Ein Herz für Franken (eBook) -  - E-Book

Ein Herz für Franken (eBook) E-Book

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Beschreibung

Die Anthologie "Ein Herz für Franken" vereint die beliebten Kolumnen aus den "Nürnberger Nachrichten" erstmals in einem Band. Gebürtige Franken und Wahlfranken, deutschlandweit bekannte Persönlichkeiten und regional geschätzte Größen, schildern darin ihr ganz persönliches Verhältnis zu Franken: 66 Kolumnen, mal liebevoll, mal launig, mal lustig, mal ernst – immer aber ganz individuell und dabei so vielfältig wie Franken selbst. Mit Beiträgen von Ewald Arenz, Jan Beinßen, Nataša Dragnic, Hans Magnus Enzensberger, Rolf-Bernhard Essig, Hans W. Geißendörfer, Hermann Glaser, Helmut Haberkamm, Tanja Kinkel, Dirk Kruse, Fitzgerald Kusz, Bernd Regenauer, Christiane Neudecker, Timur Vermes, Sabine Weigand u.a.

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Seitenzahl: 180

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Steffen Radlmaier (Hrsg.)

 

 

 

 

 

 

66 launige Liebeserklärungen

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage November 2013)

 

© 2013 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

© der Einzeltexte bei den Autoren

Die meisten der hier abgedruckten Beiträge erschienen bereits als Serie (»Ein Herz für Franken«) in den Nürnberger Nachrichten

 

Lektorat: Madeleine Winter

Umschlaggestaltung: ars vivendi verlag

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-7472-0084-1

 

Inhalt

Vorwort

Zur Einstimmung

Hans Magnus Enzensberger – Ein Land und viele Fragen

Ewald Arenz – Wer kriegt den Fernseher, wenn Papa tot ist?

Lucas Bahl – Himmel und Hölle

Angela Baumann – Henne oder Ei?

Hendrik Bebbe – Der Pelz brennt

Jan Beinßen – Seelenverwandte

Der Bembers – Bassd scho!

Klaus Bittermann – Langzeitschäden

Hans Böller – Eine tiefere Form von Glück

Anne Borel – Entfernte Verwandte

Peter Braun – Bamberg ist überall

Veit Bronnenmeyer – Uneinigkeit in Vielfalt

Dietmar Bruckner – Sexy ist es anderswo

Wolfgang Buck – Der Neid der anderen

Nevfel Cumart – Keller des Lebens

Barbara Dicker – Rolling, rolling, rolling

Nataša Dragnić – Ade, Sprachmonster!

Rolf-Bernhard Essig – Größe im Kleinen

Gerhard Falkner – Schiffbruch

Ludwig Fels – Mit scharfem G

Sabine Friedrich – Alles nur Einbildung?

Hans W. Geißendörfer – Nichts ist unmöglich

Hermann Glaser – A weng Sprachphilosophie

Stefan Gnad – Franconia gives a fuck!

Tommie Goerz – Das Sein und das Niggs

Nora Gomringer – Kaffee à la Franconia

Helmut Haberkamm – Fit for the future

Sonny Hennig – Gewachsene Liebe

Hans-Peter Kastenhuber – Stammtisch-Philosophie

Thomas Kastura – So fern wie Malmö

Tanja Kinkel – Wie Gott in Franken

Tessa Korber – Liberalitas Franconiae

Matthias Kröner – Grüß Gott!

Dirk Kruse – Eine Frage des Stolzes

Fitzgerald Kusz – Training fürs Ohr

Michael Lösel – Daheim

Killen McNeill – Fast so wie in Irland

Petra Nacke – Fränkisches Mantra

Christiane Neudecker – Berliner sind Krapfen

Bernd Noack – Sozialisation in Franken

Thomas Pigor – Der Kosmopolit und seine Extrawurst

Mia Pittroff – Wir werden verstanden

Jochen Rack – Würzburger Passion

Bernd Regenauer – Die ewigen Zweiten

Heidi Rex – Fränkische Jugendbewegung

Jeff Röckelein – Man muss Gott für alle danken

Anette Röckl – Deutsch als Fremdsprache

Olaf Roth – Ein Nürnberger im Paradies

Klaus Schamberger – ÜberFranken, UnterBayern

Wolf Peter Schnetz – Land der Karpfen

Robert Schopflocher – Das fränkische Schneckenhaus

Godehard Schramm – Vielfalt statt Einfalt

Gudrun Schury – Voll integriert

Manfred Schwab – Modell für Europa?

Leonhard F. Seidl – Oberbayerischer Einwanderer

Thomas Senne – Fränkische Paradiese

Kerstin Specht – Auf der Suche nach den Franken

Elmar Tannert – Dialekt und Dialektik

Mathias Tretter – Fränkische Fernbeziehung

Timur Vermes – Wortkarge Liebe

Volker Wachenfeld – Meisterschuss vom Meistertrunk

Sabine Weigand – Napoleon ist schuld

Ruben Wickenhäuser – Unser tägliches Brot

Johannes Wilkes – Heimliches Lächeln

Michael Zeller – Am Horn von Gostenhof

Zum Ausklang

Karlheinz Deschner – Durch Franken fahren

Autorinnen und Autoren

 

Vorwort

Franken, der nördliche Teil von Bayern, in der Mitte Europas gelegen, ist eine alte Kulturlandschaft, aber kein eigenes Bundesland. Das muss kein Nachteil sein, erklärt aber den Futterneid auf München und den Minderwertigkeitskomplex gegenüber Bayern zumindest teilweise.

Die Geschichte ist reichlich kompliziert, vielleicht aber auch nicht komplizierter als anderswo. Möglicherweise sind die Franken an ihrem Unglück selbst schuld. Sie fühlen sich von der Weltgeschichte (und von der Politik) oft ungerecht behandelt, vom Rest der Welt nicht recht verstanden und können sich selbst nicht leiden. Dabei möchten sie doch eigentlich nur geliebt oder zumindest respektiert werden. Aber da fangen gleich wieder die Selbstzweifel an, die mitunter freilich auch in Selbstüberschätzung umschlagen können. Viele Zugereiste können dieses Hadern mit der Welt, diese Hassliebe der Franken zu ihrer Heimat überhaupt nicht verstehen: Ist doch alles so schön hier! Die Preise sind günstig (Fassbier für 2,20), die Städte zauberhaft (Burgen und Fachwerk!), die Landschaft ist herrlich (Fränkische Schweiz, Taubertal, Seenland, Frankenwald, Mainschleife, Fichtelgebirge usw.), das Essen herzhaft (Schäufele mit Kloß) und der Dialekt drollig (fei wergli). Es lebt sich hier nicht schlecht, und man kann hier auch toll Urlaub machen. Alles easy!

Wo also ist das Problem? Das Problem sind wohl die Franken selbst. Sie haben ein gesundes Misstrauen gegenüber sich selbst und nehmen Komplimente von Fremden nicht für voll. Zweckpessimismus ist so etwas wie der fränkische Nationalcharakter. So toll war das auch wieder nicht! Wo der Nicht-Franke hofft: Es wird schon schief gehen, denkt sich der Franke: Das kann niemals gut gehen! Damit versucht er, sich selbst vor Enttäuschungen und allzu großen Erwartungen zu schützen. Wenn’s dann doch gut ausgeht – umso besser! Das beste Beispiel dafür ist das Verhältnis der fränkischen Fußballfans zum 1. FCN. Die Philosophie des Scheiterns ist in einer erfolgsorientierten Leistungsgesellschaft vielleicht eine besonders clevere Art von Selbstschutz.

Jedenfalls haben es die Franken nicht leicht – weder mit sich noch mit der Welt. Oder nehmen sie sich einfach selbst zu wichtig mit ihrer Grübelei?

Das macht die Sache interessant, zum Beispiel für eine Zeitungskolumne, die sich diesem Thema mit einem Augenzwinkern widmet. Die namhaften Autorinnen und Autoren, die sich »Ein Herz für Franken« genommen haben, verbindet alle ein ganz spezielles Verhältnis zu (den) Franken. Sei es, weil sie hier geboren sind, sei es, weil sie irgendwann zugezogen sind. Die meisten arbeiten als Schriftsteller und Journalisten, aber auch Kabarettisten und Songschreiber haben ihren Teil beigesteuert. Sie alle suchen nach originellen Antworten auf die Frage: Typisch fränkisch, was ist das?

Die in dieser Anthologie versammelten Texte sind Teil einer beliebten Serie im Feuilleton der Nürnberger Nachrichten: »Ein Herz für Franken – Alles, was Sie schon immer über (die) Franken wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten.«

Mein herzlicher Dank gilt allen, die zum Gelingen dieser Anthologie beigetragen haben. In erster Linie natürlich den Autorinnen und Autoren, aber auch Norbert Treuheit für seine Anregung und tatkräftige Unterstützung sowie dem Verlag Nürnberger Presse für die Abdruckgenehmigung.

 

Steffen Radlmaier

Im Oktober 2013

 

Zur Einstimmung

 

Hans Magnus Enzensberger – Ein Land und viele Fragen

Ach so, Sie wollen etwas über »mein Verhältnis zu Franken« wissen? Ich bin nicht der Einzige, der darüber leicht ins Grübeln kommt. Denn wo liegt dieses Land überhaupt, und seit wann? Meinen Sie Ober- oder Unter-, Mittel- oder Mainfranken? Wir reden von mindestens drei Bistümern, vier Reichsstädten, zwei Fürstentümern aus Brandenburg, einer Handvoll Grafschaften, gar nicht zu reden vom Deutschen Orden, von den unzähligen Ritterschaften, Abteien und Enklaven. Im Fränkischen Kollegium des Reichsfürstenrates saßen, wenn ich nicht irre, 16 stimmberechtigte Herrschaften, nämlich sechs Hohenloher, vier Erbacher, zwei Castells, zwei Löwensteiner, ein Schönborn und ein Nostitz.

Alles nur gut 200 Jahre her! Ein Patchwork, wie es auf Neudeutsch heißt, ein unglaublicher Fleckerlteppich, gar nicht zu vergleichen mit dem fetten Kurbaiern, diesem Kriegsgewinnler.

Entschuldigung! Ich persönlich finde mich in diesem Durcheinander nur schwer zurecht. Vielleicht, weil ich kein geborener Franke bin. Meine Voreltern stammen aus dem Allgäu, das ebenso zusammengestückelt und verschachtelt ist. Eigentlich kenne ich mich nur in Nürnberg und Umgebung wirklich aus. Weiter als bis nach Cadolzburg und Erlangen hat es bei mir nicht gereicht. Würden Sie mich nach Wöhrd und Gostenhof, nach Zabo, das auf dem Stadtplan Zerzabelshof heißt, nach Erlenstegen, Groß- oder nach Kleinreuth hinter der Veste fragen, da könnte ich vielleicht noch mitreden.

Außerdem kenne ich noch allerhand protestantische und katholische Nester, den preußischen Zopfstil und das Markgrafentheater in Erlangen, das jüdische Fürth, die kleine Nadelmetropole Schwabach, den Reichelsdorfer Keller, das längst versunkene gelehrte Altdorf, die kaputt gebombten Slums der Altstadt, die einst den Touristen als das »Schatzkästlein des Reiches« angepriesen wurden, und natürlich das Reichsparteitagsgelände … Früher, als Schüler, konnte ich sogar behände zwischen dem proletarischen Dialekt der Insel Schütt und dem Honoratioren-Fränkisch des reichen Prinzregentenufers wechseln, aber inzwischen habe ich die feineren Nuancen aus Mangel an Übung verlernt.

Kurzum, waschecht bin ich nicht, weder als Franke noch als Nürnberger. Aber wer aus dieser Gegend kommt, merkt mir an, dass sie wenigstens eine Spur bei mir hinterlassen hat, die ich durchaus nicht verleugnen will. Jedes A, das mir über die Lippen kommt, verrät, dass auch in mir das berüchtigte goldene Herzerla eines fränkischen Jedermanns schlägt.

 

Ewald Arenz – Wer kriegt den Fernseher, wenn Papa tot ist?

Gefühle zeigen die meisten Franken nur ungern. Herzlos sind sie deswegen noch lange nicht.

In der Familie wird – vor allem von meinem Vater – die Geschichte kolportiert, einer meiner Brüder hätte im zarten Alter von vier Jahren, als bei Tisch das Thema Tod auftauchte, laut gefragt: »Wenn Papa tot ist, wer kriegt dann den Fernseher?«

Diese Anekdote diente meinem Vater Fremden gegenüber schon öfter zur prägnanten Illustration der Herzlosigkeit seiner zahlreichen Kinder. Natürlich ist das völlig übertrieben. Die Naivität unserer Kindheit haben wir alle längst verloren und außerdem finden wir, dass er dankbar sein kann, so viele Künstler in die Welt gesetzt zu haben. Wir sind nicht herzlos. Deshalb reagierten wir einigermaßen bestürzt auf die Nachricht, als wir erfuhren, dass unser Vater mit einem Herzanfall in die Klinik gebracht worden war und operiert werden musste.

Am Vorabend der Operation ließ er uns Kinder dann doch nacheinander zu sich kommen, um für den Fall der Fälle die letzten Dinge zu besprechen. »Papa«, fragte ich, als ich an der Reihe war, »hast du ein Testament?« Er schüttelte den Kopf. »Du erbst doch sowieso nur eine sechstel Wohnung«, sagte er. »Und den Fernseher teilt ihr euch, du und Jörg. Wozu also?«

»Etwa, damit man weiß, ob du verbrannt oder beerdigt werden willst.« Mein Vater wiegte gedankenschwer den Kopf. »Ich habe mich noch nicht entschieden«, sagte er dann, »aber lebendig will ich auf keinen Fall begraben werden.«

»Bei einer Verbrennung wäre man sicher«, meinte ich spöttisch.

Er winkte lässig ab. »Jaja. Entscheide du das.« Ich habe mir diese letzten Gespräche immer ernster vorgestellt.

»Was kriegst du für eine Klappe?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln. »Metall oder Rind?«

»Vielleicht Mensch«, antwortete mein Vater abwesend, weil er dabei war, mir aufzuschreiben, mit welchen Versicherungen ich im Falle seines Todes telefonieren sollte. »Die Ärzte wissen’s noch nicht.« Wahrscheinlich waren wir am nächsten Tag doch alle etwas nervös, aber sobald die erste SMS, dass er die OP gut überstanden habe, die Runde machte, war zwar die erste Antwort: »Uff. Gott sei Dank!«, die zweite jedoch, die unmittelbar folgte, lautete: »Schade wegen des Fernsehers.«

Erst abends, als ich mich hinsetzte, um all die Texte zu schreiben, zu denen ich in den letzten Wochen nicht gekommen war, kam die echte Erleichterung. Und dann dachte ich daran, dass ich die nächsten zehn Jahre trockener Witze meines Vaters vielleicht jemandem verdanke, der an den Tod genauso unbeschwert dachte wie wir und bereit war, seine Organe für andere zu geben. Sogar für einen Unterfranken wie meinen Vater. Ich dachte weiter daran, dass ich nur deshalb immer noch einen meiner besten Freunde habe, weil auch damals jemand bereit war, sich im Todesfall zu verschenken. Da war es zwar kein Herz, sondern eine Leber für einen Franken gewesen, aber Leben gerettet hat sie auch.

Da war ich auf einmal sehr dankbar, dass es da draußen Leute gibt, die ganz im Wortsinn ein Herz für Franken haben, auch wenn es bei meinem Vater schließlich doch eine Rinderklappe war.

»Heutzutage weiß man ja nie«, sagte ich bei meinem ersten Besuch bei meinem Vater lächelnd. »Bist du sicher, dass es nicht Pferd ist?«

Mein Vater hatte Schmerzen, aber er lächelte. Familie eben.

 

Lucas Bahl – Himmel und Hölle

Himmel und Hölle liegen in Franken oft nah beieinander. Heroldsbach und Hausen etwa sind kaum einen Kilometer voneinander entfernt. Und wenn die Ausweisung von Neubaugebieten zur Anfütterung des Siemens-Speckgürtels so weitergeht, trennt beide Gemeinden bald nur noch ein Ortsschild. Heroldsbach und Hausen, das ist wie Köln und Düsseldorf – oder um im Fränkischen zu bleiben, wie Nürnberg und Fürth.

Die nachbarschaftliche Rivalität besitzt im Fall von H+H jedoch eine Qualität, mit der die vier genannten Großstädte nicht mithalten können. Denn während die Heroldsbacher die Pforte zum Himmelreich quasi vor der Haustür haben, versiegelt Hausen derzeit mit seinem neuen Industriegebiet den Eingang zur Hölle unter einer dicken Schicht von Beton und Asphalt. Ob das wirklich hilft, bezweifeln nicht wenige.

Die Heroldsbacher Pforte ins Himmelreich ist genau genommen eine Art Einflugschneise. Sie markiert – an hohen christlichen Feiertagen hübsch illuminiert – den Weg, den die Jungfrau Maria in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg herabgeschwebt kam. Sie offenbarte den Seherkindern – die mittlerweile älteren Damen werden immer noch so genannt – kryptische Weissagungen wie die »Russenvision«. Es folgten Jahrzehnte tapferer Aufbauarbeit und vieler Anfeindungen, bevor letztlich sogar die katholische Amtskirche dem prosperierenden Wallfahrtsort ihren Segen gab.

Hausen rühmt sich dagegen allen Ernstes damit, der Geburtsort von Pontius Pilatus zu sein, und befindet sich damit in ebenfalls nachbarschaftlicher Konkurrenz zu Forchheim, das von sich dasselbe behauptet. Erklärungsversuche lassen wir hier außen vor, es würde die Angelegenheit verkomplizieren.

Nun mag man sich fragen, wie in Hausen, das vor ein paar Jahren sein immerhin 1.000-jähriges Jubiläum feiern konnte, eine Person eher zweifelhaften Rufs das Licht der Welt erblicken konnte, die wohl vor rund 2.000 Jahren lebte, noch dazu viele römische Meilen jenseits des Limes. Da sich die Antworten und Hintergründe dieser Geschichte ohnehin nicht in den wenigen noch verbliebenen Zeilen dieser kleinen, feinen Kolumne zusammenfassen lassen, versuche ich das auch gar nicht. Ich verweise interessierte Leser stattdessen auf das gewichtige und fundierte Werk des Hausener Heimatforschers Georg Batz zu diesem Thema.

Nur so viel sei gesagt: Die örtliche Pilatus-Legende berichtet von einer unterirdischen Stadt voller Gold und Reichtümer, die vom Erdreich verschlungen wurde, als ihr berühmtester Sprössling seine Hände in Unschuld wusch. Nur die Spitze des Kirchturms, den es zu Zeiten dieses schicksalsträchtigen Vorfalls bereits gegeben haben soll, liegt knapp unter der Erdoberfläche. Sollte irgendwann – so die Sage – diese Turmspitze wieder freigelegt werden, dann ist es aus mit dieser Welt und uns allen. Das Ende aller Zeiten und das Jüngste Gericht wären die unabwendbaren Folgen. Kurz und ungut: In Hausen lauert einer der vielen Eingänge zur Hölle.

Früher hat man gelegentlich besonders fanatische Wallfahrer, die nach Heroldsbach gepilgert waren und keine Lust mehr hatten, auf das Ende der verdorbenen Welt zu warten, nächtens auf dem gut fränkisch genannten Flurstück »Pilodes« am Rande Hausens graben sehen und – zum Glück – rechtzeitig erwischt und kurzerhand verjagt.

Den internationalen Firmen zuliebe, die sich nun auf der neuen Gewerbefläche ansiedeln sollen, nennt man das Gelände jetzt brav auf Hochdeutsch »Pilatus«. Hoffentlich plant keines dieser Unternehmen eine Tiefgarage …

 

Angela Baumann – Henne oder Ei?

Romanische Münster, gotische Dome, barocke Wallfahrtskirchen, mittelalterliche Burgen, Rokokoschlösser, Parks, Flüsse, eine kleine Schweiz, herausgeputztes Fachwerk, Hochschulen, Universitäten, Museen, Theater und Opernhäuser, romantische Städte und Dörfer, dazu Bier und Wein.

Was soll diese Aufzählung? Aus einem Reiseprospekt abgeschrieben? So unkonkret, dass sie auf viele Regionen Europas zutrifft?

So viel, und nur so viel übrigens zum Thema Selbstbewusstsein.

Fehlen noch zwei Ingredienzien und wir wissen, wo wir uns befinden: Lebkuchen und Bratwurst.

Ach, Franken, eine lebens-, ja liebenswerte Region in Europa. Wir sollten uns wirklich überlegen, ob wir dort unseren Urlaub planen oder gar ganz dort leben wollen. Freilich, kein Land der Superlative: Die sonnigsten Strände, die höchsten Berge und die älteste Kultur sind anderswo.

Franken, ein gemäßigter Landstrich mit gemäßigter Bevölkerung, die sich über dieselben Dinge freut, unter denselben Problemen leidet wie alle Welt.

Franken, ein Allerweltsland, insbesondere Mittelfranken. Scheinbar.

Denn uns verblüfft die Tatsache, dass laut Statistik Ansbach, die Regierungshauptstadt Mittelfrankens, die höchste Kriminalitätsrate dortselbst aufzuweisen hat. Unglaublich, ein fränkischer Superlativ.

Nachdem uns in den letzten Jahren die »Frankenkrimis« wie mechanisch abgeschossene Tontauben um die Ohren fliegen – und in deren Gefolge die mehr oder weniger übel zugerichteten Leichen –, muss im von Buchhändlern überversorgten Ansbach die Frage nach (literarischer) Ursache und Wirkung erlaubt sein: Henne oder Ei?

Haben wir vor der Frankenkrimi-Invasion schon einmal davon gehört, dass die Ansbacher ein kriminelles Völkchen seien, abgesehen vom manchmal sonderbaren allgemeinfränkischen Wählerverhalten, das eben nicht für offene Aggression spricht, sondern für die frankentypisch hineingefressene Wut?

Was ist da vorgefallen? Der gemäßigte Franke – allenfalls besagte unterdrückte Wut im Bauch, denn was ihm gar nicht liegt, ist, sich zu exponieren – bekommt via Buch Unterricht in kriminellen Zusammenhängen. Plötzlich erkennt er die mafiösen Verstrickungen der Bierkonzerne, die tödlichen Eifersüchteleien von Universitätsprofessoren, die mörderischen Verstrickungen des Verwaltungsapparats und so weiter, und so fort.

»Die dürfen alle, und ich nicht?«, fragt er sich und lässt vor seinem inneren Auge all jene Revue passieren, die ihn ärgern oder in seiner freien Entfaltung behindern. Der an sich gemäßigte, nun aber partiell enthemmte Franke, insbesondere der Mittelfranke, insbesondere der Ansbacher, greift immer öfter zu kleinen Gemeinheiten, mittelschweren Sachbeschädigungen und größeren Eigentumsdelikten. Auch die Geschädigten lesen Frankenkrimis und melden die geringsten Vorkommnisse der örtlichen Polizei. Henne oder Ei?

Autoren und Verleger sollten sich zurückrudernd schleunigst ein Genre überlegen, das den Franken im Allgemeinen und den Ansbachern im Besonderen ihre Unschuld zurückgibt.

 

Hendrik Bebbe – Der Pelz brennt

Dank der Filialen deutscher Billigdiscounter im Vereinigten Königreich brauchen Franken in der englischen Diaspora nicht an kulinarischen Entzugserscheinungen leiden. Für Nürnberger Bratwürste, Lebkuchen und sogar original Christkindlesmarkt-Glühwein ist reichlich gesorgt. Was mir jedoch hier schmerzlich fehlt, ist der Schafkopf.

Obwohl die »Oxford University Press« eine ausgezeichnete Anleitung im »Lexikon der Kartenspiele« gibt, scheiterten alle Versuche kläglich, mit englischen Freunden eine Schafkopfrunde zu gründen. Sie gewöhnten sich zwar daran, dass das Blatt im Gegensatz zu ihnen keine »Queen« kennt und die Asse Säue sind, aber die komplexe Rhetorik des fränkischen Schafkopfs blieb ihnen selbst in der Übersetzung ein Buch mit sieben Siegeln.

Die größte Eigentümlichkeit des Schafkopfs sind nämlich Redensarten, die jede Phase des Spiels begleiten. Sie sind von Ort zu Ort unterschiedlich und sie richtig zu deuten, ist ebenso wichtig wie ein gutes Blatt. Die Floskeln des Schafkopfs entsprechen dem englischen »Small Talk« über Wetter, Kricket und Hunde: Freunde, die sich schon lange nichts mehr zu sagen haben, gehen nach solchen Abenden im Gefühl einer glänzenden Unterhaltung auseinander. Doch weitaus mehr noch als das höflich-unverbindliche Wortgeplätscher der Briten ist die Schafkopf-Metaphorik ein Spiegel des fränkischen Nationalcharakters.

Allein die Floskeln, mit welcher Farbe ein Spiel angemeldet wird, geben einen tiefen Einblick in die fränkische Seele. »Grün scheißt die Gans im Frühjahr« verrät die auch bei Städtern tief verwurzelte Land- und Naturliebe, während »Herzlich lacht die Tante« für den ausgeprägten Familiensinn der Franken spricht. Die moralische Stärke unseres Landes zeigt sich in dem Ruf »Raus mit der Hure aus dem Pfarrhof«, spieltechnisch ein Signal, die gegnerische Sau auf den Tisch zu reizen. Fränkische Nervenstärke in brenzliger Situation dokumentiert der Satz »Eichel, Michel – der Pelz brennt«; und ein schöner Beweis für den hoch entwickelten sozialen Sinn und das Mitgefühl zeigt sich in der Redensart, mit der ein Spieler seinen glücklosen Partner erleichtert, indem er den rettenden Trumpf mit den Worten auf den Tisch knallt: »Dass dir nicht vom Teufel träumt«. Natürlich sind die hier auf Hochdeutsch wiedergegebenen Redensarten im fränkischen Original noch klangvoller und bedeutungstiefer.

Die philosophische Einstellung der Franken zu den Wechselfällen des Lebens kristallisiert sich in dem minimalistischen Gedicht, das beim abwechselnden Ausspielen von Trümpfen und »Luschen« zitiert wird: »Einmal hoch, einmal nieder / geht der Arsch vom alten Frieder« – was überdies auch ein Meisterwerk der konkreten Poesie ist, die den fränkischen Dialekt so sehr auszeichnet.

Die Sprache des Schafkopfs gibt überdies einen Einblick in die subtile fränkische Erotik. So wird niemals mit dem Schellen-Ass gespielt, sondern immer mit der »Bumpel«. Obwohl viele Frauen begeistert Schafkopf klopfen, verzichten sie auf feministische Variationen der Redensarten. Dabei bietet sich »Ich spiele mit dem Zipfel« geradezu beim Eichel-Ass an. Bislang fällt dieses Wort jedoch nur bei der Bestellung sauer gedünsteter Bratwürste für die obligatorische Vesper an einem Schafkopfabend.

Der wortlose Schafkopf, den ich online spielen könnte, ist eine reine Perversion dieses wortgewaltigen Spiels, an dem ich mich bei meinen Heimatbesuchen immer seltener erfreuen kann. Alte Kartel-Kneipen wurden längst schon zu Edelfress-Tempeln umfunktioniert. Ich tröste mich darüber mit der Einsicht hinweg: »Wos greinsd, Marie? Wos gschengd is, is gschengd, unn fümbf Marg sinn vill Geld.«

 

Jan Beinßen – Seelenverwandte

Allem Fremden gegenüber sind sie skeptisch eingestellt, und richtig dazu gehört man allerfrühestens in der dritten Generation. Sie geizen mit Lob für andere, aber auch sich selbst gegenüber. Herzlichkeit gehört ebenso wenig zu ihren Eigenschaften wie Überschwang oder gar Euphorie. Vor die Wahl gestellt, ob sie sich zu Optimisten oder Pessimisten zählen, wählen sie letzteres. Ihre Mundwinkel tendieren eher nach unten als nach oben. Ein ganz eigener Menschenschlag, quasi das Gegenstück zur rheinischen Frohnatur.

So sind sie, die Schaumburg-Lipper. Unter ihnen bin ich aufgewachsen, zwischen Weserbergland und Norddeutscher Tiefebene. Dort verbrachte ich mein erstes Vierteljahrhundert und dachte immer, wir Schaumburger seien einzigartig. Von wegen! Kaum in Franken angekommen, stellte ich fest: Die reden hier anders, sind aber genauso drauf! 500 Kilometer weiter im Süden war ich auf Seelenverwandte gestoßen.

Meine alten und neuen Landsleute ticken sehr ähnlich. Und sie wissen, dass sie etwas Besonderes sind. Dass sowohl die Franken als auch die Schaumburger in ihrer Geschichte wiederholt Anläufe genommen haben, ihre Souveränität zu stärken, indem sie ein eigenes Bundesland ausrufen wollten, spricht für sich. Denn sie kochen beide gern ihr eigenes Süppchen und lassen sich ungern reinreden.