Ein Hund für zwei - Thorsten Steffens - E-Book

Ein Hund für zwei E-Book

Thorsten Steffens

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Beschreibung

Ein humorvoll-romantischer Wohlfühl-Roman für alle Fans von Tommy Jaud, Beth O´Leary und Rom-Coms  »Dann meinst du das mit dem Hund wirklich ernst?«, unterbrach ihn seine Mutter. »Die bellen doch und haaren und machen Schmutz. Besorg dir lieber eine Frau!«  »Davon hatten sie keine im Tierheim.«  Tony wünscht sich nichts sehnlicher als einen Hund. Leider ist er Single und arbeitet in Vollzeit, weswegen ihm das Tierheim keinen vermitteln möchte. Dieses Schicksal teilt Isabelle, der man ebenfalls einen Hund verwehrt. Als sie sich zufällig begegnen, tun sie sich zusammen: Im nächsten Tierheim geben sie sich als Paar aus und beschließen, sich abwechselnd um den Hund zu kümmern! Ansonsten haben sie zwar nichts gemeinsam, aber was soll schon schiefgehen? So zieht kurzerhand Labrador-Mischling Buddy als Teilzeithund bei ihnen ein. Der stellt ihr Leben ganz schön auf den Kopf – und dann funken auch noch Gefühle dazwischen.  »Eine wirklich schöne Komödie, die auch ein wenig mit Klischees und Vorurteilen aufräumt und uneingeschränktes Lesevergnügen bietet. Ich habe das Buch sehr genossen und gebe 09/10 Punkte.« ((sunsys-blog.blogspot.com)) »Tony und Isabelle sind ein Power-Dream-Team. Ich könnte keine Liebingsfigur bestimmen, weil ich für jeden gleichermaßen schwärme. Ich muss nicht mehr erwähnen, dass ich dieses Buch geliebt habe. Von mir gibt es die vollen 5 Sterne und einen Platz bei meinen "Herzensbüchern".« ((Leserstimme von Netgalley)) »Ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Ein Hund für zwei war eine tolle Geschichte für zwischendrin. Locker und leicht zum Lesen, aber auch mit einer gewissen Tiefe, die man anfangs nicht direkt erwartet.« ((Leserstimme von Netgalley)) »Wie die unterschiedlichen Charaktere dabei agieren und wie sie immer wieder die neuen Facetten des jeweils anderen kennenlernen, hat Thorsten Steffens frisch locker, sehr unterhaltsam und mit viel Situationskomik sowie witzigen Dialogen in seinem neuen Buch beschrieben.« ((Kölner Stadt-Anzeiger))

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Kai Gathemann.

Redaktion: Birgit Förster

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Die Handlung und alle handelnden Figuren sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Prolog

1. Blind Dates

2. Zimtzicken

3. Tierheim

4. Küchengespräche

5. Buddy

6. Flashbacks

7. Drei Frauen

8. Vorgesetzte

9. Citygespräche

10. Verflossene

11. Blumen

12. Stress

13. Spontaner Urlaub

14. Krankenhaus

15. Dankeschön

16. Wir müssen reden!

17. Das Telefonat

18. Die Geburtstagsfeier

19. Träumereien

20. Wie geht’s weiter?

21. Ein ganz normaler Tag

22. Trauer

23. Zweiunddreißig

24. Epilog

Danke an …

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Nicole.

Prolog

Tony Papadea konnte Frau Heinrich-Liebermann nicht leiden. Nicht nur, weil sie seine Mathelehrerin war und er dieses Fach nicht mochte, sondern weil er fand, dass sie durch und durch niederträchtig war.

»Antonios! An die Tafel!«, instruierte sie in ihrem gewohnt herrischen Ton.

Leidvoll erhob Tony sich von seinem Platz und schlenderte nach vorn – so, als ob er dadurch ein wenig Zeit gewinnen könnte. Zeit, die ihm ohnehin nichts gebracht hätte.

Vier Fünftel minus drei Zehntel hatte die Liebermann dort angeschrieben. Bruchrechnen! Ausgerechnet! Das hatte er zu Beginn des Schuljahres schon nicht verstanden, und das wusste die alte Kuh ganz genau.

»Dann zeig uns mal, wie man diese Aufgabe rechnet!«, gellte ihre Stimme, als sie ihm die Kreide überreichte.

Tony stand vor der Tafel und betrachtete die Brüche. Vier minus drei ergab eins, das war einfach. Aber fünf minus zehn? Das ging doch gar nicht!

Er hörte, wie die ersten Schüler hinter ihm anfingen zu kichern.

»Wird das heute noch was?«, drängelte seine Lehrerin.

Die Klasse wurde immer ungeduldiger, viele begannen zu tuscheln. Er verstand nicht, was sie sagten, aber er wusste, dass sie über ihn redeten und darüber, wie schlecht er in Mathe war. Und in Deutsch. Und in Chemie.

Dennoch begann er zu schreiben. Wie gesagt, vier minus drei ergab eins, also malte er eine Eins hinter das Gleichheitszeichen. Darunter zeichnete er fein säuberlich einen Bruchstrich. Viel weiter kam er allerdings nicht, weil die Hälfte der Klasse kicherte. Die andere Hälfte stöhnte laut auf, als wollte sie sagen: Oh, Mann, wie blöd kann man nur sein?

Das sagte zwar keiner von ihnen, aber das war auch nicht nötig, denn das übernahm die Liebermann. »Meine Güte! Du musst zunächst den gemeinsamen Nenner finden! Wie oft habe ich das schon erklärt? Irgendwann muss man das doch mal kapieren!« Dann riss sie ihm die Kreide aus der Hand. »Also, die hellste Kerze auf der Torte bist du wirklich nicht!«

Die Klasse lachte schallend. Allen voran Sebastian Müller, der blöde Streber! Und Tina und Marcel, die sich sowieso für etwas Besseres hielten.

»Hehe, Torte …«, echoten sie.

Nein, Tony konnte Frau Heinrich-Liebermann nicht nur nicht leiden, er hasste sie. Und er hasste Sebastian Müller. Und Tina und Marcel. Und sowieso alle aus seiner Klasse.

Bis er Isabelle Neumeier in der dritten Reihe sah. Sie lachte nicht mit, wofür er ihr in diesem Moment äußerst dankbar war.

1. Blind Dates

Zwanzig Jahre später

»Also, wenn ich meinen Freundinnen erzähle, dass ich ein Date mit einem waschechten Italiener habe«, begeisterte sich Sunny, während sie nach dem Brot griff, »und dann noch so lecker.«

Tony war sich nicht sicher, ob sie damit das Brot oder ihn meinte. Deswegen vermied er ein Danke, stellte jedoch klar: »Ähm, ich bin kein Italiener. Ich bin Grieche. Tony ist die Abkürzung für Antonios.«

»Macht ja nichts!«, wedelte sie mit einer Handbewegung alle geografischen Folgefragen vom Tisch. »Hauptsache heiß und exotisch!« Sunny ließ zweimal beide Augenbrauen hochschnellen.

Gut, offensichtlich hatte sie eben doch ihn und nicht das kostenlose Pizzabrot gemeint.

»Ähm, danke«, reichte er daher nach.

»Wow, das Brot ist wirklich lecker.« Sie schob ihm den Brotkorb hin. Tony war verwirrt. »Hier, probier mal!«

»Danke, aber ich esse kein Brot.«

»Wie? Kein Brot? Nie?«

Tony schüttelte den Kopf.

»Und was isst du dann zum Frühstück?«

»Haferflocken.«

»Na ja«, Sunnys Augen wanderten zu seinen Oberarmen. »Was immer du tust, es scheint ja zu funktionieren.« Wieder hob sie zweimal kurz hintereinander die Augenbrauen, begleitet durch ein weiteres »Lecker!«.

Mannomann, dieses Wort schien sie wirklich universell zu benutzen. Er verstand, dass es als Kompliment gemeint war, brachte aber kein weiteres Danke zustande.

»Sunny«, versuchte er stattdessen das Thema zu wechseln, »das ist ein interessanter Name.«

»Ja, eigentlich heiße ich Susanne, aber Sunny klingt irgendwie viel süßer, findest du nicht?«

Tony fand es ein bisschen albern, sich selbst einen willkürlichen Spitznamen – und ausgerechnet den eines Boney-M.-Songs – zu geben, deshalb sagte er nur »Absolut!« und schob den Brotkorb wieder auf ihre Seite des Tisches. »Und? Was machst du beruflich?«

Normalerweise ließ er sich nur selten auf solche Blind Dates ein, bei denen man im Grunde nichts über den anderen wusste, aber Sunny war gestern online so charmant und freimütig gewesen, dass er sich spontan zu einem Essen an seinem freien Abend hatte hinreißen lassen.

»Ich studiere noch. Nichts Besonderes!«

Richtig, in ihrem Profil hatte er gesehen, dass sie vier Jahre jünger war als er.

»Oh, wow, dann bist du bestimmt ziemlich intelligent. Was studierst du denn?«

»Och, nur BWL. Wie gesagt, nichts Erwähnenswertes.«

Tony sah das anders. Er fand durchaus, dass ein Studium erwähnenswert war, weil nicht jeder die Begabung dazu hatte.

»Und was machst du beruflich? Bestimmt irgendwas mit Sport oder so.« Sie warf ihm einen Blick zu, der vermutlich lasziv sein sollte, der auf Tony aber mehr wie aus einem Comedy-Sketch wirkte.

»Nein, nichts mit Sport. Ich leite eine Tankstelle.« Das klang immer okay und stimmte sogar. Dass er dort allerdings auch nach zehn Jahren nur den Mindestlohn bekam, musste er ja nicht erwähnen.

Sunnys Handy piepste. Sie griff danach, völlig automatisiert, und begann eine Nachricht zu lesen. Tony fand so etwas recht unhöflich.

»Moment! Da muss ich kurz zurückschreiben. Das ist meine beste Freundin Karo. Ich will ihr nur schreiben, wie es läuft.« Während sie die Nachricht verfasste, las sie laut vor, was sie gerade tippte. »Sitze … hier … mit … Tony … was … für … ein … Geilomat … Ausrufezeichen … Sieht … aus … wie … Magic … Mike … in … Adria … Bindestrich … Optik … Komma … sehr … lecker … Ausrufezeichen.«

Dann legte sie ihr Handy wieder auf den Tisch und sah ihn unbekümmert an.

»Du scheinst ja kein Blatt vor den Mund zu nehmen«, stellte er fest.

»Nö, wieso auch?«

Ihm wären da einige Gründe eingefallen. In dem Moment kam jedoch der Kellner und brachte ihnen die Getränke. »Prego! Einmal das Wasser für den Herrn und die Apfelschorle für die Dame. Darf ich denn auch schon eure Bestellung aufnehmen?«

»Gern doch!«, gab Sunny zurück. »Und mein Date bestellt sogar in seiner Muttersprache!«

Tony war klar, dass Sunny offensichtlich wieder vergessen hatte, dass er gar kein Italiener war, dennoch zuckte er nur kurz mit den Schultern und dachte sich: Was soll’s?

Zum Kellner gewandt sagte er dann: »Egó tha páro mía merída makarónia, me sáltsa kai manitária, allá chorís kaséri.«

Sunny freute sich wie ein Kleinkind, während Tony überlegte, wie irgendwer, der in Europa aufgewachsen war, den Unterschied zwischen Griechisch und Italienisch nicht hören konnte. Der Kellner schaute ihn verdutzt an.

»Sorry, nur ein kleiner Scherz«, entschuldigte sich Tony. Zu Sunny gewandt wiederholte er: »Grieche! Kein Italiener!«, und zeigte dabei auf sich.

»Ach, stimmt«, sagte sie und lachte leicht übertrieben.

»Also, ich nehme einmal die Spaghetti mit Tomatensoße und Pilzen, aber ohne Käse. Und meine Begleitung hätte gern …«

Mit einer Handgeste verwies er auf Sunny.

»Ich nehme einmal die Tagliatelle mit Lachs in Sahnesoße.«

Der Kellner notierte sich beides und ging wieder.

»Sorry, das mit dem Italiener«, entschuldigte sie sich nun. »Aber jetzt merke ich es mir! Grieche! Gyros! Gyros! Gyros!«

Tony fand es immer wieder erfrischend, wenn Menschen nicht in Schubladen dachten. Spätestens beim dritten Gyros hatte er beschlossen, nach dem Essen definitiv allein nach Hause zu gehen.

Sunny schien den Verlauf des bisherigen Dates jedoch völlig anders einzuschätzen, denn sie fragte auf einmal: »Also, fick mich, wenn ich mich irre, aber du spürst doch auch, dass das heute ein richtig guter Abend wird, oder?«

Tony verschluckte sich an seinem Sprudel. Er war ja durchaus für Emanzipation – Girl Power, die volle Dröhnung Spice Girls und so – und fand es auch gut, wenn eine Frau zur Abwechslung die Initiative ergriff, aber nicht auf solch plumpe Art. Wobei er nicht wusste, was er schlimmer fand: die ganzen sexualisierten Komplimente, den fehlenden Filter zwischen dem, was sie sagte und dachte, oder den offensichtlich vorherrschenden Italo-Fetisch?

»Ich freue mich schon darauf, wenn wir gleich bei dir noch einen Espresso genießen!« Wieder schnellten ihre Augenbrauen in die Höhe. Er sollte ihr wirklich sagen, dass diese Geste bei Weitem nicht so betörend aussah, wie sie sich das vermutlich vorstellte.

»Du, nimm es mir nicht übel, aber ich glaube, ich gehe heute lieber allein nach Hause«, versuchte er seine Abfuhr sanft vorzubereiten.

Sunny sah ihn amüsiert an. »Das war ein Missverständnis«, noch mehr Augenbrauen. »Wenn ich sage, dass wir bei dir noch einen Espresso nehmen, dann spreche ich nicht wirklich von Espresso. Wenn du verstehst?«

»Das habe ich schon verstanden. Sei mir nicht böse, aber ich denke, es passt nicht so ganz.«

Doch Sunny ließ sich nicht beirren. »Nein, du verstehst nicht! Mit Espresso meine ich Seeeex.« Das letzte Wort zog sie besonders lang.

»Wie gesagt, habe ich verstanden. Aber mir ist nicht danach.«

»Bist du dir sicher?«

Er nickte.

»Also, du möchtest keinen Sex mit mir?«

Tony konnte es nicht fassen, dass er hier derjenige ohne Schulabschluss war, während sie angeblich studierte.

»Nein, danke.«

»Nein, danke?«, schrillte ihre Stimme durchs Restaurant. »Was bist du denn für einer?«

Ja, was war Tony für einer? Er war jemand, der sich über mangelnde Angebote aus der Damenwelt nicht zu beschweren brauchte – und das, obwohl er von vornherein immer ehrlich kommunizierte, dass er nichts Festes suchte.

»Wer schlägt denn Sex mit einer Frau wie mir aus? Bist du schwul oder was?«, hakte Sunny empört nach.

Tony seufzte innerlich. Im Grunde hatte sie ja sogar recht. Sie war wirklich eine attraktive Frau. Als sie vorhin das Restaurant betreten hatte, war er tatsächlich noch Feuer und Flamme gewesen.

Das Pärchen am Nachbartisch unterbrach unterdessen seine Unterhaltung und verfolgte lieber die Sunny-und-Tony-Show.

»Wie gesagt, ist nicht böse gemeint. Es passt halt nicht immer.«

»Also doch schwul!« Sunnys Laune besserte sich augenblicklich wieder. »Na, stimmt wohl, was Karo immer sagt. Die Besten sind entweder vergeben oder schwul.«

»Tja!« Tony entschied, sie für den Verlauf des restlichen Abends in diesem Glauben zu lassen. Da der komische Kauz vom Nebentisch ihn immer noch ungeniert anstarrte, erwiderte Tony seinen Blick und hob nun seinerseits zweimal verschwörerisch die Augenbrauen – so wie Verführungskünstlerin Sunny. Gott, er hoffte nur, dass das nicht ansteckend war. Jedenfalls funktionierte es, und der Kerl richtete seinen Blick sofort wieder auf seinen Teller.

***

Keine sieben Kilometer Luftlinie entfernt hegte Isabelle Neumeier ihrerseits große Erwartungen an ihr heutiges Date. Es war das erste seit geraumer Zeit. Eigentlich hatte sie nicht zusagen wollen, war dann aber doch von Simons offener Art – und seinen Fotos – so beeindruckt gewesen, dass sie spontan seine Einladung akzeptiert hatte. Außerdem, was konnte an einem Donnerstagabend in einer gut besuchten American Sportsbar mitten in der Kölner Innenstadt schon passieren?

Allerdings war Simon noch nicht da, als sie am vereinbarten Treffpunkt am Rudolfplatz eintraf. Das gab definitiv schon einmal Minuspunkte! Mit jeder Minute, die verging, fühlte sie sich unwohler. Wenn der mich jetzt versetzt, lass ich mich nie wieder auf so etwas ein!, beschloss Isabelle, während sie immer wieder ein paar Meter hin- und herging.

Sie wollte gerade aufbrechen, als Simon schließlich doch noch mit fast fünfzehnminütiger Verspätung eintraf. Immerhin sah er abgehetzt aus und entschuldigte sich mehrfach für seine Unpünktlichkeit.

»Ist nicht schlimm«, beschwichtigte Isabelle, »das obligatorische akademische Viertel halt.«

»Hä?« Simon warf ihr einen verdatterten Blick zu. »Versteh ich nicht!«

In Wirklichkeit sah er tatsächlich noch besser aus als auf seinen Profilfotos, das musste sie durchaus zugeben. Fast schon ein wenig zu gut, wie eines dieser Stockfotos, die sie auf der Arbeit verwendete, auf denen die Menschen irgendwie alle gleich perfekt aussahen.

»Na, das akademische Viertel, so wie an der Universität früher, als alle Vorlesungen immer eine Viertelstunde später anfingen als ausgewiesen«, erklärte sie.

»Sorry, ich war nie auf der Uni.« Simon hob entschuldigend beide Hände, weswegen Isabelle sich unwillkürlich ein wenig elitär vorkam – einfach anzunehmen, dass jeder studiert hatte, so wie sie. In seinem Profil hatte schließlich auch Sportler sucht nette Frau gestanden und nicht Akademiker sucht Literaturwissenschaftlerin.

»Wollen wir?« Simon deutete in Richtung Hohenzollernring.

Auf dem Weg dorthin entgingen Isabelle die Blicke der vorbeigehenden Frauen nicht, die Simon auf sich zog. Dabei hatte sie sich ebenfalls richtig in Schale geworfen. Sie trug ein schlichtes Kleid in Königsblau, das eng anlag und schon wegen seiner leuchtenden Farbe einiges hermachte. Leider löste es bei den männlichen Passanten nicht ebenso schmachtende Blicke aus.

Im Joe Champs bekamen sie dann einen netten Zweiertisch an der Fensterfront zugewiesen. Zudem tönte John Mayer aus den Lautsprechern, als Isabelle sich gerade hinsetzte. Last Train Home – einer ihrer Lieblingssongs.

»Du siehst toll aus!«, eröffnete Simon das Gespräch mit einem Kompliment, als auch er saß.

Eventuell wurde das ja doch noch ein super Abend! Vielleicht war Simon ihr letzter Zug nach Hause? Gott, sie hasste es, wenn ihr Gehirn ihr solch abgedroschene Metaphern unterjubelte. Für das Kompliment bekam Simon aber wieder einen Pluspunkt, den sie mit seinem bisherigen Sollsaldo verrechnete.

»Danke«, sagte sie aufrichtig. Dann hatte sich der Aufwand vorhin im Badezimmer wenigstens gelohnt. Schon allein die ganze Föhnerei immer!

»Also, wenn ich mal so direkt mit der Tür ins Haus fallen darf, wie kommt es, dass eine so hinreißende Frau wie du noch Single ist?«

Ein weiterer Pluspunkt.

»Ich weiß es nicht«, gab Isabelle zurück und wusste es wirklich nicht, denn sie konnte nicht alles auf Henning schieben. Mit dem war sie seit zwei Jahren immer wieder mal zusammen gewesen. Weil er sich allerdings nie binden wollte, hatte sie vor zwei Monaten einen Schlussstrich gezogen. Aber davor? Für die Zeit vor Henning hatte sie keine richtige Erklärung.

»Mir ist wohl einfach noch nicht der Richtige begegnet«, resümierte sie schließlich. »Und wie sieht es bei dir aus?«

»Ach, wohl dasselbe. Ich habe in letzter Zeit immer irgendwie Pech gehabt. Meine Letzte war zum Beispiel total verrückt, so richtig loco, aber das merkt man ja immer erst später.«

Isabelle überlegte, ob sie Ex-Freunde hatte, die sie als verrückt bezeichnen würde. Eigentlich nicht. Dafür fielen ihr aber mindestens zwei ein, die unter enormen Bindungsängsten litten.

»Was machst du denn so beruflich?«, wollte Simon wissen.

»Ich arbeite in einer Designagentur und erstelle dort Buchcover für Verlage«, berichtete Isabelle stolz.

»Also ein Bürojob. Cool, cool.« Eine weitere Frage folgte nicht, was Isabelle sehr bedauerte, denn sie fand, dass sie einen der tollsten Berufe der Welt hatte.

Jetzt war sie wohl an der Reihe zu fragen. »Und du? Was machst du beruflich?«

»Ich bin Fitnesstrainer oder Personal Trainer, wie man heutzutage sagt.«

Er war tatsächlich sehr trainiert, damit man das auch deutlich sah, trug er ein extrem enges Shirt mit tieferem Ausschnitt als ihr Kleid.

»Oh, das klingt interessant. Da triffst du bestimmt jede Menge Leute«, versuchte sie sich immerhin ein wenig für seinen Beruf zu begeistern.

»Ja, total. Das ist auch das Coole an meinem Job. Man lernt immer neue Leute kennen und ist die ganze Zeit in Bewegung. So kann man nicht einrosten. Und du?«

Isabelle hatte ihm ihren Beruf doch schon genannt. Hatte er den schon wieder vergessen?

Aber da schob Simon hinterher: »Magst du Sport?«

»Nicht wirklich. Leider!«, rechtfertigte sie sich automatisch. »Ich weiß, ich sollte mich mehr bewegen, schon allein, weil ich die ganze Zeit im Büro sitze, aber irgendwie kann ich mich nach Feierabend nicht dazu aufraffen …«

Diese Reaktion lösten sportbegeisterte Menschen immer bei ihr aus. Schuldgefühle und Rechtfertigungszwang.

»Keine Sorge!«, beruhigte Simon sie. »Ich gehöre nicht zu denen, die direkt bei jedem Menschen den BMI ausrechnen müssen.«

»Puh! Glück gehabt!« Isabelle atmete übertrieben vor Erleichterung aus.

»Na ja, aber Spaß macht es schon! Ist ja auch mein Beruf.« Simon griff wahrhaftig nach seinem Handy. »Also, einunddreißig Jahre, das stand ja schon in deinem Profil. Und dann schätze ich achtundsechzig Kilo bei einem Meter fünfundsechzig, oder?«

Simon sah aber gar nicht auf, sondern tippte nur fleißig auf seinem Handydisplay herum, während Isabelle nicht wusste, worüber sie mehr schockiert war, über die Tatsache, dass er wirklich – wenige Minuten nachdem sie sich kennengelernt hatten – in ihrer Anwesenheit ihren Body-Mass-Index errechnete, oder darüber, dass er ihr Gewicht und ihre Größe fast auf das Kilogramm und den Zentimeter genau einschätzen konnte.

»Das macht dann einen BMI von 25«, konstatierte Simon, immer noch auf sein Display stierend. »Das ist gerade noch so im Normalbereich.« Er tippte weiter. »Aber sobald du … ja, genau, habe ich mir gedacht … sobald du noch drei Kilo zunimmst, gilt das schon als übergewichtig.«

Isabelle hätte jetzt nicht wenig Lust, einen Persönlichkeitstest aus dem Internet auszudrucken, den er auf der Stelle ausfüllen müsste. Dann würde sie alles auswerten, auf ihr Handy schauen und sagen: Tja, wie ich gedacht habe, schon recht deutlich im Arschlochbereich!

Sie überlegte, ob sie aufstehen und das Restaurant einfach kommentarlos verlassen sollte. Verdient hätte es dieser aufgeblasene Muskelfatzke durchaus.

Simon aber schien ihren Unmut zu spüren. »Also, nimm mir das jetzt nicht übel! Das ist eine Berufskrankheit, so was mache ich bei allen Menschen. Keine Panik! Du siehst toll aus!«

Isabelle war zumindest ein wenig besänftigt, denn so, wie er es sagte, klang es immerhin aufrichtig. Trotzdem fand sie sein Verhalten einfach nur übergriffig und zog die Punkte wieder ab.

Eine Kellnerin brachte zwei Speisekarten. »Guten Abend, kann ich euch schon mal was zu trinken bringen?«

»Also, wenn es nach mir geht, können wir auch direkt schon was zu essen bestellen. Ich hab nämlich ’nen Bärenhunger!«, tönte Simon und schaute Isabelle dabei erwartungsvoll an.

Was soll’s?, dachte diese. Wenn der Abend weiter so desaströs verläuft, ist er wenigstens umso schneller vorbei.

»Klar«, flötete sie daher.

»Okay, also ich nehm eine Cola«, legte Simon direkt los. »Einmal die French Fries und einen Cheeseburger – aber ohne Käse. Heute ist mein Cheat Day.«

»Also ein Hamburger?«, fragte die Kellnerin leicht irritiert.

»Nein! Einen Cheeseburger ohne Käse!«

Hilflos schaute sie von ihrem Block auf, um zu prüfen, ob Simon sich einen Scherz erlaubte. Der war jedoch bitterernst.

Am Nachbartisch kicherten zwei junge Frauen, die Simons Bestellung offensichtlich amüsiert verfolgt hatten.

»Aber ein Hamburger ist doch ein Cheeseburger ohne Käse!«, erklärte die Bedienung.

»Ja, genau, ich will einen Cheeseburger ohne Käse.«

»Okay! Einen Cheeseburger ohne Käse also.« Kapitulierend schrieb sie die Bestellung auf ihren Notizblock. »Und für die Dame?«

Am liebsten hätte Isabelle geantwortet: Ein anderes Date, bitte! Stattdessen bestellte sie einen Caesar Salad und zur Sicherheit noch extra Knoblauchbrot, denn für sie stand jetzt bereits fest, dass sie heute allein nach Hause gehen und Simon nicht wiedertreffen würde.

***

Als Tony später nach Hause kam, wartete da niemand auf ihn. So wie gestern und vorgestern und vorvorgestern und letzte Woche und letzten Monat. So wie immer. Seit neun Jahren lebte er jetzt schon allein in dieser Fünfunddreißig-Quadratmeter-Wohnung.

Die Vorstellung von einer festen Partnerin hatte er längst begraben. Welche Frau hatte schon langfristiges Interesse an einem Mann, der ihr keinerlei finanzielle Sicherheit bieten konnte? Tony kam gerade so selbst über die Runden. Ein Auto, Luxusartikel oder gar ausschweifende Urlaube konnte er sich nicht leisten. Das Geld reichte kaum für eine vernünftige Grundversorgung.

Erschöpft von diesem Abend, vor allem von Sunny, ließ er sich auf sein Sofa fallen.

Das würde wohl immer so bleiben, dass er nach Hause kam und da war niemand, der ihn begrüßte. Niemand, der sich auf ihn freute.

Er war jetzt einunddreißig Jahre und hatte sich damit abgefunden, keine Familie zu gründen. Das war zwar schade, aber es war okay. Er hatte ja seine gelegentlichen Kurzzeitbeziehungen, bei denen er von vornherein klarmachte, dass er an nichts Ernstem interessiert war. Es gab genügend Frauen, die ebenfalls auf solch ein kleines Abenteuer Lust hatten. Meistens hielt es ein paar Wochen, manchmal auch ein halbes Jahr oder länger.

Wie gesagt, mit der Tatsache, keine eigene Familie zu haben, hatte er sich längst abgefunden, aber immer wieder in diese leere Wohnung zu kommen, damit wollte er sich einfach nicht abfinden.

Wieso hole ich mir nicht einen Hund?, dachte Tony. Er hatte seit jeher einen haben wollen, aber seine Mutter war dagegen gewesen. Als er zu Hause ausgezogen war, hatte er diese Idee dann jahrelang aus den Augen verloren, aber seit einiger Zeit war dieser Gedanke immer wieder aufgeploppt.

Wieso eigentlich nicht?

***

Tatsächlich nur zwei Kilometer Luftlinie entfernt betrat auch Isabelle ihre einsame Wohnung.

Auf dem Wohnzimmertisch hatte sie etliche Teelichter aufgestellt, die sie jetzt nutzlos anstarrten. Morgen würde sie die wieder in den Schrank stellen, wo sie die meiste Zeit ihres Lebens versauerten. In der Regel hatte sie nur einmal im Jahr die Muße, es sich zu Hause so richtig gemütlich zu machen.

Isabelle legte die Füße auf den Couchtisch und ließ ihr heutiges Date Revue passieren. Was für ein Desaster! Ein Highlight hatte das nächste gejagt. Da waren die kostenlose BMI-Berechnung und der käselose Cheeseburger nur der Anfang gewesen.

Zum Schluss hatte sie darauf bestanden, ihr Essen selbst zu zahlen, trotz Simons Angebot, sie einzuladen. Nie und nimmer wollte sie diesem Vollidioten etwas schuldig sein!

»Hey Siri, spiel Musik!«, instruierte Isabelle in den Raum hinein, damit die Stille nicht mehr ganz so unerträglich war.

Die kleinen, bunten Kugeln in ihrem Wohnzimmer spielten augenblicklich Musik.

I feel lonely, lo-lo-lo-lo-lonely, ertönte die Stimme von Sasha zu Neunzigerjahre-Reggae-Pop-Tönen.

»Sehr witzig!« Isabelle verdrehte die Augen, musste angesichts der Situationskomik aber selbst schmunzeln. Der Kosmos hatte Humor!

Allerdings wünschte sie sich jetzt schon, dass jemand neben ihr säße, an den sie sich kuscheln könnte. Sicherlich nicht Simon. Auch nicht Henning. Das Thema war durch, obwohl sie zugeben musste, dass sie hier bereits schöne Abende zusammen auf dem Sofa verbracht hatten.

So!, beschloss Isabelle auf einmal. Wer sagte denn, dass da ein Mann sein musste, mit dem sie abends kuscheln konnte? Jetzt reicht’s! Ich hol mir einen Hund!

2. Zimtzicken

»Guck mal, der Nescafé ist wieder im Angebot.« Tony zeigte auf das rote Preisschild.

Im selben Moment griff seine Mutter schon nach einer Packung. »Weiß ich doch!«

Natürlich wusste sie das. Despina Papadea wusste immer, wann der Nescafé im Angebot war. 4,99 Euro statt 7,49 Euro.

»Fast 5 D-Mark gespart!« Stolz hielt seine Mutter die Packung hoch. Es gab Menschen, die fanden, man könne Beträge heutzutage nicht mehr in D-Mark umrechnen. Despina Papadea war keine von ihnen. »Dafür haben wir früher …«

»… fünfundzwanzig Brötchen bekommen«, ergänzte Tony ihren Satz, den er schon einige Male zu oft gehört hatte. Und immer wieder fragte er sich, für wen genau seine Mutter früher mehr als zwei Dutzend Brötchen gekauft hatte. Selbst als sein nichtsnutziger Vater noch bei ihnen gewohnt hatte (ihre Worte, nicht seine), haben sie wohl im Leben niemals so viele Backwaren benötigt.

Zweimal die Woche ging Tony gemeinsam mit ihr einkaufen. Jeden Dienstag und Freitag am späten Vormittag. Dann war sie bereits mit ihrer Arbeit im Altenheim fertig, wo sie frühmorgens putzte, bevor sie ab 15 Uhr in einem Großraumbüro eine zweite Schicht antrat. Zur selben Zeit ging Tony zur Tankstelle, wo er bis Mitternacht arbeitete.

»Such du dir ruhig schon mal dein Obst zusammen«, schlug Despina vor, »ich hole mir in der Zwischenzeit noch meine Medizin.«

Damit meinte sie Süßigkeiten. Gesundes Vitamin Z, wie sie immer spaßte. Also Zucker. Er hatte schon oft versucht, sie davon zu überzeugen, mehr Obst zu essen. Aber von Bananen bekam sie Verstopfung, Äpfel bescherten ihr Heißhunger, Pfirsiche waren zu pelzig, Melonen zu melonig und Himbeeren einfach zu sauer.

Als er im Süßigkeitengang wieder zu ihr stieß, war sie gerade in ein Gespräch mit einer ihm unbekannten Frau vertieft.

»Das da! Das ist mein Tony!« Seine Mutter zeigte direkt in seine Richtung.

Die Fremde musterte ihn interessiert. Tony begriff sofort, was hier los war. Seine Mutter hatte wieder eine wildfremde Frau angesprochen – einfach so, in der Hoffnung, ihn verkuppeln zu können. Da hatte sie keine Hemmungen, denn mit einunddreißig Jahren war er ihrer Meinung nach viel zu alt, um immer noch unverheiratet und kinderlos zu sein. Am meisten befürchtete sie jedoch, ihr armer Sohn könne langsam vereinsamen, was zugegebenermaßen seine Schuld war, da er sämtliche Kurzzeitaffären konsequent vor ihr verbarg, denn sonst würde sie jedes Mal sofort die Kirchenglocken läuten hören.

»Er sieht wirklich gut aus!«, sagte die Fremde.

»Sag ich doch!«, bestätigte seine Mutter.

»Wie kommt’s denn, dass er immer noch Single ist?«

Tony stand inzwischen direkt vor den beiden.

»Ja, ich weiß es auch nicht!« Seine Mutter schüttelte ungläubig den Kopf. »Dabei ist er so gut erzogen und freundlich und hilfsbereit und sportlich, und er lebt wirklich sehr gesund, er isst kein Fleisch, nicht mal Hühnchen.«

»Ach, dann ist er Vegetarier?«

»Ja, und Fisch isst er auch keinen.«

»Sagt mal«, mischte sich Tony nun ein, »ihr wisst aber schon, dass ich euch hören kann, oder?«

Die Fremde lachte verlegen. »Oh, Entschuldigung! Hallo, ich bin die Melanie.« Sie streckte ihm die Hand entgegen, höflichkeitshalber ergriff er sie. »Aber deine Mutter hat mich gerade total nett angesprochen.«

»Ja, das macht sie manchmal«, sagte Tony seufzend.

»Und du bist immer noch Single?«

Eine weitere Kundin schob gerade ihren Einkaufswagen durch den Gang und lauschte interessiert der Junggesellen-Werbeveranstaltung.

»Ähm, ja, bin ich.«

»Also, pass auf, gib mir mal dein Handy, dann speichere ich dir meine Nummer ein.« Melanie hielt die Hand auf, sodass Tony fast keine andere Wahl hatte. Er konnte ihre Nummer später ja einfach wieder löschen.

Enthusiastisch tippte sie ihre Kontaktdaten ein, welche sie unter Melanie Supermarkt speicherte. Dann wünschte sie den beiden noch einen schönen Tag und zog glücklicherweise weiter.

»Mensch!«, beschwerte sich Tony unmittelbar. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass das total peinlich ist, wenn du wildfremde Frauen irgendwo anquatschst? Als ob ich das nicht selbst könnte!«

»Ja, dann mach es doch mal.«

Und schon war Tony wieder mundtot, denn was hätte er darauf antworten können? Du, hör mal, ich habe ab und zu schon Affären mit verschiedenen Frauen, aber die verheimliche ich immer. Das konnte er bestimmt nicht sagen!

Also schwieg er und ließ sie weiterhin in dem Glauben, sie täte ihm einen Gefallen, wenn sie fremde Frauen im Supermarkt für ihn ansprach – oder auf der Straße oder dem Postamt oder im Hürther Einkaufszentrum oder auf Familienfeiern. Gerade Letzteres war besonders heikel, weil sie dann durch ihre Kontakte nachverfolgen konnte, ob er sich wirklich bei der Auserwählten gemeldet hatte.

Tonys Handy piepte. Eine WhatsApp-Nachricht von Sunny. Was wollte die denn noch?

Hallo Tony-Schatz, hier ist Sunny, hatte einen total schönen Abend mit dir, wenn du doch irgendwann auf Frauen stehst – meld dich bei mir. Zwinker-Smiley. So, ein Lecker-Schmecker wie du darf sich ruhig jederzeit bei mir melden, wenn du verstehst, was ich meine.

Herrje, wie sollte man nicht verstehen, was sie meinte? Sie hatte das Wort Sex gestern ja förmlich durch die ganze Pizzeria geschrien. Wenigstens hatte sie darauf verzichtet, noch einen Lapdance zu initiieren.

Er hatte sie gestern einfach in dem Glauben gelassen, er sei schwul, weil ihm das als die einfachste Lösung erschien.

»Hast du eine Nachricht bekommen?«, fragte seine Mutter. »Die ist bestimmt von Elena. Ich hab ihr vorhin gesagt, dass wir im Lidl sind und sie dir schreiben soll, wenn ihr einfällt, dass sie etwas braucht. Ich hab mein Handy nämlich zu Hause gelassen, weil der Akku leer war.« Ohne Vorwarnung griff sie nach seinem Smartphone, auf dessen Display immer noch Sunnys Wenn-du-irgendwann-auf-Frauen-stehst-Nachricht geöffnet war.

»NICHT!«, schrie Tony – und weil er sich nicht anders zu helfen wusste, schlug er ihr das Gerät einfach aus der Hand. Mit einem großen Bogen landete es – zum Glück – sanft in einem Regal, weich gebettet auf einem Stapel Chipstüten. Crusti Croc mit Paprikagewürz, um genau zu sein.

»Sonst verstellst du da noch irgendwas!« Schnell löschte er Sunnys Nachricht. »Das war nur die Arbeit.«

»Despina!«, war auf einmal eine viel zu laute Stimme hinter ihnen zu hören. »Despiiinaaa!«

Tony und seine Mutter gaben einen Seufzer von sich, setzten ein übertriebenes Lächeln auf und drehten sich gleichzeitig um – so, als ob sie es einstudiert hätten. Diese penetrante Stimme würden sie tatsächlich überall wiedererkennen.

Und da stand sie auch schon vor ihnen: Tante Marion. Im Griechischen verwendet man das Wort theía, also Tante, durchaus häufig auch für entfernte Bekannte. In Marions Fall bestand allerdings leider wirklich ein Verwandtschaftsverhältnis. Sie war Despinas Schwägerin und somit Tonys angeheiratete Tante – immerhin nicht blutsverwandt.

»Pós eísai?«, sang sie quer durch die gesamte Lidl-Filiale. Mit dieser Frage nach dem Wohlbefinden sowie ein paar weiteren Standardfloskeln waren ihre Griechischkenntnisse allerdings auch schon erschöpft. Dabei schwor sie regelmäßig aufs Neue, nächstes Jahr »ganz bestimmt« einen Griechischkurs an der VHS zu belegen. Bisher war sie dazu allerdings nie gekommen (seit siebenundzwanzig Jahren).

»Alles bestens«, gab Despina zurück, jedoch einige Dezibel leiser und schätzungsweise eine Oktave tiefer.

»Was machst du denn hier?«, flötete Marion.

Tja, was machte sie wohl hier im Supermarkt? Am liebsten hätte sie geantwortet: Ja, weißt du, ich bin nur vorbeigekommen, um mir in der Käseabteilung schnell die Haare föhnen und hochstecken zu lassen. Aber das traute sie sich nicht.

»Wir kaufen Lebensmittel ein«, gab sie stattdessen zurück.