Ein verflixtes Halloween - Svantje Koch - E-Book

Ein verflixtes Halloween E-Book

Svantje Koch

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Beschreibung

20 unheilvolle Kurzgeschichten rund um den gruseligsten Tag des Jahres Folgen Sie uns durch PC-Spiele, zu verfluchten Treffen, seltsamen Blind-Dates, hinein in Zeitschleifen und zu Opferungen. Doch zwischen Vampiren, Hexen und Werwölfen gibt es auch Mörder, Serientäter und wahre Teufel. Und Monster … märchenhafte, sagenhafte und erfundene … mit guten, schlechten oder gebrochenen Herzen …denn auch diese Wesen sehnen sich nach Liebe. Und so ist es nicht verwunderlich, dass auch hier Misserfolge, Zauberei und Flüche vorkommen. Genau wie Liebe, die über den Tod hinausgeht und echte, unsterbliche Liebe. Trinkt unsere Liebeszauber, trollt euch zwischen verstümmelten Kürbissen, erlebt Halloween in Love und wartet darauf, dass euch der Tod scheidet. Es hilft alles nichts, das Pony ist sowieso immer der Täter.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 332

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1. Lady in Red
2. Etwas Böses kommt daher
3. Ein gutes Herz
4. Das Grauen der Liebe
5. Teufel im Leib
6. Einfach ein wenig später…
7. Leonies Geburtstag
8. Happy Halloween: Date-Desaster und Anwalt-Attraktion
9. Fünf-Sterne-Bewertung für höllische Grausamkeiten
10. Silvania
11. Bis das der Tod uns scheidet
12. Halloween in Love
13. Die Schmiede
14. Verkuppelt – auf Teufel komm raus
15. Die Nacht der liebenden Toten
16. Gebrochene Herzen
17. Flora und Sauna
18. Storys about Beasts and Ghosts
19. Als die Welt noch finster war
20. Ikarus
Autoren

Ein

verflixtes

Halloween

Eine unheilvolle Kurzgeschichtensammlung

ELYSION-BOOKS

Print; 1. Auflage: September 2023

eBook; 1. Auflage: September 2023

VOLLSTÄNDIGE AUSGABE

ORIGINALAUSGABE

© 2023 BY ELYSION BOOKS, LEIPZIG

ALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG: Michelle Tocilj https://www.tociljdesigns.de

ISBN (vollständiges Ebook) 978-3-96000-294-9

ISBN (gedrucktes Buch) 978-3-96000-293-2

Mehr himmlisch heißen Lesespaß finden Sie auf

www.Elysion-Books.com

INHALT

Svantje Koch - Lady in Red 5.S

Ema Kessell - Etwas Böses kommt daher 19 S.

Yara Kiefer - Ein gutes Herz 24 S.

Helmut Blepp - Das Grauen der Liebe 29 S.

Utz Anhalt - Teufel im Leib 33 S.

Susanne Rensberg-Umbach - Einfach ein wenig später 45 S.

Thomas Karg - Leonies Geburtstag 57 S.

Isabell Helger - Date-Desaster und Anwalt-Attraktion 67 S.

Julia S. Oltmanns - Fünf-Sterne-Bewertung 78 S.

Annika Elstermann - Silvana 84 S.

Yvy Lips - Bis das der Tod uns scheidet 96 S.

Monika Schillinger - Halloween in Love 105 S.

Stefan Junghanns - Die Schmiede 117 S.

Marie Loth - Verkuppelt 135 S.

Valerie Puschner - Die Nacht der liebenden Toten 147 S.

Ludwig Karrell – Gebrochene Herzen 163 S.

Benedict Friederich - Flora und Sauna 171 S.

Denise Joan - Storys about Beasts and Ghost 176 S.

Benjamin Hodi - Als die Welt noch finster war 193 S.

Jennifer Nickel - Ikarus 205 S.

Autoren 232 S.

1. Lady in Red

Svantje Koch

Katja schrak von einem lauten Geräusch auf. Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Hinter ihren Augen pochte es und das Gebrüll vor dem Fenster verschlimmerte den Schmerz.

Stöhnend richtete sie sich auf und angelte nach dem Vorhang. Draußen schrie gerade ein Mann einen Parksheriff an und fuchtelte mit einem Zettel vor dessen Nase herum.

Sie strubbelte sich durch die Haarstoppeln und wischte einen Mascarakrümel aus ihrem Augenwinkel.

»Oh Gott! Nie wieder Tequila!« Von dem Nachttisch zog sie ein Päckchen Schmerztabletten hervor. Mit der Cola vom Vortag spülte sie zwei davon herunter. Einen Moment lang wartete sie ab, ob es unten blieb. Dann schlug sie die Decke weg und tapste ins Badezimmer.

Als sie angezogen die Küche betrat, ging es ihrem Kater bereits so gut, dass ihr das Getöse der Kaffeemaschine nichts mehr ausmachte. Seufzend betrachtete sie den Zettel ihrer Mitbewohnerin neben den Espressotassen.

Hab trotzdem ein schönes Halloween. Vielleicht ist das dein Neustart. Sieh es als Geschenk des Universums. Bussi Tini.

»Na super.« Wie sollte man Halloween feiern, wenn der Freund einen am Vortag verlassen hatte? Wegen einer Blondine. Sie zerknüllte den Zettel und schmiss ihn in den Papierkorb.

Katja warf einen Blick auf die Küchenuhr und fluchte. Wenn sie noch pünktlich zu ihrer Vorlesung kommen wollte, musste sie sich beeilen. In einem Zug stürzte sie den Kaffee hinunter, schnappte ihre Unterlagen und hetzte zur Tür.

Um ein Haar wäre sie über den Strauß Rosen auf dem Treppenabsatz gestolpert.

»Björn!« Jetzt brauchte er auch nicht mehr ankommen.

Zuerst wollte sie die Blumen nach unten treten. Dann besann sie sich und nahm die Karte, die in den oberen Knospen steckte.

»Meine Schöne, genieße den Tag, als wäre es dein letzter«, stand da in einer verschnörkelten Handschrift.

»Nicht mal ne Entschuldigung?«, murmelte sie und schob den Strauß einfach beiseite. Die Karte steckte sie in ihre Gesäßtasche.

Sie zog den Schal fester und rannte zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab zu ihrem Fahrrad.

Zwei Stunden später in der Uni hakte sich Laura von hinten bei ihr ein. »Gehen wir einen Kaffee trinken?«

Gähnend nickte Katja und ließ sich zu den Fahrradständern ziehen. Während der Vorlesung über deutsche Literatur des späten Mittelalters wäre sie zweimal fast eingenickt.

»Was hast du denn da?« Ihre Freundin zog eine Schachtel von Katjas Gepäckträger.

»Boa, das ist ja wohl das Letzte. Gestern macht er Schluss und heute überhäuft er mich mit Geschenken.« Katja zog die Augenbrauen zusammen und widerstand dem Drang, das Konfekt durch die Gegend zu werfen.

»Björn? Glaub ich nicht. Guck dir mal die Karte an.«

Mit spitzen Fingern nahm Katja das Kärtchen entgegen.

»Meine Schöne, versüße dir den Tag, als wäre es dein letzter.«

»Das klingt so gar nicht nach Björn, finde ich«, sagte Laura.

»Du hast recht.« Stirnrunzelnd drehte sie das Pappstück in den Händen, als ließe sich dadurch der Absender erkennen.

Sie erzählte von den Rosen. »Eigentlich dachte ich, dass das ein Versuch von Björn ist, sich zu entschuldigen.«

»Du hast einen heimlichen Verehrer.« Laura lachte.

»Wie gruselig.« Katja fuhr durch ihre Haarstoppeln und blickte sich um.

Auf dem Hof standen Studenten in Grüppchen herum. Die meisten kannte sie. Doch keiner sah aus, als würde er ihr besondere Beachtung schenken.

»Lass uns los.« Sie schüttelte sich und schloss das Rad auf.

Im Café duftete es nach frisch gebackenen Schokoladenmuffins.

Mit beiden Händen umklammerte Katja ihren Cappuccino und sank tief in ihren Ohrensessel.

Seit einer halben Stunde gingen die beiden alle möglichen Bekannten und Freunde durch, die infrage kommen konnten. Bislang ohne Ergebnis.

Katja rümpfte die Nase. »Also mir fällt jetzt wirklich keiner mehr ein.«

»Vielleicht ein Uni-Professor?«

»Ach quatsch. Die sind alle steinalt.« Sie schlürfte den letzten Schluck aus und schob die Tasse beiseite.

Martin, der Cafébesitzer, balancierte ein Tablett zu ihnen herüber und stellte zwei dampfende Keramikbecher vor ihnen ab.

»Was ist das?«, fragte Laura und reckte den Kopf nach vorne.

»Grog.« Martin zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Die sind von ...« Er drehte sich um und zog die Augenbrauen zusammen. »Nanu? Eben war er noch da.«

»Wer?« Katja richtete sich auf.

»Na, der Typ, der euch die Grogs spendiert hat.«

»Wie sah er aus?«, fragte Laura.

Martin kratzte sich am Hinterkopf. »Puh. Gute Frage.«

Genervt seufzte Katja. »Komm schon. An irgendwas musst du dich doch erinnern.«

»Er war dunkelhaarig, glaube ich. Mittelgroß. Auf jeden Fall soll ich dir was ausrichten.« Mit dem Kinn ruckte er zu Katja.

»Ach ja?«

»Das war irgendein Schwachsinn.« Lachend räumte er die alten Tassen auf das Tablett. »Irgendwas von wegen, dass du das Elixier des Lebens genießen sollst, oder so.«

Er schüttelte den Kopf. »Ein ziemlicher Spinner, wenn ihr mich fragt. Aber der Grog ist trotzdem gut. Happy Halloween übrigens.« Dann zwinkerte er ihnen zu und drehte sich um.

»Hast du jemanden gesehen?«, fragte Katja und sah zur Tür hinüber. Da war niemand. Auch nicht vor den Schaufenstern.

»Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht ist es ja Martin?«

»Meinst du?« Stirnrunzelnd betrachte sie den Mann hinter der Bar. Er winkte zu ihnen herüber und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. »Gut sieht er jedenfalls aus.«

»Aber was, wenn er es nicht ist? Vielleicht ist es ja auch ein Psychopath.« Laura schnüffelte an ihrer Tasse und nippte daran.

»Du siehst zu viele Horrorfilme.«

»Sei lieber vorsichtig. Hast du von diesem Kunstmörder gehört?«

Katja schüttelte den Kopf und winkte ab. »Weißt du was? Wenn Björn jemanden Neuen haben kann, dann ich auch. So ein Verehrer ist eigentlich ganz schön. Außerdem: Es ist Halloween.«

»Und was heißt das?« Laura sah sie über den Tassenrand hinweg an.

»Das heißt, dass ich eine Verabredung nicht ausschlagen würde, wenn ich eine bekäme. Und wenn es Martin ist? Umso besser.« Katja griff nach der Tasse und prostete dem Cafébesitzer zu.

Sie blieben noch eine Weile sitzen, dann verabschiedeten sie sich und Katja radelte heim.

Als sie ankam, sah sie schon von Weitem die große Schachtel, die vor der Tür lag. Sie schloss das Rad an den Laternenpfahl und stieg die Treppe hinauf. Dabei ließ sie das Paket nicht aus den Augen.

Oben drauf lag eine einzelne Rose. Eine rote.

Mit dem Handrücken schob sie die Blume beiseite und las den beiliegenden Zettel.

»Für meine schöne Katja, Rot wie Blut, steht dir gut. Sei um sieben fertig. Es erwartet dich der Abend deines Lebens.«

Was war das denn für ein Blödsinn?

Sie trug die Schachtel hinein und trat die Tür hinter sich zu. In ihrem Zimmer legte sie den Karton auf dem Bett ab.

Jacke, Schal und Handschuhe landeten in der Ecke. Nachdenklich trat sie einen Schritt zurück.

Ob es ein Kleid war? Was sonst konnte ihr gut stehen? Kopfschüttelnd ging sie in die Küche und holte sich einen Kaffee. Dann kehrte sie zurück und betrachtete das Geschenk noch einmal. Mit dem Zeigefinger hob sie eine Ecke an. Langsam schob sie die Ecke über den Rand, bis der Deckel herunterrutschte.

Zum Vorschein kam weißes Seidenpapier, das raschelte, als sie es beiseiteschob. Darunter lag wie gegossen ein dunkelrotes Satinkleid.

Katja hob es an den Trägern in die Höhe.

»Wow.« Ein so edles Kleid hatte sie nicht einmal zu ihrem Abiball getragen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen dachte sie an Björn, der sie damals begleitete. Von dem hatte sie nie solche Geschenke bekommen.

Sie stellte sich vor den Spiegel und hielt sich das Kleid an den Körper. Er hatte recht. Es stand ihr wirklich ausgezeichnet. Das Rot betonte ihre dunklen Augen.

Um sieben würde er sie abholen. Ein Blick auf die Uhr beruhigte sie. Ihr blieben noch drei Stunden. Genügend Zeit, um ihre Beine zu rasieren und sich um den restlichen Körper zu kümmern.

Auf dem Weg ins Badezimmer holte sie ein Glas Rotwein aus der Küche. Dann ließ sich Katja ein Schaumbad ein und glitt in das warme Wasser. Sie schloss die Augen und genoss das wohlige Gefühl.

Als sie verschrumpelt, dafür komplett enthaart wieder herausstieg, war draußen die Sonne untergegangen.

Sie schmiss sich mit einem neuen Glas Wein und ihrem Handy in den Ohrensessel. Fünf Nachrichten von Laura, die wissen wollte, ob es Neuigkeiten von ihrem Verehrer gab und eine von Tini, dass es heute spät werden würde. Nichts von Björn.

Wütend kaute Katja an ihrer Unterlippe. Wahrscheinlich räkelte er sich gerade mit seiner Blondine im Bett.

Ihr Blick glitt zum Kleid. Was er tat, konnte sie schon lange.

Sie gab sich einen Ruck und zog es über. Es schmiegte sich an ihren Körper, als wäre es ihr auf den Leib geschneidert worden.

Prüfend betrachtete sie sich im Spiegel. Wer auch immer ihr dieses Kleid geschickt hatte, er musste sie entweder sehr gut kennen oder intensiv beobachtet haben.

Mit dem Handy schoss Katja ein Selfie, das sie Laura schickte. Keine drei Sekunden später läutete das Telefon.

»Was bitte ist das?«

Katja erzählte ihr von dem Karton.

»Oh man, sein bloß vorsichtig. Du weißt doch gar nicht, wer dahintersteckt.«

»Das ist ja das Aufregende. Im Übrigen bin ich mir ziemlich sicher, dass es Martin ist.«

»Warum das?«

»Neulich hatte ich diesen roten Wollpulli an. Er hat mir gesagt, wie gut er mir steht. Mann, war Björn da eifersüchtig.«

»So ein Idiot!« Laura lachte. »Trotzdem. Sag mir zwischendurch bitte immer, wo du bist.«

»Wirklich immer?« Jetzt lachte Katja.

»Du weißt, was ich meine. Ich mach mir Sorgen um dich.«

»Ich kann auf mich selbst aufpassen. Du, ich mach mich jetzt fertig.«

»Na gut. Aber ...«

»Ja ja. Ich melde mich. Versprochen. Bis denn.«

Katja drückte ihre Freundin weg und stand dann unschlüssig vor ihrem Schmuckkästchen. Schließlich entschied sie sich für die langen bernsteinfarbenen Tropfenohrringe. Danach kümmerte sie sich um das Make-up. Die verbliebene Zeit verbrachte sie damit, sich möglichst unaufdringlich, aber aufregend zu schminken.

Zwischendurch griff sie immer wieder zu ihrem Weinglas.

Zum Schluss legte sie dunkelroten Lippenstift auf und warf ihrem Spiegelbild einen Luftkuss zu. Dann leerte sie das Glas und sah auf die Uhr. Ihr blieben noch fünf Minuten.

Katja tippte eine Nachricht an Laura und zog den bodenlangen Mantel mit Fellbesatz an. Das Teil war ein Erbstück ihrer Großmutter. Ein echtes Unikat aus den Dreißigerjahren. Zwar unpraktisch, weil er sie beim Gehen hinderte, dafür edel und damit mehr als passend zu ihrem Outfit.

Leicht beschwipst vom Wein trat sie aus der Tür und sah die Straße hinab. Einige Häuser weiter ging eine Horde verkleideter Kinder von Tür zu Tür, um nach Süßigkeiten zu betteln. Sonst nichts.

Einen Moment lang bedauerte Katja, sich für die offenen Stilettos entschieden zu haben. Sie wickelte sich enger in ihren Mantel und zog die Schultern hoch.

Eine halbe Minute später glitt ein dunkler Mercedes um die Ecke und hielt vor ihrer Treppe.

Ihr Herz hüpfte und in ihrem Magen breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Sie überlegte, Laura noch eine Nachricht zu schreiben, verwarf den Gedanken aber, als sich die hintere Tür öffnete.

Sie schloss die Augen, atmete durch. Dann tastete Katja sich die Stufen hinab. Wenn sie jetzt ausrutschte und fiel, konnte sie genauso gut wieder hineingehen.

Heil unten angekommen, holte sie noch einmal Luft und stieg ein. Zwischen ihr und dem Fahrer befand sich eine getönte Scheibe. Die Rückbank war leer. Beinahe leer. Auf dem Platz neben ihr lagen eine Schachtel und ein Zettel.

»Hallo? Entschuldigen Sie, ich weiß nicht ...«

Es knisterte. Aus einem Lautsprecher an der Decke tönte eine Stimme: »Schließen Sie die Tür und lesen sie die Nachricht.«

Katja zögerte. Noch konnte sie wieder aussteigen. Doch die Neugier siegte und sie angelte nach dem Türgriff.

Jegliche Außengeräusche verstummten und Katja versank in den Ledersitzen. Ihr Blick glitt zu dem Zettel und der Schachtel.

Sie sog den Duft nach Neuwagen ein und stellte sich die Schachtel auf den Schoß. Sie wog fast nichts. Mit den Fingerspitzen faltete sie das Blatt Papier auseinander.

Meine Schöne,

setze die Maske auf und lasse Dich überraschen.

Dein X

Mehr stand dort nicht.

Maske? Katjas Hände zitterten, als die den Deckel der Schachtel öffnete. Zum Vorschein kam eine silberne Gesichtsmaske, mit roten Steinen verziert. Sie wirkte edel und ließ Katja an Venedig und Maskenbälle denken.

»Was zum …?« Sie hielt sich das Ding probeweise vor das Gesicht. Es verdeckte die obere Hälfte bis zur Nase und die Schlitze für die Augen schränkten ihre Sicht ein.

Eine Weile lang betrachtete sie das Schmuckstück. Schick sah sie aus, das musste Katja ihr lassen.

Der Wagen bremste und hielt vor einem großen Backsteingebäude. Zum zweiten Mal knisterten die Lautsprecher.

»Bitte setzen Sie jetzt die Maske auf.«

Zögernd leistete sie Folge. Sie spürte das kühle Material auf ihrer Haut. Ein wenig bewegte sie den Kopf hin und her, damit sie besser sah.

Die Tür schwang automatisch auf und Katja klettere hinaus. In letzter Sekunde fiel ihr ein, dass sie Laura noch eine Nachricht schicken wollte. Sie tippte schnell: »Rotes Haus, Hermannstraße.«

Dann steckte sie das Handy in ihre Manteltasche und stand unschlüssig auf dem Gehweg.

»Entschuldigen Sie? Wo soll ich denn hin?« Sie beugte sich durch die halb geöffnete Autotür und kam sich albern vor, mit einer getönten Scheibe zu reden.

Statt einer Antwort klapperte es hinter ihrem Rücken. Sie drehte sich um und sah zum Haus hinüber. Die Eingangstür stand offen und ein flackernder Lichtschein drang nach draußen.

Mehr tastend, denn gehend bewegte sie sich darauf zu. Dabei verfluchte sie diese Maske, ihre Schuhe und den langen Mantel.

In ihrem Bauch kribbelte es, als sie die Tür erreichte.

Klassische Musik erklang und Kerzenlicht erhellte den Raum am Ende des Flures.

»Hallo?«, rief Katja.

Keine Antwort. Sie betrat einen Salon, in dessen Mitte eine Tafel mit zwei Gedecken stand. Der Mann neben dem Tisch trug auch eine Maske. Seine war schwarz. Genau wie sein Smoking.

Durch die Sehschlitze konnte sie keine Details erkennen. Aber sie war sich sicher, dass dies nicht Martin war. Dieser Mann sah größer und breiter aus. Hatte dunkles Haar, im Gegensatz zu dem Cafébesitzer.

Langsam ging sie auf ihn zu.

»Hallo, meine Schöne«, sagte er. Seine Stimme klang tief und volltönend.

Er nahm ihren Mantel ab, wies auf einen Platz und rückte ihren Stuhl zurecht.

Katja fühlte sich beschwingt und genoss die Aufmerksamkeit.

»Wie heißt du?«, fragte sie und steckte sich eine Erdbeere zwischen die Lippen.

In ihrem Mund breitete sich eine schwere Süße aus. Die Früchte waren gezuckert. Dazu gesellte sich ein zweiter Geschmack, den sie nicht zuordnen konnte.

»Mein Name spielt keine Rolle.«

Er goss Champagner ein und nahm ihr gegenüber Platz.

»Oh, wie geheimnisvoll.« Sie griff nach den Beeren.

Er lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und schien sie zu beobachten. So genau war das durch die Maske nicht zu erkennen.

Katja fühlte sich zunehmend lockerer und zufriedener. Er hatte recht. Es spielte keine Rolle.

Diese Früchte schmeckten köstlich. Die junge Frau spülte mit Alkohol nach.

Ihr Kopf füllte sich mit Watte. Oder Erdbeermus.

»Willst du mich abschleppen?« Katja erschrak darüber, wie sehr sie lallte.

»Vielleicht« Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln.

»Liebst du mich?« Sie kicherte und aß noch eine Erdbeere.

»Vor allem liebe ich Kunst.«

»Und warum hast du mir das schöne Kleid geschickt?«

»Ich lege Wert darauf, dass meine Kunst schön ist.«

Was meinte er denn damit? Ihre Blicke schweiften umher. In dem Raum befand sich kein einziges Bild oder anderes Kunstwerk.

»Isst du nichts?«

Er schüttelte den Kopf. Sie wunderte sich darüber, wie unkenntlich die Maske sein Gesicht machte. Das Kinn war kräftig und markant, seine Lippen voll. Ansonsten konnte sie nur Vermutungen anstellen.

Katja angelte sich noch eine Erdbeere und leckte lasziv daran. Er grinste und legte den Kopf schief.

Sie grinste zurück und schob die Frucht ganz in den Mund. Dann trank sie das Glas aus und hielt es ihm hin.

»Krieg isch nowas?«, nuschelte sie undeutlich.

Er lachte. »Du trinkst zu viel. Hab ich schon gestern auf der Party bemerkt. Ich denke, jetzt hast du genug.«

Mit zusammengekniffen Augen betrachtete sie ihn. Davon abgesehen, dass sie sich ohnehin kaum an den letzten Abend erinnerte, fiel ihr niemand ein, der dem Mann ihn gegenüber ähnelte.

Sie kratze sich an der Wange. Diese Maske juckte ganz schön. Brauchte sie das Ding überhaupt noch? Katja machte Anstalten, sie herunter zu nehmen.

»Lass das!« Seine Stimme klang auf einmal hart.

»Aber ...«

»Genug!« Er stand auf und kam um den Tisch herum auf sie zu. Seine Augen glitzerten im Kerzenlicht. Sie hatten irgendetwas Unangenehmes an sich.

Katja wollte aufstehen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht.

Der Mann war bei ihr angekommen, griff sanft an ihr Handgelenk und half ihr auf die Beine.

»Danke. Ham wir nu Sex?« Kopfschüttelnd versuchte sie, den Schleier zu vertreiben.

»Komm mit.« Er zog sie auf eine Tür zu.

Die war ihr vorher gar nicht aufgefallen. Auf einmal kamen ihr Bedenken. Sie wollte ihren Arm wegziehen. Vergebens. Sein Griff war zu fest.

Sie wollte protestieren, doch es kam nur undeutliches Lallen heraus.

Er stieß die Tür auf und schob Katja hindurch.

»Was ...?« Der Raum lag im Dunkeln, unter ihren Schuhen knisterte der Boden. Wenn dies ein Liebesnest sein sollte, dann ein sehr komisches.

Ihr Fuß knickte weg. Sie strauchelte. Er fing sie ab, hob sie hoch und trug sie ein Stück. Sein Aftershave stieg ihr in die Nase. Ihre Bedenken schwanden.

Für einen kurzen Moment dachte sie daran, wie es sein musste, mit ihm zu schlafen. Ihre Arme schlangen sich um seinen Nacken.

Nachdem sie jahrelang nur mit Björn geschlafen hatte, war dies eine Abwechslung. Tief einatmend schloss sie die Augen. Alles drehte sich, also öffnete sie die Lieder schnell wieder.

Er legte sie ab. Der Untergrund fühlte sich hart und glatt an.

Sie wollte etwas fragen, aber ihre Stimme versagte. Dabei hatte sie doch gar nicht so viel getrunken, oder?

Er beugte sich vor. Mit gespitzten Lippen erwartete sie seinen Kuss. Stattdessen legte sich etwas Kaltes um ihre Handgelenke.

Es dauerte einige Sekunden, bis Katja verstand, was passierte. Da konnte sie ihre Arme und Beine schon nicht mehr rühren.

»Was ...?« Sie zappelte. Vergebens.

»Beruhig dich, meine Schöne.«

»Was?« Hektisch schoss ihr Kopf nach links und rechts.

Sofort wurde ihr wieder schwindelig. Katja kniff die Augen zusammen und wollte die Hand heben. Schaffte es aber nur, sie fünf Zentimeter anzuheben. Es klirrte. Um Hand- und Fußgelenke befanden sich Handschellen.

Ungläubig rüttelte sie daran. Nichts zu machen.

Schlagartig wurde sie nüchtern.

»Was hast du vor?«

»Mach dir keine Sorgen, meine Schöne.« Er kam ganz nah an ihr Ohr. »Du wirst nicht lange leiden.«

»Was? Lass mich gehen. Bitte.«

»Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du noch schöner sein. Meine Kunst ist berühmt. Und berüchtigt.« Er lachte leise.

Schweiß brach auf ihrer Stirn aus. Der Rest des Körpers wurde kalt.

Über ihr flammte ein Licht auf und blendete Katja. Eine OP-Lampe? Vor ihren Augen tanzten flirrende Punkte.

Rechts blitzte etwas auf. Ein Messer? Sie drehte den Kopf.

Er schob einen Instrumentenwagen heran, auf dem mehrere spitz aussehende Dinge lagen.

Fieberhaft überlegte Katja, wie sie aus dieser Situation wieder heraus kam. Vielleicht war Laura misstrauisch geworden und würde Hilfe holen? Doch darauf konnte sie nicht bauen. Sie war noch nicht lang genug weg. Sie musste Zeit schinden.

»Nimmst du deine Maske ab? Jetzt ist es sowieso egal, oder?«

»Leider nicht, meine Schöne. Ich kann kein Risiko eingehen.«

Er drehte sich um und hantierte an dem Wagen herum. Dabei redete er. Wie beiläufig erzählte er ihr, was er vorhatte.

»Lady in Red wird mein Kunstwerk heißen. Eine Hommage an Dali. Dazu muss ich dich ein Wenig auseinandernehmen, meine Schöne.«

Er ging ins Detail und drehte ihr unentwegt den Rücken zu.

Das war ihre Chance. Vielleicht die Letzte. Sie klappte ihre Daumen ein und faltete ihre Hände so klein zusammen, wie es ihr möglich war. Dann zog sie daran.

Es brannte. Sie spannte den Kiefer an und zog weiter. Dazu musste der Arm weiter angewinkelt werden. Sie versuchte, sich auf die Ellenbogen zu stützen. Die Handschellen klirrten.

Erschrocken hielt sie inne und blickte zu dem Mann. Falls er etwas gehört hatte, ließ er sich nichts anmerken.

Katja machte weiter. Drehte und zog an ihrem Handgelenk. Das Metall riss ihre Haut auf. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien.

Ihr Herz klopfte so laut, dass er es hören musste.

Noch ein bisschen. Das heraussickernde Blut schmierte die Gelenke. Geschafft. Die linke Hand war frei.

»... deine Ohren mit diesem Skalpell«, sagte er gerade und drehte sich wieder zu ihr um.

In seiner Hand blitzte etwas auf.

»Aber keine Sorge. Das wirst du nicht mehr spüren.«

Er beugte sich über sie und führte das Skalpell dicht an ihren Hals.

»Blute für mich, meine Schöne«, raunte er ihr ins Ohr.

Sie schielte auf das Messer. Ihr Atem ging flach und schnell.

Jetzt oder nie. Sie holte tief Luft, ballte die Faust und schlug zu.

»Blute du für mich, Arschloch!«

Aufschreiend hielt er die Hände vor die Nase. Das Skalpell fiel runter und schlitterte klirrend über den Boden bis zur Tür. Die öffnete sich in dem Moment, als das Messer dagegen knallte.

Katja brauchte eine Sekunde, bis sie den Mann im Türrahmen erkannte.

»Martin!«, rief sie und bäumte sich auf.

Laura musste ihm Bescheid gesagt haben. Katja war noch nie so froh darüber, ihn zu sehen.

»Hilf mir. Bitte. Er hat mich ...«

Martin trat auf sie zu und griff ihre Hand. Endlich konnte sie weinen. Heiße Tränen flossen ihre Wangen hinab.

Durch den Tränenschleier sah sie zu dem anderen Mann. Er hatte das Gesicht hinter seinen Händen verborgen und wimmerte. Scheinbar bemerkte er Martin noch nicht.

»Vorsicht, der Kerl ist gefährlich.«

Der Mann drehte sich zu ihnen um. »Die Schlampe hat mir mein Nasenbein zertrümmert.«

Katjas Blick zuckte zwischen den Männern umher. Kannten die sich etwa?

Martin streichelte ihre Hand. Dann lachte er. »Ich hab dir doch gesagt, dass die Kleine Feuer hat.«

»Hier, mach sie fest!« Der Mann zog einen Schlüssel aus der Tasche und warf ihn Martin zu. Der fing ihn geschickt auf und packte Katjas Handgelenk fest.

Ihre Augen weiteten sich. Panik breitete sich in ihr aus und schnürte ihre Brust zu. Sie zappelte und wand sich. Spannte den Arm an. Versuchte ihn aus Martins Griff zu befreien.

Es klickte. »So, die Wildkatze ist gebannt.« Martin lachte und hob das Skalpell auf.

»Wurde auch Zeit. Gib her.« Der Mann hielt die Hand auf.

Katja kreischte. Der Cafébesitzer hielt ihr den Mund zu. Sie warf den Kopf hin und her, doch er hielt sie zu fest.

Ein scharfer Schmerz brannte an ihrem Hals auf. Durch Martins Hand hindurch brüllte sie.

Noch einmal spürte sie einen Stich. Etwas Warmes rann ihren Hals hinab. Sie zappelte, schrie und heulte.

Dicht an ihrem Ohr hörte sie Martins Stimme.

»Ruhig, meine Süße. Gleich ist es vorbei.«

»Happy Halloween«, sagte der andere Mann.

Katjas Kräfte schwanden. Die Bewegungen wurden schwächer. Ihre Hände sanken hinab.

Auf einmal ebbte der Schmerz ab. Sie fühlte sich leicht und gleichgültig. Das alles ging sie gar nichts mehr an. Katja entfernte sich von ihrem Körper und den beiden Männern. Ihre Lider schlossen sich und dann verschwand auch der Rest.

Als Katja erwachte, kniff sie die Augen gegen die Helligkeit zusammen. Sie brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Dann schrak sie hoch und setzte sich auf. Stöhnte aber sofort vor Schmerzen auf. Hinter ihrer Stirn wummerte es.

Sie sah sich um. Wie war sie nach Hause gekommen?

Vorsichtig betastete sie ihren Hals. Er war unversehrt. Auch ihre Handgelenke wiesen keine Schrammen auf.

Draußen schrien sich zwei Männer an. Katja schob den Vorhang beiseite und betrachtete verwirrt den Kerl, der den Parksheriff anschrie und mit einem Zettel wedelte.

Ein Traum?

Sie wischte sich einen Mascarakrümel aus dem Augenwinkel und kletterte aus dem Bett. Nahm ihr Handy und tapste in die Küche. Dort lag ein Zettel neben den Espressotassen.

Hab trotzdem ein schönes Halloween. Vielleicht ist das dein Neustart. Sieh es als Geschenk des Universums. Bussi Tini.

Mit drei Sätzen war sie an der Haustür, riss sie auf und sah entgeistert auf den Strauß Rosen.

Wie in Zeitlupe hob sie ihr Handy. Katja wurde schwindelig. Auf dem Display stand: Dienstag, einunddreißigster Oktober.

2. Etwas Böses kommt daher

Ema Kessell

»Halloween ist schon halb vorbei!« Deirdre riss die Tür zu dem kleinen Zimmer unter dem Dach auf.

Sinead drehte sich zu ihrer Schwester um. »Gut so, das letzte Halloween war schlimm genug.«

»Es nützt nichts, über vergossene Milch zu jammern.« Deirdre schüttelte ihre lange rote Mähne und lehnte sich an das Bücherregal, dessen Bretter sich unter der Last der schweren Bände bogen. »Und wenn du dich in deinen Büchern vergräbst, ist auch keinem geholfen!«

»Das sagst du so ...« Sinead blätterte eine Seite in dem dicken Folianten um, der vor ihr auf dem Schreibtisch lag.

»Mach dir doch nichts vor, im letzten Jahr hast du nicht viel anderes gemacht als zu lesen, und besser geht's dir trotzdem nicht. Damit ist jetzt Schluss, wir gehen heute zusammen aus.« Deirdre bückte sich und nahm den schwarzen Kater auf den Arm, der sich auf einem dunkelroten Samtkissen in der Ecke des Raums zusammengekuschelt hatte. »Hmm, Archie, was sagst du dazu?«

»Außer Miau sagt er nichts, das weißt du.« Sinead fuhr sich mit beiden Händen durch ihre roten Locken. »Was hast du denn geplant?«

»Wir gehen auf den Halloween-Jahrmarkt und suchen uns ein Date!« Deirdre setzte Archie auf seinem Lieblingsplatz ab. »Du willst doch nicht, dass deine kleine Schwester alleine losziehen muss.« Sie musterte Sinead von oben bis unten. »Dein schwarzes Kleid ist perfekt für heute, zieh deine Jacke an und los geht's!«

Deirdre schloss mit einem Knall die schwere holzgeschnitzte Eingangstür und steckte die Hände tief in die Taschen ihres langen schwarzen Mantels. »Ich kann schon die Zuckerwatte riechen!«, rief sie und streckte die Nase in die Luft. »Ich liebe Jahrmärkte! Weißt du noch, wie wir damals auf der Mai-Kirmes einen Stand hatten und den Leuten die Zukunft vorhergesagt haben? Ist ewig her inzwischen.«

»Ja, das war lustig«, bestätigte Sinead abwesend und blieb vor dem Schaufenster eines Buchladens stehen.

»Einmal gucken darfst du, aber mit Lesen ist für heute Schluss.« Deirdre spähte durch die blitzblanke Glasscheibe. »Der sieht aber nicht mehr so gemütlich aus wie früher, die kleine Leseecke mit den bunten Sesselchen und den Keksen ist weg.«

»Ist halt nicht mehr inhabergeführt, sondern gehört zu einer Kette. Seit dem letzten Halloween war ich nicht mehr da drin«, murmelte Sinead und wickelte sich ihren dunkelvioletten Schal fester um den Hals. »Ich mag gar nicht drüber nachdenken, wie lange es dauern wird, bis ich mich wieder auf Halloween freuen kann.«

»Wenn wir zusammenhalten, geht das schneller, als du glaubst!« Deirdre wühlte in ihrer Manteltasche. »Verdammt, vorhin hab ich doch noch meine Handschuhe gehabt ...«

»Suchst du die hier?« Ein blonder junger Mann stand grinsend hinter ihnen und schwenkte ein Paar schwarze Spitzenhandschuhe. »Fast hätte mein Hund die gefressen.« Er sah sich nach dem riesigen Bobtail um, der leise wimmernd an seiner Leine zog. »Großer, was ist denn los mit dir? Vorhin ging’s dir nicht schnell genug, und jetzt willst du unbedingt wieder zurück?«

»Danke, wie lieb von dir.« Deirdre nahm lächelnd die Handschuhe entgegen. »Wir sind auf dem Weg zum Halloween-Jahrmarkt ...«

»... und schon spät dran.« Sinead hakte sich bei ihrer Schwester ein und zog sie weiter.

»Hey, was soll das? Wir brauchen noch ein Halloweendate, und der war nett!«, protestierte Deirdre.

Sinead schnaubte. »Eben. Viel zu nett.«

»Okay, okay, du darfst unsere Dates aussuchen, große Schwester.« Deirdre zuckte mit den Achseln. »Hey, schau mal, da hinten ist das Riesenrad, wir sind gleich da!«

»Kaum zu glauben, dass es so viele geschnitzte Kürbisse auf der Welt gibt«, Sinead sah sich auf dem Festplatz um.

»Irre, und wo du auch hinschaust sind Fledermäuse und Skelette, gefällt mir«, antwortete Deirdre. »Aber es sind lauter Pärchen unterwegs, war vielleicht doch keine so gute Idee von mir.«

»Doch, wir müssen nur die richtige Ecke finden.« Sinead zog ihre Schwester hinter sich her. »Ah, da ist ein Bierstand!«

»Genial!« Deirdres grüne Augen funkelten. »Dann schauen wir mal, ob uns jemand zu einem Getränk einlädt.«

Sinead wies mit dem Kinn auf ein paar Männer mit kahlrasierten Köpfen und Springerstiefeln, die sich um einen der Biertische scharten. »Die sind perfekt. Wir nehmen die zwei, die gerade Nachschub holen gehen.«

Mit Deirdre im Schlepptau bahnte sie sich den Weg durch die Menschenmenge und baute sich vor ihnen auf. »Ich bin Sinead, das ist Deirdre, wollt ihr unser Halloweendate sein?«

»Wenn du das so nennen willst ... klar doch.« Breit grinsend musterte der Dickere der beiden sie von oben bis unten. »Mein Kumpel hier heißt Finn, ich bin Liam.«

»Darauf müssen wir trinken.« Sinead ging zum Tresen.

»Ey, du gehst ja ran! Finn, sag den anderen Bescheid, dass wir kurz weg sind, ich kaufe uns und den Ladies ein Bier.« Liams Grinsen wurde noch breiter.

Als Finn zurückkam, hörten sie im Hintergrund die Gruppe grölen.

»Kommt mit, da hinten bei den Büschen haben wir es privater«, sagte Liam und reichte den beiden Schwestern die randvollen Plastikbecher.

Sinead nickte und ging mit Deirdre voran. Als sie den Waldrand erreicht hatten, war die laute Schlagermusik des Jahrmarkts kaum noch zu hören.

Liam kratzte sich den Kopf und hob seinen Becher. »Prost, Ladies, auf Ex!«

»Moment, wir müssen erst anstoßen!«, rief Sinead. »Auf Halloween!«

»Ja, dann gibt's halt ein Vorspiel!« Finn lachte und hob seinen Bierbecher.

Mit Schwung stießen Sinead und Deirdre ihre Becher gegen die der beiden Männer. Plopp ... zwei Becher fielen auf den festgetretenen Lehmboden und zwei dicke schwarze Spinnen krabbelten davon, so schnell ihre Beinchen sie tragen konnten.

»Huh, diesmal sind es ganz kleine schwarze Tiere.« Deirdre fuhr mit der Spitze ihrer hochhackigen schwarzen Stiefelette durch die Bierpfütze. »Schlechtes Karma wahrscheinlich. Oder weil der eine ein Spinnen-Tattoo am Hals hatte. Da hast du beim letzten Halloween Glück gehabt, stell dir mal vor, du müsstest mit so einer Spinne als Haustier leben.«

Sinead verzog den Mund. »Noch lieber würde ich mir vorstellen, dass Cousine Eireen bei den Beltanefeierlichkeiten letztes Jahr nicht mit dem Boyfriend von Caitlin O’Kelly herumgemacht hätte. Oder sich wenigstens nicht von ihr dabei hätte erwischen lassen.«

»Wer konnte auch ahnen, dass die kleine Caitlin schon so viel gelernt hat und ihre Flüche wirklich funktionieren?« Deirdre schüttelte den Kopf. »Das war ganz großes Kino, wie sie mit hoch erhobenen Armen in ihrem flatternden schwarzen Umhang vor dem Feuer stand.«

»Der Spruch war allerdings ein bisschen übertrieben, ,Ich verfluche dich und alle McDuff-Frauen, eure nächsten hundert Halloweendates sollen zu schwarzen Kreaturen werden’, ich bitte dich«, sagte Sinead. »Und alles nur, weil sie ihren Oscar an Halloween kennengelernt hatte.«

»Wenn du mich fragst, hätte sie ihren untreuen Lover einfach in eine Kröte verwandeln und sich für die Feier jemand anderen suchen sollen, waren genug hübsche Kerle da. Diese jungen Dinger sind so fürchterlich romantisch.« Deirdre rollte die Augen. »Aber du trauerst ja auch immer noch deinem Buchhändler hinterher.«

»Der war auch süß ...« Sinead zupfte an den Fransen ihres Schals. »Ich werde nie vergessen, wie er so schüchtern um die Ecke bei den Thrillern kam und mich angelächelt hat. ,Darf ich dein Halloweendate sein’, hat er gefragt, ich habe natürlich ja gesagt, wir haben angestoßen, er hatte sogar extra blutroten Sekt für mich gekauft, und ... zack, saß ein schwarzer Kater maunzend vor mir.« Sie seufzte. »Ich habe erst gedacht, ich hätte den armen Archie versehentlich verhext, obwohl mir so was schon lange nicht mehr passiert ist.«

»Ich verstehe sowieso nicht, warum du ihn unbedingt als Mensch um dich haben willst, ein Kater ist viel pflegeleichter.« Deirdre schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß, du hast eine Schwäche für Normalos. Und bestimmt klappt das Zurückverwandeln von deinem Archie, wenn wir die hundert Halloweendates geschafft haben.«

»Das hoffe ich. In allen meinen Büchern habe ich schließlich im ganzen letzten Jahr kein Rezept gefunden, um den Fluch zu bannen. Komm, wir gehen zurück«, sagte Sinead.

»Später müssen wir bei den Cousinen nachfragen, wie viele Halloweendates sie heute hatten. Bestimmt haben die Tanten mitgemacht, dann sind wir bald durch. Je schneller, desto besser, es ist so peinlich, von einer Jung-Hexe verflucht zu werden.« Deirdre trank ihr Bier aus und warf den Becher in hohem Bogen in den Mülleimer neben dem Bierstand.

»Ey, du bist nicht nur schön, sondern hast auch geschickte Händchen, gefällt mir!« Zwei Männer kamen schwankend auf sie zu. »Was machen so nette Mädchen wie ihr denn ganz alleine auf dem Jahrmarkt?«

Deirdre zog eine Augenbraue hoch und sah zu ihrer Schwester hinüber. »Der Abend ist noch jung, oder was sagst du?«

Sinead drehte sich mit einem strahlenden Lächeln zu den beiden Männern um. »Wollt ihr unser Halloweendate sein?«

3. Ein gutes Herz

Yara Kiefer

Maria Amarant ist perfekt.

Sie hat große grüne Augen und viele Sommersprossen im Gesicht. Manche raten ihr, sie zu überschminken. Aber sie tut es nie, denn ihre Mutter sagt, es seien Küsse des Sternenhimmels. Das hat Maria ihrer besten Freundin Juliana vor drei Tagen am Telefon erzählt. Ich habe sie durch das Fenster beobachtet, in den Himmel aufgesehen, und gemerkt, dass es stimmt. Der große Wagen zieht sich von Marias Nasenspitze bis hin zu den Lippen, die ständig zu einem Lächeln verzogen sind. Besonders heute.

Maria liebt Halloween. Es war der Tag, an dem sie ihren Mann kennengelernt hat, und es ist der Lieblingsfeiertag ihrer Kinder. Obwohl heute das erste Halloween ist, seit sie Tim aufgrund seiner miserablen sexuellen Performance verlassen hat, freut sie sich darauf.

Sie hat ein starkes Herz. Deswegen schaut sie so gerne Horrorfilme, um das Hämmern in ihrer Brust zu spüren. Tagsüber arbeitet sie in einer Anwaltskanzlei, wo man noch viel ekligere Dinge sieht. Sie ist recht beliebt. Außer beim Pförtner, Paul, aber der ist sowieso ein Arschloch.

Jeden Sonntag backt sie für ihre Kinder die Schokoladenkekse, gegen die sie selbst allergisch ist. Dann fährt sie mit dem Motorrad durch den Pfälzer Wald, um die Abgeschiedenheit zu genießen, nicht wissend, dass ich sie durch die Büsche beobachte. Manchmal hält sie an einem Baum, und ihr Atem beschleunigt sich weiter und weiter, während sie die Rinde anstarrt. »Es ist zu viel«, vertraut sie mir und dem Rauschen des Windes an, »es ist ... ich kann nicht ... ich kann nicht ... die Kinder ... und Tim ... Tim lässt sich nie blicken und ... und ich kann nicht ... ich ...« Aber irgendwann hört es immer auf und sie erhebt sich, klopft sich den Schmutz von der Kleidung und fährt weiter. Ja, es ist Angst in ihrem Herzen. Aber es ist auch voller Liebe. Maria ist nämlich insgeheim eine echte Romantikerin. Nach Cujo legt sie Bridget Jones ein. Gott, sie ist wirklich perfekt.

Heute hat Maria mit ihrem Nachbarn Niko geflirtet, während sie die schaurige Deko aufgehängt hat, sie hat mit ihrem Vampirkostüm die Kollegen halb zu Tode erschreckt, und nach der Arbeit hat sie die Kürbisse aus dem Keller geholt, während sie mit Niko ein paar schmutzige Textnachrichten getauscht hat. Dabei hat sich unwillkürlich ein Lächeln auf ihr Gesicht gestohlen. Da musste ich auch lächeln.

Ich mag Maria. Wirklich. Ich will, dass ihr letzter Tag ein ganz besonderer ist.

Und laut meinen Beobachtungen ist er das. Ihre Tochter Alice stößt einen Schrei der Begeisterung aus, als sie ihr Kostüm sieht (zurecht, Maria hat wirklich lange daran gearbeitet), sie ziehen stundenlang zusammen um die Häuser, und vor dem Schlafengehen schauen sie noch einen Horrorfilm… es ist Marias perfekter Abend.

Ich höre das Lachen in ihrer Stimme, als sie ihrem Sohn Valentin zuruft, schon mal einen Film auszusuchen. Sie bringt nur kurz den Müll raus. Einen Moment hält Maria inne, um die Sterne zu betrachten, dann wirft sie alles in die Tonne.

Ich komme lautlos näher. Erst, als ich sie riechen kann, fällt mein Schatten auf sie.

Sie fährt herum und zieht das Pfefferspray aus ihrer Tasche. Die Anspannung weicht aus ihren Schultern, als sie mich sieht. Eine blasse Frau mit schmalen Schultern zu sein hat auch Vorteile. Ich unterdrückt ein arrogantes Schnauben bei Marias Augenaufschlag. Was für Idioten die Menschen doch sind ...

»Woah«, macht Maria, »wie sind Sie mir denn so nahe gekommen?«

Ich verziehe meine roten Lippen zu einem Grinsen. »Ich bin ein Schatten in der Nacht.«

»Ja«, Maria lacht, »das müssen sie mir unbedingt beibringen, das würde mein Kostüm perfektionieren. Hey«, ihr Blick fällt auf meinen dunklen Umhang und die verfilzten schwarzen Haare, »wir sind ja Zwillinge!«

Ich lache und zeige meine spitzen Zähne. »Ja. Sie haben sich wirklich Mühe gegeben.«

Wir stehen dicht an dicht. Sie riecht nach Süßigkeiten und Motoröl. Sogar ein wenig Parfüm hat sie aufgetragen. Normalerweise nutzt Maria keins. Das ist mir wichtig, denn diese Duftstoffe maskieren den natürlichen Geruch eines Menschen. Nur so kann ich wissen, ob er gesund ist. Normalerweise riecht Maria nach Leben. Nach diesem köstlichen Leben ... doch heute nicht. Heute nicht.

»Merkwürdig, ich könnte schwören, Sie hier abends schon mal gesehen zu haben«, Maria runzelt die Stirn, »Kennen ich Sie?«

Ich verstecke meine Enttäuschung hinter einem noch breiteren Lächeln und berühre sie an der Schulter. »Nein, Maria«, ich streiche ihre langen braunen Haare zurück, bis die Venen frei liegen, und sehe ihr in die Augen, »aber ich kenne Sie.«

Maria runzelt die Stirn. »Hey, was machen ...«

Ich beiße zu. Maria will einen Schrei ausstoßen, doch meine Hände halten ihren Kopf so umklammert, dass sie den Kiefer nicht öffnen kann. Übung macht den Meister. Ihre Beine geben nach und gemeinsam gehen wir zu Boden.

Das Blut ist köstlich. Es schmeckt wie die Haribos, die El so gerne isst. Wie das Lachen von Maria. Wie der Wind in meinen Haaren, wenn ich fliege. Ich zerreiße ihren Brustkorb, breche die Rippen, und für einen Moment denke ich, ich kann nicht aufhören, diesen Körper zu zerfleischen, diesen köstlichen Körper, und selbst, als ich das Herz erreiche, will ich weitermachen, da ist am meisten Blut, all dieses perfekte Blut, und ...

Nein. Denk an El. Denk an El.