Ein Mann namens Ove - Fredrik Backman - E-Book
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Ein Mann namens Ove E-Book

Fredrik Backman

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Beschreibung

Ove ist 59. Er fährt Saab. Und wir alle kennen jemanden wie ihn: den grummeligen Nachbarn von nebenan, der kontrolliert, ob der Müll richtig getrennt ist, und heimlich die Falschparker aufschreibt. Doch niemand wird als grummeliger alter Nachbar geboren, und einst war auch Ove glücklich. Bis das mit seiner Frau passierte, und dann das mit der Arbeit. Jetzt macht nichts mehr wirklich Sinn. Noch einmal richtig aufräumen, dann ist Ove bereit, für immer zu gehen. Wie ärgerlich, dass genau im falschen Moment im Haus nebenan eine junge Familie einzieht – und mit ihr unglaubliches Chaos. Definitiv ein Fall für Ove, denn das kann so nicht bleiben ...

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Seitenzahl: 479

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Buch

Ove, 59 und überzeugter Saab-Fahrer, ist nicht unbedingt der Typ Nachbar, den man mal um einen Löffel Kaffeepulver bittet. Oder gar um eine ganze Packung. Er ist mehr so der ewige Griesgram – die Art von Mann, der vor lauter Regeln, Routinen und Prinzipien kaum zu sagen weiß, was sein Gegenüber denn nun zuallererst falsch gemacht hat. Und der ohnehin fast jeden behandelt wie einen Einbrecher, den er gerade auf frischer Tat ertappt hat. Dementsprechend unbeliebt ist er in seiner kleinen Wohnsiedlung. Was ihm herzlich egal ist.

Zumindest auf den ersten Blick. Denn auch hinter Oves verschrobenem Äußeren und seiner offensichtlichen Verbitterung verbirgt sich eine ganz eigene Geschichte. Die er eigentlich mit niemandem mehr teilen wollte. Bis eines Novembermorgens ein viel zu gesprächiges junges Paar mit zwei viel zu gesprächigen jungen Töchtern ins Nachbarhaus einzieht und zum Auftakt erst einmal versehentlich Oves Briefkasten umfährt. Der Beginn einer ebenso unwahrscheinlichen wie lebensrettenden Freundschaft. Eine Freundschaft, die nicht nur Oves Sicht auf die Welt komplett verändern wird …

Weitere Informationen zu Fredrik Backman finden Sie am Ende des Buches.

Fredrik Backman

Ein Mann namens Ove

Roman

Aus dem Schwedischenvon Stefanie Werner

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »En man som heter Ove« bei Bokförlaget Forum, Stockholm.

Erstmals auf Deutsch erschienen im Jahr 2014.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Neuausgabe Dezember 2022 

Copyright © der Originalausgabe 2012 by Fredrik Backman

Copyright © dieser Ausgabe 2022 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Published by agreement with Salomonsson Agency

Copyright © der deutschen Übersetzung 2014 by S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2022 

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München, nach einer Idee von Alan Dingman

Umschlagmotiv: shutterstock/David Hughes;

gettyimages/ momentimages

Th · Herstellung: ik

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-29946-0V001 

www.goldmann-verlag.de

Für Neda. Alles nur, um dich zum Lachen zu bringen.

Nur dafür.

Kapitel 1 Ein Mann namens Ove kauft einen Computer, der kein Computer ist

Ove ist 59. Er fährt Saab. Er ist so ein Mann, der mit dem Zeigefinger auf Leute zeigt, die er nicht mag, als wären sie Einbrecher und als wäre Oves Zeigefinger die Taschenlampe eines Polizisten. Er steht vor einem Tresen in einem Geschäft, in dem Leute, die japanische Autos fahren, weiße Kabel kaufen. Ove beobachtet den Verkäufer eine ganze Weile, dann wedelt er mit einem mittelgroßen, weißen Karton vor dessen Nase herum.

»Hallo! Ist das hier denn wohl so ein Eipääd?«, möchte Ove wissen.

Der Verkäufer, ein junger Mann mit einstelligem Body-Mass-Index, sieht ihn misstrauisch an. Kämpft ganz offensichtlich gegen den Impuls, ihm den Karton auf der Stelle aus der Hand zu nehmen.

»Ja, richtig. Ein iPad. Aber es wäre wirklich super, wenn Sie damit nicht so herumfuchteln würden …«

Ove betrachtet den Karton, als könnte man ihm nicht trauen. Als wäre er so ein Vespa-fahrender, Jogginghosen-tragender Karton, der Ove gerade »mein Freund« genannt und dann versucht hat, ihm eine Uhr anzudrehen.

»Aha! Und das ist also ein Computer?«

Der Verkäufer nickt. Doch dann überdenkt er seine Reaktion und schüttelt den Kopf.

»Ja … oder, ja, na ja, es ist ein iPad. Manche sagen ›Tablet‹ dazu, andere ›Surfpad‹. Man kann das so oder so sehen …«

Ove schaut den Verkäufer an, als hätte der gerade rückwärts gesprochen.

»Ach so!«

Der Verkäufer nickt unschlüssig.

»Jaaa …«

Ove schüttelt den Karton noch einmal.

»Und – ist der gut?«

Der Verkäufer kratzt sich am Kopf.

»Ja. Oder – wie meinen Sie das genau?«

Ove seufzt und spricht mit einem Mal ganz langsam. Er artikuliert die Worte überdeutlich, als wäre die Diskussion nur deshalb so schwierig, weil der Verkäufer unter Schwerhörigkeit leidet.

»Ist. Der. Guuut? Ist das ein guter Computer?«

Der Verkäufer kratzt sich am Kinn.

»Na ja … ja … er ist sehr gut … aber es kommt darauf an, was für eine Art von Computer Sie suchen.«

Ove starrt ihn an.

»Ich will einfach einen Computer! Einen ganz normalen!«

Kurzzeitig schweigen sich die Männer an. Der Verkäufer räuspert sich.

»Na ja, ein ganz normaler Computer ist das eigentlich nicht. Vielleicht möchten Sie lieber einen …«

Der Verkäufer verstummt und sucht ganz offensichtlich nach einem Wort, von dem der Mann vor ihm möglicherweise irgendeine Vorstellung hat. Dann räuspert er sich noch einmal und sagt:

»… einen Laptop?«

Ove schüttelt fanatisch den Kopf und beugt sich drohend über den Tresen.

»Nein, den will ich ver-FLUCHT nochmal nicht. Ich will einen Computer!«

Der Verkäufer nickt verständnisvoll.

»Ein Laptop ist ein Computer.«

Ove stiert ihn beleidigt an und drückt seinen Taschenlampenzeigefinger demonstrativ auf den Tresen.

»Das weiß ich wohl!«

Der Verkäufer nickt.

»Okay …«

Wieder Schweigen. Wie zwischen zwei Revolverhelden, die plötzlich bemerken, dass sie ihre Revolver vergessen haben. Ove schaut den Karton eine ganze Weile an, fast so, als würde er darauf warten, dass dieser ein Geständnis ablegt.

»Und wo klappt man die Tastatur aus?«, brummt er dann.

Der Verkäufer reibt mit seinen Handflächen über die Kante des Verkaufstresens und verlagert sein Gewicht nervös von einem Fuß auf den anderen, so wie es junge Männer, die im Verkauf arbeiten, tun, wenn ihnen klar wird, dass die Sache wesentlich länger dauern wird, als sie anfangs gehofft haben.

»Na ja, das iPad hat doch keine Tastatur.«

Ove zieht die Augenbrauen hoch.

»Ach wirklich! Dann muss man die wieder für teures Geld extra kaufen, stimmt’s? Für ein verdammt teures Geld!«

Der Verkäufer reibt seine Handflächen wieder über die Kante.

»Nein … oder … es ist so: Dieser Computer hat keine Tastatur. Weil man alles direkt auf dem Bildschirm steuert.«

Ove schüttelt müde den Kopf, als hätte er gerade zusehen müssen, wie ein Eisverkäufer Eis von der Glasscheibe seines Standes ableckt.

»Aber ich brauche nun mal eine Tastatur. Das ist Ihnen doch hoffentlich klar?«

Der Verkäufer seufzt tief, so wie wenn man im Stillen bis mindestens zehn zählen will.

»Okay. Ich verstehe. Aber ich würde sagen, dann sollten Sie nicht diesen Computer nehmen. Dann würde ich vorschlagen, dass Sie zum Beispiel lieber ein MacBook kaufen.«

Oves Gesichtsausdruck verrät, dass ihn das möglicherweise nicht sehr überzeugt.

»Ein Meck-Book?«

Der Verkäufer nickt voller Hoffnung, als hätte er soeben einen Durchbruch in den Verhandlungen erzielt.

»Ja.«

Ove runzelt skeptisch die Stirn.

»Ist das dann so ein verflixtes E-Book-Ding, von dem die Leute reden?«

Der Verkäufer seufzt mit der Tiefe eines epischen Gedichts.

»Nein. Ein MacBook ist einfach ein … ein … Laptop. Mit Tastatur.«

»A-ha!«, zischt Ove postwendend.

Der Verkäufer nickt. Reibt seine Handflächen.

»Ja.«

Ove sieht sich im Laden um. Schüttelt den Karton, den er in der Hand hält, noch einmal.

»Und die taugen was?«

Der Verkäufer schaut vor sich auf den Tresen. Man sieht ihm an, dass er inständig gegen den Impuls kämpft, sich das Gesicht zu zerkratzen. Dann lächelt er mit einem Mal voller Energie und strahlt.

»Wissen Sie was? Ich schaue mal nach, ob mein Kollege jetzt frei ist, dann kann er Ihnen weiterhelfen!«

Ove wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. Schüttelt den Kopf.

»Manche Leute haben Besseres zu tun, als den ganzen Tag hier herumzustehen und zu warten, wissen Sie!«

Der Verkäufer nickt beiläufig. Dann verschwindet er hinter dem Tresen. Ein paar Sekunden später kommt er mit seinem Kollegen zurück. Der Kollege sieht ganz fröhlich aus. Wie jemand, der noch nicht sehr lange im Verkauf arbeitet.

»Guten Tag! Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

Ove pflanzt seinen Taschenlampenzeigefinger fordernd auf den Tresen.

»Ich will einen Computer!«

Der Kollege sieht nicht mehr ganz so fröhlich aus. Dann wirft er dem ersten Verkäufer einen Blick zu, der sagt, dass er ihm das heimzahlen wird.

»Oookay. Einen ›Computer‹, ja. Dann gehen wir doch zuerst mal rüber in unsere Abteilung mit den tragbaren Geräten«, sagt der Kollege nicht gerade begeistert und dreht sich zu Ove um.

Ove starrt ihn an.

»Sie! Ich weiß verdammt nochmal, was ein Läbbdobb ist! Sie können sich das ›tragbar‹ sparen!«

Der Kollege nickt hilfsbereit. Hinter ihm brummelt der erste Verkäufer zwischenzeitlich: »Ich halt das nicht mehr aus, ich mach jetzt Mittagspause.«

»Mittagspause, ja, das ist auch das Einzige, woran die Leute heute noch denken«, schnaubt Ove.

»Was?«, fragt der Kollege und dreht sich um.

»M-i-t-t-a-g-s-p-a-u-s-e!«, antwortet Ove überdeutlich.

Drei Wochen zuvor

Kapitel 2 Ein Mann namens Ove dreht eine Kontrollrunde durch die Siedlung

Es war fünf vor sechs am frühen Morgen, als Ove und die Katze das erste Mal aufeinandertrafen. Die Katze mochte ihn von Anfang an nicht. Was absolut auf Gegenseitigkeit beruhte.

Ove war wie immer zehn Minuten zuvor aufgestanden. Er verstand die Leute nicht, die verschliefen und es darauf schoben, dass der »Wecker nicht geklingelt habe«. Ove hatte in seinem ganzen Leben noch keinen Wecker besessen. Um Viertel vor sechs wachte er auf, und dann begann sein Tag.

Er hatte die Kaffeemaschine angestellt und genau die Menge eingefüllt, die er zusammen mit seiner Frau an jedem Morgen in den letzten vier Jahrzehnten, in denen sie in der kleinen Reihenhaussiedlung gewohnt haben, getrunken hat. Ein Löffel pro Tasse und einen extra für die Kanne. Nicht mehr und nicht weniger. Das konnte ja heute keiner mehr, richtigen Kaffee kochen. Genau wie man heute auch nicht mehr mit der Hand schreiben konnte. Heute hatte man nur noch Computer und Espressomaschinen. Und wohin bewegte sich eine Gesellschaft, in der keiner mehr vernünftig mit der Hand schreiben und Kaffee kochen konnte? Wohin? Das fragte sich Ove.

Während seine richtige Tasse Kaffee durchlief, zog er die blaue Hose und die blaue Jacke an, fuhr in die Holzclogs, steckte die Hände in die Hosentaschen, so wie es ein Mann mittleren Alters tat, der ständig darauf gefasst sein musste, von einer durch und durch unfähigen Umwelt enttäuscht zu werden, und machte sich auf seine Kontrollrunde durch die Siedlung. So wie jeden Morgen.

In den anderen Reihenhäusern war es noch still und dunkel, als er aus der Tür ging. Hätte man sich denken können. In diesem Viertel gab es wirklich niemanden, der sich die Mühe machte, früher aufzustehen als nötig, das kannte Ove. Hier wohnten heutzutage ja nur Selbstständige und andere unzuverlässige Typen.

Die Katze saß mit gleichgültiger Miene mitten auf dem Weg zwischen den Häusern. Oder was man so Katze nennen konnte. Sie hatte nur noch einen halben Schwanz und ein Auge. Und hier und da fehlten ihr ganze Fellstücke, als hätte jemand faustdicke Büschel herausgeschnitten. Deshalb konnte von einem ganzen Katzenvieh eigentlich kaum die Rede sein, fand Ove.

Er stapfte ein paar Schritte auf sie zu. Die Katze erhob sich. Ove blieb stehen. Da standen sie und musterten sich ein paar Augenblicke lang gegenseitig, wie zwei potenzielle Raufbolde spätabends in einer Kneipe auf dem flachen Land. Ove spielte mit dem Gedanken, einen seiner Holzclogs nach ihr zu werfen. Die Katze sah aus, als verfluche sie die Tatsache, dass sie selbst keine Holzclogs besaß, um sie zurückzuschleudern.

»Schsch!«, brüllte Ove so plötzlich, dass die Katze zusammenfuhr.

Sie machte einen Schritt zurück. Sah den 59-Jährigen von oben bis unten an, betrachtete seine Holzclogs. Dann zuckte sie leicht, drehte sich um und trottete von dannen. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte Ove schwören können, dass sie erst noch die Augen verdreht hatte.

»Blödes Vieh«, dachte er und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Zwei Minuten vor sechs. Zeit, in die Gänge zu kommen, damit sich nicht die ganze Kontrollrunde wegen des Katzenviehs verschob. Das wäre ja noch schöner.

So marschierte er also den Weg zwischen den Häusern entlang bis hoch zum Parkplatz, wie jeden Morgen. Machte halt vor dem Schild, das den Autoverkehr innerhalb der Wohngegend untersagte. Trat ein bisschen provokativ gegen den Pfosten, auf dem es befestigt war. Nicht weil er schief stand oder so, sondern weil es nie schaden konnte, die Dinge zu kontrollieren. Und Ove war so ein Mann, der den Zustand von Dingen überprüfte, indem er dagegentrat.

Dann ging er auf den Parkplatz und lief alle Garagen ab, um zu kontrollieren, ob irgendwo nachts eingebrochen worden war oder etwa Vandalen Feuer gelegt hatten. Nicht dass das hier in der Siedlung schon einmal vorgekommen wäre. Aber Ove hatte ja auch nie einen seiner Inspektionsgänge ausgelassen. Zur Kontrolle zog er dreimal am Griff seines eigenen Garagentores, hinter dem sein Saab stand. Genau wie jeden Morgen.

Danach drehte er eine Runde über den Besucherparkplatz, auf dem man höchstens 24 Stunden stehen durfte, und notierte auf einem Block, den er in seiner Jackentasche trug, jedes einzelne Kennzeichen. Verglich dann mit seinen Notizen vom Vortag. Jedes Mal, wenn dasselbe Kennzeichen an zwei Tagen nacheinander in Oves Notizblock auftauchte, ging er nach Hause, rief die Zulassungsstelle an und verlangte die Informationen über den Halter des Fahrzeugs, und dann rief er den Betreffenden an und informierte den Betreffenden, dass der Betreffende ein unfähiger Blödmann sei, der keine Schilder lesen könne. Nicht dass es Ove wirklich interessierte, wer auf dem Besucherparkplatz stand. Natürlich nicht. Aber hier ging es ums Prinzip. Wenn »24 Stunden« auf dem Schild stand, dann hat man das zu akzeptieren. Denn wo kämen wir hin, wenn jeder nach Lust und Laune überall parkte? Das wäre ein heilloses Chaos, das war Ove klar. Überall nur noch Autos.

Aber heute standen keine Fahrzeuge unrechtmäßig auf dem Besucherparkplatz, also setzte Ove seine Notizen beim täglichen Abstecher zum Wertstoffraum fort. Im Grunde war das gar nicht sein Ding, von Anfang an hatte er lautstark gegen diesen Blödsinn protestiert, den die neu zugezogenen Typen in der Versammlung durchgeboxt hatten, nämlich dass jedes kleine Stückchen Abfall sortiert werden musste. Aber wenn es nun beschlossene Sache war, dass man den Müll trennen sollte, dann musste das auch jemand kontrollieren. Nicht dass jemand Ove damit beauftragt hätte, aber wenn nicht Männer wie Ove in solchen Angelegenheiten selbst die Initiative ergriffen, dann würde die Anarchie über alles siegen. Ove wusste das. Dann läge überall Müll herum.

Er trat gegen die Mülltonnen. Fluchte und angelte ein Glas aus dem Glascontainer, murmelt so was wie »Nichtsnutze« und schraubte den Metalldeckel ab. Schmiss das Glas zurück in den Glascontainer und den Metalldeckel in den Metallsammelbehälter.

Als Ove noch Vorsitzender des Eigentümervereins war, kämpfte er hartnäckig darum, dass der Wertstoffraum kameraüberwacht wurde, damit man sichergehen konnte, dass niemand »Müll falsch entsorgte«. Zu seinem Ärger erhielt Oves Vorschlag nicht die Mehrheit der Stimmen, weil die anderen Nachbarn fanden, dass sie dabei »kein gutes Gefühl« hätten und es außerdem lästig sei, die ganzen Videos zu archivieren. Und das, obwohl Ove jedes Mal wiederholte, dass der, der keinen »Dreck am Stecken« habe, sich vor der »Wahrheit« nicht fürchten müsse.

Zwei Jahre später dann – Ove war als Vorsitzender des Eigentümervereins abgewählt worden (was Ove immer als »den Putsch« bezeichnet, wenn er davon spricht) – kam die Frage erneut auf den Tisch. Offenbar gab es nun so eine neumodische Kamera, die von Bewegungsmeldern aktiviert wurde und ihre Bilder direkt ins Internet stellte. Das erklärten die neuen Vorsitzenden ihren Mitgliedern im Viertel in einem forschen Brief. Mit der Kamera könne man sowohl den Wertstoffraum als auch den Parkplatz überwachen, um Vandalismus und Einbruch vorzubeugen. Und darüber hinaus löschten sich die Videoaufnahmen selbstständig nach 24 Stunden, um die »Integrität der Anwohner« zu wahren. Es war ein einhelliges Abstimmungsergebnis nötig, um die Kameras zu installieren. Ein einziges Mitglied stimmte dagegen.

Ove traute dem Internet nämlich nicht. Er betonte es auf »net«, obwohl seine Frau ihn dann immer korrigierte und erklärte, man betone das Wort auf »Inter«. Und dieses »Inter-NET« würde Ove erst überwachen, wenn er selbst tot im Müll läge, das merkte der Vorstand bald. Und deshalb wurde aus den Kameras nichts.

Die täglichen Kontrollrunden waren sowieso besser. Da wusste man doch gleich, wer hier zugange war, und hatte einen Überblick. Das musste wohl jeder einsehen.

Als er also mit seiner Wertstoffrauminspektion fertig war, schloss er die Tür ab, so wie jeden Morgen, und drückte die Klinke zur Kontrolle noch dreimal. Dann drehte er um und sah auf einmal ein Fahrrad, das von außen an die Wand des Fahrradschuppens gelehnt stand. Obwohl ein großes Schild mit der Aufschrift »Fahrräder abstellen verboten« klar und deutlich genau darüberhing. Neben dem Fahrrad hatte einer der Nachbarn einen handgeschriebenen, bösen Zettel hingehängt: »Hier ist kein Fahrradparkplatz! Können Sie keine Schilder lesen?« Ove murmelte etwas wie »Idioten«, öffnete den Fahrradschuppen und hob das Fahrrad sauber in eine Reihe. Schloss dann wieder ab und kontrollierte den Türgriff dreimal.

Dann riss er den Zettel von der Wand. Er hatte nicht übel Lust, beim Vorstand einen Antrag einzureichen und zu fordern, dass man dort ein ordentliches »Plakatieren verboten«-Schild anbrachte. Die Leute meinten offenbar, man könnte heutzutage durch die Gegend ziehen und überall seine Schmähzettel aufhängen. Diese Wand war doch verflixt nochmal kein Schwarzes Brett.

Dann ging Ove den kleinen Weg zwischen den Häusern zurück. Machte vor seinem eigenen Haus halt, beugte sich zu den Pflastersteinen seines kleinen Weges hinunter und schnüffelte an den Fugen. Pisse. Es stank nach Pisse. Und nach dieser Beobachtung ging er zurück in sein Haus, schloss hinter sich die Tür ab und trank seinen Kaffee.

Als er damit fertig war, kündigte er telefonisch das Abonnement seiner Tageszeitung und seinen Telefonanschluss. Reparierte die Mischbatterie im kleinen Badezimmer. Montierte neue Schrauben am Griff der Terrassentür in der Küche. Ölte die Holzarbeitsplatte ein. Räumte die Kisten auf dem Dachboden zur Seite. Sortierte das Werkzeug im Vorratsraum und schob die Winterreifen des Saabs an eine andere Stelle.

Und jetzt steht er hier. Es war nicht vorgesehen, dass es so weit kommen würde mit seinem Leben. Das ist alles, was Ove fühlt.

Es ist ein Dienstagnachmittag im November, vier Uhr, und er hat alle Lampen ausgemacht. Die Heizung abgeschaltet und die Kaffeemaschine auch. Die Arbeitsplatte in der Küche geölt, obwohl diese Esel bei Ikea sagen, man müsse die Platten nicht ölen. In diesem Haus werden die Arbeitsplatten einmal im Halbjahr geölt, egal, ob es sein muss oder nicht. Egal, was irgendein clownsartig geschminktes Mädel in gelbem Polohemd ihm im Warenlager erzählt.

Er steht im Wohnzimmer des zweistöckigen Reihenhauses mit unausgebautem Dachboden und starrt aus dem Fenster. Der 40-jährige Spinner mit Dreitagebart vom Haus schräg gegenüber joggt die Straße entlang. Anders heißt er. Neu zugezogen, soviel Ove weiß, wohnt hier sicher noch keine vier, fünf Jahre. Und hat sich bereits erfolgreich beim Vorstand des Eigentümervereins eingeschleimt. Glaubt wohl, ihm gehöre gleich die ganze Straße. Ist hier angeblich nach seiner Scheidung eingezogen und hat einen unverschämten Wucherpreis gezahlt. Typisch, solche Kerle, kommen her und treiben den Einheitswert für die ehrlichen Leute in die Höhe. Als ob sie hier in einem Upperclass-Viertel wären. Audi fährt er auch noch, hat Ove gesehen. Hätte man sich ja gleich denken können. Selbstständige und andere Idioten, die fahren alle Audi. Sie wissen es eben nicht besser.

Ove steckt die Hände in die Taschen seiner dunkelblauen Hose. Tritt ein bisschen provokativ gegen die Fußleisten. Das Reihenhaus ist für Ove und seine Frau eigentlich etwas zu groß, das muss er zugeben. Aber es ist abbezahlt. Nicht eine Krone Hypothek ist mehr auf dem Haus. Was man von diesem Spinner garantiert nicht sagen kann. Heutzutage kaufen alle alles nur noch auf Pump, man kennt das ja. Aber Ove hat alles getilgt. Es so gemacht, wie es sich gehört. Ist zur Arbeit gegangen. War nicht einen Tag krank, sein ganzes Leben lang. Hat sein Päckchen getragen. Ein Stück Verantwortung übernommen. Das tut heute doch keiner mehr, Verantwortung tragen. Heute dreht sich alles nur um Computer und Berater und Kommunalbonzen, die in Pornoklubs gehen und Mietverträge schwarz verkaufen. Steuerparadiese und Aktiendepots. Keiner, der noch arbeiten will. Ein ganzes Land voll von Leuten, die den ganzen Tag lang nur an ihre Mittagspause denken.

»Ist doch schön, wenn man einen Gang runterschalten kann!« Das hat Ove gestern bei der Arbeit zu hören bekommen. Als sie ihm erklärten, es sei gerade »zu wenig Arbeit« da und dass sie »die ältere Generation auslaufen lassen« wollten. Ein Dritteljahrhundert am selben Arbeitsplatz, und jetzt nennen sie Ove so. Eine verfluchte »Generation«. Denn heute sind sie alle 31, haben zu enge Hosen an und trinken keinen normalen Kaffee mehr. Und keiner will Verantwortung übernehmen. Überall Unmengen von Männern mit affigen Bärtchen, die den Job wechseln und die Frau wechseln und die Automarke wechseln. Jederzeit. Sobald es ihnen in den Kram passt.

Ove starrt durch die Fensterscheibe. Der Spinner joggt. Aber nicht das Joggen ist es, das Ove provoziert, nein, gar nicht. Ove sind Leute, die joggen, völlig egal. Er begreift nur nicht, warum man darum so viel Tamtam machen muss. Dieses selbstgefällige Lächeln im Gesicht, als ob man draußen wäre, um sein Lungenemphysem zu bekämpfen. Sie gehen schnell oder sie rennen langsam, das ist joggen. Es ist die Art, wie 40-jährige Männer ihrer Umwelt mitteilen, dass sie im Moment nichts auf die Reihe bringen. Aber muss man sich dafür als zwölfjähriger rumänischer Turner verkleiden, ist das wirklich nötig? Muss man aussehen wie die Olympia-Rodelmannschaft, nur damit man rausgehen und planlos eine Dreiviertelstunde umhertraben kann?

Und eine Freundin hat er, der Spinner. Zehn Jahre jünger. »Das blonde Schaf« nennt Ove sie. Spaziert hier durch die Gegend und wackelt wie ein besoffener Panda auf Absätzen, die so hoch sind wie Steckschlüssel, dazu eine Indianerbemalung über das ganze Gesicht und so eine riesige Sonnenbrille, dass man nicht sagen kann, ob es sich um eine Brille oder einen Helm handelt. Und so ein kleines Handtaschenhündchen hat sie auch noch, das rumläuft und grundlos bellt und auf die Platten vor Oves Haus pisst. Sie glaubt, Ove merke es nicht, aber Ove merkt es.

Es war nicht vorgesehen, dass es so weit kommen würde mit seinem Leben. Das ist alles.

»Ist doch schön, wenn man einen Gang runterschalten kann«, haben sie ihm gestern bei der Arbeit gesagt. Und jetzt steht Ove hier mit seiner geölten Arbeitsplatte. Es ist nicht Sinn der Sache, dass man dienstags für so etwas Zeit hat.

Er sieht aus dem Fenster und betrachtet das identische Haus nebenan. Offenbar ist doch eine Familie mit Kindern eingezogen. Ausländer, soviel Ove weiß. Noch hat er keine Ahnung, was für ein Auto sie fahren. Immerhin besteht wohl Hoffnung, dass es kein Audi ist, wenigstens das. Oder noch schlimmer: ein Japaner.

Ove nickt, als ob er gerade etwas gesagt hätte, hinter dem er selbst voll und ganz steht. Schaut im Wohnzimmer hinauf an die Decke. Heute wird er dort einen Haken befestigen. Und da denkt er nicht an irgendeinen Haken. Jeder IT-Berater mit Aufmerksamkeitsstörung und so einer weibischen Strickjacke, wie sie die heute alle tragen, kann einen stinknormalen blöden Haken montieren. Aber Oves Haken wird stabil sein wie ein Felsen. Er hat vor, ihn so gut zu befestigen, dass der Haken das Letzte sein wird, das untergeht, wenn das Haus einmal abgerissen wird.

In ein paar Tagen wird hier so ein Makleraffe mit babykopfgroßem Krawattenknoten stehen und von »Renovierungspotenzial« und »Flächeneffektivität« faseln, und er wird viel über Ove, den Mistkerl, sagen können, aber kein schlechtes Wort über seinen Haken. So viel steht fest.

Auf dem Boden des Wohnzimmers steht Oves kleiner »Brauchbar«-Kasten. So haben sie das Haus aufgeteilt. Alle Dinge, die Oves Frau gekauft hat, sind »schön« oder »nett«. Alle Dinge, die Ove gekauft hat, sind Dinge, die man gut gebrauchen kann. Dinge, die eine Funktion besitzen. Er hat sie in zwei verschiedenen Kästen verstaut, dem großen und dem kleinen »Brauchbar«-Kasten. Dies hier ist der kleine. Mit Schrauben und Nägeln und Steckschlüsseln und dergleichem. Die Leute haben keine Dinge mehr, die nützlich sind. Heutzutage haben die Leute nur Mist. Zwanzig Paar Schuhe, aber wissen nie, wo der Schuhanzieher ist. Das ganze Haus voller Mikrowellen und Flachbildschirme, aber keinen ordentlichen Betondübel anbringen können, selbst wenn man sie mit dem Teppichmesser bedrohen würde.

Ove hat in seinem »Brauchbar«-Kasten ein ganzes Fach für Betondübel. Er steht da und schaut sie an, als wären es Schachfiguren. Er mag es gar nicht, Dübel unter Zeitdruck auszuwählen. So was braucht Zeit. Jeder Dübel ist eine Sache für sich, jeder einzelne hat sein Anwendungsgebiet. Die Leute haben heute keinen Respekt mehr vor einer ehrlichen, soliden Funktionalität, heute soll alles nur gut aussehen und auf dem Computer abgespeichert sein. Doch Ove macht die Dinge so, wie man die Dinge machen muss.

»Schön, wenn man einen Gang runterschalten kann«, haben die doch bei der Arbeit gesagt. Sind am Montag in sein Büro gekommen und haben ihm mitgeteilt, dass sie es ihm am Freitag noch nicht sagen wollten, um »Ove nicht sein Wochenende zu vermiesen«. »Ist jetzt doch schön für dich, einen Gang runterzuschalten«, haben sie gesagt. Haben die eine Ahnung, wie es ist, an einem Dienstagmorgen aufzuwachen und keine Funktion mehr zu haben? Die mit ihrem Internet und ihrem Espresso, was wissen die schon davon, wie es ist, wenn man für etwas Verantwortung übernimmt?

Ove schaut hoch zur Decke. Blinzelt. Wichtig ist, dass der Haken mittig sitzt, sagt er sich.

Und so steht er da und ist in Gedanken versunken, als er völlig rücksichtslos von einem langen, schabenden Geräusch unterbrochen wird. Nicht ganz unähnlich dem Geräusch, das man hören würde, wenn ein Volltrottel versuchte, ein japanisches Auto mit Anhänger rückwärts einzuparken, und dabei die komplette Seite von Oves Reihenhaus schrammen würde.

Kapitel 3 Ein Mann namens Ove parkt mit Anhänger rückwärts ein

Ove schiebt die grün geblümten Gardinen zur Seite. Jahrelang hat ihm seine Frau in den Ohren gelegen, sie auszutauschen. Jetzt sieht er eine kleine schwarzhaarige, offenbar ausländische Frau, so um die dreißig. Sie steht da und gestikuliert wild in Richtung eines gleichaltrigen, viel zu groß gewachsenen blonden Trottels, der auf dem Fahrersitz eines viel zu kleinen japanischen Autos mit Anhänger klemmt und gerade die komplette Außenseite von Oves Haus angeschrammt hat.

Der Trottel scheint der Frau gerade mit subtiler Gestik und verschiedenen Zeichen verständlich machen zu wollen, dass es in Wirklichkeit nicht so leicht ist, wie es aussieht. Die Frau scheint dem Trottel mit keineswegs subtiler Gestik verständlich machen zu wollen, dass dies höchstwahrscheinlich damit in Zusammenhang steht, dass er ein echter Volltrottel ist.

»Das ist doch nicht zu …«, brüllt Ove durch das Fenster, als das eine Rad des Hängers in Oves Beet rollt.

Er lässt den »Brauchbar«-Kasten auf den Boden fallen und ballt die Fäuste. Ein paar Sekunden später fliegt seine Haustür auf, als hätte sie sich freiwillig geöffnet aus Angst, Ove könnte sonst geradewegs durch sie durchbrechen.

»Was zum Teufel treiben Sie da?«, brüllt Ove die schwarzhaarige Frau an.

»Ja, das frage ich mich auch!«, brüllt die Frau zurück.

Ein paar Sekunden ist Ove völlig perplex. Er starrt sie an. Sie starrt zurück.

»Man darf hier in der Siedlung nicht Auto fahren! Sie können wohl keine schwedischen Schilder lesen?«

Die kleine ausländische Frau macht einen Schritt auf ihn zu, und erst da registriert Ove, dass sie entweder ziemlich schwanger ist oder – wie Ove es sehen würde – ziemlich ungleichmäßig fett.

»Ich sitze doch nicht am Steuer!«

Ove starrt sie schweigend an. Ein paar Sekunden vergehen. Dann wendet er sich dem großen blonden Trottel zu, der sich soeben aus dem Japaner gequält hat, beide Hände zur Entschuldigung in der Luft. Er trägt eine Strickjacke, und seine Körperhaltung gleicht der einer Person mit offensichtlichem Kalziummangel.

»Und wer sind Sie?«, will Ove wissen.

»Ich bin der Fahrer«, nickt der Trottel aufgeregt.

Er muss an die zwei Meter groß sein. Ove steht jedem Menschen, der größer als 1,85 m ist, instinktiv skeptisch gegenüber. Das Blut schafft es dann nicht bis ins Gehirn, das weiß er aus Erfahrung.

»Ach so? Tatsächlich? Sieht nicht so aus!«, schimpft die schwangere schwarzhaarige Frau, die schätzungsweise einen halben Meter kleiner ist, sofort und schlägt dem Trottel mit beiden Handflächen auf den Arm.

»Und wer ist das?«, fragt Ove und starrt sie an.

»Das ist meine Frau«, nickt der Trottel freundlich.

»Sei dir nicht so sicher, dass ich das bleibe«, wettert sie so, dass ihr Schwangerenbauch auf und nieder wippt.

»Das ist nicht so einfach wie man denk –«, setzt der Trottel an, doch wird von ihr sofort unterbrochen.

»Ich habe RECHTS gesagt! Und du fährst einfach weiter nach LINKS! Du hörst mir überhaupt nicht zu! Du hörst mir NIE zu!«

Dann lässt sie eine halbminütige Tirade los, von der Ove annimmt, dass es sich um eine ausführliche Schmährede in arabischer Sprache handelt.

Der blonde Trottel nickt seinerseits nur mit einem unbeschreiblich harmonischen Lächeln. Genau so ein Lächeln, das anständige Leute dazu verleitet, buddhistische Mönche ins Gesicht zu schlagen, denkt Ove.

»Äh, entschuldigen Sie. Das war wirklich ein kleines Missgeschick, aber wir regeln das«, sagt er fröhlich zu Ove, als seine Frau endlich Ruhe gibt.

Dann fischt er sorglos eine runde Dose aus der Tasche und schiebt sich eine Portion Snus, groß wie ein Handball, unter die Lippe. Er sieht aus, als wolle er Ove auf die Schulter klopfen.

Ove schaut den Trottel an, als hätte ihm dieser gerade auf die Motorhaube seines Saabs gekackt.

»Regeln!? Sie stehen in meinem Beet!«

Der Trottel betrachtet das Rad des Anhängers.

»Aber das ist doch kein Beet«, lächelt er unbekümmert und schiebt den Snus mit der Zungenspitze zurecht.

»Das IST ein Beet!«, stellt Ove klar.

Der Trottel nickt. Betrachtet eine Weile den Boden. Sieht Ove an, als würde er meinen, Ove mache Späße mit ihm.

»Neee, hören Sie mal, das ist doch nur Erde.«

Oves Stirn schiebt sich zu einer einzigen bedrohlichen Falte zusammen.

»Das. Ist. Ein. BEET.«

Der Trottel kratzt sich skeptisch am Kopf, so dass etwas Snus in seinem zerzausten Pony hängenbleibt.

»Aber Sie haben da doch gar nichts eingepflanzt …«

»Das geht Sie einen feuchten Kehricht an, was ich mit meinem Beet mache oder nicht mache!«

Der Trottel nickt rasch, jetzt offenbar in der Absicht, den fremden Mann nicht noch mehr zu provozieren. Dann dreht er sich zu seiner Frau um, als könne er erwarten, dass sie ihn verteidigt. Sie sieht aber gar nicht so aus, als würde sie das wollen. Der Trottel schaut wieder zu Ove.

»Schwanger, wissen Sie. Die Hormone und das alles …«, setzt der Trottel an und grinst.

Die Schwangere grinst nicht. Ove auch nicht. Sie verschränkt die Arme. Ove stemmt die Hände in die Hüften. Der Trottel weiß offenbar nicht recht, was er mit seinen riesigen Fäusten machen soll, also lässt er sie etwas verlegen neben dem Körper baumeln, als wären sie aus Stoff und flatterten im Wind.

»Ich fahre vor und versuche es noch einmal«, schlägt er schließlich vor und lächelt Ove schon wieder entwaffnend an.

Ove schaut nicht entwaffnet zurück.

»Im Wohngebiet ist das Autofahren untersagt. Deswegen stehen hier die Schilder.«

Der Trottel macht einen Schritt zurück und nickt eifrig. Eilt zu seinem Wagen und quetscht seinen überdimensionierten Körper in sein wirklich unterdimensioniertes japanisches Auto.

»Mein Gott«, murmeln Ove und die Schwangere gleichzeitig. Was bewirkt, dass Ove sie nun nicht mehr ganz so unsympathisch findet.

Der Trottel fährt ein paar Meter vor, wobei Ove deutlich erkennen kann, dass er den Hänger nicht richtig geradezieht. Dann beginnt der Trottel wieder rückwärtszufahren. Geradewegs in Oves Briefkasten, so dass die Kante des Anhängers das grüne Blech aufschlitzt und verbiegt.

»Nein … das ist doch …« Ove stürzt zum Wagen und reißt die Tür auf.

Der Trottel gestikuliert wieder entschuldigend mit den Armen.

»Mein Fehler! Alles mein Fehler! Sorry, wissen Sie, ich habe den Briefkasten im Rückspiegel nicht gesehen. Das mit dem Anhänger ist wirklich schwierig, ich weiß nie, in welche Richtung ich lenken soll …«

Ove knallt seine geballte Faust so heftig auf das Autodach, dass der Trottel zusammenfährt und sich den Kopf im Türrahmen anschlägt. Ove beugt sein Gesicht so weit zu ihm hinunter, dass die Worte kaum an die Luft kommen, bevor sie im Gehörgang des Trottels wieder verschwinden.

»Raus aus dem Wagen!«

»Was?«

»Raus aus dem Wagen, habe ich gesagt!«

Der Trottel sieht Ove etwas ängstlich an, aber riskiert kein einziges Wort mehr. Stattdessen steigt er aus seinem Auto und stellt sich neben den Wagen wie ein Schuljunge, der zur Strafe in die Ecke muss. Ove zeigt auf den kleinen Weg zwischen den Reihenhäusern, hinüber zum Fahrradschuppen und zum Parkplatz.

»Gehen Sie zur Seite und stellen Sie sich irgendwo hin, wo Sie nicht im Weg sind.«

Der Trottel nickt ein wenig irritiert.

»Mein Gott. Ein Unterarmamputierter mit grauem Star hätte den Hänger schneller eingeparkt«, brummt Ove, als er in den Wagen steigt.

Wie kann es sein, dass man es nicht schafft, mit einem Hänger einzuparken?, fragt er sich. Hm? Wie schwer kann es denn sein, die Abstände links und rechts einzuschätzen und umgekehrt? Wie kommen diese Menschen eigentlich sonst durchs Leben?

Klar, auch noch Automatikschaltung, stellt er fest. Das hätte man sich denken können. Am liebsten würden diese Stümper ihre Autos gar nicht mehr selbst lenken, denkt Ove, als er auf »Drive« schaltet und vorfährt. Am liebsten wäre es denen, die Autos würden sich von allein steuern. Wie Roboter. Man müsste nicht einmal mehr lernen, rückwärts einzuparken, aber braucht man dann wirklich einen Führerschein, wenn nicht einmal feststellbar ist, was der Fahrer wirklich kann? Hm? Ove findet, nein. Er steht auch dem allgemeinen Wahlrecht skeptisch gegenüber, solange diese Frage nicht geklärt ist.

Als er den Wagen vorgesetzt und den Anhänger geradegezogen hat, so wie es zivilisierte Menschen tun, wenn sie mit Anhänger rückwärtsfahren wollen, legt er den Rückwärtsgang ein. Das japanische Auto fängt sofort an, aufgeregt zu hupen. Ove sieht sich wütend auf dem Armaturenbrett um.

»Was zum Teufel … was hast du, warum machst du solchen Lärm?«, wettert er zur Instrumentenanzeige und haut auf das Lenkrad. »Hör auf, sage ich!«, brüllt er eine besonders hartnäckig blinkende rote Lampe an.

In dem Moment taucht der Trottel neben dem Fahrzeug auf und klopft vorsichtig an die Scheibe. Ove fährt sie herunter und schaut ihn wütend an.

»Das ist der Rückfahrradar, der gibt die Signale ab«, nickt der Trottel.

»Das weiß ich wohl!«, zischt Ove.

Der Trottel räuspert sich.

»Dieses Auto ist etwas anders, ich dachte, wenn ich Ihnen vielleicht die Bedienung erklären soll …«

Ove schnaubt.

»Ich bin doch kein Blödmann!«

Der Trottel nickt eifrig.

»Nein, nein, natürlich nicht.«

Ove schielt auf die Instrumentenanzeige.

»Was zeigt das da gerade an?«

Der Trottel nickt enthusiastisch.

»Er misst, wie viel Ladung die Batterie noch hat. Wissen Sie, bevor er von Elektromotor auf Benzinmotor umschaltet. Wissen Sie … das ist ein Hybrid …«

Ove gibt keine Antwort. Er fährt nur die Scheibe hoch. Der Trottel bleibt mit offenem Mund stehen. Ove schaut in den linken Rückspiegel. Dann in den rechten. Dann, während das japanische Auto angstvoll piept, parkt er den Anhänger perfekt ausgerichtet zwischen seinem Haus und dem des Trottels und der Schwangeren rückwärts ein.

Er steigt aus und wirft ihm den Schlüssel hin.

»Rückfahrradar und Parkassistent und Kameras und all so ein Mist. Ein Mann, der so etwas braucht, um rückwärts einzuparken, sollte verflucht nochmal ganz die Finger davon lassen.«

Der Trottel nickt ihm nur erleichtert zu.

»Danke für Ihre Hilfe«, ruft er, als würde Ove ihn nicht seit zehn Minuten anhaltend beleidigen.

»Sie sollten nicht einmal eine Kassette zurückspulen«, antwortet Ove und stiefelt an ihm vorbei.

Die schwangere Ausländerin steht noch immer mit verschränkten Armen da, aber sie sieht längst nicht mehr so böse aus.

»Danke!«, ruft sie und lächelt ein bisschen schief, als Ove an ihr vorbeigeht, so dass Ove das Gefühl hat, sie versuche sich das Lachen zu verkneifen.

Sie hat die größten braunen Augen, die Ove je gesehen hat.

»In dieser Siedlung fahren wir nicht in der Wohngegend Auto, das sollten Sie verdammt nochmal akzeptieren«, antwortet er.

Sie sieht aus, als hätte sie bemerkt, dass er »akzeptieren« wie »asseptieren« ausspricht, doch sie hält den Mund. Ove zischt und dreht ab und bewegt sich zurück zu seinem Haus.

Auf halber Höhe des kleinen Weges zwischen seinem Haus und dem Schuppen bleibt er stehen. Er rümpft die Nase so intensiv, dass man meinen könnte, sein ganzer Oberkörper schöbe sich ineinander. Dann geht er in die Knie, legt das Gesicht ganz nah an die Platten auf der Erde, die er ausnahmslos jedes zweite Jahr neu verlegt, egal, ob es nötig ist oder nicht. Er schnüffelt noch einmal. Nickt sich selbst zu. Steht wieder auf.

Die schwangere Schwarzhaarige und der Trottel beobachten ihn.

»Pisse! Hier ist überall Pisse!«, schnauzt er sie an.

Und zeigt auf die Platten.

»O…kay«, sagt die schwarzhaarige Frau.

»Nein! Das ist nirgendwo okay!«, antwortet Ove.

Und dann geht er wieder in sein Haus und schlägt die Tür zu.

Er lässt sich auf den Schemel im Flur fallen und sitzt dort eine ganze Weile, bis er sich so weit beruhigt hat, dass er sich etwas anderes vornehmen kann. »Verdammtes Frauenzimmer«, denkt er. Was machen sie und ihre Familie hier bei uns, wenn sie nicht einmal ein Schild lesen können, obwohl es direkt vor ihrer Nase steht? Man darf hier in der Siedlung nicht Auto fahren. Jeder weiß das.

Ove steht auf und hängt seine blaue Jacke an seinen Haken, mitten ins Meer all der Jacken seiner Frau. Schimpft »Idioten« durch das geschlossene Fenster, sicherheitshalber. Dann stellt er sich mitten ins Wohnzimmer und schaut hoch zur Decke.

Er weiß nicht, wie lange er dort steht. Er versinkt ganz in Gedanken. Fließt dahin wie im Nebel. Das war nie seine Art, er ist kein Tagträumer, aber in letzter Zeit kommt es ihm so vor, als ob mit seinem Kopf etwas nicht stimmt. Es fällt ihm zunehmend schwerer, sich auf Dinge zu konzentrieren. Das gefällt ihm gar nicht.

Als es an der Tür klingelt, fühlt es sich an, als würde ihn jemand aus einem süßen Schlaf wachrütteln. Er reibt sich kräftig die Augen und sieht sich um, als könnte ihn jemand beobachtet haben.

Es klingelt noch einmal. Ove dreht sich um und starrt die Tür an, als sollte sie sich schämen. Er geht ein paar Schritte und merkt, dass sich sein ganzer Körper steif wie Gips anfühlt. Er hat keine Ahnung, ob das Knarren von den Dielen oder von ihm selbst kommt.

»Und was ist jetzt los?«, fragt er die Tür, bevor er sie überhaupt geöffnet hat, als ob die Tür darauf antworten könnte.

»Was ist jetzt los?«, wiederholt er, als er sie aufstößt, so plötzlich, dass das dreijährige Mädchen vom Windzug nach hinten kippt und völlig perplex mit dem Popo auf dem Boden landet. Neben ihr steht ein siebenjähriges Mädchen mit verängstigtem Gesicht. Die beiden sind total schwarzhaarig. Und haben die größten braunen Augen, die Ove je gesehen hat.

»Und?«, fragt Ove.

Das siebenjährige Mädchen sieht ihn erwartungsvoll an. Sie hält ihm eine Vorratsdose hin. Ove nimmt sie widerwillig. Sie ist warm.

»Reis!«, ruft das dreijährige Mädchen glücklich und kommt schnell wieder auf die Beine.

»Mit Safran. Und Hühnchen«, nickt ihm das siebenjährige Mädchen deutlich skeptischer zu.

Ove betrachtet sie misstrauisch.

»Verkauft ihr etwas oder so?«

Das siebenjährige Mädchen sieht sauer aus.

»Wir WOHNEN hier!«

Ove sagt einen Moment lang nichts. Nickt dann nur. Als könne er sich vorstellen, diese Aussage als Erklärung zu verstehen.

»Ach so.«

Das dreijährige Mädchen nickt zufrieden und wedelt mit den etwas zu langen Overallärmeln.

»Mama hat gesagen, du bis hungrich!«

Ove sieht den kleinen, wiegenden Sprachfehler verständnislos an.

»Was?«

»Mama hat gesagt, dass Sie hungrig ausgesehen haben. Deshalb sollten wir Ihnen Abendessen bringen«, erklärt das siebenjährige Mädchen verärgert. »Jetzt komm, Nasanin«, sagt sie dann und fasst das dreijährige Mädchen fest an der Hand, wirft Ove einen richtig bösen Blick zu und geht.

Ove steckt den Kopf aus der Türöffnung und sieht den beiden hinterher. Er sieht die schwarzhaarige schwangere Frau in ihrer Haustür stehen und ihm zulächeln, als die Kinder in ihr Haus hüpfen. Das dreijährige Mädchen dreht sich noch einmal um und winkt ihm fröhlich zu. Die Schwangere winkt auch. Ove macht die Tür zu.

Dann steht er wieder im Flur. Glotzt das warme Gefäß mit Hühnchen und Safranreis an, so wie man ein Gefäß mit Nitroglycerin anstarren würde. Dann geht er in die Küche und stellt es in den Kühlschrank. Nicht weil es seine Gewohnheit wäre, alles Mögliche zu essen, was fremde ausländische Kinder an seinem Hauseingang abgeben. Sondern weil in Oves Haus kein Essen weggeworfen wird. Aus Prinzip nicht.

Er geht hinüber ins Wohnzimmer. Steckt die Hände in die Hosentaschen. Sieht hoch zur Decke. Steht dort eine ganze Weile und überlegt, welcher Betondübel sich für sein Vorhaben wohl am besten eignet. Steht so lange da, bis ihm die Augen weh tun, weil er sie zusammenkneift. Er wendet den Blick wieder ab und schaut etwas verwirrt auf seine verbeulte Armbanduhr. Dann sieht er wieder aus dem Fenster und bemerkt plötzlich, dass es in der Zwischenzeit dunkel geworden ist. Resigniert schüttelt er den Kopf.

Man kann nicht anfangen zu bohren, wenn es dunkel ist, das weiß ja wohl jeder. Dann muss er die Lampen anschalten, und dann weiß man ja gar nicht, wann sie wieder ausgemacht werden. Und diesen Spaß will er dem Elektrizitätswerk gern vermiesen. Zu glauben, er würde sich nicht um seine Rechnung kümmern und den Strom weiterlaufen lassen für Tausende von Kronen. Das können sie vergessen.

Ove räumt seinen »Brauchbar«-Kasten auf. Trägt ihn ins Obergeschoss in den großen Flur. Dann holt er den Schlüssel für den Dachboden, der an seinem Platz im kleinen Flur hinter der Heizung liegt. Geht zurück und reckt sich, um die Dachbodenluke zu öffnen. Zieht die Falttreppe herunter. Steigt hinauf auf den Dachboden und stellt den »Brauchbar«-Kasten an seinen Platz hinter die Küchenstühle, die er wegen seiner Frau hier abstellen musste, weil sie ihr zu laut knarrten. Sie knarrten eigentlich kein bisschen. Ove war vollkommen klar, dass das nur eine Ausrede war und seine Frau einfach nur neue Stühle kaufen wollte. Als ginge es im Leben nur darum. Küchenstühle kaufen, essen gehen und weitermachen.

Er geht wieder die Treppe hinunter. Legt den Dachbodenschlüssel zurück an seinen Platz hinter dem Heizkörper im kleinen Flur. »Einen Gang runterschalten«, haben sie bei der Arbeit zu ihm gesagt. Ein Haufen 31-jähriger Spinner, die am Computer arbeiten und keinen normalen Kaffee mehr trinken. Eine ganze Gesellschaft, die nicht mehr mit Anhänger rückwärts einparken kann, und das sind dann diejenigen, die zu ihm sagen, dass er nicht mehr gebraucht werde. Ist das gerecht?

Ove geht nach unten ins Wohnzimmer. Schaltet den Fernseher an. Nicht dass er irgendetwas anschauen will, aber er kann ja nicht den ganzen Abend allein herumsitzen und die Wand anglotzen wie ein Idiot. Er holt sich das ausländische Essen aus dem Kühlschrank und isst es mit der Gabel direkt aus dem Plastikgefäß.

Er ist 59 Jahre alt. Es ist Dienstagabend, und er hat seine Zeitung abbestellt. Alle Lampen ausgemacht.

Und morgen muss dieser Haken an die Decke.

Kapitel 4 Ein Mann namens Ove bezahlt keine drei Kronen Gebühr

Ove hält ihr die Blumentöpfe hin. Zwei Stück. Eigentlich sollten es gar nicht zwei sein. Man musste es ja nicht übertreiben. Doch hier sei es ums Prinzip gegangen, erklärt Ove ihr. Deshalb seien es eben zwei geworden.

»Nichts ist im Lot, wenn du nicht da bist«, murmelt er dann und tritt mehrmals in die gefrorene Erde.

Seine Frau antwortet nicht.

»Heute Nacht wird es schneien«, sagt Ove.

In den Nachrichten heißt es, es werde nicht schneien, aber das ist ja der beste Hinweis darauf, dass es eben doch schneien wird, meint Ove immer. Also sagt er es ihr. Sie antwortet nicht. Ove steckt die Hände in die Hosentaschen und nickt kurz.

»Es ist einfach nicht normal, den ganzen Tag allein durchs Haus zu wandern, und du bist nicht da. Mehr sage ich gar nicht. Das ist kein Leben.«

Sie antwortet auch darauf nicht.

Er nickt und tritt wieder in die Erde. Er kann die Leute nicht verstehen, die sagen, sie freuten sich auf die Rente. Wie kann man sich ein Leben lang darauf freuen, überflüssig zu sein? Rumzuspazieren und der Gesellschaft zur Last zu fallen, welcher Mann träumt schon davon? Nach Hause zu gehen und nur darauf zu warten, dass man sterben darf. Oder was noch übler ist: dass sie kommen und einen holen und in ein Heim bringen, weil man sich nicht mehr selbst versorgen kann. Ove kann sich nichts Schlimmeres vorstellen. Von anderen Menschen abhängig zu sein, um auf die Toilette zu gehen. Oves Frau feixt immer und sagt, er sei der Einzige, den sie kenne, der bei einer Beerdigung lieber der Mann wäre, der im Sarg liegt, als einer von denen, die mit dem Fahrdienst hingebracht werden. Und da hat sie wahrscheinlich recht.

Dieses Katzenvieh hat übrigens heute Morgen schon wieder dagesessen. Praktisch direkt vor ihrer Tür. Wenn man überhaupt von einer Katze reden will.

Ove ist um Viertel vor sechs aufgestanden. Hat für sich und seine Frau Kaffee gekocht. Hat eine Runde durchs Haus gedreht und alle Heizkörper angefasst, um zu kontrollieren, ob seine Frau sie nicht heimlich wieder höher gedreht hat. Natürlich standen sie auf derselben Einstellung wie am Vortag, aber er hat sie trotzdem ein kleines bisschen zurückgedreht. Sicherheitshalber. Dann hat er seine Jacke von dem einzigen der sechs Haken im Flur genommen, der nicht von ihren Kleidern belegt ist. Hat seine Inspektionsrunde gedreht. Hat die Kennzeichen notiert und die Garagentorgriffe kontrolliert. Es war kalt geworden, das merkte er nun. Zeit, die blaue Herbstjacke gegen die blaue Winterjacke auszutauschen.

Er weiß immer, wann der Schnee kommt, denn genau dann fängt seine Frau an, mit ihm darüber zu verhandeln, dass die Temperatur im Schlafzimmer höhergedreht werden muss. Blödsinn, konstatiert Ove. Jedes Jahr. An ihnen werden sich die Direktoren der Stromerzeuger nicht bereichern, nur weil es jetzt zufällig die Jahreszeit dafür ist. Wenn man die Temperatur nur um fünf Grad erhöht, gehen die jährlichen Kosten in die Tausende, Ove hat es ausgerechnet. Also holt er jeden Winter einen kleinen Dieselgenerator vom Dachboden herunter, den er auf einem Flohmarkt gegen das alte Grammophon getauscht hat. Und dann schließt er den Generator an eine Standheizung an, die er im Ausverkauf für 39 Kronen erstanden hat. Wenn der Generator die Standheizung erwärmt hat, läuft sie noch eine halbe Stunde lang mit der kleinen Batterie, die Ove darangeschraubt hat, und dann bekommt Oves Frau sie unters Bett, bevor sie sich schlafen legen. Auch wenn Ove sie natürlich darauf hinweist, dass sie damit trotzdem nicht verschwenderisch sein sollten. Diesel kriegt man schließlich auch nicht umsonst. Und Oves Frau tut, was sie meistens tut. Nickt und sagt, dass Ove sicher recht habe. Und dann geht sie den ganzen Winter lang durchs Haus und dreht die Heizung heimlich auf, wenn er es nicht sieht. Genau wie jedes Jahr.

Ove tritt wieder in die Erde. Er überlegt, ob er ihr von der Katze erzählen soll. Sie hat wieder dagesessen, als er von seiner Inspektionsrunde zurückgekommen ist. Ove hat sie angesehen. Die Katze hat Ove angesehen. Ove hat mit dem Finger auf sie gezeigt und sie angeschrien, sie solle verschwinden, und das so laut, dass seine Stimme wie ein wilder Plastikball zwischen den Häusern hin und her gesprungen ist. Die Katze hat Ove noch eine ganze Weile angesehen. Dann ist sie auf eine sehr umständliche Art und Weise aufgestanden. Als ob sie damit betonen wollte, dass sie sich keineswegs vom Fleck bewege, weil Ove das wünschte, sondern weil sie sowieso etwas Besseres zu tun hatte. Dann ist sie um die Ecke vom Schuppen verschwunden.

Ove beschließt, seiner Frau nichts davon zu erzählen. Er vermutet, dass sie nur böse auf ihn wäre, weil er die Katze verjagt hat. Wenn sie das Sagen hätte, dann hätten sie das Haus voller Landstreicher, mit Pelz und ohne.

Er hat den blauen Anzug an. Das weiße Hemd bis oben zugeknöpft. Sie sagt immer zu ihm, er könne den obersten Knopf offen lassen, wenn er keine Krawatte umbinden will, und jedes Mal antwortet Ove dann, dass er »doch kein verfluchter griechischer Sonnenstuhlvermieter« sei, und knöpft daraufhin den obersten Knopf zu. Er trägt seine verbeulte Armbanduhr am Handgelenk. Die, die Vater vom Großvater geerbt hat, in dem Jahr, als er neunzehn wurde, und die Ove vom Vater geerbt hat, als der Vater ein paar Tage nach Oves sechzehntem Geburtstag starb.

Oves Frau mag seinen Anzug. Sagt jedes Mal, dass er in ihm so gut aussehe. Ove selbst vertritt natürlich, wie jeder vernünftige Mensch, die Ansicht, dass nur Spinner unter der Woche einen guten Anzug tragen. Aber an diesem Morgen hat er beschlossen, eine Ausnahme zu machen. Er hat sogar seine guten schwarzen Schuhe angezogen und sie mit einer beträchtlichen Menge Schuhcreme geputzt.

Als er seine blaue Herbstjacke vom Haken im Flur nahm, warf er noch einen letzten nachdenklichen Blick auf die Kleideransammlung seiner Frau. Wunderte sich, wie ein einziger Mensch, der so klein war, so viele Wintermäntel haben konnte. »Man könnte auf die Idee kommen, dass man durch sie hindurchsteigt und in Narnia rauskommt«, hatte eine Freundin seiner Frau einmal gescherzt. Ove hatte natürlich überhaupt keine Ahnung, was sie damit meinte. Aber schrecklich viele Jacken waren es auf jeden Fall.

Als er losging, war niemand sonst im Wohngebiet wach. Er spazierte zum Parkplatz. Schloss seine Garage auf. Er besaß zwar eine Fernbedienung für das Tor, doch er verstand nicht, wofür sie gut sein sollte, denn jeder vernünftige Mensch konnte doch das Tor von Hand öffnen. Er schloss den Saab auf, ebenfalls mit dem Schlüssel. Das hat all die Jahre gut funktioniert. Also kein Grund, daran etwas zu ändern. Er setzte sich auf den Fahrersitz und drehte den Knopf am Radio eine halbe Umdrehung vor und eine halbe Umdrehung zurück. Alle Rückspiegel korrekt eingestellt. Wie er es jedes Mal tat, wenn er in sein Auto stieg. Als würde ein Vandale regelmäßig in den Wagen einbrechen und mutwillig Oves Rückspiegel und Radiosender verstellen.

Als er über den Parkplatz fuhr, traf er diese schwangere Ausländerin vom Nachbarhaus. Sie hatte die Dreijährige an der Hand. Der große blonde Trottel schlurfte nebenher. Als sie Ove sahen, winkten sie ihm alle drei fröhlich zu. Ove winkte nicht zurück. Erst wollte er anhalten und dieses Frauenzimmer darauf hinweisen, dass man in diesem Viertel keine Kinder auf dem Parkplatz herumspringen ließ, schließlich war der kein öffentlicher Spielplatz. Doch dann fand er, dass das zu viel Zeit kostete.

Stattdessen fuhr er auf den breiten Weg außerhalb seines Wohngebietes und rollte an weiteren Reihenhäusern vorbei, die alle aussahen wie seines.

Als Ove und seine Frau hierherzogen, standen hier nur sechs Häuser. Jetzt waren es Hunderte. Vorher war hier noch Wald, doch nun standen überall Häuser. Und alle auf Kredit, natürlich. So machte man es heute schließlich. Kaufte auf Pump ein, fuhr ein Elektroauto und holte einen Handwerker ins Haus, sobald man eine Glühbirne wechseln musste. Verlegte dieses Klicklaminat und betrieb elektrische Kamine und so weiter und so fort. Eine ganze Gesellschaft, die keinen Unterschied mehr zwischen einem ordentlichen Betondübel und einem Schlag ins Gesicht kannte, so sollte es heute wohl sein.

Es dauerte vierzehn Minuten, bis Ove im Blumengeschäft im Einkaufszentrum war. Er hielt sich exakt an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, auch auf der Straße, wo »50« ausgeschildert war und alle neu zugezogenen Affen mit Schlips heute »90« fuhren. In ihrem eigenen Wohngebiet stellten sie dann natürlich wie blöd Betonkübel zur Geschwindigkeitsbegrenzung und Schilder auf, auf denen »Spielstraße« geschrieben stand, aber wenn man durch das Viertel anderer Leute fuhr, nahm man es gerne nicht so genau. Das sagte Ove jedes Mal zu seiner Frau, wenn sie dort unterwegs waren. Und es werde immer schlimmer, fügte er hinzu. Für den Fall, dass sie es vielleicht die ersten Male nicht gehört hatte.

Heute war er kaum zwei Kilometer gefahren, als sich ein schwarzer Mercedes mit dem Abstand von einer Unterarmlänge hinter seinen Saab klemmte. Ove trat demonstrativ dreimal auf die Bremse. Der Mercedes blinkte ärgerlich auf. Ove schnaubte in den Rückspiegel. Als ob sich alle auf den Seitenstreifen verziehen müssten, sobald es denen beliebte, die Geschwindigkeitsbegrenzung zu überschreiten, weil sie für sie offenbar nicht galt. Ove weigerte sich, Platz zu machen. Der Mercedes antwortete wieder mit der Lichthupe. Ove fuhr langsamer. Der Mercedes hupte. Ove fuhr noch langsamer. Der Mercedes hupte lauter. Ove drosselte seine Geschwindigkeit bis auf 20 km/h. Als sie eine Kuppe passiert hatten, überholte der Mercedes mit heulendem Motor. Der Fahrer, um die vierzig, mit Krawatte und weißen Plastikkabeln in den Ohren, hielt Ove den Stinkefinger in die Scheibe. Ove antwortete mit einer Geste, die alle 59-Jährigen mit guter Kinderstube benutzten: Er tippte sich sacht mit seiner Zeigefingerspitze an die Stirn. Der Mann im Mercedes brüllte derart, dass sein Speichel innen an die Windschutzscheibe spritzte, er drückte aufs Gaspedal und war weg.

Zwei Minuten später kam Ove an eine rote Ampel. Der Mercedes stand ganz hinten in der Schlange. Ove gab ihm die Lichthupe. Er sah, wie der Mann den Kopf in den Nacken warf, so dass die weißen Kabel herumflogen. Ove nickte zufrieden.

Die Ampel schaltete auf Grün. Nichts bewegte sich. Ove hupte. Nichts. Ove schüttelte den Kopf. Bestimmt irgend so eine Frau am Steuer. Oder ein Straßenarbeiter. Oder ein Audi. Als dreißig Sekunden verstrichen waren, ohne dass sich irgendetwas tat, nahm Ove den Gang raus, öffnete die Tür und stieg bei laufendem Motor aus dem Saab. Stellte sich auf die Straße und betrachtete den Stau, die Hände in die Hüften gestemmt. Etwa so wie Superman, wenn der in einer Autoschlange stecken geblieben wäre.

Der Typ im Mercedes hupte. »Idiot«, dachte Ove bloß. Im selben Moment bewegte sich die Schlange vorwärts. Die Autos, die vor Ove standen, fuhren weiter. Der Wagen hinter ihm, ein Volkswagen, hupte. Der Fahrer winkte Ove ungeduldig zu. Ove starrte ihn wütend an. Stieg dann seelenruhig in den Saab und schloss die Tür. »Unglaublich, wie eilig es die Leute haben«, sagte er laut zu seinem Rückspiegel und fuhr los.

An der nächsten Ampel stand er wieder hinter dem Mercedes. Wieder Stau. Ove sah auf die Uhr und bog nach links ab. Das war eigentlich ein Umweg zum Einkaufszentrum, doch auf dieser Strecke waren weniger Ampeln. Nicht dass Ove geizig wäre. Aber jeder, der ein bisschen Grips im Kopf hatte, wusste, dass man weniger Benzin verbrauchte, wenn man fuhr, als wenn man stand. Und wie Oves Frau immer sagt: »Wenn es etwas gibt, das man in Oves Nachruf schreiben könnte, dann wäre das: ›Er achtete jedenfalls immer auf den Spritverbrauch.‹«

Ove erreichte das Einkaufszentrum von Westen her. Auf dem ganzen Parkplatz gab es nur zwei freie Plätze, das sah er auf einen Blick. Was all diese Menschen hier an einem Wochentag in einem Einkaufszentrum verloren hatten, begriff er natürlich nicht.

Aber heutzutage hatten die Leute offenbar nichts mehr zu tun. Oves Frau seufzt normalerweise, wenn sie einen Parkplatz wie diesen ansteuerten. Ove will nah am Eingang parken. »Als ob es ein Wettbewerb wäre, wer den besten Parkplatz bekommt«, sagt sie jedes Mal, wenn er eine Runde nach der anderen dreht und auf alle Stümper in ausländischen Wagen schimpft, die ihm im Weg stehen. Manchmal fahren sie sechs–, siebenmal im Kreis, um einen guten Platz zu ergattern, und wenn Ove am Ende aufgeben und sich mit einem Parkplatz zufriedengeben muss, der zwanzig Meter weiter entfernt ist, dann ist er für den Rest des Tages schlecht gelaunt. Seine Frau hat das nie verstanden. Aber von Prinzipien versteht sie sowieso nicht viel.

Ove wollte auch heute erst ein paar Runden drehen. Doch dann entdeckte er den Mercedes. Der kam aus südlicher Richtung. Hierher wollte er also, der Krawattenmann mit den Kopfhörern im Ohr. Ove zögerte keine Sekunde. Er trat aufs Gas und raste in die Kreuzung. Der Mercedes machte eine Vollbremsung, drückte auf die Hupe und fuhr hinterher. Und dann war der Zweikampf in vollem Gang.

Die Schilder an der Einfahrt zum Parkplatz leiteten den Verkehr nach rechts, doch gerade da sah der Mercedesfahrer wohl auch die zwei freien Plätze und versuchte, an Ove vorbei nach links abzukürzen. Ove verriss jedoch blitzschnell das Steuer und blockierte den Weg. Und so begannen die beiden Männer, sich über den Asphalt zu jagen.

Im Rückspiegel nahm Ove davon Notiz, wie ein kleiner Toyota hinter ihnen einbog, der Beschilderung folgte und gemächlich in einer großen Rechtskurve über den Parkplatz fuhr. Ove beobachtete ihn, während er in die entgegengesetzte Richtung raste, mit dem Mercedes auf den Fersen. Natürlich hätte er den einen der freien Parkplätze nehmen können, denjenigen, der näher am Eingang war, und dann so großzügig sein und dem Mercedes den anderen überlassen. Aber was für ein Sieg wäre das gewesen?

Stattdessen machte Ove vor dem ersten Parkplatz eine Vollbremsung und rührte sich dann nicht mehr vom Fleck. Der Mercedes hupte. Ove stand still. Der Mercedes hupte erneut. Der kleine Toyota kam langsam von rechts auf sie zugefahren. Der Mercedesfahrer bemerkte ihn, begriff jedoch Oves Vorhaben zu spät. Er hupte wie verrückt, versuchte sich am Saab vorbeizudrängeln, aber er hatte keine Chance. Ove hatte dem Toyota schon zugewinkt, den anderen freien Platz anzusteuern. Als der Toyota stand, parkte Ove seelenruhig in seinen Parkplatz ein.

Das Seitenfenster des Mercedes’ war so voller Speichelspritzer, dass Ove den Fahrer nicht erkennen konnte, als er vorbeifuhr. Ove stieg triumphierend wie ein römischer Gladiator aus seinem Saab. Dann sah er hinüber zum Toyota und konnte es kaum fassen.

Die Fahrertür ging auf.

»Hallo!«, rief der blonde Trottel fröhlich und kletterte vom Fahrersitz.

Ove schüttelte nur den Kopf.

»Hallo!«, sagte die schwangere Ausländerin von der anderen Wagenseite und hob die Dreijährige heraus.

Ove schaute dem Mercedes hinterher.

»Danke für den Parkplatz! Das war echt cool«, grinste der Trottel.

Ove sagte kein Wort.

»Wie heiß du?«, rief die Dreijährige auf einmal.

»Ove«, antwortete Ove.

»Ich heiß Nasanin!«, sagte sie fröhlich.

Ove nickte ihr zu.

»Ich heiße Pat –«, setzte der Trottel gerade an.

Doch Ove hatte sich bereits umgedreht und war fort.

»Danke für den Parkplatz«, rief ihm die schwangere Ausländerin hinterher.

Ove hörte an ihrer Stimme, dass sie lachte. Das gefiel ihm nicht. Er brummelte nur kurz »ja, ja«, ohne sich umzudrehen, und marschierte durch die Drehtüren ins Einkaufszentrum hinein. Bog in den ersten Gang nach links ab und sah sich mehrmals um, als könnte die Nachbarsfamilie ihn verfolgen. Aber sie gingen nach rechts und verschwanden.