Ein schönes Sterben - Álvaro Mutis - E-Book

Ein schönes Sterben E-Book

Álvaro Mutis

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Beschreibung

Maqroll lässt sich in einem gottverlassenen südamerikanischen Kaff nieder, in dem Flusshafen La Plata, irgendwo nahe der kolumbianischen Küste. Er freundet sich mit einer blinden Gastwirtin an, die über Land und Leute so einiges zu erzählen weiß, und findet eine vertrauensvolle Geliebte. Schließlich lässt er sich auf ein scheinbar lukratives Geschäft ein: Mit Maultieren soll er Kisten in die Berge transportieren, auf einer Wanderung entlang reißender Flüsse und faszinierender Vegetation. Der Inhalt der Kisten jedoch durchbricht seine melancholische Reise und katapultiert ihn zwischen die Fronten von Militärs und Guerillas, die ihre Kämpfe auf dem Rücken der Bevölkerung austragen. Immer tiefer gerät er in ein Komplott, aus dem er sich kaum mehr zu befreien vermag.

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Seitenzahl: 251

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Über dieses Buch

Von einem gottverlassenen südamerikanischen Kaff aus soll Maqroll Kisten in die Berge transportieren, entlang reißender Flüsse und faszinierender Vegetation. Der Inhalt der Kisten jedoch katapultiert ihn zwischen die Fronten von Militärs und Guerillas. Immer tiefer gerät er in ein Komplott, aus dem er sich kaum mehr zu befreien vermag.

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Álvaro Mutis (1923–2013) verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Brüssel, kehrte jedoch jedes Jahr nach Kolumbien zurück. Das Land ist die Inspirationsquelle seines Schreibens. Seit 1956 lebte der Autor in Mexiko. 2001 wurde er mit dem Premio Cervantes geehrt, 2002 mit dem Neustadt-Literaturpreis.

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Katharina Posada wuchs in Bogotá, Kolumbien, auf. Sie studierte Germanistik, Romanistik und Philosophie und lebt in Heidelberg.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Álvaro Mutis

Ein schönes Sterben

Roman

Aus dem Spanischen von Katharina Posada

Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 2 Dokumente

Die Originalausgabe erschien 1989 bei Mondadori, Spanien.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1990 im Elster-Verlag, Bühl-Moos.

Ein Band im Zyklus der Maqroll-Romane: Der Schnee des Admirals, Ilona kommt mit dem Regen, Ein schönes Sterben, Die letzte Fahrt des Tramp Steamer, Das Gold von Amirbar, Abdul Bashur und die Schiffe seiner Träume, Triptychon von Wasser und Land.

Originaltitel: Un bel morir

© by Álvaro Mutis 1989 und seinen Erben

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: TJ Holowaychuk (Unsplash)

Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-31066-7

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Version vom 23.11.2022, 19:23h

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Inhaltsverzeichnis

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Über dieses Buch

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Inhaltsverzeichnis

EIN SCHÖNES STERBEN

Alles begann damit, dass Maqroll im Hafen von …Anhang

Anmerkungen

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Über Álvaro Mutis

Mutis über Mutis

Georg Sütterlin: Unheldische Helden

Über Katharina Posada

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Für Jorge Ruiz Dueñas, den vorbildlichen Freund, der die Angelegenheiten des Gaviero stets aufmerksam verfolgt.

Un bel morir tutta la vita onora.

Francesco Petrarca, »Il Canzoniere«

Alles verflüchtigt sich einst im Vergessen,

und der Schrei eines Affen,

der milchige Saft,

der aus der verwundeten Baumrinde quillt,

das Plätschern des Wassers gegen den fahrenden Kiel

werden erinnerungswürdiger sein als unsere

langen Umarmungen.

»Un bel morir …«

Álvaro Mutis, »Los trabajos perdidos«

Accumulons l’irréparable!

Renchérissons sur notre sort!

Tout n’en va pas moins à la mort,

Y a pas de port.

Jules Laforgue, »Solo de Lune«

Jeder Mensch lebt sein Leben wie ein gehetztes Tier.

Nicolás Gómez Dávila, »Glossen«

Alles begann damit, dass Maqroll im Hafen von La Plata blieb und die Fortsetzung seiner Reise flussaufwärts für unbestimmte Zeit aufschob. Bei dieser Fahrt zu den Quellen des großen Flusses wollte er irgendeine Spur der Gefährten finden, die einst mit ihm manch sonderbares Abenteuer durchlebt hatten. Entmutigt, weil er nicht das geringste Lebenszeichen von seinen alten Freunden erhielt, sah er mit wachsender Verbitterung, wie seiner Sehnsucht, die ihn von so weit hierher getragen hatte, allmählich der Nährboden entzogen wurde und kam zu dem Schluss, dass es ihm gleichgültig war, ob er in dieser bescheidenen Siedlung blieb oder weiterhin stromaufwärts fuhr, wenngleich ihm dazu nun die Motivation gefehlt hätte.

Er suchte Unterkunft in La Plata und fand im Haus einer blinden, im Ort sehr beliebten Frau ein freies Zimmer. Jeder dort kannte sie als Doña Empera. Nachdem sie sich über den Preis für die Unterkunft und das Essen sowie das Herrichten seiner spärlichen Kleidungsstücke geeinigt hatten, wählte er ein Zimmer mit einer etwas eigentümlichen Lage. Um Platz zu gewinnen, hatte die Wirtin zwei Zimmer anbauen lassen, die auf den Fluss hinausragten und durch Eisenbahnschienen gestützt wurden, die wie Pfosten schräg ins Ufer eingelassen waren. Die Konstruktion erwies sich dank ihres Gleichgewichts als unglaublich stabil, ein Wunder, das die Leute in dieser Gegend vollbringen, indem sie die Möglichkeiten des dicken Bambus ausnutzen, den man dort Guadua nennt und dessen Leichtigkeit und Biegsamkeit für dergleichen Bauzwecke unübertroffen ist. Die Wände werden aus demselben Material errichtet und mit einer rötlichen Tonerde ausgefüllt und verstärkt, die man an den Steilufern findet, die der Fluss streckenweise gräbt, wenn sich sein Lauf verengt.

Das Zimmer hing wie ein Käfig über den tabakfarbenen Gewässern mit ihrem einschläfernden Geplätscher, von denen ein wohltuendes Aroma von frisch aufgewühltem Schlamm und vermoderten Pflanzen aufstieg, die der immer launischen und unberechenbaren Strömung ausgesetzt sind. Die übrigen Zimmer wurden an Paare vermietet, die gelegentlich kamen und von denen sie nur verlangte, das sie die Rechnung für die Tage ihres Aufenthalts im Voraus zahlten und in ihren Sachen eine strenge Ordnung hielten. Sie selbst kümmerte sich darum, die Zimmer aufzuräumen, und bat ihre Gäste in einer äußerst höflichen, aber bestimmten Form darum, ihr vom ersten Tag an den genauen Platz für jeden Gegenstand zu zeigen. So konnte sie die Zimmer immer in der gleichen Reihenfolge putzen. Als Maqroll dorthin kam, um sich nach einem freien Zimmer zu erkundigen, hatte ihm die Wirtin, ohne zu zögern, geantwortet: »Ich kenne Sie, Don, Sie sind schon mehrmals auf der Durchfahrt in La Plata gewesen, blieben aber nie länger da. Ich habe von Ihnen gehört. Natürlich hat mir bisher noch niemand sagen können, womit Sie sich beschäftigen oder wovon Sie leben. Aber das ist es nicht, was mich wundert. Erstaunlich finde ich nur, dass die Frauen, wenn sie von Ihnen sprechen, dies nie mit Bitterkeit tun, aber ich bemerke in ihrem Tonfall eine gewisse Angst, die es ihnen verbietet, viel über Sie zu sprechen.«

»Sie reden meistens zu viel, Señora«, meinte der Gaviero. Drei oder vier Mal war er dort gewesen, als er einen Ort suchte, wo er rasten konnte, und die Frauen, mit denen er beiläufig geschlafen hatte, gesichtslose und nichts sagende Wesen, waren es kaum wert, die Neugierde von Doña Empera zu wecken. »Ich gebe ihnen nie viel Anlass zum Klatsch, vielleicht erfinden sie deshalb irgendwelches dummes Zeug.«

»Das mag sein«, erwiderte sie nicht sehr überzeugt. »Die Hauptsache ist, dass Sie zuverlässig sind und ich Ihnen trauen kann. Alles andere mag der Teufel wissen. Wir Blinden kennen die Leute besser als jene, die Augen haben und doch nichts sehen. Wenn man uns betrügt, dann geschieht das nur deshalb, weil wir es so wollen. Und es zulassen. Sie mit Ihrer Lebenserfahrung verstehen mich sicher.«

Die Wirtin verabschiedete sich, und Maqroll blieb da, packte seine Sachen aus und richtete sich in dem Zimmer ein. Als er damit fertig war, kam die Frau zurück, und er zeigte ihr jeden Gegenstand und seinen ihm gebührenden Platz.

»Es ist nicht viel, was Sie mitbringen«, bemerkte die Wirtin mit einer gewissen Neugierde, die beinahe mitleidig wirkte.

»Das Allernötigste, Señora, das Allernötigste«, antwortete der Gaviero und versuchte damit, diesem Gespräch ein Ende zu setzen.

»Und diese Bücher dort, gehören sie auch zum Allernötigsten«, fragte Doña Empera und setzte dabei das undurchsichtige Lächeln der Blinden auf, mit dem sie um Nachsicht für ihre Neugier bitten. »Wovon handeln sie?«, fragte sie beharrlich und mit einem aufrichtigen Interesse weiter, das Maqroll doch verwunderte.

»Das eine handelt vom Leben des heiligen Franz von Assisi, geschrieben von einem Dänen. Das hier ist die französische Übersetzung. Das andere, zweibändige, enthält die Briefe des Prinzen von Ligne. Man lernt aus ihnen viel über Menschen, besonders über Frauen.« Die Neugierde der blinden Frau verdiente, ja erforderte geradezu diese ausführliche Antwort des Lesers und Eigentümers der Bücher.

»Mein Enkel«, fuhr die Wirtin fort, »las mir viel vor, vor allem Geschichtsbücher. Ich habe sie verkauft, als die Föderalisten ihn töteten. Sie hatten den Verdacht, dass er in der Guerilla war, weil er andauernd las. Er wollte mir damit lediglich etwas Ablenkung verschaffen. Aber diese Leute fackeln nicht lange. Sie kommen einfach herein und schießen. Sie haben immer furchtbare Angst.«

»Kommen diese Leute oft nach La Plata?«, fragte der Gaviero neugierig, weil sie die Streitkräfte erwähnte, mit denen er noch nirgendwo gute Erfahrungen gemacht hatte.

»Nein, Señor, sie sind schon lange nicht mehr in dieser Gegend gewesen. Im Augenblick ist hier alles sehr ruhig. Aber das will nichts heißen. Bei denen weiß man nie.«

Der Gaviero schwieg eine Weile und fuhr fort, seine Sachen in Ordnung zu bringen und die dürftigen Möbelstücke des Zimmers zurechtzurücken. Das Thema interessierte ihn nicht weiter. Er hatte mit Waffen zu tun gehabt, allerdings in einer völlig anderen Umgebung als dieser hier, bei einem ganz anderen Menschenschlag. Außerdem war die Angelegenheit für ihn längst vergessen, es handelte sich für ihn lediglich um eine von vielen Erfahrungen, die er der menschlichen Torheit zuschrieb. Bevor Doña Empera ging, legte sie ihm noch so etwas wie sittliche Grundsätze nahe oder, genauer gesagt, Verhaltensregeln in Bezug auf weiblichen Besuch. Ein mündliches Dokument, das ihn in Erstaunen versetzte und, wie er fand, ein Licht auf den scharfen Verstand der Hausherrin warf.

»Ich habe im Grunde nichts dagegen«, gab Doña Empera zu verstehen, »wenn Sie die Nacht hier mit einer Freundin verbringen wollen. Aber da dieses Kaff, wie Sie sicher selbst schon gesehen haben, eben das ist, was es ist, und wir uns hier alle schon seit Langem kennen, rate ich Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, mit mir zu sprechen, bevor Sie eine Freundin zu sich einladen. Glauben Sie nicht, dass ich mich damit in Ihre Angelegenheiten einmischen will, ich möchte nur, dass weder Sie noch ich Schwierigkeiten bekommen. Ich kann Ihnen ein paar nützliche Ratschläge geben, wie Sie es vermeiden können, in heikle Situationen zu geraten. Sie wissen schon, was ich meine. Und noch etwas: Passen Sie auf Ihr Geld auf. Spielen Sie nicht den Großzügigen in einem Nest wie diesem hier, wo wir langsam, aber sicher im Elend versinken. Also, schlafen Sie gut und viel Glück!«

Das Klopfen ihres Stockes auf dem Boden entfernte sich immer mehr, bis es am anderen Ende des Hauses verstummte. Der Gaviero streckte sich auf dem harten Bett aus, auf dem eine dünne Rohwollmatratze lag, die kaum einen ausreichenden Schutz gegen den Bettrost aus Bambusrohren bot. Er hörte das Wasser mit eintöniger Kraft und unermüdlichem Gleichmaß vorbeifließen. Das Plätschern betäubte ihn, und schließlich fiel er in einen tiefen Schlaf. Die unerbittliche Hitze des Nachmittags, wenn kein Windhauch geht und die Moskitos kommen, weckte ihn unversehens auf. Seit vielen Jahren schon war er immun gegen ihre Stiche, aber das erbarmungslose Summen brachte ihn nach wie vor zur Verzweiflung.

Das Leben in La Plata verlief wie in allen anderen Siedlungen entlang dem Fluss. Die Ankunft der Flussdampfer mit den großen, ockerfarbenen Schaufelrädern oder das Einlaufen der Kolonnen von Barkassen, die von einem Schlepper mit stotterndem Motor gezogen wurden, waren die wichtigsten Ereignisse am Ort. Wenn es so weit war, herrschte auf einmal in der Schänke, die zwischen den anderen Häusern an einem freien Platz lag, der den Dorfplatz ersetzte und zum Fluss führte, ein ungewohntes, wenn auch flüchtiges Treiben. Wenn die Schiffe dann ihre Reise fortsetzten, versank das Dorf erneut in die Schlaftrunkenheit dieses feuchttropischen Klimas, während sich eine Stille über ihm ausbreitete, die den Eindruck erweckte, als sei alles Leben dort für immer erloschen. Manchmal durchbrach ein Grammofon die Stille der Nacht mit dem schrillen, fast nicht wiederzuerkennenden Klagegesang eines Tangos aus den Dreißigerjahren oder einem Lied von Dr. Ortiz Tirado, das mit der melodramatischen Inbrunst eines verhängnisvollen Sündenfalls von der Liebe sang.

Der Gaviero las entweder in seinem Zimmer oder ging, wenn auch in großen Abständen, in die Schänke, wenn diese so gut wie leer war. Doña Empera stellte ihm einige Frauen vor, mit denen sie befreundet war. Es waren meistens Bäuerinnen, die von den Bergen herunterkamen, um in dem einzigen Laden des Dorfes einzukaufen, dem des Türken Hakim, der sie hin und wieder plump bedrängte und ihnen schlecht bezahlte Liebesdienste abverlangte. Sie wollten das wenige Geld, das sie von ihren Hütten mitbrachten, durch einen kleinen Nebenverdienst aufbessern, der es ihnen erlaubte, irgendeinen Modeschmuck oder ein paar Meter Stoff zu kaufen. Die Freunde der Blinden waren als zuverlässige und diskrete Kunden für dieses Vorhaben am besten geeignet. Maqroll konnte sich noch nicht einmal an den Namen einer dieser flüchtigen Bettgefährtinnen erinnern. Manchmal erkannte er sie an dem Duft ihrer Haut wieder oder in den immer gleichen Geschichten, mit denen sie das Schweigen zwischen den Liebesakten überbrückten. Bei diesen Liebschaften verfuhr er ähnlich wie die Alchimisten, denn sie dienten ihm dazu, einige unentbehrliche Sehnsüchte in seinem Inneren lebendig zu halten und zu verhindern, dass sie von der faden Gegenwart angesteckt würden oder die Kraft verlieren könnten, ihn vor dem langsamen Abgleiten ins Nichts zu bewahren, dessen unausweichliche Gegenwart ihn häufig quälte.

Eines der Fenster in seinem Zimmer reichte bis zum Boden und ging auf einen schwankenden Balkon aus Bambus hinaus, der über dem Fluss hing. Dort, auf das Geländer gestützt, verbrachte der Gaviero viele Stunden in Betrachtung der immer wechselnden, rätselhaften Strömung dieser trüben Gewässer ohne Erinnerung. An dem gegenüberliegenden Ufer erblickte man in der Ferne die weitläufigen Baumwollfelder und dazwischen die Zuckerrohrpflanzungen. Der blaugraue Farbton der Letzteren hob sich von den weißen Flocken dieses sagenhaften Schnees ab und ließ die Landschaft wie einen diffusen Albtraum erscheinen. Am Horizont erhoben sich die gewaltigen Kordilleren mit ihren Gipfeln, an denen Nebelschwaden mit rasender Geschwindigkeit vorbeizogen oder wo manchmal Regen fiel, der sie wie ein dichter Vorhang stundenlang verhüllte. Nachmittags, nach dem Regen, konnte man oft die schroffen und wuchtigen Ränder der höchsten Bergspitzen sehen, des unerreichbaren, einsamen Páramo. Es war eine geordnete, verschlafene und schwermütige Landschaft. Sie glich dem trägen Rhythmus der rostfarbenen, schlammigen Gewässer des mächtigen Flusses, der lautlos zum Meer hinströmte, unterbrochen nur durch das Plätschern der Wasserstrudel, die sich um die großen Schiefersteine bildeten, welche ab und zu an der Oberfläche des Wassers auftauchten. Maqroll konnte Stunden damit zubringen, sich in den Anblick dieses feierlichen Naturschauspiels zu versenken, das sich bei Einbruch der Nacht auflöste, wenn der fieberhafte Gesang der Grillen und das Kreischen der Fledermäuse einsetzte, die in eiligem Flug über die Dächer der Häuser flatterten.

La Plata war eine von den vielen Siedlungen, die am Rande des mächtigen Flusses dahinvegetierten, ohne Sinn noch Zweck ihrer banalen und eintönigen Existenz zu kennen. Ein paar Häuser mit Palmendächern, ein Militärposten, mausgrau angestrichen, und Hakims Laden mit dem Zinkdach und dem knalligen erdbeerroten Anstrich. Der Gaviero geriet in eine friedliche, gelassene Stimmung, die ihn im Grunde beunruhigte, weil sie seinem unermüdlichen Hang zum Vagabundieren widersprach. Dass er diesen nicht in sich spürte, konnte nur mit einer radikalen Veränderung in seinem Wesen zusammenhängen, an die er sich anfangs nicht gewöhnen wollte. Er hatte angesichts solcher Wandlungen immer Angst verspürt, da sie ihm in unbestimmter Weise wie eine Ankündigung unheilvoller Ereignisse erschienen, wie ein endgültiges Fallen des Vorhanges, für das er sich nie genügend vorbereitet fühlte. Die Nachricht von dem Projekt einer Eisenbahnlinie entlang des Tambogrates, eines der höchsten und unwirtlichsten Orte in den Kordilleren, riss ihn jäh aus seinen Grübeleien auf dem Balkon und aus seiner besinnlichen Lektüre. Jeden Morgen konnte er von seinem Balkon aus in der Ferne den Grat sehen, der fast das ganze Jahr über von dichten Nebelschwaden verhüllt wurde. Doña Empera hatte ihn darauf aufmerksam gemacht und ihm über diese Gegend unglaubliche Geschichten voller wahnwitziger Gewalttätigkeiten erzählt, die in Maqroll ein Unbehagen hervorriefen, als handle es sich um düstere, unbestimmte Vorzeichen.

Durch einen Zufall sprachlicher Natur und eine Regung von unfreiwilliger Sehnsucht kam Maqroll mit dem Eisenbahnunternehmen auf dem Tambograt in Verbindung. Mehrere Monate waren inzwischen vergangen, seitdem er sich im Haus von Doña Empera eingemietet hatte. Das Verhältnis zwischen ihnen war mittlerweile nicht eigentlich freundschaftlich, sondern geradezu familiär. Doña Empera erwies sich als eine außergewöhnlich intelligente Frau und fasste schließlich zu ihrem Gast eine Zuneigung, die mit mütterlicher Besorgtheit vermischt und nicht ganz frei von einer Spur Neugierde in Bezug auf seine Person war. In langen Gesprächen beim Essen erfuhr sie allmählich mehr über ihn und vervollständigte dieses Bild durch Informationen, die sie noch vor seiner Ankunft erhalten hatte, jedoch argwöhnisch für sich behielt. Der Eifer, mit dem die Blinde diese Berichte verschwieg, verstimmte ihn. Alles, was er in Erfahrung bringen konnte, war, dass sie sich auf die Zeit bezogen, als er in einem Ort im Páramo, am Rande der Landstraße gelebt hatte. Das genügte, um seine Neugierde noch mehr anzustacheln, aber Doña Empera schwieg beharrlich zu dem Thema.

Maqroll lebte von einer bescheidenen Summe Geld, die ihm eine Bank in Triest in Abständen überwies, die den unerwartetsten und irrsinnigsten Unregelmäßigkeiten der Postzustellung ausgesetzt waren. Er löste die Schecks in Hakims Laden ein, der sich dank der Fürsprache von Doña Empera, die einen sonderbaren Einfluss auf ihn besaß, dazu bereitfand. Doña Empera hatte von Anfang an großes Verständnis für die Verzögerungen der Mietzahlungen, die durch das postalische Chaos zustande kamen. Schon bald lieh sie ihrem Gast sogar kleine Geldsummen, damit er seine unmittelbarsten Ausgaben bestreiten und einige noch ausstehende Rechnungen bei Hakim und in der Schänke begleichen konnte. Diese Ausgaben hingen vor allem mit den flüchtigen Liebschaften des Gaviero zusammen, die Rechnungen im Lokal aber mit dem Drang zu vergessen, der ihn zeitweise überfiel. Er ging in der Tat in das Lokal, weil er dachte, dass der Brandy ihm die Anwandlungen von Überdruss erträglicher machen würde, die ihn dann überkamen, wenn ihm die vielen Jahre bewusst wurden, die auf den müden Knochen eines rastlosen Nomaden lasteten. Diese Krisen mündeten, wie erwartet, in immer genauere Vorstellungen davon, wie das Ende seiner Tage aussehen könnte, und gingen mit einer zusehends gründlicheren Abrechnung mit den nichtigen Gründen einher, die ihn noch am Leben hielten. Die Ausflüge in das Lokal nahmen viele Stunden in Anspruch, in denen er sich einer Schweigsamkeit und Zurückgezogenheit hingab, die sowohl der Wirt wie auch die Stammgäste von seinem ersten Besuch an respektierten, als er sich bedächtig an einen abseits stehenden Tisch hinten in der Ecke setzte und einen doppelten Brandy bestellte. Gleichgültig, ob aus dem Grammofon Musik dröhnte, der Gaviero schien überhaupt nichts zu hören. Er kippte in regelmäßigen Abständen einen Brandy nach dem anderen hinunter, während sich sein trüber, verschleierter Blick immer mehr einer abgründigen inneren Landschaft zuwandte, die den Anwesenden unzugänglich bleiben musste. Ihm aber war sie auf schreckliche Weise vertraut. So vergingen Stunden. Spät in der Nacht verlangte er dann die Rechnung, die er entweder bar bezahlte, wenn der Scheck aus Triest schon eingetroffen war, oder unter die er mit großen Zügen seine deutliche, wenn auch etwas kindliche Unterschrift setzte. Ohne es ihm zu sagen, hatte Doña Empera diese Gefälligkeit für ihren Gast mit dem Wirt ausgehandelt.

Niemand näherte sich jemals dem Tisch, wo der Gaviero saß. Nicht einmal die Frauen, die er in La Plata kennen gelernt hatte und die in das Lokal kamen, um Anisschnaps für die Männer im Gebirge zu kaufen. Wenn Schiffe oder Kolonnen von Barkassen im Hafen einliefen, füllte sich die Schänke meist mit einer durstigen und streitsüchtigen Kundschaft, die der Wirt, ein an Bart und Haaren leicht ergrauter Schwarzer, ein ernster und ungewöhnlich starker Mann, mit einem einzigen Blick unter Kontrolle hielt. Bei einem der ersten Besuche Maqrolls in der Schänke stellte sich der Mechaniker eines Schleppers, ein herkulesartiger Zambo mit schielenden Augen, den der Schnaps in eine fürchterliche Bestie verwandelte, breitbeinig vor den Gaviero hin und pöbelte ihn wegen seiner Ungeselligkeit mit stotternder und lallender Stimme an. Maqroll schaute mit müder Gelassenheit zu ihm auf, wie einer, der solche Angriffe zu meistern weiß, und sagte mit leiser Stimme zu ihm: »Hau ab, Bimbo. Bei mir wirst du schon finden, was du suchst … Aber ich fürchte, es wird dir nicht gefallen.«

Der Mann entfernte sich und murmelte die Flüche vor sich hin, die sich eher gegen ihn selbst als gegen seinen imaginären Widersacher richteten, der seinen Cognac mit einem herablassenden Lächeln leer trank, ohne den Blick von ihm abzuwenden.

Die Überraschung der Stammgäste war umso größer, als sie an einem Samstag, an dem der Gaviero schon früh zu trinken begonnen hatte, beobachteten, wie ein dicklicher, pausbäckiger Ausländer mit rötlichem und ungepflegtem Bart, der eine verdächtige Einfältigkeit an den Tag legte, sich dem Tresen näherte und etwas verlangte, was der Wirt nicht verstehen konnte. Von seinem Platz im hinteren Eck aus schaute der Gaviero auf und erklärte dem Wirt mit lauter Stimme: »Gin, er möchte einen Gin mit Wasser.« Daraufhin sprach er den Mann auf Flämisch an und lud ihn ein, an seinen Tisch zu kommen. Der Neuankömmling begab sich dorthin, während Maqroll den Stuhl gegenüber zurechtrückte. Der Wirt selbst brachte ihm den Gin mit Wasser und warf dem Gaviero einen Blick zu, als wolle er ihn vor seinem Gast warnen. Dieser nahm den Wink zur Kenntnis und schickte sich an, der pausbäckigen Erscheinung zuzuhören. Der Mann steigerte sich in ein endloses Gerede hinein, das er mit heftigen Gebärden seiner kurzen, dicken und rosigen Arme und den nicht weniger ausdrucksvollen Blicken seiner großen, schiefergrauen Froschaugen unterstrich, in denen jeglicher Funken Aufrichtigkeit wieder gefror, der ihm in seiner unermüdlichen Redseligkeit aus Versehen entglitten war. Nach einer Weile stellte sich heraus, dass er doch ziemlich flüssig Spanisch sprach, obwohl er vor allem am Ende jedes Satzes oft englische Ausdrücke verwandte. Er stellte sich als van Branden vor, Jan van Branden, Eisenbahningenieur von Beruf. Der Gaviero, dem der flämische Menschenschlag seit Langem vertraut war, konnte seinen Gesprächspartner nicht unter den verschiedenen flämischen Typen einordnen, an die er sich erinnerte. Er beging auch Fehler in seiner angeblichen Muttersprache und gebrauchte Ausdrücke, die in Holland üblicher waren als in Belgien. Das war allerdings bei Leuten aus Flandern, die einen guten Teil ihres Lebens englische und niederländische Häfen anliefen, nichts Ungewöhnliches. Trotz aller Bedenken war der Gaviero aus lauter Sehnsucht nach Vlaanderland in eine dumme Falle geraten und wusste nicht, wie er da wieder herauskommen sollte. Seine Erinnerungen hatten sich zu einem unentwirrbaren Knäuel zusammengezogen, sodass er wohl oder übel das Gespräch fortsetzte. Mit mönchischer Geduld hörte er sich das Geschwätz des Ingenieurs an, bis dieser ihn fragte, ob er jemanden am Ort kenne, der Zimmer vermietete. Daraufhin gingen sie zu Doña Empera, die, wenn auch nur zögernd, bereit war, ihm Unterkunft zu geben, in der Annahme, dass es sich um einen Bekannten ihres Gastes handelte. Van Branden erklärte, dass er in La Plata bleiben würde, bis das nächste Schiff den Fluss herunterkäme, also ein paar Wochen.

Er hatte dem Gaviero erzählt, dass er mit gewissen technischen Aufgaben im Zusammenhang mit der Konstruktion der Eisenbahnlinie entlang des Tambogrates beauftragt worden sei. Möglicherweise, so gab er Maqroll zu verstehen, könne er sich mit irgendeiner Tätigkeit an dem Projekt beteiligen. Wie so oft bei diesem Menschenschlag, nahm van Branden die Gefälligkeiten seines neuen Freundes als selbstverständlich und ihm gebührend hin. Er gehörte zu denjenigen, die jeden wissen lassen, dass er von seiner wertvollen Gesellschaft profitieren kann. Dankbarkeit, ebenso wie gute Manieren sind ihnen fremd. In Maqroll gewann die Sehnsucht nach ›platte land‹ die Oberhand, sodass er schließlich mit dem Belgier eine Beziehung einging, die unglücklicherweise auf einem verhängnisvollen Missverständnis beruhte: Van Branden konnte sich nicht erklären, wie es den Gaviero in diese abgelegene Gegend der Kordilleren verschlagen hatte, an diesen Fluss mit seinen sumpfigen und trügerischen Ufern. Und auch der Gaviero verstand letztlich nicht den Grund für die Anwesenheit des geschwätzigen Ingenieurs, auch wenn dieser den Vorwand des Eisenbahnprojektes mit so überzeugender Beharrlichkeit anzuführen verstand. Maqroll ahnte etwas von dem Befremden des Belgiers ihm gegenüber, und es belustigte ihn zu denken, dass der sich dieselbe Frage in Bezug auf ihn stellte. Aber van Branden fühlte sich so außergewöhnlich und über allen Verdacht erhaben, dass er es nicht für nötig befand, auf weitere Einzelheiten seiner Vergangenheit näher einzugehen. Nachdem sie die vertrackten Vorbehalte überwunden hatten, verstanden sie sich schließlich gut, ohne allerdings gewisse unausgesprochene, aber eindeutige Grenzen zu überschreiten, deren Verletzung undenkbar gewesen wäre. Meistens trafen sie sich alle zwei oder drei Tage in der Schänke. Der Gaviero begnügte sich mit einem Brandy, an dem er so lange wie möglich trank, während van Branden ohne weiteres einen halben Liter mit Wasser vermischten Gin schaffte. Im Laufe des Abends fing er immer an, sein mit Anglizismen durchsetztes Flämisch zu sprechen, während eine dumpfe Aggressivität gegen seine gesamte Umgebung in ihm wuchs. Maqroll bekümmerte das nicht, und gegen Mitternacht kehrten sie langsamen und gemessenen Schrittes in die Pension zurück.

Sicherlich hatte Doña Empera van Branden über die Hausordnung informiert und ihm das übliche Angebot unterbreitet, ihm ab und zu weibliche Gesellschaft zu vermitteln. ›Bekannte und vertrauenswürdige Frauen‹ war ihre Devise. Der Mann empfing daraufhin jede Woche den Besuch einer großen, unansehnlichen und zahnlosen Frau fortgeschrittenen Alters. Sie kam mit zwei Kindern von fünf und sieben Jahren vom Gebirge herunter, und während sich die Mutter um den Ingenieur kümmerte, ließ sie die Kinder am Flussufer spielen. Manchmal trat sie ans Fenster, nur spärlich bekleidet mit einem albernen Hemd von zweifelhaftem Weiß, um aufzupassen, dass sich ihre Kinder nicht allzu sehr dem Ufer näherten. Der Gaviero bekam zu der Zeit regelmäßigen Besuch von einem jungen, braunhäutigen Mädchen mit schwarzen, sehr ausdrucksvollen Augen, kräftigem und sehnigem, aber durchaus schlankem und wohlproportioniertem Körperbau. Sie hieß Amparo María und hatte etwas von einer tscherkessischen Prinzessin an sich, das ihn außerordentlich reizte. Das Mädchen war verschlossen und wortkarg. Beim Liebesspiel zeigte sie sich schamhaft zurückhaltend, ja beinahe distanziert angesichts der Entfesselung der Sinne, was nach Ansicht des Gaviero wunderbar zu ihrer Erscheinung passte.

Selbstverständlich vermieden beide Gäste strikt jeglichen Kommentar zu diesem Thema der weiblichen Besuche. Doch eines Tages verletzte van Branden die stille Übereinkunft, als er sich gerade von seiner Freundin verabschiedet hatte und auf dem Weg zurück in sein Zimmer Maqroll traf. Er nahm ihn beim Arm, was diesem sichtlich unangenehm war, und während ein geiler und dreckiger Ausdruck über sein Gesicht huschte, sodass sich seine Froschaugen in schmale Schlitze verwandelten, sagte er plötzlich zu dem Gaviero: »Diese Frauen der Tropen! Was für ein Temperament und was für eine Anmut! Finden Sie nicht?« Der Gaviero befreite sich sanft aus den Klauen, die ihn festhielten, und enthielt sich lieber eines Kommentars, stattdessen antwortete er mit einem matten Lächeln, das die Worte des Belgiers weder zu bestätigen noch zu widerlegen beabsichtigte. Es enthielt vielmehr eine Spur Befremden.