Ein Schotte im Gepäck - Alexandra Zöbeli - E-Book

Ein Schotte im Gepäck E-Book

Alexandra Zöbeli

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Beschreibung

Über englische Landstraßen direkt ins Herz! Parker Manning liebt ihren Job als Kamerafrau bei einem Londoner Fernsehsender. Als ihr die Möglichkeit gegeben wird bei der berühmten Antiquitätenshow Treasure Hunt hinter der Linse zu stehen, sagt sie sofort zu und düst kurze Zeit später mit dem Produktionsteam durchs ganze Land um die Experten bei der Jagd nach Raritäten und kleinen Schätzchen zu filmen. Wäre da nur nicht ihr Kamerakollege Callum. Zwar sieht er unverschämt gut aus und ist wahnsinnig charmant, aber ihm eilt ein wenig schmeichelnder Ruf als Womanizer voraus. Und auf so jemanden lässt Parker sich garantiert kein zweites Mal ein. Doch die beiden müssen eng zusammen arbeiten und Parker merkt bald, dass Callum vielleicht nicht nur einen zweiten Blick, sondern sogar eine Nahaufnahme wert ist…

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Seitenzahl: 620

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Ein Schotte im Gepäck

Die Autorin

Alexandra Zöbeli lebt gemeinsam mit ihrem Mann im Zürcher Oberland in der Schweiz. Sie bekennt sich selbst als Britoholikerin — verrückt nach allem, was von der Insel kommt. Für Alex gibt es kaum etwas Schöneres, als die verschiedenen Ecken Großbritanniens zu entdecken und sich dabei vorzustellen, welche Geschichte sich an Ort und Stelle gerade abspielen könnte. Seit sie das Schreiben für sich entdeckt hat, leidet zwar der Haushalt, aber zumindest hat ihr Kopfkino endlich ein Ventil erhalten. Unter der Aufsicht ihres Katers Noah, der mit Vorliebe neben Alex' Laptop schläft, sind bisher sieben Romane entstanden.

Das Buch

Parker Manning liebt ihren Job als Kamerafrau bei einem Londoner Fernsehsender. Als ihr die Möglichkeit gegeben wird bei der berühmten Antiquitätenshow Treasure Hunt hinter der Linse zu stehen, sagt sie sofort zu und düst kurze Zeit später mit dem Produktionsteam durchs ganze Land um die Experten bei der Jagd nach Raritäten und kleinen Schätzchen zu filmen. Wäre da nur nicht ihr Kamerakollege Callum. Zwar sieht er unverschämt gut aus und ist wahnsinnig charmant, aber ihm eilt ein wenig schmeichelnder Ruf als Womanizer voraus. Und auf so jemanden lässt Parker sich garantiert kein zweites Mal ein. Doch die beiden müssen eng zusammen arbeiten und Parker merkt bald, dass Callum vielleicht nicht nur einen zweiten Blick, sondern sogar eine Nahaufnahme wert ist…

Von Alexandra Zöbeli sind bei Forever erschienen:Ein Bett in CornwallEin Ticket nach SchottlandDie Rosen von Abbotswood CastleDer Himmel über den Black MountainsDer Pub der guten HoffnungDie Sterne über den Black MountainsEin Schott im Gepäck

Alexandra Zöbeli

Ein Schotte im Gepäck

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuli 2020 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat/ Carole FleischmannE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-547-0

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Die Sterne über den Black Mountains

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Karte

Prolog

März 2017

Die Sonne schaffte es kaum, sich durch die dicke Wolkendecke zu kämpfen, die über London lag. Dennoch war es außergewöhnlich mild für die Jahreszeit. Parker richtete ihre Kamera auf den Korrespondenten Ray, hinter dessen Schultern das altehrwürdige Gebäude des Westminsterpalasts zu erkennen war. Sie hatten heute vom Sender den Auftrag erhalten, einen Bericht für die Abendnachrichten aufzunehmen, in dem es um einen angeblich korrupten Minister ging. Wie immer herrschte auf der Westminster Bridge ein Gewimmel aus Touristen und Geschäftsleuten. Doch die Gespräche und das Lachen, sowie den Lärm des Verkehrs, nahm Parker nur als entferntes Rauschen im Hintergrund wahr. Ihr Fokus war ganz auf Ray gerichtet, um ihn perfekt ins Bild zu setzen. Nur an seinen plötzlich schreckensweit geöffneten Augen und dem weit aufgerissenen Mund bemerkte sie, dass sich hinter ihr irgendwas Außergewöhnliches abspielen musste. Erst da drangen auch die entsetzten Schreie an ihr Ohr. Sie drehte sich herum, um zu sehen, was da los war, als ein Wagen in mörderischem Tempo an ihnen vorbeipreschte. Aber nicht etwa auf der Straße, nein, der dunkelgraue Geländewagen raste über den gegenüberliegenden Gehsteig und mähte alles nieder, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Wie in Trance hörte sie Ray rufen: »Halt drauf, Parker! Halt drauf!« Doch sie war unfähig, sich zu rühren. Zu geschockt von dem, was sich vor ihr gerade abspielte. Menschen rannten in Panik schreiend umher. Andere, die einen kühleren Kopf bewahrten, versuchten, ruhig zu bleiben und zu schauen, ob noch von irgendwoher weitere Gefahr drohte. Ein lautes Krachen ließ Parker wieder in die andere Richtung herumschnellen. Es schien, als wäre der Raser weiter vorne irgendwo hineingeknallt. Sehen konnte sie das Fahrzeug allerdings nicht mehr. Ein Stöhnen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf eine ältere Dame, die vor der Brückenbrüstung am Boden lag. Ihre Beine lagen in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ausgestreckt da. Wie ein todbringender Lavastrom floss aus ihrer Nase dunkelrotes Blut. Es bahnte sich einen Weg über die hellrosa geschminkten Lippen, den schiefen Mundwinkel und weiter hinab über leichenblasse Haut, bis es auf den Asphalt tropfte. Zwei Schüsse hallten von irgendwoher und ließen die Menschen voller Angst aufkreischen. Parker klopfte das Herz bis zum Hals, dennoch bekämpfte sie den Drang, einfach kopflos davonzurennen. Panik war noch nie sonderlich hilfreich gewesen. Bleib ruhig, Parker, befahl sie sich stattdessen stumm.

»Die Schüsse müssen vom Parlamentsgebäude kommen. Los, Parker, da müssen wir hin!« Ray wollte sie am Arm mit sich ziehen, aber Parker bewegte sich keinen Millimeter. Ihr Blick haftete erneut an der verletzten Frau auf der anderen Straßenseite. Sie atmete stoßweise und schaute Parker dabei unverwandt an. In der Hand hielt sie eine Hundeleine fest umklammert. Ohne zu zögern, befreite sich Parker aus Rays Griff und legte die Kamera auf den Boden.

»Hey, Parker, was wird das jetzt?!«

Parker ignorierte ihn und rannte über die Straße zu der Verletzten. Während sie sich neben ihr auf den Gehsteig kniete, versuchte sie sich verzweifelt an ihren Erste-Hilfe-Kurs zu erinnern, der schon Jahre zurücklag. Sollte sie die Frau in die stabile Seitenlage bringen? Aber was, wenn sie eine Rückenverletzung erlitten hatte? Zudem war sie ja bei Bewusstsein. Bevor Parker zu einer Entscheidung kam, wie sie helfen konnte, reckte die Frau mühsam ihren Arm hoch und drückte ihr die Hundeleine in die Finger. »Bitte …«, stieß sie kraftlos hervor. »Mein Hund …«

»Gehen Sie zur Seite, ich bin Arzt!« Ein junger Mann mit herrischer Stimme verschaffte sich Durchlass und begann sich gleich um die Verletzte zu kümmern. Er trug Jeans und eine schwarze Lederjacke mit Nieten und einem Emblem einer Motorradgang. Trotzdem sah er so aus, als wüsste er, was er tat. Mit zitternden Knien stand Parker auf. Ihre Augen wanderten dabei an das andere Ende der Hundeleine. Ein kleiner weißer struppiger Jack Russell Terrier lag neben den verdrehten Beinen seiner Besitzerin und versuchte erfolglos, sich aufzurappeln. Bei einem seiner Hinterbeinchen ragte ein Knochen tief aus dem Fleisch. Er winselte und jaulte kläglich.

»Parker! Jetzt komm schon, wir haben einen Job zu erledigen!«, drängte Ray auf der anderen Straßenseite. Hin- und hergerissen starrte Parker auf die dunkelblaue Hundeleine in ihrer Hand. Die Frau, die mittlerweile nicht mehr bei Bewusstsein war, hatte auf sie gezählt, als sie ihr die Leine übergeben hatte. Sie konnte sie nicht einfach im Stich lassen.

»Verdammt!«, fluchte der Arzt leise. »Schaffen Sie den Hund beiseite, ich muss die Frau auf den Rücken drehen.« Noch während sie den Terrier so vorsichtig wie möglich hochhob, drehte der Arzt seine Patientin herum und begann mit Wiederbelebungsmaßnahmen. Geschockt trat Parker ein paar Schritte zurück.

»Herrgott noch mal, Parker! Komm endlich«, forderte Ray am Ende seiner Geduld. Mit energischen Schritten und ihrer Kamera in der Hand wechselte auch er die Straßenseite. »Noch sind wir das einzige Nachrichtenteam hier. Das ist unsere Chance!«

»Siehst du denn nicht, was hier los ist, Ray?! Ich kann jetzt nicht weg. Ich muss auf den Hund dieser Frau aufpassen.« Ihr war klar, dass sie ihren Job riskierte, wenn sie nicht mit Ray mitging. Doch wie könnte sie die Bitte der Halterin in dieser Situation ignorieren? So abgebrüht war sie nun mal nicht.

»Wenn Sie wollen, dass es zumindest einer der beiden schafft, bringen Sie ihn besser gleich zu einem Tierarzt«, keuchte der Arzt, der weiter das Herz seiner Patientin bearbeitete. Wie um die Worte zu unterstreichen, jaulte der Kleine auf ihren Armen.

»Oh, okay, und wo finde ich die Dame danach wieder?«

»Rufen Sie mich später in der Praxis an. James Whitby … Allgemeinmediziner. Sie finden mich … im Netz.«

Den lauthals schimpfenden Ray hinter sich lassend, rannte Parker los. Dabei hielt sie den Hund so behutsam wie möglich an sich gedrückt. Es war nicht leicht, in dem Gewusel voranzukommen. Immer wieder versperrten ihr herumirrende und unter Schock stehende Menschen den Weg. Sich selbst gestattete sie es nicht, darüber nachzudenken, was da gerade eben geschehen war, ansonsten wäre sie komplett durchgedreht. Aus der Ferne hörte sie die Sirenen der Rettungswagen. Hoffentlich kam die Hilfe für die alte Dame nicht zu spät. Leicht außer Atem erreichte sie die Hauptstraße entlang der Themse, wo sie sich ein Taxi heranwinkte. Der beleibte Fahrer hielt am Straßenrand und ließ das Fenster herunter. »Wohin soll’s denn gehen?«

»Können Sie uns bitte zum nächsten Tierarzt fahren? Der Hund wurde von einem Auto angefahren.«

»Klar«, entgegnete er tiefenentspannt. Allem Anschein nach hatte er noch nichts von dem schrecklichen Vorfall auf der Brücke gehört. »Im Kofferraum hat es eine Decke, in die Sie ihn einwickeln können. Nicht dass er mir die Sitze vollblutet.« Er stieg noch nicht mal aus, um ihr zu helfen, sondern wartete ab, bis sie es irgendwie auf den Rücksitz geschafft und die Tür zugezogen hatte. Egal, sie sollte dankbar sein, dass er sie mit dem verletzten Tier überhaupt mitnahm. Geschickt fädelte der Fahrer sich wieder in den Londoner Verkehr ein, wobei er sich über die vielen Rettungsfahrzeuge wunderte, die in die entgegengesetzte Richtung rasten. Vor der Tierklinik angekommen, verlangte er ein völlig überteuertes Fahrgeld. Immerhin müsse er die Decke wieder reinigen lassen, war seine Ausrede. Normalerweise würde Parker sich so etwas nicht bieten lassen, aber ihr blieb keine Zeit, um sich mit dem Fahrer zu streiten. Der Hund ging jetzt vor. Knurrend drückte Parker ihm das Geld in die wurstigen Finger.

»Viel Glück«, rief der Taxifahrer ihr mit einem zufriedenen Grinsen hinterher. Ja, das konnten sowohl der Hund als auch sie gebrauchen. Vermutlich würde sie nach dieser Aktion ihren Job als Kamerafrau an den Nagel hängen können. Doch eines war Parker heute Nachmittag klar geworden: Sie wollte nicht sensationslüstern die Kamera auf das Leid anderer richten. Und schon gar nicht, wenn sie stattdessen helfen konnte.

In den wenigen Monaten, die sie für das Nachrichtenteam nun schon arbeitete, war sie nie vor die Wahl gestellt worden, zu filmen oder einzugreifen. Das war das erste und – wie zu befürchten war – auch das letzte Mal gewesen. Aber sie sollte sich jetzt keine Sorgen um ihren Job machen, sondern um den kleinen Kerl auf ihren Armen.

In der Tierklinik stellte sich heraus, dass das rechte Hinterbein des Hundes vollständig zertrümmert war und vermutlich nicht gerettet werden konnte. So einen schlimmen Bruch habe er noch nie gesehen, meinte der Tierarzt. Bis die Halterin über das weitere Schicksal des Tieres entscheiden könne, würde er eine Erstversorgung vornehmen und ihm Schmerzmittel verabreichen. Mehr könne er im Moment ohne deren Einwilligung nicht tun. Parker hinterließ am Empfang die Angaben von Dr. Whitby, aber auch ihre eigene Nummer. Sollte es wider Erwarten Probleme geben, die Besitzerin zu erreichen, konnte die Klinik zumindest mit ihr Kontakt aufnehmen. Gleichzeitig erschöpft und aufgewühlt, machte Parker sich anschließend auf den Weg zu ihrem Apartment. Seit circa zwei Jahren wohnte sie in der günstigen Zweizimmerwohnung in der Nähe des Crystal Palace Park. Aufatmend schloss sie die Wohnungstür hinter sich und zog mit zitternden Händen die Jacke aus, die voller Blutflecken war. Da würde selbst eine professionelle Textilreinigung nichts mehr bewirken können. Die Jacke war hinüber. Zu erledigt, um sich um die Entsorgung zu kümmern, hängte Parker die Jacke vorerst an den Haken des Kleiderständers im Korridor. Dabei streifte ihr Blick den Spiegel an der Wand. Ihre schwarzen Haare, die sie seit Kurzem als frechen Pagenschnitt trug, wirkten platt, und ihre blaugrünen Augen schauten glanzlos aus dem aschfahlen Gesicht. Das Bild der verletzten alten Dame schoss ihr durch den Kopf. Wie es ihr wohl ging? Ihr klingelndes Handy riss sie aus ihren Gedanken. Verflixt, es war ihr Onkel, Max Manning. Das konnte nur bedeuten, dass er bereits von ihrer Arbeitsverweigerung erfahren hatte. Max war Leiter und Inhaber der TV-Produktionsfirma LTV, die er vor über dreißig Jahren gegründet hatte. Nach Parkers desaströser Trennung von ihrem untreuen Ehemann Nick hatte Max es ihr ermöglicht, eine Ausbildung als Kamerafrau in seiner Firma zu absolvieren. Danach wurde sie für verschiedene Sendungen übernommen. Vor einem knappen halben Jahr hatte man sie dem Inland-Nachrichtenteam zugeteilt. Einen Moment erwog sie, nicht ranzugehen, aber das wäre feige und ihm gegenüber nicht fair gewesen. »Hey, Max«, meldete sie sich zaghaft.

»Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen?!«, brüllte er so laut, dass sie das Handy ein Stück weiter vom Ohr weghalten musste. »Die gesamte Welt blickt auf die Westminster Bridge, und du lässt die Kamera liegen, um mit einem Hund davonzurennen? Dank dir stehen wir wie die letzten unfähigen Idioten da. Hast du dabei auch nur eine Sekunde mal an den Ruf von LTV Productions gedacht?«

Parker ließ eine weitere Schimpftirade über sich ergehen und entschuldigte sich zwischendurch immer wieder kleinlaut. Max hatte mit jedem Wort recht. Trotzdem, sie hätte nicht anders handeln können.

»Du wirst morgen um neun in meinem Büro erscheinen. Verstanden?!« Das war keine Bitte oder Frage, sondern eher ein Befehl, der keine Widerrede duldete.

»Wenn du mich rauswerfen willst, kannst du das ebenso gut jetzt gleich erledigen«, meinte Parker dennoch leise.

Sie hörte ein Schnauben am anderen Ende. »Ich will dich nicht rauswerfen, Parker, auch wenn du es nach diesem Mist wirklich verdient hättest. Aber ich kann dich nicht länger im Nachrichtenteam lassen. Das ist dir wohl hoffentlich klar? Ich brauche da Leute, auf die man sich im Ernstfall verlassen kann.« Etwas milder gestimmt, erkundigte er sich am Ende, wie es ihr denn ging. Immerhin war sie ja bei dem Anschlag mittendrin gewesen. Natürlich hatte er bereits von Ray erfahren, dass sie beide unverletzt geblieben waren.

»Ich komme schon klar«, sagte sie zuversichtlicher, als sie sich fühlte. »Weiß man denn schon, was da los war?«

»Einzelheiten sind noch nicht bekannt. Die Polizei hält sich sehr bedeckt. Aber den Gerüchten nach scheint es sich um einen Terroranschlag gehandelt zu haben.«

Sie schluckte schwer, weil ihr bewusst wurde, welches unglaubliche Glück sie und Ray gehabt hatten. Ebenso gut hätten sie jetzt tot sein können.

»Die genaue Zahl der Toten und Verletzten wurde bisher nicht mitgeteilt«, fuhr Max fort. »Ray meinte, der Attentäter sei von der Polizei erschossen worden, nachdem er zuvor einen ihrer Kollegen niedergestochen habe.« Er legte eine Pause ein, bevor er fast unverständlich knurrte: »Bin froh, ist dir nichts passiert.«

Bereits am nächsten Morgen erhielt Parker einen Anruf von der Tierklinik. Der von ihr angegebene Arzt, Dr. Whitby, habe ihnen mitgeteilt, dass die Halterin im Krankenhaus leider verstorben wäre. Die einzige Verwandte, die ausfindig gemacht werden konnte, sei eine ältere Schwester, die aber nichts von dem Hund wissen wolle.

»Wir werden ihn einschläfern müssen, da niemand für die Kosten aufkommen wird.« Die Frau am Telefon klang nüchtern, vermutlich war es nicht das erste Mal, dass die Kosten über Leben und Tod eines Tieres entschieden.

»Auf keinen Fall!«, rief Parker entrüstet aus. »Bitte, warten Sie damit. Bestimmt gibt es eine andere Lösung.« Und bevor sie sich zurückhalten konnte, entwischte es ihr auch schon: »Ich werde für die Kosten aufkommen. Aber ich muss gleich los zur Arbeit, danach komme ich so schnell es geht in die Klinik, und wir können alles Weitere besprechen.«

»Na schön, aber wenn Sie nicht auftauchen …«

»Sie können sich auf mich verlassen, spätestens gegen vier Uhr bin ich da. Versprochen.«

Pünktlich um neun Uhr setzte sie sich auf den unbequemen modernen Stuhl aus Stahl und schwarzem Leder in Max’ Büro. Er selbst thronte in seinem ledernen Chefsessel hinter dem riesigen Mahagonischreibtisch. Mit leicht gefurchter Stirn, die seine dichten dunkelgrauen Augenbrauen wie bedrohliche Gewitterwolken hervorstehen ließ, schaute er sie an. »Du hast mich in eine unmögliche Situation gebracht, Parker.« Seine Stimme war tief und kratzig vom vielen Rauchen. Parker schwieg wohlweislich und setzte stattdessen ein schuldbewusstes Gesicht auf. Sie wollte ihn nicht noch wütender machen, indem sie klarstellte, dass sie wieder so handeln würde, sollte sie erneut in eine solche Lage geraten. Kopfschüttelnd schaute er sie an und seufzte schließlich: »Sei’s drum, jeder macht mal einen Fehler. Trotzdem kriegst du eine Abmahnung, und wie ich dir schon gesagt habe, kann ich dich nicht länger im Nachrichtenteam einsetzen.«

»Dann bin ich also doch gefeuert?« Parker war verwirrt. Hatte er nicht eben gesagt, sie kriege nur eine Abmahnung?

»Verdient hättest du es, aber nein, das habe ich dir ja gestern schon am Telefon gesagt. Du wirst vorläufig wieder im Studio arbeiten. In drei Wochen starten die Aufzeichnungen der Spielshow Wer weiß was?. Du bist für diesen Dreh eingeplant. Bis dahin habe ich dich beurlaubt. Doch noch so ein Ding, und du bist raus.«

Froh über den glimpflichen Ausgang des Gesprächs, verließ sie das Büro ihres Onkels. In seinem Vorzimmer schaute Max´ Assistentin Cassandra erwartungsvoll von ihrer Arbeit auf. Cassie und sie waren schon seit Cassies erstem Arbeitstag miteinander befreundet. »Und, war’s sehr schlimm?«, flüsterte sie mitfühlend.

»Nein, ich werde bloß in eine Spielshow versetzt. Ist wohl auch besser so. Was gestern geschehen ist, hat mir meine Grenzen deutlich aufgezeigt. Für die nächsten drei Wochen hat er mich allerdings beurlaubt.«

Cassie kniff grimmig die Augen zusammen. »Das hat Max bestimmt nur gemacht, um dich aus der Schusslinie zu nehmen. Ray, der Idiot, erzählt nämlich überall herum, dass du dir beim Terroranschlag schier in die Hosen gemacht hättest und nur deswegen mit dem Hund abgehauen wärst. Du hättest eben nicht das Zeug für den Job. Ich krieg so einen Hals bei dem Kerl!«

Na super, nun dachte wohl jeder, sie wäre eine Dilettantin. Klar hatte sie Angst gehabt, aber im Gegensatz zu ihrem abgebrühten Kollegen konnte sie ihre Arbeit nicht über die Not anderer stellen. Schon auf dem Weg zum Sender hatte sie mitbekommen, wie die Medien Ray über Nacht zum Star gekrönt hatten. Immerhin hatte er geistesgegenwärtig die Kamera seiner unfähigen Kollegin an sich genommen und der gierigen Öffentlichkeit alles gezeigt, nach was sie lechzte. Die Bilder mochten total verwackelt, seine Stimme keuchend und kaum zu verstehen sein, aber er hatte alles gegeben, um jeden am Anschlag teilhaben zu lassen. Cassie wollte gerade wissen, wie es ihr denn nach diesem schrecklichen Tag ging, da summte die Gegensprechanlage, und Max forderte sie zu sich ins Büro. »Ich rufe dich später an«, versprach sie Parker und schnappte sich schon ihren Kugelschreiber und einen Notizblock.

Durch die unverhoffte Beurlaubung saß Parker früher als geplant in dem beengten Besprechungszimmer eines der Tierärzte der Klinik. In dem fensterlosen Raum standen an zwei Wänden Regale, die mit Fachbüchern vollgestopft waren. An der Wand hinter dem erstaunlich aufgeräumten Arbeitstisch hingen zwei Röntgenbilder vor einem Röntgenschirm. Der Arzt deutete mit einem Pointer auf eines der Bilder und erklärte ihr, was sie gestern schon erfahren hatte. Der arme Hund hatte einen schlimmen Trümmerbruch an einem seiner Hinterbeine erlitten. Man musste kein Experte sein, um auf den Bildern erkennen zu können, dass es übel aussah.

»Es gibt drei Varianten für den kleinen Kerl«, fuhr der Arzt fort. »Die erste wäre einschläfern, was in Anbetracht seines Alters und sonstigen Gesundheitszustandes zwar schade wäre, ihm aber weitere Schmerzen ersparen würde. Die zweite Variante wäre die Amputation des Beines, damit käme der Hund mit der Zeit auch bestens klar, und die dritte Möglichkeit wäre die Teil-Amputation mit anschließender Fixierung einer Prothese. Bei der letzten Variante müssten wir Sie allerdings an einen Kollegen in Surrey überweisen. Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet und hat bahnbrechende neue Erfindungen in diesem Bereich auf den Markt gebracht.«

»Ich weiß nicht …«, Parker fühlte sich gerade ziemlich überfordert mit so einer Entscheidung. »Auf keinen Fall soll er eingeschläfert werden, solange er eine Chance hat.« Schließlich kehrte sie den Spieß um und schaute den Arzt direkt an: »Was würden Sie tun, wenn es Ihr Tier wäre?«

»So leid es mir tut, aber ich darf Ihnen diese Entscheidung nicht abnehmen.«

»Das verstehe ich, aber ich hatte noch nie einen Hund und kann nicht abschätzen, was für ihn das Beste ist. Dazu habe ich zu wenig Ahnung. Und genau genommen gehört der Kleine mir ja auch nicht, ich komme lediglich für die Kosten auf.«

Der Arzt schmunzelte nachsichtig. »Na schön. Wäre es meiner, würde ich es mit der Prothese versuchen. Die Erfolge, die dieser Chirurg erzielt, sind in der Tat enorm, und sollte es nicht klappen, hätte der Hund immer noch drei gesunde Beine. Allerdings wäre dies auch die teuerste Variante.«

Parker seufzte, sie war finanziell gesehen nicht wirklich auf Rosen gebettet. Doch dann sah sie die alte Dame wieder vor sich, die ihr die Leine mit flehenden Augen in die Hand gedrückt hatte. Bestimmt hätte sie alles getan für ihren Liebling. »Hat er jetzt Schmerzen?«, wollte Parker wissen, bemüht, das Bild der Sterbenden wieder loszuwerden.

»Nein, wir haben ihm genügend Schmerzmittel verabreicht. Aber diesen Zustand können wir nicht ewig so belassen, das wäre ihm gegenüber nicht fair.«

»Ja, schon klar. Darf ich ihn sehen?«

Der Tierarzt ging kurz raus und kehrte mit dem Hund auf seinen Armen zurück ins Besprechungszimmer. Ein Blick in die Augen des Tieres reichte aus, um Parker die Entscheidung zu erleichtern.

1. Kapitel

Mai 2019

Parker ging mit solch zügigen Schritten durch die langen Gänge des Aufnahmestudios, dass Billy schon fast rennen musste, um mit ihr Schritt zu halten. Immer wieder blickte der kleine Hund zu ihr auf, vermutlich um herauszufinden, weshalb sie eine solche Hektik an den Tag legte.

»Frag nicht!«, raunte sie ihm zu. »Ich muss das jetzt tun, sonst drehe ich hier noch durch.«

Sie öffnete die Tür zum Bürotrakt ihres Onkels. Sie verdankte Max viel, das war ihr klar. Nicht nur wegen der Ausbildung, nein, er hatte sie auch dann weiter beschäftigt, als der angesehenste Reporter der Firma, Ray Benning, vor zwei Jahren ihren Rauswurf forderte, nachdem sie als Nachrichtenreporterin kläglich versagt hatte. Nur ungern erinnerte sich Parker an einen der schwärzesten Tage Londons, an dem der Terror in die Stadt zurückgekehrt war. Auch wenn sie sich nach außen hin stark gab, so hatte dieser Akt der Gewalt in ihr Ängste geweckt, die ihr zuvor fremd gewesen waren. Billy, der Jack Russell Terrier, der seit diesem schrecklichen Ereignis bei ihr lebte, war ihr aber eine große Hilfe. Sie hatte es keinen einzigen Tag bereut, von der alten Dame die Leine und damit die Verantwortung für ihn übernommen zu haben. Die Operation und die anschließende Genesungszeit waren für den Hund kein Vergnügen gewesen, aber schon wenige Wochen danach hatte er seine Lebensfreude wiedergefunden und jagte mit seinem künstlichen Bein genauso über die Wiese wie seine Kumpels aus dem Park. Der irische Chirurg, der ihn in seiner Klinik in Surrey operiert hatte, meinte, sein Team hätte einen völligen Narren an Billy gefressen. Und auch er selbst habe sich nach der Arbeit jeweils gerne eine Weile zu ihm gesetzt. Billy habe etwas an sich, das einen aufmuntere und einem ein gutes Gefühl gebe. Ein toller Hund. Ja, das sah Parker auch so. Ursprünglich hatte sie ja für ihn neue Besitzer suchen wollen. Aber diesen Gedanken hatte sie noch am selben Tag verworfen, als Billy zum ersten Mal über die Schwelle ihrer Wohnung tapste. Dieser kleine Kämpfer hatte ihr Herz im Sturm erobert, und sie hatte nicht vor, ihn da jemals wieder hinauszulassen.

Wie sich bald darauf zeigte, hatte Billy aber noch ganz andere Talente, als sich nur in die Herzen der Menschen zu stehlen. Nach dem Anschlag auf der Westminster Bridge hatte Parker unter grässlichen Albträumen gelitten, die sie schweißgebadet aus dem Schlaf aufschrecken ließen. Billy entwickelte mit der Zeit ein Gespür, wann sich so ein Albtraum anbahnte, und weckte sie rechtzeitig auf, indem er aufs Bett sprang und sie mit der Schnauze anstupste. Früher hätte sie es für unmöglich gehalten, dass ein Hund so etwas konnte, aber nachdem Billy sie mehrmals aufgeweckt hatte, kurz bevor sie wieder in ihren Angstraum abglitt, hatte Parker im Netz recherchiert. Tatsächlich stieß sie dabei auf Organisationen, die Hunde sogar darauf trainierten, um sie später an traumatisierte Kriegsveteranen zu vermitteln. Ob Billy von so einer Organisation ausgebildet worden war, wusste Parker nicht. Eigentlich spielte es keine Rolle. Sie war einfach nur glücklich, ihn bei sich aufgenommen zu haben. Seit etwas mehr als einem Jahr waren nun auch die schrecklichen Träume verschwunden.

Nach anfänglichen Bedenken hatte Max ihr erlaubt, Billy mit zur Arbeit zu nehmen, solange er sich still verhielt und nichts kaputt machte. Natürlich dauerte es nicht lange, bis Billy auch im Studio alle um seine kleine Pfote gewickelt hatte. Sogar ihr Onkel steckte ihm hin und wieder einen Keks zu, wenn er glaubte, niemand bemerke es.

Im Grunde wäre damit alles gut gewesen in Parkers Leben, würde sie sich bloß nicht so grässlich langweilen. Ihr fehlte die Arbeit außerhalb des Studios. Der ewig gleiche Ablauf der Spielshow, der Sonnenbank-gebräunte Moderator Denis, die vermeintlich superschlauen Kandidaten, all das hing Parker mittlerweile zum Hals heraus. Und nachdem heute Denis unzählige Takes verlangt hatte, weil Parker ihn angeblich in einem schlechten Blickwinkel gezeigt und die Kandidatin ihn nicht angelächelt habe, das Licht nicht korrekt war oder sein Make-up aufgefrischt werden musste, kochte sie innerlich derart, dass ihr der Dampf beinahe aus den Ohren quoll. Parker hatte die Nase gestrichen voll und konnte keine Garantie geben, Denis nicht mit einem der herumliegenden Kabel zu erwürgen, sollte sie länger der Show zugeteilt bleiben. Sie trat in das Vorzimmer von Max’ Büro. Cassie saß nicht wie gewohnt an ihrem Platz, aber da ihr Computer eingeschaltet war, würde sie wohl gleich zurückkehren.

»Ich habe dir schon beim letzten Mal gesagt, Max, dass ich eher kündigen werde, bevor ich mit diesem unfähigen Zirkusclown noch mal zusammenarbeite.« Die Bürotür ihres Onkels stand weit offen, und Parker sah John, einen der Kameramänner der erfolgreichen Antiquitäten-Roadshow Treasure Hunt, mit hochrotem Kopf vor dem Bürotisch ihres Onkels auf und ab gehen. »Das habe ich damals sehr ernst gemeint, Max. Wenn du mich dazu zwingst, werde ich meine Konsequenzen ziehen.«

»Jetzt komm mal runter von deinem hohen Ross, John«, Max klang unbeeindruckt. »LTV ist dein Arbeitgeber und nicht deine Wellness-Oase! Immerhin bezahlen wir dich gut für deine Arbeit. Aber wenn du gehen willst … bitte, dort ist die Tür.«

»Das ist nicht dein Ernst, oder?«

»Ich lasse mir nicht drohen, John. Wenn du mit mir sachlich diskutieren willst, können wir das gern tun. Archie ist einer der besten Antiquitäten-Experten, die wir für diese Sendung haben. Das Publikum liebt ihn.«

»Ja, und jeder, der mit ihm zusammenarbeiten muss, hasst ihn«, spie John ihrem Onkel entgegen. »Er ist absolut chaotisch, und nichts ist vor ihm sicher. Beim letzten Mal hat er mir sogar eine der Kameras zerschmettert.«

»Die du nicht hättest am Boden liegen lassen sollen und die ebenfalls dem Sender gehört«, belehrte ihn Max.

Parker hörte an seinem Tonfall, dass er sich nun doch zusammenreißen musste, um die Geduld mit seinem Gegenüber nicht zu verlieren. Sie überlegte sich gerade, ob sie später wiederkommen sollte, als ihr Onkel sie entdeckte. »Parker, wolltest du zu mir oder zu Cassie?«

»Eigentlich zu dir, aber ich sehe, es ist etwas ungünstig.«

»Nein, John und ich sind gerade fertig.«

»Wenn du das so siehst, Max, wirst du heute noch meine Kündigung erhalten«, schnaubte John verächtlich und stampfte an Parker vorbei. Genervt warf ihr Onkel den Stift, den er in der Hand gehalten hatte, auf seinen Schreibtisch.

»Ich kann wirklich später wiederkommen«, bot Parker an. Doch Billy war bereits auf Max’ Schoß gesprungen und ließ sich von ihm den Nacken kraulen. Augenblicklich stahl sich ein kleines Lächeln auf das Gesicht ihres Onkels. Diese Wirkung hatte Billy auf die meisten Menschen.

»Nein, das ist nicht nötig. Ich lasse mir doch von so einem Wichtigtuer nicht die Laune vermiesen. Komm, setz dich, und schieß los. Hat deine Mutter dich geschickt, weil ich zu selten anrufe?«

»Da spricht wohl das schlechte Gewissen aus dir?«, neckte Parker ihn. »Nein, deswegen bin ich nicht hier. Ich kam nicht umhin, das Gespräch zwischen dir und John mitanzuhören. Ihr wart ziemlich laut«, meinte sie. »Vielleicht kannst du aber sein Problem und meines mit einem Schlag lösen.«

Fragend hob Max seine dichten Augenbrauen. »Ach ja?«

»Setz mich für diese Staffel ein.«

»Und die Spielshow? Soll die etwa John drehen?« Max gluckste vergnügt und steckte Billy einen Keks zu, den er aus der Dose geklaubt hatte, die er extra für ihren Hund angeschafft hatte. »Da kennst du ihn aber schlecht, meine Liebe. Diese Show ist unter der Würde des feinen Herrn. Nein, wenn John gehen will, soll er gehen. Ich habe genug von seinem mimosenhaften Getue. Archie mag anstrengend sein, aber im Gegensatz zu John ist er ein feiner Kerl, der sich für nichts zu schade ist. Zudem mag das Publikum seine Tollpatschigkeit und seinen Humor. Die Staffeln mit ihm sind die mit den meisten Einschaltquoten. Da nehme ich das Gemotze von Kameraleuten und Realisatoren in Kauf.«

»Ich würde mich ganz sicher nicht beklagen. Im Gegenteil, ich wäre überglücklich, wenn du mich von der Spielshow abziehen würdest. Bitte, Onkel Max, gib mir diese Chance, und ich werde dich nicht enttäuschen.«

Nachdenklich musterte Max sie. »Weißt du überhaupt, worum es in der Show geht?«

»Ähm, nein«, gestand Parker kleinlaut. »Aber mir ist alles recht, solange ich nicht länger diesen eitlen Fatzke ertragen muss.«

Max warf ihr einen missbilligenden Blick zu, bevor er ihr dennoch die Show zu erklären begann. »Du wärst ungefähr vier Wochen mit einem Team aus zwei Antiquitäten-Experten, einem weiteren Kameramann, einem Tontechniker und einer Realisatorin unterwegs. Die Experten kaufen mit ihrem Startbudget von zweihundert Pfund in Antiquitätenläden mindestens fünf Objekte ein, die am Ende der jeweiligen Tages-Show in einer Auktion versteigert werden. Es gibt fünf solcher Auktionen. Der Experte, der am meisten Gewinn für eine gemeinnützige Organisation erzielt, geht als Sieger aus der Show. Stilecht wird die Reise in einem Oldtimer zurückgelegt, und unterwegs zeigen wir dem Publikum ein paar Sehenswürdigkeiten.«

»Klingt für mich absolut traumhaft, sofern ich Billy mitnehmen kann.«

»Das wäre das geringste Problem.« Max schien immer noch abzuwägen. »Ich weiß nicht, Parker … Es wäre nur ein vorübergehender Einsatz für diese eine Staffel. Eigentlich hätte Adam sie drehen sollen, aber seine Frau ist schwanger, und es gibt anscheinend ein paar Komplikationen. Daher hat er mich gebeten, dieses Mal John einzusetzen.«

»Das passt doch. Ich will Adam ja auch gar nichts wegnehmen, aber ich muss dringend raus aus dem Studio, bevor ich einen Mord begehe.«

»Wenn ich dich von der Spielshow abziehe, habe ich dort wieder ein Loch zu stopfen.«

»Schon, doch diesen Job könntest du wesentlich einfacher einer Aushilfskraft übertragen. Bitte, Max, bitte, bitte, bitte …«

»Na schön …« Zu mehr kam er nicht, denn Parkers Jubelschrei, in den Billy gleich mit tüchtigem Gekläffe einstimmte, hätte jedes weitere Wort unverständlich gemacht. Sie flog förmlich um den großen Bürotisch herum und drückte ihrem Onkel einen Kuss auf die nach Old Spice duftende Wange. »Danke! Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen.«

»Das hoffe ich doch sehr«, schmunzelte Max. »Cassie wird dir die Unterlagen mailen. Es geht erst in zwei Wochen los, bis dahin bleibst du der Spielshow zugeteilt.«

Drei Tage später fand das erste Meeting mit der Treasure Hunt-Crew statt. Zur Vorbereitung hatte Parker sich die ganze letzte Staffel angeschaut und ein wenig über diesen Archibald Braxton im Internet recherchiert. Er war einer der führenden Antiquitäten-Experten im Land, aber machte keinen verknöcherten Eindruck. Im Gegenteil, er schien mit seinen dreiundvierzig Jahren immer noch ein quirliger Typ zu sein, mit dem man auch eine Menge Spaß haben konnte, wie sie den Aufzeichnungen entnahm. Er war verheiratet und Vater von zwei niedlichen Töchtern, die sein ganzer Stolz zu sein schienen.

In den Unterlagen, die Cassie ihr gemailt hatte, stand, dass es sich bei der zweiten Expertin um Margo Harper handelte. Eine Schottin, die Parker etwa zehn Jahre älter schätzte als Archie. Margo besaß ein eigenes Auktionshaus und war bekannt für ihre bunten Outfits und ihre Vorliebe für Hüte. Sie schien nie ohne passende Kopfbedeckung aus dem Haus zu gehen. Ihre ganze Aufmachung erinnerte Parker an die Zeit der Sechzigerjahre, aber sie musste zugeben, die damalige Mode stand Margo durchaus gut. Am heutigen Meeting würden die beiden Experten nicht teilnehmen, da es lediglich organisatorische und technische Belange zu besprechen galt. Als Parker mit Billy das Sitzungszimmer betrat, waren die Realisatorin Fran und der Tontechniker Simon schon da. Bisher kannte Parker die beiden lediglich vom Sehen und von verschiedenen Firmenfesten. Fran trat mit einem freundlichen Lächeln auf sie zu. »Parker, wie schön. Wir haben schon gehört, dass du für Adam einspringen wirst. Ein bisschen mehr Frauenpower kann ich gut gebrauchen.«

Simon verzog spöttisch das Gesicht, schwieg aber. Er stand noch nicht mal auf, um Hallo zu sagen, sondern nickte ihr lediglich zu. Was für ein sonniges Gemüt.

»Setz dich einfach irgendwo hin. Callum wird bestimmt auch gleich erscheinen, dann legen wir los.«

Callum McClay war der zweite Kameramann im Team, wie Parker aus Cassies Unterlagen wusste. Anscheinend hatte er bereits ein paar Folgen von Treasure Hunt gedreht. Bis vor eineinhalb Jahren hatte er für einen anderen Sender gearbeitet und war für seine Kameraführung mehrfach ausgezeichnet worden. Weshalb jemand wie er Aufnahmen für eine Antiquitätenshow übernahm, war Parker ein Rätsel. Er spielte doch in einer ganz anderen Liga als die gesamte Kameracrew von LTV Productions. Fran wartete fünf Minuten, bevor sie das unangenehme Schweigen unterbrach und befand, sie würde nun halt doch ohne Callum mit dem Briefing beginnen.

Am Samstag in einer Woche solle der Kleinbus des Senders mit dem benötigten Material bepackt werden, damit die gut achtstündige Fahrt an den schottischen Küstenort Girvan am Sonntagmorgen zeitig in Angriff genommen werden könne. Archie würde am Montagmorgen mit dem Flieger eintreffen, und auch Margo, die in Glasgow zu Hause war, würde eigenständig anreisen.

Fran holte gerade Luft, um mit ihren Ausführungen weiterzufahren, da flog schwungvoll die Tür des Sitzungszimmers auf, und ein stämmiger Typ, der Parker ein klein wenig an Gerard Butler erinnerte, betrat mit großen Schritten den Raum. Seine kurzen dunkelbraunen Haare waren zerzaust, und sein hellgraues Hemd war unordentlich in die Jeans gestopft. Zum Rasieren hatte ihm die Zeit wohl auch nicht mehr gereicht, stellte Parker fest. Doch der lässige Look stand ihm irgendwie gut und verlieh ihm etwas Verwegenes. Genauso wie sein schottischer Akzent, als er sich für die Verspätung entschuldigte. Er schenkte Fran dabei ein schiefes Lächeln, das Parker innerlich aufstöhnen ließ. Der Kerl wusste genau, welche Ausstrahlung er besaß und wie er seinen Charme einzusetzen hatte.

»Schon in Ordnung, Callum, wir haben mit den weniger wichtigen Dingen begonnen.« Fran strahlte ihn an, als wäre mit seinem Erscheinen die Sonne im Sitzungszimmer aufgegangen.

»Wir waren gerade dabei, über die Anreise nach Girvan zu sprechen. Wirst du am Sonntagmorgen mit uns fahren?«

»Normalerweise gern, aber ich werde bereits ein paar Tage früher im Norden sein.« Callum setzte sich gegenüber von Parker. »Nenn mir einfach das Hotel, in dem ihr absteigt, dann komme ich direkt da hin.«

»Gut, die Unterkünfte stehen bereits in den Unterlagen, die du vermutlich noch nicht gelesen hast.«

Mit einem weiteren reuevollen Lächeln entschuldigte er sich auch dafür. Er hätte zu viel um die Ohren gehabt und wäre noch nicht dazu gekommen. Fran nickte nachsichtig und fuhr fort mit ihren Planungsdetails. Die Reise würde im Süden Schottlands beginnen und ginge weiter in die Regionen Cumbria, East Midlands, Cotswolds, Brecon Beacons, Snowdonia und würde nach vier Wochen im Norden von Wales enden. In dieser Staffel sei ihnen ein Austin A30 Peanut zur Verfügung gestellt worden, der ihnen in Girvan von einem schottischen Oldtimerhändler übergeben werde. »Du hast ja ein gutes Händchen für diese alte Kisten, Callum. Kannst du bitte die längeren Fahrten damit wieder übernehmen?«

»Sind denn nicht die Experten mit dem Oldtimer unterwegs?«, wunderte sich Parker, die sich an die Staffel erinnerte, die sie sich angeschaut hatte.

Fran lachte. »Du meine Güte, natürlich nicht! Wir lassen Archie nur hinters Steuer, wenn es nicht anders geht. Und Margo mag die unbequemen alten Autos sowieso nicht. Wie immer werden wir ein paar einzelne Sequenzen mit den beiden im Wagen drehen, um den Eindruck zu erwecken, dass sie damit auf Tour waren.«

»Aber das ist doch eine Irreführung der Zuschauer«, wandte Parker ein.

Callums Augenbrauen zuckten amüsiert nach oben, und es lag ein freches Grinsen in seinem Gesicht, als er sich über den Besprechungstisch zu ihr vorbeugte. »Was an solchen Shows ist schon keine Farce, Darling?«

»Parker, mein Name ist Parker, und nicht Darling!« Besser, sie machte ihm gleich klar, dass er trotz seiner Auszeichnungen sich nicht alles herausnehmen durfte.

»Dann wäre das mit den Fahrten also auch geklärt«, beeilte sich Fran zu sagen. »Machen wir weiter, ich muss in einer halben Stunde wieder los.« Sie ging kurz auf die Sehenswürdigkeiten ein, welche die Experten unterwegs den Zuschauern vorstellen werden. »Callum, Margo hat mich zudem gebeten, dich für ihre Aufnahmen einzuteilen. Geht das für dich in Ordnung?«

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. »Klar.«

»Demnach wärst du, Parker, für Archie zuständig.«

»Denkt ihr wirklich, es ist gut, einer Anfängerin Archie aufs Auge zu drücken?«, warf Simon ein.

»Ich arbeite schon eine ganze Weile als Kamerafrau und werde bestimmt wunderbar mit Archie zurechtkommen«, meinte Parker selbstbewusst.

»Du hast Studioaufnahmen für eine Spielshow gemacht. Das hier ist etwas ganz anderes, und …«

»Simon«, unterbrach ihn Fran mit einem Ton, der klarstellte, wer hier das Sagen hatte. »Die Arbeitsverteilung liegt bei mir, und ich bin überzeugt, Parker wird gut mit Archie zurechtkommen. Er mag ein bisschen hyperaktiv und schusselig sein …«

»Nur ein bisschen? Und warum lässt du ihn dann nicht ans Steuer des Oldtimers?«, konterte Simon süffisant.

»Aus versicherungstechnischen Gründen. Zudem hat Archie wenigstens Manieren und fällt anderen nicht ins Wort«, wies Fran ihren Tontechniker zurecht. »Die Kameraführung bleibt so wie besprochen.« Schließlich wandte sie sich Parker und Callum zu. »Simon und ich werden uns jeweils aufteilen, sodass euch beiden immer einer von uns zur Verfügung steht. Ich denke, damit wäre vorerst alles geregelt. Danke, dass ihr euch die Zeit für das Briefing genommen habt.«

»Cooler Hund«, meinte Callum, als er kurz darauf Parker die Tür aufhielt und zuschaute, wie Billy vor ihr hersprang. »Kommt er gut damit zurecht?« Callum wies auf Billys Prothese.

»Ja, sogar so gut, dass wir die Gummiprofile alle paar Monate ersetzen müssen«, sagte Parker fast etwas stolz. »Billy, warte!« Der Hund blieb sofort stehen und drehte sich zu ihr herum.

»Scheint ein kleines Energiebündel zu sein«, bemerkte Callum schmunzelnd.

»Er musste ja auch lange still sitzen. Aber jetzt geht’s ab in den Park, wo er sich austoben kann.«

»Na dann, wir sehen uns nächste Woche.« Callum zwinkerte ihr zu und verschwand in die entgegengesetzte Richtung.

Während des Spaziergangs dachte Parker über die Besprechung nach. Ganz glücklich war sie mit dem Team nicht, aber wählerisch durfte sie in ihrer Lage kaum sein. Immerhin bot sich ihr mit Treasure Hunt endlich eine Möglichkeit, dem öden Studioalltag zu entkommen. Und wer weiß, wenn sie die Leute erst mal richtig kennenlernte, waren sie vielleicht ganz anders, als der erste Eindruck es vermuten ließe.

»Hey, Parker!«, hörte sie plötzlich Cassie hinter sich rufen.

»Cassie, was machst du denn hier?«

»Ich musste für deinen Onkel einen Anzug in die Reinigung bringen. Na, wie lief das Briefing?«

»Ganz okay.« Während Parker mit Cassie redete, behielt sie gleichzeitig Billy im Auge, der gerade mit einem jungen Schäferhund spielte. »Nervös macht mich nur, dass alle so über diesen Archie lästern. Fran hat mich für seine Aufnahmen eingeteilt.«

»Ach, lass dich nicht verrückt machen«, wischte Cassie ihre Sorgen beiseite. »Ich habe ihn schon mal getroffen und finde ihn sehr nett. Er ist lustig und erinnert mich irgendwie an einen tollpatschigen Welpen.«

»Warum reden dann alle über ihn, als wäre er eine einzige Heimsuchung?«

»Keine Ahnung? Nicht jeder kann mit Spontanität umgehen«, meinte Cassie. »Aber eines sage ich dir, keiner haucht der Sendung so viel Leben ein wie Archie. Dann geht halt mal was kaputt. Na und?! Für so was gibt es Versicherungen. Ich denke, er ist mit Sicherheit der angenehmere Zeitgenosse als unser Sonnenbankheini, den du sonst vor der Linse hast.«

Parker kichert. »Denis? Okay, dazu braucht es nicht viel.«

»Bei Callum solltest du allerdings vorsichtig sein«, warnte Cassie. »Er lässt nichts anbrennen, und man sagt, er habe schon mit der halben weiblichen Belegschaft geschlafen.«

Parker rollte mit den Augen, so was Ähnliches hatte sie sich schon gedacht. Ein plötzlicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf, und sie sah ihre Freundin mit geweiteten Augen an. »Heißt das, du und er … habt ihr etwa auch schon?«

»Nein, was du wieder denkst!« Cassies Wangen verfärbten sich zartrosa. »Aber er hat schon was an sich. Findest du nicht?«

»Mag sein, aber ich stehe nicht so auf selbstherrliches Machogehabe. Zudem muss ich mein Zimmer mit Fran teilen. Das dürfte jeden Casanova ausbremsen.«

2. Kapitel

Die Fahrt in den Norden verlief kurzweiliger, als Parker erwartet hätte. Sie saß zusammen mit Billy gemütlich auf der Rückbank des silbernen Transporters, an dessen Seitenwände mit schwarzer Schrift das Firmenlogo der Produktionsfirma angebracht war. Simon wechselte Fran nach der Hälfte der Strecke am Steuer ab. Da Parker aufgrund des eingeschalteten Radios sich sowieso nicht hätte mit den beiden unterhalten können, steckte sie schon bald die Ohrstöpsel ein und lenkte sich mit einem Film auf ihrem Tablet ab.

Am späten Nachmittag trafen sie in dem kleinen Küstenstädtchen Girvan ein. Während die anderen beiden ihr Hotelzimmer bezogen, machte sich Parker mit Billy auf einen Spaziergang. Der Pier zog sie wie magisch an, trotz des nieseligen und kühlen Wetters. Es tat gut, nach der langen Fahrt die salzige Luft auf der Haut zu spüren. Sehnsuchtsvoll blickte Billy zum Strand neben dem Pier und wimmerte leise. »Schon gut, Billy, ich habe verstanden«, schmunzelte Parker und ging mit ihm zum weitläufigen Strand hinüber, wo sie gleich darauf seinen Futterbeutel fliegen ließ. Wie ein geölter Blitz stob er dem Beutel hinterher und brachte ihn mit stolz erhobenem Kopf zurück. Er liebte es, sein Futter zu jagen. Erst nachdem der gröbste Hunger gestillt war, ließ er sich von einer Möwe ablenken. Vorsichtig pirschte Billy sich an den Vogel heran, der scheinbar konzentriert im Schlamm nach Futter pickte. Doch bevor Parker eingreifen musste, stieß die Möwe sich vom Boden ab und warf dem Störenfried einen letzten herablassenden Blick zu. Frustriert bellte Billy ihr hinterher. Obwohl es bereits Anfang Juni war, fröstelte Parker in ihrer dünnen Regenjacke, unter der sie lediglich einen Sweater trug. Gerade an so einem trüben Tag wie heute war es hier im Norden eben doch wesentlich kühler als in London. Die Schultern frierend hochgezogen, blickte sie über den fast menschenleeren Strand. Billy schien sich nicht an dem Wetter zu stören und rannte gerade genüsslich durch die leichte Gischt, um eine hereinrollende Welle anzubellen. Er hatte sichtlich Spaß, weshalb sie noch ein wenig länger in dem Nieselregen ausharrte.

Zurück im Hotel, saßen Fran und Simon bereits an der Bar bei einem Drink. Fran reichte ihr den zweiten Schlüssel zu ihrem gemeinsamen Zimmer. Nach einer heißen Dusche und in trockener Kleidung fühlte Parker sich entspannt und erfrischt zugleich. Da sie sowieso nicht lange in diesem Hotel bleiben würden, machte sie sich nicht die Mühe, ihren Koffer auszupacken, und kehrte lieber mit Billy zurück an die Bar. Bei der Kellnerin bestellte sie sich einen Gin Tonic und setzte sich damit in einen der gemütlichen Sessel bei Fran und Simon.

»Was macht denn der schon hier?«, raunte Simon Fran zu, die sich gleich umdrehte, um zu schauen, wen er meinte.

»Archie!« Fran hob die Hand und winkte ihm zu. »Hier sind wir.«

Auf dem Gesicht des schlaksigen Mannes, der gerade hereingekommen war, breitete sich ein sympathisches Lächeln aus. »Ah, ja. Ich komme gleich. Ich muss mir nur rasch ein Zimmer organisieren.«

Schmunzelnd beobachtete Parker, wie Archie wild gestikulierte, den Schlüssel seines Zimmers entgegennahm und vor der Angestellten am Ende einen Diener andeutete. Danach kam er zu ihnen herübergeeilt. Noch während er Fran begrüßte, hörte Parker ein dumpfes Poltern, gefolgt von einem lauten Fluch. Archie hatte sein Gepäck etwas unglücklich vor dem Tresen im Weg stehen lassen. Ein Gast, der allem Anschein nach in ein Gespräch am Handy vertieft gewesen war, war prompt über einen der beiden Koffer gestolpert. Der Koffer kippte um, und der Gast wäre ihm beinahe gefolgt. In letzter Sekunde konnte er sich mit rudernden Armbewegungen auffangen. Die Angestellte entschuldigte sich tausend Mal und warf einen empörten Blick in Archies Richtung, der davon gar nichts mitbekam.

»Archie, darf ich dir Parker vorstellen. Sie springt für Adam ein und wird in den nächsten Wochen mit dir drehen.«

Archie rückte sich seine Brille zurecht, bevor er Parkers Hand in die seine nahm, um darauf einen Handkuss anzudeuten. »Freut mich sehr. Dann bist du also meine Kamerafrau.«

»In guten und in schlechten Zeiten«, witzelte Parker und entlockte ihm damit prompt ein Lachen.

»Hoffen wir mal, nur in guten. Ich werde mir Mühe geben, nicht allzu viel kaputt zu machen.«

»Bitte ja«, stöhnte Fran hinter ihm.

»Und wer bist du?« Archie ging in die Hocke und hielt Billy seine Hand zum Beschnüffeln hin.

»Sein Name ist Billy.«

»Hallo, kleiner Pirat.« Vorsichtig griff Archie nach dem Pfötchen von Billy, der sich artig auf den Hintern setzte und zu Parkers Erstaunen tatsächlich Pfötchen gab. Sie hatte mit ihm nie Tricks eingeübt. Obwohl der kleine Kerl nicht erst seit gestern bei ihr war, schaffte er es immer wieder, sie zum Staunen zu bringen.

»Was möchtest du trinken, Archie?«, erkundigte sich Fran. Er entschied sich ebenfalls für einen Gin Tonic und zog seinen Mantel aus, wobei er beinahe Simon mit der Hand im Gesicht erwischt hätte.

»Oh, entschuldige, das war keine Absicht«, meinte er aufrichtig, als er es bemerkte.

Simon grummelte nur und verdrehte die Augen.

Beim Abendessen, das aus Kartoffeln, Schweinebraten und Erbsen bestand, erzählte Archie, dass er kurzfristig in Glasgow eine Expertise vornehmen musste und daher bereits heute von London hergeflogen wäre. »Ich bin schon sehr gespannt, welche Schätze wir dieses Mal aufspüren werden.« Seine Augen funkelten unternehmungslustig. »In welchem Laden starten wir morgen?«, erkundigte er sich bei Fran.

»Du wirst am Vormittag hier im Ort bei Stanleys Antiquitäten stöbern, und am Nachmittag geht es weiter aufs Land hinaus. In der Nähe von Glenluce führt ein Typ namens Lewis auf einer Farm ein Antiquitätengeschäft.«

»Klingt spannend. Fahre ich den Peanut?«

»Ähm, nein. Callum wird morgen früh ein paar Aufnahmen von dir und Margo im Peanut hier im Hafen machen, danach fährt er mit ihr und Simon nach Stranraer in ein Museum. Du, Parker und ich nehmen den Transporter.«

»Schade. Als ich gehört habe, welchen Oldtimer wir dieses Mal fahren, rief das gleich alte Erinnerungen wach. Meine Eltern besaßen früher einen solchen Wagen.« Er seufzte schwärmerisch. »Ich wollte ihn als Junge mal fahren, aber mein Dad hat mich nie gelassen.«

Simon beugte sich zu Parker hinüber und flüsterte leise: »Er wird seine Gründe gehabt haben.«

Parker warf ihm einen kühlen Blick zu. Sie mochte Archie jetzt schon und war sich sicher, dass die Arbeit mit ihm Spaß machen würde. »Bestimmt wirst du in den nächsten Wochen Gelegenheit dazu haben«, meinte sie zu Archie mit einem aufrichtigen Lächeln. Unter dem Tisch fühlte sie einen heftigen Tritt gegen ihr Schienbein. Fran, die ihr gegenübersaß, sah sie eindringlich an und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Klar kannte sie Frans Bedenken, aber wenn Archie so viel daran lag, konnte man ihn zwischendurch doch auch mal ans Steuer lassen. Zumindest er schien da gleich wie sie zu denken und strahlte voller Vorfreude. Später im Zimmer kam Fran auf das Thema zurück. »Du hättest Archie keine falschen Hoffnungen machen sollen.«

»Aber es würde ihm viel bedeuten …«, versuchte Parker es erneut, wurde aber gleich von Fran unterbrochen.

»Ja, und mir bedeutet es viel, wenn wir unfallfrei wieder nach Hause kommen. Archie zieht Chaos und Missgeschicke wie ein Magnet an. Dafür kann er nichts, aber er ist nun mal, wie er ist, und es ist mein Job, dafür zu sorgen, dass es für den Sender nicht allzu teuer wird. Ich wäre froh, wenn auch du beim Dreh etwas auf ihn achten könntest.«

Parker legte Billys Hundebett neben ihr eigenes und knuddelte ihn ausgiebig, bevor sie unter ihre Decke schlüpfte. Sie war gerade dabei, ins Reich der Träume abzugleiten, als vom Bett nebenan ziemlich laute Schnarchgeräusche zu vernehmen waren. Na super! Genervt drehte sich Parker auf den Bauch und versuchte mit dem Kissen über dem Kopf das Geräusch zu dämpfen. Aber erstens gelang das nicht ganz, und zweitens bekam sie so zu wenig Luft.

»Fran«, rief sie ihrer Zimmergenossin in leiser Verzweiflung zu.

»Hmm,… ja?« Klang es verschlafen vom Bett nebenan.

»Du schnarchst!«

»Das kann nicht sein. Mein Mann hat sich bislang nie beklagt.«

In dem Fall war er wohl taub, dachte Parker grimmig. Es dauerte keine fünf Minuten, da sägte Fran fröhlich weiter. Unfähig, bei diesem Geräuschpegel zu schlafen, beschloss Parker, nachzuschauen, ob noch jemand in der Rezeption arbeitete und ihr allenfalls ein anderes Zimmer geben könnte. Leider hatte sie kein Glück, aber die Bar war noch geöffnet. Als die Frau hinter dem Tresen sich ihr zuwandte, schilderte Parker ihr Problem.

»Oh ja, das ist ärgerlich«, sagte die Barkeeperin schließlich verständnisvoll. »Ich schaue mal, ob ich was für Sie tun kann. Möchten Sie einen Tee, während Sie warten müssen?«

»Gerne.« Sie setzte sich an einen kleinen Tisch am Fenster und nahm dankend die dampfende Tasse entgegen. Mit einem Gähnen rollte Billy sich zu ihren Füßen zusammen. Parker führte gerade die Tasse zu ihrem Mund, als ihr ein Wagen auf dem Hotelparkplatz auffiel. Licht brannte im Fond, und sie konnte einen Mann und eine Frau darin ausmachen, die sich umarmten. Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, fuhr die Frau sich mit der Hand über die Augen. Hatte sie geweint? Parker beobachtete, wie wenig später der Typ der Frau einen Kuss auf die Wange gab und ausstieg. Mit dem Rücken Parker zugewandt, blickte er dem sich entfernenden Wagen hinterher und ging dann Richtung Hoteleingang. Erst als er durch die Glastür trat, erkannte Parker ihn. Es war Callum. Sie versteckte ihr Gesicht hinter der Tasse, damit er nicht mitbekam, dass sie die rührende Abschiedsszene mitbekommen hatte. Aber ihre Befürchtung, von ihm entdeckt zu werden, war unbegründet. Er war ohne nach links oder rechts zu blicken an den Hoteltresen getreten. Da die Barkeeperin dort sowieso damit beschäftigt war, für sie ein Zimmer aufzutreiben, musste er auch nicht warten, um seinen Schlüssel zu erhalten.

Wenige Minuten später kam die Hotelangestellte an ihren Tisch. »Ich habe gute Neuigkeiten für Sie. Wir haben noch ein Zimmer frei. Es ist allerdings ziemlich klein und hat kein eigenes Bad.«

»Solange ein Bett darinsteht, reicht es mir völlig aus«, meinte Parker erleichtert. »Wir bleiben ja nur zwei Nächte hier.« Nachdem sie ihren Tee ausgetrunken hatte, schlich sie zurück zu Fran, um ihren Schlafanzug und Billys Hundebett zu holen. Den Rest könnte sie am nächsten Tag mitnehmen.

Das Zimmer entpuppte sich als in der Tat winzig. Es würde Parker nicht wundern, wenn dies früher die Besenkammer gewesen wäre. Außer dem Bett fand lediglich ein Stuhl darin Platz. Aber es war sauber, und mehr als schlafen wollte sie darin sowieso nicht. Probehalber setzte sie sich wippend auf die Matratze. Nicht zu hart und nicht zu weich, perfekt. Zufrieden zog sie ihren Schlafanzug wieder an und schlüpfte unter die Decke. Wohlig aufseufzend gab sie sich dem Schlaf hin. Sie bekam noch nicht mal mit, wie Billy zu ihr aufs Bett hüpfte und sich dicht an sie kuschelte.

3. Kapitel

»Ich versteh wirklich nicht, weshalb du dir ein anderes Zimmer besorgt hast. Das ist im Budget nicht vorgesehen, meine Liebe. Vermutlich wirst du die Kosten dafür selbst tragen müssen.« Frans Stimme klang pikiert.

»Mir ist schon klar, dass du das Budget im Auge behalten musst, Fran. Aber egal, was dein Mann sagt, du schnarchst. Und ich brauche nun mal meinen Schlaf, um einen ordentlichen Job abzuliefern.«

Sie standen vor dem Hoteleingang und warteten auf das Erscheinen des letzten Crewmitgliedes. Margo war von einem Taxi hergefahren worden, als sie alle beim Frühstück saßen. Nur Callum glänzte sowohl beim Frühstück als auch jetzt durch Abwesenheit. Mittlerweile war er bereits fünf Minuten zu spät. Leicht angespannt blickte Fran erneut auf die Uhr.

»Morgen zusammen.« Gelassen und mit einem Pappbecher Kaffee in der Hand trat Callum aus der Schiebetür des Hoteleingangs.

»Callum, wie schön, dich wiederzusehen«, begrüßte Margo ihn mit einem solch strahlenden Lächeln, wie sie es zuvor keinem von ihnen hatte zukommen lassen.

»Margo, du siehst wie immer ganz bezaubernd aus«, schmeichelte der Kerl und gab ihr ein Küsschen auf die Wange.

»Danke, mein Lieber.«

Nun ja, bezaubernd war ein relativer Begriff. Interessant hätte Parker es eher formuliert. Margo trug einen senffarbenen Mantel und einen gefilzten Cloche-Hut in derselben Farbe, was ihre schwarzen Haare perfekt hervorhob. Um den Hals hatte sie ein leuchtend blaues Tuch geschlungen. Keck blinzelte sie Callum hinter ihren Brillengläsern an. »Ich will mich schließlich von der besten Seite zeigen, wenn ein Profi wie du mit mir arbeitet.«

Derweilen Callum die restliche Crew begrüßte, wurde der Austin A30 Peanut von einem Schlepper herangefahren und abgeladen. Kaum stand der Wagen auf dem Asphalt, sprang Archie wie ein kleiner Junge mit leuchtenden Augen zu ihm hin.

»Schau ihn dir an!«, rief er begeistert und öffnete gleich die Fahrertür. »Was für ein Schmuckstück!«

Nachdem Callum den letzten Schluck Kaffee getrunken hatte, warf er den leeren Becher lässig in den Abfalleimer neben dem Hoteleingang und wandte sich danach dem Lieferanten zu. Sie tauschten ein paar Worte aus, bevor Callum mit den Wagenschlüsseln in der Hand neben Archie hintrat, der voller Euphorie das Wageninnere bestaunte. »Setz dich doch rein, Archie. Wir fahren zusammen die Strecke ab, die wir gleich filmen werden.«

»Ähm, mir wäre es lieber, wenn Margo hinter dem Steuer …«, versuchte Fran einzuwenden.

Doch Callum zwinkerte ihr nur zu. »Keine Sorge, wir passen schon auf.«

Unter Frans besorgtem Blick fuhren die beiden den kurzen Wegabschnitt zum Wendeplatz an der Küste und wieder zurück. Dann stieg Callum aus und hielt die Tür für Margo auf. »Archie hat alles bestens im Griff. Setz dich zu ihm, Margo, damit ich gleich die GoPro-Kameras passend fixieren kann.«

Als auch das geschehen war, fuhren die beiden Experten die Strecke zurück zum Wendeplatz. Inzwischen griff Callum nach seiner Schulterkamera und positionierte sich so, dass er den Oldtimer perfekt ins Bild bekam. Als alles im Kasten war, teilten sich die Teams wie am Vorabend besprochen auf, und Parker fuhr mit Fran und Archie die Straße hinunter zu Stanley´s Antiques Shop.

Stanley war ein älterer Herr mit runder Hornbrille, schütterem Haar und einem Geschäft, in dem alles ordentlich an seinem Platz stand. Parker hatte schon früher Antiquitätenläden besucht, nicht viele, aber doch ein paar. In denen hatte es jeweils ein wenig muffig gerochen, halt eben nach Staub und alten Sachen. Das war bei Stanley ganz und gar nicht der Fall. Seine Schätze waren auf Hochglanz poliert, und ein Duft von Möbelpolitur schwebte im Raum. Schon bei der Begrüßung machte Stanley einen etwas nervösen Eindruck auf Parker. Bestimmt war das sein erster Auftritt vor einer Kamera.

»In Ihrem Laden fühlt man sich gleich wie zu Hause, Stanley. Ich könnte glatt einziehen«, lobte Archie den Besitzer. »Darf ich mich ein wenig umsehen, bevor wir die Aufnahmen machen?«

»Selbstverständlich, Mr Braxton. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie mich brauchen.«

Fran begann Stanley mit der Funkstrecke und einem Ansteckmikrofon auszurüsten. Währenddessen folgte Parker Archie auf seiner Schatzsuche durch den Laden, um gleich ein paar Einstellungen auszuprobieren. Es dauerte nicht lange, bis sie verstand, warum Archie bei manchen ihrer Berufskollegen nicht sonderlich beliebt war. Wie ein aufgeregtes Huhn flatterte er von einer Ecke zur anderen, und man musste aufpassen, mit ihm mithalten zu können. Jetzt war er gerade unter einen Tisch gekrochen, weil er dort zwei Porzellan-Pudel entdeckt hatte. Billy fand das ein lustiges Spiel und krabbelte ihm sogleich hinterher. Neugierig beschnüffelte er die Dekohunde, die Archie mittlerweile in den Händen hielt.

»Billy, komm her!«, rief Parker streng.

»Schon gut, Parker, lass ihn nur«, keuchte Archie von unter dem Tisch. »Mich stört er nicht.«

»Mag sein, aber er sollte nicht mit aufs Bild.« Sie hatte die Kamera bereits laufen lassen, in der Absicht, ein paar lustige und spontane Aufnahmen für die Sendung zu erwischen.

»Filmst du etwa schon?«, fragte Archie und schlug sich beim Hervorkriechen prompt den Kopf an der Tischkante an.

»Autsch«, mitfühlend zuckte Parker zusammen.

»Halb so wild. Mein Dickschädel hält das aus.« Archie lachte und rieb sich mit dem Unterarm kurz über die betroffene Stelle. In den Händen hielt er noch immer die Porzellan-Pudel. »Wie findest du die beiden?«

»Kitschig.«

»Stimmt. Aber stehen die Leute nicht auf so ein Zeug?«

»Du bist der Experte«, schmunzelte Parker.

»Jetzt wo du’s sagst. Billy, was meinst du?«

Billy kam zu ihm zurückgetrottet, aber nur, um Archies Hand zu beschnüffeln. Das Interesse an den leblosen Hunden schien er bereits verloren zu haben.

»Er kriegt sich kaum ein vor Begeisterung«, kommentierte Archie amüsiert. »Besser, ich lasse die hier und schaue mich weiter um.«

Vor allem die edlen Möbelstücke hatten es Archie angetan, aber mit einem Budget von zweihundert Pfund für die erste Sendung lagen sie außerhalb seiner Möglichkeiten. Parker verfolgte ihn weiter mit der Kamera, was ihn dazu ermutigte, allerlei Unsinn anzustellen. Häufig musste sie aufpassen, nicht laut zu lachen und damit die Aufnahmen unbrauchbar zu machen. Was hatte er denn nun schon wieder vor? Er schnappte sich gerade einen Zylinder vom Regal, setzte ihn sich auf den Kopf und griff nach einem edlen Gehstock mit Silberknauf aus einem Regenschirmständer. Mit schwungvollen Tanzschritten hüpfte er leichtfüßig durch die Gänge, als wäre er Fred Astaire. Mit seiner lilafarbenen Satinweste, dem weißen Hemd, der schwarzen Krawatte und der ebenfalls dunklen Bundfaltenhose passte er durchaus in diese Zeitepoche.

»Archie, jetzt lass doch den Unfug, sonst geht am Ende noch was zu Bruch.« Fran stellte sich Archie in den Weg und hatte dabei die Hände in die Hüfte gestützt. Doch Archie ließ sich von ihr nicht aufhalten. Im Gegenteil, er griff nach ihren Händen und zog sie mit sich zu zwei weiteren schwungvollen Drehungen, bis auch sie vergnügt aufgluckste. »Es ist jetzt gut, Archie! Können wir drehen, hast du was gefunden?«

»Selbstverständlich, Madam.«

Parker platzierte Billy etwas abseits unter einem Tisch und reichte ihm ein Schweineohr. Das sollte ihn beschäftigt halten, damit sie in Ruhe arbeiten konnte. Dann ging es auch schon los. In der ersten Szene griff Archie nach einem gläsernen Flakon aus dem Jahr 1894, das er auf einem Regal aufgespürt hatte. Früher wäre darin Parfum aufbewahrt worden, erklärte er den Zuschauern und öffnete den silbernen Verschluss, den er sich gleich an die Nase hielt. Der Preis lag unter zwanzig Pfund, was Archie zufrieden nicken ließ. Er wollte damit schon zur Kasse gehen, als er an der gegenüberliegenden Wand einen Nachttisch-Kerzenleuchter an einer Schnur befestigt baumeln sah. In das Messing waren kunstvolle Ornamente eingearbeitet worden, die Archie jetzt genauer unter die Lupe nahm. Der Leuchter stamme aus dem neunzehnten Jahrhundert, verkündete er in die Kamera. »Und«, fuhr er leise flüsternd fort. »Es ist kein Preisschild angebracht. Das lässt hoffen, dass ich mit dem Verkäufer einen guten Preis aushandeln kann. Stanley!«, rief er den Inhaber zu sich. »Hätten Sie einen Augenblick Zeit für mich?«