Ein Riss in der Schöpfung - Hugo Schultz - E-Book

Ein Riss in der Schöpfung E-Book

Hugo Schultz

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Beschreibung

In seinem neuen Roman geht Hugo Schultz einer Doppelfrage nach, die sich heute kaum mehr jemand stellt: Was hat es mit diesem Riss auf sich, der sich durch die Schöpfung zieht? Und was hält diese Welt im Innersten zusammen? Auf einer Zeit- und Raumreise befragt der Autor Büchner, Goethe, Lenz, Hugo Ball und, zum Schluss, eine Nonne, eine unbekannte Heilige - seine Tante. Neugierige Novizen ebenso wie Kenner der Literaturgeschichte erfahren allerhand Unerhörtes über die großen Dichter, die für eine mehr oder minder lange Zeit in der legendären Zürcher Spiegelgasse lebten. Schultz inszeniert dialogisch atmosphärisch dichte Bilder, die sich einprägen - und die auf der eigenen Suche weiterhelfen können. Mit Nachdruck stellt er eine unserer Grundfragen: Gibt es Gott und wenn ja, warum hilft er nicht?

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Hugo Schultz

Ein Riss in der Schöpfung

oder

Was die Welt im Innersten zusammenhält

Annäherung an Goethe, Lenz, Büchner, Ball und eine Nonne

Die Personen

AUS VERGANGENER ZEIT

Johann Wolfgang Göthe: die Schreibweise Göthe wird

für den jungen Dichter benutzt, Goethe für den älteren.

Jakob Michael Reinhold Lenz, sein Freund.

Ihn hielten viele für ähnlich begabt wie Göthe.

Später, in der Weimarer Zeit, ließ ihn Goethe verbannen

und trieb ihn damit wohl in den Wahnsinn.

In Straßburg verkehrten in der „Koststube“ der Geschwister Lauth

neben diesen beiden der DichterHeinrich Leopold Wagner,

TischpräsidentChristian Gotthilf Salzmannsowie Medizinstudent

Leopold Weyland, der Göthe auf seiner Lothringen-Reise begleitete.

Göthe lernte in Sesenheim, nahe Straßburg,

die PfarrerstochterFriederike Brionkennen, er verliebte sich in sie, verließ sie aber schon bald und empfahl sie weiter an Lenz.

Gemeinsam besuchten Lenz und Göthe in Emmendingen dessen SchwesterCorneliaund ihren EhemannSchlosser.

Auf der Reise zum Gotthard wurde Göthe vonJakob Passavant

begleitet. Göthes VerlobteLili Schönemannwar da noch

in seinen Gedanken mit dabei.

In Weimar stand Goethe im Dienste vonKarl August,

dem Prinzen und späteren Großherzog. Zur Hofgesellschaft

gehörten auch dieHerzogin Anna Amalia, dieFreifrau von Stein, Goethes langjährige enge Vertraute, sowieMartin Wieland

undGottfried Herder. Auch der DichterMaximilian Klinger

kam nach Weimar, wurde aber vergrault.

Georg Forster, dem Reiseschriftsteller und Revolutionär,

stand Goethe bei der Belagerung von Mainz gegenüber.

Goethe hat im Alter junge Frauen geschätzt und bedichtet:

Sylvie von Ziegesar, mehr nochMinna Herzlieb, am meistenUlrike von Levetzow, die in diesem Buch wenig beachtet wird.

Georg Büchnerhat in seiner Erzählung „Lenz“ den Aufenthalt des kranken Dichters in Waldersbach geschildert.

Der „Genieapostel“Christoph Kaufmannhatte den kranken Lenz betreut, ihn weitervermittelt an denPfarrer Oberlin, der sich um ihn kümmerte, ihn aber ob seines desolaten Zustandes abschob.

Auf einer gefährlichen Harzreise im Winter besuchte Goethe

einen Mann namensPlessing, der Lenz ähnlich war.

Personen aus Büchners privatem Umkreis: SeineMutter und seinVater, seine SchwesterLuiseund aus deren Erzählung „Ein Dichter“ eineCharlotte Namenlos.Wilhelmine Jaeglé,

genannt Minna, Büchners Verlobte, Minnas Vater, PfarrerJohann

Jakob Jaegléund Freunde Büchners:August und Eugène Boeckel

sowieAdolphe und August Stoeberund deren VaterEhrenfried.

Politische Gesinnungsgenossen v.a. aus der Gießener Zeit:Karl Minnigerode,Friedrich Weidig,Hermann Trapp,Harro Harring.

Wilhelm und Caroline Schulzwaren in seiner letzten Zeit, in Zürich, seine besten und wohl einzigen Freunde.

Hugo BallundEmmy Henningstingelten mit „Flametti“, dem Leiter eines Varieté-Ensembles durchs Land. Ball und seine spätere Frau eröffneten in der Spiegelgasse das

„Cabaret Voltaire“; mit dabei warenTristan Tzara,Hans Arp,Marcel Janco, bald kamRichard Huelsenbeckhinzu. In Bern an

der „Freien Zeitung“ arbeitete Ball mitErnst Blochzusammen.

Susanne Schultz, OrdensnameM. Anastasia, war eine fromme,

kluge, hypersensible Nonne, die sich ein Bild von Gott gemacht hat, das von dem der Kirche abwich. Sie wurde, obwohl bei klarem

Verstand, ins Irrenhaus geschickt und in Grafeneck vergast.

AUS NEUESTER ZEIT

RainerundElvirasind ein Paar, auch wenn beide mit anderen Partnern verheiratet sind: Rainer lebt mit seiner FrauMartinain der Zürcher Spiegelgasse, Elvira mit ihrem Mann in Stuttgart. Mit im Bunde istJulie, eine junge Französin aus dem Elsass, die gut deutsch spricht. Sie ist Assistentin an einer Straßburger Hochschule für Design. Ihr Interesse für Büchner bringt sie Rainer näher, Intimitäten versucht sie jedoch auszuklammern. Auchder Autorbringt sich mit ins Spiel, mischt sich in die Gespräche seiner Protagonisten ein, versucht aber trotz seines Umgangs mit diesen fiktiven Gestalten nahe an der Wirklichkeit zu bleiben.

Vorweg

Es ist das alte Lied: Wer gegen den Strom schwimmt, dem gehen schließlich die Kräfte aus, er wird untergehen, es sei denn er kehrt um. Gegen den Strom schwammen der junge Göthe, Jakob Lenz, Georg Büchner und Hugo Ball. Sie kämpften an gegen eine konservativ ausgerichtete öffentliche Meinung und gegen die Macht der Adelsgesellschaft. Nur einer, Goethe, akzeptierte schließlich das traditionelle Herrschaftssystem, die andern waren Ausgestoßene, Verfolgte. Sie starben früh.

Die vier Dichter, die für eine mehr oder minder lange Zeit in der Zürcher Spiegelgasse wohnten, haben geahnt, wohin der Strom, gegen den sie ankämpften, führen würde, ebenfalls in den Untergang. Büchner sagt es in einem metaphorischen Bild: Ein Riß geht durch die Schöpfung von oben bis unten. In seinen Werken, am eindringlichsten in Dantons Tod, stellt er dar, wie dieser Riss sich zu einer Kluft ausweitet, in die der Gang der Geschichte die Menschen unausweichlich hineinstößt. Die Dichter haben sich diesem Schicksal nicht widerspruchslos ausgeliefert. Recht zuversichtlich zeigt sich der junge Goethe, der seinen Faust danach fragen lässt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Ob dieser Zusammenhalt im Untergrund besteht oder ob der Riss in der Schöpfung, diese Kluft in der Welt, zu überbrücken, aufzufüllen oder zu umgehen ist, auch dazu werden in diesem Buch die Dichter befragt. In die Beantwortung dieser Fragen, die alle Menschen in existenzieller Weise betreffen, wird eine Nonne, die Tante des Autors, einbezogen. Die Antworten, die sie gefunden hat, brachten sie um ihre reale Existenz. Sie wurde von den Nazis vergast.

Die angedeuteten Fragen werden aber nicht in der Form einer philosophisch-theologischen Abhandlung erörtert, sondern in einem Roman, in dem Menschen aus unserer Zeit in kontrovers geführten Gesprächen Leben und Werke der Dichter nach sinnstiftenden Antworten durchsuchen.

Das Buch hebt heraus und führt weiter, was in der Spiegelgasse-Trilogie schon angelegt ist, in: Goethes Mord, Bruder Lenz und Ein Büchnerspiel. Einige Textteile sind unverändert dieser Trilogie entnommen. Der Großteil ist neu oder neu gestaltet.

Die Einzelnen und was sie eint

Sie sei im Winter mal auf den Bastberg gestiegen, bemerkte Julie wie nebenbei. Ein äußerst kalter Tag sei es gewesen, obwohl es geschneit habe; sehr groß die Flocken, in ihrer kristallinen Beschaffenheit klar, transparent. Göthe hat damals, als auch er oben war, nur die Verzauberung der Welt, kaum den Zauber der Kristalle gesehen. Vielleicht hat er auch nur gefroren. Rainer, der neben ihr durch die Spiegelgasse ging, sagte: „Mit dem Schnee will er als Dichterfürst später nichts zu tun haben. Das sei erlogene Reinheit, meint er. Dabei sind Schneeflocken schön, finde ich, auch wenn man sie als geometrische Konstrukte sieht. Ihr Weiß ist rein, gerade wenn man es nicht mit seinen Vorstellungen belädt oder belastet oder gar beschmutzt. Und wenn sie sich auflösen? Eher, wenn wir uns auflösen? Dann heißt es: Schlafe ein. Dann bleibt nichts mehr von ihrer, von unserer äußeren Gestalt, von unserer inneren schon gar nichts. Auch das ist besser als all das, was man den Toten aufgeladen hat: Fege- und Höllenfeuer, Schuldzuweisungen über den Tod hinaus. Und was man im Leben hat in Kauf nehmen müssen, was einem das Leben an Last auferlegt hat, es ist abgeworfen, vergessen. Die Ruhe, von der man im Leben nur in kleinsten Teilen etwas fand, hat sich zur Ewigkeit ausgeweitet.“

„Schwester Anastasia, die Nonne, hat das anders gesehen“, sagte ich. „Niedergeschrieben hat sie: Unter all den Schneeflocken hat jede eine andereGestalt. Wenn das schon für tote Materie gilt, dann doch auch für uns: Wir sind Unikate. Wir sind da, auch wenn wir zertreten, verschmutzt werden. Gott sieht alle. Aber er lenkt sie nicht. Sie fallen wie sie müssen. Sie lösen sich zwar auf, aber ihre Gestalt war da, und so wie sie da war sonst nirgendwo auf der Erde, und sie bleibt als immaterielle Gestalt weiter bestehen, da wo der Geist die Materie beerbt, bei Gott. So sah es diese Nonne, die meine Tante war.“

Wir gingen durch die Spiegelgasse. Es schneite, die Flocken fielen dicht, bedeckten den Boden. Oberhalb des Leuenplatzes blieben wir vor der Fassade eines sechsgeschossigen Hauses stehen. Wir sahen einzelne Passanten, alle gingen in Richtung Kunsthalle, Theater, Universität, vielleicht waren es Leute, die man für wichtig hält, vielleicht arme Schlucker. Ihretwegen waren wir nicht hierhergekommen.

„In dem Haus vor uns wohnte Büchner, und hier starb er,“ sagte ich. „Es war Winter und es war kalt. Er und andere, die früher mal durch diese Gasse gekommen waren, waren Vertriebene, auf der Flucht: Lenz, von Goethe verbannt, Lenin verfolgt, Ball auf der Flucht. Hier fanden sie Zuflucht. Aber so fein wie Schneeflocken waren sie nicht, ohnmächtig auch nicht, zumindest Lenin nicht, er hat die reale Welt bewegt, Ball nicht nur die literarische. Mit Lenz und Büchner war es früh schon vorbei. Ihnen hatte man, was die Qualität der Wirkung angeht, Besseres zugetraut als Goethe. Der war auch für eine kurze Zeit hier in dieser Gasse, aber er lebte länger als die anderen. Er wird heute mehr geschätzt als sie. Sie alle hatten versucht herauszufinden, was die Welt zusammenhält oder sie hatten sich darum bemüht beieinanderzuhalten, was auseinanderzufallen droht.“

„Fest steht, auch wir lösen uns auf, aber wir sind keine Schneeflocken“, sagte Julie. „Wir kommen allein auf eine fremde Welt, allein gehen wir aus ihr hinaus. Und immer, solange wir auf ihr verweilen, bleiben wir vor allem bei uns selbst. Wir sind Individuen, wir sind nicht die, aber wir sind eine Welt.“

„Göthes Faust fragt, was die Welt im Innersten zusammenhält, und er weiß, er wird es nicht ergründen können“, begann Rainer. „Heute kennen wir die Naturgesetze und glauben zu wissen, welche physikalischen Vorgänge die materielle Welt steuern. Den jungen Göthe interessierte die pure Materie noch wenig. Er war der große Individualist. Er machte seine subjektiven Gefühle zum Maßstab für alles. So hat er viel dazu beigetragen, dass die Menschen – zumal in Deutschland – deutlicher sich ihrer selbst bewusst wurden.

Bei all den Beeinträchtigungen, denen wir auf dieser steinigen Welt ausgesetzt sind, eines stand für den jungen Göthe fest, und das demonstrierte er wie damals kein anderer in Deutschland: Die Gedanken sind frei! Sie dürfen nicht von außen kanalisiert, nicht gesteuert werden. Sie brauchen freien Raum, freie Zeit. So kann nicht nur er, so kann der Mensch zu sich selbst kommen.“

Rainer blieb stehen. Er sah in die Flocken. Dann wandte er sich zu Julie um: „Das Individuum, das das Licht der Welt erblickt, ist zunächst einmal, das liegt in der Natur der Sache, auf sich gestellt. Das ist ein Hinweis auf das Verborgensein der Herkunft oder auf die Absicht des Schöpfers. Es bringt eine Empfindungswelt mit, aber sie hat nichts mit der Welt da draußen zu tun, in die es hineingeworfen ist. Da ist ein Missverhältnis, das das Ich in seinem Allmachtswahn zunächst gar nicht bemerkt. Es meint, die Welt draußen sei so geartet wie es selbst, sie gehöre ihm oder zu ihm. Da haben wir gleich zu Beginn unserer Existenz einen Riss, eine Kluft.“

Sie gingen weiter. Julie führte den Gedanken fort: „Als Babys kennen wir nur uns selbst und die Mutter, die ein Teil von uns ist. Wir sind von Beginn an Egos, Individuen. Später werden wir auf verschiedene Arten domestiziert. Wie das vor sich geht, das haben Pädagogen ausführlich beschrieben. Was uns interessiert: Es bleibt etwas von diesem egoistischen Kern immer in uns erhalten, und das ist gut so. Es bleibt auch etwas von dieser kindlichen Ausschließlichkeit in uns zurück, die sich in einem Größenwahn ausdrücken kann. Wir halten uns für ein Nonplusultra, wir sind alles, wir sind die Welt. Jeder Mensch ist in seiner Welt naturgemäß auch der Größte. Wir sind alle davon überzeugt, dass wir der Mittelpunkt der Welt sein sollten, dass wir weit mehr beachtet sein sollten, als wir es wirklich sind. Wir fühlen uns permanent zurückgesetzt, wenn dieser unser Anspruch sich in der Realität nicht oder nur zu kleinsten Teilen bestätigt, wenn wir nur kleine Würstchen sind. Auch wenn uns vieles ausgetrieben, auch ausgeprügelt wird, bleibt dennoch ein Rest. Wir wissen immer, und diese Wahrheit bleibt in uns hängen: Wir sind das, was wir sein müssen, eine eigene Welt, die mit uns entsteht und mit uns zugrunde geht. Das Selbstgefühl ist ein Tatbestand, es ist in allem da, was lebt. Es ist der Grundstoff des Lebens, seine Ursubstanz. Dieses existentielle Gefühl setzt sich bei Göthe viel stärker durch als bei anderen, und das gefällt mir, denn es zeigt sich, dass das Individuum es aus sich selbst heraus weit bringen kann, auch hoch hinauf! Zudem auch weit zu anderen hinüber.“

Woher komme ich, wer bin ich, wohin gehe ich?

Verdankt das Universum dem Zufall oder einer Ordnungskraft seine Entstehung? Diese Frage können wir uns stellen, seit wir ein Bewusstsein haben. Eine Antwort ist kaum zu finden. Und wenn es um den Menschen geht? Da lauten die Fragen: Woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir?

Ich füge hier einen Diskurs ein, in dem sich ein Dozent, ein Student und eine Nonne mit dieser Frage kontrovers auseinandersetzen.

In einem längeren Monolog meldet sich der Dozent zu Wort: „Die Welt existiert – das ist unbestritten. Aber sie lebt erst als Abbild in einem lebendigen Ich. Was wäre das auch, eine Welt, die niemals wahrgenommen wurde, auch nie wahrgenommen werden wird? Gas, Feuer, Gestein, Eis, in Bewegung, dennoch tot, zwar da, ein Etwas, aber eines, das ans Nichts grenzt.

Insofern ist das Ich die Seele der Welt. Die Welt, das Universum ist von ihm, wenn auch nicht erschaffen, so doch zum Leben erweckt. Auf den Einzelnen spezifiziert, heißt das: Ist er nicht mehr, dann ist auch seine Welt nicht mehr. Die Welt lebt in den Augenblicken, da Individuen leben. Die Welt erwacht erst durch uns zum Leben – und eine Welt, bestehend nur aus unbeseelter Materie, wäre auch Gott gleichgültig, da bin ich mir sicher.

Menschen nehmen das sie Umgebende wahr, benennen es, lassen es so in einer anderen Sphäre erst erstehen, heben es zum Leben empor und geben es Gott, von dem es herkommt, in veränderter, in belebter Form zurück.

Doch schon vor den Menschen begann unsere Welt aus ihrem Todesschlaf zu erwachen. Was andere Lebewesen wahrnahmen, wurde zu einer Funktion in ihrem Inneren, in ihrem Ich. Ichbewusstsein kann man das noch nicht nennen.“

Schwester Anastasia setzte sich triumphierend auf: „Zumindest darin bleiben wir uns einig: Das Ich ist die Seele der Welt! Die Schöpfung erwacht aus ihrem Todesschlaf, sie wird lebendig. Ich denke, sie wird zu dem, was sie werden sollte. Gott hat nämlich seine Welt so angelegt, dass es so weit mit ihr kommen musste, wie es gekommen ist. Und er hat uns die Seele eingehaucht.“

„Wir reden von einem Ich“, sagte der Dozent weiter. „Was ist dieses Ich? Psychologen haben dazu zahllose Bücher geschrieben, aber die erklären immer nur Teilaspekte. Ich möchte sagen: Das Ich ist das, was uns immer eigen ist. Es ist das Einzige, was uns bleibt, vielleicht über den Tod hinaus. Alles kann von uns weggenommen werden, die Gliedmaßen, der Verstand, das Bewusstsein. Das, worauf bei uns bis dahin alles zusammenlief, es ist immer noch da. Unser Ich ist das blanke Skelett, das, was die Natur uns mitgegeben hat. Es ist schon in dem da, was Herr Zahn das ,Samen-Ich‘ nennt, alles andere ist darum herum gehängt und fällt auch wieder ab.“

„Der Kleiderständer Gottes“, sagte Schwester Anastasia. „Auf ihm hat er später aufgehängt, was uns ausmacht, unser Bewusstsein, unsere Seele.“

Herr Zahn, ein Student, meldete sich zu Wort: „Ehe Sie das biologische Ich kleinzureden versuchen, will ich eine Lanze dafür brechen: Gerade weil es klein ist, hat es die Chance zu wachsen, und gerade in seiner Vielzahl ist es alles andere als ein Nichts: Die Individuen trugen die Evolution weiter, sie machten uns zu dem, was wir sind. Zwar traten sie massenhaft auf und wurden ebenso massenhaft vernichtet – das sagt aber nicht, dass sie nichts wert sind, sondern nur, dass die Natur einen Riesenaufwand betreibt, um wenigstens einigen von ihnen den Fortbestand zu ermöglichen. Wir sind auf einem Schlachtfeld: Es müssen ungeheuere Opfer gebracht werden, um ein großes Ziel durchzusetzen.

Die lebendige Welt besteht immer nur in Form von vergänglichen Einzelwesen, die zwar etwas sind und schaffen und auch weitergeben, aber selbst vergehen. Da ist eine Walze aus Körpern, die im Innern ständig neu entsteht und außen abstirbt. Leichen bleiben auf ihrem Weg zurück.“

Der Dozent knüpfte an diese Gedanken an: „Herr Zahn argumentiert auf Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die unsere Herkunft bereits sehr genau beschreiben und die nicht zu bestreiten sind. Wir Christen fragen uns freilich: Hat Gott einen solch verwirrenden Weg gewählt, um uns auf die Erde zu befördern? Die Bibel macht es sich da einfach, indem sie eine Genealogie unserer Vorväter auflistet. Schwester Anastasia ist der Ansicht, dass Gott uns unser Menschsein, nennen wir es Seele, erst im Mutterleibe mitgegeben hat. Fragen wir aber auch unseren Advocatus Diaboli, wie er die Ich-Werdung sieht.“

Dieser hob an: „Ich wiederhole: Dass gerade wir, vorbei an Trillionen von Abgründen, ans Tageslicht befördert wurden, war mehr als nur unwahrscheinlich, es war nahezu unmöglich. Und wenn Gott so verschwenderisch mit Ichs, mit Individuen umgeht, wie uns das die Natur vor Augen führt, dann müssen doch auch Sie eher annehmen, dass es ihm völlig gleichgültig ist, ob wir es sind oder andere, die da das Licht der Welt erblicken. Wir als Person mit unserem Ichbewusstsein und unserer Seele existierten für ihn nicht. ,Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘, das würde dieser seiner Einstellung entsprechen. Der Nächste ist wie du, ob er oder du, das läuft auf das Gleiche hinaus.“

Schwester Anastasia entgegnete: „Wie gesagt, ich gehe – anders als Sie – davon aus, dass Gott uns erst im Mutterleib eine Seele eingehaucht hat. Dass für mich damit Seele und Körper zwar verbunden, aber nicht dasselbe sind, das versteht sich von selbst.

Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass das Ich, wie Sie es nennen, die eigentliche Substanz dieser unserer irdischen Welt ist. Wäre das nicht der Fall, dann wäre sie ein zufälliges Produkt materieller Vorgänge, ein Akzidens. Dann wäre auch das Universum ein Zufallsprodukt. All die chemischen, physikalischen und biologischen Phänomene wären also in ihren Ordnungen und Zusammenhängen Zufälle. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie hätten eintreten können, läge im Bereich der Unmöglichkeit.Aber es gibt sie, unsere Welt. Gott hat sie konzipiert, und er hat vorgesehen, dass in ihr Wesen existieren, die sie beachten. Er hat uns die Seele eingehaucht.“

Zahn insistierte: „Und wie wollen Sie die vielen Ichs nun zusammenbringen?“

„Was sie zusammenbindet, möchte ich das Ich-Prinzip nennen, ich finde kein besseres Wort“, sagte die Nonne.

Der Dozent entgegnete: „Ich-Prinzip, ein schreckliches Wort, das die Individuen vereinigt, indem es sie zu einem Brei zusammenrührt oder in einer wässerigen Tinktur auflöst. Für alle wichtigen Begriffe stehen solche Tinkturen bereit, man erkennt sie an Suffixen wie -mus oder -heit. Meine These, die wohl nicht bei allen Zustimmung finden wird: Die Menschheit als Ganzes zählt für Gott nicht viel. Äpfel kann man zusammenzählen, dann zählt der eine nicht mehr als der andere. Das wird auch bei Soldaten besonders deutlich, die man nur in ihrer Funktion sieht. Wir müssen oft vereinfachen, wir sind Menschen. Gott, der Allwissende, hat das nicht nötig. Wenn er sich den Menschen zuwenden will, dann nicht der abstrakten Menschheit, sondern jedem Einzelnen.

Das Ich ist die Seele der Welt. Heißt das nicht auch: Die Welt und ihre Seele ist in jedem einzelnen Ich vorhanden? Zumindest ist jedes Ich eine eigene Welt. Und genau darauf hat Gott sein Augenmerk gerichtet. Diese einzelnen Welten sind verschieden und oft neu – auch für ihn.“

Ich versuchte zu einem Ergebnis zu kommen: „Bisher haben wir uns vor allem mit uns und unserem Ich beschäftigt und haben nicht unbescheiden festgestellt, dass es die Seele der Welt ist: Da haben wir schon eine erste Antwort auf die Frage, ob etwas die Welt im Innersten zusammenhält.“

Elvira war damit nicht einverstanden, sie rief mir zu: „Genug von Theologie und von Nonnen! Wir wollen nicht im Kloster enden. Uns steht der junge Göthe näher. Der ist auf der Flucht vor pietistischer Frömmigkeit, für den fängt das Leben erst an. Anders als bei dir, Alter.“

Göthe kommt nach Straßburg

Der junge Göthe: Der Dichter bricht aus; er entdeckt seine persönliche, individuelle Eigenart und streicht sie heraus. Göthe hat den Individualismus nicht etwa entdeckt, Menschen sind schon seit Langem sich ihrer selbst bewusst. So etwa Seneca, der vindica te tibi fordert. Aber Göthe fordert die Selbständigkeit nicht nur, er lebt sie und er setzt sie wie bisher niemand in Dichtung um. Die Frage: Sieht er den Weg, der in eine bessere Zukunft führt, und findet er einen Sinn in dem Treiben hier auf dieser Erde? Göthe ist stark.Man traut es ihm zu, dass er dazu beitragen kann, die Menschenwelt zusammenzuhalten.

Göthe ist in Straßburg angekommen. Jetzt taucht das neue Leben aus versteinerter, eingefrorener Tradition auf. Man denkt an den Osterspaziergang, den er erst später, in Frankfurt, schreiben wird. Von seiner Krankheit, einer Tuberkulose, hat er sich gerade erst erholt, das helle Leben umgibt ihn wieder, steht ihm von Neuem offen. Losgeworden ist er auch die ständige Präsenz des strengen Vaters, der einschränkte, wo er sich entfalten wollte, antrieb, wo er Ruhe brauchte. Die Schwester, die sich an ihn klammerte und er sich an sie, die Mutter, deren Liebe ihn tröstete, aber auch beengte, hat er hinter sich gelassen, auch Frankfurt, die Heimatstadt, seine durch Gewohnheit abgenutzte, stumpf gewordene Umgebung.

Göthe braucht Raum. Er hat ihn jetzt und kann ihn nutzen. Straßburg ist damals größer als Frankfurt, nicht so provinziell, hier leben in großer Zahl Franzosen aus dem Stammland, Menschen aus vielen anderen Ländern. Die Stadt belebt ihn. Die Universität hat einen guten Namen. Hier sind Menschen, die alle Erwartungen zu übertreffen scheinen. Er lernt Herder kennen. Eine literarische Gesellschaft hat sich um Salzmann gruppiert. Göthe ist gebildet und reich. Mehr noch, nach einer Wartezeit, hungrig, mit all der Gier der jungen Jahre jetzt bald auch wieder Liebe.

Was wir heute in Straßburg noch besichtigen können, sind die Orte, die Gebäude, wo er sich aufgehalten hat. Da ist etwa das Haus, in dem er täglich seine Freunde traf, in der Koststube der Jungfern Lauth. In schmutzigem Mattbraun, von Rissen durchzogen der Verputz, unten breit und geduckt die Sandsteinbogen, immer noch, nur einige Fenster oben sind zugemauert. Im schmalen, teils überbauten Schiffergässchen war von der Fassade damals nur wenig zu sehen. Man hat es zur breiten Rue de la Division Leclerc ausgeweitet; hier ist heute die Hauptfassade, ich gehe an ihr entlang. Wenige Schritte weiter stand man damals schon vor dem Haus, in dem ein halbes Jahrhundert später Büchner wohnen sollte, in dem er versuchen würde, einen Abschnitt von Lenz’ Leben schreibend erstehen zu lassen und etwas von sich selbst in ihm zu finden.

Man könnte sagen: In diesem Haus nahm sie ihren Anfang, die Bewegung, die man später Sturm und Drang nannte und die den erstarrten Geist der Zeit in neue Bahnen lenkte. Sicher, der Anstoß kam auch von außen. Herder hat seine Gedanken Goethe mitgeteilt, auch viel von dem berichtet, was Hamann in seinem Kopfe zusammengebraut hatte; doch die Umsetzung des Denkens in Gestalten und Bilder begann hier.

Da saßen Studenten beisammen, vorne der Tischpräsident Salzmann. Mit dabei der Mediziner Weyland aus Buchsweiler. Er wollte seine Verwandten dort besuchen. Göthe überredete ihn, weiter, hinüber nach Lothringen zu reiten. Später behauptete Goethe, die Reise habe sie nach Sesenheim geführt. Das trifft nicht zu. Weyland hatte zwar von Friederike erzählt. Aber man hatte nicht vor, sie zu besuchen.

Das Münster, das damals höchste Gebäude des Abendlandes, ist eine Herausforderung für Göthe. Er besteigt den Turm. Er stellt das Schicksal auf die Probe, bietet dem Tod die Stirn. Später, im Werther, in den Wahlverwandtschaften, obsiegt der Tod. Vor den Misshelligkeiten der Liebe ist das für seine Protagonisten der letzte Ausweg. Jetzt blickt er mutig nach unten, überwindet seinen Schwindel, findet Freude daran, ferne Dächer zu sehen, er meint jetzt frei zu sein, fliegen zu können, vielleicht zu den blauen Bergen weit dahinten.

„Nein, dahin wird er reiten.“

Elvira beugte sich nach vorn: „Schau da unten, da zappeln die Menschen, huschen, wuseln durcheinander. Warum? Weil sie nicht in sich selbst eingesperrt sein wollen, am allerwenigsten in Krankheit und Tod. Sie fürchten nichts mehr als das.“

Rainer stand ein Stück hinter ihr: „Da sind wir wieder bei dem alten Dilemma, dem Bruch, dem Riss, der uns zweiteilt: Wir stecken nun mal in unserem Körper drin, sind seine Gefangenen. Unser Geist möchte fliegen, der Körper kann das nicht. Schön, wenn wir noch jung sind: Unser Geist eilt selbstverständlich voraus, unser Körper folgt ihm noch im Vertrauen darauf, sich selbst zu übertreffen, ihn einzuholen. Er meint die Glückserwartungen einlösen zu können: Göthe entdeckt in sich auch hier oben eine unerschöpfliche Schatzkammer des Glücks; sie verströmt sich immer wieder und füllt sich neu auf. Daher die Galoppade bei seinem späteren Ritt nach Sesenheim.“

Göthes Ritt nach Lothringen

Kaum in Straßburg angekommen, tritt Göthe eine Reise an. Er weiß nicht, warum, er spürt nur, dass er etwas suchen muss, was er noch nicht gefunden hat, nicht einmal hier in Straßburg. Diese Reise hat kein bestimmtes Ziel und führt nicht, wie Goethe später behauptet, nach Sesenheim. Es ist eine Reise, auf der viele Wege offen stehen – insofern gleicht sie einem Spiel. Die Reise, die Goethe später in Dichtung und Wahrheit ausführlich beschreibt, hat mit der realen Reise wenig zu tun. Was Göthe uns von ihr hinterlässt, sind nur ein Brief und ein Gedicht.

Zabern und Pfalzburg

Nicht reitend, sondern mit dem Auto folgten die Drei Göthes Weg. In Zabern besichtigten sie den Schlosspark. Göthe dürfte sich hier nicht wohlgefühlt haben; dieser Park repräsentierte die starre Ordnung, aus der er gerade auszubrechen bestrebt war. Beim Rohan-Schloss dachte man freilich noch nicht an die Halsbandaffaire, die später den Hochadel in Misskredit brachte. Göthe wählte den Weg weiter nach Westen, nach Pfalzburg. In dieser Festungsstadt hielt er sich nur kurz auf, ritt wieder zurück nach Zabern.

Julie brachte der Ort auf ganz andere Gedanken: „Die Gelegenheit ist günstig. Geben wir ihm einen Tritt! Nicht umkehren soll er, sondern vorwärtsreiten! Im Westen, über dem Gebirgssattel führt die Straße unmittelbar nach Paris, da findet er keine Landpomeranzen wie diese Friederike, mit Laub-, um nicht zu sagen Stallgeruch behaftet, sondern elegante Frauen, von Pomeranzenduft umweht ...“

Elvira erhob Einspruch: „Lassen wir doch diese sinnliche Sphäre eine Weile zurückstehen. Dort hätte er Leute kennengelernt, die den Schwerpunkt seiner Aufmerksamkeit vom Bauch zum Kopf hin hätten verlagern können. Dort lebten Diderot, Rousseau, Voltaire und auch dieser Holbach, den er leider verachtete, in dessen Salon aber viele Aufklärer zu Hause waren.Die Vernunft bringt die Wahrheit ans Licht war ihre Devise.“

Rainer stellte seine eigenen Überlegungen an: „Während man in Deutschland das Wort Wahrheit kaum noch in den Mund zu nehmen wagt, sehen es hier zumindest einige anders: Die Wahrheit ist nicht nur relativ, sie hat immer auch ihre objektive Seite. Wenn man sie nur als relativ ansieht, dann deshalb, weil man nur kleine Teilwahrheiten sieht. Man kann die Einzelwahrnehmungen nicht zusammenfügen. Es ist, als säße man auf einem Karussell. Die Welt scheint zu huschen, manchmal sich zu drehen, dabei steht sie fest. Man sollte sich selbst nicht zu wichtig nehmen, dann kann man der Wahrheit doch recht nahekommen.“

Elvira lächelte: „Gut gemeint, was du dem jungen Mann und damit auch seinen deutschen Landsleuten da nahelegst. Sicher ist es auch die Bindekraft des Verstandes, die die menschliche Welt zusammenhält; aber ohne die Gefühlstiefe von Menschen wie Göthe würde sie zerbröseln.“

Oben in Pfalzburg, wo Vauban die befestigte Stadt erbauen ließ, kehrten sie um.

In Buchsweiler erinnerte Rainer daran, dass Weyland, der Reisegenosse Göthes, von dort herstammte: „Hier lebten seine Verwandten, die sie selbstverständlich besuchten. Sie durchstreiften sicher die engen Gassen, bewunderten das Schloss, das heute nicht mehr besteht. Der ältere Goethe schildert das ausführlich, aber wir können sicher sein, dass es mit dem, was der junge Göthe hier wirklich sah und erlebte, so gut wie nichts zu tun hat. Immerhin erfahren wir, dass Göthe auf den Bastberg wanderte. Wenn wir ihm dahin folgen, sind wir auf die Begleitung des älteren Herrn nicht mehr angewiesen. Wir können unseren eigenen Vorstellungen folgen.“

Der Bastberg

Der Bastberg ist eine wichtige Station auf seiner Reise. Er erlebt sich hier schon als Zauberer, als einer, der sich ausdehnt und sich das einverleibt, was er sieht. Findet er auf diesem Hügel nicht nur sich selbst, sondern auch etwas von der Welt, und auch etwas von dem, was sie zusammenhält?

Für Elvira reichte die Aussicht nicht so weit. Aber immerhin sind da das Vorgebirgsland, im Hintergrund das bewaldete Vogesenmassiv, an den Hängen im Spaltenbereich der Kastanienwald, die linearen und von einer parallel zum Waldrand verlaufenden Straße durchquerten Dörfer, auf den Hängen um die Dörfer Obstgärten und manchmal auch einige Reihen Rebstöcke, im Vordergrund Wiesen und Felder.

„Vom Bastberg aus sieht Göthe weite Flächen, Felder, es gibt unglaublich viel zu entdecken, zu erschließen, die Welt ist eine einzige riesengroße Herausforderung, aber auch eine große Hoffnung.“

Rainer, mit großer Geste: „Das weite Land da unten, schaut euch an! Göthes Augen durchforschen die unendlichen Flächen des Elsass, die sich in immer mehr abduftenden Landschaftsgründen dem Gesicht entziehen.“

Elvira wandte sich zu Rainer um: „Sprechen wir von der Landschaft oder vom Leben?“

Für Julie stellte sich die Frage nicht. „Göthe ist selbstbewusst, er weiß um sich, um seinen Wert und bleibt dennoch nicht bei sich selbst stehen, es drängt ihn nach draußen, er sucht Verbindung, Bestätigung. Wie kann er sich in der Landschaft zu Hause fühlen? Wie kann er Entsprechungen zu seinen Liebes- und Freiheitsgefühlen draußen vorgeprägt finden? Es zeichnet sich hier schon ab: Es kann eine Balance entstehen zwischen dem, was in ihm ist, und dem, was er da draußen vor sich sieht. Da sind: Bergketten der Vogesen in fast nebeldichtem Dunst verschleiert, eine dunkle, graugrüne Masse scheint das zu sein, aber doch mit Farbabstufungen, die hinteren Ketten etwas blasser, keine Details sind zu erkennen. Aber weiter vorne scheint doch etwas durch: Häuser, Dörfer, Steinbrüche, matt nur, sie deuten ihre Existenz an, ohne sich aber in ihrer Gänze zu präsentieren. Freilich, er wird das alles zu gegebener Zeit schon dicht vor sich sehen. Was sich für Göthe in der Ferne abzeichnet, was er anstrebt, er wird dahin kommen. Auch was er nur ahnt, es wird bei ihm sein.“

Julie war hingerissen. Sie begann zu schwärmen: „Göthe, da steht er auf dem Gipfel! Viel weiter nach oben hat er es bisher nicht geschafft. Ja, da steht es, unser Genie, das Wunder ... Er steht oben, mit nackter Haut, er weitet sich aus, wird groß, seine Seele umfasst nicht nur das Land bis zum Horizont, sie umspannt die ganze Erde. Er hat das Individuum herausgelöst aus der philosophischen Kruste, er gewinnt Gestalt, nichts engt ihn mehr ein, bedrängt ihn, er umfasst alles.“

Elvira lächelte nachsichtig: „Geduld, liebe Julie, so rasch kommt er denn doch nicht los von dem, was noch an ihm haftet. Ihm bleibt noch Zeit, Ihnen ja auch.“

Göthe ist auf dem Weg, er wird freier, aber der Weg ist noch nicht das Ziel. Er kann eines finden.

An der Saar: Göthe entdeckt sich als Dichter

Hier entdeckte Göthe sich selbst als Dichter und zudem noch die Liebe zu einer Frau, die er noch gar nicht kennt. Das behaupten unsere Drei. Sehen sie das richtig?

Von Buchsweiler ritten die Reisegefährten über Obersulzbach, Weitersweiler, Lützelstein nach Saarwerden.

Mit halb geschlossenen Augen folgte Rainer einem Pfad, der nach Neusaarwerden hinaufführte. Julie hielt sich an seiner Schulter fest. Sie sah dasselbe, sagte: „Gewunden, dieser Weg. Jetzt reitet der junge Mann zum Fluss hinunter.“

Rainer sprach halblaut vor sich hin: „Statt dem jungen Genie dort vorne weiter zu folgen, sehe ich neben mir die junge Frau, die ich führe. Ich kann mich nicht beklagen. Ich bin im Vorteil. Bin ich es wirklich?“

Damit wandte er sich Julie zu: „Später, in Saarbrücken, schreibt Göthe in einem Brief nieder, was er an dieser Stelle sah und erlebte. In diesem Brief an Katharina Fabricius, einer Freundin seiner Schwester Cornelia, ist die Natur sehr konkret und dennoch sehr poetisch dargestellt. Der Weg, den er reitet, und die Landschaft, die er schildert, sind heute noch genau zu lokalisieren. Wir können sie mit Göthes Augen sehen, lebendig, gefühlsbeladen, wir können auch etwas von dem sehen, was ihn bewegte, von seiner unbestimmten Liebe, die sich einen Gegenstand erst sucht, die noch nicht gebunden ist. Wir sind jetzt an diesem Ort.“ Rainer zitierte aus dem Gedächtnis: Gestern waren wir den ganzen Tag geritten, die Nacht kam herbei und wir kamen eben aufs Lothringische Gebirg, da die Saar im lieblichen Thale unten vorbeifließt. Wie ich so rechter Hand über die grüne Tiefe hinaussah und der Fluß in der Dämmerung so graulich und still floß, und linker Hand die schwere Finsternis des Buchenwaldes vom Berg über mich herabhing, wie um die dunkeln Felsen durchs Gebüsch die leuchtenden Vögelgen still und geheimnisvoll zögernd wurds in meinem Herzen so still wie in der Gegend und die ganze Beschwerlichkeit des Tages war vergessen wie ein Traum.

In diesem Text gelingt es, die Landschaft, die er gerade durchstreift hat, in Übereinstimmung zu bringen mit seiner inneren, seiner Seelenlandschaft. Damals finden wir das in dieser Weise nirgendwo sonst. Auch nicht in in seinem Sesenheim-Gedicht, das Ihr kennt. Da schreibt er später:

Es schlug mein Herz. Geschwind, zu Pferde!

Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht.

Der Abend wiegte schon die Erde,

Und an den Bergen hing die Nacht.

Schon stund im Nebelkleid die Eiche

Wie ein getürmter Riese da,

Wo Finsternis aus dem Gesträuche

Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel

Sah schläfrig aus dem Duft hervor,

Die Winde schwangen leise Flügel,

Umsausten schauerlich mein Ohr.

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,

Doch tausendfacher war mein Mut,

Mein Geist war ein verzehrend Feuer,

Mein ganzes Herz zerfloß in Glut.

Rainer war sich sicher: „Da drängen seine Gefühle sich in den Vordergrund, von der realen Landschaft, die er bei diesem Ritt nach Sesenheim vor sich sah, erkennen wir nichts wieder. Deshalb ist er in diesem Brief vielleicht ein noch bedeutenderer Dichter. Er hatte sich zwar zuvor schon im Dichten versucht, war aber nie so nah bei sich selbst und bei dem, was ihn umgab. Er hat sich selbst als den Dichter entdeckt, der er werden sollte, und ihn zugleich auch übertroffen. – Er hat gefunden, was die Welt im Innersten zusammenhält!“

Elvira fasste ihn am Arm: „Jetzt halt mal ein. Steck dir nicht Göthes große Worte wie Federn an den Hut. Und bedenke: Was ihm hier, an der Saar, gelungen ist, bezieht sich auf eine ganz bestimmte, eine einmalige Situation. In Duttweiler am brennenden Berg sieht es schon wieder anders aus.“

Julie beschäftigte etwas ganz anderes: „In dem gleichen Brief an Katharina Fabricius geht es ihm auch um die Liebe, aber er befürchtet, dass sie ihn schwach macht und bindet. Frei möchte er sein, den Sprung nach oben schaffen. Genau diese Einstellung zeigt sich auch in Sesenheim.“

Rainer entgegnete: „Aber was er in diesem Brief sagt, sind allgemeine Betrachtungen, sie haben mit der konkreten Friederike nichts zu tun.“

Julie schaute Rainer direkt in die Augen: „Man kann das so sehen. Aber in den Rahmen, den er da absteckt, tritt tatsächlich nur Friederike ein und findet darin einen Platz. Ob das für Göthe förderlicher ist als für sie, das steht auf einem anderen Blatt.“

Aber Rainer schüttelte den Kopf: „Er kommt nicht zu ihr, findet nicht zu ihr, er kommt nur zu sich selbst. Er spricht ja schon im Brief recht abfällig vom Hängenbleiben.“

Für Julie stellte sich die Sache anders dar: „Ich finde eher, dass das Allgemeine ... oder die Allgemeinheiten, die Göthe da von sich gibt, sehr viel Raum bieten. In ihnen ist für viele Frauen Platz, nur dass sie schattenhaft, traumverloren bleiben. Sie gewinnen erst an Attraktion, als sie in Friederike Gestalt annehmen. Gerade Sie werden die Macht des Körperlichen doch nicht unterschätzen, lieber Herr Riger!“

Von Saarwerden aus ritt Göthe nach Norden, folgte dem Lauf der Saar. Julie, Elvira und Rainer blieben ihm auf der Spur.

Julie sagte: „Dunkel ist es geworden. Die Büsche und Bäume, die die Saar begleiten, werden oben von einer langen, geschwungenen, gezackten Linie begrenzt, den ganzen Weg über. Die möchte ich nachzeichnen. Aber wohin soll sie führen, diese Linie? Nach Straßburg oder – wie Goethe es sieht – unmittelbar zu Friederike. Und Sie“, wandte sie sich Rainer zu, „was hätten Sie dargestellt, um zu ihr zu kommen?“

Rainer musste nicht lange nachdenken: „Das, was ich mir gerade zu sehen einbilde: die Körper der Bäume, die Augen der Sonne im Fluss, die Stimmen der im Gehölz brodelnden Vögel. Für mich ist es eine lange Linie, die lange Linie, auf der meine Gefühle ruhen können. Longue haleine ... Wir haben beide den langen Atem, etwas durchzuhalten und nicht auf die nächstbeste Gelegenheit hereinzufallen. Das ist doch ganz in Ihrem Sinne.“

Die Antwort auf die oben gestellte Frage wird sich noch ergeben.

Duttweiler, der brennende Berg

Der brennende Berg. Göthe erlebte noch die Glut. Wir erleben auch noch etwas von ihr; sie ist gedämpft, aber sie ist noch nicht erloschen.

Goethe schreibt später: Ein starker Schwefelgeruch umzog uns; die eine Seite der Hohle war nahezu glühend, mit rötlichem weißgebranntem Stein bedeckt; ein dicker Dampf stieg aus den Klunsen hervor, und man fühlte die Hitze des Bodens auch durch die starken Sohlen.

Auch Julie und Rainer standen in der felsigen Kluft. Aber von Hitze konnte keine Rede mehr sein und aus den Klunsen kam nur noch schwefeliger Gestank.

„Aber immerhin, die Kohle glimmt weit unten immer noch. An der Oberfläche wäre sie längst ausgebrannt. Mit der Liebe ist es ähnlich“, sagte Julie. „Weltgleichnis hätte Goethe in Dichtung und Wahrheit schreiben können. Bei Göthe ist es ein anderes Feuer als das da unten, aber er sieht, dass es tief unten in seiner Seele brennt und dauern wird.“ Rainer führte das Spiel auf seine Weise weiter: „Goethe sieht bei diesem Phänomen, das er hier erlebt hat, aber auch die ganz praktischen Konsequenzen: Der Alaunschiefer, der oberhalb der glühenden Kohle hier ansteht, wird geröstet, was für die Alaungewinnung unerlässlich ist.“

Auch Julie wusste, dass man Alaun zum Blutstillen gebrauchte.

Bitsch

Hoch über dem Städtchen, in Stein gehauen: die Festung Bitsch. Für uns heute ein Museum, für Goethe verhängnisträchtige Zukunft.

Goethe, der ältere, konnte, wie er sagt, dem Städtchen Bitsch, das sich malerisch um den Berg herumschlingt, und der oben liegenden Festung seine Aufmerksamkeit nicht versagen. Diese ist teils auf Felsen gebaut, teils in Felsen gehauen. Die unterirdischen Räume sind besonders merkwürdig; hier ist nicht allein hinreichender Platz zum Aufenthalt einer Menge Menschen und Vieh, sondern man trifft sogar große Gewölbe zum Exerzieren, eine Mühle, eine Kapelle und was man unter der Erde sonst fordern könnte, wenn die Oberfläche beunruhigt würde.

Immer wieder zur Mauer hinaufschauend, sinnierte Rainer: „Der Mensch meint sich schützen zu müssen. Er ist ja ein unfasslich gefährdetes Wesen, das von vornherein weiß, es ist zum Untergang verurteilt. Und er baut solche Befestigungen, obwohl er weiß: Auf Dauer schützen sie am allerwenigsten vor dem Tod, im Gegenteil, sie ziehen ihn an. Der junge Dichter hat diese Festung gesehen und vielleicht schon an den Götz und seine Burg gedacht.“

Elvira warf ein: „Dann würde ihn auch der Anblick der MSH Victory an ein Ruderboot erinnern.“

Rainer ließ sich nicht provozieren: „Im Krieg Preußens gegen Frankreich, den Bismark gewollt und mithilfe dieser gefälschten Emser Depesche listig provoziert hatte, behaupteten die Franzosen sich hier lange, auch als der Krieg schon beendet war. Was wir hier sehen, das ist steingewordene Weltsicht, das sind nach außen geworfene innere Zustände, in Stein gehauen. Da rüttle mal dran!“

Niederbronn – Das Gedicht „Der Wandrer“

In seinem Dialog-Gedicht „Der Wandrer“, so scheint es, nimmt sich Göthe ganz zurück. Vermisst er wirklich das häusliche Glück? Er schätzt ja, er beneidet vielleicht sogar „die kleinen Leute“. Auch die Kleinen zu schätzen, zu lieben, ist es das, was die Welt zusammenhalten könnte?

Und liegen wir überhaupt richtig, wenn wir Göthe nur als Stürmer und Dränger sehen? Rainer war ganz in seinem Element: „Ja, ihr Lieben, hier nun der zweite Ort, an dem wir ihn verlässlich zu fassen bekommen, unseren jungen Mann! Hier spielt sein Gedicht Der Wanderer, in dem geschildert wird, wie dieser kluge Wanderer einer einfältigen Frau begegnet, die inmitten der Ruine eines prächtigen antiken Tempels in einer schlichten Wohnstatt zu Hause ist. Heute ist von den Überresten aus römischer Zeit in Niederbronn wenig noch zu sehen, nur eine Säule und einige galloromanische Relikte drüben im Museum.“

Elvira amüsierte sich, sie rief: „Ah, da sind sie ja schon, die so hier nie vorhanden waren, die überwucherten Reste aus römischer Zeit: ein Architrav, eine Inschrift, die Trümmer eines Tempels. Göthe reizte das Unvollendete, Fragmentarische. Er ist dem Romantischen hier näher als seinem späteren Klassizismus. Hier stehen wir an einer Weggabelung. Was bei ihm hier heraufdämmert, das ist die Geburt des Individuums aus den Trümmern des Alten, das heißt, nicht die Form bleibt erhalten, sondern der Geist, der Genius wird aus der starren Form befreit.“

Rainer warf ein: „Auch der ältere Goethe rekonstruiert sie nicht, die Bauten, die er damals gar nicht sah. Aber immerhin, er bezeichnet sie genau: Hier umspülte mich der Geist des Altertums, dessen ehrwürdige Trümmer in Resten von Basreliefs und Inschriften, Säulenknäufen und-schäften mir aus Bauernhöfen, zwischen wirtschaftlichem Wust und Geräte, gar wundersam entgegenleuchteten.

Schauen wir auf die beiden, die in seinem Gedicht hier agieren. Da ist ein nachdenklicher Wanderphilosoph. Der begegnet einer schlichten Frau. Lustig, wie sie aneinander vorbeireden: Sie ganz dicht beim Nützlich-Praktischen, er im Raum tiefreichender Gedanken.

Göthe macht sich lustig über diese junge Frau, die nichts, aber auch gar nichts anderes im Sinn hat als ihr Kind und essen, trinken, wohnen. Während Göthe von einem Meister, einem schöpferischen Genius schwärmt, will sie ein Gefäß holen, aber sie will ganz gewöhnliches Wasser damit schöpfen. Während er beklagt, dass Efeu und düsteres Moos die Götterbilder umkleidet haben, sagt sie: Wie der Knabe schläft ...“

Nicht ohne Sarkasmus kommentierte Julie: „Ja, sicher, so ist es, das gemeine Volk. Göthe zeigt, wie wenig er von ihm hält: Und du flickst zwischen der Vergangenheit / Erhabne Trümmer / Für dein Bedürfnis eine Hütt’, o Mensch / Genießest über Gräbern! / Leb wohl, du glücklich Weib!“

Elvira sagte: „Der Wanderer lobt diese Frau, er möchte selbst am Abend zu einer zurückkehren, die so ist wie sie. Und seien wir ehrlich, diese Friederike, die er später treffen wird, sie ist zwar nicht ganz so einfältig wie diese Frau, aber gemessen an ihm ist sie keine Leuchte. Und seine spätere Frau, auch sie verschwindet fast in seinem Schatten. Jedenfalls bezieht er in diesem Gedicht auch das einfache Volk mit ein.

Bei Goethe, dem alten wie dem jungen, schließt sich Gegensätzliches nicht aus. Beides kommt zusammen, das Genie sucht Familienfrieden, Natur und Kunst finden zueinander. Die Schwalbe nistet am Architrav und bekleckert ihn, und unsere Frau lebt glücklich zwischen erhabenen Trümmern. Leb wohl, du glücklich Weib! ruft er zum Abschied ihr zu. Das Harmoniebedürfnis, das ihn sein Leben lang leitet, hier zeigt es sich schon. Folgen wir dem Wanderer. Nach Cuma will er!“

Julie wunderte sich: „Cuma, das ist doch eine griechische Kolonie in Italien, Sitz einer Apollo-Prophetin?“

Rainer wandte sich zum Gehen: „Unser Ziel ist diese Merkurius-Stele oben auf der Wasenburg. Da haben auch wir einen weiten Ausblick.“

Oben angekommen, nahm er das Gespräch wieder auf: „Nicht sehr eindrucksvoll, diese Stele. Merkurius gewidmet, dem Gott der Kaufleute, der Händler. Nicht weit, der Ausblick, aber tief hinunter ins Tal. Diese Industriellen mit dem einprägsamen Namen De Dietrich führen da unten das Regiment, heute noch, das Bad gehört der Familie. Dahin kehren wir heim. Uns aber zieht es nicht mehr hin zu Geld und Macht, uns nicht.“

Stunden später besuchten die Drei das Thermalbad. Badezeug hatten sie keines dabei; sie legten die Kleidung ab und betteten sich auf der verglasten Seite auf die Liegen. Niemand schaute zu ihnen hinüber. Niemand konnte sie sehen, nur sie einander. Die beiden Frauen bewunderten Rainers wohlgeformten Körper.

Als Julie bemerkte, dass auch Elvira der Anblick nicht kalt ließ, begann sie mit ihrem Spiel: „Da ist er ja, unser Merkurius! Schön, aber nicht aus Stein. Stehen Sie auf, recken Sie Ihren Körper!“

Rainer schmunzelte. Für diesmal verzichtete er auf einen Kommentar, sondern folgte der Anweisung der jungen Frau.

Begeistert umarmte ihn Julie, drückte ihn an sich. „Ha“, rief sie, „das gehört sich nicht für uns, mein Herr. Wir wurzeln in Gedanken, diese wiederum in der Sprache. Fleischliche Schwere, von der wir nur vermittelt etwas mitbekommen, sei uns fern.“

Rainer blieb entwaffnend ehrlich: „Aber mitfühlend kann ich mich in diese Sphäre schon hineindenken ...“

Jetzt schauten die Badegäste im Whirlpool zu ihnen herüber – aber hoch über sie hinweg: Auf dem Glasdach über ihnen hatte sich geräuschvoll ein Raubvogel niedergelassen.

Rainer scherzte: „Hoffentlich kommt unser Altvater nicht hierher. Für den sind wir nämlich sichtbar.“

Doch Elvira winkte ab: „Hier zeigt der sich ganz bestimmt nicht, dieses Gerippe.“

Aber Julie blieb bei ihrem Thema: „Kommen wir lieber auf unseren Göthe zurück. Für den spielt die Liebe eine andere, aber gewiss nicht geringere Rolle als für uns. Als er in Straßburg zu seiner Reise aufbricht, weiß er noch nicht, was ihn erwartet. Bislang unbekannte Landschaften und Menschen kennenlernen, was man von einer Bildungsreise eben so erwartet, das gewiss; aber Göthe ist noch nicht Goethe! Weyland hat ihm von einer Pfarrerstochter erzählt, auch die Anziehungskraft geschildert, die sie auf ihn selbst ausgeübt hat, obwohl sie doch für ihn aus verschiedenen Gründen leider unerreichbar bleiben musste. Es baute sich in Göthe ein Bild, eine Erwartung auf.“

Elvira widersprach, wie immer: „Aber dann, auf dem Rückweg, kommen sie wieder in der Nähe von Sesenheim vorbei. Und wieder zieht es ihn nicht hinüber zu Friederike.“

Für Julie war das kein Widerspruch: „Göthe hat kein bestimmtes, konkretes Ziel. Er sucht sein Utopia, obwohl er weiß, dass das Paradies hier zur Gänze nicht zu erreichen ist, sondern nur im Jenseits oder in der Imagination: das Aufscheinen einer besseren Welt, die aber in Teilen auch hier hätte realisiert werden können. Friederike wird auf dieser Welt seinen Weg nur kreuzen.“

Rainer ergänzte: „Aber sie ist schon bei ihm, obwohl er sie nicht gesehen hat. Ähnlich wird es um seine Liebe zu Lotte stehen, die aus dem Werther. Goethe schreibt ja an Kestner, das Gedicht Der Wandrer sei gemacht Lotten ganz im Herzen und in einer ruhigen Genüglichkeit all eure künftige Glückseligkeit vor meiner Seele – dabei hat er Lotte erst etwa zwei Jahre später kennengelernt! Er trug also auch hier die Situation, die er später erlebte, bereits in sich, so wie er auch die Liebe zu Friederike bereits in seiner Seele, vielleicht sogar in seinem sinnlichen Erleben bereits ausgeformt hatte. Göthe, das Genie, kann sich auf sein Gefühl verlassen. Was er ahnt, es wird bei ihm sein.“

Julie ließ ihre Augen nicht von Rainer: „Subtil hat es sich angezeigt, Bestand kann es keinen haben.“

Ist Göthe Gott und häuslicher Familienmensch zugleich? Das bräuchte kein Widerspruch zu sein, wenn Göthe den Weg, den er hier eingeschlagen hatte, weitergegangen wäre, den Weg hin zu einfachen Menschen, zum Volk.

Im Wohnmobil hatte Rainer Julie nach Molsheim zurückgebracht. Sie übernachtete im Haus ihrer Eltern. Julie gab vor, sie habe zu arbeiten und sagte, sie werde erst am späten Nachmittag wieder bei ihm sein. Doch schon am späten Vormittag, Rainer schrieb an seinen Notizen, klopfte es. Julie kam herein, Nässe im Gesicht. Sie wischte es ab.

„Oh, wobei hab ich Sie überrascht?“

„Sie wissen ja“, entgegnete Rainer, „ich halte fest, worüber wir schon gesprochen haben: über Göthes Liebe zu Friederike Brion.“

Julie trat näher: „Gewiss lassen Sie dabei ihre eigenen Gefühle nicht außen vor.“

Sie setzte sich neben ihn, schaute in sein Manuskript. Ihr Haar streichelte sein Gesicht.

Nähert sie sich mir oder ich mich ihr?, fragte er sich. Na schön, was mit mir ist, ist mir klar. Aber was ist mit ihr? Ist sie unbefangen, frech oder will sie mich einfangen? Sie weiß, wer sie ist. Und was sie will. Sie weiß, was sie wert ist.

Julie schien seine Gedanken zu erraten: „Ich bin neugierig. Alles, was man mir vorenthält, lässt mir keine Ruhe. Was ich da lese, geht irgendwie um mich, vermute ich. Wenn Sie was Gutes von mir sagen, dann freut es mich. Was Sie auch geschrieben haben, selbst wenn Sie mich beschimpfen, ich nehme es Ihnen nicht übel, ich verspreche es Ihnen.“

Rainer entzog sich: „Darum geht es nicht. Ich weiß nicht, ob Sie es so verstehen, wie ich es gemeint habe.“

Aber Julie ließ sich nicht aus dem Konzept bringen: „Sie können es mir ja erklären.“

So neutral, wie es möglich war, meinte Rainer: „Es hilft nichts, jemandem etwas nahezubringen, was er gar nicht hören mag.“

Julie beharrte: „Aber man kann etwas klären. Man kann Missverständnisse bereinigen. Das bringt einen weiter ... und näher zugleich. Was befürchten Sie von mir?“

Rainer seufzte: „Das sage ich lieber nicht.“

Na schön, zuckte Julie die Achseln, „wenn Sie nicht wollen ...“ und setzte sich auf die andere Seite des Tisches.

Wie schon seit einigen Tagen trug sie diesen ausgeschnittenen Pullover. Rainer schaut auf ihre helle Haut, auf den Ansatz ihrer Brüste, den eher seine Fantasie als ihre Haut aufwölbte.

Julie registrierte seinen Blick sehr wohl: „Sie beachten mich zu sehr. Was ist schon mit mir los? Sie schauen gerade so intensiv in die Richtung, wo Sie einen Busen vermuten, Sie suchen da vergeblich.“

Warum sollte er lügen? Rainer schmunzelte: „Ich sehe da eine durchaus angenehme Rundung.“

„Das sagen Sie? Gemessen an den Maßstäben von Frau Möllner, ist da nichts, was diesen Namen verdient. Ich lenke aber unser Gespräch nicht ohne Absicht auf diesen Körperteil. Ich habe da einen kleinen Knoten ertastet, wahrscheinlich bedeutet er nichts. Dennoch werde ich mich ins Hospital in Straßburg begeben und nicht warten und mich von der Ungewissheit quälen lassen. Ist da nichts, werde ich mich mehr meines Lebens freuen als zuvor. Und ist da was, besteht immerhin die Chance, noch eine Weile mit dem, was von mir bleibt, weiterzuleben. Würden Sie mich auch dann noch lieben können? Ein wenig vielleicht? Aber hoffentlich nicht so wie unser Göthe seine Frauen. Er rührt alles in einen Topf, den Sex und die edelsten Gefühle, die wie ein Baum zum Himmel wachsen und Früchte tragen. Und siehe da, nach einiger Zeit fallen sie nach unten wie faule Äpfel: Friederike in Straßburg im Bauernkleid, das ist die wahre Friederike, ein einfaches Mädchen, gar zu einfach, gemessen an dem, was er in seinen Gedichten aus ihr gemacht hat.

Wenn ich heute den Verdacht hätte, dass ich jemanden lieben würde – und ich bin ehrlich, über einen Verdacht ist es bei mir noch nie hinausgekommen –, dann würde ich nicht warten, bis das Gefühl für diesen Mann von etwas, was in meinem Unterleib sich regt, aufgebläht wird. Ich lasse es nicht zu, dass die Begierden mich regieren.“

„Sie sind“, unterbrach Rainer, „eben eine Künstlerin. Die arme Kunst, sie lebt ja von der Sublimation dieser Begierden.“

Julie fuhr fort: „Es ist besser für mich, wenn ich mir einen Mann aus größerer Nähe ansehe, mir so etwas wie eine diskrete Liebe leiste. Um mich eben nicht preiszugeben, sondern um zu erproben, wie weit die Liebe tragen kann, wenn das Feuer, das ihr Auftrieb gab, nur noch glimmt; wenn sie nur noch geistbeflügelt Leichtes tragen kann. Wenn ich mir einen solchen Mann ausgesucht habe, werde ich mit ihm Gespräche führen über möglichst unerotische Gegenstände, gewiss nicht über Göthe, bei dem hinter jedem Busch etwas hervorlugt, was die Sinne kitzelt. Nicht mal über Lichtenberg, denn da könnte die kleine Stechardin mit dabei sein im Schlafzimmer. Eher über Kant. Ich werde genau analysieren, was diesen Mann zu mir hinzieht. Ich werde ihm nicht zu gefallen suchen, mich so geben, wie ich bin, mich sogar ein wenig unvorteilhafter darstellen. Die schäbigsten Klamotten werden meinen Körper verhüllen. Schminken werd ich mich nicht, nicht mal das Gesicht waschen. Wir werden uns auf langen Wanderungen auf die Höhen der Vogesen bis an den Rand der Erschöpfung treiben. Ich werde ungewaschen abends ins Bett sinken, ihn abwehren und ihm bohrende Fragen stellen, nach seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und danach, wie er über Lenzens Wahnsinn denkt. Ich werde ihn genau kennenlernen.

Ich werde genau beobachten, inwieweit er auf mich, auf meine Interessen, meine Wünsche eingehen will oder kann und umgekehrt. Ich werde merken, ob es Gebiete gibt, die für uns beide zugänglich sind, in denen wir uns wohlfühlen, oder ob wir um dieses Terrain kämpfen, uns streiten müssen, das wäre ja immerhin auch schon etwas.“

Was sollte Rainer dazu sagen? „Sie spielen mit offenen Karten. Aber nur bei diesem Spiel, in dem ich nicht mit von der Partie bin.“

Am Ende der Reise wäre Göthe in der Lage gewesen zu verwirklichen, was in mutigen Stunden eines jeden Menschen Traum ist: seinen Weg selbständig, allein zu gehen. Das kann schwierig werden, aber wenn man im Vollbesitz seiner Kräfte ist, dann ist das eine grandiose Chance. Göthe scheint sich auf sie eingelassen zu haben.

Utopisches Sesenheim

Göthe kam nicht nach Sesenheim und kam doch an. Er suchte den Sinn seines Lebens nicht an einem Ort. Wo sonst?

Wenn noch nicht das Wirkliche, dann das Utopische. Das Mögliche lassen wir beiseite.

Julie war sich sicher: „Göthe ist auf der Suche nach einer Frau. Sie hat noch nicht Gestalt angenommen, diese Traumfrau. Träume sind unbeständig. Sie können sich aber länger halten, wenn sie ganz fein und ganz leicht sind und weit oben bleiben. Sobald man sie mit grober Fracht belädt, ist es vorbei. Man darf die kaum wahrnehmbare Göttin nicht mit allzu viel beladen, was von unten kommt. Hinschauen, nicht draufsatteln!“

So eindeutig konnte Rainer die Sache nicht sehen: „Diese Göttin gehört ins Paradies. Aber ist das nicht ganz und gar verloren? Wenn ich die gequälten Menschen sehe, stellt sich diese Frage. Dennoch ist, so meine ich, auch hier in dieser zerschredderten Welt noch etwas von ihm erkennbar, im Trümmerfeld – ähnlich wie in Niederbronn! – einzelne erhaltene Bruchstücke, die noch etwas ahnen lassen von einem Leben, wie es sein sollte, in einer besseren Welt. Als Ganzes ist das Paradies hier nicht mehr herzustellen, aber man kann sich am verlorenen Zustand, soweit er erkennbar ist, orientieren. Und der Welt, wie sie einmal bestanden haben könnte und im Jenseits noch bestehen mag, in einigem nahezukommen suchen.“

Friederike als ferne Geliebte Julie und Rainer kamen gemeinsam mit Elvira beim Spazierengehen an einem Haus vorbei. Julie forderte ihn auf, sich eine junge Frau vorzustellen, die er noch nicht gesehen hat, die aber alte Wünsche und Vorstellungen wiederspiegelt.

Rainer dachte eine Weile nach: „Für mich sind Frauen nicht mehr dieses Niemandsland, das sie für Göthe damals in gewisser Hinsicht noch waren. Für ihn ist eine Frau ein eher zufälliger Gegenstand einer sehr jungen und starken Begierde, behaupte ich mal.“

Damit wollte sich Julie nicht zufriedengeben: „Na schön, dann entwerfe ich Ihnen mal ein Bild von ihr, das macht Weyland ja auch. Sie können selbst herausfinden, ob es einem Bild, das in Ihnen existiert, gleicht: Friederike, steht vor Ihnen, klein, schlank, besonders die Taille. Von ihrem Busen ist kaum etwas zu erkennen, da sie Ihnen den Rücken zuwendet. Aber sie schaut zu Ihnen her, eindringlich der Blick. Ob auch versprechend, das wissen Sie nicht.“

Rainer nickte: „Das ist die Friederike, die wir vom Bild her kennen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihnen ist nicht zu verkennen.“

Julie insistierte: „Schauen Sie nicht die Straße hinab, sondern zu mir her. Merken Sie was?“

Rainer: „Das Bild, verbunden mit der Gegenwart, hat eine starke Macht.“

Julie: „Göthe hat Friederike noch nicht vor sich, er hat nicht mal dieses Bild gesehen. Ihn zieht es nicht zu dieser, sondern zu einer geträumten Frau hin. Er macht sich schon ein Bild von ihr, aber es dürfte Friederike nicht mal ähneln. Und Sie, Herr Riger, brauchen Ihre Fantasie nicht zu bemühen; immerhin haben Sie es geschafft, mir auf gewundenen Wegen Ihre Wünsche zu übermitteln. Aber auch das wäre Ihnen ohne meine Mithilfe nicht gelungen. Warum nicht? Weil Sie zu feige sind. Aber anderen Männern geht es nicht besser. Ihr Leben hätte ganz anders verlaufen können, wenn Sie Mut gehabt hätten, und es ist Ihnen so, als müssten Sie diesen verfehlten Leben nachweinen, obwohl Sie nur entfernt etwas von ihnen ahnen, und auch dieses Wenige verdrängen, da Sie spüren, dass Sie Ihr Bestes beiseitegeschoben haben. Das ist nicht zu ertragen. Sie merken: Das Zutrauen zu sich selbst hat Ihnen gefehlt. Sie haben sich selbst verfehlt.

Göthe machte sich kein Bild von Friederike, ihn zog es nicht zu ihr hin, sondern zu einer Frau. Zu irgendeiner? Wir verfallen nicht dem Fehler davon auszugehen, dass bei dem jungen Goethe alles so ablief, wie es im Nachhinein der alte Goethe darstellt: als würde alles, was er auf seiner Reise erlebt, auf Friederike zulaufen und als würde sich ihr Bild aus all dem, was er erlebt, erdacht, erträumt hat, zusammensetzen.

Nein, er ist frei und in allem, was er tut und denkt, schlägt sich diese Freiheit nieder. Da ist vieles möglich, viele Frauen wären möglich. Aber der reale Verlauf des Lebens führt schließlich über Umwege doch nach Sesenheim. Da verfestigt sich etwas. Aus all dem Verschiedenen ergibt sich eine Auswahl, eine momentane Konkretion, die aber nicht alles umfasst, was zuvor da war. Er hätte auch woanders hinkommen können, aber er kommt nun mal nach Sesenheim. Da kommt nicht alles zusammen. Was wirklich wird, ist niemals alles. Nicht alles, was sich andeutete, nicht alles, was möglich war, wird wirklich.

Vieles, was als Möglichkeit da war, verflüchtigt sich. Was wirklich wird, ist immer das Wenigste von dem, was hätte werden können, aber es hat, wie wir selbst, das ungeheure Privileg, fleischlich, leibhaftig, ganz nah zu sein. Anderes läuft vorbei, wird versäumt, läuft in die Irre.“

Rainer beschäftigte der Gedanke: „Was bei dieser Reise auftauchte, das ist die Vorstellung von einem freieren Land, einer besseren Gesellschaft, in der auch die Kleinen zu ihrem Recht kommen; der Sinn für eine neue Art sich auszudrücken, zu dichten, für eine neue, freiere Form der Liebe. Ahnungen, kaum schon Utopien.“

Das ging Julie nicht weit genug: „Warum so zurückhaltend? Er spricht es zwar noch nicht aus, aber sein Blickfeld weitet sich, sehr weit, vielleicht zu weit schon. Er träumt wohl von einem Paradies.“

Elvira hatte die ganze Zeit den beiden Schwärmern nur zugehört. Jetzt fuhr sie dazwischen: „Was ihr da alles aus einem Brief und einem Gedicht herausholt beziehungsweise in sie hineinpumpt! Ihr redet da weniger von Göthes als von eurem Paradies.“

Rainer ließ sich nicht provozieren: „Es spricht doch für Göthe, wenn sich andere mit ihm identifizieren können! Ich habe etwas Ähnliches vor mir, wenn ich mich an Cremona erinnere: fast paradiesisch, was ich heute da vor mir sehe, nachdem die Zeit die raueren Elemente ausgefiltert hat. Da war eine junge Frau bei mir, in einem Alter, das sie mir heute entziehen würde, da war die mir noch unbekannte Stadt, das Land war mir damals noch nicht vertraut, beide vollgepackt mit Unbekanntem, das mich lockte, alles lockte mich. Stärker auch noch der Reiz der körperlichen Liebe, die nicht allein beim schönen Körper sich zur Ruhe setzte, die ausgriff, sich mit vielem, mit allem verband. Der alte Traum vom Paradies suchte sich bei ihr und in Cremona eine Zuflucht. Ein Traum, der nie sich niederlassen kann, der nie eine Heimat finden wird, der nie sich dreinschickt in das, was ist, der aber als Traum und in der Erinnerung weiterbesteht. Diese Frau habe ich nicht wiedergesehen.“

Diese Reise Göthes: Sie ist ein Versuch da hinzukommen, wo er bisher nicht war, ein Aufbruch in ein anderes Land. Sesenheim ist Utopia. Bei Göthe finden wir etwas von dem, was sehr viel später Ernst Bloch schildert,die Utopie des ‚Guten Lebens‘. Etwas, was zwar allen in der Kindheit scheint, worin aber noch niemand war; so bleibt sie zuletzt auch unstillbare Sehnsucht nach einer früh erahnten Welt, hinter der die reale immer zurückbleibt. Nur in den wirklich glücklichen Augenblicken eines Lebens, wenn beide Welten kurzzeitig deckungsgleich scheinen, ahnen wir, was Heimat sein könnte.

Göthe kommt nicht nach Sesenheim; er kommt zu sich selbst. Er entdeckt all das, was in ihm bereits angelegt ist, aber sich noch nicht entfaltet hat. Vor allem sich selbst als Dichter.

Reales Sesenheim

Erträumtes und Wirklichkeit begegnen sich, stoßen aufeinander. Einige Wochen nach der Reise nimmt Weyland Göthe mit nach Sesenheim. Dort trifft er auf Friederike Brion. Was er bedichtet, scheint die große Liebe zu sein. Hätte sie Bestand haben können?

Goethe erzählt in