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Eine einfache Hütte in den Bergen, ein gutaussehender junger Mann und ein Geheimnis aus längst vergangenen Zeiten. Dass Tanja in Jensʾ Leben tritt, verändert alles ‒ für beide. Kann sie sich aus den Schatten ihrer Ehe lösen? Warum haben die Dorfbewohner Angst vor Jens? Und was hat all das mit seiner sonderbaren Augenfarbe zu tun? Gemeinsam kommen sie dem Rätsel auf die Spur, das den Almwirt umgibt, doch ihre Liebe wird auf eine harte Probe gestellt. Unterhaltsam, zauberhaft und vor allem eins: schwarzrot.
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Seitenzahl: 505
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Impressum
© 2023 Copyright by Kira Kirsch
Verantwortlich für den Inhalt:
Ramona Kirsch, Kastanienallee 3, 21436 Marschacht
Lektorat/Korrektorat: Sandra Krichling – www.text-theke.com
Schlussredaktion/Satz: Sandra Krichling – www.text-theke.com
Cover: Druckerei Buchheister GmbH
Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Danksagung
Die Arbeit ist geschafft,
das Gefühl von Glück, Dankbarkeit und Freude ist überwältigend.
Bei allen, die an mich geglaubt, unterstützt und motiviert haben,
„Ein Leben in Schwarzrot“
zu schreiben und zu veröffentlichen,
möchte ich mich herzlich bedanken:
Meiner Familie und engen Bekannten
Meinem Schatz Marc Ehmer
Meinem besten Freund Dennis Bandahl
Meiner Lektorin Sandra Krichling
für die großartige Zusammenarbeit
Danke, dass es euch gibt, ohne euch hätte ich das nicht geschafft.
Ein weiteres Dankeschön möchte ich an meine Leser richten.
Erst durch euch bekommt mein Buch Aufmerksamkeit.
Und macht das Gefühl von Glück, Dankbarkeit und Freude
vollkommen.
Eure Kira
Die Kunst der Hexe
In den Bergen, auf einer idyllischen Alm, steht eine kleine, einfache Hütte aus Holz und Stein. Davor sitzt ein junger Mann. Er genießt seinen selbst hergestellten Kräutertee, rückt seine Sonnenbrille zurecht und schaut in die Weite der Berglandschaft. Neben ihm sitzt seine Entlebucher Sennenhündin Tini. Auch sie bekommt etwas von dem Tee, nach dem sie immer ganz verrückt ist, in ihre Hundeschüssel und lässt ihn sich schmecken. Der junge Mann freut sich darüber und streichelt seiner Hündin zärtlich den Kopf. Nach dem Tee gibt er Tini ein Zeichen. Sie weiß sofort Bescheid und ist bereit. Bereit für das Kampftraining, das der junge Mann jeden Morgen, immer barfuß und mit freiem Oberkörper, bei jedem Wetter absolviert. Seine Erscheinung ist auffällig. Er ist groß, schlank, sportlich und ein rundum aufregender, gutaussehender, durchtrainierter, junger Mann. Sein Gesicht ist schmal. Markante Züge, volle Lippen, dunkle Augenbrauen, lange Wimpern und dunkles kräftiges Haar runden sein Erscheinungsbild ab. Wie heißt dieser junge und besondere Mann aus den Bergen? Sein Name ist Jens, Jens Klahm, und seine Alm trägt den Namen Klahm Alm. Diese von Bergen umgebene Alm ist nicht irgendeine gewöhnliche Alm, nein, auf dieser Alm spürt man Magie, Kraft und Liebe. Jens lebt in einfachen Verhältnissen und kommt mit dem aus, was ihm die Natur gibt. Seine Mutter lehrte ihn alles über die Heilkraft der Kräuter, der Steine, Pflanzen und Wurzeln. Das erlernte Wissen würde er gerne mit den Dorfbewohnern teilen und ihnen bei Beschwerden helfen – doch die meisten haben Angst vor ihm. Grund dafür sind sein ungewöhnlicher Blick und seine interessante Augenfarbe. Seine Augen sind so blau wie ein klarer, tiefer Gletschersee, in dem sich die Berge spiegeln. Und wenn man in diese Augen blickt, bekommt man entweder weiche Knie oder es läuft einem ein eiskalter Schauer über den Rücken. Diese Augen und dieser Blick sind so unvorstellbar rein, klar und ehrlich, einfach nur wunderschön und was ganz Besonderes. Nur leider sehen die Dorfbewohner das anders. Sie sagen sogar, dass Jens die Kunst der Hexe besitzt.
Die Begegnung
Eines Abends, Tanja, ist gerade dabei, sich fürs Bett fertig zu machen, steht Thomas plötzlich vor ihr. Er ist von ihrer Erscheinung erregt. Tanja erschrickt sich fürchterlich, denn sie dachte, dass er in seinem geliebten Fitnessstudio sei. Thomas zieht sie zu sich ran und küsst sie wild. Tanja empfindet den Kuss als widerlich und wehrt sich.
„Ich habe mal wieder Lust, mit meiner wunderschönen Frau zu schlafen“, sagt Thomas und wirft sie aufs Bett. Tanja fleht ihren Mann an und redet auf ihn ein. Aber der lacht nur und hält sie grob an den Armen fest. Dann vergewaltigt er sie.
Am nächsten Morgen sitzt Tanja weinend und zitternd unter der Dusche. Sie denkt zurück, vor fünf Jahren schien ihr Leben so perfekt zu sein.
Tanja lernte Thomas kennen, als sie gerade erst 16 Jahre alt war. Sie war mit ihren Eltern im Skiurlaub und Thomas ihr Skilehrer. Seine braunen Augen und der Dreitagebart hatten Tanja fasziniert. Er war muskulös, hatte langes, dunkles Haar, zum Zopf gebunden. Sie war so verliebt. Tanja blieb Hals über Kopf bei ihm und beendete ihre damalige Ausbildung zur Hotelfachfrau im Luxushotel Edelstein, das Thomas von seinen Eltern übernommen hatte. Obwohl ihre Eltern erst dagegen waren, willigten sie schließlich doch ein, denn es stellte sich heraus, dass sie von Thomas schwanger war. Sie brachte einen Sohn zur Welt. Mit Tim war ihre kleine Familie komplett und Tanja war überglücklich. Als sie 18 Jahre alt wurde, machte er ihr einen Heiratsantrag. Ihr Glück schien perfekt zu sein, doch kurz nach der Hochzeit zeigte Thomas seinen wahren Charakter. Wenn sie mal alleine waren, schlug er sie und verging sich an ihr. Tanja suchte Hilfe bei ihren Eltern und Schwiegereltern, aber ihr wurde nicht geglaubt. „Du solltest deinen ehelichen Pflichten schon nachkommen“, sagte ihr Schwiegervater fordernd. „Diesen Mann hast du dir selbst ausgesucht, wir haben dich gewarnt“, antwortete ihre Mutter. „Du lügst doch. Stell dich nicht so an, mein Sohn könnte jede Frau haben. Gib ihm, was er braucht oder verschwinde!“, sagte ihre Schwiegermutter genervt. Für Tanja brach eine Welt zusammen, in der sie mal sehr glücklich gewesen war.
Vor den Gästen behandelt Thomas seine Frau sehr liebevoll, denn sie ist eine Augenweide und das Aushängeschild des Luxushotels Edelstein. Mit ihren langen blonden Haaren, den grünen Augen und ihrem wunderschönen, makellosen Gesicht ist sie eine sagenhafte Erscheinung. Wie es in ihr aussieht, kann niemand erkennen. Nicht nur Tanjas Aussehen und ihre Art kommen bei den Gästen gut an. Sie bewundern sie auch wegen ihrer selbst genähten Kleidung in der Farbkombination Schwarzrot. Thomas hingegen findet diese Farben schrecklich, aber er merkt, dass sich die Sachen gut verkaufen und der Umsatz stimmt. Besonders erfreut sich Thomas Pohl an der weiblichen Kundschaft und verschwindet mit dieser des Öfteren ins stille Kämmerlein. All das ist Tanja bewusst und doch kann sie nichts ändern, sie fühlt sich wie gelähmt in ihrem Leben mit diesem Wolf im Schafspelz.
Nach einigen Minuten rauft sie sich mühsam auf und macht sich für die Arbeit im Hotel fertig. Bevor sie die Wohnung verlässt, atmet sie noch mal tief durch. Dann geht sie zum Frühstücksraum. Dort angekommen, macht sie sich sofort an die Arbeit. Jeden Morgen unterstützt sie ihre Mitarbeiter beim Buffet.
Sie ist gerade dabei, das Frühstück herzurichten, als Thomas plötzlich hinter ihr steht. Tanja erschrickt fürchterlich und lässt eine Tasse fallen.
„Guten Morgen!“ Sie wirkt ängstlich und will die Tasse aufheben. Aber da packt Thomas sie am Arm und zieht sie unsanft zur Seite. Dort spricht er mit ihr über die letzte Nacht. Er gibt Tanja klar und deutlich zu verstehen, dass sie sein Eigentum ist und falls sie denke, ihn verlassen zu können, hätte sie sich geirrt. Eine Scheidung käme auch nicht infrage. Er würde seine Anwälte auf sie hetzen, um sie fix und fertig machen, bis sie am Boden liegt und dann würde er noch mal nachtreten. Nach dem Gespräch küsst er sie zärtlich und sagt ihr, wie wunderschön sie aussieht. Er verlässt gut gelaunt den Frühstücksraum. Auf dem Weg nach draußen begrüßt er lächelnd die ersten Gäste.
„Meine wunderschöne Frau wird ihnen sofort den Kaffee servieren!“ Dabei schaut er zu Tanja und wirft ihr lächelnd einen Handkuss zu. Sie serviert wie fremdgesteuert den Kaffee und kümmert sich liebevoll um die Gäste. Nachdem sie mit den restlichen Vorbereitungen fertig ist, holt sie Tim von ihren Schwiegereltern ab und fährt ihn zum Kindergarten. Aber als sie dann alleine im Wagen sitzt und zur Ruhe kommt, fängt sie an zu zittern und bitterlich an zu weinen. Ein paar Minuten später fährt sie weiter, aber nicht zum Hotel, sondern zum Waldparkplatz. Sie steigt mit wackligen Knien aus und schaut in die Berge. Obwohl sie weder Wandersachen noch festes Schuhwerk trägt und nichts zu trinken dabei hat, macht sie sich auf den Weg zur Klahm Alm. Die Alm ist sechs Kilometer vom Parkplatz entfernt. Der befestigte Weg ist sehr steil und für Fahrzeuge gesperrt. Irgendwann kommt Tanja völlig fertig an der Alm an. Jens bewirtet gerade Wanderer, als Tini, die immer brav vor der Hütte liegt und alles beobachtet, sofort zu ihr läuft und sie schwanzwedelnd begrüßt. Jens schaut seiner Hündin verwundert hinterher und sieht Tanja. Er kann seinen Blick nicht mehr von ihr abwenden, sein Herz schlägt auf einmal wie verrückt, seine Atmung wird immer schneller und in seinem Bauch kribbelt es. Sofort stellt er die Getränke auf den Tisch und geht ihr sportlich elegant und fast schwebend entgegen. Als Tanja ihn ankommen sieht, fängt auch ihr Herz schneller an zu schlagen, als es sowieso schon vor Erschöpfung schlägt, und in ihrem Bauch, so scheint es, toben wilde Schmetterlinge herum. Jens fällt sofort das schwarzrote Kleid auf, welches Tanja trägt, und wie wunderschön sie ist. Ihre langen blonden Haare sind vom Wind wild durcheinander geweht worden.
„Grüß Gott!“ Er lächelt sie an.
Tanja grüßt geschafft zurück und streicht sich einige Haare aus dem Gesicht. Jens muss vor Aufregung schlucken.
„Darf ich dich auf ein Glas kaltes Bergquellwasser mit frischen Kräutern einladen?“
Dieses Angebot kann Tanja nicht ablehnen, denn sie verdurstet fast und nimmt es dankend an. Jens lässt sie vorgehen und bietet ihr einen Platz direkt an seiner Hütte an.
„Setz dich bitte, ich hol dir das Wasser.“ Er verschwindet in seiner Hütte. Tanja setzt sich und fängt an, ihre Füße zu massieren, die doch etwas schmerzen. Tini macht es sich neben ihr gemütlich. Da bringt Jens auch schon das Bergquellwasser auf einem Holztablett und reicht es ihr lächelnd. Tanja nimmt es, bedankt sich und lässt es sich schmecken.
„Das Wasser mit den Kräutern schmeckt herrlich“, sagt sie mit einer so zärtlichen und liebevollen Stimme, dass Jens eine Gänsehaut bekommt. Als sie das Glas leer hat, fragt sie ihn schüchtern, ob sie noch eins bekommen kann. Er lächelt nett und holt es ihr sofort. Als Tanja sein Lächeln sieht, bekommt sie ebenfalls eine Gänsehaut und in ihrem Bauch toben wieder die wilden Schmetterlinge.
Jens kommt mit dem Bergquellwasser aus der Hütte und sieht Tanjas Hand auf ihrem Bauch.
„Geht es dir gut?“, fragt er besorgt. Dann reicht er ihr das Glas. Dabei streifen sich kurz ihre Hände. Diese Berührung trifft Jens wie ein Blitzschlag. Auch Tanjas Körper wird von einem unerklärlichen, schönen und magischen Gefühl durchzogen. Was passiert hier gerade?, fragen sich beide. Aber lange nachdenken können sie nicht darüber, Jens wird von seinen Wandergästen gerufen. Er entschuldigt sich bei Tanja und läuft zu ihnen. Sie nickt verlegen, genießt das frische Bergquellwasser und beobachtet ihn bei der Arbeit. Tini setzt sich auf und stupst Tanja liebevoll an. Sie lächelt und streichelt die Hündin. Die Wandergäste bezahlen und Jens erklärt ihnen noch schnell den schönsten Abstieg. Nachdem sie gegangen sind, fängt er an abzuräumen. Tanja nimmt sich ein Tablett, geht barfuß zum Tisch und ist ihm behilflich.
„Das träume ich jetzt doch nur oder steht hier wirklich eine wunderschöne Frau barfuß neben mir und hilft mit, abzuräumen?“ Er stellt das Tablett ab und reicht ihr seine Hand. „Ich bin Jens, Jens Klahm, und wie ist dein Name?“ Dabei rückt er seine Sonnenbrille zurecht. Sie nimmt seine Hand.
„Tanja, ich heiße Tanja Pohl.“ Die Berührung von Jens ist magisch und ein Gefühl von Kraft und Energie durchwandert ihren Körper.
Als Tanja die Hütte betritt, spürt sie sofort Geborgenheit, Kraft, Wärme und Liebe, die sich in ihr befinden. Es duftet so wunderbar nach Holz und verschiedenen Kräutern. Tanja bleibt stehen, atmet tief durch und schaut sich um. Jens bekommt das mit und nimmt ihr vorsichtig das Tablett ab.
„Möchtest du dich nicht setzen, dann schaue ich mir deine Füße an?“ Tanja kann nur nicken und setzt sich, ohne etwas zu sagen. Jens kniet sich vor sie. Dabei berührt er vorsichtig ihr Bein. Die Berührung erschrickt Tanja und sie springt vom Stuhl auf. Ihre Atmung wird schneller und sie bekommt kaum Luft. Jens entschuldigt sich sofort besorgt bei ihr. Obwohl seine Hand nicht mehr ihr Bein berührt, spürt sie immer noch die warmherzige und vorsichtige Berührung. Tanja ist die Situation unangenehm, sie muss schlucken und wird rot. Jens spürt sofort ihre Verunsicherung, die sie plötzlich ausstrahlt.
„Hab keine Angst, ich tu dir nicht weh. Ich möchte nur etwas Gutes für deine Füße tun.“ Seine Stimme ist herzlich und beruhigend. Sie weiß nicht, was sie antworten soll. Dann schaut sie sich um.
„Wo führt die hin?“, stottert sie. Jens sieht verdutzt zur Leiter und lächelt verlegen.
„Dort oben befindet sich mein Schlafzimmer.“ „Volltreffer!, denkt Tanja und ihr Gesicht wird glühend heiß. Da die Hütte nach oben hin offen ist, sieht man das selbstgebaute Bett aus Zirbenholz. Tanja ist das sichtlich unangenehm. Sie fängt schnell ein neues Thema an. Jens merkt, dass sie sich in ihrer Haut nicht wohl fühlt und dass sie vor etwas Angst hat.
„Wie wäre es, wenn ich dir ein Fußbad mit Kräutern herrichte? Dann sind deine Füße schnell wieder fit und du erzählst mir, wovor du davongelaufen bist.“
Jens holt eine Holzschlüssel aus dem Schrank. Tanja schreckt auf und schaut verlegen zur Seite. Da weiß er, dass etwas vorgefallen sein muss.
„Bitte nicht erschrecken! Wenn du nicht darüber reden möchtest, ist es in Ordnung. Es ist nur merkwürdig, dass jemand in Sandalen, die übrigens sehr hübsch sind, nur leider zum Wandern völlig ungeeignet, die Berge hochkraxelt.“
Jens muss lächeln. Tanja weiß nicht, was sie antworten soll. Er spürt genau, dass es ihr nicht gut geht und ihr etwas angetan wurde. Aber er bedrängt Tanja nicht weiter und bereitet das Fußbad zu.
Es ist sehr ruhig in der Hütte, nur das Einfüllen der Kräuter in das Wasser ist zu hören und die Musik, die auf der Alm läuft. Tanja beobachtet ihn dabei und er spürt genau ihren Blick. Jens durchbricht die Stille.
„Lass uns nach draußen gehen in die warme Sonne.“
Er bittet sie vorzugehen und sich auf die Bank an der Hütte zu setzen. Jens stellt die Schüssel vor Tanja ab und sie taucht ihre Füße, ohne ein Wort zu sagen, ins Kräuterbad. Dann setzt er sich zu ihr. Tini kommt auch und legt sich dazu. Jens bewegt sich leicht im Takt der Musik und schaut in die Ferne. Er spürt genau, dass sie etwas belastet, und das macht ihn traurig. Aber er wartet ab, denn er weiß, dass das Bad gleich wirken wird. Tanja spürt eine Wohltat und das nicht nur an ihren Füßen, sondern am ganzen Körper. Sie atmet tief durch und fühlt sich auf einmal leicht und unbeschwert. Jens bemerkt das und lächelt zufrieden, denn das wollte er erreichen. Er bewegt sich im Sitzen zur Musik und Tanja macht schüchtern mit. Sie kann auf einmal richtig durchatmen. Dann schließt sie ihre Augen und genießt den Moment.
Nach einer Weile fängt Tanja an zu lächeln und schaut zu ihm.
„Ich fühle mich so leicht und unbeschwert, wie schon lange nicht mehr. Hier oben ist es so wunderschön und deine Alm ist ein Traum. Man fühlt die Umgebung, kommt zur Ruhe und kann wieder durchatmen.“
Jens lächelt sie an.
„Es freut mich, dass du dich besser fühlst, das war auch mein Ziel.“
„Ich danke dir, ich kann wieder atmen und mich spüren. Als ich deine Hütte betrat, fühlte ich Geborgenheit, Kraft, Wärme und Liebe, und der frische Duft nach Holz und Kräutern, einfach traumhaft.“
Tanja kann ihre Tränen nicht länger unterdrücken. Sie schaut verlegen zu Boden. Jens berührt vorsichtig ihre Hand.
„Wenn dir nach weinen ist, dann weine bitte, es muss dir nicht peinlich sein. Es zeigt nur, dass du ein reines Herz und Gefühle hast.“ Dabei streichelt er sehr zart über ihre Hand. Aber Tanjas Aussage hat Jens neugierig gemacht. „Wie meintest du das, du fühlst die Umgebung?“
Tanja ist die Frage unangenehm und sie zuckt mit den Schultern.
„Ich weiß nicht genau“, antwortet sie zögernd.
Es vergehen einige Minuten, bis Jens die Stille erneut durchbricht:
„Diese Umgebung kann man tatsächlich spüren und in meiner Hütte befinden sich all diese Dinge, die du aufgezählt hast. Ich bin hier oben geboren und aufgewachsen, ich erlebe das jeden Tag aufs Neue. Doch so konkret, wie ich es auch spüre, hat das bis jetzt noch niemand gefühlt und zu mir gesagt.“
Er ist gerührt und fühlt pure Hingabe und Liebe für Tanja. Aber dann streicht sie ihre Haare aus dem Gesicht und er sieht den Ehering. Jens schaut traurig zur Seite. Sie bemerkt seine Reaktion und es ist ihr unangenehm, denn sie fühlt sich zu ihm hingezogen, obwohl sie ihn kaum kennt.
„Es dauert nicht mehr lange, dann wird es dunkel“, sagt er schließlich leise und schaut zum Himmel.
Tanja erschrickt.
„Thomas wird mich umbringen, ich muss los!“
Sie springt aus der Schüssel und sucht ihre Schuhe. Als Jens den Namen Thomas hört, wird ihm ganz anders.
„Du bist nicht etwa die Frau von Thomas Pohl, dem das Hotel Edelstein gehört?“
Tanja zieht ihre Schuhe an und nickt.
„Ich bin die Frau von Thomas Pohl und ich muss unseren Sohn vom Kindergarten abholen.“ Dann läuft sie los.
„Warte bitte, ich fahre dich! Ich hole nur meinen Wagen aus der Scheune.“
Jens verschließt die Hütte und fährt den schwarzen Pickup raus. Neben Tanja hält er an und ist ihr und Tini beim Einsteigen behilflich. Dann bringt er sie sicher runter zum Waldparkplatz. Auch beim Aussteigen hilft er ihr. Doch da passiert es. Tanja bleibt hängen und fällt in Jens’ Arme. Dabei reißt ein Stück von ihrem Kleid ab.
„Ist dir was geschehen?“, fragt er sofort besorgt.
Sie spürt seine durchtrainierte Brust, die Kraft und die Energie, die von ihm ausgehen. Und ob Tanja was passiert ist! Sie hat sich unsterblich in ihn verliebt. Sie löst sich aus seinen Armen, bedankt sich hektisch, läuft zu ihrem Auto und fährt davon.
Jens bleibt zurück und schaut dem Luxuswagen hinterher. Sein Puls schlägt so heftig, dass er sich an die Brust fassen muss. Er findet das abgerissene Stück Stoff und nimmt es in seine Hand.
Die Begegnung hat ein Gefühl von tiefer Liebe in seinem Herzen geweckt.
Hotel Sonne
Tanja schafft es gerade noch rechtzeitig, ihren Sohn vom Kindergarten abzuholen. Sie spricht auf der Fahrt zum Hotel Edelstein kein Wort. Sie denkt an Jens und die magische Alm. Und Tim fragt sowieso nur, wo sein Papa ist. Das macht sie sehr traurig.
Thomas wartet schon ungeduldig auf die beiden. Als er sie kommen sieht, läuft er ihnen entgegen und bittet Tanja, rüberzurutschen auf den Beifahrersitz. Sie macht es, ohne ein Wort zu sagen. Thomas begrüßt erst mal liebevoll seinen Sohn und fährt dann los. Nach ein paar Kilometern fragt Tanja vorsichtig.
„Wohin fahren wir eigentlich?“
Thomas lächelt nur und parkt nach 30 Minuten Fahrt den Wagen auf einem Hotelparkplatz. Auf dem Grundstück vom Hotel befinden sich auf der linken Seite zwei Werkstätten, einige Garagen und Carports und es gibt viel Platz. Ihr Mann steigt aus und ist seinem Sohn behilflich. Sie steigt alleine aus und schaut sich fragend um.
„Kommt!“, sagt Thomas und nimmt Tanja an die Hand und geht mit ihr zum Hoteleingang. Tim läuft schon voraus und erkundet interessiert die Gegend. Vor dem Eingang zum Hotel befindet sich ein sehr geräumiger Innenhof mit wunderschönen Blumen und einem Rondell sowie einem Grillplatz. Thomas holt einen Schlüssel aus seiner Hosentasche, schließt die Tür auf und bittet Tanja vorzugehen. Sie schaut ihn fragend an. Er lächelt stolz.
„Ich habe dieses Hotel, das Hotel Sonne, mit 30 Doppel- und 10 Einzelzimmern heute gekauft.“ Dann zieht er sie rein.
Tanja schaut sich um. Gleich rechts neben dem Eingang befindet sich eine kleine Rezeption. Dahinter ein Büro, links daneben zwei Wohnungen und rechts vom Büro eine Toilette. Eine Holztreppe führt nach oben zu drei weiteren Apartments. Auch die Hotellobby ist sehr geräumig. Ein kleiner offener Kamin mit gemütlichen Sesseln und einem Klavier verschönern den Raum. Thomas läuft die Treppe rauf, zur hinteren Wohnung. Vor dieser befindet sich ein drei Meter breites Podest. Dort stellt sich Thomas drauf.
„Von hier oben kannst du deine Angestellten und die Gäste gut beobachten oder Blumen hinstellen, wie auch immer.“ Seine Aussage verwirrt Tanja.
„Wie? Gäste und Angestellte beobachten?“ Thomas schließt die hintere Wohnung auf.
„Darf ich bitten? Das ist unsere, die daneben und unten sind kleiner. So knappe 40 Quadratmeter, gut für die Angestellten geeignet.“ Thomas bekommt sein Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht.
„Ich verstehe nicht.“ Tanja schaut verwirrt ihren Mann an.
„Was gibt es denn da nicht zu begreifen? Du wirst das Hotel Sonne leiten.“
Tanja schüttelt nachdenklich mit dem Kopf. Thomas sieht das, lächelt und nimmt sie in seine Arme. Dann entschuldigt er sich bei ihr für das, was er ihr angetan hat. Er möchte es hiermit wieder gutmachen.
„Es gehört mir?“ Tanja befreit sich zitternd aus seinen Armen. Thomas lacht.
„Nein! Es gehört mir, aber du leitest es, bis Tim so weit ist. Draußen ist sogar noch Platz, um ein oder zwei weitere Hotels zu bauen, und eine Boutique für dich, wenn du magst. Dort kannst du dann auch deine schwarzroten Klamotten anbieten, die passen sowieso besser hierher, als in das Luxushotel. Na, jetzt bist du platt, oder?“
Und ob Tanja das ist. Sie muss sich erst mal setzen.
„Nimmst du meine Entschuldigung an?“, fragt Thomas vorsichtig.
Sie holt tief Luft und weicht einer Antwort aus, indem sie sich weiter umsieht. Ihr Mann begleitet sie und zeigt ihr aufgeregt die Gästezimmer, die Küche, die Bar und die zwei Restaurants, einfach alles. Nach der ausführlichen Besichtigung wartet er geduldig auf eine Antwort von Tanja.
„Hieraus kann ich was machen.“
Thomas freut sich und ist erleichtert.
„Das wird zwar kein Luxushotel Edelstein werden, aber eins für Gäste mit weniger Geld. Ich denke, am Anfang bieten wir nur Frühstück an, das spart erst mal Personal. Du bekommst Frank zur Unterstützung, der passt eh nicht in mein Luxushotel mit seiner schwulen Art.“
Dann macht Thomas ihn nach und Tim lacht sich kaputt. Tanja findet sein Verhalten gegenüber den Angestellten unmöglich. Und dass Tim sich auch darüber lustig macht, stimmt sie sehr traurig. Tanja unterbricht die beiden:
„Frank ist ein fleißiger Mitarbeiter und ich würde gerne mit ihm zusammenarbeiten.“
Thomas grinst nur.
„Das dachte ich mir schon. Dann ist hiermit alles geklärt.“
Tanja kann nur mit dem Kopf nicken. Wenn das wirklich klappt, dass ich das Hotel Sonne leite, bin ich vor Thomas in Sicherheit, denkt sie.
Verschwunden
Die Monate vergehen und der Herbst kündigt sich stürmisch an. Das Hotel Sonne läuft gut und Tanja hat dadurch noch weniger Zeit für ihren Mann. Das gefällt Thomas überhaupt nicht und in ihm brodelt es. Er muss etwas unternehmen, denn so hat er sich das nicht vorgestellt.
Tanja ist gerade im Büro und schaut sich die Buchungsrückgänge an. Sie schüttelt mit dem Kopf, erklären kann sie sich die Rückgänge nicht. Sie bittet Frank zu sich ins Büro und spricht mit ihm über die Situation.
„Wir brauchen eine neue Idee, womit wir die Gäste zurückgewinnen.“
Er nickt und überlegt.
„Ja, die benötigen wir dringend. Nur, ich verstehe nicht, warum die Buchungen plötzlich zurückgehen. Unsere Gäste waren doch immer zufrieden.“ Frank wirkt nachdenklich.
„Ich auch nicht.“ Tanja lehnt sich in den Bürostuhl und überlegt. Da fällt ihr Jens ein und das klare Bergquellwasser mit den frischen Kräutern, das sie damals auf der Alm getrunken hat. Sie spürt wieder die wilden Schmetterlinge in ihrem Bauch herumfliegen und fängt an zu lächeln. „Ich habe eine Idee, Frank. Bitte kümmere dich um die Gäste, die wir noch haben, ich bin bald zurück.“ Aufgeregt verlässt sie das Hotel. Frank wundert sich zwar, doch er vertraut ihr und kümmert sich um alles.
Tanja freut sich auf ein Wiedersehen mit Jens und Tini, macht sich aber auch Gedanken, ob er sie wiedererkennen wird. Sie fährt zum steilen Weg, der zur Klahm Alm führt. Eine Schranke versperrt ihr den Weg. Obwohl es nur dem Besitzer der Alm erlaubt ist, den Weg zu benutzen, öffnet sie diese. Dann fährt sie langsam den Weg zur Alm hoch und hofft, dass Jens nicht mit ihr schimpfen wird. Als sie oben ankommt, wirkt die Alm verlassen. Tanja steigt aus und schließt leise die Wagentür. Sie spürt wieder die Umgebung und atmet erst mal tief durch. Es geht ihr sofort besser und sie fängt an zu lächeln.
„Diese Alm, was passiert hier mit mir?“ Sie schaut sich um. Langsam begibt sie sich zur Hütte und klopft zaghaft an. Ihr Herz pocht lauter, als das Klopfen an der Holztür. Aber niemand öffnet ihr. Suchend schaut sie sich um, geht zur Scheune und blickt neugierig durch das Fenster. Sie sieht den schwarzen Pickup, ein Motorrad, ein Quad sowie Ski- und Snowboardausrüstung. Alles ist sehr ordentlich. Weiter hinten befindet sich ein Stall mit frischem Stroh und Heu. Tanja will gerade zurück zum Wagen gehen, da sieht sie ein Grab hinter dem Haus und begibt sich dorthin. Sie nimmt die vertrockneten Pflanzen aus der Vase und füllt diese mit frischem Wasser und Kräutern. Die Sonne erhellt die Ruhestätte auf eine wundersame Weise und Tanja spürt ein Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Liebe in sich. Sie säubert das Grab und verlässt dann die Alm. Im Dorf hält sie beim Hofladen an, um noch einige Besorgungen zu machen.
Tanja schaut nach frischen Kräutern für das Bergquellwasser, wie sie es damals von Jens auf der Alm bekommen hat. Aber sie sieht nur normale Kräuter. Also fragt sie freundlich eine Verkäuferin. Doch sie bekommt eine sehr unhöfliche Antwort und wird sogar noch beschimpft. Tanja ist so geschockt, dass sie gar nicht weiß, was sie sagen soll, und bleibt wie angewurzelt stehen.
„Die Kräuter, die du suchst, kennt hier keiner und jetzt im Herbst gibt es sie auch nicht mehr. Darf ich fragen, woher du die kennst?“
Tanja blickt überrascht die Frau an, die sich neben sie gestellt hat. Sie trägt ein auffälliges und buntes Kleid. Ihre leicht roten Haare sind glatt und schulterlang. Auch ihre Augenbrauen und Wimpern sind rötlich. Ihre Augenfarbe erstrahlt in einem Grünbraun.
Tanja erzählt ihr, dass sie das Wasser mit den Kräutern bei Jens auf der Klahm Alm im Sommer getrunken hat. Als das andere Kunden im Laden hören, reagieren sie aufgebracht und beschimpfen sie. Einige kreuzen sogar ihre Finger und halten sie ihr vors Gesicht. Tanja versteht das nicht und läuft weinend aus dem Hofladen. Die Frau schaut ihr hinterher, dann wendet sie sich an die Kunden und schimpft, danach läuft sie aus dem Laden, um nach Tanja zu schauen. Sie findet sie weinend und völlig aufgelöst im Wagen sitzend. Sie klopft an die Seitenscheibe.
„Hör nicht auf diese dummen Menschen! Mein Name ist Ellen, vom Gasthof Holzpferd.“ Tanja steigt aus, wischt sich ihre Tränen aus dem Gesicht und stellt sich ebenfalls vor.
„Pohl? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.“ Ellen überlegt.
„Meinem Mann gehört das Luxushotel Edelstein.“ Tanja ist die Situation unangenehm. Sie wendet sich von Ellen ab und schaut in die Berge.
„Wir bewirtschaften den kleinen und rustikalen Gasthof Holzpferd. Wenn du magst, können wir uns dort weiter unterhalten. Du bist ja völlig fertig.“ Tanja kommen die Tränen. So nett war schon lange niemand mehr zu ihr.
„Ich möchte aber keine Umstände machen“, antwortet sie schüchtern. Ellen nimmt sie in den Arm und beruhigt sie.
„Du bist ja süß. Na komm, fahr mir einfach hinterher.“
Das Gasthaus ist urig und Tanja fühlt sich sofort wohl. Einige Gäste sitzen an den Tischen und genießen ihr Essen. Es riecht herrlich nach leckeren Speisen und Tanjas Magen fängt an zu knurren. Ellen hört das und muss lachen.
„Du hast Hunger?“ Tanja nickt und muss grinsen.
„Das duftet einfach so lecker.“ Sie schaut sich um.
„Du bist anderes gewohnt, nicht wahr?“
Ellen stellt ihre Einkäufe ab. Tanja sieht sie lächelnd an.
„Ich finde es hier sehr gemütlich. Hier fühlt man sich wie zuhause.“
Da kommt ein kleiner dicker Mann mit einem runden Gesicht, lockigem dunkelbraunem Haar und graubraunen Augen aus der Küche gestolpert. Tanja findet ihn gleich sympathisch.
„Da bist du ja endlich, hast du die Zwiebeln?“, fragt er ungeduldig. Dann bemerkt er Tanja. Sofort geht er zu ihr und begrüßt sie herzlich.
Ellen stellt beide einander vor und erzählt Otto, was im Hofladen vorgefallen ist.
„Du kennst Jens?“ Otto ist sofort freudig erregt. „Dann weißt du bestimmt auch, wo der Junge steckt. Er hat sich den ganzen Sommer nicht ein Mal blicken lassen. Dabei liebt er doch den Schweinekrustenbraten von meiner Frau über alles.“ Er wartet gespannt auf Tanjas Antwort, da knurrt erneut ihr Magen. Sie entschuldigt sich und hält ihre Hände auf ihren Bauch. Otto sieht den Ehering und schaut zu Ellen rüber.
„Tanja ist die Frau von Thomas Pohl.“ Vorsichtig blickt sie ihren Mann an, denn sie weiß, dass der ihn nicht ausstehen kann. „Bitte setz dich, Tanja. Was möchtest du essen und trinken?“, fragt Ellen nett.
„Unsere Speisen sind doch nicht vornehm genug für solche Leute“, sagt Otto unbeherrscht und verschwindet meckernd in die Küche. Tanja steht sofort auf und will das Gasthaus verlassen.
„Setz dich wieder hin, mein Mann meint es nicht so. Thomas und er sind nicht die besten Freunde, musst du wissen. Ich bringe dir erst mal ein Wasser mit Energiesteinen, die haben wir übrigens von Jens.“ Dabei lächelt sie stolz.
Tanja setzt sich wieder hin, aber wohl fühlt sie sich nicht mehr. Ellen bringt ihr das Wasser und die Speisekarte.
„Such dir was Leckeres aus!“
In der Zwischenzeit kümmert sie sich um die anderen Gäste. Sie geht an Tanja mit abgeräumtem Geschirr vorbei.
„Ich bin gleich bei dir!“ Dann verschwindet sie in die Küche. Dort schnappt sie sich ihren Mann: „Tanja ist mein Gast, also behandle sie auch so! Und wenn du mich fragst, passt sie gar nicht zu diesem Thomas. Ich finde sogar, sie würde wunderbar zu Jens passen. Bin schon sehr gespannt, was sie zu essen nimmt.“
Dann geht sie zurück zu Tanja und setzt sich zu ihr.
„Hast du was gefunden?“, fragt sie erwartungsvoll.
„Ich könnte die ganze Karte durchprobieren. Ist das wirklich okay, wenn ich bleibe?“ Eingeschüchtert schaut sie in Richtung Küche.
„Aber natürlich, ich finde es schön, nette Leute kennenzulernen und du bist heute mein Gast.“
Tanja möchte ihre Gastfreundschaft nicht ausnutzen, aber da lässt Ellen nicht mit sich diskutieren. „Also, was kann ich dir bringen?“, fragt sie gespannt.
Tanja lächelt verlegen.
„Dann nehme ich den Schweinekrustenbraten mit Klößen und Rotkraut. Ein großes Stück bitte!“
Ellen ist begeistert. Sie klatscht kurz in die Hände, läuft freudig in die Küche und berichtet es stolz ihrem Mann.
„Sie nimmt den Krustenbraten. Und dann auch noch ein großes Stück, so wie Jens immer. Sie würde so gut zu ihm passen. Die beiden wären so ein wunderschönes Paar.“ Ellen träumt vor sich hin.
„Sie ist die Frau von Thomas Pohl, schon vergessen?“, fragt Otto sie ärgerlich und rührt heftig mit einem Holzlöffel in der Bratensauce herum.
„Nein, das habe ich nicht, du erinnerst mich ja immer daran.“ Ellens Ton ist gereizt. „Sie scheint aber nicht glücklich zu sein. Es ist ihr sogar peinlich, dass sie die Frau von Thomas Pohl ist. So kommt es mir jedenfalls vor.“
Otto reicht Ellen wortlos den Teller mit dem Schweinekrustenbraten. Als Tanja das Essen sieht, freut sie sich sehr und lässt es sich sichtlich schmecken. Ellen bringt ihr noch ein Glas Energiewasser und setzt sich zu Tanja an den Tisch. Mit vollem Mund lobt sie das Essen. Die Wirtin muss lachen. Diese Art gefällt ihr. Nun möchte sie aber unbedingt wissen, woher sie Jens kennt.
Tanja erzählt Ellen beim Essen von der Begegnung mit ihm auf der Klahm Alm. Otto kommt aus der Küche gestolpert und schaut knurrend zu den beiden rüber. Ellen fragt nochmal etwas genauer nach.
„Wieso hat Jens deine Füße versorgt?“
Tanja verschluckt sich, als sie die Frage hört. Sie trinkt schnell noch was von ihrem Wasser.
„Ich bin in Sandalen zur Alm hochgelaufen. War echt blöd von mir.“ Verlegen schaut sie zur Seite.
Ellen bemerkt Otto hinter der Bar, steht auf und geht zu ihm. Sie flüstert ihm ins Ohr:
„Ich glaube, sie ist damals vor etwas davongelaufen. Bestimmt vor ihrem Mann.“
Otto, der das Gespräch mit angehört hat, denkt jetzt anders über Tanja. Er setzt sich zu ihr an den Tisch und entschuldigt sich. Sie nimmt die Entschuldigung gerne an. Dann lobt sie das Essen und fragt auch gleich nach dem Rezept.
„Da musst du Ellen fragen. Aber sag mal, Jens war heute nicht auf der Alm?“
Tanja schüttelt den Kopf. Sie erzählt ihm, dass die Alm verlassen wirkte. Jetzt macht Otto sich Sorgen, denn einige Wanderer kamen im Sommer auch schon von der Klahm Alm runter und berichteten, dass kein Wirt da war und alles verschlossen sei. Tanja erzählt von dem Grab hinter der Hütte und dass sie die Kräuter ausgetauscht hat. Ellen kommt dazu und setzt sich.
„Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen? Um das Grab seiner Eltern kümmert sich Jens eigentlich jeden Tag. Den Dorfbewohnern hier ist leider alles zuzutrauen“, flüstert Ellen traurig und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Otto nimmt seine Frau in den Arm.
„Jens kann gut auf sich selbst aufpassen“, versucht er sie zu beruhigen.
„Was können wir denn tun?“, fragt Tanja besorgt.
„Wir sollten ihn suchen, nur wird uns dabei keiner helfen.“ Otto senkt traurig den Kopf.
„Ich könnte Jens mit Frank in den Bergen suchen“, sagt Tanja sofort entschlossen.
„Wer ist Frank?“ Ellen ist neugierig und wischt sich ihre laufenden Tränen aus dem Gesicht.
„Er ist mein Angestellter. Ich leite das Hotel Sonne.“ Vorsichtig geht ihr Blick in Richtung Otto.
„Das ist ein sehr schönes Haus, ich kenne es von früher. Nur leider mussten die Vorbesitzer es verkaufen, da die Kinder es nicht übernehmen wollten.“
Ellen ist erfreut darüber, dass Tanja das Hotel Sonne leitet.
„Es ist also deins?“, fragt Otto interessiert.
Sie schüttelt mit dem Kopf.
„Nein, es gehört meinem Mann. Ich darf es so lange leiten, bis unser Sohn so weit ist.“ Als sie das gesagt hat, trinkt sie schnell einen Schluck Wasser.
„War ja klar“, murmelt Otto sich in seinen Bart. Ellen stößt ihren Mann wütend mit dem Ellbogen an. „Was denn?“, fragt er mürrisch. „Er hat das Hotel bestimmt für einen Apfel und ein Ei ergaunert.“ Wieder verpasst Ellen ihm einen Stoß.
„Dafür kann sie aber nichts und wir sollten uns jetzt überlegen, wie wir Jens finden.“
„Ich werde ihn suchen gehen“, sagt Tanja sofort und steht auf.
„Nein, das ist viel zu gefährlich und wo willst du denn eigentlich anfangen? Keiner kennt die Berge so gut wie Jens. Ich rufe die Bergwacht an und bitte sie um Hilfe.“ Otto begibt sich zum Telefon. Aber was er zur Antwort bekommt, ist auch für ihn zu viel und er kämpft um Fassung. Ellen sieht das und fragt vorsichtig nach. „Sie werden Jens nicht suchen. Wir sollten froh sein, wenn der Teufelssohn endlich verschwunden ist.“ Ihm kommen die Tränen.
„Was hat er denn so Schlimmes getan und wieso Teufelssohn?“ Tanja ist verwirrt und erschrocken über diese harte Aussage.
Die drei setzen sich zurück an den Tisch und Otto beginnt zu erzählen:
„Jens’ Eltern waren sehr alt, als sie ihn bekommen haben. Die Leute im Dorf haben sich gewundert. Die beiden haben schließlich sehr zurückgezogen auf der Alm gelebt, bis zu ihrem Tod. Jens hat kaum Kontakt zu den Dorfbewohnern. Sie meiden ihn. Du musst wissen, Jens sieht, nun ja, etwas ungewöhnlich aus, also seine Augen. Sie sind etwas ganz Besonderes, aber die Leute fürchten sich davor, sie erzählen sich Geschichten, Jens würde vom Teufel oder einer Hexe abstammen. Sie haben Angst, weil er anders ist.“
„Du hast es damals nicht gesehen, oder?“, fragt Ellen gespannt.
Tanja schüttelt mit dem Kopf und sagt ihr, dass er eine Sonnenbrille trug.
„Ja, ich glaube, er trägt sie sogar nachts“, sagt Ellen und muss lachen.
Tanja schaut auf die Uhr.
„Mist! So spät schon? Ich sollte los! Ich werde jeden Tag zur Klahm Alm hochfahren und schauen, ob er zurück ist“, sagt sie und steht auf.
„Wir wechseln uns ab. Ich fahre morgen und du dann wieder übermorgen usw.“, schlägt Otto vor und schreibt ihr noch schnell seine Telefonnummer auf. Tanja reicht ihm ihre Visitenkarte. Sie bedankt sich für das leckere Essen und verlässt den Gasthof Holzpferd. Dass Jens einfach verschwundenist, bereitet ihr mehr als nur Kopfzerbrechen. Sie macht sich große Sorgen um diesen ihr eigentlich fremden Mann.
Das Abendessen
Zwei Wochen vergehen. Es ist schon Ende Oktober und Tanja fährt wieder zur Klahm Alm. Dort angekommen, setzt sie sich auf die Bank vor der Hütte und schlägt den Kragen ihrer schwarzroten Jacke hoch. Es ist schon ziemlich kalt oben auf der Alm. Nach einer Weile sind Glocken in der Ferne zu hören. Tanja steht auf, lauscht und schaut in die Berge. Sie sieht eine Kuh, dann noch eine und schließlich einen Hund. Sie geht ein Stück vor, um besser sehen zu können. Der Hund fängt an zu bellen und läuft ganz aufgeregt in Richtung Alm. Jemand pfeift ihm hinterher, aber er hört nicht und rennt umso schneller. Es ist Tini, sie hat Tanja schon längst wahrgenommen und läuft ihr bellend entgegen. Die Freude ist beiderseits riesig und die Begrüßung stürmisch.
„Tini, wie schön! Wo ist dein Herrchen?“ Aber dann sieht sie Jens in der Ferne. Tanjas Herz fängt heftig an zu schlagen und die wilden Schmetterlinge toben wieder in ihrem Bauch. Sie ist überglücklich, ihn zu sehen, und läuft ihm mit Tini entgegen.
Jens traut seinen Augen nicht, als er Tanja auf sich zulaufen sieht. Er lässt alles fallen und beschleunigt seinen Schritt. Als sich dann beide gegenüberstehen, wissen sie nicht so recht, wie sie reagieren sollen. Sie kennen sich ja eigentlich gar nicht. Aber Tanjas Freude ist so groß, dass sie ihn liebevoll umarmt. Jens hält sie einfach nur fest und genießt den Moment. Er kann gar nicht glauben, was gerade passiert. Er hat das Mädel in seinen Armen, in das er sich unsterblich verliebt hat. Jens wollte diese Liebe zu ihr oben in den Bergen eigentlich vergessen, doch ganz offenbar ist ihm das nicht gelungen. Sein Herz rast und sein Körper spielt verrückt, sodass er sich kaum beherrschen kann, seine große Liebe nicht zu küssen. Tini läuft aufgeregt um die beiden herum und bellt.
Tanjas Herz klopft so heftig, dass sie kaum Luft bekommt. Aber noch schlimmer sind die wild tobenden Schmetterlinge in ihrem Bauch.
„Wo warst du? Wir haben uns Sorgen gemacht“, sagt sie schließlich und lächelt überglücklich. Jens atmet durch und überlegt kurz.
„Wer? Wir? Sorgen um mich? Ist das ein Scherz?“, fragt er völlig durcheinander.
„Nein, kein Scherz, Otto, Ellen und ich. Wir dachten, dir ist etwas zugestoßen. Jeden Tag war einer von uns hier oben und hat auf dich gewartet“, erklärt Tanja und schaut ihn an. Jens ist verwirrt und fragt sie, woher sie Otto und Ellen kennt. Da sieht sie, dass sich seine Rinder selbstständig machen.
„Deine Kühe!“
„Oh Mist!“, sagt er und pfeift nach seiner Hündin. Tini kümmert sich sofort um sie. Jens und Tanja helfen dem Hund. Es ist ein herrliches Durcheinander. Doch sie schaffen es schließlich und alle vier Rinder und ein Kalb sind im Stall. Tanja findet das Kleine unheimlich süß und fragt, ob sie es streicheln darf. Jens nickt lächelnd und geht zusammen mit ihr zum Kalb.
Nach einer Weile bedankt er sich bei ihr für die Hilfe und bietet ihr einen Tee an. Tanja nickt.
„Sehr gerne!“
Sie gehen durch den Übergang, der von der Scheune in die Hütte führt und Jens bereitet den Tee zu. Tini möchte auch was von dem Tee und schiebt ihm ihre Hundeschüssel entgegen. Tanja sieht das, lächelt und geht zu ihr.
„Du bekommst natürlich auch was von dem Tee.“ Dann streichelt sie die Hündin und lobt sie, dass sie so toll auf ihr Herrchen aufgepasst hat. Jens gibt Tini etwas Tee in ihre Schüssel und die lässt es sich schmecken. In der Zwischenzeit ruft Tanja Otto an und sagt ihm, dass Jens wieder aufgetaucht ist. Sofort will er mit ihm reden und sie reicht das Telefon weiter. Otto schimpft mit ihm und ist gleichermaßen erleichtert, er lädt beide um acht Uhr zum Abendessen ein. Aufgeregt fragt Jens Tanja, ob es ihr passen würde. Sie nickt lächelnd. Dann legt er auf und reicht ihr das Handy, das in diesem Moment wieder klingelt. Es ist Frank.
„Ich komme, bin in 30 Minuten bei dir!“, sagt Tanja und schaut Jens an.
„Du musst los?“, fragt er zerknirscht. Tanja nickt. Sie erzählt ihm noch schnell, dass sie das Hotel Sonne bewirtschaftet und dringend seine Hilfe benötigt. Jens kennt das kleine Hotel und bietet ihr seine Unterstützung an. Dann begleitet er sie zum Wagen und fragt, ob er sie abholen darf oder ob ihr Mann etwas dagegen hätte. Tanja nickt schüchtern.
„Gern! Thomas ist auf einer Weiterbildung wegen seines Fitnessstudios.“
„Okay, dann bin ich gegen halb acht bei dir am Hotel Sonne. Ich freue mich!“ Sein Herz klopft so heftig, dass er sich an seine durchtrainierte Brust greift.
„Ich mich auch!“, sagt Tanja und verlässt die Alm mit tobenden Schmetterlingen in ihrem Bauch. Jens schaut dem Wagen hinterher. Tini sitzt neben ihm und guckt treuherzig zu ihm hoch. Er streichelt seine Hündin. Kurz darauf läuft er zum Grab seiner Eltern und entschuldigt sich bei ihnen. Er sieht, dass es zwischenzeitlich gepflegt wurde, und freut sich sehr darüber. Als Jens mit der Grabpflege fertig ist, geht er in die Scheune zu seinem Pickup. Leider springt der Wagen nicht an. Er schaut sofort nach der Ursache. Als er dann endlich wieder läuft, ist Jens sichtlich erleichtert. Er geht zurück in die Hütte und lässt sich ein Kräuterbad in seine Holzbadewanne ein. Dann rasiert er sich und schneidet sich die Haare. Als er fertig ist, schaut er zu seiner Hündin.
„Was meinst du, werde ich ihr gefallen?“ Tini bellt und macht Männchen.
Pünktlich um halb acht ist Jens am Hotel Sonne. Er betritt lautlos die Lobby und schaut sich um. Sein Blick, unter der Sonnenbrille, ist konzentriert und wach. Sofort wird er von einem Angestellten nett empfangen. Die Begrüßung empfindet Jens als sehr angenehm und freundlich. Er entspannt sich. Der Mitarbeiter, der sichtlich auf Männer steht, findet ihn sofort sympathisch und ist nervös. Jens merkt das und lächelt.
„Du musst Frank sein, schön, dich kennenzulernen. Tanja hat mich gebeten, euch zu unterstützen, das Hotel wieder zum Laufen zu bringen.“ Fahrig nimmt Frank das Telefon in die Hand, um seine Chefin anzurufen. In diesem Moment kommt sie aber schon aus der oberen Wohnung. Jens schaut ihr entgegen. Tanja trägt ein langes schwarzrotes Kleid, das ihre Kurven perfekt betont. Jens muss schlucken und sein Herz springt ihm fast aus der Brust. Er geht ihr entgegen und reicht ihr seinen Arm.
„Du siehst bezaubernd aus.“
Auch Frank bekommt den Mund nicht wieder zu und macht ihr ebenfalls ein Kompliment. Tanja wird verlegen.
„Vielen Dank, gefällt es euch wirklich? Das habe ich selbst genäht.“
„Es sieht einfach wunderschön aus und ich ziehe meinen Hut vor dir für dieses Können“, sagt Jens ehrlich.
„Du trägst doch aber gar keinen Hut.“
„Stimmt.“
Sie lächeln sich verschmitzt an. Dann geht Tanja ins Büro und holt ihre schwarzrote Jacke, die perfekt zum Kleid passt.
„Darf ich dir behilflich sein?“ Jens hilft ihr beim Anziehen. Sie bedankt sich bei ihm und bespricht noch kurz etwas mit Frank. Danach verlassen beide das Hotel und gehen zum schwarzen Pickup, in dem Tini schon ganz aufgeregt wartet.
„Sie wollte unbedingt mit, ich hoffe, es stört dich nicht.“
Jens öffnet Tanja die Wagentür.
„Aber nein, ich liebe Tini.“ Lächelnd startet Jens den Pickup. Dann fahren sie vom Hof. Unterwegs entschuldigt er sich bei Tanja, dass der Wagen nicht warm wird, da die Heizung leider defekt ist.
„Ist nicht schlimm. Ich friere nicht so schnell, und falls doch, kann mich ja Tini wärmen“, sagt sie und streichelt der Hündin über den Kopf. Er bemerkt, dass Tanja keinen Ehering trägt, und wird nachdenklich.
Tanja hingegen fragt sich, wie er bei Dunkelheit mit der Sonnenbrille beim Autofahren klar kommt. Sie weiß ja, warum er sie nicht absetzt, daher hakt sie nicht nach. Er scheint jedenfalls alles bestens zu erkennen.
Sie kommen am Gasthof Holzpferd an und Jens bittet sie, zu warten. Sie nickt. Er steigt aus, läuft zur Beifahrerseite und öffnet ihr die Wagentür. Dann ist er ihr beim Aussteigen behilflich. Tanja legt vorsichtig ihre Hand in seine und steigt aus dem Wagen. Die Berührung ist für Jens unglaublich schön. Das ist mein Mädel, denkt er. Der zärtliche Kontakt versetzt Tanjas Schmetterlinge in ihrem Bauch in Aufruhr und sie legt die andere Hand auf ihren Unterleib. Jens sieht das und fragt sofort besorgt nach:
„Geht es dir gut? Brauchst du was von mir?“ Dabei nimmt er vorsichtig ihr wunderschönes Gesicht in seine Hände und schaut sie an. Die Berührung ist magisch und ein Gefühl von Kraft und Energie durchwandert ihren Körper. Schnell nimmt sie die Hand von ihrem Bauch.
„Die Schmetterlinge …“ Sie stoppt im Satz und schüttelt irritiert mit dem Kopf. Die Situation ist ihr peinlich. „Mir geht es gut, ich habe nur Hunger.“
„Dann sind wir genau richtig bei Ellen und Otto“, sagt er und zwinkert ihr zu. „Okay, warte bitte kurz hier. Ich muss Tini zum Hintereingang bringen, sie darf vorne nicht rein.“ Jens gibt seiner Hündin ein Zeichen, die stürmt los und er rennt ihr sportlich hinterher. Dann öffnet er ihr die Kellertür, lässt sie hinein und läuft zurück. „Tini ist die Erste, wie immer, wenn wir hier sind.“
„Na, sie ist ja auch was ganz Besonderes“, sagt Tanja und lächelt so bezaubernd, dass es Jens kurz die Sprache verschlägt.
„Lass sie das bloß nicht hören“, sagt er nach einer etwas zu langen Pause, in der er sich in ihrem Blick verfangen hat, und öffnet Tanja die Eingangstür zum Gasthof.
Otto hat Tini schon längst bemerkt und kümmert sich liebevoll um sie. Als Ellen Jens und Tanja sieht, läuft sie aufgeregt zu ihnen und begrüßt sie herzlich mit einer Umarmung.
„Tu so was nie wieder, du Ausreißer, hörst du?“
Otto stimmt seiner Frau zu. Auch er umarmt beide erleichtert. Dann zeigt er ihnen ihren Tisch, der schon liebevoll eingedeckt ist. Als Tanja das sieht, ist sie begeistert.
„Bekommst du immer so einen toll hergerichteten Platz?“, fragt sie leise.
„Nicht wirklich, das muss an dir liegen“, sagt Jens und lächelt dabei.
„Ach so, an mir also. Ich kenne aber Ellen und Otto noch gar nicht so lange“, flüstert sie. Jens winkt Tanja dichter zu sich ran.
„Warum flüstern wir?“ Sie zuckt mit den Schultern.
„Ich weiß nicht“, antwortet sie noch immer flüsternd und grinst. Da bringt Otto auch schon zwei Gläser Sekt.
„Lasst ihn euch schmecken, heute geht alles aufs Haus. Wisst ihr schon, was ihr essen möchtet oder soll ich die Karte bringen?“ Dann wartet er gespannt auf die Antwort.
Jens und Tanja wissen genau, was sie gerne hätten.
„Den Schweinekrustenbraten, ein großes Stück bitte!“, sagen sie gleichzeitig.
Otto schaut von einem zum anderen und lacht herzhaft los. Das lockt Ellen neugierig aus der Küche.
„Was habe ich verpasst?“ Tanja und Jens schauen sich an und müssen auch lachen. „Was ist denn nun?“, fragt Ellen voller Neugier.
„Das erzähle ich dir gleich. Zweimal den Schweinekrustenbraten mit zwei großen Scheiben“, sagt Otto. Dann schubst er seine Frau in die Küche und berichtet ihr, was so lustig war.
„Woher kennst du mein Lieblingsessen?“, fragt Jens verwundert. Tanja erzählt ihm, was ihr im Dorfhofladen damals passierte, und dass sie Ellen dadurch kennenlernte.
Jens entschuldigt sich bei ihr für das Verhalten der Dorfbewohner im Hofladen. Tanja lächelt, sie spürt, dass es ihm unangenehm ist und berührt vorsichtig seine Hand. Durch die sanfte Berührung fängt sein Körper an zu kribbeln und sein Herz rast nicht nur, nein, es klopft wie wild, sodass Jens sich an die Brust greift.
„Ist alles in Ordnung? Möchtest du ein Glas Wasser?“ Er schüttelt mit dem Kopf. „Das ist nicht deine Schuld. Viele Menschen haben Vorurteile. Was sagte Ellen noch, sie sind dumm.“
Jens schaut auf ihre Hand und streichelt sie.
„Entschuldige!“ Tanja erschrickt und will sie schnell zurückziehen. Doch er hält sie sanft fest.
„Du brauchst meine Unterstützung? Wobei darf ich dir denn behilflich sein?“
Tanja erzählt Jens, dass das Hotel Sonne nicht gut läuft und sie etwas Besonderes anbieten möchte, um neue Gäste zu gewinnen.
„Da dachtest du an mein Bergquellwasser mit Kräutern?“, fragt er erfreut. Tanja nickt verlegen. Jens macht er ihr den Vorschlag, sie erst mal mit Energiesteinen und getrockneten Kräutern zu unterstützen, da es die frischen zu dieser Jahreszeit nicht gibt.
„Die helfen bei Verspannungen, Schlafproblemen und vielem mehr und du kannst sie in schwarzroten Kissen anbieten“, schlägt er ihr vor.
„Ist das so offensichtlich, dass ich diese Farbkombination liebe?“ Jens nickt.
„Sie steht dir sehr gut. Du siehst darin wunderschön aus, und dass du das auch noch selbst nähst, einfach toll. Danke, dass ich den Abend mit dir verbringen darf.“ Er streichelt sanft ihre Hand. Sie ist sichtlich gerührt von dem Kompliment. Wieder verspürt sie bei seiner Berührung ein magisches Gefühl von Kraft und Energie, die ihren Körper durchzieht.
„Und wenn deine Gäste geführte Wandertouren, Motorrad- oder Quadtouren und im Winter Ski- oder Snowboardtouren wünschen, stehe ich dir gerne zur Verfügung, auch ohne Bezahlung.“ Tanja ist so gerührt von dem Angebot, dass ihr Tränen über ihr wunderschönes Gesicht laufen. Jens streicht ihr sanft eine von der Wange. „Wir bringen das Hotel wieder in Schwung, ich helfe dir gerne und freue mich auf die Zusammenarbeit.“ Tanja lächelt glücklich.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das würdest du tun?“ Jens nickt. „Vielen Dank, das klingt toll und du wirst bestimmt gut gebucht werden, da bin ich mir sicher. Aber bitte, ich möchte dich dafür bezahlen.“ Jens schüttelt mit dem Kopf.
„Ich behalte das Trinkgeld. Abgemacht?“
„Das ist doch viel zu wenig“, sagt sie und hält seine Hand fest.
„Es ist für mich in Ordnung.“
Schließlich stimmt Tanja zu. Dann nimmt sie all ihren Mut zusammen und fragt ihn, warum er die Sonnenbrille nie abnimmt. Jens zieht seine Hand zurück.
„Ich habe meine Gründe, bitte verlang das nicht von mir“, sagt er bestimmt. Tanja entschuldigt sich sofort und wechselt das Thema.
„Du fährst Ski, Snowboard und Motorrad?“, fragt sie neugierig. Jens nickt und erzählt ihr, dass er im Winter als Ski- und Snowboardlehrer sein Geld verdient und hauptsächlich durch Otto und Ellen zu Kunden kommt.
„Und jetzt noch durch mich“, sagt Tanja.
„Ich danke dir dafür. Aber bitte erzähle mir doch etwas von dir. Wovor bist du damals davongelaufen?“
Sie erzählt ihm nicht die ganze Wahrheit. Nur dass sie mit ihrem Mann Probleme hatte und in Ruhe nachdenken wollte. Jens bemerkt, dass sie ausweicht.
„Jetzt bist du dran, warum lebst du dort oben ganz alleine und weshalb sind die Dorfbewohner so distanziert zu dir?“, fragt Tanja.
Zum Glück kommt das Essen in diesem Moment und Jens ist erleichtert, dass er die Frage nicht beantworten muss.
„Guten Appetit“, sagt Otto lächelnd.
„Vielen Dank, das sieht köstlich aus“, bedankt sich Jens und Tanja stimmt ihm zu.
Beide genießen das Essen. Ihr fällt auf, dass er gute Tischmanieren hat und einen gepflegten Eindruck macht. Nur seine Kleidung ist schon etwas älter, aber sauber und ordentlich. Das Essen schmeckt beiden sehr gut. Jens entschuldigt sich kurz bei Tanja, steht auf und geht in Richtung der Toiletten. Sie kann es nicht lassen und schaut ihm hinterher, was er natürlich bemerkt. Seine Figur gefällt ihr sehr gut und ihre Schmetterlinge fangen wieder an, wie wild zu tanzen.
Ellen nutzt die Gelegenheit und geht zu ihr an den Tisch.
„Ihr versteht euch gut, oder?“ Tanja nickt und lächelt verlegen.
„Ja, wir wollen zusammenarbeiten.“
„Oh, das ist ja toll, das freut mich. Aber bitte, ich kenne Jens schon etwas länger, und wenn es um Geld geht, da ist er sehr stolz“, sagt Ellen leise zu ihr.
„Das weiß ich, da werden wir uns schon einig werden. Nur, er trägt immer diese Sonnenbrille.“
„Gib ihm Zeit“, sagt Ellen und nickt ihr freundlich zu. Dann fragt sie, ob noch ein Nachtisch reinpasst. Tanja entscheidet sich für die warmen Waffeln mit Eis, Sahne und Früchten.
Jens schaut auf der Herrentoilette in den Spiegel und nimmt die Sonnenbrille ab. Seine Augen sind so blau wie ein klarer, tiefer Gletschersee, in dem sich die Berge spiegeln. Sanft reibt er sich über die Augen, schließt sie kurz und atmet durch. Dann setzt er die Sonnenbrille wieder auf und geht zurück.
Tanja erzählt ihm freudig, dass sie noch einen Nachtisch bestellt hat. Jens ist neugierig und möchte wissen, was sie ausgesucht hat. Sie will es ihm aber nicht verraten, er soll sich überraschen lassen. Er lächelt und fragt dann nach ihrem Sohn. Tanja erzählt ihm, dass Tim schon fünf ist, nächstes Jahr in die Schule kommt, und dass er zurzeit bei den Großeltern im Luxushotel lebt, weil sie so wenig Zeit für ihn hat, seitdem sie das Hotel Sonne leitet. Dann schaut sie traurig zur Seite.
„Ich vermisse ihn sehr.“
Jens kann Tanja gut verstehen und nimmt erneut ihre Hand in seine. Da kommt Ellen mit dem Nachtisch aus der Küche. Sie hat gleich zweimal Besteck dazugelegt.
„Ich denke, das reicht für euch beide“, sagt sie strahlend und verlässt singend den Tisch. Jens bedankt sich bei ihr. Als Ellen weg ist, fragt Tanja ihn neugierig, ob sie den richtigen Nachtisch ausgesucht hat. Sie muss ein wenig auf die Antwort warten und das macht sie nervös. Jens rückt seine Sonnenbrille zurecht.
„Ich kann auch was anderes bestellen“, sagt sie schnell und will aufstehen. Blitzschnell greift Jens nach ihrer Hand.
„Der Nachtisch ist perfekt. Ellen macht die besten Waffeln der Welt. Ich bekomme sie immer, wenn ich hier bin.“ Er lächelt, nascht etwas vom Teller und genießt es sichtlich.
Nach dem leckeren Nachtisch möchte sie wissen, wie er Ellen und ihren Mann kennengelernt hat. Das hört Otto, der hinter Bar steht und Gläser poliert. Er geht zu den beiden und setzt sich zu ihnen an den Tisch. Dann erzählt er Tanja, dass Jens ihm damals bei einer Schlägerei zur Seite stand.
„Wenn er mir nicht geholfen hätte, wer weiß, was passiert wäre. Er war erst 15. Das wird so 11 Jahre her sein.“ Jens nickt.
„Danke Otto, jetzt weiß sie, wie alt ich bin.“ Tanja muss lachen.
„Na, dann musst du ihm wohl auch dein Alter verraten.“ Otto schaut sie gespannt an.
„Ich bin 21.“
„Da hast du aber früh ein Kind bekommen“, sagt er verwundert.
„Ja, ich war gerade erst 16 Jahre alt. Thomas arbeitete damals als Skilehrer und ich verliebte mich in ihn. Na ja, 16 halt … . Ich war noch sehr jung und unerfahren“, antwortet Tanja peinlich berührt.
„Ja, aber Thomas war doch schon volljährig und Erfahrungen hatte er wohl mehr als genug gesammelt, soweit ich weiß“, sagt Otto ärgerlich.
„Das Kind kann nichts dafür. Ein Kind ist ein Geschenk und etwas Wunderschönes. Du weißt, wie lange meine Eltern gebraucht haben, um mich zu bekommen. Tanja ist bestimmt eine ganz tolle Mama und sie hat so viel erreicht, obwohl sie selbst noch ein Kind war“, sagt Jens schnell und schaut zu Otto. Der entschuldigt sich bei Tanja und verlässt die beiden.
„Er hat ja recht, ich war wirklich noch sehr jung und unerfahren und dumm.“ Sie schaut ihn traurig an.
„Du hast einen Sohn zur Welt gebracht. Da kannst du sehr stolz drauf sein. Ob mit 16 oder 65 Jahren, ich ziehe den Hut vor jeder Frau, die ihrem Mann ein Kind schenkt.“
Dann erzählt Jens ihr, wie alt seine Mama war, als er zur Welt kam.
„Aber wie war das mit 65 Jahren noch möglich?“, fragt Tanja.
„Es ist ein Wunder, dass ich geboren bin. Weil meine Mutter eigentlich gar keine Kinder bekommen konnte. Doch sie gab nie auf. Sie nutzte die Heilkraft der Bergkräuter, Steine, Wurzeln und Pflanzen und entwickelte nach Jahren das richtige Rezept“, erklärt Jens stolz. Als Tanja das hört, fängt sie an zu strahlen.
„Aber das bedeutet ja, dass mit dem Mittel jede Frau ein Kind erwarten kann, wie wunderbar. Kennst du die Zusammensetzung?“ Jens wirkt nachdenklich und traurig.
„Ja, aber ich werde es nicht herstellen.“
„Wieso nicht?“, fragt Tanja.
Er erzählt ihr, wie die Dorfbewohner seine Eltern behandelten. Dass seine Mutter als Hexe bezeichnet wurde, sein Vater der Teufel sei und somit auch Jens von ihnen verurteilt wird.
„Wie kommen die denn nur darauf?“, fragt sie mit zitternder Stimme. Jens nimmt ihre Hände und holt tief Luft.
„Man sagt, ich habe den Blick und die Augenfarbe von einer Hexe. Deshalb trage ich eine Sonnenbrille, damit sich niemand mehr fürchtet. Wenn du jetzt Angst vor mir hast, kann ich das verstehen. Danke für diesen wunderschönen Abend, ich werde ihn nie vergessen. Ich bitte Otto, dich zurück zum Hotel zu fahren“, sagt Jens und steht auf, weil ihm die Tränen kommen. Doch Tanja lässt ihn nicht aufstehen und hält ihn am Arm fest.
„Ich habe keine Angst vor dir. Bitte, du kannst mir glauben. Du bist nicht der Sohn einer Hexe. Du bist so ein wundervoller, herzensguter und gutaussehender Mann und ich würde dir gerne in die Augen blicken. Bitte schenke mir dein Vertrauen.“ Jens bekommt eine Gänsehaut und Tanjas warme Worte tun ihm gut. Er schweigt und hält einfach nur ihre Hand fest. Sie wartet geduldig auf eine Antwort. „Entschuldige bitte meine Neugier und Ungeduld. Ich akzeptiere deine Entscheidung“, durchbricht sie schließlich die Stille.
Jens ist erleichtert und froh, dass Tanja ihn so akzeptiert, wie er ist. Als Otto und Ellen mit der Bewirtung der anderen Gäste fertig sind, setzen sie sich zu Jens und Tanja an den Tisch. Die Stimmung ist super und es wird viel gelacht. Schließlich verabschieden sich die letzten Gäste und Otto will gerade die Tür schließen, da stürmen sechs Jungs grölend in den Gasthof. Otto sagt ihnen, dass das Gasthaus Holzpferd jetzt schließt. Aber das überhören die einfach. Sie setzen sich frech an die Bar und bestellen sich Bier. Otto kennt die Typen und weiß, wie unangenehm sie werden können. Er serviert ihnen schließlich, ohne zu diskutieren, ihr Bier. Einer von ihnen entdeckt Tanja und Jens.
„He, Leute, die Puppe dort hinten ist aber heiß!“, sagt er und pfeift.
„Ja, und schau dir den Typ an mit Sonnenbrille. Es ist ja auch so hell hier drin.“ Er lacht übermütig laut. „Auf den idiotischen Sonnenbrillenträger!“, grölt er und erhebt sein Bier. Die Gläser klirren in der Luft. Dann werden sie immer lauter und fangen an zu randalieren. Jens lässt keinen von ihnen aus den Augen. Er merkt auch, dass Tanja Angst hat.
„Bleib ganz ruhig. Euch wird nichts passieren“, sagt er leise zu ihr.
Otto bittet die Jungs höflich, zu bezahlen, weil Feierabend ist. Das passt denen aber so gar nicht.
„Wir gehen dann, wenn wir es für richtig halten, alter!“, sagt einer und stößt Otto so heftig, dass er zu Boden stürzt. Ellen will sofort zu ihrem Mann. Aber Jens hält sie fest. Er geht zu ihm und hilft ihm hoch.
„Alles in Ordnung?“ Otto nickt nur. Jens bittet ihn mit einer Kopfbewegung, zu gehen. Er nickt wieder und geht zu Ellen und Tanja. Danach stellt sich Jens den Jungs gegenüber.
„Ihr habt den Wirt gehört. Bezahlt euer Bier und verlasst den Gasthof. Dann vergessen wir diesen Vorfall.“
Die Typen grinsen ihm frech ins Gesicht. Danach lachen sie ihn aus und provozieren ihn. „Wer sind die?“, fragt Tanja ängstlich.
„Halbstarke Idioten, aber sie sind leider gefährlich. Die haben Otto schon mal angegriffen und verletzt“, antwortet Ellen leise.
Jens bleibt ruhig. Wieder bittet er die Jungs nett, das Bier zu bezahlen und dann den Gasthof zu verlassen. Die Typen stellen sich aber dicht vor ihn und drohen ihm.
„Wie wäre es, wenn wir mal nach draußen gehen und das dort regeln? Coole Sonnenbrille, übrigens. Nur scheint hier nicht die Sonne, vielleicht in deinem Arsch, du Arschloch“, sagt einer boshaft und stößt Jens heftig. Der versucht, ruhig zu bleiben. Aber er spürt, dass seine Augen anfangen zu schmerzen und dass sich seine Stimmung verändert. Er behält jeden der sechs Jungs genau im Blick. Da kommt Tini knurrend und mit gefletschten Zähnen aus dem Hintergrund. Tanja, Ellen und Otto verharren angespannt am Tisch. Jens gibt seiner Hündin ein Zeichen und sie setzt sich brav zu Tanja. Als er das sieht, nickt er zufrieden. Tini lässt ihn aber nicht aus den Augen. Die Jungs machen sich jetzt über die Hündin lustig.
„Genau so feige und dumm, wie der Sonnenbrillenträger hier“, sagt ein anderer von den sechs und lacht sie aus. Dann geht er langsam Richtung Tanja. Jens bewegt sich ruhig mit ihm, dabei verliert er die fünf anderen nicht aus dem Blick.