Ein Tod für ein Leben - Jurica Pavicic - E-Book

Ein Tod für ein Leben E-Book

Jurica Pavicic

0,0

Beschreibung

Bruna hat keine ehrgeizigen Pläne. Sie wünscht sich eine Familie, eine schöne Wohnung und einen guten Job. Sie verliebt sich, findet eine Arbeit, heiratet, zieht in das Familienhaus ihres Mannes. Während ihr Mann zur See fährt, bleibt es an ihr, sich um Haus und Schwiegermutter zu kümmern. Bruna fühlt sich den Launen der alten Frau ausgeliefert, und es gibt niemanden, der sie unterstützt. Sachlich und präzise beobachtet Jurica Pavičić seine Protagonistin und die winzigen Verschiebungen, die aus Brunas Leben einen Käfig machen. Es entsteht das Bild einer Gesellschaft im Umbruch, die zeigt, dass es vor allem die Frauen sind, die zwischen Tradition und Moderne gefangen sind.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 256

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jurica Pavicic

Ein Tod für ein Leben

   

Ein Tod für ein Leben

Jurica Pavicic

© schruf & stipetic GbR, Berlin 2022

www.schruf-stipetic.de

Originaltitel:

Zena s drugog kata

(Profil Zagreb 2015)

© 2021 Jurica Pavicic

Covergestaltung: Kathrin Mock

ISBN: 978-3-944359-10-6

Vervielfältigung und gewerbliche Nutzung nur nach

ausdrücklicher Genehmigung der schruf & stipetic GbR

Inhalt

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

E I N S

1.

Lange danach sagt Susanna: Alles wäre anders gekommen, wenn wir da nicht hingegangen wären. Dann wäre dein Leben ganz anders verlaufen, und meins vielleicht auch.

Das sagt Susanna an einem Samstag, als sie Bruna besucht. Es ist Frühling, und draußen, irgendwo bei den Bahngleisen, rauschen in den Pappeln und Silberweiden die Blätter. Susanna sitzt am Fenster, warmes Licht fällt durch die Gitterstäbe und beleuchtet ihr Profil. Sie hat durchs Fenster zu den Bäumen geschaut und das unvermittelt und ganz beiläufig gesagt. Bruna hat darauf nichts erwidert.

Am Nachmittag ist Susanna wieder weg und Bruna macht sich in der Küche an die Arbeit. Sie kippt geschälte Kartoffeln in einen Bottich mit Wasser und schneidet sie dann für die Fritteuse zurecht. Während das Messer in ihrer Hand automatisch seine Arbeit verrichtet, denkt Bruna über die Worte ihrer Freundin nach.

Natürlich hat Susanna recht. Aber wie das häufig so ist, wenn jemand recht hat, bringt die Erkenntnis weder Susanna noch Bruna irgendwie weiter.

Es stimmt, wenn sie an jenem Tag nicht zu Zoranas Geburtstagsfeier gegangen wären, wäre es anders gekommen. Wenn Susanna an jenem Tag nicht angerufen und ihr vorgeschlagen hätte, zu der Feier zu gehen, hätte sie Frane nicht getroffen. Wäre sie wie geplant zu Hause geblieben und hätte sich auf dem Sofa in eine Decke gekuschelt, hätte sie niemals Anka Saric kennengelernt. Hätte sie an diesem Tag Aspirin genommen und sich Spiderman angeschaut, wären sie und Frau Saric lediglich zwei von hunderttausend Individuen geblieben, die in der gleichen Stadt lebten, jede in ihrer eigenen Bienenwabe. Hätten sie sich getroffen, dann nur zufällig, im Vorbeigehen, im Bus oder in der Schlange im Supermarkt. Brunas Blick wäre über Frau Saric breite Hüften geglitten, das kurzgeschnittene Haar und das eckige Gesicht. Dieses Bild wäre durch Brunas Sehnerv geschlüpft und hätte sich im Geflecht ihres Gehirns verloren, in der unendlich großen Datenbank bedeutungsloser Bilder. Bruna und Anka wären aneinander vorbeigegangen, ohne sich wahrzunehmen, und wären wieder in der anonymen Menge versunken.

Aber so war es nicht. Weil an diesem Tag im Januar 2006 Susanna anrief und Bruna zu einer Geburtstagsfeier einlud. Bruna kuschelte sich nicht in eine Decke und schaute nicht Spiderman. Stattdessen nahm sie eine Paracetamol, zog einen warmen Rolli an und ging zu Zoranas Party.

Deshalb ist sie jetzt hier. In der Küche, wo sie für das Abendessen Kartoffeln zu Pommes frites schneidet. Seit fast elf Jahren sitzt sie in der Haftanstalt von Pozega.

2.

Bruna sitzt eine elfjährige Haftstrafe ab. Nach Paragraf 91 Absatz 10 des kroatischen Strafgesetzbuchs. Wegen Tötung in einem besonders schweren Fall und aus niederen Beweggründen. Seit viertausend Tagen beschränkt sich Brunas Universum auf diese winzige Welt aus Betongängen, Zellen, Speisesälen und Lagerräumen in der Nähe einer pannonischen Stadt. In diesem Mikrokosmos dreht sich Bruna Tag um Tag im Hamsterrad. Das wird sie noch vier Wochen und fünf Tage tun. Danach ist sie frei auf Bewährung nach Paragraf 59.

Als sie hier einzog, war Bruna sechsundzwanzig. Wenn sie das Gefängnis verlässt, wird sie achtunddreißig sein. Das Alter, in dem die Midlife-Crisis kommt, in dem sich Männer Sportwagen kaufen und Frauen zum Yoga oder Pilates rennen. Sie ist in dem Alter, wo Männer beginnen, ihre Frauen zu betrügen, und Frauen sich fragen, ob es ein Fehler war, sich an den egozentrischen Esel auf dem Sofa zu binden, der einen Bauch ansetzt. Bruna wird diese Probleme nicht haben, wenn sie hier herauskommt. Sie war mal verheiratet, ist es aber nicht mehr. Und sie ist fest davon überzeugt, dass sie es auch nie wieder sein wird.

Im Gefängnis arbeitet Bruna als Köchin. Morgens steht sie lange vor den anderen Häftlingen auf. Ihr Wecker klingelt um halb fünf, während über der pannonischen Ebene noch Dunkelheit liegt. Sie öffnet die Augen und sieht als Erstes auf die gelb gewordenen Latten des Bettes über ihr mit den obszönen Zeichnungen, Namen und zweideutigen Weisheiten, dem Stream of consciousness ehemaliger Insassinen.

Dann steht Bruna auf. Sie wäscht sich mit kaltem Wasser und bindet die Haare mit einem Gummiband zusammen. Im gesprungenen Spiegel des Gefängniswaschraums sieht sie ihr schmales Gesicht, dünnes, aschefarbenes Haar, zwei Reihen Zähne, die weißer sein könnten, und eingefallene Wangen. Irgendwo weit dahinter erkennt Bruna ein Selbst, das einmal schön war. Noch immer sieht sie die großen bleigrauen Augen. Sieht das schmale, gleichmäßige Gesicht und Wangen, die früher Farbe hatten. Sie sieht eine Brünette mit langen Haaren, nach der sich viele umdrehten, wenn sie ein Café betrat. Heute würde sich niemand nach ihr umdrehen. Denn das Leben im Neonlicht hat ihren Teint zerstört, im kalten, hellen Licht ist ihre Haut großporig und faltig. Das eintönige Essen hat ihre Haare ausgedünnt, und beim Zahnarzt wird nur der Karies behandelt. Schade, denkt sie manchmal. Schade, aber nicht zu ändern.

Wenn sie Gesicht und Oberkörper gewaschen hat, verlässt Bruna den Zellentrakt und geht in Begleitung einer Wärterin einen langen von Neonlicht beleuchteten Gang entlang zur Küche. Sie öffnet die Tür und ein Schwall von Gerüchen schlägt ihr entgegen – Reinigungsmittel und Reste des Frittiergeruchs vom vorigen Abend. Sie macht Licht und vor ihr liegt in grellem Neon ihr Arbeitsplatz: die Gefängnisküche.

Es gibt drei Köchinnen. Da ist zunächst Mejra, eine Romni von der ungarischen Grenze, die ihren Stiefvater erstochen hat, völlig zu Recht, wie Bruna findet. Mejra ist vor Bruna ins Gefängnis gekommen und wird hier bleiben, wenn Bruna entlassen wird. Die andere ist Vlatka. Eine Mittfünfzigerin aus Zagreb, die arrogant und aristokratisch aussieht. Vlatka wurde wegen mehrfachen Immobilienbetrugs verurteilt. Sie ist als Letzte gekommen, vorletztes Jahr. Dem Alter nach ist Vlatka die Älteste, doch in der Gefängnischronologie ist sie die Jüngste.

Vor Bruna, Mejra und Vlatka liegt ein neuer Tag mit drei Mahlzeiten für die hungrigen Bewohnerinnen der Haftanstalt.

Als Erstes macht Bruna Feuer. Dann setzt sie einen großen Kessel mit Wasser auf, und wenn es kocht, schüttet sie Tee hinein. Der Tee ist immer der gleiche: Hagebutte, industriell hergestellt, rubinrot, süßlich riechend, wie alles hier im Gefängnis, von den Wänden bis zur Haut.

Als Nächstes holt Bruna den Dosenöffner, glänzend und lang wie ein Fleischermesser, und öffnet eine Dose mit billiger Pfirsichmarmelade. Dann geht sie hinunter in den Hoftrakt, wo schon die Papiersäcke voller Brot warten. Sie sind schwer: In jedem sind zwanzig Laibe, in der Nacht in der Stadtbäckerei gebacken. Bruna und Mejra tragen die Säcke in die Küche und schneiden das Papier auf. Sie zählen die Laibe und legen die fürs Frühstück zur Seite. Dann holt Bruna das elektrische Messer und schneidet sie in gleichmäßige Scheiben. Diese dürfen nicht zu dick sein, weil sonst das Brot nicht reicht. Aber auch nicht zu dünn, weil es sonst bröselt, wenn die Frauen es in die Milch bröckeln. Sie murren, wenn das Brot schlecht geschnitten ist. Genau richtig geschnittene Scheiben sind ein Zeichen, dass es ein guter Tag wird. Das will Bruna ihnen nicht nehmen.

Wenn das Frühstück fertig ist, geht Mejra hinaus, um eine zu rauchen, und Bruna macht sich an ihre Lieblingsarbeit. Sie beginnt mit dem Mysterium des Kochens, mit seinen immer gleichen Handlungen, die für Uneingeweihte keinen Sinn ergeben. Bruna schneidet Zwiebeln in kleine Würfel, Karotten in Scheiben. Sie schält Kartoffeln, putzt Gemüse – Erbsen, Bohnen, Lauch oder Wirsing. Heute ist es Lauch, der wie weiße und grüne Seide glänzt. Sie stellt einen Topf auf den Herd, erhitzt Öl, gibt Zwiebeln hinein, gießt Wasser hinzu und kurz darauf steigt Dampf aus dem Topf und verbreitet einen intensiven und würzigen Duft.

Bruna setzt sich und lässt die Hitze das Ihre tun. Sie starrt auf eine weiße Wand, an die Stelle, wo die Abwasserleitung aufsteigt und an der Decke abknickt. Während das Essen kocht, denkt sie daran, wie sie hierher gekommen ist.

Sie denkt an den Tag im Januar, als Susanna angerufen und ihr gesagt hat, dass bei Zorana eine Geburtstagsfete steigt.

Und sie denkt, dass Susanna recht hat. Alles wäre anders, wenn es diesen Tag nicht gegeben hätte.

3.

In diesem Januar 2006 rollte von Süden eine Kältewelle heran. Am Abend zogen sich über Split dichte Regenwolken zusammen. Bruna und ihre Mutter saßen in Decken gewickelt auf dem Sofa und schauten eine türkische Soap. Gegen sieben, als die blauäugige Schönheit gerade den Wesir verführte, klingelte das Telefon. Es war Susanna.

Eine Stunde später stand Bruna vor dem Haus und wartete auf ihre Freundin. Sie hatte Aspirin und Hustensaft dabei und trug einen dicken Mantel und einen Schal. Sie hatte einen Schuhkarton mit selbstgebackenen Mandelkeksen in der Hand. Es war der neunte Januar, acht Uhr abends, und vor Bruna lagen Zoranas Geburtstagsfeier und – wie sie dachte – ein ganzes langes Leben.

Damals war Bruna dreiundzwanzig. Sie und ihre Mutter lebten seit zehn Jahren alleine. Bruna war in der sechsten Klasse gewesen, als ihr Vater sie verlassen und mit einer vollbusigen Bedienung aus der Betriebskantine der Baufirma, in der er arbeitete, durchgebrannt war. Er hinterließ seiner Frau und seiner Tochter eine Wohnung im dritten Stock eines sozialistischen Plattenbaus, wo ehemalige Angestellte ehemaliger Unternehmen einander mittags Schüsselchen mit gefüllten Paprika oder grünen Bohnen mit Graupen vorbeibrachten.

Anfangs lebten Bruna und ihre Mutter von deren Gehalt und den Unterhaltszahlungen. Dann wurde die Mutter frühpensioniert. Das passierte im Zuge eines der zahllosen Insolvenzverfahren, mit denen sich die Presse damals in epischer Länge und Breite beschäftigte. Danach lebten Bruna und ihre Mutter von Unterhaltszahlungen und Rente: Bruna studierte, und ihre Mutter war eine junge Rentnerin, die morgens lange schlief und ihre Tage mit endlosen preisgünstigen Kaffeekränzchen bei ihren Freundinnen verbrachte.

Nach der Schule hatte sich Bruna für Jura immatrikuliert. Drei Semester lang hatte sie mit dem römischen Rechtssystem gekämpft, mit Latein und Staatstheorie. Doch von Prüfung zu Prüfung wuchs ihre Überzeugung, dass das nicht ihr Metier war. Deshalb zog sie im Herbst 2004 ihr Mittelschulzeugnis aus der Schublade, schlug den Anzeigenteil der Zeitung auf und rief alle Verwandten und Freunde an, damit sie die Augen offenhielten. Noch immer herrschte die Goldgräberstimmung vor der großen Krise. Es war die Ära, als ein normaler Mensch noch Arbeit finden konnte, ohne Beziehungen zu einer Partei oder ein Flugticket nach Übersee zu haben. So war es auch bei Bruna. Im Oktober bekam sie eine Stelle als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung eines Unternehmens. Bis vier Uhr nachmittags bearbeitete sie Steuererklärungen und Abschreibungen, dann kam sie nach Hause, aß etwas und ging auf den Balkon, um frische Luft zu schnappen. Auf dem Balkon starrte Bruna in den rosa Abendhimmel und grübelte. Sie sah auf das dunkle, kalte Meer und auf die wie an einer Kette aufgefädelten sozialistischen Neubauten, Tausende beleuchteter Waben, in denen Menschen irgendwelche Leben lebten. Sie betrachtete diese unzähligen funkelnden Pünktchen und dachte an ihr zukünftiges Leben.

Und dann stieg Bruna an diesem neunten Januar zu Susanna ins Auto und fuhr zur Geburtstagsfeier. Im Flur legte sie ihren Mantel ab, schenkte sich eine Rum-Cola ein und streifte durch die Räume. An diesem Abend – gegen Viertel nach neun – sah sie ihn zum ersten Mal. Er stand an die Balkontür gelehnt, groß, dunkelhaarig, hager. Er hatte ein Glas Wodka in der Hand und unterhielt sich mit einem Mann, den Bruna nicht kannte und dessen Kragen von Schuppen übersät war. Zu den vielen unglücklichen Zufällen kam hinzu, dass der Mann mit den Schuppen ein Bekannter von Susanna war. So traten an diesem neunten Januar Bruna und Susanna zu den beiden Männern und man machte sich bekannt. Der Hagere reichte Bruna seine trockene Hand und sagte: Frane.

Wegen einer blödsinnigen Wette spielte DJ Fabo an diesem Abend fünf Mal hintereinander Killing me softly. Beim dritten Mal wand sich Bruna bereits verführerisch in Franes Armen. Er hatte einen harten, muskulösen Rücken, sein Aftershave roch gut nach Tannenwald, und seine Hände lagen taktisch klug weder zu weit oben noch zu weit unten auf ihren Hüften. Danach saßen sie nebeneinander auf dem Sofa, tranken Wodka und aßen Kekse aus dem Schuhkarton. Dann tauschten sie Telefonnummern aus und verabredeten sich gleich für den nächsten Abend.

So hatte es angefangen. An diesem Tag, an diesem Abend auf Zoranas Sofa wurde der Pfeil abgeschossen, flog schnurstracks durch die Stille und traf sein Ziel. Viel später erkannte Bruna, dass er sie getroffen hatte.

4.

Wenn Susanna zu Besuch kommt, fragt sie meistens besorgt, wie es ihr gehe. Bruna antwortet: nicht schlecht. Im Gefängnis ist es nicht schlecht, sagt Bruna. Sie sagt das, weil sie nicht sagen kann, wie es wirklich ist: dass ihr das Gefängnis guttut.

Hinter Bruna liegen Jahre, so eintönig und lang wie das Kardiogramm eines Toten. Jeder Tag ist gleich, geometrisch geordnet: Aufstehen, Küche, Tee, Teller, Küche, Mittagessen, Küche, Abendessen, Speisesaal. Dann der Abend. Türen, die sich öffnen und schließen, das metallische Rasseln der Schlüssel, die Sirene, das Löschen des Lichts. Auch die Räume sind immer gleich, rechtwinklig und vorhersehbar: lange gerade Gebäudeflügel aus Beton, viereckige Fenster, Gitter, das Parallelogramm des Hofs. Nur der Himmel, den sie durchs Fenster sieht, ist jeden Tag anders, bläht und dehnt sich unter dem dicken Putz pannonischer Wolken. Hier im Gefängnis gibt es keine Überraschungen, keine Veränderungen, keine Entscheidungen. Man muss nicht planen, und diese Befreiung vom Planen ist es, die Bruna eine bittersüße Befriedigung verschafft.

Denn früher hat Bruna vor allem geplant. Sie hat ihr Studium geplant, danach die Stellensuche. Auch am Morgen nach der Party, als Frane sie wie verabredet anrief, hat sie Pläe gemacht. Als ihr Handy klingelte und sie auf die grüne Taste drückte, hatte sie den Plan schon im Kopf. Und er ging auf.

Am Nachmittag trafen sie sich zum Kaffee, sprachen über sich, was sie mochten, ihre Familien. Er erzählte, dass er gerade sein Nautikstudium abschließe, dass er Schiffe navigieren würde, dass er mit seiner Mutter in einem Haus im Stadtteil Kman lebe. Sein Vater sei gestorben, doch vor seinem Tod habe er das Haus gebaut, mit Geld, das er als Schlosser in Ingolstadt verdient habe. Das Haus habe zwei Stockwerke, eins für ihn und eins für seine Schwester. Doch seine Schwester lebe in Zagreb und sein Stockwerk habe die Mutter vermietet, um sein Studium zu finanzieren. Ich lebe in meinem Kinderzimmer, wie ein kleiner Junge, sagte er und vor Scham glühten seine Wangen.

Gegen zehn beschloss sie, dass es für diesen Tag genug wäre. Sie wollte nach Hause, und er bot an, sie zu begleiten. Am Hauseingang zog sie ihre Schlüssel aus dem Rucksack und drückte ihre Lippen auf seine. Es war der erste Kuss des zukünftigen Ehepaars.

Nach diesem Abschiedskuss schloss sie die Haustür auf und lief nach oben. In der Wohnung flimmerte es hinter der Milchglasscheibe der Wohnzimmertür. Sie steckte den Kopf ins Zimmer: Ihre Mutter war auf dem Sofa vor dem Fernseher eingeschlafen. Bruna machte das Gerät aus, zog ihrer Mutter die Pantoffeln von den Füßen und löschte das Licht. Zufrieden legte sie sich ins Bett.

Am nächsten Tag holte Frane sie mit dem Auto ab. Sie fuhren zum Deich nach Spinut, wo sie im Auto warteten, bis es ruhiger wurde und die Hundebesitzer nach Hause gingen. Dann setzte Bruna sich auf ihn, zog ihm den Pullover aus, knöpfte alles auf, was nötig war und ließ ihn in sich hinein. Es war überraschend angenehm. Er war nicht grob, zuckte nicht hektisch herum wie aufgezogen. Er streichelte unter dem T-Shirt sanft ihren Rücken, erlaubte, dass sie die Führung übernahm und kam. Erst dann begann er zu stöhnen – immer tiefer und lauter – bis sie spürte, dass er kam. Dann wurde er leise, weich und zog sich zurück wie ein verletzliches Tier. Lange lagen sie in zärtlicher Umarmung, blickten durch die Windschutzscheibe auf das wogende Meer und den Abendhimmel.

Es war schön gewesen an diesem Abend. Und es blieb schön. Ihre Körper, Haut, Muskeln und Schweiß, langes intensives Atmen: Das blieb, auch als alles andere zwischen ihnen nicht mehr da war. Manchmal fragt sich Bruna, ob es andersherum besser gewesen wäre.

5.

Die folgenden Monate waren die besten. Bruna ging jeden Tag um acht zur Arbeit, schloss ihr Büro auf, machte den Computer an und wartete auf Franes morgendlichen Anruf. Um vier verließ sie ihr Büro und rief ihn an, einfach so, um seine Stimme zu hören – als kleines Aufputschmittel, als Kick. Abends trafen sie sich natürlich. Frane holte sie mit dem Auto ab und sie gingen ins Kino, auf Feten, einmal fuhren sie nach Zagreb zu einem Sting-Konzert. Doch meistens hatten sie nichts Bestimmtes vor. Sie fuhren in ein Wäldchen auf dem Marjan, oder an eine aufgeschüttete Mole am Hafen. Dort stellten sie das Auto ab, zogen sich aus und vögelten. Das war gut, besser als alles andere.

Im März waren sie beiläufig aber offiziell in das Leben des anderen eingedrungen. Brunas Mutter erkannte Franes Stimme, nahm Nachrichten entgegen und plauderte mit ihm am Telefon. Die Stimme von Franes Mutter war Bruna inzwischen auch vertraut. Wenn sie über Festnetz bei den Saric anrief, hörte sie deren tiefen metallischen Alt und sprach respektvoll mit ihr. Höflich fragte sie, wie es ihr gehe, und bekam eine genauso höfliche, formvollendete Antwort. Ja, Frane ist hier. Ja, Moment. Nein, er ist nicht zu Hause. Rufen Sie später noch einmal an.

Nach einigen Wochen duzte man sich und es wurde Zeit, dass sie einander ihren Familien vorstellten, es fehlte nur ein passender Anlass.

Anfang April hatte der Sohn von Franes Schwester Erstkommunion. Die Familie wollte in Split feiern, in der Nähe der Mutter und der Familie. Sie entschieden sich für ein Fischrestaurant im Wäldchen oberhalb des Strands von Firula. Und sie luden auch Bruna ein – die Fremde, die nun in ihr Leben getreten war.

Bruna ging an diesem Nachmittag zu Fuß zur Firula-Bucht, wegen der vor ihr liegenden Ungewissheit mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Das Restaurant war ziemlich kitschig aufgemacht, alles in Messing und Glas, mit einem angebauten Wintergarten, der so tat, als gehörte er zum Außenbereich, damit die Gäste dort rauchen konnten. Bruna war zehn Minuten zu früh und machte noch einen Abstecher ans Wasser. Es wehte eine unangenehme Brise, das Meer war bleigrau und schäumte, doch Bruna war froh um die zehn Minuten Galgenfrist.

Dann war es Zeit. Sie ging zum Restaurant zurück und öffnete die Tür, als müsste sie sich in eisiges Wasser stürzen. Frane war schon da. Er küsste sie keusch auf die Wange und stellte sie seiner Familie vor. Da trafen sie sich zum ersten Mal.

6.

Im Gefängnis denkt Bruna viel nach, weil sie sonst nichts zu tun hat.

Eine Sache, an die sie denkt, ist auch dieser Nachmittag in dem Fischrestaurant. Wenn sie an diesen Tag denkt, hinterfragt sie sich. Sie fragt sich, ob sie eine Vorahnung hatte, ob sich durch diesen weinseligen, gelösten Abend eine graue Spur zog, ein warnendes Hintergrundgeräusch. Sie versucht sich selbst zu überzeugen, dass sie etwas geahnt hat, dass ein inneres Alarmlämpchen aufleuchtete, als sie Frau Saric sah. Dann verscheucht sie die Gedanken, weil sie ganz sicher weiß: Sie hat nichts geahnt.

Anka Saric war eine kräftige Frau mit breiten Hüften, wie eine Glucke, die über ihren Eiern brütet. An diesem Tag saß sie an der Mitte des Tischs, mit dem Rücken zur Wand, und überwachte die Kommunionfeier ihres Enkels. Sie war die stumme Vorsitzende eines Schwarms von Verwandten, Schwägerinnen, Onkeln, ein unaufdringlicher aber mächtiger Motor dieses ganzen ausgelassenen Geschehens. Als Frane sie ansprach, stand sie auf und wackelte herbei, um Bruna zu begrüßen. Sie nahm sie in den Arm – ausgesprochen herzlich – und zog sie an ihre Brust. Da hatte Bruna sie zum ersten Mal berührt und gerochen. Zum ersten Mal hatte sie ihre Haut gespürt, ihren Atem und Körper, die spezifische Geruchsmischung, mit der sie einmal sehr vertraut werden sollte.

Dann machte Frane sie mit seiner Schwester bekannt. Mirela Saric war das Gegenteil ihrer Mutter. Die alte Anka hatte die Statur der Venus von Willendorf und trug die Haare kurz, was sie noch älter machte. Mirela hingegen war eine magere, knochige Frau, die wild gestikulierte und deren Stimme heiser war von unzähligen Zigaretten. Während Anka still und verschlossen war, füllte Mirela das ganze Restaurant aus. Sie schnitt Kuchen und schenkte Sekt nach, lachte laut, rief durch den Raum, rief noch lauter. Sie umarmte Bruna, packte sie am Arm und zog sie durch den ganzen Raum, bis sie alle kennengelernt hatte.

Zuerst stellte sie Bruna ihren Mann vor. Slavko war hoch gewachsen mit langen Gliedmaßen, einer von den Großen, die immer irgendwie gebückt dastehen, um sich den Kleineren anzupassen. Er sprach wenig und seinem Blick nach war er nicht der Allerhellste. Bruna sah deutlich, dass Mirela in dieser Beziehung die Hosen anhatte.

Mirelas und Slavkos Sohn war ein Abziehbild seines Vaters: ein dunkelhaariger, schlaksiger Junge mit verträumtem Blick. Er wirkte ein wenig altklug – aber welches Kind wirkte im Kommunionanzug mit weißem Hemd und Lackschuhen nicht altklug?

Außerdem lernte Bruna an diesem Abend unzählige Schwager, Schwägerinnen, Cousinen und Tanten kennen. Sie versuchte fieberhaft, sich alle Namen und Verwandtschaftsbeziehungen zu merken. Damals kam ihr das sehr wichtig vor. Heute kann sie sich nicht erklären, wie sie so dumm sein konnte.

Nach Kalbsbraten mit Kartoffeln und Krautsalat, nach Torte, Wein und Mineralwasser ging die Familie am Abend langsam auseinander. Die Schwager, Cousinen und Onkel verabschiedeten sich, das Restaurant leerte sich und schließlich waren sie nur noch zu viert: Bruna, Frane, Mirela und Slavko, der seine Schwiegermutter und den kleinen Ehrengast nach Hause gefahren hatte und zurückgekommen war. Sie setzten sich auf die Terrasse und Mirela bestellte noch eine Runde und dann noch eine. Während der Kellner Kräuterschnaps einschenkte, umarmte sie Bruna und drückte sie. Du bist wirklich lustig! Ich freue mich so, dass du hier bist, sagte sie. Dann setzte sie ihren Monolog fort. Laut und begeistert erzählte sie etwas, doch Bruna hörte kaum hin. Die ganze Zeit beobachtete sie Frane. Obwohl die Terrasse kaum beleuchtet war, sah sie, dass er zufrieden lächelte.

Mit ihren Schnapsgläsern in der Hand standen sie an der Terrassenbrüstung und blickten hinunter aufs Meer. Vor ihnen erstreckte sich der Kanal zwischen dem Festland und der Insel Brac, auf der anderen Seite lagen erleuchtete Häuser, Tausende Lichter voller Versprechungen.

7.

Eine Woche nach der Kommunionfeier schlug Frane ihr vor, mit ihm das Dorf zu besuchen, aus dem er stammte. Sein Vater war kurz vor Palmsonntag gestorben, und Frane pflegte an diesem Sonntag vor Ostern dessen Grab zu besuchen.

Bruna war ein Stadtkind. Ihr Vater stammte aus dem Spliter Proletariat, er war in einem der windschiefen Häuschen an der Stadtmauer aufgewachsen. Die Spur zur Herkunft ihrer Mutter war verworren und führte auf die Inseln, dieser Familienzweig war ausgedünnt und morsch von weit zurückliegenden Familienfehden und Erbstreitigkeiten, aus denen ihre Mutter mit leeren Händen hervorgegangen war. Im Unterschied zu ihren Nachbarn und Mitschülern hatte Bruna kein Dorf, das sie ihres nennen konnte. Zu den katholischen Feiertagen und in den Ferien pferchten sich ihre Bekannten und Freunde in ihre sparsamen Dieselkombis, den Kofferraum voller Blumen, fuhren zu ihren Ursprüngen, ihrem Nabel, und hinterließen Bruna eine leere, heiße, verwirrende Stadt. Im Unterschied zu ihr hatte Frane ein Dorf. Und so fuhren sie an diesem Palmsonntag 2006 in die Berge, Richtung Cetinaschlucht und dann nach Osten.

Franes Dorf lag auf einer mit dürrem Gras bewachsenen Hochebene inmitten grauer Felsen. Willkürlich verstreut an den Rändern der Felder lagen Dörfchen, je eine Handvoll Häuser, und mitten auf der Hochebene erhob sich, wie ein längst verwelktes Herz, die Schule, ein altes Steingebäude aus der Zeit der Österreicher. Das Schulhaus war hoch, aus gleichförmigen, schönen Steinquadern gebaut, solchen, mit denen längst untergegangene Staaten Schulen, Gefängnisse und Bahnhöfe errichtet hatten. Fenster und Türen der Schule waren morsch und aus den Scharnieren gefallen, die Wände vollgekritzelt und zugewuchert.

Sie stellten das Auto an der alten Schule ab und liefen über einen Kiesweg. Wie in vielen sterbenden Dörfern war auch hier der Friedhof der einzige Ort, der gedieh und regelmäßig erneuert wurde. Um den Friedhof und die Kapelle erhob sich eine neue Mauer aus grobem Beton. Jemand hatte begonnen, sie mit Steinen zu verschönern, doch schien ihm das Geld ausgegangen zu sein. Hinter der Kapelle lag der neue Teil des Friedhofs, wo gespenstische Betongruften auf künftige Tote aus Zagreb, Frankfurt, Malmö, Perth und Toronto warteten. Im alten Teil standen auf einigen wenigen Gräbern einfache Steinkreuze. Die meisten jedoch verrieten die Sehnsucht nach Luxus. Bruna blickte auf Grabplatten aus dunklem Granit oder rötlichem mazedonischen Marmor. Glatt und glänzend hätten sie eher in Foyers von Banken gepasst als auf einen Friedhof. Inmitten dieser morbiden Umgebung wirkte der Friedhof neu, glänzend und teuer.

Dann blieb Frane vor einem Grab stehen. Wie die meisten anderen sah auch dieses neu aus, eingefasst und bedeckt von schwarzem Granit und geschliffenen Kalksteinplatten. Auf dunklem Untergrund standen in Schmuckschrift die Namen von Franes Vorfahren: die Urgroßmutter und Begründerin der Sippe, Großvater und Großmutter, Großonkel und schließlich sein Vater. Filip Saric stand da. Makarska 1948 – Ingolstadt 1999. Ein Sternchen vor dem Geburtsjahr, ein Kreuz vor dem Todesjahr. Links vom Sternchen, recht hübsch, war eine ovale Keramikplatte mit seinem Bild angebracht. Franes verstorbener Vater blickte ihnen aus dem Oval spitzbübisch entgegen.

Frane ließ sich vor dem Grab auf die Knie nieder und fuhr mit einem Handbesen über die Grabplatte.

Er ist vom Gerüst gefallen, sagte er unvermittelt. Neunundneunzig, am Freitag vor Palmsonntag. In einem bayerischen Dorf haben sie das Dach auf einem Bauernhaus errichtet. Ich erinnere mich noch immer, das Dorf hieß Kelheim. Ihm wurde schwindelig und – bumm! – vom Dach auf die Erde. Er war einundfünfzig.

Schweigend nahm Frane eine Marmorvase vom Grab. Die vertrockneten Blumen warf er auf den Komposthaufen, dann füllte er die Vase am Wasserhahn mit Wasser und wickelte seine Blumen aus dem Papier.

Einundfünfzig, wiederholte er. Ich war damals in der neunten Klasse. Wir hatten gerade die erste Etage fertig, die Betondecke war gegossen, wir hatten mit der zweiten begonnen. Noch fünf, sechs Wochen und die zweite Etage wäre fertig gewesen. Dann wollte er nach Hause kommen. Er hatte genug von Deutschland, mehr als genug.

Das Papier warf er in den Abfallcontainer und arrangierte dann sorgfältig die Blumen in der Vase. Er trat einen Schritt zurück, um den Strauß zu begutachten, dann wischte er Erdkrümel von seinen Händen und bekreuzigte sich. Bruna machte es ihm automatisch nach. Dabei fiel ihr auf, dass sie sich schon seit Jahren nicht mehr bekreuzigt hatte.

Er hatte schon alles geplant, setzte Frane seine Erzählung fort. Das Dach decken. In Ingolstadt kündigen. Die Abfindung nehmen und im Erdgeschoss eine Werkstatt eröffnen, für Bootsbeschläge. Der Krieg war gerade zu Ende gegangen, der Tourismus erholte sich, Leasing, Charter, alle kauften wie verrückt Boote. Er hatte schon alles organisiert. Musste nur noch diese sieben, acht Wochen hinter sich bringen. Und dann auf einmal – paff! – und dann nichts mehr. Danach waren wir allein: meine Mutter, Mirela, ich und das halb fertige Haus.

Er bekreuzigte sich noch einmal. Dieses Mal tat Bruna es ihm nicht nach. Stattdessen vertiefte sie sich in das ovale Keramikplättchen auf dem Grabstein und studierte die Züge dieses mageren Mannes, der schon lange tot war und ihr vom Grabstein herausfordernd entgegensah. Wenn man die altmodische Frisur ignorierte, ähnelte der Mann Frane. Sie hatten beide eine knochige, sehnige Statur, das gleiche längliche Gesicht mit hohen Wangenknochen. Franes Vater sah aus wie jemand, der das Leben liebte, mit dem man gerne lachte, der einen in Stimmung brachte. Er sah aus wie jemand, der an das Gute im Leben glaubte und daran, dass noch viele schöne Jahre vor ihm lagen.

Nur sieben, acht Wochen, hatte Frane gesagt, und er wäre nach Hause gekommen. Hier am Grab, unter dem grauen Frühlingshimmel, im leichten Nieselregen, erschien dieser Gedanke Bruna entsetzlich. Dieser Mann, der tot war und ihr von dem Keramikplättchen entgegensah, hatte jeden Schritt sorgfältig geplant. Alles führte zu einem Ziel. Er wollte ein gutes Leben, seine Familie, Arbeit, Geld und Heimat. Er hatte nach vorn geblickt, in die Zukunft, in eine gute Zeit, die vor ihm lag und ihm die verdienten Früchte einbringen würde. Er hatte nichts falsch gemacht. Außer, dass er eines Morgens seinen Fuß an die falsche Stelle setzte, irgendwo in einem Ort, der Kelheim hieß.

Was für eine Vergeudung, so ein junger Mann, sagte Bruna, und Frane legte ihr den Arm um die Schulter und küsste sie auf den Mund.

Lass uns gehen. Das kennst du jetzt also auch, sagte er, und sie gingen zum Auto.

Auf der Fahrt hörten sie im Radio die Nachrichten, doch Bruna achtete nicht aufs Radio, nicht auf die Stimme des Nachrichtensprechers und nicht auf die Straße. In ihren Gedanken war nur dieses hagere lächelnde Gesicht. Das Gesicht eines Mannes, der sich sicher war, dass alle guten Dinge des Lebens noch vor ihm lagen.

8.

Im April musste Frane zum ersten Mal zur See. Der Agent meldete sich Ende März und bot ihm einen Vertrag auf der norwegischen Panamax an, die unter liberianischer Flagge fuhr. Sechs Monate auf See, von Rotterdam nach Lake Charles, Panama, Puerto Montt, Dailian, Chennai und dann durch den Golf von Aden zurück nach Europa. Anfang April buchte Frane einen einfachen Flug über München nach Rotterdam. Bruna erkannte, dass seine Begeisterung sich in Grenzen hielt, er hatte keine Lust auf diese Reise.

Bruna wollte ihn zum Flughafen bringen. Sie fuhr zu dem Haus auf Kman, wo Frane und seine Mutter bereits vor der Haustür auf sie warteten. In einem viel zu warmen Anorak rauchte Frane eine letzte Zigarette und ging unruhig auf und ab. Als er Bruna sah, nahm er seine Mutter in den Arm. So standen die beiden lange da, als könne nur der Wind sie auseinanderreißen. Dann machte Frane sich los und stieg ins Auto.