Ein Lied für Dulce - Sylvain Prudhomme - E-Book

Ein Lied für Dulce E-Book

Sylvain Prudhomme

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Couto, einst Gitarrist der legendären Band Super Mama Djombo, schlägt sich mehr schlecht als recht in Guinea-Bissau durchs Leben. Da erfährt er eines Morgens vom Tod seiner ersten großen Liebe Dulce, der Sängerin der Band. Aufgewühlt zieht er durch die Straßen, von Bar zu Bar, von Freund zu Freund. Dreißig Jahre Erinnerung ziehen an ihm vorüber: Bilder der Geliebten, triumphale Konzerte rund um die Welt, Tragödien des Befreiungskampfes. Die Stadt steht unter Hochspannung. Alle erwarten den drohenden Putsch der Generäle. Da beschließen die Musikerkollegen, ein Konzert für die verstorbene Sängerin zu geben. Als sich der Abend über die Stadt legt, scheint sich zunächst niemand an die Hits der ehemals berühmten Band zu erinnern. Bereits hört man die ersten Schüsse. Der Staatsstreich beginnt. Aber auch das Konzert im Chiringuito …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 257

Veröffentlichungsjahr: 2017

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cover for EPUB

Über dieses Buch

Couto, Gitarrist von Super Mama Djombo, erfährt vom Tod seiner großen Liebe und ehemaligen Sängerin der Band, Dulce. Die Nachricht erschlägt ihn. Couto zieht von Bar zu Bar, denkt zurück an die erfolgreichen Jahre mit seiner Band in Guinea-Bissau und fällt eine Entscheidung: ein Treffen mit den alten Kollegen, ein Konzert in der Hauptstadt zu Ehren Dulces.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Sylvain Prudhomme (*1979) wuchs in Afrika auf, wo er nach dem Studium der Literatur in Paris mehrere Jahre arbeitete. Er wurde u. a. mit dem Prix littéraire Georges Brassens, dem Prix littéraire de la Porte Dorée, dem Prix Révélation de la Société des Gens de Lettres und dem Prix Femina ausgezeichnet.

Zur Webseite von Sylvain Prudhomme.

Claudia Kalscheuer (*1964) übersetzt seit 1994 aus dem Französischen. 2002 wurde sie mit dem André-Gide-Preis, 2010 mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet.

Zur Webseite von Claudia Kalscheuer.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Sylvain Prudhomme

Ein Lied für Dulce

Roman

Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer

E-Book-Ausgabe

Mit einem Bonus-Dokument im Anhang

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 1 Dokument

Die Originalausgabe erschien 2014 im Verlag Gallimard, Paris.

Deutsche Erstausgabe

Die Übersetzung dieses Werks wurde unterstützt vom Centre National du Livre, Paris

Originaltitel: Les Grands (2014)

© by Editions Gallimard, Paris, 2014

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Karyna Gomes, illustriert von Ferenc Bela Regös

Umschlaggestaltung: Heike Ossenkop

ISBN 978-3-293-30971-5

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 18.05.2024, 06:20h

Transpect-Version: ()

DRM Information: Der Unionsverlag liefert alle E-Books mit Wasserzeichen aus, also ohne harten Kopierschutz. Damit möchten wir Ihnen das Lesen erleichtern. Es kann sein, dass der Händler, von dem Sie dieses E-Book erworben haben, es nachträglich mit hartem Kopierschutz versehen hat.

Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Dadurch ermöglichen Sie den Autoren, Bücher zu schreiben, und den Verlagen, Bücher zu verlegen.

https://www.unionsverlag.com

[email protected]

E-Book Service: [email protected]

Unsere Angebote für Sie

Allzeit-Lese-Garantie

Falls Sie ein E-Book aus dem Unionsverlag gekauft haben und nicht mehr in der Lage sind, es zu lesen, ersetzen wir es Ihnen. Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn Ihr E-Book-Shop schließt, wenn Sie von einem Anbieter zu einem anderen wechseln oder wenn Sie Ihr Lesegerät wechseln.

Bonus-Dokumente

Viele unserer E-Books enthalten zusätzliche informative Dokumente: Interviews mit den Autorinnen und Autoren, Artikel und Materialien. Dieses Bonus-Material wird laufend ergänzt und erweitert.

Regelmässig erneuert, verbessert, aktualisiert

Durch die datenbankgestütze Produktionweise werden unsere E-Books regelmäßig aktualisiert. Satzfehler (kommen leider vor) werden behoben, die Information zu Autor und Werk wird nachgeführt, Bonus-Dokumente werden erweitert, neue Lesegeräte werden unterstützt. Falls Ihr E-Book-Shop keine Möglichkeit anbietet, Ihr gekauftes E-Book zu aktualisieren, liefern wir es Ihnen direkt.

Wir machen das Beste aus Ihrem Lesegerät

Wir versuchen, das Bestmögliche aus Ihrem Lesegerät oder Ihrer Lese-App herauszuholen. Darum stellen wir jedes E-Book in drei optimierten Ausgaben her:

Standard EPUB: Für Reader von Sony, Tolino, Kobo etc.Kindle: Für Reader von Amazon (E-Ink-Geräte und Tablets)Apple: Für iPad, iPhone und Mac

Modernste Produktionstechnik kombiniert mit klassischer Sorgfalt

E-Books aus dem Unionsverlag werden mit Sorgfalt gestaltet und lebenslang weiter gepflegt. Wir geben uns Mühe, klassisches herstellerisches Handwerk mit modernsten Mitteln der digitalen Produktion zu verbinden.

Wir bitten um Ihre Mithilfe

Machen Sie Vorschläge, was wir verbessern können. Bitte melden Sie uns Satzfehler, Unschönheiten, Ärgernisse. Gerne bedanken wir uns mit einer kostenlosen e-Story Ihrer Wahl.

Informationen dazu auf der E-Book-Startseite des Unionsverlags

Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

Unsere Angebote für Sie

Inhaltsverzeichnis

EIN LIED FÜR DULCE

I muriDraußen erwachte die Stadt aus ihrem Mittagsschlaf …Was ist los, ist dir die Jungfrau Maria …Atchutchi sprach in seinen Liedern nicht von Liebe …Mit eingeschäumtem Schädel thronte José Pedro breitbeinig auf …Miguelinho saß mit dem Rücken zu ihm auf …Nach der Hochzeit war Dulce zwei oder drei …Die Rapper hatten ihren Treffpunkt ein paar Straßen …Bei Diabaté. Ein zusammengeschusterter Stand an einer Kreuzung …Er hörte, wie die Kakophonie der Hupen sich …Am Ende der Straße funkelte das Chiringuito wie …Couto, der dutur di biolaNachbemerkung des Autors

Mehr über dieses Buch

Kontinent der Musik und Freiheit

Über Sylvain Prudhomme

Über Claudia Kalscheuer

Andere Bücher, die Sie interessieren könnten

Bücher von Sylvain Prudhomme

Zum Thema Afrika

Zum Thema Musik

Zum Thema Liebe

Zum Thema Revolution

Für Aurélie

Die Straßen führten in drei Richtungen, allesamt: Frauen, Wein, Geld. Man musste wirklich ein Idiot sein, um anderswo zu suchen.

Sony Labou Tansi, Verschlungenes Leben

I muri.

Zé sprach die beiden Worte so sanft wie nur möglich ins Telefon, um ihnen etwas von ihrer Schärfe zu nehmen.

I muri, Couto, sie ist tot, er wiederholte I muri, als fürchte er, die beiden Worte hätten beim ersten Mal nicht ausgereicht, als hätte er selbst das Bedürfnis, sie noch einmal zu sagen.

Couto, hörst du mich, du sagst gar nichts.

Couto nahm wahr, wie das Nachmittagslicht durch eine kleine Fensterluke in das Zimmer mit dem alterslosen, farblosen Linoleum strömte, sah die schwebenden Staubpailletten im Sonnenstrahl und die feuchte, modernde Decke über ihm, die heruntergebrannten Kerzen auf dem Fensterbrett, die Schale mit dem Räucherwerk, die neben dem Bett ihren herben Geruch verströmte, das verblichene Foto von Zé und Malan und allen anderen, wie sie dreißig Jahre zuvor auf Bubaque im Bissagos-Archipel ein paar Stunden vor ihrem ersten Konzert auf der Insel euphorisch aus dem Hubschrauber gestiegen waren.

Er begegnete Esperanças Blick, die nackt neben ihm lag, und wusste sofort, dass sie ahnte, was los war, sah, wie sie die Beine anzog, mit dem Laken das Dreieck unter ihrem Bauch bedeckte wie etwas nunmehr Obszönes, wie sie sich im Bett vergrub und die Augen schloss.

Esperança, du bist wie die Hunde, die sich vor dem Gewitter verkriechen, dachte Couto, du bist anrührend wie die Tiere, die den Donner nahen fühlen und sich lange vor dem ersten Grollen an die Hausmauern drücken, als wollten sie in den Wänden aus Lehm und Stroh verschwinden. Esperança, eben noch waren wir ganz Liebkosungen und verschmolzene Münder und Beine, begierig aufeinander, und nun liegen wir still, das Laken hochgezogen, beide kalt in diesem Bett, Seite an Seite, du und ich. Esperança, hatte ich gesagt, dein Geschlecht ist so köstlich, bu panpana i sabi demais, dein Geschlecht dein geliebter Cashewapfel ist so himmlisch und saftig wie eine reife Frucht und auch deine Brüste die ich umfasse und in den Mund nehmen möchte sind himmlisch wie reife Früchte. Und du antwortetest, als du mein Geschlecht zärtlich in die Hand nahmst, Couto, wie himmlisch ist auch dein Geschlecht, bu obu i sabi demais, ich möchte es stehlen, es mit nach Hause nehmen, so hätte ich es bei mir, auch wenn du nicht da wärst, und könnte es in Gedanken an dich benutzen, das wäre schön.

Couto, meldete sich Zé am Telefon wieder, und seine Stimme war jetzt weit weg, unwirklich, alles ringsum wie in der Schwebe.

Was ist passiert.

Man weiß es nicht, Couto.

Wie, man weiß es nicht.

Niemand weiß etwas.

Wer hat es dir dann gesagt.

Bruno.

Bruno, dieser Lump.

Hör auf.

Couto wartete wortlos auf den Schmerz, darauf, dass die Trauer über die Nachricht sich in seinem ganzen Körper ausbreitete. Aber nichts geschah. Da war nur eine Benommenheit, eine Betäubung, die ihn langsam erfasste und die ihm zuerst als das Gegenteil eines Schmerzes erschien, vielmehr als ein völliges Erschlaffen, ein Ausschalten seines ganzen Wesens. Er war unfähig, noch irgendetwas zu spüren, das geringste Leid zu empfinden, die kleinste Träne zu vergießen, die Augen hoffnungslos trocken, der Atem leicht stockend von etwas, das genauso gut nur eine tiefe Müdigkeit hätte sein können. Das war es also, was Dulces Tod in ihm bewirkte?

Und jetzt?

Das sagte er laut, zu sich selbst ebenso wie zu Zé.

Wollen wir uns treffen, fragte Zé. Soll ich den anderen sagen, dass sie vorbeikommen sollen.

Couto atmete tief durch.

Ich glaube, ich möchte lieber allein sein.

Er dachte an das Licht draußen. An den Schatten der Bäume entlang der steilen Gassen. An die roten und gelben Sonnenschirme auf dem Markt von Bandim, der um diese Uhrzeit vor Leben wimmeln musste.

Ich glaube, ich möchte lieber ein bisschen raus an die Luft.

Dann treffen wir uns eben später, sagte Zé. Am späten Nachmittag.

Couto war einverstanden.

Bei Diabaté.

Bei Diabaté, ja.

Der Gedanke an die Tische im Freien besänftigte ihn. Dort wusste er, dass es gut sein würde, dass er froh wäre, die anderen wiederzusehen.

Er legte auf und reckte sich.

Esperança rückte näher, fuhr ihm mit der Hand durch die Haare, streichelte ihm langsam den Kopf und die Schläfen. Wie ein Tau legte sie ihre Hand auf seine Hüfte, um ihm zu sagen, ich bin da, ich halte dich.

Esperança, die Wunderbare.

Esperança, die jedes weiße Haar auf seinem Kopf kannte, die glorreiche Heldennamen für ihn erfand, mein altersgrauer Irrer, mein schöner schwarzer Greis, mein silberhaariger Mandinka, der bald aussehen wird wie ein Weiser, aber Gott sei Dank noch immer ein Kind ist.

Ihre Bluse und ihr Rock lagen auf dem Boden, neben ihren auf dem Linoleum gestrandeten Unterhosen. Ein lächerliches, formloses Wäschehäufchen.

Sie wusste so gut wie er, was Dulces Ende bedeutete. Wie viel Geduld es sie beide kosten würde, bis dieser Tod nicht mehr zwischen ihnen stünde, bis er verblasste und es wieder nur sie und ihn gäbe. Und man konnte nichts anderes tun, als zu warten.

Diese Teufelin, die du immer lieben wirst, sagte sie immer lachend, wenn im Radio ein Lied von Dulce lief. Diese Zauberin, gegen die ich keine Chance habe.

Dulces Stimme rieselte durchs Zimmer, schwebte zwischen den Wänden, kindlich, voller Anmut.

Carros di botton sines,

dissan na mbera.

Autos mit den schicken Knöpfen,

Lasst mir meinen Teil der Straße.

Dann sah er sie, als stünde sie vor ihm auf der Bühne, wie sie in die Hände klatschte wie früher, sich umdrehte, um seine Gitarrenriffs abzupassen, ihm zulächelte.

Diese Teufelin, die mein Leben lang immer wiederkommen wird, um mir meinen Mann zu nehmen, um ihn mir ein Lied lang zu stehlen, als würde ich gar nicht existieren.

Dulces Stimme schwebte im Raum, und Esperança näherte sich Couto, zwickte ihn, um ihn aufzuwecken.

Couto drückte sie lachend an sich. Sagte ihr, sie solle sich Tundus Solo anhören, Armandos Congas. Hob einen Finger, um sie auf eine Note aufmerksam zu machen, die er selbst spielte und auf die er stolz war, eine leicht dissonante Note, genau im richtigen Maß, ob sie die hörte, da, jetzt, diese Note in Dur, während die ganze Band gerade in Moll spielte. Ach, wenn sie ihn damals auf der Bühne hätte sehen können mit seinen Haaren, seinem Bart, seiner engen Hose, ach, wenn sie ihn nur so gutaussehend gekannt hätte wie damals, sie, die ihn heute ein wenig liebte, wo er doch nur noch ein alter Knacker war.

Esperança war seine Note scheißegal, und auch, dass er damals einen Bart und enge Hosen getragen hatte.

Diese Teufelin, die nur zehn Sekunden zu singen braucht, um dich wieder zu schnappen.

Ihre Hüften wiegten sich im Takt, ihre Arme wedelten, um ihn anzulocken.

Los, komm her zu mir. Kommen Sie her, Senhor Couto, der Gitarrist mit den Dur-Noten.

Sie zog ihn an sich, ihr Mund war warm, ihre Küsse brennend.

Esperança mit ihren unverblümten, ungeschliffenen Worten, die am Anfang sein Verlangen angestachelt hatten. Ihre Art zu sagen: mistiu, ich will dich, ich habe Lust auf dich auf Kreol, ein mit anzüglicher Stimme ins Ohr gehauchtes mistiu, wobei sie ihr Wickeltuch löste, um sich seinen Liebkosungen hinzugeben. Gab es überhaupt ein Mandinka-Wort, um das zu sagen? Ein echtes Wort voller Verlangen, das die gleiche Wirkung hatte wie dieses mistiu? Ein Wort, das nicht rein technisch war, das nicht in erster Linie dazu diente, über Tiere zu sprechen und mehr oder weniger zu sagen: Ich möchte mich mit dir paaren oder ich möchte dich bespringen oder sonst eine alberne Ungeheuerlichkeit?

Was werdet ihr tun.

Couto zog das Laken hoch.

Was sollten wir denn tun.

Werdet ihr trotzdem spielen?

Couto dachte an das Konzert, das für den Abend geplant war, an all die Proben der vergangenen Wochen.

Er ließ seinen Blick über die Decke des kleinen Zimmers schweifen, über den von Feuchtigkeit aufgeworfenen Putz, über die dünnen, schwarz-weißen Striche des Eidechsendrecks.

Was für eine jämmerliche Bude, dachte er und zog die Beine bis zum Bauch hoch. Das klägliche Nest eines Paares, das sich in seinen schmutzigen, ärmlichen Laken wälzt.

Er spürte Esperanças Hand auf seiner Stirn, wohltuend und heilend.

Esperança, so schwarz, wie Dulce hell und schillernd gewesen war. Esperança, fest wie ein Fels, während an Dulce alles brüchig und wild war.

Er spürte Esperança neben sich im Bett, atmete den Geruch ihrer Haare, ihrer Schultern, der Öle, mit dem sie ihren Körper pflegte, den der Grigris, die sie überall im Zimmer verteilte, kaum schaute er weg. Manche entdeckte er gleich, Kolanüsse, getrocknete Zitronen, parfümierte Kaurimuscheln, gut sichtbar auf die Fensterbank oder neben die Räucherschale gelegt. Und dann waren da noch unzählige andere, die er nur erahnte, weil sie sich unter einer Kissenhülle abzeichneten oder in einen Riss in der Wand gestopft waren. Er suchte sie nicht, schaute nie unters Bett oder hinter die Möbel. Er wusste einfach, dass sie da waren, erkennbar an ihrem leicht säuerlichen Geruch, einem Geruch nach Fäulnis, nach Horn, nach altem Kölnischwasser.

Manchmal fand er, wenn er von einem Konzert nach Hause kam, eine Palmnuss in seiner Tasche. Oder sein nackter Fuß stieß auf ein Knöchelchen, das ihn in die Sohle piekte. Dann fluchte er, bückte sich, um es aufzuheben, und warf es weit in die Bananenstauden.

He!, sagte Esperança. Du weißt schon, dass das unser guter Stern ist, den du da aus dem Fenster schmeißt.

Esperança, die alle Zaubermittel kannte.

Couto betrachtete das Foto, das an die Wand gegenüber gepinnt war, eines der wenigen, die er aus all den Jahren behalten hatte. Eines der ältesten auch: 1977, das erste ihrer drei ruhmreichen Jahre, bevor die Gruppe sich auflöste. Man spürte darin die Euphorie der Anfänge, das Staunen darüber, da zu sein, unter den Palmen von Bubaque, am Anfang einer Tournee, die sie zum ersten Mal auf die Kapverden, nach Mosambik, nach Portugal, nach Kuba führen sollte. Kaum aus dem Hubschrauber gestiegen, hatte der Fotograf sie umstandslos vor ein paar Bäumen gruppiert.

Dulce stand in der Mitte, einzige Frau unter den Musikern der Gruppe, die meisten von ihnen bärtig, gut einen Kopf größer als sie und auch fünf, sechs Jahre älter. Sie stand zwischen den beiden schlaksigen Gestalten von Couto und Miguelinho, den beiden Rhythmusgitarristen, und schaute schüchtern in die Kamera, etwas steif, gerader Rock und weiße Bluse wie eine Schülerin, kurz geschoren wie ein Junge.

Atchutchi, der Bandleader, und Malan, einer der Sänger, hatten sie drei Monate zuvor bei einer Zeremonie in einem Dorf gehört. Vor einem Haus sang ein Chor von alten Frauen, die sich mit Klanghölzern begleiteten. Hin und wieder antwortete ihnen eine Stimme, forderte sie heraus. Eine hohe, kindliche Stimme, die alle anderen mit Leichtigkeit beherrschte und sie voller Autorität auf Touren brachte. Das war Dulce.

Kannst du Noten lesen?

Das fragte Atchutchi sie am Ende doch tatsächlich, mit dem Ernst des frisch aus dem Mosambik-Krieg zurückgekehrten Schiffsingenieurs. Natürlich hatte sie noch nie im Leben eine Partitur in den Händen gehalten, noch nie etwas von Super Mama Djombo gehört, noch nie einen Fuß in die União Desportiva Internacional de Bissau gesetzt, wo die Gruppe jedes Wochenende spielte, und war überhaupt noch nie in irgendeinem Konzert in irgendeinem Club von Bissau gewesen. Und natürlich war das allen auch völlig egal. Sie war zu einer Probe gekommen, und von einem Tag auf den anderen war es gewesen, als hebe ihrer aller Musik ab, als schwinge sie sich empor, als habe sie sich von aller Anstrengung und Mühsal befreit. Monatelang waren sie in dem schlecht belüfteten Saal der UDIB nur unter Männern gewesen, unter matchus, wie es auf Kreol heißt. Und da stieß sie zu ihnen, in ihrem Schülerinnenrock, mit ihrer klaren Stimme, entwaffnend natürlich, freiheraus. Die Stimme eines kriegerischen, fröhlichen Kindes. Die Stimme eines Mädchens, das vor bloßer Freude sang, ohne Effekthascherei, ohne Kalkül.

An dem Tag hatten sich Zé am Schlagzeug und Armando an den Percussions ins Zeug gelegt wie die Teufel.

Verdammte Gockel, hatte Couto gelacht.

Armando hatte sich in sein Solo in Mortos Nega gestürzt, seine nackten Arme flogen von Trommel zu Trommel und bearbeiteten die Felle, peitschten sie mit wilden Schlagwirbeln, um sie dann wieder sanft zu liebkosen.

He Armando, pass auf!, hatte Bassist Chico gewarnt. Du wirst wieder rot pissen!

Wenn die kleinen Gefäße in den Handflächen und den Fingern platzen, landet das Blut direkt im Urin. Das kennen alle Congaspieler. Das letzte Mal, als Armando sich bereit erklärt hatte, bei einem Konzert der Band auch die Vorgruppe zu begleiten, hatte er fünf Stunden am Stück gespielt. Am Ende des Abends war er auf die Toilette geflitzt und ganz kleinlaut wieder herausgekommen.

Verfluchter Mist. Sein Urin kam heraus wie Bissap, wie Hibiskussaft.

Aber an dem Tag war es ihm völlig egal, ob er rot pissen würde.

Warts ab, denen werden wirs zeigen, hatte Miguelinho gelacht.

Er hatte Couto den Ellenbogen in den Bauch gerammt und seinerseits losgelegt, übermütig wie ein junger Bock, und Chico folgte. Das Stück hatte zwölf Minuten gedauert statt vier, sie hatten es wie besessen in die Länge gezogen, unfähig aufzuhören, die armen Kerle.

Brava Dulce, hatte Atchutchi am Ende gesagt. Nur weiß ich nicht, ob wir dich werden behalten können. So außer Rand und Band habe ich die Jungs noch nie gesehen.

Sie war dann öfter gekommen, hatte sich mit dem Mikro angefreundet, sich daran gewöhnt, mit Malan zusammen zu singen, ihre Klangfarbe einzufügen und zu erkennen, wann sie im Hintergrund bleiben und einfach mitsummen sollte und wann sie eine eigene Phrase wagen konnte, so göttlich, dass sie alle überwältigte.

So war eines Konzertabends aus der kleinen Dulce dann einfach Dulce geworden, stadtbekannt und von einem scharfsichtigen Journalisten sogar als die neue Geheimwaffe von Mama Djombo gefeiert.

Am Abend nach dem Konzert von Bubaque hatten sie dort ein zweites Mal gespielt, in einer winzigen Bar der Stadt, der Abend hatte sich endlos in die Länge gezogen, und Couto hatte schon gedacht, dieser bierselige Schakal von Chico würde sie ihm vor der Nase wegschnappen. Aber am frühen Morgen war es sein Nacken gewesen, über den Dulce strich, als sie aufstand. Er war es, dem sie gefolgt war, als er ihr zugeflüstert hatte: bin no bay, komm, wir gehen, erst etwas zögernd und dann, da sie ihn verwirrt anschaute, noch einmal in drängenderem Ton, los komm, wir verziehen uns schnell, bin no kapli kinti-kinti, komm, wir hauen ab, bevor die anderen aufwachen.

Ein Siebensitzer war vorbeigefahren, und sie waren hineingesprungen. In dem Moment war Miguelinho herausgekommen und hatte sie gerade noch aus dem Taxifenster winken sehen können.

He! Was macht ihr denn!

Das Taxi war nicht sehr weit gefahren – die Insel war keine zehn Kilometer lang. Sie stiegen in einer Kurve aus und standen dann allein am Rand der holprigen Teerstraße, direkt am Meer, so früh schon ganz allein, ohne sich wirklich zu kennen, ohne je mehr als zehn Minuten unter vier Augen verbracht zu haben. Die zwei Meter, die sie zuerst trennten, ohne dass einer von beiden sich entschließen konnte, sie zu überwinden. Couto, der ihr im gleißenden Licht den Strand entlang folgte und sich das Brennen jedes Schrittes unter ihren nackten Füßen vorstellte. Der sich die Hitze ihres Körpers vorstellte, aufgeheizt wie die glutheißen Steine von Varela, auf die er sich als Kind immer legte, nachdem er geschwommen war. Dessen Augen voller Verlangen über ihren Körper gewandert waren, voller Staunen darüber, dass diese Schultern, diese Hüften gleich ihm gehören würden, dass Dulces bloße Gegenwart an diesem Strand genau das bedeutete: Ich werde dir gehören, ganz und gar wirst du mich bekommen.

Los, Couto, steh auf.

Esperança setzte sich neben ihm auf, schob das Laken zurück und beugte sich vor, um nach ihren Kleidern am Fußende des Bettes zu greifen.

Aufstehen, Senhor Gitarrist.

Der verfluchte Miguelinho hatte sich gerächt, indem er genau an dem Tag sein schönstes Lied schrieb. Julia, ich suche dich, lautete der Text, der sich an die Frau richtete, die er mit aller Macht geliebt hatte, bevor er sie verlor, von der Grippe dahingerafft. Julia, ich suche dich, und ich sehe dich überall. In jeder neuen Frau, der ich begegne. In allem Schönen, das meine Augen sehen. In Carlotta, die die Schnauze voll hatte und mich verließ. Carlotta bu fasin lembra di nha morta, bu fasin lembra di Julia. Carlotta, du erinnertest mich an meine Tote. Du erinnertest mich an Julia.

Bei ihrer Rückkehr am nächsten Tag hatten Couto und Dulce die anderen mitten in der Arbeit vorgefunden. Sie standen beide stumm da, so schön war es, so sehr floss es wie von selbst – Zés Schlagzeug unterstrich die Akzente von Miguelinhos Stimme nur ganz leicht, Tundus Sologitarre dehnte die Noten sanft und bekränzte sie mit Nebelschleiern, und die anderen waren still, warteten, genau wie sie, regungslos.

Ihr solltet öfter abhauen, hatte Atchutchi lachend gemeint. Los, wir spielen es noch mal.

Und wieder Miguelinhos Stimme. Wieder seine mächtigen Hände auf dem Bauch der Gitarre, die er quer vor der Brust hielt wie ein Spielzeug, Hände wie ein Hafenarbeiter, ein Sträfling, alles, nur nicht wie ein Gitarrist, jedenfalls nicht ein Gitarrist, der so spielen konnte, so sanft, so traurig. Wieder sein ruhiges Spiel und der verzerrte Mund in seinem großen, eckigen Gesicht, Grimasse des Schmerzes, der unheilbaren Wunde.

Los, steh auf!

Esperança streifte ihre Bluse über. Couto schaute sie an, lächelnd, weil ihre Frisur in Unordnung war, ihre Perücke saß schief, hing nur noch an einer letzten Klammer. Er streckte den Arm aus und nahm sie ihr ab, entblößte ihr kurz geschorenes Haar.

Couto!

Ohne Perücke sah sie nackt aus, so richtig nackt.

Er umarmte sie.

Was hast du da gerade gemacht, fragte er.

Wie, was habe ich gerade gemacht.

Da, gerade eben, während ich mit den Gedanken woanders war.

Er streckte den Arm aus, holte Esperanças Hand unter dem Kopfkissen hervor und zwang sie auf. Sie enthielt ein paar Muscheln, perlmuttschimmernd wie Porzellan.

Nicht schon wieder diese Dinger, das darf doch nicht wahr sein.

Er zog sie an sich wie ein Krokodil seine Beute und zwang sie, sich wieder der Länge nach an ihn zu schmiegen.

Scheint so, als würde Senhor Gitarrist aufwachen.

Sie legte die leise klirrenden Kauris auf das Tischchen neben dem Bett.

Esperança. Ihre Brüste, ihr Bauch waren warm, waren zart.

Küss mich.

Sie schlang ihre Beine fest um die seinen.

Los, lieb mich.

Und Couto erkannte ihn wieder, den Geruch ihrer Körper, den die Liebe an diesem Nachmittag schon mehrmals hatte aufleben lassen. Ein süßlicher, leicht obszöner Geruch. Ein guter Geruch.

Lieb mich, Idiot.

Sie kamen schnell, sie zuerst, dann er, armselig, freudlos. Vom Schweigen niedergedrückt. Traurig.

Draußen erwachte die Stadt aus ihrem Mittagsschlaf. Um diese Zeit pflegte die Hitze nachzulassen, die Sonne begann zu sinken, das Licht ermattete. Überall kehrten die Farben in die Straßen zurück, die Erde zwischen den bloß liegenden Wurzeln wurde röter, das Moos an den Fassaden goldener, das Blattwerk der Mangobäume grüner. Seit einer Woche war die Regenzeit zu Ende, und nachdem Pflanzen und Bäume monatelang ihren Durst gestillt hatten, freuten sich Männer und Frauen, endlich wieder vor ihren Häusern zu sitzen und hangauf, hangab durch die Gassen zu laufen.

Couto und Esperança hatten ihr kleines Zimmer verlassen. Die Nachbarn sahen, wie sie sich die Augen rieben, die Kleider zurechtrückten, wie Couto den Arm hob, um ein Taxi anzuhalten, das über die Schlaglöcher herangeschaukelt kam. Esperança stieg ein. Couto schaute ihr nach, wie sie zu dem Hotel davonfuhr, in dem sie jeden Nachmittag arbeitete. Dann lief er durch die roten Gassen von Pefine zu Nunus Bar hinunter.

Bevor sie aus dem Haus gingen, hatte Esperança ihn gefragt, ob er sich nicht ausnahmsweise mal fein machen wollte, ob er nicht ein einziges Mal wenigstens eine elegantere Jacke anziehen könnte als seine ewige, an Ellbogen und Manschetten völlig abgewetzte Sportjacke, eine weniger schäbige Hose als seine sonnengebleichte alte Jeans.

Verdammt, Couto, willst du dich nicht ausnahmsweise mal ein bisschen schick machen.

Vergiss es, hatte Couto gesagt. Vergiss es, du verstehst meinen Stil nicht, wir werden nur wieder sinnlos streiten.

Sie werden alle da sein, hatte Esperança gesagt. Sie werden dir alle ihr Beileid aussprechen wollen.

Couto hatte die Ärmel seiner Jacke hochgeschoben und die silbernen Armreifen übergestreift.

Hör mal, vergiss es einfach, wozu soll das gut sein, wir kriegen uns nur wieder in die Wolle.

Und er hatte sie um zweitausend Franc gebeten, genug, um für den Abend gerüstet zu sein. Sie rückte tausend raus und meinte, für das, was er damit machen würde, nämlich sie aus dem Fenster zu schmeißen, sei das schon mehr als genug.

Er hatte den Schein genommen, den sie ihm aus dem Taxifenster reichte, hatte die zu weite Jacke über die mageren Rippen gezogen und war zwischen den Häusern verschwunden, eine lange, dürre Gestalt, die über Buckel und Löcher den Hügel hinablief.

Saturnino Bayo, genannt »Couto«. Ein Gemisch aus ergrauender früherer Berühmtheit und unverbesserlichem Herumtreiber, dessen Stolz es ihm verbot, sich zu mehr als ein paar Stunden Arbeit am Tag ein paar Tage im Monat herabzulassen. Ewig müßiger, ewig abgebrannter Grandseigneur, der aber alle Blicke auf sich zog, wenn er in seinem müden Gang durch die Straßen tigerte.

Couto, der dutur di biola, der große Doktor der Gitarre. Couto, der Dun, der große Herr.

Dun di ke, Herr über was, dun di tudu, Herr über alles, dun di nada, Herr über gar nichts.

Dun di fomi, verdammter Herr des Hungers.

Die Sonne schien ihm ins Gesicht und zwang ihn, die Augen zusammenzukneifen. Er ging steif, mit unmerklich stockenden Schritten. Er hatte Schmerzen in den Knien. Schmerzen in seinem verfluchten Rücken, der sich bisweilen anfühlte, als würde man ihm eine Nadel ins Kreuz rammen. Schmerzen vor allem in der Blase, ein Brennen im Unterleib, das ihn nie aus den Fängen ließ.

Er wäre lieber krepiert, als sich etwas anmerken zu lassen.

Encha, Issufos Schwester, war vor ihrem Haus und schlug ihre Wäsche.

Couto.

Encha.

Kuma.

Diese großartig elliptische Art des Kreols, sich nach jemandes Befinden zu erkundigen. Nicht: Wie geht es dir. Einfach nur: Kuma, gerade mal das erste Wort der Frage. Wie?

Nbon, antwortete Couto schlicht, gut, und hob grüßend die Hand. Nbon, nasal ausgesprochen, fast nbong.

Vor ihm führte der Weg zwischen zwei Abflussrinnen hinab, in der Mitte gewölbt wie der Rücken einer dicken Kuh. Hier und da wuchsen ein paar Grasbüschel, alte Plastiktüten lagen herum, Wurzeln ragten aus dem Boden.

Vom unsichtbaren Fluss her stieg ein Geruch nach Schlick und Mangrove auf. Die Flut, dachte Couto, und als er aufblickte, konnte er jenseits des Labyrinths der Gassen und der Mauern der Amura-Festung die graue Fläche des Wassers sehen, er konnte hören, als ginge er am Ufer entlang, wie die Mangrovenbäume wieder anfingen, die rötlich braune Brühe zu schlürfen, wie die seit dem Morgen auf dem Trockenen liegenden Austern sich bei der Berührung des Salzwassers wieder öffneten, wie die runden, fleischigen Blätter der Mangroven wieder auflebten und die mit sonnengetrockneten Algen und Krabben bedeckten Sandbänke sich langsam wieder verschlucken ließen.

Die Flut von Bissau, die träge und gemächlich anstieg und Zentimeter für Zentimeter die Millionen Saugwurzeln der Mangrove bedeckte, Zentimeter für Zentimeter das mit Larven und modernden Algen durchsetzte Watt, die Betonpfeiler der Kais, die rostigen Wracks der dort gestrandeten Frachter, ihre auf den Landeplatz gekotzten Containerladungen.

Couto liebte diese Stadt. Er liebte dieses Viertel, Pefine, seine ebenerdigen Häuser, alle mit dem gleichen vierflächigen Blechdach, das wie der Himmel sämtliche Nuancen von Grau annehmen konnte. Die allgegenwärtigen Mangobäume, ihre kugeligen, dunklen Kronen, die die Sicht versperrten und den Blick auf die Nachbardächer erst im letzten Moment freigaben. Als wäre der Wald bis in die Stadt, bis in die kleinen Höfe der Häuser vorgedrungen. Das Rot der Erde. Die gewundenen Wege. Die tausend Unebenheiten des Bodens, wie dafür gemacht, dass der Vorübergehende an jeder Haustür stehen bleiben und sich unterhalten musste, Rinnsteine, Zäune, Maniokbeete, kleine Holzbrücken, Wäscheleinen, Papayabäume, Müllhaufen, Schrotthaufen, Sandhaufen. Wasser, das die Erde tränkte. Das die Pflanzenstiele anschwellen ließ. Das sich mit jedem Quietschen der Seilwinde am Brunnen aus den Eimern ergoss. Überall Leben, das sich regte, sich mehrte, kreischte. Kinder, die Fußball spielten. Alte, die vor ihrer Tür saßen. Frauen, die vor rauchgeschwärzten Kesseln standen und mit großen Blechkellen darin rührten. Aufgeputzte Mädchen, die Coutos Blicke unverfroren erwiderten, bis er wieder aus ihrem Gesichtsfeld verschwand. Das Kreol hatte ein hübsches Wort für sie. Es nannte sie bajudas, vom Verb baja, tanzen. Was wörtlich nicht genau Tänzerinnen bedeutet, eher etwas wie Getanzte, mit diesem passiven, hingegebenen Unterton, der für eine ganze Lebensart stand.

I muri.

Nach der Trauer der ersten Momente machte sich etwas ganz anderes in Couto breit, eine Mischung aus Schmerz und Erregung. Alles in ihm war in Aufruhr, vielleicht weil er schon wusste, was die Radiosender bald allesamt verkünden würden, vielleicht auch, weil er im Voraus die Blicke spürte, die sich auf ihn richten, die Hände, die über seinen Rücken streichen würden, um ihn zu trösten.

An diesem Abend wäre er der König. Das wusste er. Dulces Tod würde auch ihn aus dem Schatten treten lassen. Es war seine Stunde.

Auch wenn dreißig Jahre vergangen sein mochten: Dulces Witwer, der echte, war er.

Verdammt, ja, das war er gewesen: der Mann der Kantadura. Dulces Geliebter. Der Auserwählte der Frau, die ein ganzes Volk noch heute beim Vornamen nannte, wie eine Freundin, eine Schwester. Couto le Dun di Dulce.

Er verspürte einen ungeheuren Drang, alles in den Wind zu schießen. Die Schweine, die er Nunu für etwas Geld abzustechen half. Die Touristen, die das Hotel am Flussufer, in dem Esperança arbeitete, ihm vermittelte, denn fast keiner von ihnen ließ sich das Angebot entgehen, einen früheren Gitarristen der laut Hotelprospekt legendären Band Super Mama Djombo zu treffen.

O ja, Senhor Bayo treffen, unbedingt.