Ein weites Land – Dunkle Wolken - Andrew Grey - E-Book

Ein weites Land – Dunkle Wolken E-Book

Andrew Grey

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Beschreibung

Buch 2 in der Serie - Geschichten aus der Ferne Die benachbarten Farmen der Holdens und Jessups stehen sich alles andere als nachbarschaftlich gegenüber – Jefferson Holden und Kent Jessup hassen sich. Doch trotz des jahrzehntelangen Grolls seines Vaters, kann sich Haven Jessup nicht dazu durchringen, seine Nachbarn zu hassen. Erst recht nicht, nachdem ihn Dakota Holden während eines gewaltigen Sturms bei sich aufnimmt, und er Dakotas Freund, Phillip Reardon, kennenlernt. Phillip akzeptiert Haven so wie er ist. Als Einziger sieht er hinter die Maske, die Haven benutzt, um sein Verlangen nach Männern zu verstecken. Doch ihre zaghafte Annäherung und ihre heimliche Beziehung stehen unter großem Druck. Sabotierte Zäune, verletzte Tiere, geschmacklose Pläne und Jessups Familiengeheimnisse, bedrohen Havens neu gefundenes Glück und seine Hoffnung auf eine Zukunft mit Phillip.

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Seitenzahl: 319

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Copyright

Veröffentlicht durch

Dreamspinner Press

5032 Capital Cir. SW

Ste 2 PMB# 279

Tallahassee, FL 32305-7886

http://www.dreamspinnerpress.com/

Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Figuren, Plätze und Vorfälle entstammen entweder der Fantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Firmen, Ereignissen oder Schauplätzen sind vollkommen zufällig.

Ein weites Land – Dunkle Wolken

Copyright © 2011 by Andrew Grey

Übersetzt von Regine Günther

Umschlagillustration: Reese Dante http://www.reesedante.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch ist ausschließlich für den Käufer lizenziert. Eine Vervielfältigung oder Weitergabe in jeder Form ist illegal und stellt eine Verletzung des Internationalen Copyright-Rechtes dar. Somit werden diese Tatbestände strafrechtlich verfolgt und bei Verurteilung mit Geld- und oder Haftstrafen geahndet. Dieses eBook kann nicht legal verliehen oder an andere weitergegeben werden. Kein Teil dieses Werkes darf ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages weder Dritten zugänglich gemacht noch reproduziert werden. Bezüglich einer entsprechenden Genehmigung und aller anderen Fragen wenden Sie sich an den Verlag Dreamspinner Press, 5032 Capital Cir. SW, Ste 2 PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886, USA

oder unter http://www.dreamspinnerpress.com.

Gedruckt in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Erstausgabe: März 2011

Deutsche eBook Ausgabe: 978-1-62380-375-9

Kapitel 1

“HAVEN! WARUM zum Teufel starrst du Löcher in die Luft?” Die scharfe Stimme seines Vaters schallte über die stille Weide zu dem jungen Mann, der an dem plätschernden Wasser stand. “Das dort drüben hat dich nicht zu interessieren, Junge.” Die Stimme wurde lauter und Haven drehte sich leise seufzend um, bevor er sich von dem Zaun entfernte, der die Grenze zwischen dem Land seiner Familie und dem Nachbarland markierte. Er ging auf seinen Vater zu, während der große Mann über ihr Land zu dem kleinen Fluss ging. Dabei hielt er sich zurück, noch einen letzten Blick zurück zu wagen. “Komm schon, es bringt nichts, zu gucken. Die sind nicht wichtig”, fügte sein Vater hinzu und Haven wich dessen halbherzigem Schlag auf seinen Kopf aus.

“Ich hab nur geschaut und mich gefragt, warum ihr Land so viel besser aussieht als unseres.” Während er das sagte, entfernte sich Haven ein paar Schritte von seinem Vater. Wäre er näher bei ihm, würde er mit Sicherheit zu einem weiteren Schlag ausholen, mit der Absicht, ihm dieses Mal weh zu tun.

“Du weißt warum. Die Schwuchteln nehmen sich mehr als ihren Anteil vom Fluss und lassen uns nicht mehr genügend Wasser übrig. Abgesehen davon will ich nicht, dass du zu ihnen hinüber siehst und sie beobachtest. Was immer Jefferson Holden mit seinem Sohn falsch gemacht hat, werde ich bei dir nicht tun.”

Haven schritt neben seinem Vater her. Da er fast genauso groß und breit war, wusste Haven, dass er nichts zu befürchten hatte, was seinen Vater anging. “Wie kommst du darauf, dass Mr. Holden etwas falsch gemacht hat?”

“Man erntet, was man sät. Und Jefferson Holden muss was sehr Schlimmes gesät haben, gestraft mit dieser Krankheit und einem Sohn, der zu einer Schwuchtel geworden ist.” Kent Jessup drehte sich von Haven weg, spuckte einen Klumpen seines Kautabaks aus, und zog eine Dose aus seiner Gesäßtasche. “Bist du sicher, dass du nichts willst?”, fragte Kent und bot Haven die Dose an. “Das wird einen Mann aus dir machen.”

Haven schüttelte seinen Kopf und bemühte sich, nicht zu angewidert auszusehen. Einmal hatte er das Zeug probiert und sich danach fast übergeben müssen. Sie kamen im Hof neben der Scheune an. Sein Vater sagte nichts, während er auf das Haus zusteuerte. Haven ging in Richtung der Scheune. Es gab noch einiges zu tun. „Drück dich ja nicht vor deinen Aufgaben“, rief ihm sein Vater hinterher, während er die Treppe zum Haus nach oben ging.

„Ich bin nicht derjenige, der sich vor seinen Aufgaben drückt“, murmelte Haven, als er die Scheune betrat. Zumindest war es sauber und die Pferde waren draußen auf der Koppel. Nicht, dass es auf der Ranch viele davon gab. Er öffnete die Tür zur Sattelkammer, trat ein, schnappte sich Jakes Zaumzeug und überprüfte das Leder, ob es noch in Ordnung war – etwas, das er jetzt regelmäßig machte, nachdem vor einem Monat der Zügel eines Sets gebrochen war. Er blickte sich um und bemerkte, wie alt alles aussah. Ihm wurde klar, dass das an seinem Vater lag, der seit Jahren keine Ersatzgeräte mehr gekauft hat. Selbst die Trucks, auf die die Ranch angewiesen war, waren fast zwanzig Jahre alt.

„Haven, bist du das?“, rief eine tiefe Stimme von draußen.

„Ja, Kade, ich bin's“, erwiderte Haven, als er alles zusammen hatte, was er brauchte.

„Gott sei Dank.“ Haven hörte die Erleichterung in der Stimme des Mannes. Diesen Ton kannte er nur zu gut. Jeder hier auf der Ranch ging wie auf rohen Eiern, wenn sein Vater in der Nähe war; nicht nur Haven. „Fährst du raus?“

„Ich reite heute Nachmittag die Zäune ab.“ Das war eine der Arbeiten, die er mochte. Dabei war er für ein paar Stunden vom Haus weg, manchmal sogar einen ganzen Tag. „Ich muss die westliche Grenze überprüfen. Im Frühjahr habe ich bemerkt, dass einige der Pfosten wahrscheinlich morsch sind. Und in ein paar Wochen müssen wir einen Teil der Herde dorthin bringen, wenn es nicht regnet.“ Ihm war klar, dass er die Zäune überprüfen würde, die an die Holden Ranch grenzten. Wenn sein Vater das herausfand, wäre er womöglich wegen diesem dummen Grund stocksauer.

„Willst du, dass ich die Weide abreite und mich um das Unkraut kümmere?“

Haven lächelte. „Sicher. Schnapp dir dein Zeug und wir treffen uns in einer halben Stunde im Hof.“

Haven sah ihm hinterher. Kade war voller Energie, hatte einen echten Willen zu gefallen und wenn Havens Vater nicht in der Nähe war, arbeitete er großartig. Vor der Box hängte er das Zaumzeug an einen Haken und folgte Kade nach draußen. Er pfiff nach Jake, woraufhin der rotbraune Wallach sofort zu ihm kam und seinen Kopf aufgeregt in die Luft warf. Haven nahm ihn am Halfter, führte das Pferd in seine Box und begann, ihn zu striegeln. Jake liebte das Striegeln und bewegte sich zu jedem Bürstenstrich, als wäre es die Berührung eines Liebhabers. Wäre das große Baby eine Katze, er hätte geschnurrt.

Vorsichtig schob Haven die Trense in Jakes empfindliches Maul, sattelte das Pferd fertig auf und überprüfte zwei Mal den Gurt, bevor er ihn hinaus auf den Hof führte. „Bist du fertig, Kade?“

„Ja“, antwortete dieser aufgeregt und kletterte auf den Sattel. Sie ritten hinaus über das Feld und durch das flache Wasser, ehe sie in Richtung der Grenzzäune der Ranch ritten. „Haven.“

„Ja“, antwortete er und ging auf die Zaunpfosten zu.

„Warum hasst dein Vater Dakota so sehr? Soweit ich weiß, war er zu jedem immer nett, hilft jedem, der es braucht und das auch mehr, als die meisten.“ Kade blickte nicht auf, während er das Weideland um sich herum nach allem, was die Rinder krank machen könnte, absuchte.

„Der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann, ist der, weil Dakota eine Tunte ist.“ Haven sah, wie Kade bei diesem Wort den Kopf hob. Ihm war klar, dass er es nicht hätte benutzen sollen, besonders nicht mit den Gefühlen, die er, so lange er denken konnte, selbst hatte. Haven wusste, dass Kade ihn ansah. Irgendwie musste er sich bedeckt halten. „Nicht, dass es für mich eine Rolle spielt. Aber Vater hatte es schon immer mit dem Kirchenkram. Mich hat das nie interessiert“, fügte er so locker wie möglich hinzu. Er machte sich auf den Weg in Richtung der Zaunlinie. Kade ging ein kleines Stück entfernt und begutachtete den Boden. „Vielleicht ist Vater aber auch einfach nur eifersüchtig. Alles, was passiert, versucht er den Holdens in die Schuhe zu schieben. Das hat er schon immer getan. Gott höchstpersönlich könnte mit Glanz und Gloria vom Himmel herab steigen und er würde die Holdens dafür verantwortlich machen, wenn seine Augen durch die Helligkeit Gottes schmerzen würden.“

Kade lachte hell auf, sagte aber nichts mehr, bevor sie weiterritten. Haven ritt näher am Zaun entlang, begutachtete den Draht und die Pfosten, während Jake dem Weg folgte, den er so gut kannte. Ein paar der Pfosten sahen aus, als würden sie bald auseinander brechen. Haven stieg ab und kontrollierte sie, dabei hielt er Jakes Zügel in der Hand. Doch sie waren stabil. So stieg er wieder auf und setzte seinen Weg fort. An ein paar Stellen sah er Pfosten, die schon ersetzt worden waren. Er machte sich gedanklich eine Notiz, Dakota dafür zu danken, wenn er ihn das nächste Mal sehen sollte. Auf keinen Fall würde er seinem Vater davon erzählen, der eh nur herumschreien würde, was Holden auf seinem Grundstück zu suchen hatte, anstatt dem Mann dankbar zu sein, dass er ihren Zaun repariert hatte.

Am anderen Ende der Weide blickte er entlang der Zaunlinie zurück, bevor er mit dem hinteren Abschnitt begann. Er sah Kade, der sich durch das Feld schlängelte, und ließ seine Gedanken treiben. Er mochte es alleine hier draußen zu sein, wo er nachdenken konnte. Weg von den erdrückenden, lautstarken, selbstgerechten Überzeugungen seines Vaters. Zäune und Pfosten zogen vorüber, als Jake und er sich auf den Weg entlang des hinteren Teils des Feldes machten. Pfosten nach Pfosten, Acker nach Acker zogen vorbei. Ein paar Mal hielt er Jake an, um Pfosten zu überprüfen und seine Augen zu schärfen.

In der hintersten Ecke des Feldes stieg er ab und fischte in seinen Satteltaschen nach einer Zange. Jake ließ seinen Kopf sinken, graste und sah zufrieden aus, während Haven eine gebrochene Stellte im Zaun reparierte. Gewissenhaft drehte er den Stacheldraht wieder zusammen und hielt seine behandschuhten Hände weg von den Stacheln. Doch als er eine kaputte Stelle reparierte, riss ein anderer Teil des Drahtes vom Pfosten ab. „Verdammt!“, fluchte Haven – er hatte nicht mehr genügend Draht, um das zu reparieren. Nachdem er eine Weile gearbeitet hatte, schaffte er es schließlich, den Draht wieder zusammen zu knoten.

Krach! Das Geräusch ließ ihn schier aus der Haut fahren. Haven blickte sich um und sah dunkle Sturmwolken von Westen her aufziehen. „Ist okay, Jake. Lass uns nach Hause gehen.“ Haven konnte die Nervosität des Pferdes spüren, öffnete die Satteltasche und steckte sein Werkzeug weg. Krach! Bumm! Ein Donnern grollte durch die Luft, der den Boden erzittern ließ. Jake bäumte sich auf und kurz darauf fand sich Haven mit dem Hintern auf dem Boden wieder. Vollkommen panisch raste Jake davon. Seine Hufe rissen den Boden auf und er wurde immer kleiner. Schneller, als Haven gedacht hätte, galoppierte er zurück zum Stall.

„Scheiße!“, brüllte Haven. Indes wurde der Wind immer stärker. Da er nichts anderes zu tun hatte, ging er am Zaun entlang den Weg zurück, den er gekommen war. Wenn er Glück hatte, würde der Sturm trocken bleiben und nur Wind und Krach bringen, aber keinen Regen. Das bezweifelte er jedoch, als er mit dem nächsten Windstoß den Regen riechen konnte. Daraufhin beschleunigte er seine Schritte, bis er schließlich fast rannte.

Haven sah sich um, wusste aber, was er sehen würde: Kilometerweit in jeder Richtung nichts außer offenes Weideland und Zäune. Unterhalb des Zauns stand früher einmal eine Hütte, doch durch einen Sturm vor ein paar Jahren war sie eingestürzt und sein Vater war zu geizig gewesen, sie wieder aufzubauen. So hatte er keine andere Möglichkeit. Er musste weitergehen und beten. Kade war weit weg, das wusste er. Hoffentlich hat er es zurück zur Ranch geschafft.

Ein lautes Zischen, gefolgt von einem Donner hallte durch die Luft. Haven hielt sich die Ohren zu und kniff seine Augen zusammen. Er glaubte, die Hitze spüren zu können. Mit Sicherheit konnte er das Prasseln in der Luft riechen. Haven blickte auf und sah, wie im Westen des Feldes Rauch aufstieg. „Heilige Scheiße“, murmelte er zu sich selbst, die Augen vor Angst geweitet, „die Weide brennt!“ Haven beeilte sich und rannte am Zaun entlang, während der Rauch immer dichter wurde und sich in dem fast trockenen Gras ausbreitete.

Der erste Regentropfen klatschte auf seine Schulter, groß und voll. Zu diesem einen gesellten sich viele andere. Haven sah in den fast schwarzen Himmel und suchte nach Wirbeln, konnte jedoch keine entdecken. Er ging weiter. Erneut nahm der Wind an Stärke zu, gleichzeitig öffnete sich der Himmel. In kürzester Zeit war er durch den heftigen Regen nass bis auf die Knochen. Zumindest musste er sich wegen des Feuers keine Sorgen machen, doch der Regen wurde immer schlimmer. Unter orkanartigen Winden ergossen sich unzählige Liter an Wasser über ihn. Sein nasses Hemd flatterte im Wind.

Ohne jeglichen Schutz blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter zu versuchen, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Haven wusste, dass es bei diesem Wetter draußen nicht sicher war, doch er hatte keine andere Wahl.

Endlich erreichte er die Zaunecke und wandte sich in Richtung des Hauses. Er konnte kaum etwas sehen, da ihm das Wasser in die Augen lief. „Haven.“ Im Wind konnte er seinen Namen hören und versuchte, zurückzurufen, bekam aber nur Wasser in den Mund. Er spähte durch die Dunkelheit. Auf der anderen Seite des Zauns tauchte eine Gestalt auf dem Rücken eines Pferdes auf. „Haven, bist du das?“

„Ja“, rief er in den Wind. Pferd und Reiter kamen immer näher. „Dakota?“ In der gelben Regenjacke konnte er nicht mit Sicherheit sagen, wer der Reiter war.

„Klettere durch den Zaun.“ Dakota stieg von seinem Pferd ab und hielt vorsichtig den Draht auseinander. Haven tat es ihm gleich und fädelte sich behutsam durch die scharfen Stacheln. Dann stand er neben dem schnaubenden Pferd. „Sitz hinter mir auf, dann bringen wir dich ins Trockene.“ Dakota stieg auf das riesige Pferd, bevor er Haven hinter sich nach oben zog. Als sich das Pferd in Bewegung setzte, hielt sich Haven fest.

„Wie kannst du bei dem Wetter etwas sehen?“

„Kann ich nicht, aber Roman kennt den Weg und wird uns nach Hause bringen. Halte dich einfach fest.“

Das Pferd lief los. Haven schloss seine Augen und hielt sich an Dakota fest. Der Körper des anderen Mannes schützte ihn zumindest ein wenig vor Regen und Wind. In regelmäßigen Abständen erhellte sich der Himmel und Donner erschütterte die Luft. Haven zuckte zusammen und erwartete schon fast, dass der Hengst sie beide abwerfen und wegrennen würde. Das tat er aber nicht. Ein paar Mal hörte Haven, wie Dakota das Pferd beruhigte.

Schließlich schien der Wind schwächer zu werden, auch wenn der Regen weiter an seinem Rücken hinab rann. Haven wandte seinen Blick von Dakota ab und sah die Scheune und die anderen Gebäude. Lichter warfen ihre Strahlen durch den Wolkenbruch. „Steig ab und geh rein. Wie ich Wally kenne, sieht er aus dem Fenster und macht sich Sorgen um uns.“

Haven glitt von dem Pferd, seine Füße landeten im Matsch. Dakota stieg ebenfalls ab und führte das Tier in den Stall. Haven sah sich auf dem unbekannten Hof um und ging dann auf das Licht auf der Veranda zu. Im selben Moment, als er die erste Stufe betrat, öffnete sich die Haustür. Ein schlanker Mann stand im Licht. „Komm rein.“

„Aber ich mach alles nass“, sagte Haven, der auf der Veranda stand und auf den Holzboden tropfte. Er erkannte den Mann aus der Stadt. Das musste Wally sein, der neue Tierarzt hier in der Gegend. Zwar hatte er ihn noch nicht richtig kennengelernt, doch zumindest wusste er, wer der Mann war.

„Das trocknet wieder“, meinte Wally, trat dann einen Schritt zurück und bedeutete Haven, einzutreten.

Sobald er auf den Teppich trat, schloss sich hinter ihm die Tür. Wally reichte ihm ein Handtuch. „Zieh dein Hemd aus und trockne dich ab. Ich hab dir ein paar Sachen von Kota raus gelegt. Die sind vielleicht ein bisschen groß, aber sie sind trocken und warm.“

Haven stand in dem warmen Zimmer, zog sein Hemd aus und begann, sich trocken zu reiben. Er zitterte. Als er dort draußen war, hatte er keine Zeit gehabt, sich um etwas anderes Gedanken zu machen, als so schnell wie möglich aus dem Sturm zu kommen. Doch nun fror er bitterlich. „Danke.“

„Kein Problem“, sagte Wally lächelnd. „Das Bad ist gleich den Flur hinunter, erste Tür links. Ich hab dir die trockenen Sachen reingelegt. Und mach dir keine Gedanken wegen der Wassertropfen. Du wirst schon nichts kaputtmachen.“

Haven nickte und wickelte sich das Handtuch fest um die Schultern. Draußen donnerte es immer noch und die Lichter flackerten. Gott sei Dank aber blieben sie an.

Haven trottete über den Flur, tropfte alles voll und fand schließlich das Badezimmer. Er schloss die Tür, stieg aus seiner klatschnassen Kleidung und trocknete sich ab, ehe er in die warme Jogginghose schlüpfte, die Wally ihm herausgesucht hatte. Endlich fühlte er sich wieder warm und trocken.

„Lass deine nassen Sachen einfach in der Badewanne. Ich steck sie dann in den Trockner“, hörte er Wallys Stimme durch die Tür.

„Okay, danke“, antwortete Haven, legte seine Wäsche in die Wanne, wie es Wally gesagt hatte, und trocknete seine Haare. Da fiel ihm sein Handy ein, das in seiner Hosentasche steckte, und zog es heraus – tot und angekokelt. Er verließ das Bad und ging ins Wohnzimmer. Da trat Dakota durch die Haustür, nun ohne seine Regenkleidung. „Geht es dir gut?“

„Ja, dank dir. Der Sturm kam so schnell und der Donner hat mein Pferd so erschreckt, dass es weg rannte“, erklärte Haven. Er kam sich wie ein Idiot vor, weil man ihn da draußen aufgelesen hatte. „Wie hast du mich eigentlich gefunden?“

Noch an der Tür zog Dakota sich die Schuhe aus. „Wally war draußen, um nach Schian zu sehen. Dabei hat er gesehen, wie du die Zäune abgeritten bist. Er hat dich aber nicht zurückkommen sehen. Und als der Sturm losbrach, hat er mir gesagt, dass du vielleicht in Schwierigkeiten stecken könntest.“ Dakota durchquerte das Zimmer. „Mach es dir bequem. Der Sturm wird noch eine Weile dauern“, meinte er, ehe er den Flur hinunter verschwand.

„Es tut mir leid, dass ich so viele Umstände mache“, sagte Haven zu Wally, der mit einem alten Handtuch den Boden trocken wischte.

„Das sind keine Umstände. Übrigens, ich bin Wally Schumacher. Ich würde dir ja gerne meine Hand anbieten, aber ich bin hier unten“, sagte er, als er fertig wurde mit Wischen und aufstand. „Ich bin nur froh, dass Dakota dich gefunden hat. Schon lange habe ich nicht mehr einen Sturm so schnell aufziehen sehen.“ Es donnerte erneut, dieses Mal aber von weiter weg.

„Ich sollte meinen Vater anrufen, damit er weiß, wo ich bin. Kade war auch mit mir draußen.“

„Das Telefon ist dort auf dem Tisch. Bedien dich.“

Haven nahm den Hörer ab und wählte. Schon beim ersten Freizeichen wurde abgenommen. „Dad, ich bin's.“

„Haven, was ist passiert, Junge?“

„Mir geht es gut. Jake ist davongelaufen und hat mich auf dem Feld zurückgelassen. Ist Kade gut nach Hause gekommen?“

„Er und Jake sind gleichzeitig zurückgekommen. Ich nehme an, dir geht es gut. Weißt du, du hättest auch schon früher anrufen können. Wann bist du zurück? Der Sturm hat ein Chaos hinterlassen, das müssen wir beseitigen.“ Haven bemerkte die fast nicht vorhandene, väterliche Sorge. Nicht, dass er damit gerechnet hätte. Es ist schon eine ganze Zeit her, seit sein Vater sich um irgendetwas anderes Sorgen gemacht hatte, außer um das, was er wollte.

„Ich bin zurück, wenn der Sturm nachlässt.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, legte Haven auf. Gott sei Dank ging es Kade und Jake gut. Der Rest konnte bis morgen warten. Momentan konnte man nicht viel tun, egal, was sein Vater sagte. Wenn es zu regnen aufhören würde, wäre es ohnehin schon stockdunkel.

„Alles okay?“, fragte Wally und reichte Haven eine dampfende Tasse. Er vermutete Kaffee, doch der Duft von köstlicher, heißer Schokolade erfüllte seine Sinne.

Haven nippte an der warmen Schokolade, die süß seine Kehle hinunter rann. „Ich denke schon.“ Er blickte auf. Dakota schob einen Mann im Rollstuhl über den Flur und positionierte ihn neben dem Sofa.

„Mein Vater hatte Stimmen gehört und wollte unseren Gast kennenlernen. Dad“, langsam wandte der ältere Mann seinen Kopf, „das ist Haven Jessup. Haven, das ist mein Vater, Jefferson Holden.“ Dakotas Vater begann zu zittern, hob eine Hand mit verdrehten Fingern und zeigte damit wedelnd auf ihren Gast. Daraufhin stellte Haven seine Tasse ab und trat zur Seite.

„Dad, was tust du da? Ich weiß, du kommst mit Havens Vater nicht klar, aber das kannst du nicht an seinem Sohn auslassen.“

Die Hand hörte zu wedeln auf und legte sich zurück auf die Armlehne. „In Ordnung, Kota.“ Jefferson streckte seine Hand erneut aus. Zuerst wusste Haven nicht wirklich, was er tun sollte. Doch dann realisierte er, dass Jefferson sie ihm anbot. Also trat er vor und schüttelte sie vorsichtig.

„Ich hab schon viel von Ihnen gehört“, sagte Haven. Jefferson machte ein abschätziges Geräusch, woraufhin Haven dessen Hand losließ.

„Dad, wenn du dich nicht benehmen kannst, bring ich dich zurück in dein Zimmer. Haven ist Gast in unserem Haus. Was zwischen dir und seinem Vater ist, hat nichts mit ihm zu tun.“ Dakota ging zum Fenster und sah nach draußen. „Der Regen wird schwächer. Wenn du möchtest, kann ich dich nach Hause fahren.“

Haven trank seine heiße Schokolade aus und gab Wally die Tasse zurück. „Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Mr. Holden. Von den anderen Leuten in der Stadt habe ich schon viel von Ihnen gehört. Nur Gutes. Wenn es um andere Menschen geht, höre ich nicht auf meinen Vater. Ich mag es, mir meine eigene Meinung zu bilden.“ Haven wandte sich an Wally. „Danke dir, für alles. Ich bring die Klamotten morgen zurück.“

„Keine Ursache.“

Als Haven zur Tür lief, spürte er eine Hand, die seinen Arm streifte. „Du bist hier jederzeit willkommen“, sagte Jefferson stockend mit einem angedeuteten Lächeln. Haven lächelte zurück und folgte Dakota nach draußen in die nasse Nacht und in ein Beinahe-Chaos.

Kapitel 2

PHILLIPSAß in seinem Auto am Straßenrand. Der Regen, der auf das Dach prasselte, klang wie Gesteinsbrocken, als riesige Tropfen auf dem Metall und Glas seines Wagens zerplatzten. Donnerschläge ließen das Auto erzittern und ein paar Mal, schwor Phillip, konnte er einen Blitzschlag direkt vor sich sehen. Blitz und Donner kamen zur selben Zeit. Die Fenster beschlugen, als er dasaß und darauf wartete, dass der Regen nachließ, damit er auf den unbekannten Landstraßen weiterfahren konnte. Aus der Mittelkonsole des Wagens holte er sein Handy und wählte Wallys und Dakotas Nummer. Allerdings wollte das verdammte Handy einfach keine Verbindung aufbauen. Noch nie hatte er solch einen Wolkenbruch gesehen. Nicht einmal letztes Jahr, als Wally und er auf ihrem Weg in den Westen einem Tornado begegnet waren. Er legte das Handy beiseite, lehnte sich zurück und wartete. Das war alles, was er momentan tun konnte.

Endlich ließ der Regen nach und das Donnern wurde seltener, leiser, mehr ein Grollen als ein Krachen. „Gott sei Dank ist das vorbei“, sprach Phillip zu sich selbst, als er den Motor startete und wieder auf die Straße fuhr. Das Fernlicht beleuchtete die Fahrbahn vor ihm, während er langsam weiterfuhr. Phillip wäre nicht überrascht gewesen, wenn die Intensität des Sturms die ganze Welt weggespült hätte. Er beschleunigte und lauschte gewissenhaft der tiefen Stimme des Navigationssystems, während er seinem Ziel immer näher kam. Schließlich bog er auf die lange Auffahrt, welche zum Haupthaus der Ranch führte.

Von überall her schienen Lichter in seinen Wagen und die Scheibenwischer schabten über die nun fast trockene Windschutzscheibe. Phillip fuhr rechts ran, schaltete den Motor ab und stieg aus. Kaum als er seine Füße auf den Boden stellte und die Knie durchstreckte, trat er in ein wildes Durcheinander. Menschen rannten umher und brüllten Anweisungen. Nicht einer von ihnen bemerkte ihn, als sie zwischen Haus und Stall hin und her eilten und Pferde sattelten.

„Dakota“, rief Phillip, als er den Rancher die Treppe hinunterspringen sah. „Was ist los?“

„Phillip.“ Für den Bruchteil einer Sekunde lächelte Dakota. „Bitte entschuldige, aber der Sturm hat einen Teil der Zäune weggerissen und ein paar der Rinder sind auf das Nachbarland gelaufen. Wir müssen sie zurückbringen. Wally ist drinnen. Ich bin sobald ich kann wieder hier.“ Dakota eilte davon und Phillip lief die Treppe nach oben, öffnete die Tür und trat ein.

Jefferson saß mit geschlossenen Augen im Wohnzimmer. Wally ging gerade über den Flur. Als er Phillip sah, lächelte er breit, bevor er auf ihn zu eilte und ihn fest umarmte. „Du hast es geschafft“, sagte Wally und ließ ihn wieder los. „Als du nicht angerufen hast, hab ich mir Sorgen gemacht.“

Phillip zog seine Jacke aus, die Wally an sich nahm und in den Schrank hängte. „Ich hab am Straßenrand gewartet, bis der Regen schwächer wurde. Wegen des Sturms hab ich keine Verbindung bekommen.“

„Brauchst du Hilfe, deine Sachen reinzubringen?“, fragte Wally und ging zur Tür. „Ich hab ein Zimmer für dich hergerichtet. Nach dieser Fahrt bist du doch bestimmt erschöpft.“

„Ziemlich“, antwortete Phillip und folgte Wally in die nun stille Nacht. Er angelte nach seinem Schlüssel, mit dem er den Kofferraum öffnete. „Es wird dich freuen zu hören, dass ich nur das Nötigste eingepackt habe.“

Wally ging zur Wagenrückseite und lachte. „Das ist das Nötigste?“ Phillip stand neben seinem Freund und schloss sich dessen Lachen an, als sie in den bis zum Bersten gefüllten Kofferraum starrten.

„Na ja“, begann Phillip, „dieses Mal habe ich alles in den Kofferraum bekommen.“

„Dann komm, Suzanne“, wurde er von Wally geneckt, der damit auf Suzanne Sugarbaker von Designing Women anspielte. „Bringen wir deine Sachen rein.“ Wally zog am ersten Koffer, der sich jedoch weigerte, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. „Wie hast du das alles nur hier rein gekriegt?“

Phillip grinste nur und begann, die anderen Taschen herauszuholen und gab sie Wally, der damit zurück zum Haus schwankte. Auch Phillip lud sich die Arme voll und folgte seinem Freund ins Haus und den Flur entlang. „Dasselbe Zimmer wie letztes Mal?“

„Ja.“ Wally öffnete die Tür und stellte seine Ladung an Gepäck neben dem Bett ab, bevor er nach draußen ging, um weitere Taschen zu holen. Phillip stellte die Koffer, die er trug, ab. Dann sah er sich in dem vertrauten Zimmer um. Das letzte Mal, als er hier gewesen war, hatte er es nicht oft benutzt, da er die meiste Zeit mit Mario verbracht hatte, dem attraktiven, unbekümmerten Vormann.

„Das sind die letzten“, sagte Wally, als er die Taschen auf den Boden stellte. „Für wie lange bleibst du eigentlich?“, fragte er. Phillip bemerkte, wie sein Freund die Taschen und Koffer beäugte, die fast jeden Zentimeter des Bodens einnahmen.

„Ich weiß es nicht. Vor zwei Wochen wurde ich entlassen und hab mir überlegt, mir eine Pause zu gönnen, bevor ich auf Jobsuche gehe. Verdammte Rezession, aber was soll man machen? Wenigstens hab ich was gespart, so dass ich nicht auf der Straße sitzen muss.“ Er musste dankbar sein für das, was er hatte. Die Entlassung hatte ihn schwer getroffen. Was jedoch niemand wissen sollte. Das Einzige, was ihn zum Weitermachen bewegt hatte, war die Freude auf diese Auszeit … und vielleicht auch Mario? Als Phillip in Wallys Augen blickte, wusste er, dass sein Freund ihn verstand. Wahrscheinlich zu sehr.

„Du bist hier willkommen, solange du bleiben möchtest.“ Wally setzte sich auf die Bettkante, während Phillip begann, auszupacken. „Wie war die Fahrt hier raus?“

Wie der Klugscheißer, der er war, lächelte Phillip. „Abgesehen davon, dass ich fast von der Straße gespült worden bin, ganz okay.“

„Keine Tornados?“, fragte Wally grinsend.

„Nein, ich musste nicht unter eine Straßenüberführung auf der Autobahn fahren und mich mit fremden Leuten zusammendrängen, während wir um unsere Leben beten, vielen Dank auch. Stattdessen habe ich zu Gott gebetet, dass er nicht vom Himmel schwebt und mir sagt, ich solle eine Arche bauen.“ Wally lachte, Phillip fiel mit ein. Es fühlte sich gut an, wieder zu lachen; das hatte er in letzter Zeit nicht oft getan. „Als ich angekommen bin, habe ich Mario gar nicht gesehen“, sagte Phillip, und hoffte, dass es beiläufig klang. Obwohl er sich selbst belügen würde, wenn er nicht zugab, über die Aussicht, ihn wieder zu sehen, begeistert zu sein. Wally drehte sich um. Der Ausdruck auf seinem Gesicht sagte Phillip alles, was er wissen musste. „Oh, wie lang ist er denn schon weg?“

Wally zog die Augenbrauen zusammen. „Mario ist nicht gegangen.“ Phillip entspannte sich. Also hatte er Wallys Blick wohl falsch gedeutet. „Aber David und er sind seit ungefähr ...“, Wally zog das letzte Wort in die Länge, während er nachdachte, „sechs Monaten oder so zusammen.“

Phillip saß auf der Bettkante und fühlte sich genauso, wie an dem Tag, als ihm sein Chef gesagt hatte, dass seine Dienste nicht mehr gebraucht wurden. Das war zwar nicht ganz dessen Wortlaut gewesen, hätte jedoch zu dem heuchlerischen Bastard gepasst, mit all dem falschen Lächeln und gespielten Sympathie. „Oh, ich schätze, das hätte ich wissen sollen.“ Phillip seufzte, stand auf und begann, seine Sachen wegzuräumen. Dabei fragte er sich, wie er sich fühlen würde, wenn er Mario wiedersah.“ Was macht David so?“

„Er ist einer der Arbeiter, die Dakota vor acht Monaten eingestellt hat, als er damit anfing, die Herde zu vergrößern.“ Er hörte die Bettfedern quietschen, als Wally aufstand. „Ich weiß, du fühlst dich schlecht, aber lass dich davon nicht unterkriegen. Zwischen Mario und dir, das war was Lockeres. Du hast jedenfalls selbst gesagt, dass es nur ein wenig Spaß war.“

„Ich weiß.“ Phillip drehte sich von dem Koffer weg, den er gerade geöffnet hatte, und sah Wally an. „Ich bin achtundzwanzig, arbeitslos und allein. Ich weiß, dass das meine Schuld ist. Deswegen fühl ich mich aber auch nicht besser.“ Er zog einen Stapel Unterwäsche heraus und legte ihn in die Kommode. „Vermutlich hab einfach nur gehofft, dass ich herausfinden könnte, ob da irgendwie mehr sein könnte.“ Phillip packte weiter aus. „Momentan bemitleide ich mich irgendwie selbst. Wahrscheinlich brauche ich nur einen erholsamen Schlaf.“

„Gut, dann lass ich dich mal allein. Du weißt ja, wo alles ist. Ich hab dir im Bad ein paar Handtücher hingelegt.“ Wally drehte sich um. „Falls du uns heute Nacht hörst, mach dir keine Gedanken. Manchmal muss ich wegen Notfällen raus. Die verdammten Pferde gebären immer mitten in der Nacht“, sagte Wally, zwinkerte ihm zu, verließ das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.

Phillip packte zu Ende aus und stellte seine Koffer und Taschen in den Schrank auf den Boden. Er überlegte, einfach ins Bett zu gehen, zog sich dann aber eine Jogginghose an und ging ins Wohnzimmer. Dort saß Jefferson immer noch alleine. Mit offenen und leuchtenden Augen sah er fern. „Wann bist du angekommen?“, erkundigte sich Jefferson. Seine Stimme war leise, die Wörter leicht undeutlich, aber verständlich.

„Vor etwa einer Stunde“, antwortete Phillip und setzte sich auf das Sofa neben dem Rollstuhl. „Wer gewinnt?“, fragte er. Für Baseball interessierte er sich nicht wirklich, aber er wusste von seinem letzten Besuch, dass Dakotas Vater ein richtiger Fan war.

„Weiß ich nicht, bin gerade erst aufgewacht. Sind die Jungs immer noch draußen?“

„Wally ist im Bett, glaube ich und Dakota ist mit den Männern draußen, um ein paar Zäune zu reparieren, die der Sturm herausgerissen hat. Hoffentlich kommen sie bald wieder. Willst du zurück in dein Zimmer?“

„Nein, ich hab mich nur gewundert“, antwortete Jefferson leise. „Willst du ein Bier?“

Phillip schmunzelte. „Sicher, ich nehme eins, wenn du auch eins nimmst.“ Ihm war klar, dass Jefferson genau das mit seiner Frage beabsichtigt hatte. Phillip stand auf und ging in die Küche. Aus dem Kühlschrank nahm er sich zwei Flaschen Bier, die er öffnete und damit ins Wohnzimmer zurückging. Eine Flasche drückte er in Jeffersons verdrehte Hand. Als er sich sicher war, dass er sie fest im Griff hatte, setzte er sich wieder auf das Sofa, sah sich das Spiel an und trank sein Bier. Ab und zu brummte Jefferson oder machte irgendein Geräusch. Anfangs dachte Phillip, dass was nicht in Ordnung war. Doch es waren einfach nur seine Reaktionen.

Phillip fiel in einen benommenen Halbschlaf, das Bier relaxte ihn. Als die Tür geöffnet wurde und Dakota eintrat, zuckte er etwas zusammen. „Hallo, Dad“, sagte Dakota und zog sich seine Jacke aus. „Wie ich sehe, konntest du Phillip zu einem Bier überreden.“

Phillip stand auf und lief zu seinem Freund. Dieser umarmte ihn. Überrascht entdeckte er hinter Dakota einen jungen Mann, der fast so breit wie groß war. Dakota drehte sich um und sagte zu dem Fremden: „Haven, sobald ich meinen Vater ins Bett gebracht habe, fahre ich dich nach Hause.“ Dakota sah Phillip an. „Bist du noch eine Weile wach?“

„Sicher. Wally ist schon vor einer ganzen Zeit ins Bett gegangen. Aber ich kann noch aufbleiben“, antwortete Phillip. Dabei bemerkte er, wie der andere Mann ihn immer noch ansah. Phillip kannte diesen Blick – ein verwirrtes Verlangen, das alle heimlich schwulen Jungs überkam, wenn sie etwas sahen, zu dem sie sich hingezogen fühlten, sich aber nicht sicher waren, ob sie zupacken oder wegrennen sollten. Phillip sah, wie Dakota die noch fast volle Bierflasche seinem Vater aus der Hand nahm, bevor er ihn den Flur hinunter in sein Schlafzimmer schob. Der Bursche, Dakota hatte gesagt, sein Name wäre Haven, saß auf der anderen Seite der Couch. „Ich bin Phillip. Phillip Reardon. Arbeitest du für Dakota?“

Haven schüttelte den Kopf. „Haven Jessup. Die Ranch meines Vaters grenzt im Osten an Dakotas Farm.“ Er schien nervös zu sein und sich unwohl zu fühlen. Phillip war jedoch davon überzeugt, dass nicht er der Grund dafür war. Es musste etwas anderes sein, weswegen er bis aufs Äußerste angespannt war.

„Konntet ihr den Zaun reparieren?“

„Ja“, antwortete Haven und schien sich noch mehr anzuspannen. Nervös wippte er mit dem Fuß, seine Augen huschten durch das Zimmer und er sah aus, als würde er jede Minute explodieren. Dakotas Schritte im Flur schienen in ihm etwas auszulösen. Sofort, als Dakota das Zimmer betrat, sprang er auf die Beine. „Heute Nachmittag war der Teil des Zauns noch in Ordnung“, platzte er aufgeregt heraus, als hätte er Stunden darauf gewartet, etwas zu sagen.

„Das kann nicht sein. Der Pfosten war morsch.“

Haven trat einen Schritt auf ihn zu und sah Dakota aufrichtig an. „Ich weiß, dass er morsch aussah. Deshalb hab ich ihn auch persönlich überprüft. Ich hab es gesehen, als ich auf Jake gesessen bin und hab ihn getestet. Der Pfosten sah zwar schlecht aus, hat sich aber nicht bewegt, als ich an ihm gezerrt habe.“ Haven sprach immer lauter. Dakotas Blick machte deutlich, dass er an der ganzen Sache zweifelte. Schritte im Flur ließen sie verstummen.

„Kota“, sagte Wally, „du bist ein Idiot. Ich kann von hier aus sehen, dass Haven die Wahrheit sagt. Und seit wann bezeichnen wir Leute, die uns gerade zwei Stunden lang geholfen haben, Zäune zu reparieren und unsere Rinder wieder zurück auf die Weide zu bringen, als Lügner?“

Phillip hatte noch nie gesehen, wie Dakota so schnell der Wind aus den Segeln genommen wurde. Aber Wally war noch nicht fertig. „Ich glaube Haven und ich denke, du solltest morgen früh den Pfosten genauer ansehen. Bei Tageslicht erkennst du vielleicht mehr. In der Zwischenzeit sollte er nach Hause, bevor sein Vater einen Wutanfall bekommt und du solltest ins Bett.“ Ohne ein weiteres Wort drehte sich Wally um.

„Ich bring dich nach Hause“, sagte Dakota zu Haven.

„Ich mach das, Dakota. Du gehst ins Bett. Du schläfst ja schon im Stehen ein.“ Phillip ging in sein Zimmer. „Ich ziehe mir nur ein paar Schuhe an.“ Er zog sich seine Turnschuhe an. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, sprachen die beiden Männer leise miteinander. Gott sei Dank war die Spannung verschwunden. „Bist du fertig?“, fragte Phillip. Haven nickte, während Dakota mit der Hand vor dem Mund gähnte.

„Ich verspreche dir, ich kontrolliere den Pfosten morgen früh. Ich hab den Männern gesagt, sie sollen ihn auf den Truck laden.“

„Danke“, erwiderte Haven lächelnd, bevor er Phillip nach draußen über den Hof zu seinem Auto folgte. „Mein Vater wird ausrasten. Ich sollte schon vor Stunden zurück sein“, sagte er, während Phillip den Motor startete.

Phillip legte den ersten Gang ein und fuhr die Auffahrt hinunter. „Sag einfach, dass du Dakota ausgeholfen hast. Das sollte er verstehen. Hilft hier nicht jeder jedem?“

Haven zeigte ihm an, links abzubiegen. „Mein Vater und Dakotas Vater sind seit Jahren verfeindet. Den Grund kenne ich nicht, aber wenn mein Vater herausfindet, dass ich auf der Holden Ranch war, wird er mir das Fell über die Ohren ziehen. Seit ich denken kann läuft das schon so.“ Haven zeigte aus dem Fenster. „Die Auffahrt ist in ungefähr 800 Metern auf der linken Seite.“

Phillip hielt nach der Auffahrt Ausschau, bog ein und fuhr bis zu dem kleinen Haus, ehe er anhielt. „Wir sehen uns bestimmt und ich verspreche dir, dass ich deinem Vater nicht erzähle, wo du warst.“

Haven lächelte, sein Gesicht entspannte sich, die Augen glänzten mit einem Hauch Zufriedenheit. „Danke, ich weiß das zu schätzen.“ Haven öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. „Wir sehen uns.“

Die Tür schloss sich und Phillip sah Haven nach, der die Treppen zum Haus erklomm und darin verschwand. Dann drehte Phillip um und fuhr zurück in Richtung Ranch.

Er parkte ein wenig abseits und stieg aus. Überrascht stellte er fest, dass er überhaupt nicht müde war. Er sah zum Haus des Vormanns. Die Fenster waren dunkel. Er dachte an Mario und die Zeit, die er mit ihm in dem kleinen, kuscheligen Haus verbracht hatte. Wie er ihn warmgehalten hatte. Wally hatte recht. Es war dumm und unfair von ihm zu denken, Mario würde auf ihn warten, bis er zurückkommen würde. Wenn er ehrlich war, fragte sich Phillip sehr oft, ob er für eine langfristige, ernste Beziehung wirklich gemacht war. Doch die Kämpfe gegen die Einsamkeit häuften sich. Er ertappte sich dabei, wie er immer eifersüchtiger auf die Paare wurde, mit denen er Zeit verbrachte. Phillip lächelte, als er Wallys Stimme in seinem Kopf hörte, die ihn fragte, was er wollte. Er hatte immer gedacht, sich in einen großen, muskulösen, kräftigen Kerl, innerlich wie äußerlich, zu verlieben.

Ohne darüber nachzudenken, ging er in den Stall. Das kleine Licht am anderen Ende des Ganges reichte ihm aus, die großen Köpfe zu erkennen, die neugierig aus den Boxen schauten, um zu sehen, was los war. „Ist schon gut, Jungs. Ich wollte euch nicht stören,“ sagte er zu den Pferden, bevor er sich umdrehte. Er verließ den Stall, schlenderte zur Veranda und betrat das Haus. Müde oder nicht, in ein paar Minuten würde er sein Leben sowieso nicht ordnen können.