Ein paar kurze Jahre - Ida Manko - E-Book

Ein paar kurze Jahre E-Book

Ida Manko

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Beschreibung

Theo ist ein französischer Student, der nach Deutschland zieht und mit welchem wir gemeinsam die verschiedenen Phasen des Lebens durchlaufen. Ava ist die Vernunft schlechthin. Das glaubt sie zumindest. Von einer jungen Liebe, über berufliche Entwicklungen hin zu besonderen Schicksalsschlägen.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Bernard

Ein paar Tage später

Weitere 2 Monate später

Ella

Ava

Cecile

Theo

Die Hochzeit

Freunde?

Erneut etwas später

Lynni

Die Zeit dazwischen….

Die Adoption

Das Zuckerfest

Der Brief

Das richtige Tun

Polyneuropathie

Das Leben

Was passieren wird…

Widmung

Prolog

In den großen Beiträgen die wir lesen, stehen Worte zur Sehnsucht, zum Verlangen und zur bittersüßen Affäre zweier Leute unter dem unaufgeforderten Ausschluss einer dritten Person. Ich lege es allerdings ab nur an die verheißungsvollen Momente zu denken, wenn es doch so viele andere wichtige Momente gibt. Ich kann Voltaire und McCartney wahrscheinlich nicht in poetischem Stil übertreffen, aber ich kann und will von all den Momenten meines Lebens berichten, die mich unbedeutend und bedeutend prägten. Ich führe ab jetzt also eine Art Tagebuch.

Weil das Schicksal oft anders kommt als man plant

und die Liebe einem dabei hilft es zu ertragen.

Bernard

03-2002

„Und wenn ich nun doch etwas vergesse? Ich bin doch noch nie auf so einer Reise gewesen. Ich habe nur im Fernseher gesehen, man packt drei Sachen in einen coolen Backpacker ein und ist bereit wochenlang durch die Gegend zu reisen, ohne Probleme und auch ohne die Notwendigkeit ein Hotel vorab zu buchen“.

„Ava, du machst dir viel zu große Gedanken, ich meine, dort leben die Menschen doch auch, wir können bestimmt alles, was wir eventuell vergessen auch dort finden. Vergiss nur nicht ein paar enganliegende Kleider einzupacken für die möglichen spontanen Begegnungen dort. Ich kenn dich doch mit deinem Schlabberlook und das obwohl du die beste Figur von uns hast“.

„Ich hab einen Schlabberlook?“

„Du hast einen so tollen Look, dass du ihn jetzt einfach möglichst klein zusammenlegen und fertig werden solltest. Von den gesagten Sachen, die möglicherweise anstößig gemeint sein könnten, kümmert dich nur der Kleidungsstil, das ist definitiv positiv zu vermerken.“

„Ich bin fertig, denke ich.“

„Na dann, auf auf, die anderen sind wahrscheinlich schon am Flughafen“.

„Welche anderen erwähnst du die ganze Zeit? Ich meine mich zu erinnern, dass wir zu zweit fliegen!“

„Na klar, aber die anderen Fluggäste. Na eben alle, die einen dann in der Warteschlange belächeln wenn man als letztes ankommt und die damit sagen wollen, ha, ich werde mich vor dir anschnallen im Flieger und ohne Probleme mein Handgepäck verstauen.“

„Ich glaube, zwei verkrampftere Backpacker als uns beide hat es noch nie gegeben“.

„Ich denke, wenn wir verkrampft wären, würden wir uns ein Hotel buchen und nicht dorthin fliegen ohne weitere Pläne vollendet zu haben. Sag nicht es ist verkrampft darüber nachzudenken, dass man theoretisch hätte etwas buchen können“.

„Sei es drum, ich denke das Taxi wartet schon eine Weile, ich will nicht mein ganzes Bargeld auf die Fahrt verschwenden.“

„Zum Flughafen bitte“, sagte Ava fröhlich und selbstbewusst, als würde ihr die Welt gehören und dennoch konnte man im Rückspiegel sehen, dass sie ein wenig nervös war und die Aufregung quasi in ihren Händen hin und her drückte.

„Wohin geht’s denn?“

„Na, zum Flughafen“, sagte sie wieder leicht irritiert.

„Ich meine, wohin die Reise geht?“.

„Ich, also wir wollen Malaysia und die Ecke bereisen“.

Ehe sie weiter sprechen konnte, klingelte ihr Handy, eine Nachricht die sie zum Lachen brachte. Unmittelbar nach dem lesen, verpasste sie ihrer Freundin einen Stoß gegen die Schulter und lachte durch das Fenster schauend noch ein paar Sekunden lang weiter.

„Ich denke dort werdet ihr gut essen können und da ich mal davon ausgehe, dass ihr auch Singapur bereist, solltet ihr unbedingt in das Szenenviertel gehen“.

„Wieso denken sie dass wir Singapur bereisen?“

„Ich zähle eins und eins zusammen. Zwei Studentinnen, wahrscheinlich zum ersten Mal auf einer weiten Reise, den Rucksack viel zu voll gepackt. Außerdem hast du gesagt Malaysia und die Ecke dort, klingt halbinformiert aber so als würdest du wissen, dass es da diesen berühmt sauberen Inselstaat gibt“, bevor ich fortfahren konnte, unterbrach sie mich.

„Ich habe so wenig gepackt wie im Leben nie zuvor. Das meiste sind Medikamente.

“ Ich musste in den Rückspiegel einen ironischen Blick schmeißen und erst danach fuhr ich fort. „Ich denke ihr werdet euch an mich erinnern, denn euch wird nach zwei Stunden der Rücken wehtun. Ich denke außerdem, dass es dort massenhaft Medikamente gibt“.

Die Freundin lachte nun auch, beide immer noch aus dem Fenster guckend.

„Ich denke, dass wir nur etwas vorsichtig sind, denn woher soll ich wissen, wo ich meine Wäsche waschen kann und wo ich einen Arzt finde oder eine Apotheke, beziehungsweiße wie die dort Englisch sprechen können. Ich bin ganz locker.“

Sie war nun schon leicht aufgebracht, denn sie wollte unbedingt cool wirken, aber die Panik in ihren Augen war groß.

„Wie lang seid ihr denn unterwegs?“

„Wir planen zwei Monate“.

„Mehr gibt die Kasse nicht her“, schmiss die Freundin nach.

„Ella!“

„Na er hat doch schon gemerkt, dass wir studieren, da liegt das doch schon recht nah, außerdem fährt er Taxi, der wird den Struggle kennen“.

Ava sah beschämt nach vorne, schon fast so, als würde sie ihrer Freundin gern den Mund zukleben oder ihn vielleicht auch zunähen, aber ich beruhigte sie mit einem Grinsen. Der Rückspiegel war quasi unser Ding, darüber verstanden wir uns gut und die Schüchternheit ließ sie sich darüber auch kontrollieren. Mich richtig umzudrehen hätte ich mich nicht gewagt, das wäre zu forsch gewesen. Oder genauer gesagt, war ich auch nicht sicher, ob das komisch käme, ob Taxifahrer sowas machen oder ob ich einfach immer gelassen auf die Straße und in den Rückspiegel schauen soll. In den meisten Serien sind die Taxifahrer immer neugierige, mit ins Gespräch involvierte, etwas verstörende, aber dennoch gemochte Männer und Frauen. Naja, schon fast am Flughafen angekommen, fragte ich, ob sie mir Bescheid geben, ob sie zu viel eingepackt haben.

„Ich denke, also… zum einen bin ich mir sicher, dass es so passen wird und zum anderen..“, „würde sie nie zugeben, dass es ihr eventuell beide Schultern gebrochen hat, wenn sie sich denn dann outen müsste als die Tussi mit zu vielen Schlabberklamotten“.

Ich mochte die Art der Freundin, sie war frech und das tat ihnen gut.

„Ich habe keine Schlabberklamotten, außerdem sage ich natürlich Bescheid danach. Ich bin mir nur ziemlich sicher, dass es meinen Schultern blendend gehen wird.“

Ich wiederrum war mir nur dabei sicher, dass die Fahrt eine der wenigen war, die mir im Kopf geblieben ist. Ich wusste natürlich auch, dass wir weder Nummern ausgetauscht haben noch große Berührungspunkte haben würden, wenn sie denn zurück kommen nach Europa und ich somit wohl auch nicht erfahren werde, ob meine Rucksacktheorie sich bestätigt hat, aber in dem Moment schien das in Ordnung zu sein für mich.

„Der war so unfassbar gutaussehend. Wie kann man nur so perfekte Locken haben?“

„Ella beruhig dich.“

„Wir haben uns doch ganz nett unterhalten, was stellst du dich jetzt so an?

„ Ich habe lediglich versucht, deine peinlichen Kommentare ungeschehen zu machen“.

„Indem du ihn so angrinst, als hättest du grad euer drittes Kind zur Welt gebracht und er dir einen Schlabberpulli schenkt?“

„Ich…, du weißt doch, dass ich einen Freund hab und du hast auch gegrinst und sogar geflirtet.“ „Ah stimmt, dein Freund. Der eine, der noch schüchterner ist als du.“

„Dessen Namen du gut kennst, weil er oft mit uns rumhängt“.

„Tut er das? Nie bemerkt. Also ich finde den Taxifahrer sehr gutaussehend. Ich denke er mochte uns. Ich mochte ihn definitiv.“ Mit einem lauten Lachen von beiden hat das Gespräch ein Ende gefunden.

So stelle ich es mir zumindest vor.

Ich stelle mir auch vor, dass die Nachricht die Ava zum Lachen gebracht hat, eine ihrer Freundin war, die etwas über mich geschrieben hat.

Die Zeit, in denen die beiden Mädels auf Reisen waren, vergingen nur sehr langsam.

Von dem Moment an, in dem ich dachte es sei in Ordnung keine Nummern auszutauschen, habe ich mich innerlich mehrfach selbst beleidigt oder um es höflich auszudrücken: Es war nicht in Ordnung.

Ich lebte aber weiter meinen gewohnten Alltag, ich schaute nur nicht mehr in den Rückspiegel, aus Angst dieser magische Moment von damals würde mir genommen werden und auf einmal hätte ich ständig solche Momente mit hübschen Frauen.

Nach circa drei Wochen jedoch habe ich es dann doch mal gewagt und definitiv keinen Filmmoment erlebt. Keine Frau mehr, die im Taxi saß, hatte diesen schüchternen und dennoch lebendigen Blick, diese dunklen Augen und so zierliche Hände, die zwar zugegebenermaßen hätten etwas Creme vertragen können, die aber dennoch zu ihr passten.

Sie war absolut durcheinander und bis dahin wusste ich nicht, dass mir sowas gefällt. Selbst nach Wochen dachte ich mir, dieses sture Mädel, sie geht mir nicht aus dem Kopf. Aber natürlich habe ich Ava ja nicht nach zwei Monaten wieder am Flughafen abgeholt und die Freundin konnte auch nicht aus unerklärlichen Gründen nicht mehr mit zurückfahren, sodass wir uns direkt verlieben könnten. Ich schweife immer wieder ab, ich bin jetzt irgendwo bei Cary Grant und Sophia Loren gelandet, im alten Hollywood. Oder vielleicht bei Audrey Hepburn und ihrem verrückten Kater.

Mein Kopfkino ist immer sehr vielfältig. Es verlief jedenfalls so, dass ich sie eine ganze Weile nicht sah und das Sprichwort ‚aus den Augen aus dem Sinn‘ sich beinahe bestätigt hat. Zumindest dachte ich nicht mehr an sie. Ich war wie gewohnt, oft nach meinen Schichten noch im Pub und ich traf andere Frauen. Als ich dann aber an einem Tag über den Campus gelaufen bin, auf der Suche nach dem richtigen Stand für Konzertkarten, welche ich nur kaufte um meinen Freund und seine Band zu unterstützen, stand sie da auf einmal an genau dem richtigen Stand. Ich war richtig perplex, klopfte ihr auf die Schulter und sie machte große Augen.

„Na war der Backpacker zu schwer?“ Sie lachte kurz auf und machte mit ihrem Kopf kleine Bewegungen, die wie ein Nicken aussahen, aber doch keins waren.

„Ich hätte definitiv weniger Medikamente einpacken können“.

„Welch ehrliche Antwort von jemanden der gebrochene Schultern verstecken würde“.

„ Es war nur eine Schulter“, fing sie an höhnisch zu erzählen während sie immerzu wegschaute in Richtung eines benachbarten Standes an dem Petitionen unterschrieben wurden. Ehe ich mich versah, strich ihr ein junger Kerl über den Rücken und stellte sich lachend zu uns.

„Hi, ich bin Bernard“.

Ich streckte meine Hand entgegen und versuchte so freundlich wie möglich mich vorzustellen. „Ich bin Theo, freut mich“.

Ich weiß nicht warum ich mich in dem Moment schuldig fühlte und mich so angestrengt habe freundlich zu wirken, schließlich habe ich nichts angestellt. Ich wusste nicht mal, wie die beiden zusammenhängen oder warum ich mich wegen ein paar Blicken von vor einigen Monaten so seltsam fühlte. Na gut, durch seine Geste konnte ich mir fairerweise schon denken wie sie zusammengehören. Ihr schien es aber ähnlich zu gehen wie mir.

„Das ist Theo und Theo ist Taxifahrer. Er brachte mich und Ella zum Flughafen als wir auf Backpackerreise gegangen sind und er hat damals ganz richtig angemerkt, dass wir zu viel Gepäck haben“.

„Du meinst die Reise, von der ihr früher als gedacht..“

„Ja, also jedenfalls es ist nett dich wieder zu sehen, holst du hier Jemanden ab?“

„Um genau zu sein, studiere ich hier. Ich fahre nur nebenbei Taxi um es mir finanzieren zu können“.

Sie schien sichtlich irritiert in dem Moment und ich hatte das Gefühl, sie kam sich irgendwie hintergangen vor, dann starrte sie wieder zum anderen Stand.

„Cool, das hab ich ja selten erlebt, dass man neben dem Studium auch Taxi fährt. Ist das nicht anstrengend mit den Nachtschichten?“ sagte Bernard, der zugegebenermaßen wie ein feiner Kerl wirkte. Ich versuchte einen Witz zu machen und tat so, als würden Studenten doch sowieso nie schlafen. Doch ihr irritierter Blick hat sich quasi versteinert.

„Ich studiere Mediendesign“, fuhr ich fort, in der Hoffnung es würde das ganze wieder auflockern. Bernard schien locker zu sein.

„Na wenn du schon hier studierst, können wir doch auch gemeinsam auf das Konzert gehen. Ella kommt auch mit, die scheinst du ja dann auch zu kennen“.

Bernard nickte kurz zum anderen Stand und nun habe ich Ella auch erst dort entdeckt.

Weshalb Ava aber ständig zu ihr starrte, verstand ich nicht.

„Bernard, er kennt uns doch gar nicht richtig..“.

„Doch, na klar, in der Band sind Freunde von mir, wir können ja alle zusammen hin, hätte sonst sowieso alleine hingemusst, da die anderen spielen“.

Ich versuchte cooler zu wirken als ich es war. Ich kam aus Frankreich nach Deutschland und studierte dort Mediendesign. Ich schien der Prototyp Student zu sein, den man mochte. Vor allem weil ich so einen schönen Akzent hatte beim Deutsch sprechen, aber anscheinend reichte es schon, dass ich mich bemühte um gemocht zu werden. Wenn ich zurückdenke, gab es so viele Situationen, in denen ich unsicher war.

In denen wahrscheinlich jeder unsicher war. Schließlich waren wir quasi erst aus der Schule in die Welt gelassen worden.

Ohne dass ich weitere Fragen stellte, verabredeten wir uns für das Konzert und dann gingen die beiden ihren Weg und ich meinen. Wenn ich mich nicht ganz täusche, kam Ava ein paar Tage nach unserem zufälligen Zusammentreffen mit immer noch irritierter Miene zu dem Konzert, zu welchem wir uns verabredet hatten.

Bernard mit seiner ruhigen und zurückhaltenden Art schien nicht aus der Ruhe zu bringen zu sein und merkte keinerlei Seltsamkeit in der Situation. Vielleicht hieß dies, dass ich mir diese Anspannung nur einbildete, oder aber nur ich angespannt war und das ganze irrational übertragen habe auf sie. Ella war auch dabei, sie grüßte mich auf genau die gleiche freche Art wie sie damals im Taxi auch gesprochen hatte.

Ich weiß, es ist seltsam dass ich mich an diese eine kurze Fahrt so gut erinnern kann.

„Warum habt ihr eure Reise abgebrochen?“,

„Was? Wie kommst du drauf, dass wir sie abgebrochen haben? Ich höre dich außerdem nicht besonders gut, die Musik ist zu laut.“

Die Musik spielte noch gar nicht, es waren lediglich Tonproben, die zugegebenermaßen nicht besonders gut klangen, aber die einen auch nicht so sehr störten. Sie fing wieder an ihre Hände nervös zu drücken und ich begann mir sicher zu sein, dass ich mir die Anspannung nicht nur vorstellte. Anderenfalls hätte sie sich nicht fast selbst die Hand quasi amputiert durch das Drücken.

„Ich dachte Bernard meinte ihr hättet die Reise abgebrochen als du ihn unterbrochen hast im Reden.“

„Das habe ich nicht gehört, bestimmt sind da verschiedene Reisen durcheinander gekommen. Ich bin letztes Jahr nach New York geflogen und früher zurück geflogen, weil es mir nicht gefallen hat.“

Sobald sie ausgesprochen hatte, dass ihr New York nicht gefallen hat und ich mir versuchte zu überlegen, ob sie der einzige Mensch auf der Welt ist, der dieser Meinung ist, sprang Ella ihr förmlich ins Gesicht mit den Worten: „Was zum Teufel nochmal erzählst du da?“

Ich wusste nicht genau, ob sie mich loswerden wollten oder ich zu weit gegangen bin mit meiner Frage, wo wir uns doch quasi kaum kannten. Vielleicht war Ella auch einfach betrunken oder ebenso wie ich sie mir auch nüchtern als gute Freundin vorstelle.

Aber ich fühlte mich unwohl bei der ganzen Sache. Nicht nur, weil ich mir eingestehen muss, dass ich nach der einen Taxifahrt ständig an Ava dachte und mir wie ein kleines Mädchen lauter Szenarien einer gemeinsamen Zukunft vorstellte (ich hätte mir Popcorn besorgen können für das Lauschen meiner eigenen Gedanken), sondern weil sie ziemlich sicher eine Abneigung gegen mich oder Gespräche mit mir hatte. Bisher dachte ich es sei ein schüchterner Flirt, aber es ist mehr ein Ausweichen. Ich war froh, dass das Konzert endlich startete und ich mich nach ein paar Liedern verziehen konnte mit der Ausrede Kopfschmerzen zu haben. Ich finde, Bernard mit seiner freundlichen Art und der aufmerksamen Geste, ob ich wegen der Kopfschmerzen Hilfe brauche, hat es eigentlich verdient, dass ich mich in ihn verliebe.

Ja, ich weiß. Verlieben. Ich kenne sie nicht und sie will mich, glaube ich, nicht kennen.

Ein paar Tage später

07-2002

„Was ein Zufall, treffen wir uns ab jetzt wohl immer zufällig auf dem Campus“, lachte Bernard und zeigte kumpelhaft mit seiner Handpistole auf mich.

Ich versuchte ihm auch mit einer coolen Geste entgegen zu kommen, aber mir fiel nicht mehr als das Surfzeichen und ein Schnipser ein. Das wirkte wie ein Surfer Boy, der gerade aber einen Anfall hat. Darum hoffte ich einfach, er würde nichts weiter sagen als wir uns kurz nach dem Konzert wieder über den Weg gelaufen sind.

„Wohin gehst du, kommst du mit uns essen?“

Bevor ich eine Antwort parat hatte, erwischte ich mich selbst dabei wie ich nickte und schon wechselte ich die Richtung und Bernard und ich liefen nun in fast synchronen Bewegungen. Er war ein etwas schlaksiger Kerl, was aber auch zu ihm passte. In etwa so groß wie ich, wobei meine Locken mich größer wirken lassen. Er war nicht der Typ Schönling, sondern vielmehr der intelligente, ruhige Mann fürs Leben. Jede Frau, die eine sichere Beziehung ohne viele Höhen und Tiefen haben wollte, wäre bei ihm genau richtig. Wie wir so liefen und ich über Bernard nachdachte, sagte er auf einmal: „Weißt du Theo, ich denke wir sind auf einer Wellenlänge. Kann ich dir etwas anvertrauen?“

Hilfe. Ich war nun inmitten einer Freundschaft mit einem Kerl, der als Partner der Unbekannten gilt in die ich wohl irgendwie verliebt war. Das einzig richtige zu antworten war, „natürlich, wenn immer du was brauchst, lass es mich wissen.“

Ich hätte eigentlich nur noch eine Hotline Nummer anhängen müssen und schon hätte es geklungen wie eine Selbsthilfehotline oder etwas pornographisches (was wiederrum ganz lustig gewesen wäre).

„Ich habe die Möglichkeit bekommen an eine super Uni zu wechseln, mit Stipendium, 500 km weit weg von hier.“

Damit hatte ich nicht gerechnet. Vor allem aber, fragte ich mich warum das ein Vertrauensgespräch zwischen zwei Männern sein sollte. Es ging um einen Universitätswechsel. Darüber redet man mit einem Professor, seinen Eltern, Ava, na eigentlich der ganzen Welt, weil es keinen interessiert. Man beteiligt sich kurz an der Freude und ist wahrscheinlich auch tatsächlich stolz oder freudig für die Person, aber im Endeffekt passiert danach nichts weltbewegendes mehr. Ich nahm also Anteil daran.

„Ich gratuliere dir, das ist eine super Leistung“, sagte ich und fühlte mich wie ein Mathelehrer, der jemanden gerade erfolgreich den Satz des Pythagoras erklärt hat.

„Ich werde Ava fragen, ob sie mitkommen möchte“.

Na, da war es. Mein Interesse, meine volle Aufmerksamkeit, meine Anteilnahme ohne den Drang eine Professur an der Universität zu beantragen um Leuten ständig für ihren Erfolg zu gratulieren. Bevor ich jedoch reagieren konnte, fuhr er fort.

„Ava, sie ist ganz besonders. Sie ist weder eifersüchtig noch anhänglich, oder in irgendeiner Art und Weise nervös. Ich habe noch nie erlebt, dass sie aufgeregt war, sie ist die Ruhe in Sich und auch meine Ruhe.“

Redete er von der gleichen sich ständig selbst widersprechenden, total seltsam reagierenden und vor Nervosität händedrückenden Person die ich kennenlernen konnte?

Die Person, die alle Medikamente Deutschlands nach Malaysia bringt? In mir machte sich ein Gefühl von Glück und Unsicherheit zur gleichen Zeit breit. In Angesicht der Tatsache, dass mir soeben klar wurde, dass sie ihn nicht liebt sowie der Tatsache, dass mir ein Fremder seine Gefühle offenbart, blieb mir keine Wahl als den Fall neu aufzurollen. Würd sie ihn lieben wäre sie mehr von dem was ich von ihr kennenlernen konnte, nur ohne das Ausweichen denke ich. Außer er hatte ihr volles Vertrauen, aber so schien es nicht, sie ist doch eigentlich wie ein hibbeliges Kind. Ich musste mich zusammenreißen, denn ich bildete mir gerade eine Meinung über Jemanden den ich zwei Mal gesehen habe und ich tat so als würde ich sie besser kennen als er. Ich spule zurück.

„Ich freue mich für dich und auch über die Entscheidung die du getroffen hast. Würde ich dich oder euch besser kennen, würde ich dich wahrscheinlich jetzt auf ein Bier einladen und das Ganze feiern. Weißt du was, ich lade dich ein.“

Ich wusste natürlich nicht, warum ich das tat und wie ich aus der Sache rauskommen sollte, aber darüber würde ich mir dann ab Morgen Gedanken machen. Wir gingen in das Pub, wo ich so oft bin, setzten uns an einen Tisch und bevor wir bestellen konnten tauchten Ava und Ella auf.

„Ich habe die beiden auch eingeladen, ich hoffe es stört dich nicht. Ich wollte Ava einweihen“, sagte Bernard.

„Einweihen in was?“ Sagte sie gespannt und ihn direkt in die Augen schauend. Ich selbst suchte auch den Augenkontakt zu ihm, denn ich konnte mir keinen schlechteren Ort oder Moment dafür vorstellen Jemanden von einer grundlegenden Lebensänderung zu erzählen. Die sind wohl alle sehr vertrauenswürdig oder geben eben gerne in der Öffentlichkeit an Fremde weiter, was bei Ihnen so passiert. Ich bin vielleicht in einer Reality Show und gleich kommt ein Moderator um die Ecke und fragt mich, ob ich Spaß verstehe. Typische Show meiner Jugend. Ich schweife wieder einmal ab und er schaut mich keine Sekunde an. Bevor ich mir also bis morgen versuchen konnte zu überlegen, was ich hier tue und was das mit den beiden ist, werde ich heute in einer Bar wahrscheinlich viel Trinken um das Geschehen um mich herum auszublenden. Ella saß einfach da, kaum interessiert und so als wäre Bernard nicht dabei ihr aller Leben ändern zu wollen.

„Du siehst schon, wo wir hier rein geraten?“ Sie schaute mich an und sagte „Wieso?“

Ich vergaß, dass nur ich wusste, worum es geht. Die beiden konnten von A bis Z durchraten und sich wahrscheinlich alles Mögliche einfallen lassen, außer dass Ava umziehen soll mit ihrem Freund. Er stand auf und klopfte mit seinem Finger gegen das Bierglas, was irgendwie dämlich war, weil dabei nichts zu hören war.

„Ava, Liebling, ich habe eine wichtige Frage an dich.“

Was dann in Sekundenschnelle geschah irritierte wahrscheinlich sogar den Barkeeper.

Ehe er weiter reden konnte, sagte sie „nein“. Vielmehr kam das Nein rauskatapultiert, mitten in seinen unvollendeten Satz. Ich machte eine Geste mit meinem Mund, die irgendwo zwischen Verdutzen, Schock, Mitleid und Freude lag und nippte dann an meinem Glas.

„Nein, zu was?“ Bernard stand immer noch in meinem Lieblingspub mit dem Glas in der Hand und seinem dämlichen Finger nach vorne gerichtet. Wahrscheinlich wird das nicht mehr mein Lieblingspub sein, wenn die Situation sich heute noch unangenehmer entwickelt und es scheint so als würde sie es.

„Ich will dich nicht heiraten“, sagte Ava.

„Ich wollte dich nicht fragen, ob du mich heiraten willst. Hast du schon mal Jemanden gesehen, der an sein Glas schlägt und sich hinstellt um zu fragen, ob jemand ihn heiraten will? Da hätte ich doch wohl gekniet oder sonst was.“

Zu ihrer Verteidigung, man konnte nicht hören, dass er an sein Glas schlägt.

„Ich habe ein Stipendium bekommen für eine Universität 500 km von hier und ich wollte wissen, ob du mit mir hinziehen willst.“

Ich wusste nicht ob er jetzt einfach rekapituliert, was er vor hatte, oder ob die Frage noch im Raum stand. Auch konnte ich nicht interpretieren, ob er schon gemerkt hat, wozu sie gerade nein gesagt hatte. In dem Moment als ich darüber nachdachte, stand Ella auf und sagte Ding-Ding, was wohl das Geräusch sein soll, wenn man mit einem Löffel an ein Glas schlägt. Ich muss schon sagen, das war tatsächlich ganz lustig und vielleicht ein guter Versuch die Situation wieder aufzulockern. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, drehte Ava sich zu mir, schaute mich an, schaute dann Bernard an und wieder mich. Ich hätte in dem Moment am liebsten Ding-Ding ausgesprochen um die Bar zu verlassen. Ganz im Stil der Gruppe eben. Er setzte sich nun auch endlich wieder.

„ Du hast direkt nein gesagt, ohne dass ich dir eine Frage gestellt habe.“

„Ich dachte es ginge ums Heiraten“, schrie sie ihm entgegen.

„Nein, das tut es nicht. Aber es geht irgendwie auch doch darum. Ich meine es wäre zusammen entscheiden, zusammen wegzuziehen.“

„In eine gemeinsame Wohnung?“ Sie machte es mit jedem Satz und jeder Frage nur noch schlimmer mitanzusehen. In Frankreich sind wir zwar impulsiv, aber solche Sachen besprechen wir nicht in einem Pub mit fremden Freunden.

„Wir sind schon eine Weile zusammen und ich habe das Gefühl dass wir gut zusammen passen.“

„Ja, das tut ihr, wenn man bedenkt, dass du einem quasi gar nicht auffällst, bist du perfekt in deiner Rolle“, sagte Ella und erwischte sich unmittelbar nach dem sie es ausgesprochen hatte dabei, dass sie es laut sagte. Ich nippte einfach weiter an meinem Bier und ein Teil von mir war froh um die Situation. Ein anderer Teil hatte ein schlechtes Gewissen wegen genau dieser Gefühle und ein dritter Teil wollte Bernard helfen mit seiner Freundin. Das war der Beginn des unmöglichen Versuchs Gefühle, die ich empfand richtig auszudrücken. Denn wie geht das überhaupt, alles von Freundschaft, Empathie, Mitleid, Trauer, Liebe bis hin zu Freude auf einmal zu fühlen?

Oder wie wir Männer normal sagen würden, nichts zu fühlen. Eine große Mischung aus vielen Nichts eben. Ganz klar.

„Ich wusste nicht, dass ich nein sagen würde.“

Ava sah ihren Noch-Freund mit großem Kummer in den Augen an.

„Willst du jetzt nicht heiraten oder willst du mich gar nicht heiraten?“

Nach diesem Satz dürfte keine lange Pause folgen. Es folgte eine Pause.

„Ich weiß es nicht.“ Fest entschlossen Bernard beizustehen und mit ihm aufzustehen und zu gehen, wagte ich es Ava kurz anzusehen. Sie sah wie auch sonst einfach toll aus.

Sie hatte zwar ein trauriges Gesicht, doch ihre Augen waren im Grunde genommen immer irgendwie fröhlich. Auf einmal sah sie mich auch an. Ich denke es sind einige Sekunden verflogen, in denen ich alles um mich herum ausgeblendet habe und nur sie wahrnahm. Diese Sekunden mussten sich für Bernard allerdings wie Stunden angefühlt haben.

„Ava, ich werde umziehen und diese Chance nutzen, die mir gegeben wird und ich hoffe du entscheidest dich dafür mitzukommen. Ich unterstütze dich und du kannst an dieser Uni alle deine bisherigen Kurse anerkennen lassen und weiter machen. Ich habe mich bereits informiert. Mehr will ich dir nicht in die Entscheidung reden. Ich wäre bereit dazu deine Unsicherheit vorerst zu akzeptieren und dir weiterhin ein guter Partner zu sein. Wir können dann sehen was die Zukunft uns bringt.“

Wow. Ich bin überwältigt von diesem Typen und seiner solch bodenständigen Art. Jeder sonst wäre doch gegangen. Jeder hätte gesagt, wenn du jetzt nicht sicher bist, wann sollst du es dann sein? Ich wäre gegangen, demonstrativ. Ich glaube er ist ein Heiliger, ein Heiliger, der verdammt klar denken kann und sie liebt. Obwohl ich gestehen muss, dass ich die ganze Zeit schon irritiert war, warum er nie den Namen der Universität erwähnt, sondern lediglich alles wichtige dazu beschreibt. War aber auch nicht wichtig in dem Moment. Nach seiner kurzen Ansprache (dieses Mal allerdings im Sitzen), verabschiedete er sich dann doch und wollte auch nicht dass ich ihn begleite. Auch Ella sagte, sie sei müde und müsse früh raus. Da es keinen Grund zum Feiern mehr gäbe, würde sie gehen. Ava allerdings saß ganz ruhig da und dachte nach, so als wären ihre Beine schwer wie blei und sie sich nicht bewegen könnte. Wenn ich jetzt einfach aufgestanden wäre, als letzter im Kreis um zu gehen wäre das für sie möglicherweise peinlich gewesen. Aber mit ihr hier zu sitzen, das erste Mal ganz allein, ist für mich irgendwie peinlich, wenn man bedenkt was gerade passiert ist. Wenn ich sie was fragen würde, würde sie wahrscheinlich ohnehin ausweichen oder kurz ausrasten. Da sie emotional aufgewühlt ist heute, könnte es ja sogar passieren, dass sie mir eine ordentliche Backpfeife verpasst. Nun denn. Nach kurzer Zeit wurde die Stille wirklich beunruhigend am Tisch.

„Willst du noch etwas trinken?“ sagte ich.

Sie schüttelte den Kopf, dann nickte sie und dann zuckte sie mit den Schultern. Ich brachte ihr einfach ein Glas Wasser, damit wären wir insofern auf der sicheren Seite, dass sie nicht denken kann ich will sie abfüllen, aber sie dennoch was zu trinken bekommt. Sie saß an dem Tisch so, wie Jemand, dem gerade erst selbst etwas bewusst geworden ist und nicht wie Jemand, der ein Herzensbrecher ist. Ich meine, wer kann schon sagen, die Person ist mies, weil sie sich ihrer Gefühle unsicher ist? Schon immer fand ich es schwierig, wenn Paare sich trennten oder in Begriff waren sich zu trennen und die meisten gemeinsamen Freunde sich dann solidarisiert haben mit der verlassenen Person. Denn wenn man einen Blick auf die Person wirft, deren Gefühle aus welchen Gründen auch immer nicht passen, sieht man, dass diese mindestens genau so verletzt ist, nur eben noch mit der Last jemanden wehgetan zu haben. Ich nehme hier natürlich alle Menschen raus, die absichtlich betrügen, lügen und ihr Ding machen. Solch ein Verhalten ist für mich inakzeptabel. Fast schon barbarisch. Denn, obwohl ich nicht gerne Schleimspuren hinterlasse beim Sprechen und mich auch nicht wie Voltaire ausdrücke, weiß ich dass Jeder einen respektvollen Umgang verdient. Nehmen wir mal die paar Jahre meines Lebens raus, in denen ich mich ausprobieren wollte.

Ich denke, die stehen jedem jungen Menschen zu. Meine doppelte Moral bezieht sich auf bestimmte Lebensphasen und somit wird die Dopplung wieder rausgenommen. Das rede ich mir ein.

„Welcher Mensch bringt einem in der Bar ein Wasser?“.

Ich war mir nicht sicher, wie ich ihr das erkläre ohne das Wort abschleppen zu verwenden.

„Ist ja auch egal, vielleicht ist es besser so“, warf sie nach bevor ich auf die erste Frage reagieren konnte.

„Ava, mach dir nicht so viele Gedanken, das wird schon wieder“.

Ich wurde mit finsterer Miene angesehen und wie so oft zuvor im Gespräch mit ihr, wusste ich nicht was mich nun erwartet. Ein Schrei, Nervosität oder gar tatsächlich die Backpfeife, die ich mir vorhin fantasievoll hab vorstellen wollen.

„Diese Floskel, alles wird gut, wem hat die im Leben schon mal was gebracht?

Natürlich wird alles gut. Ich bin ja nicht todkrank und Bernard auch nicht. Alles andere kann man beeinflussen. Aber ich habe dennoch ein Gewissen und ich würde gerne wissen, was mich manchmal reitet.“

Ich nahm einen großen Schluck von meinem Bier um mir das Lachen zu verkneifen.

Denn wenn mir auch klar ist was sie meint, klingt es doch irgendwie spaßig, das Reiten.

Ich nahm einen Schluck Bier. Es gibt immer diesen normalgroßen Schluck Bier den man nehmen kann, den keiner hört, der vielleicht ein bisschen zwickt im Hals weil man ja doch schon nervös wurde beim Trinken. Dann gibt es auch diesen großen Schluck, der sich gigantisch anfühlt und den auch meine Großmutter in Paris noch hören kann.

Dieser tut nicht nur weh, sondern führt dazu dass man einen leichten Hops macht und aussieht als ob man sich entweder gleich übergeben oder rülpsen muss. Beides wäre gerade unpassend gewesen. Es ist genauso, wie wenn man in der Bibliothek oder sonst einem ruhigen Ort sitzt an dem es unfassbar leise ist und man sich versucht zu konzentrieren, leise zu trinken, leise seine Sachen auszupacken, sich leise zu setzen und dann auf einmal alles vom Tisch fällt und man sich das Wasser beim Trinken überschüttet. Ich wurde also nervös, was sie merkte. Ich war aber auch beeindruckt über diese Nüchternheit, keinerlei Drama. Ich hätte zwar etwas mehr herzhaftes ‚hoffentlich geht es ihm gut‘ Gerede erwartet, aber so war das ganze deutlich angenehmer für mich.

Die Frage war nur, ob sie vielleicht doch eine miese Herzensbrecherin war und ich meine vorab aufgestellte Theorie revidieren muss. Ich wünschte Ella wäre hier gewesen und hätte mit ihrer frechen Zunge einfach das ausgesprochen, was in der Luft lag, wahrscheinlich war sie deswegen so schnell weg, um sich davor zu schützen hier mit reingezogen zu werden.

„Ich denke wirklich, wenn wir uns schon Freunde nennen und gemeinsam im Pub sind und ich quasi keine andere Option habe als mit dir über Bernard zu reden, sollten wir uns ein wenig kennenlernen. Also ich bin Ava, ich bin 22 Jahre alt und ich studiere Literaturgeschichte und Englisch.“

Ich fühlte mich ein wenig wie in einem Vorstellungsgespräch oder aber im Schulkreis in der 5. Klasse, nur dass ich da vermutlich nicht mal wusste was Literaturgeschichte ist.

Ich war dennoch froh darüber, dass ich die Person, in die ich mich scheinbar verliebt habe nun biographisch kennenlernen konnte.

„Nennen sie mir ihre Stärken und Schwächen“, lachte ich in mein Glas hinein. Ava schien nicht zu verstehen, worauf ich hinaus will und fing an zu überlegen. Ich hatte Angst sie würde mir wirklich gleich sagen, dass sie kollegial aber manchmal zu perfektionistisch sei. „Ich, ich bin Theo, wie du schon weißt. Ich bin ein Jahr älter als du und studiere immer noch Mediendesign. Ich weiß nicht, ob du noch Angaben brauchst.

„Immer noch?“ „Ich habe euch das schon mal gesagt, also, als wir uns am Campus das erste Mal zufällig wieder getroffen hatten, daher mein leicht ironisches immer noch.“

„Ahso. Ja. Da war ich ein wenig abgelenkt, sorry.“ Ich war schon froh und überrascht, dass sie mal drei normale Sätze mit mir gewechselt hat, auch wenn es Robotersätze waren.

„Willst du reden?“

Sie nahm ihr Glas in die Hand und schob es hin und her, über den Tisch in alle Richtungen. Man könnte meinen ich habe ihr Vodka gegeben und kein Wasser. Aber diesmal schien sich die Nervosität einfach nicht im Drücken, sondern im Schieben widerzuspiegeln.

“Ich weiß ja gar nicht so genau über was oder ob ich mit ihm mitgehen soll. Bernard ist sehr aufmerksam und ich weiß dass ich ihm sehr viel bedeute, wir sind auch schon lange zusammen. Alles, vor allem die Vernunft, spricht für diese Beziehung.

Als er mich aber vorhin so wichtig etwas fragen wollte und es auch so angekündigt hat, da blieb mir die Luft weg. Ich wünschte es wäre dieses gute Gefühl wenn die Luft wegbleibt. Aber es war ein Einengendes, so als würde man mir kein bisschen Raum zum Leben lassen. Ich war so verwundert auf meine körperliche Reaktion, dass in meinem Kopf nur noch <nein(s)> herumgeflogen sind und eine wilde Party gemacht haben. Ich weiß, ich bin nicht in einer Liebeskomödie und ich erwarte auch nicht vom Hocker zu fallen wegen eines Antrags oder Mannes, dazu bin ich viel zu sehr ich, aber ich kann es einfach nicht interpretieren.“

„Interpretieren? Du willst diesen wirklich ziemlich eindeutigen Moment vorhin auch noch interpretieren? Ich denke, du weißt genau was es heißt, aber du bist noch nicht so weit es zu akzeptieren.“

Sie schob ihr Glas ganz weit weg von sich.

„Ich weiß die Zeit und das Gespräch sehr zu schätzen, aber ich brauch Frauen, die gemeinsam interpretieren bis man irre wird und am Ende sagen, sie wüssten es nicht, es würde irgendwann ein Gefühl dafür kommen, was richtig ist und dann müde einfach einschlafen. Um genau zu sein, wäre Ella jetzt eigentlich eine Hilfe.“

In der Vorstellung eines Mannes, dem dieses Szenario geschildert wird, ist es genau die Art „Pyjamaparty der Trauer“ bei der man(n) meistens auch gerne teilnehmen würde.

Aber diesmal musste ich mir eingestehen, dass ich nicht zu dem Kreis dazugehöre und es akzeptieren sollte. „Na los, wir gehen nach Hause, ich denke du brauchst vor allem ein wenig Schlaf jetzt Ava.“

Weitere 2 Monate später

09-2002