siebenundzwanzig Jahre her, und es verstörte ihn, dass ihn diese Alpträume nicht endlich losließen. Gerade so, als wolle sein als vermisst geltender Zwillingsbruder ihn immer wieder an seine Existenz erinnern.

Michael rieb sich konzentriert mit den Fingerspitzen über die Stirn, und es gelang ihm, den verängstigten fünfjährigen Jungen hinter sich zu lassen und in den Modus des stellvertretenden Hotelleiters zu schalten. „Wir werden Heather nicht kündigen, sondern es bei einer Abmahnung belassen“, bestimmte er. „Ich rede mit ihr und auch mit dem Gast. Heather wird sich entschuldigen und damit hat es sich. Sie arbeitet immerhin schon seit fünf Jahren für uns, und wir waren immer zufrieden mit ihr. Ich weiß nicht, was sie geritten hat, aber ich fände eine sofortige Kündigung zu hart.“

„Du bist zu weich, Michael“, kritisierte Claudia. „Im Gran Hotel Lisboa würde das nicht durchgehen, João hätte sie sofort gefeuert.“ Ihre graublauen Augen, die einen faszinierenden Kontrast zu ihrer beigebraunen Haut und den dunklen Augenbrauen bildeten, funkelten.

„Ich bin nicht dein Mann und dies hier ist das Silverstone Brighton, nicht euer Hotel in Lissabon – ich lege Wert darauf, dass unsere Angestellten fair behandelt werden“, stellte Michael klar und strich sich eine dunkle Locke aus der Schläfe, die sich aus seinen im Nacken zusammengebundenen Haaren gelöst hatte.

„Noch hat aber Dad das Sagen und nicht du“, trumpfte sie auf. „Und er wird sie rausschmeißen, wenn er von der Sache erfährt.“ Ihre scharfgeschnittenen Züge, die sie vom Vater geerbt hatte, verhärteten sich.

„Untersteh dich, ihm davon zu erzählen! Du interessierst dich doch auch sonst nicht für die Angestellten, warum mischst du dich nur ein, wenn du jemandem eins auswischen kannst? Außerdem untersteht die Personalabteilung mir und nicht Vater.“ Er fragte sich kopfschüttelnd, warum seine Schwester mit den Jahren immer boshafter wurde.

„Kinder, fangt nicht an zu streiten“, warf Mariana müde ein. „Mach es so, Micael, rede mit Lady Ashburn und lass deinen Charme spielen. Sie wird hoffentlich nicht auf einer Kündigung bestehen. Ihr Kleid ist ja nicht zu Schaden gekommen. Aber Heather werde ich ins Gewissen reden, ich denke, ich kann da deutlicher werden als du.“

„Gut.“ Michael warf einen Blick auf seine weißgoldene Rolex.

Claudia blickte ihren Bruder an. „Kommst du nachher mit ins Lakota? Freunde von mir haben dort einen Tisch reserviert.“

Michael zögerte. Er hatte nicht viel übrig für mondäne Clubs und für Claudias versnobte Freunde noch viel weniger. „Ich bin kaputt, ich arbeite schon die ganze Woche praktisch Doppelschicht, seit der Empfangschef krank ist. Ich muss noch bis zweiundzwanzig Uhr unten weitermachen und möchte dann gleich ins Bett.“

„Ach, du bist so langweilig“, murrte sie und verzog geringschätzig die schmalen Lippen.

„Wenn ich wie du jeden Morgen bis in die Puppen schlafen könnte, würde ich mir auch die Nächte in Clubs um die Ohren schlagen“, entgegnete er mit ungewöhnlicher Schärfe.

Seine leise Kritik prallte an Claudia ab, sie lachte nur und warf mit Schwung ihre schulterlangen mokkabraunen Haare zurück. „Einer muss ja das Geld für die Familie verdienen – danke dir, Brüderchen.“ Sie hauchte einen Kuss in seine Richtung. „Übrigens habe ich gehört, dass Amber Lyndhurst heute Abend auch kommen will. Sie ist übers lange Wochenende in Brighton.“

„Ein Grund mehr für mich, nicht mitzugehen“, brummelte Michael.

Mariana, die das Geplänkel zwischen ihren Kindern aufmerksam verfolgt hatte, warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ein Grund mehr für dich, hinzugehen“, korrigierte sie sanft, aber bestimmt.

Seine Stirn kräuselte sich. „Du weißt genau, dass ich nichts von ihr will. Und heiraten will ich sie schon gar nicht.“

„Micael“, begann Mariana und setzte sich aufrecht in ihrem Sessel hin. Sie war die Einzige, die ihn noch bei der portugiesischen Version seines Namens nannte und in seiner Muttersprache mit ihm sprach. Selbst mit seiner Schwester redete er fast immer auf Englisch. „Du bist jetzt zweiunddreißig, du solltest langsam dran denken, eine Familie zu gründen. Und du magst doch Kinder.“

„Ich will aber keine in die Welt setzen, nur damit ihr einen weiteren Erben für die Hotels bekommt“, erwiderte er verärgert. „Ich will keine Vernunftehe eingehen. Ich weiß noch nicht mal, ob ich überhaupt heiraten will.“

„Querido, es macht mir Sorgen, dass du dich so wenig für Frauen interessierst. Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?“

„Aber nein! Ich interessiere mich nicht für Männer, falls du das meinst.“

„Es wäre ja nicht schlimm, Liebling. Nur …“

„Für Vater schon“, warf Michael ironisch ein.

„Nun ja, du weißt, er ist sehr traditionell …“ Unruhig rang sie ihre mit kostbaren Ringen geschmückten schmalen Hände.

„Mama, ich liebe Frauen. Ich habe nur noch nicht die Richtige getroffen. Ende der Diskussion, okay?“

„Du müsstest eben mehr ausgehen, um welche kennenzulernen. Du hockst immer nur im Hotel. Geh aus, flirte, tobe dich aus. Und dann heiratest du Amber. Oder Kate Wiseman.“

Michael verdrehte die Augen. „Bitte lass mich mit diesem Thema in Ruhe.“ Er erhob sich brüsk. „Ich muss an der Rezeption nach dem Rechten sehen.“

Gefolgt von Claudia durchquerte Michael die elegante Eingangshalle des Hotels. Vor der Empfangstheke aus Mahagoni sah er seinen Vater stehen, einen silberhaarigen Mann von imposanter Statur, der mit einer blonden Frau redete. Michael konnte nicht verstehen, was er zu ihr sagte, aber seine strengen Gesichtszüge wiesen darauf hin, dass es nichts Liebenswürdiges war. Dann wandte er sich ab und schritt in Richtung der Aufzüge. Sie starrte ihm hinterher, das hübsche, herzförmige Gesicht leicht verstört.

Schnell trat Michael auf sie zu. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich weiß nicht.“ Die junge Frau strich sich eine lange Haarsträhne aus der Stirn und blickte zu ihm auf. „Ich habe mich mit einer Frage an die Rezeption gewandt, und man verwies mich an diesen Herrn im grauen Anzug, der gerade dort stand. Aber er hat sich als eher unangenehmer Zeitgenosse entpuppt und hat mich abblitzen lassen.“

Ein Lächeln zuckte um Michaels Lippen. „Das ist unser Hoteldirektor, er kann manchmal etwas ruppig sein. Sie sind kein Gast, oder?“ Mit einem Gast wäre sein Vater nie so unhöflich umgesprungen.

„Nein. Ich bin Autorin und suche jemanden, der mir einige Recherchefragen beantworten kann. Ich habe deswegen bereits eine Mail an Ihre Pressestelle geschrieben, habe aber noch keine Antwort erhalten. Und da ich gerade hier vorbeigekommen bin, dachte ich, ich frage einfach mal persönlich nach.“ Sie lächelte ihn entwaffnend an, und Michael war wie gebannt von ihren sanften Zügen und der positiven Ausstrahlung, die sie umgab.

Dann fiel ihm etwas ein. „Sind Sie Stephanie Wellington?“

„Ja, genau.“

„Ihre Anfrage liegt in meinem E-Mail-Postfach. Tut mir leid, ich bin noch nicht dazu gekommen, sie zu beantworten, ich war diese Woche sehr beschäftigt.“

„Macht nichts – mir ist klar, dass Sie bestimmt Wichtigeres zu tun haben, als sowas zu beantworten.“

In der Tat. Michael hatte eigentlich vorgehabt, seine Sekretärin anzuweisen, der Dame eine Hotelbroschüre und einen Link zur Webseite des britischen Hotel- und Gaststättenverbandes zu schicken, doch nun änderte er seine Meinung.

„Was sind das für Fragen? Was schreiben Sie?“

Bevor Stephanie antworten konnte, tauchte Claudia hinter ihm auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Michael, falls du es dir anders überlegst: Der Tisch im Lakota ist ab zwanzig Uhr bestellt.“

Er nickte zerstreut. „Okay, aber rechne nicht ernsthaft mit mir. Wir sehen uns morgen, bevor du zurückfliegst.“ Dann wandte er sich wieder seiner Gesprächspartnerin zu. „Kommen Sie, setzen wir uns einen Moment in die Lobby.“

„Ich danke Ihnen, Mr. –?“

Er zögerte, ihr seinen Nachnamen zu nennen, denn dann wüsste sie sofort, dass es seine Familie war, der das Hotel gehörte. Es gab Leute, die es verschreckte, dass er ein Silverstone war, andere suchten seine Bekanntschaft und Freundschaft allein deswegen. Er hatte gelernt, vorsichtig zu sein. Auch wenn sein Instinkt ihm sagte, dass die junge Frau weder in die eine noch in die andere Kategorie fiel. Er tippte auf sein Namensschild, auf dem nur der Vorname stand. „Einfach Michael.“

Die Rezeptionistin tauchte neben ihm auf. „Michael, ich muss dringend los, meine Tochter wartet auf mich. Kannst du …?“

„Ja, mach Feierabend, Jane. Sorry, ich habe nicht gesehen, dass es schon so spät ist. – Entschuldigen Sie, ich muss an der Rezeption die Stellung halten, bis mich um zweiundzwanzig Uhr der Nachtportier ablöst“, sagte er zu Stephanie und ging hinter die Empfangstheke. „Aber wir können trotzdem einen Moment weiterreden.“

„Um Ihre Frage zu beantworten: Ich schreibe einen Krimi, der in einem Luxushotel in London spielt. Und natürlich habe ich bereits vieles im Internet recherchiert, doch es gibt Dinge, die nur ein Insider …“ Sie unterbrach sich, weil neben ihr ein älterer Herr im Anzug aufgetaucht war, der sich nach den Frühstückszeiten des Hotelrestaurants erkundigte.

Michael nannte sie ihm und wandte sich wieder Stephanie zu. „Sie schreiben Kriminalromane? Das finde ich super. Soll es einen Mord in dem Hotel geben?“

„Genau das.“

„Es ist der Alptraum eines jeden Hoteliers, dass so etwas in seinem Hotel passiert“, erwiderte er lachend. „Dramen geschehen in den Mauern jedes Hotels sicher genug. Allerdings bitte ich Sie um Verständnis, dass ich Ihnen keine pikanten Anekdoten erzählen darf. Ich würde in Teufels Küche kommen, wenn so etwas veröffentlicht würde.“

„Ich weiß, keine Sorge. Mir geht es mehr um einige praktische Abläufe in einem Luxushotel.“ Sie stützte sich mit den Unterarmen auf die Theke und kam ihm für einen kurzen verwirrenden Moment so nah, dass er ihr zartes pudriges Parfüm riechen konnte.

Rasch blickte er auf ihre zierlichen Hände, um festzustellen, ob sie einen Ehering trug. Er konnte keinen ausmachen, doch das war natürlich noch kein Beweis dafür, dass sie ungebunden war.

Ein Pärchen stellte sich an den Empfang, und Michael wandte ihnen seine Aufmerksamkeit zu. „Wir reisen morgen ab, würden Sie uns bitte die Rechnung fertigmachen?“

„Selbstverständlich. – Einen Moment bitte“, sagte er zu Stephanie.

Sie nickte verständnisvoll und blickte sich aufmerksam in der Lobby um, während sie auf ihn wartete.

„So, jetzt bin ich wieder für Sie –“, begann er, und wurde vom klingelnden Telefon unterbrochen. „Das Hotel Silverstone Brighton, die Rezeption, Sie sprechen mit Michael, guten Abend“, meldete er sich.

Als er das Gespräch beendet hatte, stand bereits eine kleine Reisegruppe, die einchecken wollte, am Empfang.

Er blickte Stephanie bedauernd an. „Das wird heute nichts mehr, fürchte ich.“

Sie hob resigniert die Schultern. „Ja, Sie scheinen sehr beschäftigt zu sein. Ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Ich kann es ja mal beim Lyndhurst-Hotel versuchen.“

„Nicht doch. Was halten Sie davon, wenn wir das Gespräch morgen beim Mittagessen fortsetzen?“, hörte er sich sagen und staunte über sich selbst. Hatte er ihr gerade eine Art Rendezvous vorgeschlagen? „Dann können Sie mich mit so vielen Fragen über das Hotel löchern, wie Sie wollen“, fügte er hinzu, um den geschäftlichen Aspekt der Verabredung zu betonen. Auch wenn er sich eingestehen musste, dass sie ihm gefiel, hatte er schließlich keine Ahnung, ob sie überhaupt ungebunden war.

„Sehr gern.“ Stephanie strahlte ihn an, und für einen wohltuenden Moment versank er in der Wärme und Lebendigkeit ihrer tiefblauen Augen. Spätestens jetzt wusste er, dass er sie unbedingt wiedersehen wollte.

Michael blätterte gedanklich in seinem übervollen Terminkalender. „Passt es Ihnen gegen eins?“

„Ausgezeichnet. Und wo?“

Er zögerte kurz. Am liebsten hätte er sie in ein Restaurant ausgeführt, das möglichst weit vom Hotel entfernt lag, doch dadurch würde zu viel von der Zeit abgehen, die er zur Verfügung hatte. „Wäre es in Ordnung, wenn wir uns hier treffen?“

„Klar. Ich hole Sie um dreizehn Uhr ab.“

„Ich freue mich“, sagte er warm, und sie schenkte ihm ein Lächeln und ein kurzes Zwinkern, bevor sie sich abwandte. Er blickte ihr nach, wie sie mit leichtfüßigem Gang in ihren modischen Sneakers die Hotelhalle durchquerte. Ihr blondes Haar tanzte auf ihrer dunklen Bikerjacke und schimmerte im Licht der Kronleuchter. Auf einmal spürte Michael, dass die letzte Spur von Traurigkeit, die er seit dem Aufwachen mit sich herumtrug, verschwunden war.

2

Als Claudia erwachte, dröhnte ihr Schädel und sie hatte einen widerlich pelzigen Geschmack auf der Zunge. Vorsichtig öffnete sie die geschwollenen Lider einen Spalt, hob den Kopf und blickte sich um. Das Hotelzimmer, in dessen Bett sie splitternackt lag, war nicht ihr Zimmer im Silverstone. Und der blonde Mann, der neben ihr leise schnarchte, war nicht ihr Ehemann João. Verdammt. Dunkel erinnerte sie sich, im Lakota mit diesem Cousin von Amber Lyndhurst geflirtet zu haben. Ziemlich heftig sogar. Sie war in seinen Wagen gestiegen, mit auf sein Zimmer gegangen und … Oh Gott.

Leise, um ihn nicht zu wecken, schwang sie die Beine auf den Boden und huschte ins Bad. Dort lagen ihr Schmuck und ihre goldene Armbanduhr. Die Ziffern zeigten zehn nach neun an. Ihr blieben knapp drei Stunden Zeit, bis eine Limousine des Hotels sie zum Flughafen fahren würde.

Sie überlegte, ob sie duschen sollte, entschied sich dann aber, das lieber in Ruhe in ihrem eigenen Zimmer zu tun. Sie wollte so schnell wie möglich weg, bevor dieser Mann erwachte.

Hastig hüllte sie sich in den sandfarbenen Frotteebademantel mit dem goldenen Emblem der Lyndhurst-Hotelkette und suchte in dem kleinen Körbchen mit den Miniflaschen Shampoo, Duschgel und Bodymilk vergeblich nach Abschminkpads und Reinigungsmilch. Saftladen. Da waren die Hotels ihrer Eltern doch um Klassen besser. Mit Wasser und Seife wusch sie sich notdürftig das zerlaufene Make-up aus dem Gesicht und hinterließ Schlieren im blütenweißen Handtuch.

Als sie ins Zimmer trat, räkelte sich der Mann und lächelte ihr entgegen. „Guten Morgen, Süße. Gut geschlafen?“

„Ja, vielen Dank“, entgegnete sie kühl und schlüpfte aus dem Bademantel, den sie achtlos auf die Bettkante warf.

Er stöhnte begehrlich auf und betrachtete ihren geschmeidigen nackten Körper. „Komm her zu mir, Baby. Ich habe schon wieder Lust auf dich.“

„Geht nicht, ich muss mich beeilen. Ich fliege heute Nachmittag nach Lissabon zurück.“ Sie streifte sich das zerknitterte Partykleid über, das mit ihren anderen Sachen auf dem Sessel lag.

„Dann sehen wir uns vorerst nicht wieder?“, fragte er enttäuscht.

„Nein. Sorry, Bobby.“

„Robbie“, korrigierte er mit gerunzelter Stirn.

Claudia zuckte nur mit den Schultern und schlüpfte schnell in ihren Slip, ihre hochhackigen Pumps und zum Schluss in die glitzernde Abendjacke.

„Es war toll, Darling“, versicherte sie und warf ihm einen Kuss durch die Luft zu.

„Jederzeit wieder, meine Süße.“

Sie nahm ihr Täschchen, das an den Champagnerkübel gelehnt stand, und vergewisserte sich, dass sie ihr Handy eingesteckt hatte. Schmuck und Uhr hatte sie bereits im Bad wieder angelegt. Und nun nichts wie weg. An der Tür drehte sie sich noch einmal um.

„Und Robbie: Das hier bleibt natürlich unter uns – verstehen wir uns?“

Er grinste breit. „Worauf du dich verlassen kannst.“

Der Ausdruck in seinen grünen Augen gefiel ihr nicht und sie erinnerte sich auf einmal, dass sie Selfies gemacht hatten – nicht nur im Nachtclub, sondern auch eines nackt im Bett. Wie hatte sie sich dazu nur hinreißen lassen können? Sie musste ziemlich betrunken gewesen sein. Zum Glück war er Ambers Cousin, ein gut betuchter Londoner Banker, also aus ihren eigenen Kreisen, und kein zwielichtiger Fremder, der sich als Erpresser entpuppen könnte.

Claudia stieg in eines der Taxis, die vor dem Eingang warteten, und ließ sich zum Hotel ihrer Familie bringen, das nur zehn Minuten entfernt lag.

„Bitte setzen Sie mich am Hintereingang ab“, bat sie den Fahrer.

Auf keinen Fall wollte sie riskieren, in der Hotelhalle ihrem Vater oder Michael in die Arme zu laufen, und auch das Empfangspersonal brauchte sie so nicht zu sehen. Sie verwarf die Idee, mit dem Personalaufzug zu fahren, denn das würde bei den Mitarbeitern Aufsehen erregen. Bestimmt würden sie darüber tratschen und es könnte ihrer Familie zu Ohren kommen. Claudia Oliveira, geborene Silverstone, die morgens in zerknautschter Abendgarderobe ungekämmt und mit Make-up-Resten im übernächtigten Gesicht heimlich den Personalaufzug nahm, um in ihr Zimmer zu gelangen? Da hätte sie auch gleich eine Notiz am schwarzen Brett der Angestellten aushängen können, dass sie ihren Gatten betrogen hatte.

Sie entschied sich dafür, die Treppe zu nehmen. Ihr Vater und Michael würden hoffentlich in ihren Büros oder bereits in der ersten Besprechung sitzen. Ihre Mutter war als Leiterin der VIP-Betreuung und Event-Abteilung oft noch abends im Dienst und tauchte selten vor dem Mittagessen im Hotel auf.

Claudia hastete die Treppen in den dritten Stock empor, eilte atemlos den Korridor hinunter, dessen weiche Auslegware ihre Schritte schluckte, zog bereits ihre Keycard aus der Tasche und wollte auf ihre Zimmertür zugehen, als ihr Bruder in Begleitung der Hausdame um die Ecke bog. Er bemerkte sie sofort, unterbrach sein Gespräch mit Mrs Byron und kam zügig auf sie zu. „Guten Morgen, Claudia. Das trifft sich gut, dann können wir uns jetzt verabschieden. Ich muss nämlich gleich in eine Besprechung und habe direkt im Anschluss eine Verabredung zum Mittagessen. Du bist ja schon früh auf“, fügte er verwundert hinzu.

„Ich hatte noch was in der Innenstadt zu besorgen“, behauptete sie und merkte im gleichen Moment, wie unglaubwürdig es angesichts ihrer Aufmachung klingen musste.

Er musterte sie kritisch, und Claudia wusste, dass sie ihm nichts vormachen konnte. Aber er würde sie nicht verpetzen. Weder bei ihren Eltern noch bei João. Zwar hatten sie sich nie so richtig nahegestanden und sich in den letzten Jahren noch weiter entfremdet, doch Michael war loyal. Allenfalls würde er sie von seinem hohen Ross mit noch mehr Geringschätzung betrachten, als er es ohnehin schon tat, aber damit konnte sie leben. Er war eben eifersüchtig, weil sie immer der Liebling ihres Vaters gewesen war und er selbst oft einen schweren Stand bei ihm hatte. Dafür trug Papa ihm beruflich die guten Posten förmlich hinterher, während sie selbst auf ewig nichts als das Anhängsel eines reichen Ehemanns sein würde. So waren sie quitt. Sie musste zugeben, dass Michael immer für sie dagewesen war, wenn sie ihn gebraucht hatte und dass ihre Freundinnen sie um diesen gutaussehenden großen Bruder beneideten. Er ist eben Mr Perfect, dachte Claudia missgünstig und verzog unzufrieden das Gesicht.

„Alles okay bei dir?“, fragte Michael besorgt.

„Jaja, alles okay. Mach’s gut.“ Sie legte kurz die Arme um seinen Hals. Er drückte sie an sich und küsste ihre Wange. „Komm gut nach Hause.“

Ihr war bewusst, dass sie nach Ausdünstungen einer wilden Partynacht und vielleicht sogar nach Sex riechen musste und löste sich schnell aus seiner Umarmung, dankbar, dass er keinen Kommentar darüber machte. „Kannst du mir ein Zimmermädchen organisieren, das mir beim Packen hilft?“, bat sie.

„Natürlich. Ich sage Mrs Byron gleich, dass sie dir jemanden schickt. Guten Flug!“

Erleichtert verschwand Claudia auf ihrem Zimmer. Ein Pling ihres Smartphones kündigte eine eingehende WhatsApp-Nachricht an und sie sah sofort nach.

Hi, Sweetie, hattest du noch Spaß mit Robbie?

schrieb Amber Lyndhurst.

Hier ein paar Erinnerungsfotos von gestern Abend.

Angehängt war ein Bild, auf dem Robbie fest die Arme um sie gelegt hatte, während sie an seinem Hals knabberte. Und eines, auf dem sie engumschlungen auf dem Parkplatz vor dem Lakota an seinen Wagen gelehnt standen und sich leidenschaftlich küssten. Er hatte sein linkes Bein fordernd zwischen ihre gedrängt, und sie machte es ihm leicht, indem sie ihren rechten Fuß am Kotflügel abstützte und ihren Oberschenkel gegen seine Hüften presste. Ihr nacktes Knie ragte dem Betrachter durch den seitlichen Schlitz im Rock geradezu obszön entgegen, und kein Blatt Papier hätte mehr zwischen ihrer beider Lenden gepasst. Hastig löschte Claudia die Fotos, während sich ein ungutes Vorgefühl in ihr breitmachte. Allerdings hatte Amber nichts weiter geschrieben, vermutlich fand sie es einfach nur amüsant, dass Claudia einen One-Night-Stand mit ihrem Cousin gehabt und sie sie heimlich bei einer Art Vorspiel fotografiert hatte. So beschloss sie, es zu ignorieren und vergaß es wieder. Vorerst.

3

Stephanie schlenderte an der Küste entlang und genoss die salzige Luft vom Meer, die auch jetzt, Anfang Februar, nicht richtig kalt war. Sie hatte noch nicht einen Moment bereut, ihr Leben im hektischen London hinter sich gelassen zu haben, um nach Brighton zu ziehen. Ihre Kreativität wurde durch den Anblick des Meeres beflügelt. Da das ehrwürdige Seebad in den letzten Jahren ein Szenetreff der Londoner geworden war, bot es reichlich Zerstreuungen und eine vielfältige Kunstszene. Genau was sie brauchte.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und verlangsamte ihre Schritte. Sie war am Palace Beach, dem Zentralstrand von Brighton, angekommen und früh dran für ihr Date. Das Hotel Silverstone lag direkt am Strand.

Der attraktive Hotelangestellte war Stephanie seit dem letzten Abend nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Im Vergleich zu dem grantigen Direktor, der sie kurz abgefertigt hatte, als wäre sie eine lästige Bittstellerin, konnte der liebenswürdige junge Mann natürlich nur gewinnen, doch auch darüber hinaus hatte sie ihn mehr als nur sympathisch gefunden. Ihr Herz schlug schneller, als sie sich seine sinnlichen Lippen und seine großen schwarzbraunen Augen in Erinnerung rief. Seine sanfte Stimme hatte überaus anziehend geklungen, und der Hauch von melodiösem Akzent ließ diese noch interessanter wirken.

Als Stephanie die Eingangshalle des Fünfsternehotels betrat, blickte sie sich ehrfürchtig um. Es war in einem alten, sorgfältig restaurierten Gebäude der Regency-Ära untergebracht, mit hohen Stuckdecken, Marmorsäulen, Gold und Prunk.

„Miss?“ Der Rezeptionist sah sie auffordernd an.

„Ich bin mit Michael verabredet. Ihr Kollege vom Empfang.“

Er starrte sie einen Moment verblüfft an, bevor er verstand, wen sie meinte. „Augenblick bitte.“ Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer. „Michael? Hier ist Miss …“

„Stephanie Wellington“, warf sie hastig ein.

„Miss Wellington für Sie. – Ja. – Er kommt gleich“, sagte er zu ihr.

„Danke.“ Sie schlenderte zu einer Sitzgruppe in der Lobby und setzte sich vorsichtig auf eines der dick gepolsterten cremefarbenen Sofas. Obwohl sie für das Treffen statt ihrem üblichen Lieblingsoutfit aus Jeans und Sneakers einen blauen Hosenanzug und Lederstiefeletten gewählt hatte, fühlte sie sich underdressed in dieser noblen Umgebung.

Michael erschien fünf Minuten später und wirkte sehr distinguiert in seinem gut sitzenden dunkelgrauen Anzug mit hellblauer Krawatte. Die Haare hatte er straff im Nacken zusammengebunden, und unwillkürlich stellte sie sich vor, wie sexy er mit offenen Locken aussehen musste, die sich um sein bräunliches Gesicht kringelten. Und offenbar verbarg sich eine schlanke, durchtrainierte Figur unter der Businesskleidung. Bei diesem Gedanken breitete sich ein Prickeln in Stephanies Bauch aus.

Er streckte ihr die Hand entgegen. „Schön, dass Sie kommen konnten.“ Sein Händedruck war warm und fest. „Ich habe uns einen Tisch im Hotelrestaurant reserviert.“

„Oh …“ Ihre Stirn kräuselte sich, als sie sich daran erinnerte, was ein Essen hier kostete. Ihr derzeitiger Halbtagsjob erlaubte ihr keine großen Sprünge, und ihre Einkünfte als Autorin stellten eher ein Taschengeld dar.

„Ich lade Sie ein“, sagte er sofort.

Sie zögerte. „Wirklich? Ist das nicht ein bisschen zu …“

Er schmunzelte. „Nein, machen Sie sich keine Sorgen um die Rechnung.“

Stephanie hob die Augenbrauen. „Mitarbeiterrabatt?“

„Sowas in der Art.“ Er versuchte vergeblich ein Grinsen zu unterdrücken, das ihm einen lausbubenhaften Charme gab. Das Kribbeln in ihrem Bauch meldete sich sogleich zurück.

Michael führte sie ins Hotelrestaurant, zu einem Tisch in einer Nische, in der man trotz der Größe des Raumes recht ungestört war. Gleich darauf erschien der Ober am Tisch, deutete eine Verbeugung an und reichte Stephanie eine Speisekarte.

„Danke.“ Sie studierte das Menü, das von Ravioli vom bretonischen Hummer mit Tomate-Basilikum, sautiertem Angelsteinbutt auf gebratenen Artischocken, Entenbrust mit Honig-Pfeffer-Glasur, Lammkoteletts mit Rhabarber-Chutney bis hin zu Kokos-Beeren-Panna-Cotta und Tartelettes mit Frischkäse-Granatapfelcreme reichte. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.

„Ich werde die Ravioli mit Hummer nehmen“, entschied sie und klappte die Karte zu.

„Keine Vorspeise?“, fragte Michael.

„Ich bin keine große Esserin. Lieber ein Dessert danach. Sagen Sie, dürfen die Angestellten denn überhaupt hier essen?“

„Nein, eigentlich nicht.“

Stephanie warf ihm einen besorgten Blick zu. „Werden Sie auch keinen Ärger bekommen?“

Er lächelte sie an. „Ich bin kein normaler Angestellter. Machen Sie sich keine Sorgen.“

Der Ober tauchte neben ihnen auf. „Haben Sie gewählt?“

„Für die Dame die Ravioli und für mich … Gibt es noch Möhren-Zucchini-Tarte von gestern?“

„Ja. Mit gegrilltem Gemüse dazu?“

„Genau.“

„Ausnahmsweise Wein, Senhor Micael?“

Michael sah Stephanie an.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“

„Ein Aperitif?“

„Ich trinke keinen Alkohol, danke“, lehnte sie hastig ab. „Bitte nur Wasser.“

„Ein stilles Wasser, nicht zu kalt, wie immer?“, vergewisserte sich der Ober bei Michael. Dieser sah sie fragend an, sie nickte, und nach einer weiteren angedeuteten Verbeugung zog der Kellner ab.

„Was heißt das, dass Sie kein normaler Angestellter sind?“ Das überaus devote Verhalten des Obers einem Kollegen gegenüber hatte sie stutzig gemacht.

„Ich bin der stellvertretende Hoteldirektor.“

Überrascht blickte sie ihn an. „Ach so. Aber gestern …“

„Mir unterstehen unter anderem die Rezeption und die Abteilung für Marketing und Kommunikation. Daher vertrete ich zurzeit den erkrankten Empfangschef und daher hat mir meine Mitarbeiterin Ihre Anfrage zur Prüfung weitergeleitet.“

„Klingt nach einem tollen Job. Nur der Chef …“ Stephanie krauste die Nase.

Michael grinste in sich hinein. „Geht so. Ich habe mit der Zeit gelernt, mit ihm auszukommen. Einigermaßen jedenfalls.“

„Mit der Zeit? Wie lange arbeiten Sie schon in diesem Hotel?“ Sie dachte bei sich, dass er noch recht jung wirkte für einen solchen Posten.

„Seit zwei Jahren. Aber ich kenne den Hoteldirektor schon etwas länger.“ Wieder zuckte es um seine Mundwinkel.

„Warum lächeln Sie so?“, fragte sie halb belustigt und halb irritiert.

„Er ist mein Vater.“

„Oh.“ Stephanie schlug sich verlegen die Hand vor den Mund. „Tut mir leid. Ich meine, nicht dass er Ihr Vater ist, aber was ich über ihn gesagt habe.“

Michael winkte ab. „Nicht viele würden Ihnen widersprechen.“

Auf einmal fiel ihr etwas ein, das sie bei ihren kurzen Recherchen über das Hotel gelesen hatte. „Habe ich richtig in Erinnerung, dass der Eigentümer dieses Hotel selbst leitet?“

Er nickte knapp, und sie starrte ihn einen Moment lang mit leicht geöffnetem Mund an. „Das heißt, Sie …“

„Ja.“ Er lächelte sein etwas schüchternes und gleichzeitig schalkhaftes Lächeln, das ebenmäßige Zähne entblößte. „Wenn mein Vater in ein paar Jahren in Pension geht, werde ich dieses Hotel leiten. Und eines Tages wird es mir gehören.“

Stephanie lächelte zurück. „Sie wollten mir lieber verschweigen, dass Sie der Sohn der Eigentümer dieser netten kleinen Familienpension sind, oder?“

Michael zupfte verlegen an seiner Serviette. „Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ich damit angeben will.“

„Und wieso hat Sie der Ober Senhor Micael genannt?“

„Das macht er gern, weil er Portugiese ist. Denn eigentlich heiße ich Micael, das ist die portugiesische beziehungsweise brasilianische Form von Michael. Meine Mutter ist Brasilianerin, und ich habe als Kind in Rio de Janeiro gelebt.“

„Spannend. Darüber müssen Sie mir unbedingt mehr erzählen.“

„Wollen wir nicht Du sagen?“, schlug Michael vor.

„Na klar.“ Sie prostete ihm mit dem Mineralwasser zu, das der Ober inzwischen an den Tisch gebracht und in geschliffene Kristallgläser eingeschenkt hatte. „Brasilianerin sagst du – eure Familie besitzt mehrere Hotels, habe ich auf eurer Website gesehen. Unter anderem eines in Rio, richtig?“

„Ja. Das Ipanema Palace in Rio hat meine Mutter mit in die Ehe gebracht. Das Gran Hotel in Lissabon gehört eigentlich meinem Schwager – meine Schwester hat einen portugiesischen Hotelier geheiratet –, aber dadurch ist es eben auch in der Familie. Das Hotel in Boston haben wir seit meiner Kindheit, und das in Dubai hat mein Vater erst vor drei Jahren gekauft.“

„Am Jumeirah Beach?“ Sie schluckte.

„Ja.“

Stephanie wusste von ihrer reiselustigen Schwester Eve, dass es am Jumeirah Beach nur Fünf- und Sechssterne-Hotels gab, die einander in Pomp und Prunk überboten.

„Das ist großartig, Michael“, murmelte sie beeindruckt. „Was ist es für ein Gefühl, all diese Hotels eines Tages zu erben?“

Er hob die Schultern. „Ich bin ja mit dem Wissen aufgewachsen, dass ich das mal erbe und bin dafür ausgebildet worden. Ich habe Hotelmanagement studiert und den praktischen Teil natürlich in unseren Hotels absolviert. Beklemmend finde ich nur die Vorstellung, verantwortlich für das Wohlergehen von so vielen Angestellten zu sein.“

„Du wirst bestimmt mal ein sehr guter Chef. Du strahlst diese ruhige gelassene Autorität aus und besitzt eine natürliche Würde, obwohl du ja noch ziemlich jung bist.“

„Gut zu wissen.“ Michael lächelte sie dankbar an. „Und was machst du beruflich? Oder ist Schreiben dein Hauptberuf?“

„Nein, das ist mehr ein Hobby. Es ist mein zweiter Krimi, und der erste hat nicht gerade großes Aufsehen erregt, obwohl ich bei einem recht bekannten Verlag untergekommen bin.“ Sie zuckte resigniert die Achseln. „Zurzeit arbeite ich halbtags bei der University of Sussex als Assistentin eines Literaturprofessors. Ich habe früher mal Psychologie und Anglistik studiert, allerdings ohne Abschluss. Für einen Kleinverlag bin ich hin und wieder als freiberufliche Lektorin tätig. Und nebenbei helfe ich meiner Schwester bei ihrem Bürokram und wohne dafür mietfrei in einer ihrer Eigentumswohnungen. Der Job an der Uni ist befristet, ich werde mir bald was Neues suchen müssen. Aber das ist okay, ich mag die Abwechslung.“

Michael nickte verständnisvoll. „Du willst dich nicht festlegen.“

„Eine nette Formulierung dafür, dass ich nie lange etwas durchgehalten habe“, erwiderte sie amüsiert.

Er nahm vorsichtig ihre Hand und betrachtete die Ringe an ihren Fingern. „Gibt es jemanden, der was dagegen hätte, wenn ich dich mal einen Samstagabend zum Essen einlade?“

„Nein.“ Die Wärme seiner Haut fühlte sich zu gut an. Stephanie rann ein wohliger Schauer von ihrer Handfläche den Unterarm hinauf. „Also, kommt drauf an. Ich kann nur jedes zweite Wochenende. An den anderen kommt meine Tochter.“

Michael blickte sie erstaunt an.

Stephanie räusperte sich. „Brittany ist siebzehn und lebt bei ihrem Vater in London.“

„Du bist geschieden?“

„Ja. Schon seit zehn Jahren. Und zurzeit gibt es niemanden, der was dagegen hätte, wenn wir beide zusammen ausgehen würden“, fügte sie schnell hinzu.

„Dann machen wir das.“ Er lächelte ihr direkt in die Augen, und ihr wurde plötzlich heiß.

Als das Essen serviert wurde, ließ er ihre Hand los. Fast bedauernd wandte sie sich ihren mit Hummer gefüllten Ravioli zu. Sie waren exzellent, und Michaels Gemüseteller sah ebenfalls sehr ansprechend aus. Danach zierte sie sich nicht lange, als er sie ermunterte, noch ein Dessert zu nehmen.

Der Ober brachte schließlich die Rechnung, die Michael lediglich quittierte, statt sie zu bezahlen. Er warf einen Blick zur Uhr.

„Ich muss leider wieder“, meinte er bedauernd. „Aber vielleicht können wir am Samstagabend weiterreden – übermorgen? Oder kommt da deine Tochter?“

„Nein, dieses Wochenende bin ich Single. Und habe Zeit.“

„Perfekt.“

Sie tauschten Telefonnummern aus und verabschiedeten sich.

Stephanie fühlte sich so leicht und verzaubert wie schon lange nicht mehr, als sie das Hotel verließ und mit dem Bus zum Stadtrand von Brighton fuhr, wo sie wohnte. Sie spürte Schmetterlinge in ihrem Bauch, die nicht nur flatterten, sondern fröhlich Samba zu tanzen schienen.

4

Michael verließ das Laufband und tupfte sich mit dem Handtuch, das um seinen Nacken lag, den Schweiß von der Stirn. Er joggte lieber direkt an der Küste entlang, doch an diesem Samstagnachmittag regnete es in Strömen. Noch dazu hatte er wenig Zeit, und für ein kurzes Rundum-Programm war es am bequemsten, die Trainingseinheiten im hoteleigenen Fitnessstudio zu absolvieren. Er blieb vor einem der großen Fenster stehen, die einen Blick auf die gepflegte Gartenanlage boten, und starrte hinaus.

Es war einer dieser Tage, an denen er seinen Bruder besonders heftig vermisste. Auch wenn sie schon vor so langer Zeit brutal auseinandergerissen worden waren. Er hatte mal gelesen, dass Zwillinge, besonders eineiige, wie Rafael und er es waren, ihr Leben lang eine starke Verbindung zueinander spürten, egal wie lange sie in Zeit und Raum getrennt waren. Würde er es fühlen, wenn Rafael tatsächlich tot wäre? Hätte er es damals gespürt, wenn die Entführer ihn getötet hätten, während er selbst nach seiner kleinen Odyssee durch Rio wieder wohlbehalten im Ipanema Palace eingetroffen war?

Als er gerade die Brustpresse eingestellt und sich hingesetzt hatte, betrat seine Mutter den Raum und blickte sich suchend um. Da sich nur wenige Gäste im Fitnessstudio aufhielten, entdeckte sie Michael sofort und kam zielstrebig auf ihn zu. „Ach, hier bist du. Ich habe mich gewundert, dich nicht mehr in deinem Büro anzutreffen.“

„Ab und zu brauche ich Sport, um mich fit zu halten, Mama“, entgegnete er.

„Das sollte kein Vorwurf sein, Micael, ich weiß, wie viel du diese Woche schon gearbeitet hast. Kannst du bald Schluss machen? Ich wollte einiges mit dir besprechen.“

„Ich bin in letzter Zeit kaum zum Trainieren gekommen, ich möchte das heute durchziehen und brauche noch ein bisschen.“ Konnte sie ihn nicht einmal beim Sport in Ruhe lassen? Vielleicht sollte er sich lieber in einem externen Studio anmelden.

„Gut, dann nur die dringendsten Punkte: Ich möchte, dass du mich heute Abend zur Charity-Gala ins Sheridan begleitest. Dein Vater fühlt sich nicht wohl, er will lieber zu Hause bleiben.“

Michael schüttelte den Kopf und fuhr fort, die Gewichte mit den Unterarmen vor dem Brustkorb zusammenzudrücken. „Tut mir leid, ich bin bereits verabredet.“

„Micael, por favor. Wir müssen das Hotel repräsentieren, und du bist Andrews Stellvertreter.“

„Das schaffst du auch allein, Mama. Du bist doch selbstbewusst genug, um mal ohne Begleitung zu einer Veranstaltung zu gehen, oder?“

Sie hob etwas pikiert die sorgfältig gezupften Augenbrauen. „Mit wem bist du verabredet? Es scheint dir ja wichtig zu sein.“

„Ja, es ist mir wichtig“, erwiderte er nur. Er freute sich auf das Abendessen mit Stephanie und wollte auf keinen Fall in letzter Minute absagen.

„Na schön. Dann ziehe ich das eben allein durch“, sagte Mariana in so tapferem Ton, als gälte es, in den Krieg zu ziehen und nicht, ein Event zu besuchen, auf dem sie von vorne bis hinten bedient und mit Komplimenten überschüttet werden würde. Ganz zu schweigen davon, dass ihr Chauffeur sie in der Limousine direkt vor die Tür bringen und von dort auch wieder abholen würde. „Nächster Punkt: Für Samstagabend in zwei Wochen nimmst du dir bitte nichts vor.“

Michael schnitt eine Grimasse und das nicht nur, weil seine Muskeln zu brennen begannen. „Ich weiß schon, der Empfang bei den Lyndhursts.“

„Genau. Dein Vater und ich erwarten, dass du hingehen und dich bestens um Amber Lyndhurst und Kate Wiseman kümmern wirst.“

Wortlos stand Michael auf und ging zur Schulterpresse. Mariana folgte ihm unbeirrt. „Es ist wirklich wichtig, weil dein Vater und ich am selben Abend noch eine andere Einladung haben. Und es muss unbedingt einer von uns zu den Lyndhursts gehen, das wäre sonst ein Affront.“

Mit einer heftigen Bewegung ließ Michael den Stab einrasten, der das Gewicht festlegte. „Keine Sorge, ich werde hingehen. Ihr werdet also gar nicht dort erscheinen?“

„Wir werden sehen, wie lange es bei den Lauderdales dauert. Wahrscheinlich kommen wir nach. Bis dahin solltest du die Stellung halten.“

„Alles klar“, presste er zwischen den Zähnen hervor, während er die Griffe hochstemmte. „Was noch?“

„Spätestens Mitte März sollen aus dem Haus deiner Großmutter alle verbliebenen Sachen entsorgt werden, damit wir mit dem Umbau beginnen können. Wenn du also nachschauen willst, ob du noch an irgendetwas Interesse hast, mach es bitte vorher.“

Andrew Silverstones Mutter war von einigen Wochen gestorben, und er plante, aus ihrem Landsitz in Devon ein kleines Hotel zu machen.

„Mache ich“, schnaufte Michael und gönnte seinen Muskeln eine Pause.

„Gut. Letzter Punkt …“ Mariana blickte sich rasch um, als wolle sie prüfen, dass niemand ihrem Gespräch folgte. „Mrs Byron hat sich über die Unordnung in deiner Suite beschwert. Es würde den Zimmermädchen die Arbeit erschweren.“

Er verdrehte die Augen. „Unsere Hausdame ist der reinste Hausdrache! Hat sie sich wirklich beschwert?“

„Nun ja, sie hat es seufzend erwähnt.“

„Ich gelobe Besserung“, versprach er widerwillig. Vielleicht sollte er sich doch eine eigene Wohnung nehmen. Aber es war so praktisch, dass er in weniger als zwei Minuten an seinem Arbeitsplatz war, keine Hausarbeit erledigen musste und auch keine Miete zahlte.

„Gut, querido.“

„Glaubst du, dass Rafael noch lebt, Mama?“, fragte er unvermittelt.

Aus dem Konzept gebracht starrte Mariana auf ihn hinunter, und er konnte förmlich dabei zusehen, wie ihre stets beherrschten Züge sich auflösten und verletzlich wirkten.

Dann verhärtete sich ihre Miene wieder. „Nein, Micael, das glaube ich nicht.“ Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und schritt mit knallenden Absätzen Richtung Ausgang.

Gedankenverloren starrte er ihrer makellosen Silhouette hinterher.

Rafael und sein Schicksal, die Hunderttausend Dinge, die es in seinem Job stets zu erledigen galt, der Umbau des Hauses seiner Großeltern, die beiden Hotelerbinnen und der Druck, den seine Eltern in allem auf ihn ausübten – alles wirbelte in seinem Kopf durcheinander. Auf einmal fühlte er sich wie gefesselt und konnte kaum durchatmen. Hastig befreite er sich aus der Umklammerung des Fitnessgeräts. Aber die Beklemmung blieb. Die Aussicht auf die Verabredung mit Stephanie wirkte wie eine Brise frischer Luft in einem stickigen, überwarmen Zimmer. Zügig beendete er sein Training und ging auf seine Suite.

Nachdem er geduscht hatte, überlegte er flüchtig, was er anziehen sollte und griff dann zu Jeans und dem erstbesten Pullover, der ihm in die Hände fiel, einen aus feiner sandfarbener Wolle. Da er beruflich ständig Anzug tragen musste, kleidete er sich privat am liebsten lässig.

Er konnte es kaum erwarten, in die noble Brasserie an der Marina von Brighton zu fahren, in der er sich mit Stephanie verabredet hatte.

***

„Vermisst du Brasilien?“, wollte Stephanie wissen, als sie sich beim Abendessen in der gemütlichen Brasserie gegenübersaßen und nach dem Hauptgang auf das Dessert warteten. Sie hatten endlich Zeit gefunden, die Recherchefragen für Stephanies Kriminalroman zu besprechen und tasteten sich nun langsam zu persönlicheren Themen vor.

Michael lehnte sich entspannt zurück. Er fühlte sich ausgesprochen wohl in ihrer Gesellschaft und nahm die vielen Leute, die um sie herum saßen, kaum noch wahr, genauso wenig wie die Geräuschkulisse aus Gesprächen, Gläserklirren und dem Klappern von Besteck. „Manchmal ein bisschen. Die Wärme, die Fröhlichkeit der Leute. Aber ich war erst neun, als wir von Rio nach Boston gezogen sind. Ich habe bisher nirgendwo richtig Wurzeln geschlagen.“

„Boston muss ein ziemlicher Kontrast gewesen sein.“

„Das stimmt. In Brasilien hatte ich Freunde, Cousins, Großeltern und ein nettes Kindermädchen, aber als wir in die USA gezogen sind, war das alles weg. Mein Englisch war anfangs nicht so gut, zumal ich von Vater britisches Englisch gelernt hatte und die Amerikaner oft schlecht verstanden habe. Und England war dann wieder ganz anders als die USA.“

Stephanie nickte mitfühlend. „Das muss schwierig gewesen sein. Fühlst du dich eigentlich mehr als Brasilianer oder als Engländer?“

„Ich habe beide Nationalitäten. In England fühle ich mich mehr als Brasilianer, aber wenn ich in Brasilien bin, merke ich, wie britisch ich geworden bin. Ich reise ungefähr einmal im Jahr hin.“

„Um Familie zu besuchen?“

„Auch, aber vor allem geschäftlich, um im Ipanema Palace nach dem Rechten zu sehen. Es ist besser, einer von uns sieht Mamas Bruder, der das Hotel leitet, auf die Finger.“ Er verzog abfällig den Mund. Onkel Jorge und er waren schon lange keine Freunde mehr. „Und ins Silverstone Jumeirah reise ich genauso oft, weil ich in anderthalb Jahren, wenn der General Manager dort in den Ruhestand geht, seinen Posten übernehmen werde und mich schon mal damit vertraut machen will.“

„Und dann noch dein Fulltimejob hier … Hast du eigentlich Zeit für ein Privatleben?“, wollte sie wissen.

„Wenig“, gab er zu und strich sich eine feine Locke aus den Augen, die sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst hatte und ihm immer wieder ins Gesicht fiel. „Wenn ich frei habe, treibe ich Sport.“

„Was für welchen?“

„Ich trainiere im Fitnessstudio des Hotels.“

Stephanie lachte auf. „Du wohnst, arbeitest, isst und trainierst im Hotel – du lebst im goldenen Käfig, was?“

Er zuckte etwas verschnupft mit den Schultern. Mit ihrer Bemerkung hatte sie einen wunden Punkt getroffen.

„Entschuldige.“ Sie legte rasch die Hand auf seine. „Das war nicht abwertend gemeint.“

Er drehte seine Hand, damit er die Finger um ihre schließen konnte, und fühlte auf einmal sein Herz heftiger klopfen. Da war sie wieder, diese verflixte Schüchternheit im Umgang mit Frauen, die ihn in unpassendsten Momenten einholte.

Als er zwei Tage zuvor im Hotelrestaurant kurz Stephanies Hand genommen hatte, hatte er sich sicher gefühlt. Er war im beruflichen Modus gewesen, da besaß er ein gesundes Selbstvertrauen. Privat fehlte ihm das oft.

Flüchtig dachte er daran, wie er auf der High School zum ersten Mal verliebt gewesen war. Damals sah er nach eigener Meinung schrecklich aus, war dünn und schlaksig, trug eine dicke Brille, hatte Akne und eine Frisur wie ein Staubwedel. Sein Schwarm hatte ihn bei seinem vorsichtigen Annäherungsversuch ausgelacht und gefragt, wie er auf die Idee käme, dass sie mit so einem hässlichen Vogel zusammen sein wolle. Das hatte eine tiefe Wunde bei ihm hinterlassen. Beim nächsten Urlaub in Brasilien hatte er sich von einem Schönheitschirurgen die Aknenarben entfernen und die Augen mit einer Laser-OP von der Kurzsichtigkeit befreien lassen – ein Geschenk seiner Mutter zum bestandenen High-School-Abschluss. In London hatte er sich im Fitnessstudio Muskeln antrainiert. Er hatte sich die Haare von einem guten Afrofriseur stufig schneiden lassen und von da an so getragen wie sein Idol Michael Jackson in den späten Achtzigerjahren. Und er genoss es, dass die Frauen ihn plötzlich gutaussehend fanden. Aber tief drinnen hielt er sich noch immer für den unattraktiven Teenager. Da er nie sicher sein konnte, ob das Interesse einer Frau tatsächlich ihm galt oder dem Vermögen seiner Familie, hatte er ein gutes Gespür für die Motivationen von Menschen entwickelt.

Stephanies Interesse wirkte sowohl aufrichtig als auch uneigennützig und tat ihm gut. Zwar irritierte es ihn ein wenig, dass sie so persönliche Themen anschnitt und so viel fragte, doch in ihren großen blauen Augen las er nichts als Anteilnahme und Sympathie. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er ihr vertrauen konnte. Ihre Finger in seiner Hand fühlten sich gleichermaßen zerbrechlich als auch fest an. Das war ein Widerspruch, der sie auszumachen schien: Sie besaß etwas mädchenhaft Zartes und fraulich Gefestigtes zugleich.

Stephanie gefiel ihm, er wollte nichts verderben. Auch wenn er noch nicht so genau wusste, was er eigentlich von ihr wollte. Er war nicht nur auf ein Abenteuer oder gar einen One-Night-Stand aus, das hatte er ausprobiert und als unbefriedigend abgehakt. Für eine feste Beziehung fühlte er sich hingegen weder zeitlich noch emotional ausreichend verfügbar. Platonische Freundschaft? Er musste sich schon den ganzen Abend Mühe geben, den Blick nicht zu offensichtlich in den tiefen Ausschnitt von Stephanies figurbetontem Shirt wandern zu lassen. Für bloße Freundschaft fühlte er sich körperlich zu sehr von ihr angezogen.

„Wie hat es dich von London nach Brighton verschlagen?“, wechselte er das Thema.

„Wegen der Londoner Mietpreise. Die letzte Erhöhung meiner Wohnungsmiete vor zwei Jahren war endgültig zu viel. Und da dachte ich mir, wenn ich London sowieso verlassen muss, kann ich auch gleich noch etwas weiter wegziehen und habe statt eines tristen Vororts eine lebendige Stadt am Meer.“

„London by the sea“, zitierte er lächelnd den Spitznamen Brightons. „Die Mieten sollen aber auch nicht gerade preiswert sein, habe ich mitbekommen.“

„Meine Schwester und ihr Mann besitzen hier ein Mehrfamilienhaus. Und gerade als ich eine neue Bleibe gesucht habe, ist eine ihrer Wohnungen freigeworden und ich habe Eves Angebot, in ihr Haus zu ziehen, gern angenommen. Inklusive des Deals, dass ich mich um ihren Bürokram kümmere und dafür nur meine Nebenkosten bezahle.“

„Sicher ein gutes Arrangement. Wie bei mir.“ Er schmunzelte und nickte freundlich dem Ober zu, der die Dessertschalen vor sie hinstellte.

Stephanie kostete von der Crème brûlée und verzog genießerisch das Gesicht. „Wohnen deine Eltern eigentlich auch im Hotel?“, erkundigte sie sich dann.

„Nein, die haben zum Glück eine Villa am Stadtrand.“

Sie hob die feinen Augenbrauen. „Zum Glück? Verstehst du dich nicht gut mit ihnen?“

Michael warf ihr einen gequälten Blick zu. „Nächste Frage.“

„So schlimm?“

Auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte. „Geld und Geschäft sind alles, was sie interessiert, das Glück ihrer Kinder ist ihnen egal.“

„Meinst du wirklich? Eltern haben oft einfach eine andere Vorstellung davon, wie das Glück ihrer Kinder aussehen sollte.“

„Meine Schwester haben sie mit ihrer Jugendliebe auseinandergebracht, damit sie einen Hotelier heiratet. Und von mir wollen sie auch, dass ich möglichst bald eine reiche Hotelerbin heirate, ob ich sie nun mag oder nicht.“ Er biss sich auf die Lippen. Eigentlich ging Stephanie das gar nichts an, sie kannten sich noch zu wenig, um solche privaten Dinge preiszugeben. Doch sie hatte etwas an sich, das ihn dazu bewegte, sich ihr anzuvertrauen. Vielleicht ihre mitfühlend-freundschaftliche Art. Obwohl er stets von so vielen Menschen umgeben war, interessierten sich nur wenige dafür, wie es ihm wirklich ging. Den Angestellten war es egal, solange sie nur dafür bezahlt wurden, sich um seine Belange zu kümmern. Angebliche Freunde waren überwiegend an Vorteilen interessiert, die sie durch ihn haben könnten, oder wollten einen Job von ihm. Und in der Familie drehte sich alles nur um Geld und Erfolge.

„Und du willst nicht heiraten? Eine Familie gründen?“ Mit dem Daumen streichelte sie über seinen Handrücken, und die zarte Berührung ging ihm durch und durch. Am liebsten hätte er alle Gläser und Teller, die zwischen ihnen standen, vom Tisch gefegt, sich darüber gebeugt und Stephanie leidenschaftlich geküsst. Michael musste sich räuspern, um den Frosch loszuwerden, der plötzlich in seiner Kehle saß.

„Eigentlich schon. Theoretisch. Irgendwann.“

Sie schmunzelte. „Klingt ja sehr entschlossen.“

„Falls ich mal heirate, dann nur aus Liebe, nicht als Geschäft, um den Konzern zu vergrößern“, ergänzte er.

„Haben deine Eltern eine bestimmte Dame für dich im Auge?“

Er seufzte. „Seit ich wieder in England bin, haben sie zwei Kandidatinnen ausgegraben, die sie interessant finden, doch mir gefällt weder die eine noch die andere. Noch dazu will ich keine Schachfigur meines Vaters sein.“

„Hast du versucht, ihm das klarzumachen?“

„Natürlich. Aber man kann mit ihm nicht diskutieren. Er behandelt alle anderen wie dumme unmündige Kinder“, sagte Michael erbittert. „Und ich kann ihn leider auch nicht einfach zum Teufel schicken, ohne alles zu verlieren – meinen Job, die Hotels, meine Familie.“ Er ballte die Hand auf der Tischplatte zur Faust. „Und ich liebe meinen Job und die Hotels.“

„So ein Erbe muss ein Segen und ein Fluch zugleich sein“, meinte Stephanie nachdenklich.

Er zog die hochgeschwungenen Brauen zusammen. „Das klingt nach Jammern auf hohem Niveau, oder?“

„Ich halte es mit dem Spruch: Urteile nicht über jemanden, in dessen Schuhen du nicht sieben Meilen gelaufen bist“, gab sie mit einem schwachen Lächeln zurück.

Michael betrachtete aufmerksam ihre angespannte Miene. „Ich habe den Eindruck, du hast es nicht immer leicht gehabt, oder täusche ich mich?“

„Och … Geht so. Ich habe das Studium abgebrochen, weil ich Geld verdienen musste und das zusammen mit der Kinderbetreuung zu viel war. Und meine Scheidung war auch nicht gerade ein Highlight in meinem Leben.“ Sie stocherte mit dem Löffel in ihrer Crème brûlée herum, als sei ihr der Appetit vergangen.

„Wie kommt es, dass deine Tochter nicht bei dir ist?“, fragte er vorsichtig.

„Nach der Scheidung hat sie zunächst bei mir gelebt und ich habe als alleinerziehende Mutter mit mehreren Jobs jongliert, genau wie jetzt. Vielleicht ist Brittany manchmal etwas zu kurz gekommen.“ Stephanie seufzte. „Als sie in die Pubertät kam, wurde unser Verhältnis immer schwieriger und schließlich wollte sie zu ihrem Vater ziehen. Ich glaube, sie brauchte eine stärkere Hand, ich bin einfach zu harmoniebedürftig. Ist natürlich ein Armutszeugnis für eine Psychologin, mit der eigenen Tochter nicht zurechtzukommen“, sagte sie bitter. „Wahrscheinlich habe ich das Studium abgebrochen, weil ich dafür genauso wenig begabt war wie für die Mutterschaft.“

„Sei nicht so streng mit dir“, erwiderte Michael sanft. „Alleinerziehend zu sein und dann noch mit mehreren Jobs, gehört sicher zu den schwierigsten Dingen, die es gibt. Ich schätze, derjenige, bei dem das Kind lebt, hat meistens den unattraktiveren Posten.“

„Denke ich auch. Seit Brittany und ich uns nur noch jedes zweite Wochenende und drei bis vier Wochen jährlich in den Ferien sehen, verstehen wir uns deutlich besser. Als ich weggezogen bin, hatte ich ein bisschen Angst, dass wir uns dadurch völlig entfremden würden, aber bisher steigt sie noch freiwillig jeden zweiten Freitag in den Zug, um zu mir zu kommen. Sie findet Brighton ausgesprochen cool. Da habe ich wohl Glück, dass ich in eine so interessante Stadt gezogen bin.“ Stephanie lächelte tapfer, und Michael hätte sie am liebsten in den Arm genommen. „Hach, ich vermisse sie.“

„Ich bin sicher, sie vermisst dich auch“, sagte er warm und bemerkte, dass Tränen in ihren Augen schimmerten. „Was machst du so in deiner Freizeit?“, lenkte er rasch ab.

„In London war ich in einer Hip-Hop-Tanzgruppe. Wir hatten sogar Auftritte bei Veranstaltungen und in Clubs“, berichtete sie, und erleichtert stellte Michael fest, dass der Glanz in ihren Augen nicht mehr von Tränen kam. „Hier habe ich allerdings noch keine passende Gruppe gefunden. Langsam bin ich auch nicht mehr fit genug für schnelles Herumspringen.“ Sie krauste die Nase. „Wenn mir Zeit bleibt, male ich. Hin und wieder verkaufe ich sogar ein Bild.“ Nun trat wieder das gewohnte Strahlen in ihr Gesicht.

Es lag ihm auf der Zunge zu fragen, ob er sich die Bilder ansehen durfte, doch er schluckte es hinunter, weil es für ihn nach einem plumpen Vorwand klang, in ihre Wohnung zu gelangen. Dabei interessierte es ihn tatsächlich ohne Hintergedanken. Er liebte Gemälde, und der gelegentliche Besuch von Vernissagen war von seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen diejenige, der er am liebsten nachkam. „Ich finde es super, dass du so kreativ bist.“

„Meine Schwester ist der Meinung, ich mogle mich durchs Leben, indem ich nur tue, wozu ich Lust habe, aber nichts wirklich auf die Reihe bekomme.“

„Oha.“ Er hob die Augenbrauen. „Verstehst du dich nicht gut mit ihr?“

„Doch, alles in allem schon. Sie hat es auch nicht so krass ausgedrückt, es klingt nur manchmal durch. Eve war immer sehr zielstrebig und geschäftstüchtig und versteht nicht, dass ich einfach tue, woran ich gerade Spaß habe. Allerdings hat sie vor einiger Zeit begonnen, sich ein Beispiel an mir zu nehmen, geht viel aus und reist um die Welt. Man muss dazu sagen, dass sie fünfundzwanzig Jahre viel geschuftet hat – ich freue mich, dass sie nun die Früchte ihrer Arbeit genießen kann.“

„Was für Geschäfte hat sie denn?“

„Sie und ihr Mann besitzen etliche Immobilien, die sie vermieten. Von den Mieteinnahmen können sie ziemlich gut leben.“

Michael nickte anerkennend. Er fand es ausgesprochen anregend, mehr über die Lebensmodelle von Leuten zu hören, die nicht in der Hotelbranche waren.

Als sie das Restaurant verließen, regnete es noch immer.

„Kann ich dich nach Hause bringen?“, bot er an.

„Sehr gern.“ Stephanie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Ich glaube, mein Bus ist gerade weg.“