Nero Wolfe und der unfeine Gentleman - Robert Goldsborough - E-Book

Nero Wolfe und der unfeine Gentleman E-Book

Robert Goldsborough

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Beschreibung

Nero Wolfe ist klar, daß das Geständnis von Noreens Bruder falsch ist. Er macht Archie Goodwin Beine, den Beweis herbeizuschaffen … Die Reize eines notorischen Playboys haben die schöne Noreen offenbar kaltgelassen. Die »Verführungskünste«, die er dann anwendet, sind so heiß, daß selbst Noreen ins Schwitzen gerät. Indessen jagt Nero Wolfe, der »unbewegliche Dicke«, den Täter so erbarmungslos, daß er keine Chance hat … (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Robert Goldsborough

Nero Wolfe und der unfeine Gentleman

Aus dem Amerikanischen von Christine Frauendorf-Mössel

FISCHER Digital

Inhalt

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1

Die Times hatte das Stück als »bestes Broadway-Musical des Jahres« gefeiert; aber wie auch immer, es war schließlich nicht das erste Mal, daß diese geschätzte Institution und meine Wenigkeit geteilter Meinung waren. Sowieso war ich nur mitgegangen, weil Lily Rowan das Stück unbedingt sehen wollte; doch wie sich herausstellte, riß das »beste Musical des Jahres« auch sie nicht gerade vom Hocker.

An jenem Abend war Lily allerdings in einer Verfassung, in der selbst ein Caruso in Hochform sie kaum begeistert hätte. Auch das ganz ausgezeichnete Essen bei Rusterman’s gestaltete sich aus diesem Grund ungewöhnlich wortkarg – wir hatten übrigens beide Forelle Montbarry, ein Gericht, das seinen Platz auf der Speisekarte Nero Wolfe verdankte, der vor Jahren als Nachfolger seines verstorbenen Freundes Marko Vukcic Geschäftsführer des Restaurants gewesen war. Und selbst die wenigen, für meinen Geschmack durchaus gelungenen Szenen des Musicals konnten Lily lediglich ein müdes Klatschen oder halbherziges Lächeln entlocken. Kein einziges Mal bekam ich jenen sanften Rippenstoß ihres Ellbogens zu spüren, der normalerweise Ausdruck ihrer ungeteilten Freude während eines Theaterstücks ist.

»Auch auf die Gefahr hin, nur das Offensichtliche laut auszusprechen, möchte ich nur bemerken, daß du heute nicht viel Ähnlichkeit mit jener amüsanten, geistreichen Frau an meiner Seite hast, die ich respektieren und, ja sogar bewundern gelernt habe«, sagte ich zu ihr, als das Taxi uns zu ihrem Apartment an der East Sixty-third gegenüber dem Central Park brachte. Die Antwort war nur ein müdes Lächeln.

»Ich weiß, Archie«, seufzte sie schließlich. »Heute ist nicht mein Tag. Ich hatte gehofft, das Musical würde mich aufheitern. Aber … Fehlanzeige. Tut mir leid.«

»Oh, bitte keine Entschuldigungen – das hast du nicht nötig. Wie oft war ich mit meinen Gedanken weit weg, nur weil der große Nero Wolfe wieder einmal einen Fall zu lösen hatte. Wo liegt das Problem? Möchtest du darüber sprechen?«

Sie zog eine Grimasse und zuckte mit den Schultern. »Nein, ich … Mein Gott, warum eigentlich nicht? Komm noch auf einen Gute-Nacht-Trunk mit rauf.«

Ich bezahlte das Taxi. Wir betraten die Lobby von Lilys Apartmenthaus. Dort sah es aus, als habe der Bauherr im Ausverkauf einen Marmorbruch günstig erstanden. Der Portier, ein altgedientes Faktotum auf seinem Posten, begrüßte uns mit seinem üblichen »’n Abend, Miss Rowan … ’n Abend, Mr. Goodwin«. Dann lief er besonders eilfertig quer durch die kalte Pracht der Halle und erwies uns den großartigen Dienst, den Liftknopf für uns zu drücken. Es ist doch immer wieder schön zu erleben, was Lilys großzügige Weihnachtspräsente bewirken.

Obwohl ich in Lilys Palast ein und aus gehe, verschlägt es mir bei all dem Luxus jedesmal wieder den Atem. Lily Rowan und ich sind, um im Jargon der Klatschkolumnisten zu sprechen, »gute alte Freunde«. Und da ist sogar was Wahres dran. Wir sind gute Freunde. Diese Tatsache hat allerdings weder Lily noch mich bisher davon abgehalten, auch Gefallen an der Gesellschaft anderer Vertreter des jeweils anderen Geschlechts zu finden. Sollten Sie noch detailliertere Auskünfte über unsere Beziehung erwarten, hören Sie am besten gleich auf zu lesen. Und wenn Sie glauben, von Madame mehr zu erfahren, vergessen Sie’s.

Aber um auf Lily zurückzukommen: Ihr verstorbener Vater hatte von Irland aus die Neue Welt erreicht; und das lange bevor ich Ohio verlassen hatte und auf der Suche nach Ruhm und Geld in Manhattan gelandet war. Der alte Rowan hatte schnell beim Gründungsverein der Demokratischen Partei und im Baugeschäft Fuß gefaßt. Und soviel ich mir aus Berichten von Lily und Lon Cohen von der Gazette zusammenreimen konnte, hat Rowan sich mit dem Bau der New Yorker Kanalisation eine goldene Nase verdient. Ein nicht unerheblicher Teil seines Vermögens ist bei Lily gelandet. Und Lily hat bewiesen, daß sie weiß, wie man mit Geld umgeht. Als nur einige wenige Beispiele dafür mögen ihr Refugium in Katonah, ihre Ranch in Montana und einige hübsche Bilder französischer Impressionisten in ihrem New Yorker Apartment dienen. Um Ihnen eine Vorstellung von dem zu geben, was ich meine: Vor meiner Freundschaft mit Lily bedeuteten mir Namen wie Monet, Renoir und Cézanne ebensoviel wie Rosenkranz und Güldenstern.

Und noch etwas: So vermögend Lily auch sein mag – wenn wir ausgehen, bezahle ich. Das nur nebenbei.

Ich machte es mir auf einer der drei weißen Couchen in ihrem Wohnzimmer mit einem Scotch mit Wasser bequem, den ich an der Bar in der Ecke des Raumes gemixt hatte. Lily setzte sich mir gegenüber. Sie zog ihre schönen Beine unter sich aufs Polster, atmete tief durch und starrte nachdenklich in ihren eigenen Scotch. Dann sah sie mich mit ihren dunkelblauen Augen an.

»Escamillo«, begann sie und benutzte damit den Spitznamen, den ich jenem Tag zu verdanken hatte, an dem sie mich zwang, auf einer Weide Bekanntschaft mit einem Stier zu machen. »Ich muß mit jemandem … und am liebsten mit dir … reden. Das bedeutet allerdings, daß ich ein gegebenes Versprechen breche.«

»Die Entscheidung liegt bei dir. Aber du weißt vermutlich, daß Geheimnisse bei mir gut aufgehoben sind. Ich bin sozusagen ein wandelnder und sicherer Geheimnisträger.«

»Natürlich, das ist mir klar. Und ich kann dir nicht mal sagen, warum es so schwierig ist, darüber zu sprechen – außer: Es geht um Noreen.«

»Deine Nichte?«

Lily nickte und kaute auf ihrer Unterlippe. Noreen James ist die Tochter von Lilys Halbschwester Megan James. Ich bin ihr nur ein paarmal begegnet, aber das genügte, um einen sehr positiven Eindruck von der jungen Dame zu gewinnen, die vor etwa zwei Jahren das College abgeschlossen hatte.

»Drogen?« fragte ich.

»Nein – nicht daß ich wüßte. Bitte … laß mir Zeit.« Sie nahm einen kräftigen Schluck Whisky und betrachtete ausgiebig den Renoir an der gegenüberliegenden Wand, bevor sie fortfuhr: »Du weißt, daß Noreen und ich uns sehr mögen. Vor allem ist sie um Lichtjahre netter als ihre Mutter. Aber du weißt ja, wie ich zu Megan stehe.«

Das weiß ich in der Tat. Lily und ihre etwas ältere Halbschwester haben nie ein Hehl aus ihrer gegenseitigen Abneigung gemacht. Der Grund liegt auf der Hand. Während Lily eine offene, tolerante, humorvolle, unkonventionelle Person und – nach ihrer eigenen Einschätzung – im Grunde ihres Herzens faul ist, ist Megan eher verkrampft und ratlos, hat eine scharfe Zunge und hält im allgemeinen nichts von ihren Mitmenschen. Ich kenne die Lady gerade gut genug, um zu wissen, daß sie so amüsant ist wie ein Taxifahrer im New Yorker Verkehrsstau, der über alles und jeden eine Meinung besitzt und wild entschlossen ist, diese unter die Leute zu bringen.

»Aber davon abgesehen … Noreen und ich, wir treffen uns häufig, einfach um zu reden. Sie hat sich mir von jeher eher anvertraut als ihrer Mutter – was mein Verhältnis zu Megan, oder dem, was davon übrig ist, auch nicht besser gemacht hat. Wir sehen uns jedenfalls einmal im Monat.«

»Das hast du erzählt – im Plaza, wenn ich mich richtig erinnere?«

Lily wagte den Anflug eines Lächelns. »Noreen liebt den Palm Court. Aber bei unseren letzten beiden Treffen war sie wie ausgewechselt. Du weißt, wie dynamisch und voller Lebensfreude sie normalerweise ist – oder vielmehr war. Als wir uns vor einem Monat gesehen haben, das war am letzten Samstag im Juni, war ich erschüttert. Sie sah aus …!! Bleich und eingefallen, so als hätte sie nächtelang nicht geschlafen. Sie war fahrig und unkonzentriert. Normalerweise genießt sie es, von mir den neuesten Gesellschaftsklatsch zu hören. Ihre alte Tante Lily ist für sie vermutlich so eine Art Cabaret-Ersatz. Üblicherweise essen wir Salat, trinken eine Flasche Chablis, ich erzähle meine Geschichten von den Schickimickis, und wir lachen ’ne Menge. Das letzte Mal war alles anders. Sie brachte kaum ein Wort heraus, und als ich sie fragte, ob sie etwas bedrückte, hat sie Schwierigkeiten in ihrem Job vorgeschoben.«

»Sie ist in einem Verlag, nicht wahr?«

»Ja, bei Melbourne Books. Sie war immer begeistert von ihrer Arbeit als Lektorin. Aber als ich mehr über diese Schwierigkeiten im Verlag wissen wollte, wurde sie ganz zugeknöpft. Also habe ich nicht weiter insistiert. Megan mischte sich schon genug in ihr Leben ein. Ich wollte nicht den gleichen Fehler machen.

Tja, und dann haben wir uns vergangenen Samstag wieder getroffen. Und die Szene vom Vormonat wiederholte sich. Noreen sah schlecht aus – vielleicht sogar noch miserabler. Meine Schickimicki-Geschichten interessierten sie nicht die Bohne … und da waren wirklich ein paar Leckerbissen drunter, glaub mir. Reden wollte sie überhaupt nicht. Da war ich dann entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Zuerst wollte sie mir wieder mit Streß im Beruf kommen. Aber damit habe ich mich nicht mehr abspeisen lassen. Ich muß gestehen, daß ich Megan würdig vertreten habe. Die ist nämlich sechs Wochen an der Riviera gewesen – bis heute. Jedenfalls ist plötzlich der Damm gebrochen. Unter Tränen ist alles herausgekommen.«

Lily lehnte sich in die Polster zurück und schloß die Augen. Ich füllte unsere Gläser neu und wartete geduldig.

»Wenn ich in dem Tempo weitermache, mußt du auf das Ende der Geschichte bis zum Morgengrauen warten«, sagte sie schließlich deprimiert und blinzelte. »Vermutlich ahnst du es längst. Noreen wurde … jemand ist über sie hergefallen.« Lily schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durchs mattblonde Haar. »Und was das schlimmste ist: Sie kennt den Kerl … sie war mit ihm ausgewesen, als es passierte. Man stelle sich das mal vor!«

»Vergewaltigung beim Rendezvous«, stellte ich ruhig fest.

Lily zuckte zusammen. »Was für ein schrecklicher Ausdruck!«

»Für eine schreckliche Tat. Wer zum Teufel war der Kerl?«

»Das wollte sie nicht sagen. Es war schwer genug, überhaupt etwas aus ihr herauszubekommen. Allerdings habe ich einen Verdacht. In letzter Zeit ist sie mit mindestens zwei Männern ausgegangen. Der eine ist ein netter Junge – denke ich wenigstens … aber mittlerweile bin ich mir bei gar niemandem mehr so sicher. Sie kennt ihn durch ihren Bruder Michael, der an der Wallstreet arbeitet. Der andere ist – ich sage es ungern – Sparky Linville.«

»Der junge Wilde, der dauernd durch die Klatschkolumnen geistert?«

Die Antwort war ein knappes Nicken und eine hilflose Grimasse. »In den letzten Monaten ist Noreen gelegentlich mit einer Clique der ›Schönen und Reichen‹ unterwegs gewesen. Dazu gehörte auch Linville. Oft kann sie ihn allerdings nicht gesehen haben. Du hast vorhin Drogen erwähnt. Natürlich bin ich nicht sicher, aber ich glaube nicht, daß Noreen Koks schnupft oder sich sonstwie auf Jet-set-Art zuknallt. Für die anderen, Linville eingeschlossen, würde ich da nicht die Hand ins Feuer legen. Ich bin ihm nur zweimal begegnet … Archie, er ist einer von diesen ganz ausgebufften Society-Früchtchen. Wer seine Arroganz erlebt hat, für den verkommt der Begriff ›Selbstbewußtsein‹ fast zum Schimpfwort. Noreen hat es offenbar neu und aufregend gefunden, mit ihm durch die In-Kneipen und Diskos zu ziehen. Sicher hat es was, mit einem jungen Mann das Nachtleben auszukosten, dem alle Türen offenstehen.«

»Du glaubst also, daß er derjenige war, der …«

»Ich bin mir sicher. Noreen hat sich hartnäckig geweigert, einen Namen zu nennen. Sie wurde fast hysterisch, und ich mußte ihr hoch und heilig versprechen, niemandem auch nur ein Sterbenswort von der Sache zu erzählen. Die Szene war bühnenreif. Die anderen Gäste im Restaurant wurden schon neugierig. Jedenfalls weiß bisher nicht mal Megan Bescheid. Aber so, wie Noreen reagiert hat, als ich Linvilles Namen genannt habe … Er muß es gewesen sein.«

»Noreen will ihn also nicht verklagen?«

Lily schüttelte den Kopf. »Viel war ja nicht aus ihr herauszukriegen, aber offenbar gibt sie sich selbst die Schuld.«

»Was meinst du dazu?«

»Sie reagiert genauso, wie es eine Gesellschaft erwartet, in der die Männer den Ton angeben. Frauen, denen Gewalt angetan wird, haben das selbst zu verantworten, weil sie die Männer eben durch ihre Kleidung, die Art, sich zu geben, oder was auch immer provozieren. Oder willst du vielleicht was anderes behaupten?« Lilys Augen blitzten mich an.

»Wie könnte ich. Du hast ja völlig recht.«

»Dabei trifft das ausgerechnet auf dich wirklich nicht zu«, sagte sie leise. »Aber das Thema macht mich ganz gallig. Ich fühle mich so hilflos. Noreen ist ein großartiges Mädchen; klug, begeisterungsfähig und lebensfroh. Damit hat dieser Kerl erst mal gründlich aufgeräumt.«

»Sicher ist sie nicht mehr dieselbe wie vorher. Vor allem ist ihr Vertrauen erst mal futsch. Und das ist erst der Anfang.«

»Dagegen ist nicht mal was einzuwenden«, sagte Lily bitter.

»Männern ist nicht zu trauen – Anwesende natürlich ausgenommen.«

»Danke für die Blumen.« Ich grinste. »Trotzdem muß ich eine Frage loswerden, die dir vielleicht Anlaß gibt, deine Meinung über mich zu revidieren: Bist du absolut überzeugt davon, daß deine Nichte ein unschuldiges Opfer ist?«

Ich handelte mir damit einen langen bösen Blick unter zusammengezogenen Augenbrauen ein. »Okay«, begann Lily und reckte das Kinn. »Das mußt du vermutlich fragen. Schließlich bist du ja Detektiv. Dich interessieren Tatsachen.«

»Und Eindrücke.«

»Glaubst du, ich hätte über die Sache nur ein Wort verloren, wenn ich auch nur die geringsten Bedenken gehabt hätte, Noreen könnte den Burschen provoziert haben?«

»Ist ja gut. Ich hab’s kapiert. Aber wie du so treffend bemerkt hast: Ich mußte fragen.« Ich stand auf. »Ich gehe jetzt lieber. Wenn du dich nach unserem Gespräch etwas besser fühlst, dann denk daran, daß es Noreen vermutlich verdammt gutgetan hat, mit jemandem – und ganz besonders mit dir – über diesen Alptraum zu reden.«

Sie seufzte. »Ich weiß, daß es mir verdammt gutgetan hat, auch wenn ich damit Noreens Vertrauen mißbraucht habe. Aber das bedrückt mich nicht im mindesten. Schließlich bist du mein Mitwisser. Und weil ich deiner Sensibilität vertraue, frage ich dich: Was rätst du?«

Ich stand achselzuckend in der Diele. »Dir? Ich fürchte, im Augenblick gar nichts. Aber es gibt jemanden, dem ich gern ein paar Takte sagen würde. Und das erledige ich persönlich.«

»Du gehst doch nicht etwa zu Noreen?« meinte Lily entsetzt.

»Bewahre – das würde ich nie tun. Das weißt du. Nein, ich habe vor, morgen einem gewissen Mr. Sparky Linville meine Aufwartung zu machen.«

2

Der nächste Tag begann durchaus harmlos. Gegen Viertel vor acht saß ich an meinem kleinen Tisch in der Küche von Nero Wolfes Haus aus braunem Sandstein in der West Thirty-fifth Street nahe dem Hudson River, wo ich bereits ein halbes Leben lang zu Hause bin. Besagter kleiner Tisch ist so ziemlich der einzige Ort, an dem ich frühstücke, es sei denn, ich bin mit Lily in deren Refugium in Katonah oder im Gefängnis, was, ehrlich gesagt, mehr als einmal während all der Jahre vorgekommen ist, die ich bei Nero Wolfe in Lohn und Brot stehe. Ich hatte bereits ein großes Glas frischgepreßten Orangensaft und eine Tasse Kaffee getrunken und machte mich gerade über den kanadischen Speck, Pfannkuchen mit Thymianhonig und eine zweite Tasse her; alles übrigens Köstlichkeiten, die Fritz Brenner für mich zubereitet hatte.

Wolfe nahm getreu seinen Gewohnheiten die Morgenmahlzeit oben in seinem Zimmer zu sich. So leistete mir allein die Times beim Essen Gesellschaft. Ich hatte sie gegen ein selbstgebasteltes Gestell gelehnt, um beide Hände frei zu haben. Fritz, Chef de cuisine und einziges unersetzliches Rädchen in der Maschinerie des Hauses aus braunem Sandstein – mit Ausnahme von Wolfe persönlich, versteht sich –, bereitete bereits geschäftig und geräuschlos das Mittagessen vor: Babyhummer mit Avocados.

Fritz und ich haben im Laufe der Jahre eine Reihe von Verhaltensmustern entwickelt, die uns eine reibungslose Koexistenz im Haus erlauben. Eine dieser besonderen Umgangsformen ist, daß er mich während des Frühstücks nicht anspricht und ich ihm nicht ins Kochen reinrede. Eine simple Regel, und sie funktioniert prächtig. Die Times vermochte mich an diesem Morgen jedoch kaum zu fesseln. Die Mets versauerten auf dem fünften Tabellenplatz, und die Yankees waren auch nicht viel besser. Vor allem taten letztere auch noch so, als seien sie von der Niete, die sie als Manager gezogen hatten, geradezu begeistert.

Nach den Ereignissen des Vorabends hätte mich lediglich ein Artikel über die jüngsten Schandtaten von Sparky Linville fesseln können. Lily hatte sich angestrengt, mir den geplanten Besuch bei ihm auszureden, während ich sie zu überzeugen versucht hatte, daß ich ihre Nichte mit keinem Wort erwähnen würde. Lily war skeptisch geblieben, und bevor wir uns trennten, hatte sie mir das Versprechen abgenommen, Noreens Namen unter keinen Umständen ins Spiel zu bringen.

Ich beendete schließlich mein Frühstück und ging mit einer Tasse Kaffee in der Hand den Korridor entlang zum Büro. Wolfe war selbstverständlich noch nicht aufgekreuzt. Mit ihm konnte ich normalerweise erst um elf Uhr rechnen. Sein strenger, von Montag bis Samstag geltender Stundenplan verlangte von ihm, vier Stunden täglich bei seinen zehntausend Orchideen im Gewächshaus im vierten Stock zu verbringen. Dort leistete ihm – ebenfalls täglich von 9 bis 11 Uhr und von 16 bis 18 Uhr – Theodore Horstmann Gesellschaft, der schrullige alte Orchideengärtner, der sogar noch länger für Nero Wolfe arbeitet als ich.

Ich ließ mich hinter meinem Schreibtisch nieder und betrachtete mein Tagespensum, das hauptsächlich aus der Bezahlung von Rechnungen und der Überarbeitung unserer Orchideennamensdatei im PC bestand. Wir bearbeiteten zur Zeit keinen Kriminalfall, was Wolfe, der an unheilbarer Faulheit litt, prächtig in den Kram paßte. Das Bankkonto wies stabile schwarze Zahlen auf, was dem fetten Honorar zu verdanken war, das unser schwergewichtiges Genie dafür erhalten hatte, daß er – mit Hilfe meiner Wenigkeit – den Diebstahl einer Münzsammlung im Wert einer sechsstelligen Summe aufgeklärt hatte.

Nachdem ich den Stapel der vor mir liegenden Arbeit noch eine Weile nachdenklich betrachtet hatte, schob ich ihn kurzerhand beiseite und wählte Saul Panzers Nummer. Für jene Leser, die sich zum ersten Mal in eine unserer Geschichten vertiefen, sei angemerkt, daß Saul ein freiberuflicher Detektiv ist, und zwar der beste seiner Art in New York City und vielleicht der ganzen westlichen und auch östlichen Hemisphäre. Jedenfalls setzt Nero Wolfe ihn als Mädchen für alles ein – und Saul kann wirklich alles: vom einfachen Beschatten bis zum Zusammenstellen umfangreicher Dossiers über Leute, die ihre Namen erfolgreich aus den Medien herausgehalten haben und lieber im verborgenen wirken.

Saul bekommt mindestens das Doppelte des üblichen Tagessatzes für Freiberufler und lehnt noch immer mehr Aufträge ab, als er annimmt. Nero Wolfe allerdings findet bei ihm stets ein offenes Ohr. Und was mich betrifft, so läßt Saul sich nie die Chance entgehen, mich bei unserer wöchentlichen Pokerpartie wie eine Weihnachtsgans auszunehmen.

»Morgen«, sagte ich, als Saul beim zweiten Klingeln abhob.

»Hatte nicht damit gerechnet, Sie noch zu erwischen. Um diese Zeit macht der große Saul doch sonst schon die Straßen unserer Metropole unsicher.«

»Bin auch schon auf dem Sprung. Interessante Geschichte drüben in Long Island. Müßte sie heute zu Ende bringen. Worum kann ich Sie erleichtern?«

»Danke, ich bin schon bedient. Ihr Flush neulich abends hat ein ziemliches Loch in meine Finanzen gerissen. Ich brauche nur ein paar Informationen.«

»Sie haben drei Wünsche frei, junger Mann.«

»Was wissen Sie über Sparky Linville.«

»Ah ja … der Heißsporn mit dem Bleifuß. Vor ein paar Wochen haben sie ihn geschnappt, weil er mit über hundert Sachen in seinem Porsche über den Grand Central Parkway gedonnert ist. Sie haben das vermutlich gelesen.«

»Weiter so.«

»Herrgott, Archie, Sie lesen doch Zeitung. Was kann ich Ihnen da noch groß erzählen? Linville ist ein Chaot mit ’ner Menge Moos. An Weibern mangelt es ihm offenbar auch nicht. Das Verzogener-Fratz-reicher-Eltern-Syndrom, Sie wissen schon, was ich meine.«

»Was ist mit Drogen?«

»Möglich, aber ich habe nichts Bestimmtes gehört. Warum sollte ich auch? Linville und ich verkehren nicht gerade in denselben Kreisen.«

»Wo wohnt er?«

»Keinen blassen Schimmer. Weshalb interessiert Sie dieser reiche Rotzlöffel überhaupt?«

»Sein Lebensstil imponiert mir. Ich spiele mit dem Gedanken, ihn zu kopieren.«

»Warum schaffe ich es nie, Ihnen einfach zu glauben?« murmelte Saul. »Okay, ich rufe zurück. Sind Sie in den nächsten Minuten noch zu Hause?«

»Ja, bei meinem treuen PC. Haben Sie da eine Quelle, die Sie anzapfen können?«

Statt einer Antwort hörte ich ein Klicken in der Leitung und dann das Freizeichen. Ich drehte mich zum Computer um und begann, die Daten von den Karteikarten einzugeben, die Theodore am Vorabend auf meinem Schreibtisch deponiert hatte. Ich war gut sechs Minuten beschäftigt, bis das Telefon klingelte. »Haben Sie was zum Schreiben zur Hand?« fragte Saul.

»Aber immer. Ich warte schließlich schon seit Stunden, daß Sie anrufen!«

»Mr. Linville«, begann er und ignorierte meine geistreiche Bemerkung, »ist der Sproß einer sogenannten dynastischen Verbindung. Sein Vorname lautet Barton und ist gleichzeitig der Mädchenname seiner Mutter. Barton – wie der Kaufhauskonzern Barton. Sein Vater ist Hauptaktionär von ›Linville Gefrierkost‹. Der Sohn und Erbe, ein Einzelkind, ist sechsundzwanzig, lebt allein – jedenfalls meistens – in einem teuren Loft in einem alten, aber eleganten Hochhaus an der East Seventy-seventh.« Er nannte die Adresse. »Sein bevorzugtes nächtliches Jagdrevier ist – wer hätte es gedacht – der Yuppie-Sandkasten Morgana’s. Dort taucht er mindestens zwei- bis dreimal pro Woche auf, meistens in Gesellschaft von mindestens einem wohlgeratenen weiblichen Wesen, und gelegentlich dürfen es auch mehr sein. Manchmal kommt er auch nur mit einem oder zwei Freunden. Als Mann von Welt neigt er zum üblichen Imponiergehabe und ist dafür bekannt, mit seinen amourösen Abenteuern zu prahlen. Und falls du’s noch nicht weißt: Das Morgana’s ist ein überteuerter Chrom-Glas-Palast an der Second Avenue, der hauptsächlich von jenen Schickimickis frequentiert wird, die gesehen, im Gespräch bleiben und in die Zeitung kommen wollen – ganz zu schweigen davon, daß sie der gegenseitigen Bestätigung bedürfen.«

»Vielleicht schockiert es Sie, aber ich bin auch schon da gewesen.«

»Was könnte einen Mann wie mich noch schockieren?« entgegnete Saul. »Obwohl ich zugeben muß, daß das der Sache schon sehr nahekommt.«

»Ich bin immer für Überraschungen gut. Jedenfalls scheint unser Mr. Linville nicht gerade dem einfachen meditativen Leben zu frönen.«

»Ihre Diktion ist wie immer treffend und bühnenreif«, bemerkte Saul. »Ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Unser Held beglückt das Morgana’s normalerweise drei Stunden lang – vom fortgeschrittenen bis zum späten Abend. Anschließend zieht er mit seinem Gefolge weiter in eines der zahlreichen anderen sogenannten In-Lokale im Village oder in Soho. Seine Trinkgewohnheiten werden als moderat eingestuft. Gewöhnlich bleibt er bei Scotch. Es kommt allerdings vor, daß er etwas zuviel erwischt, und dann kann er unangenehm werden. Linville ist kein Riese, und vor einigen Monaten hat er im Morgana’s eine Prügelei mit einem Typ angefangen, auf den diese Beschreibung eher gepaßt hätte. Ergebnis: Unser junger hoffnungsvoller Barton Linville fiel unsanft auf die Schnauze. Schaden hat dabei allerdings nur sein Stolz genommen.«

»Sie sind ja ein wandelndes Auskunftsbüro. Ich bin ehrlich beeindruckt.«

»Sollten Sie auch sein. Und das ist noch nicht alles. Vorausgesetzt, ich kann Sie noch ’ne Weile von Ihrem geliebten PC fernhalten.«

»Das Opfer bringe ich.«

»Ich bin gerührt. Unser Erbprinz hat einen Job – oder zumindest eine Position – im Gefrierkostverein seines Vaters. Soviel ich gehört habe, ist es eine einträgliche Pfründe, und er tut verdammt wenig für das Geld, das ihm da aus der Tasche seines alten Herrn zufließt.«

»Linville scheint ja ein richtiger Goldjunge zu sein.«

»Zweifellos. Meine gute Tat für den Tag habe ich getan. Jetzt geht’s ab nach Long Island City.« Bevor ich Saul danken konnte, hatte er schon aufgelegt.

Ich ging zu dem Regal, in dem ich die Gazette und die Times vom vergangenen Monat aufbewahre. Ich griff nach einem Stapel von der Gazette und schleppte die Ausgaben der letzten drei Wochen zu meinem Schreibtisch. Natürlich fand ich, was ich suchte, ganz zuunterst: das Foto eines in die Kamera grinsenden Linville im Smoking bei einem Wohltätigkeitsdinner am Abend nach seiner indianapolisreifen Einlage auf dem Grand Central Parkway. Die Überschrift bezeichnete ihn als »Amüsanten Society-Hecht«. Seine Raserei verteidigte er im dazugehörigen Bericht wie folgt: »Was soll die Aufregung? Ich habe einen Alkoholtest verlangt. Der war negativ. Keine Spur von Alkohol. Ich fahre mit hundert sicherer als die meisten dieser Clowns auf der Straße mit vierzig.« Als nächstes rief ich Fred Durkin an, einen anderen Freiberufler, den Wolfe und ich einsetzen, wenn wir Saul nicht bekommen können, zwei Männer brauchen oder der Job nicht allzuviel Fingerspitzengefühl verlangt. Fred, der ungefähr einen Meter achtzig mißt und ein Kandidat für die Weight Watchers wäre, ist kein Idiot, aber gelegentlich ein bißchen rostig im Oberstübchen. Dafür hat er drei Vorzüge: Er besitzt Mut, ist ehrlich und zuverlässig. Und diese Eigenschaften wiegen in Wolfes und auch in meinen Augen alles auf, was Freds graue Zellen möglicherweise zu wünschen übriglassen. Ich wußte, daß Freds Geschäfte in der letzten Zeit etwas schleppend gegangen waren. Es überraschte mich daher kaum, ihn zu einer Tageszeit in seiner Wohnung in Queens zu erreichen, wo die meisten Leute schon ihrer Arbeit nachgehen.

»Hat Mr. Wolfe ’nen Job für mich?« platzte er prompt heraus, noch bevor ich meine einleitenden Höflichkeiten beendet hatte.

»Nicht Mr. Wolfe – ich habe einen Job für Sie«, korrigierte ich. »Ist eine Beschattung. Natürlich zu den üblichen Konditionen.«

»Legen Sie los. Ich bin gerade frei.«

»Ich brauche Sie erst heute abend. Allerdings könnte die Sache länger als nur eine Nacht dauern.«

Ich erklärte ihm das Programm. Durkin konnte sich nicht erinnern, je etwas von Linville gehört zu haben, aber er wußte, wo das Morgana’s lag. Wir kamen überein, daß er bei uns vorbeikommen sollte, um das Foto aus der Gazette noch vor sechs Uhr zu holen, also bevor Wolfe von seiner Nachmittagsitzung in den Gewächshäusern herunterkam. Fred hatte sich in Wolfes Gegenwart noch nie richtig wohl gefühlt. Außerdem arbeitete er diesmal für mich, nicht für Wolfe, und was ich in meiner Freizeit tue, geht niemanden etwas an.

3

Einer, der im Haus aus Sandstein zu Gast gewesen war, Manager eines Stahlkonzerns und einer unserer Klienten, hat mir bei Gelegenheit gesagt, mit Nero Wolfe zu Abend zu speisen sei ein Erlebnis. Ich bezweifle nicht, daß Mr. Hazlitt wußte, wovon er sprach. Während ich, der ich mit »Ihrer Beleibtheit« seit Jahren täglich bei Tisch sitze, möglicherweise gar nicht mehr zu schätzen weiß, welchen Erlebniswert das hat.

Ungeschriebenes Gesetz in unserem Haushalt ist, daß sowohl Mittag- als auch Abendessen im Speisezimmer serviert werden, das dem Arbeitszimmer gegenüber im Parterre liegt. Fritz serviert, und Wolfe und ich sind normalerweise die einzigen Gäste. Gelegentlich jedoch bittet Wolfe andere, wie zum Beispiel eben Mr. Hazlitt, dazu. An diesem Abend allerdings waren wir beide allein. Wolfe bestimmte das Thema des Tischgesprächs, was ebenfalls den Regeln entsprach.

Während wir uns über die Lammkasserolle mit Tomaten und Karotten hermachten, erging er sich in Betrachtungen über den Untergang des Römischen Reiches, wozu ich hauptsächlich kaute und nickte. Nur gelegentlich warf ich eine Frage ein, um meine Aufmerksamkeit und mein Interesse unter Beweis zu stellen. Die Kasserolle entsprach locker dem Fünf-Sterne-Niveau von Fritz; dasselbe traf auf die nachfolgende Pfirsichpastete zu. Als wir bei einer Tasse Kaffee schließlich wieder im Büro saßen, vertiefte Wolfe sich umgehend in die Lektüre von Ludwig XIV. Eine Biographie von Oliver Bernier. Das konnte mir nur recht sein, denn es ließ mir Zeit, eine Strategie für mein Vorgehen mit Linville zu entwickeln. Ich wartete nur noch auf Freds Anruf. Ich kann nicht behaupten, daß ich unbedingt zur Nachdenklichkeit neige, aber falls mich diese doch überfällt, ist es nur angenehm, Wolfe anderweitig beschäftigt zu wissen.

Nachdem ich eine Dreiviertelstunde lang Kaffee getrunken und Wolfe beim Umblättern zugesehen hatte, rollte ich meinen Bürostuhl vor den PC, um weiter an der Orchideendatei zu arbeiten. Kaum hatte ich es mir vor dem Bildschirm bequem gemacht, klingelte das Telefon. Der Dienst am Telefon gehört zu meinen ungeschriebenen Pflichten. »Büro Nero Wolfe, Archie Goodwin am Apparat«, meldete ich mich.

»Fred hier. Observierte Person hat gerade in männlicher Begleitung das Morgana’s betreten. Ich stehe auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Eingang eines Poster-Shops. Ich warte, um observierter Person gegebenenfalls Fluchtweg abzuschneiden. Irgendwelche weiteren Instruktionen?«

»Klingt gut. Danke.« Ich legte auf. Das berufliche Sommerloch schien Fred Durkin zu verleiten, zuviel Krimis im Fernsehen zu sehen. An seiner Sprache mußte er noch feilen. Ich wartete fünf Minuten, dann stand ich auf, reckte mich und gähnte.

»Ich mache noch einen kleinen Spaziergang«, sagte ich zu Wolfe. »Ich brauche Bewegung. Und das Wetter ist einladend.«

»Ach, wirklich?« Wolfe zog die Augenbrauen hoch, legte sein Buch hin und klingelte nach Bier. »Wer war am Telefon?«

»Fred. Er kommt zu unserer nächsten Pokerrunde. Bis später.« Die Antwort, die ich nicht erwartete, kam auch nicht. Als ich das Büro verließ, sah ich mich um. Wolfe hatte sich wieder hinter seinem Buch verschanzt.

Wenn ich an einem Fall arbeite, nehme ich manchmal ein Taxi, gelegentlich auch den Mercedes. Letzterer gehört Wolfe, aber ich fahre ihn. Da ich diesmal auf eigene Rechnung unterwegs war, stand dieses Transportmittel nicht zur Debatte. Nachdem ich das Haus verlassen und Fritz hinter mir die Kette vorgelegt hatte, ging ich auf der Thirty-fifth in östliche Richtung. Die Luft war angenehm kühl. Nachdem ich mir sechs Minuten lang beim Winken nach einem Taxi fast den Arm ausgekugelt hatte, erwischte ich endlich einen Wagen auf der Eighth Avenue. Ich gab dem Fahrer die Adresse des Morgana’s und bat ihn, mich einen Block vorher abzusetzen. In beide Richtungen waren nur wenige Fußgänger unterwegs. Es war also kaum schwierig, Fred auszumachen, als das Taxi mich an der Second Avenue auslud. Fred stand vor einem Poster-Shop, der bereits dichtgemacht hatte. Er winkte so unauffällig wie ein Leopard im Waschsalon.

»Wie nett, ein bekanntes Gesicht zu sehen«, sagte ich, als ich auf ihn zuging. Ich begann, mich zu fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, tiefer in die Tasche zu greifen und Saul zu engagieren.

»Archie, wenn’s keinen Hinterausgang gibt, und davon gehe ich aus, ist er da drin«, zischte Fred mir leise ins Ohr, obwohl weit und breit keine Menschenseele zu sehen war. »Seit meinem Anruf habe ich den Eingang nicht aus den Augen gelassen. Er ist mit einem anderen Burschen im Taxi vorgefahren. Linville habe ich aufgrund des Fotos sofort erkannt. Er ist verhältnismäßig klein – einsfünfundsiebzig würde ich sagen. Dunkles, glänzendes Haar. Er trägt ein hellbraunes Sportsakko, dunkles Sporthemd, keine Krawatte und dunkelbraune Hose. Sein Begleiter ist blond, fast weißhaarig und noch kleiner als Linville. Ein richtiger Zwerg. Schätze ihn so um die einssiebzig. Er trägt einen blauen Blazer, graue Hose, weißes Hemd mit offenem Kragen.«

»Danke«, murmelte ich und schämte mich wegen meiner Zweifel an ihm. »Okay, alles Weitere übernehme ich.« Ich zog eine großzügig bemessene Anzahl Geldscheine aus der Tasche und hielt sie ihm hin.

»Das hat Zeit«, wehrte er steif ab. »Von Mr. Wolfe kriege ich immer einen Scheck. Die Spesen ausgenommen. Das wissen Sie doch – Sie stellen den Wisch schließlich aus.«