Ein knappes Rennen für Nero Wolfe - Robert Goldsborough - E-Book

Ein knappes Rennen für Nero Wolfe E-Book

Robert Goldsborough

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Beschreibung

Erst will man sein Leib-und-Magen-Blatt zu einer Skandal-Gazette machen. Und dann wird auch noch die außergewöhnliche Verlegerin ermordet. Zu viel für Wolfe. Er setzt eine Annonce auf, die einen Mordswirbel auslöst … (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Robert Goldsborough

Ein knappes Rennen für Nero Wolfe

Aus dem Amerikanischen von Friedrich A. Hofschuster

FISCHER Digital

Inhalt

Vorwort1234567891011121314151617181920212223Postskript

Vorwort

Nero Wolfe hat nicht viele Freunde nach eigener Wahl. Doch gegenüber den wenigen, die er hat, verhält er sich äußerst loyal. Und einer dieser Freunde ist kein Individuum, sondern eine Institution: die New Yorker Gazette, die uns, meistens in Gestalt ihres Mitarbeiters Lon Cohen, in all den Jahren viel geholfen hat, wie Ihnen vielleicht bekannt ist. Dabei handelte es sich allerdings keineswegs um eine einseitige Beziehung, denn Wolfe hat seinerseits der Tageszeitung manchen Gefallen erwiesen. Aber entscheidend ist, daß er sich um die Gazette und ihr Wohlwollen kümmert. Das kann Ihnen vielleicht erklären, warum er bereit war, den im folgenden geschilderten Fall zu übernehmen, bei dem er weder einen Klienten hatte noch ein angemessenes Honorar erwarten konnte – obwohl er im Verlauf der Geschichte beides bekommen sollte. Ich erwähne dies nur, weil ich ihn nicht noch exzentrischer erscheinen lassen möchte, als er ohnehin ist.

ARCHIE GOODWIN

1

Ich habe mich im Lauf der Jahre ausführlich genug über Nero Wolfes geradezu zwanghafte Gewohnheiten mokiert: Sein Lunch muß stets pünktlich um ein Uhr fünfzehn serviert werden, und Dinner gibt es täglich um sieben Uhr fünfzehn, ganz zu schweigen von den geheiligten Stunden vormittags zwischen neun und elf und nachmittags zwischen vier und sechs, die er in seinem Gewächshaus auf dem Dach bei seinen Orchideen verbringt. Von diesem Zeitplan kann ihn so gut wie gar nichts abbringen, obwohl er eines Tages, schon vor ein paar Jahren, als ich wieder mal darüber spöttelte, sein Buch weglegte, mich düster anschaute, ein Fuder Luft einsog und sie dann ganz langsam wieder ausstieß.

»Also gut, Archie«, sagte er. »Heute ist Donnerstag. Ich werde meine Beweglichkeit unter Beweis stellen und auf meinen Aufenthalt im Gewächshaus verzichten – unter der Voraussetzung, daß Sie Saul anrufen und ihm mitteilen, daß Sie heute abend nicht mit ihm Poker spielen können.«

Damit hatte er natürlich meinen wunden Punkt getroffen, und ich machte prompt einen Rückzieher. Seit vielen Jahren – mehr, als ich bereit bin, hier zuzugeben – spiele ich jeden Donnerstagabend mit Saul, Lon Cohen, Fred Durkin und ein paar anderen Poker, und zwar in Saul Panzers Wohnung in der 38. Straße Ost nahe der Lexington Avenue. Nur die Besetzung ändert sich manchmal, der Termin bleibt. Ich glaube, ich bin in den letzten fünf Jahren nur einmal nicht dabeigewesen, und daran hatte ein Virus die Schuld gehabt, der mich so erwischte, daß Lily Rowan, wie sie später sagte, schon den Pfarrer mit den Sterbesakramenten hatte kommen lassen wollen.

Saul Panzer – nur für den Fall, daß Sie neu in diesem Revier sein sollten – ist ein freiberuflicher Detektiv, dessen Dienste Wolfe häufig in Anspruch nimmt und der immer behauptet, daß das seinen Fähigkeiten nicht ausreichend gerecht wird. Saul ist nicht besonders toll anzusehen mit seinen hängenden Schultern, dem stets zerknitterten Anzug und dem meist unrasierten Gesicht, das zu zwei Dritteln aus Nase besteht. Doch man darf sich weder davon noch von seiner geringen Körpergröße täuschen lassen, die ihn wie einen alternden und nur leicht übergewichtigen Jockey aussehen läßt. Wenn man sich Saul Panzers Zeit kauft – und er kommt nicht billig, das können Sie mir glauben –, dann kauft man sich die besten Augen und Beine von Manhattan und wahrscheinlich von den ganzen USA. Er könnte einen Geparden von der Battery bis zur Bronx verfolgen, und das in der abendlichen Stoßzeit, ohne ihn jemals aus den Augen zu verlieren, oder er könnte sich wie ein Wurm in den unterirdischen Saferaum der bewußten Bank in Atlanta schleichen und mit der Geheimformel für Coca-Cola wieder herauskommen. Und damit meine ich die alte – sagen wir besser, die klassische Formel.

Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich mich so ausführlich über Saul und das Pokerspiel am Donnerstagabend auslasse. Ich könnte sagen, daß ich das tue, weil dieser Donnerstagabend zum besten Teil meiner Woche zählt, was durchaus der Wahrheit entspricht, aber der wahre Grund liegt darin, daß meine Geschichte dort ihren Anfang hat. Doch ich will nicht vorgreifen.

Es war ein Donnerstag Anfang Mai, einer von New Yorks ersten echten Frühlingstagen in diesem Jahr. Wir nahmen zu fünft um den großen Tisch herum in Sauls Eßzimmer Platz. Links von mir saß Lon Cohen, der ein Büro neben der Tür des Verlagsleiters der Gazette hat, aber keinen Titel, der mir geläufig wäre. Dafür weiß er mehr über das, was New York zum Ticken bringt, als der Stadtrat und die Polizeibehörde zusammen. Neben ihm war Fred Durkin, dick und kahlköpfig und ein bißchen langsam, aber erstklassig, wenn es um Härte und Loyalität geht: auch er ein Privatdetektiv, den Wolfe im Lauf der Jahre regelmäßig beschäftigt hat. Links von Fred saß Saul, und zwischen Saul und mir Bill Gore, noch ein Detektiv, der auch gelegentlich für uns arbeitet.

Wir spielten etwa eineinhalb Stunden. Wie üblich hatte Saul den größten Stapel von Chips vor sich stehen, und ich kam gerade ein bißchen nach oben, während Fred und Bill ungefähr gleich standen. Lon, der stets nach Saul der beste Spieler war, hatte noch kein Spiel gewonnen, und man konnte leicht sehen, warum. Er war mindestens dreimal ausgestiegen mit einem Blatt, das durchaus erfolgversprechend gewesen wäre, und einmal war er mit einem Pärchen Buben gegen Freds Straight hängengeblieben. Er war nicht bei der Sache, spielte ausgesprochen schlecht, und als wir kurz nach Mitternacht abrechneten, war er der einzige Verlierer.

»Schlechter Abend für dich, Lon«, bemerkte Fred, als er seinen Gewinn einsteckte und fröhlich summend davonging. Für ihn war es vermutlich der erste Spielgewinn seit Monaten.

Weil Nero Wolfes Backsteinhaus in der 35. Straße West nahe dem Hudson mehr oder weniger auf Lons Nachhauseweg liegt, fahren wir meistens nach dem Poker gemeinsam mit dem Taxi heim.

»Nicht dein Abend«, sagte ich, nachdem wir uns einen Wagen auf der Lexington herbeigewinkt hatten. »Du bist mir vorgekommen, als wärst du eine Million Meilen von hier entfernt gewesen.«

»Ach, zum Teufel«, brummte Lon, lehnte sich zurück und rieb sich die Stirn und die Augen mit den Handflächen. »Ich hab in den letzten Tagen zuviel im Kopf. Vermutlich merkt man das.«

»Möchtest du darüber reden?«

Lon seufzte und strich sich mit der Hand über das dunkle, mit Brillantine geglättete und nach hinten gekämmte Haar. »Archie, man ist dabei, sich die Gazette zu schnappen. Es ist noch nicht öffentlich bekannt; was ich dir jetzt sage, muß also vorläufig streng vertraulich bleiben.« Er senkte die Stimme beinahe zu einem Flüstern, obwohl uns eine Plastikscheibe vom Taxifahrer trennte. »Es sieht so aus, als ob sich Ian MacLaren die Zeitung unter den Nagel reißen würde.«

»Der Schotte?«

»Genau der, und zum Teufel mit seinem schmierigen Skandalblätter-Imperium.«

»Aber wie kann das geschehen? Ich dachte immer, die Gazette sei in Familienbesitz?«

»Ist sie auch, jedenfalls hauptsächlich. Die Familie der Haverhills besitzt den größten Teil der Aktien. Aber weil dieser Bastard aus Edinburgh mit Dollars nur so um sich wirft, sind einige von ihnen bereit, das Geld einzustecken und sich keinen Deut mehr um die Zeitung zu scheren. Dieser miese Schleimer hat sich schon immer eine New Yorker Tageszeitung gewünscht, und jetzt ist er dabei, sich eine zu kaufen.«

»Wieso können Verkaufsgespräche überhaupt stattfinden, ohne daß es in die Öffentlichkeit dringt? Es hat bisher nicht den kleinsten Hinweis darauf gegeben, weder in der Presse noch im Fernsehen, es sei denn, ich hätte es verpaßt, was ich nicht glaube.«

Lon war so aufgeregt, daß er sogar eine sehr auffällige Nutte übersah, die uns anmachte, als wir an der Fifth Avenue vor einem Rotlicht stehenblieben. »Man scheint auf beiden Seiten strengstes Stillschweigen zu bewahren, wirkliches Stillschweigen. Und das schließt sogar diejenigen ein, die ihre Anteile verkaufen wollen. MacLaren betreibt seinen Handel ohnehin immer per Ferngespräch, von London oder Schottland oder Kanada aus, und wo er sich gerade aufhält. Ich glaube, er hat bis jetzt noch keinen Fuß in das Gebäude der Gazette gesetzt. Aber an dem Tag, an dem er es als Besitzer betritt, verlasse ich es, und zwar unwiderruflich, Archie.«

»Du machst Witze. Die Zeitung ist doch dein Leben.«

»Es gibt nichts auf der Welt, was allein das ganze Leben eines Menschen sein könnte, Archie«, erwiderte er und beugte sich nach vorn, als das Taxi vor dem Backsteinhaus anhielt. »Wenn ich soviel Glück haben und in den Himmel kommen sollte, und MacLaren kauft ihn auf, dann werde ich sofort den Antrag stellen, in die Hölle versetzt zu werden. Wenn er die Gazette in die Finger kriegt, dann ist sie nicht mehr die Zeitung, die sie bis jetzt gewesen ist, nicht einmal annähernd. Und dann ist das auch kein Arbeitsplatz mehr für mich. Ich weiß genau, daß ich dann den Job dort abschreiben kann, und so geht es einigen anderen, die wissen, was sich bei uns tut. Zum Teufel mit meinen Gewinnanteilen! Mit der Pension werde ich mich und meine Frau schon noch einigermaßen anständig den Rest unseres Lebens über die Runden bringen.«

Da ich darauf nichts Intelligentes antworten konnte, beließ ich es bei einem »Gute Nacht«, gab Lon meinen Anteil an der Taxigebühr und stieg aus. Als der Wagen wegfuhr, sah ich, wie er sich zurücklehnte – die Augen geschlossen und die Hände hinter dem Kopf verschränkt.

2

Am nächsten Morgen saß ich an meinem Schreibtisch im Büro und tippte einen Brief von Wolfe an einen Phalaenopsis-Züchter in Illinois, als er Punkt elf von seinem Gewächshaus herunterkam.

»Guten Morgen, Archie«, grüßte er, ging hinter seinen Schreibtisch und ließ sich in den einzigen Sessel in New York sinken, der so konstruiert war, daß er das Gewicht von einer Siebteltonne ohne Probleme aufnehmen konnte. »Wie ist das Pokerspiel gestern abend verlaufen?« Es war seine Standardfrage am Freitagvormittag.

»Nicht schlecht«, antwortete ich und drehte mich herum, um ihm ins Gesicht schauen zu können. »Ich hab ein paar Scheinchen gutgemacht. Für Lon dagegen war es ein schlechter Abend. Er ist völlig k.o. wegen dem, was in der Gazette vor sich geht.«

»Aha?« machte Wolfe, ohne hochzuschauen, während er die eingegangene Post durchblätterte, die ich wie üblich ordentlich auf seiner Schreibunterlage gestapelt hatte.

»Ja. Sieht so aus, als ob die Zeitung demnächst verkauft würde. An Ian MacLaren.«

Jetzt blickte Wolfe auf und runzelte die Stirn, ein Zeichen, daß er sich dafür interessierte. »Ich habe keinen Bericht darüber gelesen, weder in der Gazette noch irgendwo sonst.«

»Das hat mich auch gewundert, als es mir Lon gestern abend mitgeteilt hat. Er meint, die Verhandlungen seien von beiden Seiten totgeschwiegen worden.«

Jetzt vertieften sich Wolfes Falten auf der Stirn. »Ich habe volles Verständnis für Mr. Cohen. Ohne Zweifel würde er es sehr lästig, wenn nicht unerträglich finden, für eine Zeitung zu arbeiten, die diesem Gauner und Geschäftemacher gehört.«

»Genau das hat er gestern abend gesagt. Ich meinte, ich könnte es mir kaum vorstellen, daß er nach all den Jahren dort weggeht, aber er scheint entschlossen zu sein, zu kündigen, falls MacLaren die Gazette übernimmt.«

»Archie, was wissen Sie über Ian MacLaren?«

Wolfes Miene überraschte mich. Es war diejenige, die er sonst immer aufsetzte, wenn er bereit war, einen Fall zu übernehmen – man könnte es einen Flunsch der Resignation nennen, begleitet von einem Seufzer, der auf der Richter-Skala einen beträchtlichen Ausschlag hervorrufen würde. Aber wir hatten gar keinen Fall, geschweige einen Klienten.

»Nicht viel«, antwortete ich. »Er ist Schotte. Und er besitzt Zeitungen in vielen Städten der Welt – meines Wissens auch schon in den USA. Lon bezeichnet ihn als Besitzer eines schmierigen Skandalblätter-Imperiums.«

»Das ist gut gesagt«, antwortete Wolfe und klingelte nach Bier.

»Mr. MacLaren ist ein Opportunist, der sich einem sensationellen und unverantwortlichen Journalismus verschrieben hat und seine Zeitungen und Zeitschriften nur nach den Gesetzen des Profits führt.«

Wolfe legte eine Pause ein, als Fritz Brenner, von dem Sie später noch hören werden, mit einem Tablett hereinkam, auf dem zwei gekühlte Bierflaschen und ein Glas standen. Dieses Ereignis, das bis zu sechsmal am Tag stattfindet, gehört ebenso zu Wolfes Gewohnheiten wie sein Besuch im Gewächshaus auf dem Dach. Nachdem Fritz gegangen war, öffnete Wolfe eine Bierflasche, schenkte ein und warf dann den Kronenkorken in die rechte Schreibtischschublade. Etwa einmal wöchentlich wird die Lade geleert, und dann zählt er die Korken, um festzustellen, ob er über seinem Limit liegt; ich bin allerdings nie dahintergekommen, wie hoch er dieses Limit ansetzt.

»Haben Sie schon mal eine von MacLarens Zeitungen gelesen?« wollte ich wissen.

»Nein, ich kenne nur seinen Ruf und das, was über ihn geschrieben wurde«, entgegnete Wolfe und tupfte sich die Lippen mit einem Taschentuch ab. »Aber der Hinweis, den Sie mir mit Ihrer Frage geben, ist gut. Gibt es hier in der Nähe einen Zeitungsstand oder einen Kiosk, der auswärtige und ausländische Zeitungen führt?«

»Nur ein paar Blocks von hier ist einer«, sagte ich. Es überrascht mich immer wieder, selbst nach all den Jahren, in denen ich mit Wolfe unter einem Dach lebe, daß jemand, dessen Kopf so vollgepackt ist mit Wissen aus den Bereichen von Geschichte, Philosophie, Anthropologie, großer Küche, Orchideen und den meisten anderen Themen aus der Encyclopaedia Britannica, völlig ahnungslos sein kann, was die Stadt betrifft, in der er lebt. Aber Nero Wolfe haßt es ebenso, sein Backsteinhaus zu verlassen, wie er es haßt, von seinem täglichen Zeitplan abzuweichen. Für ihn ist das Besteigen eines Wagens selbst dann, wenn ich am Steuer sitze, ein Akt verwegenster Kühnheit. Und wenn er bei seltenen Anlässen gezwungen ist, sich in die Tiefen Manhattans und sogar noch darüber hinaus zu begeben, so balanciert er sein Fundament auf der Kante des Rücksitzes seines Wagens, einem Heron, den er schon seit vielen Jahren besitzt, und hängt in den Sicherheitsgurten, als wenn es die Gurte eines Fallschirms wären.

Damit will ich nicht andeuten, daß er in diesem Moment vorhatte, sich aus dem Haus zu begeben. O nein, ich war derjenige, dem er zumutete, die Rolle des unerschrockenen Abenteurers zu übernehmen. »Lassen Sie sich von Mr. Cohen die Namen der Zeitungen geben, die Ian MacLaren besitzt«, sagte er, während er die erste Flasche Bier austrank und nachdenklich auf die zur baldigen Konsumation vorgesehene Flasche Nummer zwei starrte. »Ich möchte mir so viele wie möglich davon anschauen.«

»Das wird eine entscheidende Wende in Ihren Lesegewohnheiten mit sich bringen«, bemerkte ich.

Wolfe knurrte. »Wer weiß, vielleicht bin ich angenehm überrascht, obwohl ich das bezweifle. Außerdem, wenn Sie mit Mr. Cohen sprechen, laden Sie ihn doch heute abend zum Dinner zu uns ein. Wenn ihm die Einladung zu überraschend oder anderswie ungelegen kommen sollte, kann er vielleicht morgen kommen. Oder gleich Anfang nächster Woche.«

Wenn Wolfe Lon Cohen zum Abendessen einlädt, tut er das meistens, weil er Informationen von ihm haben will. Lon weiß das natürlich, aber es macht ihm nichts aus, weil er im Lauf der Jahre mindestens ebensoviel Gutes von uns empfangen wie gegeben hat – namentlich in der Form von Knüllern im Zusammenhang mit Wolfes Fällen, die wir ihm exklusiv überlassen haben. Außerdem verehrt Lon das Kochgenie Fritz Brenner, ganz zu schweigen vom Remisier-Cognac, der nur dann angeboten wird, wenn Lon bei uns zu Tisch ist.

Aber ich fragte mich, warum Wolfe ihn sehen wollte. Diesmal arbeiteten wir nicht an einer größeren Sache, es sei denn, man zählte den Fall Gershmann dazu – ein Edelstein-Großhändler vermutete, daß einer seiner Angestellten lange Finger machte. Wolfe hatte die Sache mit nicht gerade zufälliger Hilfe von Saul und mir bereits mehr oder weniger aufgeklärt und mich beauftragt, Gershmann – der in Wirklichkeit gar nicht so heißt – morgen zu besuchen und ihm mitzuteilen, wer seinen Gewinn schmälerte.

Warum also wurde Lon eingeladen? Ich nahm an, daß es etwas mit MacLaren zu tun hatte, da Wolfe ja auch einige der Zeitungen dieses Skandalblatt-Herausgebers sehen wollte. Aber ich dachte nicht daran, ihn zu fragen. Außerdem hatte Wolfe sich inzwischen hinter seinem Buch, Der gute Krieg von Studs Terkel, verschanzt, so daß ich mich wieder zu meiner Schreibmaschine umdrehte und den Brief an den Orchideenzüchter in Illinois zu Ende tippte.

Als ich damit fertig war, wählte ich die Nummer von Lon. »Geht es dir heute morgen wieder besser?« fragte ich, als er sich gemeldet hatte.

»So-so. Ich versuche, immer einen Tag nach dem anderen hinter mich zu bringen.« Seiner Stimme fehlte die bei ihm übliche Energie und Lebensfreude.

»Na ja, wenigstens klingt es nicht mehr ganz so düster. Abgesehen von meinem Interesse für dein Wohlbefinden habe ich zwei geschäftliche Dinge, die ich mit dir besprechen muß. Erstens will Mr. Wolfe wissen, ob du heute abend zu uns zum Dinner kommen kannst – wenn nicht, dann morgen.«

»Das beste Angebot seit Wochen«, rief Lon und schien hörbar aufzuleben. »Heute abend paßt. Und der Anlaß?«

»Keine Ahnung. Du weißt ja, einem geschenkten Gaul, und so weiter. Bevor ich dir die zweite Frage stelle, muß ich gestehen, daß ich mit dem Mann, der meine Gehaltsschecks unterschreibt, über eine bestimmte schottische Person und ihr Interesse an der Gazette gesprochen habe. Ich fand, daß man ihm trauen kann.« Ich schaute zu Wolfe hinüber und erwartete eine Reaktion. Aber er rührte sich nicht hinter seinem Buch.

»Kein Problem«, brummte Lon säuerlich. »Darüber wird ohnehin bald die ganze Stadt Bescheid wissen. Und die andere Frage?«

»Könntest du uns eine Liste der Zeitungen geben, die MacLaren besitzt – amerikanische und ausländische? Mr. Wolfe möchte sich ein paar davon anschauen.«

»Ich werd verrückt«, erwiderte Lon und schnalzte mit der Zunge.

»Ich kann mir nicht vorstellen, warum er damit seine Zeit vergeudet, aber das ist sein Problem – oder vielleicht auch deines. Jedenfalls kann ich dir natürlich gern eine Reihe von Schmierblättern nennen, die er besitzt. Aber sieh zu, daß er vor der Lektüre etwas einnimmt, das gegen Magenschmerzen wirkt.«

Lon ratterte die Titel von Zeitungen in England, Schottland, Kanada, Australien und Neuseeland herunter, dazu die Namen von Zeitungen in Detroit, Denver und Los Angeles. Ich dankte ihm und erklärte zum Abschied, daß wir uns freuen, ihn heute abend bei uns zu sehen.

»Okay, ich habe die Liste der MacLaren-Zeitungen«, verkündete ich dem Einband des Buches, das zwischen mir und Wolfe aufgebaut war. »Ich mache mich auf Safari, um sie zu erjagen. Lon meint, Sie sollten sich auf eine recht unangenehme Erfahrung vorbereiten. Sehen Sie sich dazu imstande?«

Ich erhielt keine Antwort, erwartete auch keine, also ging ich in die Küche, in der Fritz gerade eine Lachsmousse und ein Omelett mit Pilzen und Sellerie für den Lunch vorbereitete. Ich versicherte ihm, daß ich rechtzeitig zum Essen zurück sein würde, und ging dann in östliche Richtung zur Seventh Avenue im Sonnenschein des späten Vormittags und anschließend nach Norden zur 42. Straße ein paar Schritte östlich vom Times Square, wo sich der am besten sortierte Zeitungskiosk Manhattans befindet. Es gab Exemplare von zwei amerikanischen Tageszeitungen aus dem MacLaren-Imperium, den Globe-American aus Los Angeles und den Detroiter Star, außerdem hatten sie seinen Londoner Herald und das Banner aus Toronto. Der Mann im Kiosk meinte, er könnte die anderen bestellen, aber ich dachte mir, daß ich schon mehr gekauft hatte, als Wolfe verkraften konnte.

Außer der Tageszeitung aus Toronto handelte es sich um Boulevardblätter, und neben ihren Aufmachern der Titelseiten wirkten sogar die der Daily News und der Post ausgesprochen zahm. Ich will Sie nicht mit Einzelheiten langweilen, aber hier ein paar Beispiele: Die Schlagzeile der Zeitung aus Los Angeles, die den größten Teil der Titelseite einnahm, lautete: ENTMENSCHTE MUTTER KOCHT KIND AUF SPARFLAMME. Außer dieser Schrift war nur noch ein roter diagonaler Streifen in der rechten oberen Ecke mit dem Text: GEWINNER IM GOLDENEN ROULETT – P. 5.! Die Titelseite der Zeitung aus Detroit schrie dem Leser in zehn Zentimeter hohen Lettern PLANEN SOWJETS ATOMANGRIFF AUF AFGHANISTAN? entgegen, und unter dieser Schlagzeile prangte das Foto einer geradezu krankhaft dickbusigen Blondine im superengen Pullover mit dem Text, sie sei bei einem Spiel im Tiger-Stadion mutig auf das Spielfeld gelaufen, um den ersten Baseman zu küssen. Und die Schlagzeile der Londoner Zeitung, welche die erste Seite beherrschte, lautete:

SCHMEISST MAGGIE RAUS! FORDERN 10 PARLAMENTARIER.

Es war kurz vor eins, als ich zurückkam. Wolfe saß noch an seinem Schreibtisch und hatte immer noch das Buch vor sich. Er hatte sich vermutlich nicht bewegt, seit ich gegangen war, es sei denn, daß er nach Bier geklingelt hatte.

»Der Jäger ist vom Beutezug zurück«, verkündete ich und legte fünf Pfund Zeitungen in einem Stapel auf seinen Schreibtisch, mit der aus Detroit obenauf, weil ich mir vorstellen konnte, daß die dickbusige Blondine für Wolfe die beste Einführung in den Stil des Revolver-Journalismus von MacLaren war.

Er senkte sein Buch und warf einen düsteren Blick auf die Zeitungen, ohne sie zu berühren. »Nach dem Lunch«, sagte er, und in dem Punkt mußte ich ihm zustimmen. Jeder, der eine gute Mahlzeit zu schätzen weiß, ist gut beraten, wenn er unangenehmen Ereignissen und Erfahrungen vor dem Essen aus dem Weg geht.

3

Es gilt als feste Regel in unserem Backsteinhaus, daß während der Mahlzeiten keine geschäftlichen Angelegenheiten besprochen werden dürfen. Und mich interessierte an diesem Tag, während wir die Lachsmousse und dann das Omelett genossen, ob Wolfe die Sache mit Ian MacLaren als geschäftliche Angelegenheit oder als ein Thema von allgemeinem Interesse betrachtete. Zweimal warf ich den Namen ins Gespräch, und jedesmal war die Antwort klar und deutlich: MacLaren fiel in die Kategorie des Geschäftlichen; Wolfe weigerte sich, beim Essen darüber zu sprechen, und wählte als Thema statt dessen die zeitgenössische Architektur, speziell jene Entwicklung, die von der Sachlichkeit wegführte und zu mehr Schmuck und zu rein dekorativen Elementen an den Bauten tendierte. Wolfe bevorzugte übrigens eindeutig die letztere Stilrichtung.

Nachdem wir das Omelett vernichtet hatten und zum Kaffee ins Büro gingen, begann sich Wolfe mit dem Zeitungsstapel auf seinem Schreibtisch zu befassen. Ich beobachtete seine Miene, als er die vier Zeitungen nacheinander durchblätterte. Dabei zeigte er eine Serie von Grimassen, gespitzte Lippen, leichtes Kopfschütteln und einmal ein regelrechtes Schaudern. »Das ist noch scheußlicher und erbärmlicher, als ich es mir vorgestellt habe«, erklärte er schließlich und klingelte nach Bier. Als Fritz mit dem Tablett hereinkam, schob er ihm die Zeitungen hin. »Nehmen Sie das hier und werfen Sie es umgehend in den Müll«, bellte er.

»Ich wünschte, Sie würden Ihre Gedanken nicht für sich behalten«, seufzte ich. »Sagen Sie mir, wie Sie darüber denken.«

»Pfui. Ich nehme an, Sie haben einen Blick darauf geworfen.«

»Ja, ich hab ein bißchen drin geblättert auf dem Weg vom Zeitungsstand hierher. Ziemlich schlimm, finde ich.«

»Schlimm ist ein noch viel zu schwaches Wort. Das hier sind bodenlose Verunglimpfungen des wahren Journalismus. Die Nachrichten rein oberflächlich, die Kommentare und Artikel auf das Verständnis des Neandertalers vereinfacht, die grafische Gestaltung schamlos und grotesk.« Er schlug mit der Hand auf seine Schreibunterlage, was einen für ihn ungewöhnlichen Ausbruch von Energie darstellte.

»Auf den ersten Blick fand ich die Sportseiten der Zeitung aus Los Angeles nicht schlecht«, wandte ich ein. »Viel statistisches Material.«

»Futter für die Zocker, ganz klar«, grollte Wolfe.

»Es ist so angenehm und erheiternd hier, daß mir nichts lieber wäre, als den Nachmittag über mit Ihnen über Ian MacLarens Beitrag zur Vierten Macht zu diskutieren, aber wie Sie sich erinnern, bin ich um halb vier Uhr mit unserem Freund, dem Diamantenhändler, verabredet. Das Resultat dürfte ein fetter, auf Ihren Namen ausgestellter Scheck sein, und daher wäre es nicht schlecht, wenn ich mich pünktlich bei ihm einfände.«

»Ich bin mir Ihres unerschütterlichen Pflichteifers wohl bewußt, Archie«, sagte Wolfe, »und hoffe, es gelingt Ihnen, bis zum Eintreffen von Mr. Cohen wieder zu Hause zu sein.« Ich hatte eine Antwort parat, aber bevor ich sie loswerden konnte, hatte er sich bereits wieder hinter seinem Buch verschanzt.

Ich fand, daß der Spaziergang am Vormittag zum Times Square genug Bewegung war für einen Tag, daher empfand ich in keiner Hinsicht Gewissensbisse, mir ein Taxi zu rufen, das mich dann zu meiner Verabredung mit Gershmann nach Midtown fuhr. Er wollte mich verständlicherweise nicht in seinem Geschäft im Zentrum des Diamantenmarkts in der 47. Straße empfangen, sondern hatte statt dessen eine Nische im hinteren Teil eines Delikatessen- und Imbißladens an der Fifth Avenue vorgeschlagen.

Er wartete schon, als ich pünktlich um halb vier dort auftauchte. Ich brauchte etwa eine halbe Stunde, um ihm alles auseinanderzuklamüsern, einschließlich der Beweise, die ihm klarmachten, daß einer seiner Angestellten jede Woche weit mehr als seinen Lohn mit nach Hause nahm.

Nachdem ich mit meinem kleinen Referat am Ende war, pumpte Gershmann an meinem Arm, dankte mir mehr, als nötig gewesen wäre, und zückte sein Scheckbuch. Wenn es ihn betrübte, daß er sich Hilfe außerhalb der enggestrickten Mischpoche des Edelsteinhandels hatte holen müssen, so zeigte er es nicht. »Nur aus Neugier«, sagte ich, »und obwohl es mich gar nichts angeht: Wie wollen Sie die Angelegenheit nun lösen?«

»Es gibt sehr klar definierte Verfahrensweisen dafür«, antwortete Gershmann mit einer Stimme, deren Temperatur um mindestens zehn Grad gefallen war. Ich drängte ihn daraufhin nicht weiter. Nachdem wir uns noch einmal die Hände geschüttelt hatten, reichte er mir den Scheck mit einer Summe, die üppig genug war, um das Leben im Backsteinhaus mehrere Wochen zu finanzieren. Und das ist eine ganze Menge, denn Wolfe muß nicht nur für solche Nebensächlichkeiten aufkommen wie die vier Kasten Bier, die er wöchentlich konsumiert, er muß auch mich bezahlen, der ich mehrere Rollen bekleide, darunter die seines persönlichen Vertrauten und Assistenten, seines Vollzugsorgans und seines Allround-Laufburschen, ganz zu schwiegen von dem Gehalt für Fritz, den besten Koch im ganzen Universum, und für Theodore Horstmann, der sich um die zehntausend Orchideen im riesigen Gewächshaus auf dem Dach des Hauses zu kümmern hat. Außerdem sind da noch die Rechnungen vom Delikatessen- und vom Metzgerladen und natürlich die Bücher und so weiter und so fort, aber jetzt haben Sie eine ungefähre Vorstellung von Wolfes Haushalt. Schlicht gesagt, um das alles in Schwung zu halten, braucht man eine Menge Bares. Und dieses Bare kommt nur dann herein, wenn Wolfe nach Arbeit zumute ist, was selten genug der Fall ist, und meist nur dann, wenn der Kontostand unter einen fünfstelligen Habenbetrag gefallen ist. Momentan befand er sich ein ganzes Stück über der Gefahrenmarke, und mit dem großzügigen Scheck von Mr. Gershmann würde er morgen noch wesentlich besser aussehen. Wir blickten also wieder einmal einer Reihe von Mußestunden entgegen.

Ich kam ein paar Minuten vor fünf in die 35. Straße zurück, und das bedeutete, daß Wolfe noch oben auf dem Dach war und mit seinen Orchideen spielte. Ich sperrte den Safe auf und legte unseren neuesten Zugang hinein, dann ging ich in die Küche, wo Fritz bereits in Vorbereitung des Dinners rotierte, und schenkte mir ein Glas Milch ein. »Wie lautet das Programm?« fragte ich ihn.

»Hühnerbrust und foie gras mit Sahnesauce und Nudeln«, eröffnete er mir. »Ich erinnerte mich, wie begeistert Mr. Cohen von meiner Hühnerbrust war, als er sie früher einmal hier gegessen hat.«

»Eine gute Auswahl«, lobte ich und verkniff mir ein Grinsen. Fritz ist ein Zauberer, wenn es um Hühner geht. Aber er ist natürlich auch ein Zauberer mit Rindfleisch, Lamm, Schwein, Kalb und jeder Art von Fisch. Wenn es jemals eine Ruhmeshalle für Köche geben sollte, dann müßte Fritz dort einen bedeutenden Platz einnehmen, mit seiner Büste, dem Namen auf einer Messingtafel und dem Zusatz: »Er macht Nero Wolfe glücklich – das allein schon ist Grund genug, mit den Größten seines Fachs hier versammelt zu sein.«

Nicht daß es zwischen Wolfe und Fritz keine Differenzen über die Speisen gäbe, und bei einigen ihrer Gefechte geht es durchaus hart auf hart. Wie damals, als Fritz die Stubenküken mit Estragon und Safran gewürzt hatte, woraufhin Wolfe die Nase rümpfte und sich weigerte, sie zu essen, weil er sie mit Salbei gewürzt haben wollte. Trotz ihrer gelegentlichen Kontroversen ist sich Wolfe natürlich bewußt, daß der Blutdruck von Fritz durchschnittlich bei 160 zu 110 liegt, so daß er die Gelegenheit zum Streit nur selten ergreift, und wenn, dann sucht er sie sorgfältig aus.

Mein Magen befaßte sich bereits mit der Vorfreude auf die Hühnerbrüste, als ich ins Büro zurückging und noch einen Brief an einen Orchideenzüchter in Pennsylvania schrieb, der anläßlich eines Besuchs hier in New York im kommenden Monat die Orchideenplantage besichtigen wollte. Die Genehmigung dazu wurde ihm natürlich erteilt. Wolfe lehnte fast nie eine ernsthafte Bitte ab, wenn es um die Besichtigung seiner kostbaren Orchideen geht. Ich nenne das Eitelkeit; er dagegen meint, es sei ein Austausch von Informationen, obwohl die Besucher immer wesentlich mehr lernen, als sie Wolfe oder Theodore beibringen könnten.

Nachdem ich den Brief fertig getippt und Wolfe zur Unterschrift auf den Schreibtisch gelegt hatte, begann ich mich mit den Keimlisten zu befassen, wurde aber durch das Telefon unterbrochen.

»Archie, hier Lon. Ich werde noch eine Weile hier im Büro aufgehalten. Wenn ich bei euch bin, sage ich euch, worum es ging. Aber es kann sieben werden.«

Ich beruhigte ihn und meinte, wir könnten notfalls sogar den Beginn des Dinners seinetwegen bis zu drei Minuten verschieben, falls er sich darüber hinaus verspäte. Als ich mich wieder den Keimlisten zuwandte, die Theodore täglich herunterbringt, hörte ich den Aufzug heulen. Auf meiner Armbanduhr war es zwei Minuten nach sechs, und das bedeutete, daß Wolfe vom Gewächshaus herunterkam.

»Lon hat angerufen. Er wird etwas später kommen. Irgendwelche Probleme bei der Zeitung«, verkündete ich, als Wolfe hereinkam und auf seinen Schreibtisch zuging. »Ich wette eins zu zehn, daß es mit MacLaren zu tun hat.«

»Sehr wahrscheinlich«, stimmte Wolfe zu und griff nach dem Buch von Terkel. »Wir können notfalls das Dinner verschieben.« Sein Ton sagte mir freilich, daß er diese Vorstellung als höchst unerfreulich empfand, andererseits war er aber der Meinung, wie er oft bekräftigte, daß »ein Gast ein Schmuckstück ist, das auf das Samtkissen der Gastfreundschaft gebettet werden muß«.

Wie sich zeigte, konnten wir jedoch unseren Zeitplan einhalten. Lon klingelte um sechs Uhr siebenundfünfzig, das heißt, es war noch Zeit für einen Scotch auf Eis im Büro, während ich mir einen Bourbon einschenkte und Wolfe eine Flasche Bier trank.

»Tut mir leid, daß ich zu spät komme«, entschuldigte sich Lon bei Wolfe und ließ sich mit seinem Drink in dem roten Ledersessel nieder. Er wirkte völlig erschlagen. »Bei uns geht es drunter und drüber. Vermutlich bringt die Times in ihrer morgigen Ausgabe einen Bericht darüber, daß MacLaren vorhat, seinem Imperium die Gazette einzuverleiben. Ich weiß nicht, wie sie Wind von der Sache bekommen haben, aber sie haben die Vorsitzende unseres Aufsichtsrats, Harriet Haverhill, angerufen und sie gebeten, zu MacLarens Erklärung Stellung zu nehmen, der behauptet hatte, ein Angebot für die Mehrzahl der Anteile bei der Gazette gemacht zu haben. Sie erwiderte die Anfrage mit ›kein Kommentar‹, dann rief sie bei der Lokalredaktion an, um sie davon in Kenntnis zu setzen, und wir hatten alle Mühe, um noch etwas davon in die heutige Spätausgabe zu bringen.«

»Tatsächlich?« sagte Wolfe. »Mr. Cohen, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich das Thema Ian MacLaren gern bis nach dem Dinner aufschieben. Ich versichere Ihnen, daß ich sehr daran interessiert bin, aber –«

»Ich sag ja schon nichts mehr«, unterbrach ihn Lon lachend und hielt dazu eine Hand hoch. »Ich stimme Ihnen völlig zu. Ich freue mich seit heute mittag auf dieses Mahl und kann es sicherlich mehr genießen, wenn wir uns über angenehmere Themen unterhalten.«

Auf diese Weise wurde MacLaren bereits zum zweitenmal an diesem Tag als Gesprächsstoff beim Essen gemieden. Und da ich wußte, was Wolfe und Lon von ihm hielten, begann ich mich allmählich auch persönlich für ihn zu interessieren und hätte ihn gern einmal gesehen, nur um festzustellen, ob er Hörner, Reißzähne oder vielleicht ein drittes Auge mitten auf der Stirn hatte.

Immerhin hatten die Ereignisse bei der Gazette Lons Appetit nicht merklich verdorben. Er schaffte drei Portionen vom Huhn und ließ sich auch bei der tarte zum Dessert noch einmal nachlegen. Während wir aßen, verbreitete sich Wolfe über das Thema, warum er die konstitutionell festgelegte Beschränkung eines Präsidenten auf zwei Wahlperioden für verbesserungswürdig hielt, während Lon – du meine Güte, ja! – die gegenteilige Ansicht vertrat. Meiner Meinung nach war Wolfe bei der Debatte der Sieger, wenn auch nur nach Punkten.

Wir hinterließen einen Tisch mit säuberlich abgegessenen Tellern, die Fritz sicher mit Stolz abräumen würde, und gingen durch die Diele ins Büro. Lon machte es sich wieder im Ledersessel bequem und hatte ein Schwenkglas mit dem sehnlich erwarteten Remisier neben sich stehen. Das sah so gut aus, daß ich mir selbst statt dem üblichen Bourbon auch einen genehmigte. Wolfe trank natürlich wieder Bier.

»Mr. Cohen, Sie wissen von Archie, daß ich sehr neugierig bin, was diesen Ian MacLaren betrifft«, begann er und kam damit endgültig zum geschäftlichen Teil des Abends.

»Das nahm ich an, als er anrief und sagte, Sie wollten sich ein paar von MacLarens Produkten zu Gemüte führen. Natürlich bin ich gespannt, zu erfahren, warum Sie der Schotte so interessiert. Haben Sie ein paar von seinen Blättern gelesen?«

»Ich habe genug gesehen, um meine Ansicht über das journalistische Niveau dieses Mannes bestätigt zu finden. Ich habe auch mehrere Fragen zu seiner Person, Sir, aber bitte berichten Sie erst einmal. Sie sagten vorhin, sein Angebot für die Gazette sei inzwischen öffentlich bekannt.«

»Nun, noch nicht ganz«, erwiderte Lon und schaute auf seine Armbanduhr. »Wir wissen, daß in der morgigen Times ein Artikel darüber erscheinen wird, also hat sich unsere Geschäftsleitung endlich von ihrem kollektiven Hinterteil erhoben und den Entschluß gefaßt, etwas darüber zu bringen, und sei es nur, damit uns nicht auch noch unsere eigene Story vor der Nase weggeschnappt wird. Unser Artikel kann freilich erst in der Spätausgabe für New York erscheinen, die gerade zehn Prozent unserer gesamten Verbreitung umfaßt. Sie dürfte in einer halben Stunde auf der Straße verkauft werden.«

»Wie ernsthaft ist MacLarens Angebot?«

»Verdammt ernsthaft«, sagte Lon. »Die Gazette wird sehr kurz gehalten. Es handelt sich ausschließlich um private Besitzer. Und es sind wenige Aktionäre, die meisten Mitglieder der Familie Haverhill. MacLaren braucht also nur ein paar von ihnen auf seine Seite zu ziehen.«

»Auf die Familie möchte ich später kommen«, sagte Wolfe. »Erst einmal: Was ist Ihre Meinung über Mr. MacLaren?«

Lon genoß einen kleinen Schluck Remisier. Vielleicht war er zu müde und erschlagen, um zu bemerken, daß Wolfes Interesse dafür mehr als merkwürdig war, mir jedoch entging es keineswegs. Etwas höchst Ungewöhnliches kam da auf uns zu, und ich hatte dementsprechend meine Aufmerksamkeit aufs äußerste geschärft. »Soweit es mich betrifft – ich halte MacLaren für das Schlimmste, was dem Journalismus seit Jahrzehnten passiert ist und passieren konnte. Sie haben seine Zeitungen gesehen. Er ist gut im Geschäft und verdient eine Menge Geld. Ich sollte eigentlich sagen, er verschafft sich das Geld und die Macht.«

»Hat er jemals selbst eine Zeitung gegründet?«

»Nein, er hat immer nur bereits existierende Blätter aufgekauft, was keine große Kunst war, weil er stets mit Geld um sich geworfen hat. Er hat aus allen Zeitungen guten Gewinn gemacht, und man kann nichts gegen seine geschäftlichen Erfolge einwenden. Aber was er tut, wenn er eine Zeitung in die Finger bekommt …« Lon schaute düster drein. »Er stempelt sie als ein echtes MacLaren-Produkt ab, könnte man sagen. Meistens wandelt er sie in Boulevardzeitungen oder Schlimmeres um, füllt die Vorderseite mit den schrillsten Schlagzeilen, kürzt sämtliche Berichte und Kommentare auf ein Drittel, setzt aufreizende Mädchenfotos ins Blatt und verfolgt obendrein eine herausgeberische Politik, die noch irgendwo zwanzig Prozent rechts von Jesse Helms beheimatet ist. In meinen Augen ist er als Verleger eine Kombination aus den jeweils schlechtesten Eigenschaften von William Randolph Hearst und Rupert Murdoch.«

»Seit wann besitzt er die Zeitungen, oder wenigstens die in diesem Land?«

»Das weiß ich ziemlich genau«, antwortete Lon. »Ich habe mich nämlich inzwischen über den Kerl informiert. Die Zeitung von Los Angeles hat er im Jahre vierundsiebzig gekauft; es war seine erste in den USA. Dann hat er fünfundsiebzig die in Detroit geschluckt und ein Jahr später die in Denver. Es dürfte Sie interessieren, daß in all diesen Jahren keine der drei Zeitungen jemals einen Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen, den Wahlen zum Senat und zum Abgeordnetenhaus unterstützt hat. Sie haben stets nur die republikanischen Kandidaten gefördert.«

Wolfe schauderte. »Und was hat er mit der Gazette vor?«

»Eines seiner Ziele – darüber hat er sich bereits bei mehreren Gelegenheiten geäußert – besteht darin, eine Zeitung in der jeweils größten Stadt aller englischsprachigen Länder herauszugeben. Das ist ihm bereits gelungen in Kanada, Australien, England, Schottland, Irland, Neuseeland und sogar in Südafrika. Bleiben also nur noch die USA, bleibt noch New York. Und die Gazette erscheint ihm hier das einzig mögliche und interessante Objekt zu sein. Die anderen Tageszeitungen dieser Stadt befinden sich inzwischen im Besitz großer Medienkonzerne, die nicht bereit sind, zu verkaufen.« Lon trank den Cognac aus, und ich schenkte ihm nach.

»Und die Besitzer der Gazette sind bereit, zu veräußern?«

»Das ist noch die Frage«, knurrte Lon und dankte mit einer Geste dafür, daß ich den Fluß des Remisiers nicht versiegen ließ. »Ein paar bestimmt, nach dem, was ich gehört habe, aber ob es MacLaren gelingt, eine Majorität der Anteile auf seine Seite zu ziehen, muß sich erst zeigen.«

»Auf wie viele Besitzer verteilen sich die Aktien an der Gazette?« fragte Wolfe. »Und wie leicht oder schwer wäre es für diesen Mann, ihnen die Anteile abzukaufen?«

»Also gut, ich werde Ihnen die ganze Situation schildern. Erstens haben wir Harriet Haverhill, die ich schon erwähnte. Sie ist Aufsichtsratsvorsitzende, die Witwe von Wilkins Haverhill, der die Zeitung in den dreißiger Jahren gekauft hat. Damals war sie kein besonderes Blatt gewesen – eine Art pseudopopuläre Boulevardzeitung mit dem Anspruch, der Times und dem Herald Tribune Konkurrenz zu machen. Haverhill hat das Format vergrößert, aber nicht nur äußerlich, er hat den Lokalteil wesentlich verstärkt und ein brauchbares, starkes Korrespondentennetz aufgebaut. In den Leitartikeln und Kommentaren ging er hart mit der Stadtverwaltung ins Gericht – so hart, daß La Guardia ihm den Spitznamen ›Bulldogge‹ gegeben hat, ganz zu schweigen von ein paar Namen, die man nicht drucken konnte. Alles in allem hat er die Gazette zu einer erstklassigen Zeitung ausgebaut. Er starb Anfang der sechziger Jahre, und seitdem ist seine Frau die Leiterin des Zeitungsverlags. Ein Teufelsweib. Knapp über siebzig, und die Besitzerin der meisten Anteile; ihr gehört etwas mehr als ein Drittel der Zeitung. Die Zahl, die ich häufig gehört habe, war fünfunddreißig Prozent.«

»Ist sie denn bereit, ihre Anteile zu verkaufen?«

»Bestimmt nicht, und das ist derzeit das einzige, was uns etwas ermutigt«, antwortete Lon. »MacLaren kann also von Anfang an nicht an den größten Brocken heran. Und das bedeutet natürlich, daß er die übrigen Teilhaber buchstäblich bombardiert.«

»Und sie sind …«

»Die beiden nächstgrößten Anteilseigner sind Harriets Stiefkinder David und Donna – Donna Palmer –, die jeweils etwas über siebzehn Prozent besitzen. David ist offiziell Präsident des Zeitungsverlags, doch das ist mehr oder weniger ein Repräsentationsposten. Er will seit Jahren mehr Einfluß ausüben, aber wenn Sie mich fragen, ich halte ihn für einen Verlierer. Er ist unberechenbar, aufbrausend und hat ein besonders inniges Verhältnis zur Flasche. Seine Frau Carolyn hat mehr Verstand und mehr Energie als er. Solange Harriet es verhindern kann, wird sie ihm niemals die verlegerische und geschäftliche Führung der Zeitung überlassen.

Donna, die Stieftochter, ist weitgehend eine Randfigur.« Lon hielt den Cognacschwenker gegen das Licht und kniff die Augen zusammen. »Sie ist geschieden, lebt in Boston und besitzt dort eine Publik-Relations-Firma. Ich glaube nicht, daß sie sonderlich an der Zeitung und an New York interessiert ist.«

»Sind das schon alle Familienmitglieder, die sich den Besitz der Zeitung teilen?«

»Nein, es gibt da noch Scott Haverhill, Harriets Neffen, der etwa zehn Prozent der Anteile besitzt. Er ist der Geschäftsführer und möchte ebensogern ganz oben sein wie David. Ein öliger Schweinehund, immer bemüht, sich bei seiner angeheirateten Tante lieb Kind zu machen und hinter der Szene zu intrigieren, um mehr Einfluß zu gewinnen. Und Harriet würde vielleicht Scott gegenüber David vorziehen, aber nur als das kleinere von zwei Übeln.«

»Sie haben jetzt über rund achtzig Prozent der Anteile berichtet«, sagte Wolfe und klingelte nach Bier. »Was ist mit dem Rest?«