Ein Funken Göttlichkeit - Die Chronik der Scian - Lina M. Stiegemeyer - E-Book

Ein Funken Göttlichkeit - Die Chronik der Scian E-Book

Lina M. Stiegemeyer

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Beschreibung

Als die Musterschülerin Elara ausnahmsweise eine Party besucht, wird sie dort von Alexej aufgespürt. Er ist auf der Suche nach Menschen, die, wie er selbst, Nachkommen von Gestalten der griechischen Mythologie sind und einen "Götterfunken" in sich tragen. Das bis dahin beschauliche Leben der Einzelgängerin Elara wird von einem Tag auf den anderen komplett auf den Kopf gestellt. Die sich offenbarende Abstammung von der Göttin Athene verleiht Elara nicht nur Kräfte, sondern bürdet ihr auch Pflichten auf. Sie zieht mit Alexej und seinem Gefährten Lewis in einen Kampf, der ihnen alles abverlangt. Eine Nachfahrin der Pandora will mit ihrer Sekte vollenden, was die erzürnten Götter bereits in der Antike geplant hatten: die Vernichtung der Menschheit! Wird es dem Trio gelingen, die Erde zu retten?

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Für Hilde Marie Rohlfshagen

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Alexej

Elara

Kapitel 2

Alexej

Elara

Kapitel 3

Alexej

Elara

Alexej

Kapitel 4

Elara

Alexej

Kapitel 5

Elara

Kapitel 6

Alexej

Kapitel 7

Elara

Kapitel 8

Alexej

Elara

Kapitel 9

Alexej

Elara

Kapitel 10

Alexej

Elara

Alexej

Kapitel 11

Elara

Alexej

Kapitel 12

Elara

Alexej

Kapitel 13

Elara

Alexej

Kapitel 14

Lewis

Elara

Kapitel 15

Lewis

Alexej

Kapitel 16

Elara

Alexej

Kapitel 17

Elara

Alexej

Kapitel 18

Elara

Alexej

Elara

Epilog

Danksagung

Impressum

Prolog

Zu Anbeginn der Zeit, als die Erde ausschließlich von Bakterien, Organismen, Tieren und Pflanzen besiedelt war, betrat Prometheus den Planeten. Er ließ den Blick schweifen, begutachtete die fremdartige Natur mit ihren vielen bunten Blüten und den grünen Baumkronen, die seiner Heimat ähnelte und sich gleichermaßen von ihr unterschied. Die Tiere faszinierten ihn besonders. Er lauschte dem lieblichen Gesang der Vögel und beobachtete die Kämpfe zwischen Raubtieren, die ihr Revier auf Leben und Tod verteidigten. Diese Geschöpfe zogen ihn in ihren Bann, da sie auf ihre Weise intelligent waren, wie Prometheus selbst es von den Göttern kannte, andererseits war ihre Intelligenz auf die Prioritäten ihres Lebens begrenzt. Sie waren nicht fähig, sich derart zu artikulieren, wie ein Gott es vermochte. Auch ihr Erscheinungsbild unterschied sich enorm von dem Antlitz eines Gottes, die Tiere liefen häufig auf vier Beinen, ihr gesamter Körper war oftmals von Haaren oder Schuppen bedeckt, anders als bei den Göttern. Die Tiere lebten mehr oder weniger friedlich und es gab gewisse Nahrungsketten. So fraß der Wolf das Lamm und das Lamm wiederum die Pflanzen und Gräser, doch sie nahmen sich ausschließlich das, was sie zum Überleben brauchten. Der Titan Prometheus ließ sich in das noch feuchte Gras sinken, welches von den Tropfen des leichten Regenschauers benetzt war. Dieser Planet war etwas Besonderes, ein Ort, der noch so viel mehr zu bieten hatte, allerdings waren die derzeitigen Bewohner nicht in der Lage, die volle Pracht der Erde zu entfalten und zu genießen. Eine Art musste her, die den Göttern mehr glich, als die Tiere es taten, dachte Prometheus voller Inbrunst. »Ist es möglich, etwas solches zu erschaffen?«, fragte sich der Titan. Prometheus war neugierig, ob seine Idee umsetzbar wäre. Er grub mit bloßen Händen ein Loch in den Boden und entdeckte die verschiedenen Arten der Beschaffenheit des Bodens, bis er den Ton fand. Das Material schien ihm für sein Projekt geeignet zu sein. Er schöpfte Wasser aus einem Fluss, den er daraufhin auf den Namen »Fluss des Lebens« taufte, und begoss den Ton, damit dieser formbar wurde. Aus dem braunen Klumpen schuf er das Abbild seines eigenen Körpers. Bis das Gebilde seinen Vorstellungen entsprach, hatten sich Tag und Nacht schon einige Male die Hand gereicht und dem jeweils Anderen die Erde überlassen. Prometheus fügte zu dem Gesicht noch Körperteile hinzu, die fähig waren, Eindrücke wie bewegte Bilder, Gerüche, Geschmäcker und Geräusche aufzunehmen, und ein Organ, welches das logische Denken ermöglichte. Das Gehirn war ein wirklich wichtiger Faktor für die neue Art, doch allein das Hirn reichte nicht aus, es musste auch einen Muskel geben, der wie bei den Tieren das Blut durch die Adern pumpte. Prometheus schenkte dem Wesen das Herz. Voller Zweifel betrachtete er die leblose Skulptur, die vor ihm stand. Allein mit dem Optischen war es nicht getan. In diese Skulptur musste Leben eingehaucht werden. Er orientierte sich an den Merkmalen der Tiere, übernahm sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften und fügte sie in die Brust seiner Schöpfungen ein. Die bis dahin leer wirkenden Augen füllten sich langsam mit Leben und nahmen die Dinge um sich herum wissbegierig auf. Allerdings glichen die Schöpfungen, die Menschen, wie Prometheus sie selbst nannte, eher den Tieren, die bereits auf der Erde weilten. Der Körper ließ sie optisch wie eine abgeschwächte Art der Götter wirken, doch in ihrem Handeln waren sie immer noch stark von Instinkten geleitet, genau wie die Tiere. Prometheus grübelte, wie er ihnen ein gottähnliches Denken schenken könnte, und wandte sich Rat suchend an die Göttin der Weisheit, Athene. »Prometheus, mein Freund! Deine Schöpfungen besitzen nur die Eigenschaften der Tiere, warum wunderst du dich, dass sie sich entsprechend verhalten?«, sprach die Göttin. »Ich wundere mich nicht, Athene, nur fällt mir kein Weg ein, das Denken zu verändern und unserem anzupassen … Da kam mir der Gedanke, dass du mir einen Rat geben könntest«, antwortete der Titan. »Nun, deine Menschen brauchen den göttlichen Funken in ihrer Brust, der ihnen all dies ermöglicht, was du dir für sie wünschst«, sprach Athene. »Gibt es eine Möglichkeit, das umzusetzen?«, fragte Prometheus voller Hoffnungen. »Die gibt es …«, erwiderte die Göttin der Weisheit verschlossen. »Willst du sie mir zeigen?«, erkundigte sich Prometheus. »Vorerst will ich dir eine Frage stellen«, meinte Athene besorgt. »So frag, ich will es dir beantworten!«, sagte Prometheus. »Bist du bereit, die Konsequenzen deines Handelns und des Handelns deiner Schöpfungen zu verantworten? Denn du wirst derjenige sein, an den die zornigen Götter des Olymps sich wenden werden, wenn ein Volk entsteht, das ihnen gefährlich werden könnte«, sprach Athene. Daraufhin brach Prometheus in schallendes Gelächter aus. »Sei unbesorgt, die Menschen sind nicht annähernd so stark, dass die Götter ihnen überhaupt Beachtung schenken werden, und was deine Frage angeht, so bin ich vollkommen bereit, dafür einzustehen …« Athene musterte ihn mit kritischem Blick und einer dunklen Vorahnung, doch sie kam dem Wunsch des Titanen nach und hauchte seinen Schöpfungen den göttlichen Funken ein.

Die Menschen unterschieden sich anschließend enorm von den Tieren, sie entwickelten ein logisches Denken und eine wissenschaftliche Neugier, die sie zu Dingen befähigte, die, ihrer Stärke nach zu urteilen, kaum möglich waren. Durch den Atem der Athene verfügten die Menschen fortan über eine Seele, die ihnen ebenfalls moralische Richtlinien vorschrieb. Bei manch einem der Gattung war diese Vorstellung der Moral stark ausgeprägt, bei anderen weniger. Doch das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse war ausbalanciert. Diese Balance war wichtig, denn ohne das Böse wäre auch das gute Handeln nicht entstanden. Perfektion, in Form von reinen, ausschließlich guten Menschen, war nicht möglich. Das Eine brauchte jeweils das Andere als Gegensatz. Die Menschheit brauchte eine kontrastreiche Bevölkerung, auch wenn der Ansatz, das Böse zu verteidigen, vermeintlich ominös wirkt.

Die Menschen entwickelten sich zur bestimmenden Spezies des Planeten, da ihr Schöpfer sie bestens unterrichtet hatte. Es kam, wie es kommen musste … Die Götter des Olymps wurden aufmerksam auf die Erde und ihre menschlichen Bewohner. Sie waren ebenfalls fasziniert von diesen Wesen und erkannten, dass die Menschheit ihnen von Nutzen sein konnte. Durch Gebete, Psalmen und Opfergaben konnte der von den Menschen gepriesene Gott an Stärke gewinnen. Es wurde eine Versammlung einberufen, bei der durch die Götter die Rechte und Pflichten der Menschen bestimmt wurden. Prometheus selbst erschien bei der Versammlung als Anwalt für sein Volk, damit die Pflichten nicht allzu lästig für seine Schützlinge wurden. Für den Schutz, den die Götter den Menschen gewährten, verlangten sie Verehrung. Prometheus war klug, und eben diese Klugheit verleitete ihn dazu, bei einer Opfergabe die Götter zu betrügen. Er wandte eine List an, um die geforderte Opfergabe an Zeus zu umgehen. Eine Kuh sollte die Menschheit dem Herrscher des Olymps opfern, doch Prometheus wies sie an, die Kuh zu schlachten sowie auf dem einen Haufen die Knochen hoch und breit aufzustapeln und auf dem anderen das Fleisch und die verwertbaren Organe der Kuh zu sammeln. Beide Haufen überzog er mit dem Fell und forderte Zeus auf, einen der beiden als Opfergabe zu wählen. Zeus durchschaute den Betrug, doch er wählte den größeren Stapel, unter dem sich lediglich Knochen befanden. Sobald Zeus die Knochen unter dem Fell aufgedeckt hatte, gab er sich so, als würde er den Verrat gerade erst bemerken, und donnerte zornig: »Du hast die Kunst des Truges nicht verlernt!« Den Verrat ließ Zeus nicht ungestraft und versagte dem Volk der Erde, den Menschen, eine wichtige Gabe, das Feuer. Ohne das Feuer blieb den Menschen vieles verwehrt, es würde in ihrer späteren Entwicklung einen wichtigen Faktor darstellen. Prometheus beschloss, sich des Problems anzunehmen, und nahm sich einen langen Stängel des Riesenfenchels. Mit dem entzündbaren Material bewaffnet, näherte er sich dem vorbeifahrenden Sonnenwagen und entzündete den Stängel daran. Das brennende Material brachte er seinen Schöpfungen, sodass sie, trotz der Rache des Zeus, nicht ohne das Feuer auskommen mussten.

Kaum war das Feuer auf der Erde vertreten, entzündeten die Menschen große Mengen an Holz, um das Feuer als Wärmequelle oder zum Braten des erlegten Wildes zu nutzen. Für die Menschheit schien der Moment perfekt, sie wärmten sich an den lodernden Flammen, nicht ahnend, ihr Todesurteil mit dem Entzünden des ersten Feuers unterschrieben zu haben. Zeus beobachtete, von seinem Thron im Olymp aus, das Geschehen wutentbrannt. Das Licht auf der Erde blendete seine göttlichen Augen, und der Akt des Verrates und Trotzes, welchen Prometheus verübt hatte, provozierte den Herrscher des Olymps. »Sie wagen es erneut, meinen Zorn heraufzubeschwören, sich meinem Worte zu widersetzen! Denken die törichten Wesen und ihr Schöpfer, dass sie mir ebenbürtig sind? Sich mir zu widersetzen vermögen? Ich bin es leid, zu drohen, sie zu warnen, das Volk muss für seine Taten büßen und lernen, was es heißt, den Allmächtigen zu erzürnen! Leiden sollen sie, auf vielfältige Art!«, grollte er. Die Bewohner der Erde nahmen den Zorn des Zeus lediglich als Lichtspiel am Himmel wahr, da die Blitze den dunklen Nachthimmel hell erleuchteten. Doch Zeus würde seine Rachegelüste nicht nur mit einem kleinen Gewitter demonstrieren. Er wandte sich an den Feuergott Hephaistos. »Du, Hephaistos! Forme mir das Trugbild eines Mädchens!«, forderte der Herrscher des Olymps. Der Feuergott kam dem Befehl nach und erschuf ein wunderschönes Abbild einer Göttin, welchem Athene ein weißes Gewand überwarf, einen Schleier ins Haar steckte und in das Haar schöne Blumen flocht. »Prometheus, du selbst hast es dir zuzuschreiben, ich kann dir und deinen Schöpfungen nicht mehr helfen, denn du hast den Zorn des Zeus auf dich gezogen und geschworen, dafür einzustehen«, murmelte Athene vor sich hin, welche schon eine gewisse Vorstellung davon hatte, was für eine Rache der Herrscher des Olymps verüben wollte. Zeus sprach weiter: »Hermes, du wirst dem Gebilde Sprache beibringen!« Er wandte sich weiter an die Göttin der Schönheit: »Aphrodite, verleihe ihr Liebreiz, sodass kein Wesen die Güte dieses Mädchen anzuzweifeln vermag.« »Erlauchter Zeus, was habt ihr vor mit diesem Wesen, welches ein Abbild der Schönheit ist? Wie hilft es euch als Rachefeldzug gegen die Menschen?«, erkundigte sich Hermes verwundert. Auf dem Gesicht des Zeus erschien ein teuflisches Lächeln, das an seinem Stand als Gott zweifeln ließ, wirkte er doch eher wie Satan höchstpersönlich. »Das Geschöpf soll Pandora heißen, die Allbeschenkte. Unter dem Schleier des Guten verbirgt sich das Böse. Allbeschenkt ist sie, weil jeder von uns ihr ein unheilvolles Geschenk mitgeben wird, welches die Menschen das Leid lehrt und ihren Untergang einleiten wird!«, verkündete er so laut, dass die Stimme von den Wänden echote und ein schauriger Doppelklang ertönte. Die Götter jubelten über Zeus’ genialen Einfall und bestückten eifrig die Büchse der Pandora, die sie den Menschen als Geschenk bringen sollte.

Athene selbst hielt die Strafe nicht für angemessen, wollte sie es den klugen Menschen doch ermöglichen, ein Heilmittel zu finden, welches sie nach jahrelangen Qualen erlösen sollte, die sie ohne Zweifel nach dem Öffnen der Büchse erfahren würden. Die Göttin der Weisheit hatte die Gaben, mit denen die Götter die Büchse bestückt hatten, begutachtet. Mit dem Öffnen der Dose würde die Menschheit mit Dingen konfrontiert werden, die sie zuvor nicht kannte. Es waren Krankheiten der verschiedensten Art, welche qualvolle Beschwerden hervorrufen würden, und Plagen, die das Ausbleiben der Ernte verursachten und somit Hungersnöte provozierten. Durch das Öffnen der Büchse würden die Menschen in einigen Jahrhunderten dahingerafft sein, sie würden so schnell verschwinden, wie sie erschaffen worden waren, und schon bald in Vergessenheit geraten. Das komplette Auslöschen der Spezies erzürnte Athene mehr, als sie vorerst wahrhaben wollte. Es waren keine Schöpfungen, welche sie selbst erschaffen hatte, und doch gab sie ihnen den klaren Verstand, der ihnen zu dem verholfen hatte, was sie nun waren. Athene wollte den Menschen eine Chance geben, die sie, sollten sie klug genug sein, nutzen konnten, um dem Leid ein Ende zu bereiten. Nach einigen Überlegungen überwogen das Mitgefühl und das rege Interesse an der Art. Sie fasste einen Entschluss. Unbemerkt schlich Athene sich davon und versteckte ein Büchlein aus schwarzem Leder mit einem blauen Stein, welcher auf der Vorderseite in das Buch eingelassen war und dem Gegenstand seine Magie verlieh. Es war eine riskante Aktion, doch obwohl Athene einer Bestrafung der Menschen zustimmte, fühlte sie mit den armen Kreaturen, die ohne ihre Hilfe den Rachegelüsten der Götter des Olymps ausgesetzt wären, und das auf ewig oder wenigstens so lange, bis der Letzte ihrer Art vernichtet wurde. Sie kniete nieder und schlug das leere, in Leder eingebundene Buch auf. »Beantworte jedem Menschen eine Frage! Doch lausche bedächtig meinen Worten, wenn ich dir nun sage, wer das Recht hat, dir eine Frage zu stellen. Nur die Klugen besitzen die Fähigkeit, dich zu finden, allein die Ausdauernden schaffen es, die Suche nicht vor dem Ziel zu beenden, und bloß die Starken überstehen die kräftezehrende Reise«, hauchte sie in das offene Buch und ließ es mit der Gewissheit fallen, dass das Buch sich selbst an einen sicheren Ort bringen würde. Schließlich hatte sie ihm neben dem Stein noch etwas von ihrer Magie eingehaucht. Ihr Verrat blieb von Zeus unbemerkt, und dieser setzte seinen Plan in die Tat um und ließ die allbeschenkte Pandora gen Erde wandern, um sein persönliches Geschenk überbringen zu lassen … Der Bruder des Prometheus nahm das Geschenk der Götter von der Botin Pandora entgegen und öffnete es, von seiner jugendlichen Naivität geleitet und von dem wunderschönen Ebenbild der Allbeschenkten geblendet. Die Qualen, Leiden und Krankheiten ergossen sich aus der Büchse und plagten die Menschheit. Viele der Erdbewohner starben an den Strafen. Sie erlagen den Krankheiten, die ihr Immunsystem so weit schwächten, bis sie dem Tod in die Arme gestoßen wurden. Andere verhungerten wegen des Ausbleibens der Ernte. Verzweifelt beobachtete Prometheus die Lage der Menschheit, er war ratlos und sah mit Schrecken das Sterben seiner Schöpfungen. Prometheus erkannte nur einen Ausweg, auch wenn dieser bedeuten würde, die Kontrolle über die Erde zu verlieren und sich selbst den Göttern auszuliefern. »Wenn dies der einzige Weg ist, so muss ich ihn gehen«, beschloss der Titan und stellte sich seinem Schicksal. Allerdings war Prometheus schlau genug, eine letzte List anzuwenden, um seine Schöpfungen vor den weiteren Rachegelüsten des Zeus zu schützen. »Ich mag verloren sein, doch muss ich die Kinder der Erde nicht mit ins Verderben reißen!«, sprach der Titan voller Inbrunst und bereitete sich darauf vor, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Kapitel 1

Alexej

Die Sonne war schon lange untergegangen und mit ihr die angenehme Wärme des Tages. Die darauffolgende Nacht ließ ihn selbst in seinem dunkelgrauen Mantel frösteln. Auch der leichte Nieselregen, der sich, wenn auch langsam, stetig seinen Weg durch die Schichten seiner Kleidung grub und ihm auf unangenehme Weise in die Augen tropfte, trug nicht unbedingt zu seinem Wohlbefinden bei. Die Gasse, durch die er in schnellem Laufschritt rannte, war schmal, von der Nässe glitschig und wurde lediglich von einer einsamen Straßenlaterne beleuchtet, wobei selbst diese nicht mehr als ein schwaches Flackern zustande brachte. Alexej riskierte einen kurzen Blick über die Schulter, es schien, als hätte er die vermummte Gestalt abgehängt, die ihm an diesem Tag eher mehr als weniger auffällig gefolgt war. Ihre Spione und Spitzel sind deutlich nachlässiger geworden oder wurden mit weniger Sorgfalt ausgewählt, dachte er zufrieden. Um sich besser vor der Kälte zu schützen, schlug Alexej den Kragen seines Mantels hoch und lief die letzten Meter zu einem heruntergekommenen Haus, welches früher wohl einmal weiß angestrichen war, wobei man die weiße Grundierung unter den vielen Staub- und Schmutzschichten nur mit bestem Willen und viel Fantasie erkennen konnte. Die Tür erschien morsch, war aber trotz des kaputten Eindruckes sehr stabil, ansonsten hätte Alexej gar nicht erst erwogen, in diesem Haus zu leben. War es auch nur vorübergehend, er konnte wirklich keinen unerwünschten Besuch gebrauchen, und Besuch bekam man in dieser Gasse unter normalen Umständen kaum. Sollte es jemanden an diesen Ort verschlagen haben, dann, um einer nicht ganz legalen Aktivität nachzugehen. Alexej vermutete beispielsweise, dass sein Nachbar die Junkies der Umgebung mit netten Pillen versorgte und mit anderem Zeug, das zum Schnupfen oder wahlweise zum Spritzen geeignet war, je nachdem, was der Kunde bevorzugte. Wie sagte man so schön? Der Kunde ist König, richtig? Alexej hielt sich aus den Machenschaften seiner Nachbarn heraus, wie gesagt, Ärger oder neugierige Aufmerksamkeit konnte er nicht gebrauchen. Er war selbst auf der Suche nach etwas ganz Bestimmtem, er wusste nur leider nicht hundertprozentig, wie dieser Gegenstand aussah. Was er allerdings mit Gewissheit wusste, war, dass dieses mysteriöse Ding, was auch immer es sein mochte, ihm vor seiner Rivalin in die Hände fallen müsste. Das kleine Miststück war ebenfalls verzweifelt auf der Suche nach dem Gegenstand, welcher einer Legende nach die Macht haben sollte, eine beliebige Frage zu beantworten. Man konnte, sobald man den Gegenstand gefunden hatte, eine Frage stellen, egal welche. Das Objekt besaß angeblich die Eigenschaft, allwissend zu sein, und Alexej hatte eine dringende Frage. Eine Frage, auf welche er keine Antwort fand, daher kam der zwingende Drang, herauszufinden, um was es sich bei diesem Gegenstand handelte und wo er sich befand. Auch seine Rivalin – vielleicht traf es der Begriff Feindin besser, überlegte Alexej – suchte diesen Gegenstand, um eine Frage zu stellen. Allerdings würde eine Antwort auf ihre Frage die Menschheit in den Abgrund stürzen. Er hingegen suchte einen Ausweg, um eben diese Pläne zu vereiteln. Die Tatsache, dass den Schlüssel für ihre beider Ziele ein Gegenstand darstellte, war dermaßen ironisch, dass sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen schlich. Man konnte es sich wie ein Wettrennen vorstellen, nur dass der Sieger keine Goldmedaille gewinnen würde, sondern etwas viel Wertvolleres …

Kopfschüttelnd öffnete er die Tür zu seinem vorübergehenden Heim und entlockte den Angeln ein hässliches Quietschen. Vorsichtig betrat er das angrenzende Wohnzimmer, schaltete die Lampe oder, besser gesagt, die an der Decke baumelnde Glühbirne an und ließ seinen Blick wachsam über das Mobiliar gleiten. Auch wenn er die Tür für sicher hielt, war es töricht, sich allein auf ihre Stabilität zu verlassen. Auf den ersten Blick konnte er keine Eindringlinge erkennen und entspannte sich etwas, bis ein stetiges Schnarchen die Stille zerriss. Erschrocken zuckte Alexej zusammen. War es doch einem Betrunkenen gelungen, in sein Haus einzudringen, welcher jetzt gerade seinen Rausch ausschlief? Er atmete tief ein und meinte tatsächlich, eine bissige Note von selbst gebranntem Schnaps in der Luft zu riechen. Gleichermaßen genervt wie angewidert schnaubte er und näherte sich dem Sofa, auf dem er seinen ungebetenen Gast vermutete. Da das Schnarchen deutlich lauter wurde, bestätigte sich seine Annahme. Auch die halb leere, gläserne Flasche auf dem Couchtisch sprach dafür. Er lugte über die Lehne des Sofas und sah eine in Decken gehüllte Gestalt, deren Brustkorb sich langsam hob und senkte. Wunderbar, dachte Alexej, und verdrehte die Augen. So abgeschieden diese Gegend auch sein mochte, ihre Bewohner schienen sich der Notwendigkeit, sich von dem Besitz sowie von den Sofas der Nachbarn fernzuhalten, nicht bewusst zu sein. Mit zwei spitzen Fingern zog Alexej der Person die Decke unter das Kinn. Zuallererst kamen nur Haare zum Vorschein. Krause, braune Locken verdeckten das gesamte Gesicht der Gestalt. Glücklicherweise stieß der Typ auf der Couch ein weiteres kräftiges Schnarchen aus, sodass ihm genügend Haare aus dem Gesicht geweht wurden. Das Gesicht erschien Alexej merkwürdig bekannt, und bei genauerer Betrachtung wurde ihm schließlich klar, dass vor ihm tatsächlich ein Betrunkener lag. Nur war dieser Kerl kein beliebiger Obdachloser, sondern ein Freund von ihm, den er vor einigen Monaten auf der Straße aufgegabelt hatte. Alexej stieß laut den Atem aus und zog unsanft den restlichen Teil der Decke hinunter. Lewis schien das nicht im Geringsten zu stören, er drehte sich weiterhin schlafend auf die andere Seite und offenbarte einen Speichelfaden, welcher ihm aus dem linken Mundwinkel hing. Alexej wedelte mit der Hand vor seiner Nase, um den scharfen Schnapsgestank etwas zu lindern, und ging in die Küche. Seelenruhig nahm er sich einen Eimer, füllte diesen mit kaltem Wasser und gab noch einige Eiswürfel hinzu. Mit dem kalten Gemisch kehrte er zurück zum Sofa und goss es seinem Freund gnadenlos über den Kopf. Lewis zuckte zusammen und japste nach Luft, im nächsten Moment sprang er von der Couch und schnappte sich die Schnapsflasche, bereit, sie demjenigen über den Kopf zu ziehen, der ihn so unangenehm geweckt hatte. »Ruhig, Brauner!«, rief Alexej. Lewis blinzelte einige Male und ließ daraufhin seine Flasche sinken. »Alex? Bist du eigentlich verrückt geworden?«, stieß er lallend hervor. »Ich nicht, aber du offensichtlich schon! Verdammt, was ist denn los mit dir, dich so volllaufen zu lassen«, erwiderte Alexej gereizt. »Komm mal runter, ich bin – bin doch gar nicht soooo betrunken …«, versuchte sich Lewis zu verteidigen, was ihm angesichts der Tatsache, dass ihm dieser Satz nicht wirklich unfallfrei über die Lippen kam, nicht gelang. Alexej rieb sich gestresst über die Stirn und meinte: »Du bist wirklich keine große Hilfe, seit ich dich gefunden habe, säufst du wie ein Loch! Lass dich nicht so gehen, dafür habe ich keine Zeit und du genauso wenig!« Lewis stieß einen geräuschvollen Rülpser aus und murmelte: »Du bist so besessen von deiner Mission, Ottilie zu finden und die Erde zu retten! Solcher Quatsch verhindert, dass du mal ein bisschen Spaß hast …« Eine deutliche Röte wanderte Alexejs Hals hinauf und schoss ihm in den Kopf, wütend biss er die Zähne zusammen. »Du nennst das Quatsch? Wirklich? Ist es so unnötig, zu verhindern, dass eine ganze Spezies ausgelöscht wird?«, schrie er wütend. Lewis winkte ab und erwiderte: »Du schnallst es nicht, die Erde wird untergehen, und dasselbe habe ich auch vor, bloß dass mein Untergang lustiger ist …« Er gluckste und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. »Stockbesoffen redest du nur Schwachsinn, also her mit der Flasche! Jetzt schläfst du und morgen arbeiten wir weiter daran, dieses kleine, verlogene Miststück aufzuhalten!«, entgegnete Alexej und riss seinem Kumpel die Flasche aus der Hand. »Ey, das war nicht nett!«, schmollte Lewis beleidigt. Kopfschüttelnd wollte sich Alexej umdrehen, doch eine Hand an seiner Schulter hielt ihn davon ab. »Jetzt warte mal, Alex. Selbst du als unverbesserlicher Held musst einsehen, dass wir gegen Ottilie zu zweit einfach nicht bestehen können.« »Wir sind nicht nur zu zweit, wir haben Lucas!«, hielt Alexej dagegen. Lewis zog eine Augenbraue hoch und schüttelte verneinend den Kopf: »Lucas ist ein Idiot, der bringt nichts!« »Da habt ihr ja schon etwas gemeinsam …«, antwortete Alexej. Lewis versuchte, ihm einen Stoß in die Rippe zu verpassen, doch er scheiterte kläglich und verlor stattdessen beinahe das Gleichgewicht. Alexej revanchierte sich mit einem gezielten Schlag in den Nacken. »So geht das! Mach dir mal keine Sorge über unsere Unterzahl, ich habe, was das angeht, einen Plan«, verkündete er. Lewis rieb sich seinen schmerzenden Nacken und meinte: »Oh, ein geheimer Masterplan, ich bin begeistert.« Ohne auf die Ironie einzugehen, die deutlich in seinem Satz mitschwang, erwiderte Alexej: »Dazu hast du auch allen Grund, mein Freund! Aber die Details erzähle ich dir morgen, also schlaf weiter, damit die Kopfschmerzen dich nicht allzu sehr ausbremsen.« »Besorg mir mal ein paar Aspirin, Mann, mein Schädel brummt jetzt schon …«, bat Lewis. »Selbst schuld, von mir kriegst du gar nichts mehr, ehe du dich nicht zusammenreißt! Also sei morgen zur Abwechslung mal aufmerksam und nutze die Gehirnzellen, die noch vorhanden sind.« Damit war das Gespräch beendet – vorläufig jedenfalls.

Elara

Es war Freitag und etwa kurz nach drei Uhr nachts. Die meisten Menschen schliefen um diese Zeit, doch Elara saß mit ihrem Laptop und diversen Nachschlagwerken auf ihrem Bett und rieb sich die müden, roten Augen. Neben ihr standen drei leere Kaffeetassen und eine angebrochene Dose Red Bull. Sie brütete über einem Geschichtsaufsatz, welcher am nächsten Morgen fällig war. Ihr Thema war der amerikanische Bürgerkrieg, und sie war im Großen und Ganzen auch recht zufrieden, bloß über Abraham Lincoln und seinen Kriegsminister Ulysses S. Grant wollte sie noch detaillierter berichten. Es war nicht so, dass sie nicht rechtzeitig angefangen hätte, nur waren ihr beim erneuten Durchlesen noch einige Punkte aufgefallen, die kleiner Verbesserungen bedurften. Die unbearbeitete Version war bereits wirklich gut und hätte ihrem Geschichtslehrer vermutlich gereicht, um zufrieden mit rotem Stift eine Eins auf das Dokument zu kritzeln, aber Elara hatte die schwächeren Punkte nun mal erkannt und wollte ihre Arbeit nicht unvollständig, wie es ihr erschien, abgeben. Sie hatte einige perfektionistische Züge und war dazu recht ehrgeizig, also zwang sie sich selbst, die fünfzehn Seiten zu überarbeiten oder, besser gesagt, zu optimieren. Ihre sonst so geübten Finger brauchten ungewöhnlich lange, um die Worte zu tippen, da sie von dem vielen Koffein und der Übermüdung bereits zu zittern begonnen hatten. Bei einem von ihr ausgewählten Zitat von Abraham Lincoln: »Kein Mensch ist so gut, dass er über einen anderen ohne dessen Zustimmung herrschen darf«, brauchte sie tatsächlich vier Anläufe, um die Wörter richtig zu übernehmen.

Die Buchstaben auf dem Laptop flimmerten und ein leichter Schmerz breitete sich in ihrem Kopf aus. Sie schloss für einige Sekunden die Augen und massierte sich währenddessen die Schläfen. Die Tür zu ihrem Zimmer wurde geöffnet und ihre größere Schwester Zara betrat in einem übergroßen T-Shirt, welches sie als Schlafanzug nutzte, den Raum. Zara und Elara hatten, obwohl sie Schwestern waren, überhaupt nichts gemeinsam. Während Elara lange dunkelblonde Haare hatte und grau-blaue Augen, die immer recht ernst hinter ihrer großen Brille hervorschauten, trug Zara ihre braunen, lockigen Haare kurz. Zara war launisch, aber dennoch beliebt und auf so ziemlich jeder Party zu Gast, während Elara nur eine gute Freundin hatte und ein deutlich ruhigeres Gemüt. Die jüngere Schwester analysierte die Situation, hörte aufmerksam zu und sammelte so die Informationen, die sie interessierten. Die Ältere war wiederum lieber mittendrin statt nur dabei und genoss es, im Mittelpunkt zu stehen. »Sag mir nicht, du arbeitest noch an deinem Geschichtsding? Du bist doch völlig fertig, nicht mal ein guter Concealer könnte deine Augenringe noch verbergen, Schätzchen. Was ist denn so wichtig daran, den Aufsatz zu korrigieren, der war doch perfekt …«, plapperte Zara los. Elara kniff die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu. »Pst, nicht so laut!«, zischte sie. »Hast du Angst, dass Mama und Papa aufwachen?«, flüsterte Zara zurück. »Nein, aber ich kann deine laute Stimme und die unnötigen Worte, die du von dir gibst, gerade nicht ertragen!«, erwiderte Elara immer noch leise. Ihre Schwester stieß einen empörten Laut aus und meinte: »Du bist ja komplett durchgedreht. Meinetwegen lerne doch so viel du willst und schütte Unmengen von Kaffee in dich hinein! Gesund ist das ja nicht, aber mach dir keine Sorgen, ich werde dich nicht weiter belästigen, damit du meine nervtötende Art nicht ertragen musst! Sorry …«, zischte Zara sauer und legte einen dramatischen Abgang hin. Elara schlug die Augen nieder, das würde ihre Schwester ihr noch eine Weile nachtragen … Aber um drei Uhr nachts hatte sie einfach weder die Nerven noch die Zeit, sich über Concealer Gedanken zu machen. Sie schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck Red Bull. Angewidert verzog sie bei dem Geschmack des Energy-Drinks das Gesicht. Ekelhaft, dachte sie, aber es kam ihr nicht auf den Geschmack an, sondern nur auf die Wirkung, und die erzielte den gewünschten Effekt und verhinderte, dass ihr die Augen zufielen. Sie widmete sich erneut ihrer Arbeit, in der Hoffnung, später vielleicht noch eine halbe Stunde Schlaf zu bekommen. Mit ein wenig Ruhe hatte sie vielleicht das Glück, dass ihre momentan tiefschwarzen Augenringe sich noch zu einem leichten Violett färben würden. Das wäre doch mal eine nette farbliche Veränderung im Gegensatz zu den schwarzen Balken, die in der Prüfungszeit immer unter ihren Augen prangten, dachte sie mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.

Der Wecker klingelte um halb sieben in der Früh. Mit einem Ächzen hievte Elara sich aus ihrem Bett, nur um über eines ihrer Geschichtsbücher zu stolpern. Sie konnte sich gerade noch an der Kante ihres Schreibtisches festhalten und tastete nach ihrer Brille. Nachdem sie fündig geworden war, schob sie sich die »Harry-Potter-Gedächtnis-Brille«, wie ihre Freundin zu sagen pflegte, wieder auf die Nase. Ihre Augen dankten es ihr damit, dass sie die Welt wieder scharf stellten. Elara zog gerne den Vergleich zwischen ihren Augen und einem Fernseher. Ohne ihre Brille sah sie das Bild wie auf einem schlechten analogen Gerät, und mit ihr hatte sie eine brillante HD-Bildqualität. Immer noch verschlafen, drückte sie bei der offenen Word-Datei auf Drucken und wartete ungeduldig darauf, dass der Drucker ihren Aufsatz ausspuckte. Die bedruckten Seiten fanden ihren Platz in einem pinkfarbenen Schnellhefter, welcher wiederum in einer Transportmappe in ihrem Rucksack verschwand. Die restlichen Bücher und Mappen für den heutigen Tag wurden ebenfalls in die Schultasche gequetscht. Beim Schließen des Rucksackes hatte sie einige Probleme, aber mit etwas Gewalt und nach diversen Flüchen ließ sich der Reißverschluss doch noch zuziehen. Mit dem Rucksack auf der Schulter wollte sie gerade über die Türschwelle zum Flur treten, als ihr einfiel, dass sie immer noch ihren Pyjama trug. Sie schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn und kehrte zurück zu ihrem Kleiderschrank, wo sie jeweils die ersten Teile, die sie in die Finger bekam, herauszog und überstreifte. Fertig angezogen griff sie nach einer Bürste, um die dunkelblonden Haare, welche vom ewigen Zerzausen ganz widerspenstig geworden waren, zu bändigen, gab es jedoch nach zwei Minuten auf und griff nach einem Haargummi. Sie steckte ihre Mähne zu einem nachlässigen Dutt hoch und stiefelte in die Küche zu ihrem Lieblingsgegenstand – der Kaffeemaschine. Zufrieden trank sie ihren doppelten Espresso und fühlte, wie die Lebensgeister langsam erwachten. Ihre Mutter Roth betrat, bloß in Negligé und Morgenmantel gekleidet, die Küche und wünschte ihr einen guten Morgen. Skeptisch betrachtete Elara ihre Mutter, während sie einen Bissen von ihrem Nutella-Brot nahm. »Ist alles in Ordnung, Lara?«, erkundigte sich ihre Mutter, die ebenfalls zu dem Kaffeeautomaten wanderte. »Ja, es ist nur so … Ich frage mich, ob du dir nicht vielleicht etwas anziehen möchtest, musst du nicht gleich in die Praxis?«, fragte Elara. Roth riss bestürzt die Augen auf und verschwand wieder aus der Küche. Ziemlich verrückte Familie, dachte Elara grinsend und widmete sich der fast vollen Kaffeetasse, die Roth in ihrer Eile stehen gelassen hatte. Mit einem Blick zur Uhr verging ihr allerdings das Grinsen und sie beeilte sich, um noch ihren Bus zu bekommen.

Zu Beginn der Pause schlenderte Elara zum Chemie-Raum, um ihre Freundin Emelie abzuholen. Dieses Schuljahr hatten sie bedauerlicherweise kaum Kurse zusammen, so blieben ihnen nur die Zeiten zwischen dem Unterricht. »Na du«, grüßte Emelie. Elara schenkte ihr ein kleines Lächeln, zu mehr war sie nicht imstande, weil sie darum kämpfen musste, die Augen offen zu halten. »Sag nicht, du warst schon wieder die ganze Nacht wach?«, erkundigte sich Emelie mit leichtem Tadel in der Stimme. Elara zuckte bloß nichtssagend die Schultern. »Wollen wir in die Cafeteria gehen?«, wich sie der Frage aus. »Kannst du erst einmal meine Frage beantworten?«, beharrte Emelie. »Nein, ich war nicht die ganze Nacht wach«, seufzte Elara. »Lara, darf man lügen?«, entgegnete Emelie mit hochgezogener Augenbraue. »Also so gegen fünf Uhr morgens bin ich eingeschlafen«, murmelte Elara zerknirscht. Emelie schaute sie kopfschüttelnd an und fragte: »Was gab es denn noch so Wichtiges, was du fertigstellen musstest?« »Meinen Geschichtsaufsatz über den amerikanischen Bürgerkrieg …«, klärte Elara sie auf. Emelie seufzte und zog ihre Freundin schließlich in Richtung der Cafeteria. Sie kramte nach einer Münze und steckte diese in den schuleigenen Kaffeeautomaten. »Bitte sehr«, sagte Emelie und reichte Elara einen Becher mit Kaffee. »Womit habe ich dich verdient? Du bist die Beste«, rief Elara und nahm gierig einen Schluck von dem heißen Getränk. »Ich muss doch wohl sicherstellen, dass du den heutigen Tag ohne ein Nickerchen überstehst …«, meinte Emelie grinsend. Elara winkte ab und erwiderte: »Nach der Schule haue ich mich aufs Ohr und hole meinen verpassten Schlaf nach.« Emelie zog die Augenbrauen zusammen und bedachte ihre Freundin mit einem bitterbösen Blick. Fragend schaute Elara zurück und war froh, dass Blicke nicht töten konnten, ansonsten würde sie unter diesem sicherlich ins Gras beißen. Kapitulierend hob Elara langsam die Hände und schlussfolgerte: »Ich habe keine Ahnung, um was es geht, aber es scheint etwas zu sein, was dir wirklich wichtig ist, und ich habe es komplett verpatzt, indem ich es vergessen habe …« Emelies Gesichtsausdruck normalisierte sich allmählich wieder und sie erklärte: »Erinnerst du dich an die Feier von Mary Mittermeier?« Seufzend rieb sich Elara über die Stirn und fragte: »Da möchtest du hingehen?« »Falsch, da wollen wir hingehen«, antwortete Emelie. »Muss das denn sein, ich habe eigentlich noch sehr viel zu tun …«, versuchte sich Elara aus der Affäre zu ziehen. »Und was soll das sein?«, hakte Emelie nach. Fieberhaft suchte Elara nach einem triftigen Grund, doch ihr fiel spontan keine gute Ausrede ein, sodass sie behauptete, ihrer Schwester bei den Hausaufgaben helfen zu müssen. »Seit wann macht deine Schwester Hausaufgaben?«, erkundigte sich Emelie irritiert. »Ähm … Sie wollte heute damit anfangen«, log Elara verunsichert. Emelie kniff die Augen zusammen und unterzog Elara einer scharfen Musterung. »Was hast du denn für Bedenken gegenüber der Party?« »Na ja … Eigentlich gar keine Bedenken«, murmelte Elara. »Dann gibt es ja keinen Grund, nicht hinzugehen!«, freute sich Emelie und wollte sich zum Gehen wenden. »Warte! Okay, ja, ich habe meine Bedenken! Was ist denn an einer Feier so toll? Dort sind Dutzende Jugendliche, die halb nackt tanzen und dabei schwitzen, literweise Bier oder andere alkoholische Getränke in sich reinschütten und die Getränke, die alkoholfrei sind, mit eigenem Schnaps aufpeppen! Das ist doch ein Albtraum …«, knickte Elara ein. Emelie kicherte bloß und meinte: »Du kannst so ziemlich alles, außer Spaß haben.« »Quatsch, ich habe Spaß, sehr viel Spaß sogar!«, entgegnete Elara empört und fügte hinzu: »Du hast einfach eine ganz andere Definition von Spaß als ich!« Bedächtig nickte Emelie mit dem Kopf und sagte: »Richtig, und es wird Zeit, dass du meine Vorstellung von Spaß kennenlernst. Also, keine Widerworte mehr, das hat nämlich keinen Zweck, meine liebe Lara!« Seufzend gab sich Elara geschlagen und stellte sich auf einen Abend in Gesellschaft von ihren ohnehin schon meistens dämlichen und dort auch noch besoffenen Mitschülern ein. Zaudernd verzog sie die Mundwinkel nach unten und stellte sich ihrem grausigen Schicksal.

Kapitel 2

Alexej

Es war halb elf Uhr morgens und Alexej stand vor seiner Couch und betrachtete Lewis, der noch seinen Rausch ausschlief. Unsanft rüttelte Alexej an den Schultern seines Kumpels und fragte: »Stehst du freiwillig auf oder muss ich den Eimer holen?« Der Angesprochene stöhnte übertrieben und hielt sich theatralisch den Kopf. »Aspirin!«, stieß er hervor. Alexej konnte es sich nicht verkneifen, seinen Freund etwas zu quälen, und erwiderte: »Würdest du bitte in ganzen Sätzen mit mir reden? Du weißt doch noch, wie das geht, oder? Subjekt, Prädikat, Objekt!« »Bring mir Aspirin, du verdammter Bastard!«, war der zweite Anlauf von Lewis. Missbilligend schnalzte Alexej mit der Zunge und wackelte mit dem Zeigefinger. »Erste Lektion: Wenn du jemanden um etwas bittest, solltest du vermeiden, ihn im gleichen Atemzug zu beleidigen!« »Zweite Lektion: Wenn es einem Freund nicht gut geht, dann foltere ihn nicht mit unnötigen Belehrungen, sondern hilf ihm!«, entgegnete Lewis mit knirschenden Zähnen. »Mensch, Lewis! Das Prinzip hast du ja scheinbar verstanden, also hör bei Lektion drei gut zu! Solltest du betrunken und sabbernd bei deinem Freund auf dem Sofa eingeschlafen sein, stelle keine Forderungen, sondern versorge dich selbst unauffällig, damit du deinen überaus freundlichen Gastgeber nicht störst, geschweige denn ihm auf die Nerven gehst.« »Ist ja gut, Alter!«, murmelte Lewis und stand schwankend auf. »Also, wo hast du die Tabletten versteckt?« »In der Küche, im dritten Schrank links, neben den Wassergläsern«, erklärte Alexej. Murrend schleifte sich Lewis in Richtung Küche. Nach einigen Augenblicken kam er wieder, in der einen Hand ein Wasser und in der anderen das Wundermittel gegen Kopfschmerzen mit dem Namen Aspirin. Er schluckte das Medikament geräuschvoll hinunter und setzte sich erneut auf das Sofa. »Du hast gestern von irgendeinem Plan geredet …«, begann Lewis. »Ich bin überrascht, dass du dich daran erinnerst!«, unterbrach ihn Alexej. Lewis sah ihn böse an und forderte eine Erläuterung seines Planes. »Komm mit, dafür müssen wir in mein Arbeitszimmer!«, forderte Alexej ihn auf und stieg die Treppen zum Dachboden hinauf.

Der Dachboden stellte sowohl Schlaf- als auch Arbeitszimmer für Alexej dar. Ein einfacher Lattenrost, auf dem eine Matratze sowie zerknülltes Bettzeug lagen, stand in der hinteren Ecke des Raumes und diente als Bett. Gegenüber befand sich ein alter wuchtiger Schreibtisch, dessen Tischplatte in der Mitte schon leicht gebogen war und unter dem Gewicht der zahlreichen Bücher und Karten zusammenzubrechen drohte. Neben dem Schreibtisch stand eine Pinnwand, an der ausgeschnittene Zeitungsartikel hingen, Landkarten sowie gelbe beschriftete Post-its. Einige Bücherregale hatten sich ebenfalls einen Platz erkämpfen können, wobei sie etwas zweckentfremdet worden waren. Auf den Regalbrettern stapelten sich neben Büchern auch Kleidungsgegenstände und ein alter Röhrenfernseher, nicht zu vergessen die dicke Staubschicht, die sich ebenfalls eingerichtet hatte. »So, da wären wir … Dann fang mal an zu singen, mein Vögelchen!«, forderte Lewis auf. Alexej ignorierte den wenig erfolgreichen Versuch seines Freundes, witzig zu sein, und begann tatsächlich mit der Erläuterung seines Planes. »Fakt ist, Ottilie ist die Nachfahrin von Pandora, der Schöpfung der Götter, die die Erde vernichten wollte, es aber auf wundersame Weise nicht schaffte, ihre Schatulle ganz zu leeren. So konnte die Menschheit überleben, richtig? Meine Vermutung besteht darin, dass Prometheus es schaffte, einen Weg zu finden, der die Erde von dem Einfluss der Götter abschnitt. Ich habe mir das Ganze wie ein großes magisches Netz vorgestellt!« Alexej deutete auf die Pinnwand, an der eine von ihm angefertigte Skizze der Erde hing, die von bunten Kreisen umgeben war, welche wohl den angesprochenen Schutzschild darstellen sollten. »Okay, so weit, so gut – aber wieso konnte diese Schatulle nicht ganz geleert werden und warum hat sich Prometheus selbst an die Götter des Olymps ausgeliefert, wenn er sich doch durch das Netz, welches er erschaffen hat, hätte schützen können?«, hakte Lewis nach. »Das habe ich mich auch gefragt und in vielen der alten Sagenbücher nachgeforscht, die ich über die Jahre gesammelt habe. Es sind bloß Vermutungen, aber laut dem, was ich gelesen habe, würde ich sagen, dass der Schutzschild nicht nur Magie ausgrenzt, sondern auch innerhalb, also auf der Erde, die Ausbreitung von ursprünglicher Magie oder Übernatürlichem verhindert. Folglich wäre Prometheus als Titan entweder an dem Ersticken seiner Kräfte gestorben oder ein Störfaktor gewesen und hätte so eine Gefahr für seine Menschen dargestellt, weil der Schild durch seinen Einfluss zu schwach gewesen wäre, um die zornigen Götter von einer erneuten Rache abzuhalten …« »Aber hast du nicht selbst gesagt, dass du dich, mich und auch Lucas für Nachfahren der Götter hältst?«, fragte Lewis irritiert nach. »Ja, habe ich«, antwortete Alexej. »Aber nach dem, was du gerade erzählt hast, würden wir doch unter übernatürliche Wesen fallen und müssten daher eigentlich tot sein oder hätten schon eine Attacke der Götter ausgelöst«, schlussfolgerte Lewis. »Solche Gedanken sind mir auch durch den Kopf gegangen, allerdings war Prometheus klug und muss einen Weg gefunden haben, uns zu erschaffen, sodass wir keinen Störfaktor darstellen, sondern den Motor für den Abwehrmechanismus des Schildes«, fuhr Alexej fort. »Warte, das geht mir jetzt zu schnell … Ich bin ein Motor für diesen Schild, obwohl er mich eigentlich umbringen müsste?«, rätselte Lewis. Alexej schnalzte ungeduldig mit der Zunge: »Der Legende nach wird bloß ursprüngliche Magie verstoßen.« »Ach so …«, meinte Lewis, fügte aber nach einigen Momenten des Überlegens hinzu: »Ich habe es leider immer noch nicht geschnallt.« »Also, wenn Prometheus es geschafft hat, Gene der Götter in normale Menschen zu pflanzen, fallen diese Geschöpfe, Schrägstrich wir, nicht unter die ursprünglich göttlichen Wesen und können daher friedlich mit dem Schild koexistieren.« Lewis rieb sich nachdenklich über die Stirn und sagte schließlich: »Ich glaube, so langsam verstehe ich, worauf du hinauswillst. Wir wurden später erschaffen und sind darum nicht ursprünglich … Ich frage mich bloß, warum unsere Art dieser ’halben, nicht ursprünglichen götterähnlichen Wesen mit übernatürlichen Kräften’ denn überhaupt von ihm erschaffen wurde, wenn er die Menschheit doch vor dem Einfluss der Götter schützen will. Warum setzte er dann ihre künstlich geschaffenen Nachkommen auf der Erde aus?« »In den Büchern steht, dass so ein Netz unglaubliche Mengen an Kraft verbraucht, Kraft in Form von Energie beziehungsweise Magie. So gesehen, waren teilweise übernatürliche Wesen notwendig, um den Schutz der Spezies zu garantieren«, erläuterte Alexej. »Also meintest du mit Motor die Tatsache, dass wir den Schild mit unseren Kräften am Leben halten?«, schlussfolgerte Lewis. »Ja, so lautet meine Theorie«, stimmte ihm Alexej zu. »Um noch mal auf Ottilie zurückzukommen … Ist sie das Gleiche wie wir, nur dass sie nicht von den Göttern, sondern von Pandora abstammt?«, fragte Lewis. Alexej nickte zustimmend. »Aber nach deiner Theorie ist ihre Vorgängerin Pandora doch auch kein ursprüngliches magisches Wesen, sondern erst später erschaffen worden. Warum konnte sie dann vom Schutzschild beeinflusst werden?«, überlegte Lewis. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber spontan würde ich vermuten, dass Pandora doch zu viele Spuren von ursprünglicher Magie enthielt. Du musst dir ja vorstellen, dass alle Götter des Olymps sie zusammen geschaffen haben, daher könnte sie eine Ausnahme darstellen …«, erläuterte Alexej. »Und Ausnahmen bestätigen die Regel«, ergänzte Lewis murmelnd. »Halleluja, das Ganze ist ziemlich verwoben und mysteriös«, fügte er seufzend hinzu. »Wo du Recht hast …«, begann Alexej. »Mal aus reinem Interesse, kann man herausfinden, welcher Nachkomme von welchem Gott abstammt?«, erkundigte sich Lewis. »Ich wüsste nicht, wie man es mit hundertprozentiger Sicherheit sagen kann, aber laut den Legenden haben die Nachkömmlinge ähnliche Kräfte und Charakterzüge und sollen auch optisch teilweise stark oder schwach nach ihren Vorfahren kommen …«, sagte Alexej vage. »Na, wenn das so ist, kann ich ja eigentlich nur von einer Göttin abstammen«, meinte Lewis schmunzelnd und fuhr sich grinsend durch die Haare. »Jetzt bin ich aber gespannt …«, erwiderte Alexej stirnrunzelnd. »Aphrodite, die Göttin der Liebe, der Schönheit und der sinnlichen Begierde! Ich sehe so gut aus, da kann doch nur sie mein genetischer Ursprung sein!«, seufzte Lewis grinsend und fuhr mit seiner Hand anzüglich die Linien seines Körpers nach. Alexej brach in schallendes Gelächter aus und musste sich vor Lachen den Bauch halten. Gespielt empört hielt sich Lewis eine Hand an die Stirn und hauchte: »Dein Lachen, mein lieber Alex, verletzt mich mehr, als ich zugeben will.« Alexejs Lachen ging langsam in ein stetiges Glucksen über, aber so ganz konnte er nicht verbergen, dass er sich köstlich amüsierte. Lewis ließ den Blödsinn und wurde wieder ernst. »Du hast jetzt so gut und genau, wie es eben möglich ist, unsere Situation, den Grund unserer Existenz, aufgedeckt, aber gestern sprachst du von einem Plan, wie wir ihr und ihrer kleinen Sekte zahlenmäßig nicht mehr unterlegen sind«, erinnerte Lewis ihn. Alexej ließ sich auf den Schreibtischstuhl sinken und begann zu erklären: »Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass bloß wir drei für die Versorgung des Schildes verantwortlich sind. Für die Massen an Energie, die der Schild zum Schutz der Erde verschlingt, müssen noch mehr Leute unserer Art verantwortlich sein, und genau die gilt es zu finden!«, erzählte Alexej. »Wunderbar, und wie finden wir unsere Artgenossen?«, fragte Lewis leicht ironisch. »Tja, wenn das mal so einfach wäre … Dazu habe ich nämlich eine weitere Theorie, deren Umsetzung selbst für unsere Verhältnisse viele Risiken birgt …« »No risk, no fun!«, warf Lewis schmunzelnd ein.

Alexej zog die Stirn kraus und schüttelte leicht den Kopf. Bedrückt sagte er: »Ich glaube nicht, dass dir das gefallen wird.« »Spuck es schon aus, so schlimm wird es nicht sein!«, beharrte Lewis. »Wir waren nicht immer so, wie wir jetzt sind. Es hat eine Zeit gegeben, als wir noch keine besonderen Talente beziehungsweise Fähigkeiten aufwiesen …«, begann Alexej. »Also ich war schon immer talentiert!«, unterbrach ihn sein Kumpel. Alexej zog eine Augenbraue hoch, fuhr jedoch fort: »Wie auch immer, diese Talente waren zumindest nicht so stark ausgeprägt, wie sie es jetzt sind. Ich erinnere mich sehr gut an den Zeitpunkt, als bei mir die Wende eintrat, wie sieht es bei dir aus? Kannst du die Veränderung auch mit einem bestimmten Ereignis verknüpfen?« Lewis überlegte eine Weile und rieb sich nachdenklich über das Kinn, seine sonst so fröhliche, lockere Art wich einer Bedrückung, die man ihm deutlich ansah. »Ich denke nicht gerne daran zurück …«, antwortete er schließlich. Alexej legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter, erwiderte jedoch: »Es wäre wirklich wichtig … Ich brauche noch eine Bestätigung für meine Annahme.« Lewis seufzte frustriert, gab jedoch klein bei: »Es war schon spät abends, eigentlich hätte ich längst zu Hause sein müssen, aber ich hatte Stress mit meiner Mutter und wollte meine Rückkehr zu ihr deshalb so lange hinauszögern wie möglich, also bin ich durch einige Gassen und Nebenstraßen gegangen. Ist rückblickend keine so gute Idee gewesen. Etwa eine Querstraße von unserer Wohnung entfernt kam eine Gruppe, ich glaube, es waren ungefähr vier Leute, auf mich zu und forderte, dass ich ihnen mein Portemonnaie, mein Handy sowie alle Wertgegenstände, die ich bei mir trug, aushändigen sollte.« Er stockte kurz und schluckte die aufkommenden Gefühle wieder hinunter: »Die Kerle sahen wirklich übel aus, sie waren breit wie Schränke und ungefähr Mitte zwanzig, tätowiert von oben bis unten. Na ja, die Details sind ja auch eigentlich unwichtig, wenn man die Gruppe gesehen hatte, wusste man jedenfalls, dass das Ärger bedeutete. Ich habe ihnen alles gegeben, was ich hatte, und wollte danach so schnell wie möglich weglaufen, weit war es ja nicht mehr. Mein Ego und mein Stolz hatten unter den Demütigungen der Gruppe ganz schön gelitten, also habe ich etwas selten Dämliches getan. Während ich wegrannte, habe ich mich erneut umgedreht und den Bastarden zugeschrien, dass ich die Polizei anrufen würde und sie dann schon sehen würden, was sie von solchen Aktionen hätten. Ich hätte einfach mal meine große Klappe halten sollen, aber du kennst mich ja, ich muss alles und jeden kommentieren … Ich weiß nicht, ob die Typen wirklich Angst vor der Bullerei hatten oder nur wütend waren, weil ich ihnen gedroht hatte … Sie verfolgten mich jedenfalls und prügelten mich windelweich.« Erneut brauchte Lewis eine Pause, ehe er sich bereit fühlte, fortzufahren. »Ich war ziemlich übel zugerichtet worden und erinnere mich auch nur noch dunkel an das, was danach kam, ich hatte wohl eine Gehirnerschütterung. Als ich irgendwann im Kranken