Ein zufriedener Mann. Erzählungen - Zoë  Beck - E-Book

Ein zufriedener Mann. Erzählungen E-Book

Zoë Beck

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Beschreibung

Über das Buch Zoë Beck beschreibt Menschen in Ausnahmesituationen: Da ist Gil Peters, die Angstpatientin, die mit der Außenwelt ausschließlich über das Internet kommuniziert und sich damit ganz gut arrangiert hat – bis ihre Therapeutin in Urlaub fährt und die Lage eskaliert. Da ist eine Gruppe Jugendlicher, die langsam das Erwachsenwerden entdeckt, als die Mutter einer Mitschülerin tot aufgefunden wird. Da ist der Journalist, den eine unerwiderte Liebe zum Stalker macht, bis sein Leben vollkommen entgleist. Da ist die namenlose Endzwanzigerin, die vor zwei Jahren im Krankenhaus aufwachte, ohne Erinnerung an ihr bisheriges Leben und seitdem schlaflos durch die Obdachlosenszene Hamburgs geistert – bis sie schließlich eine Frau entdeckt, die ihr bekannt vorkommt und sie langsam ihre eigene, unglaubliche Geschichte entdeckt … Das alles ist scharf beobachtet, psychologisch dicht erzählt und spannend: Die zehn Geschichten ihres ersten Erzählungsbandes entwickeln einen Sog, dem sich der Leser nicht entziehen kann. Mit einem genauen Blick für Lebenssituationen und psychologische Abläufe betrachtet Zoë Beck Menschen, die in Situationen geraten, die sie nicht mehr kontrollieren können. Neben ihren Thrillern ist Zoë Becks eine souveräne Meisterin der Kurzgeschichte. Sie verdichtet eine Reihe unterschiedlicher zwischenmenschlicher Konstellationen zu kleinen Prosajuwelen. Ihre Figuren leben im Hier und Heute, ihre Konflikte sind an die Realitäten unserer Zeit gebunden. Ihre jeweilige Einzigartigkeit wird in Becks kühler, klarer, unsentimentaler und präziser Sprache sichtbar. Über die Autorin Zoë Beck, geboren 1975, studierte englische, amerikanische und deutsche Literatur in Gießen, Bonn und Durham. Anschließend arbeitete sie bei Theater, Film und Fernsehen. Heute ist sie tätig als Autorin, TV-Synchronredakteurin, Kolumnistin und Übersetzerin und Mitarbeiterin des Online-Feuilletons CULTurMAG. Zoë Beck betreibt mit Jan Karsten den eVerlag CulturBooks – elektrische Bücher.

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Seitenzahl: 188

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Über das Buch

Zoë Beck beschreibt Menschen in Ausnahmesituationen: Da ist Gil Peters, die Angstpatientin, die mit der Außenwelt ausschließlich über das Internet kommuniziert und sich damit ganz gut arrangiert hat – bis ihre Therapeutin in Urlaub fährt und die Lage eskaliert. Da ist eine Gruppe Jugendlicher, die langsam das Erwachsenwerden entdeckt, als die Mutter einer Mitschülerin tot aufgefunden wird. Da ist der Journalist, den eine unerwiderte Liebe zum Stalker macht, bis sein Leben vollkommen entgleist.

Da ist die namenlose Endzwanzigerin, die vor zwei Jahren im Krankenhaus aufwachte, ohne Erinnerung an ihr bisheriges Leben, und seitdem schlaflos durch die Obdachlosenszene Hamburgs geistert – bis sie schließlich eine Frau begegnet, die ihr bekannt vorkommt, und sie langsam ihre eigene, unglaubliche Geschichte entdeckt ...

Das alles ist scharf beobachtet, psychologisch dicht erzählt und spannend: Die zehn Geschichten ihres ersten Erzählungsbandes entwickeln einen Sog, dem sich der Leser nicht entziehen kann. Mit einem genauen Blick für Lebenssituationen und psychologische Abläufe betrachtet Zoë Beck Menschen, die in Situationen geraten, die sie nicht mehr kontrollieren können.

Neben ihren Thrillern ist Zoë Beck eine souveräne Meisterin der Kurzgeschichte. Sie verdichtet eine Reihe unterschiedlicher zwischenmenschlicher Konstellationen zu kleinen Prosajuwelen. Ihre Figuren leben im Hier und Heute, ihre Konflikte sind an die Realitäten unserer Zeit gebunden. Ihre jeweilige Einzigartigkeit wird in Becks kühler, klarer, unsentimentaler und präziser Sprache sichtbar.

Über die Autorin

Zoë Beck, geboren 1975, lernte Klavier und studierte Literatur, arbeitete bei Theater, Film und Fernsehen. Heute ist sie tätig als Autorin und Übersetzerin und leitet zusammen mit Jan Karsten den eVerlag CulturBooks – Elektrische Bücher. 2010 erhielt sie den Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte »Bester Kurzkrimi«. 2011 war sie wieder mit einem Kurzkrimi nominiert, »Das alte Kind« war auf der Shortlist für den Friedrich-Glauser-Preis, Sparte »Bester Roman«. »Das zerbrochene Fenster« wurde von der Jury der KrimiZEITBestenliste unter die zehn besten Kriminalromane im September 2012 gewählt, ebenso »Brixton Hill« im Januar, Februar und März 2014.

Zoë Beck

Ein zufriedener Mann

Erzählungen

CulturBooks Verlag

www.culturbooks.de

Inhaltsverzeichnis

Freundin
Draußen
Ein zufriedener Mann
Hell-go-land
Lia
Dorianna
Stilles Wasser
Dreizehn
Rapunzel
Flann, der Púca

Impressum

Originalausgabe: © CulturBooks Verlag 2014

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, [email protected]

www.culturbooks.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Magdalena Gadaj

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: 01.08.2014

ISBN 978-3-944818-36-8

Freundin

Maria lernte die Tochter der Familie Landauer erst kennen, als sie schon drei Monate dort in Anstellung war. Sie hatte sich zu der Zeit immer noch nicht recht an ihre neue Umgebung gewöhnt. Nicht die Arbeit machte ihr zu schaffen. Auf dem Hof ihrer Eltern hatte sie auch viel arbeiten müssen. Es war die Stadt. In München gab es zu viel Lärm und Dreck, riesige Häuserklötze, die aussahen, als wären sie zusammengeschoben worden, um Platz für noch mehr Häuser zu machen. In den Straßen drängten sich zu viele Menschen, und sie gingen ohne einen Blick, ohne einen Gruß aneinander vorbei, während Automobile stinkend über die Straßen ratterten. Nicht einmal nachts war die Stadt still.

Als Maria bei den Landauers angefangen hatte, war die Tochter noch im Haus gewesen. Allerdings sah Maria sie damals nicht. Sie hörte sie nur in jener Nacht, als sie schrie und stöhnte und polterte. Maria war aus dem Bett gesprungen, um aus der Kammer zu laufen und nachzusehen, doch eines der anderen Dienstmädchen hielt sie zurück. Das Fräulein Franziska sei sehr krank und habe gerade einen ihrer Anfälle.

»Wahrscheinlich bringt man sie morgen gleich in der Früh wieder fort«, sagte das Mädchen. So kam es auch. Maria war insgeheim froh darüber, dass sie fort war. Die Schreie hatten ihr Angst gemacht.

Nun war Franziska Landauer wieder zurück. Es gefiel Maria nicht, als man sie anwies, dem Fräulein das Frühstück ans Bett zu bringen. Wie gelähmt vor Angst stand sie vor ihr, hielt das Tablett fest umklammert und starrte die junge Frau an. Franziska lehnte im Nachthemd am Fenster, bürstete sich die langen Haare und starrte zurück. Sie sah ganz anders aus, als Maria erwartet hatte: kupferblond mit grünen Augen und weißer Haut, dazu sehr schlank und groß. Sie ähnelte weder ihrem Vater noch ihrer Mutter, auch nicht ihren sehr viel jüngeren Geschwistern. Frau Landauer war nämlich die zweite Frau Landauer, wie Maria erfuhr; die erste war nach Franziskas Geburt verstorben. Maria ließ das Tablett vor Schreck fast fallen, als Franziska zu ihr sagte: »Ich hab dich noch nie gesehen. Wie lange bist du schon hier?«

Unfähig, ein Wort herauszubringen, stellte Maria das Tablett auf dem Nachttisch ab und beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen.

Von nun an musste sie Franziska jeden Morgen das Frühstück bringen, und jedes Mal richtete die junge Frau das Wort an sie, stellte ihr Fragen, wollte ihren Namen wissen, woher sie käme, wie ihr München gefiele, ob sie schon mehr gesehen hätte als den Josephsplatz, an dem die Landauers wohnten, ob sie schon einmal unten in der Apotheke des Vaters gewesen sei. Hatte sie viele Geschwister, und wie lebte es sich auf dem Land?

Anfangs wagte Maria kaum zu antworten. Franziska stellte weiter ihre Fragen. Erzählte. Plauderte über Nachbarn, über Leute, die sie vom Fenster aus über die Straße gehen sah, über Dinge, die sie in der Zeitung gelesen hatte. Maria taute langsam auf, und schließlich freute sie sich auf die kleinen, irgendwie freundschaftlichen Gespräche. Franziska sagte einmal zu ihr: »Du solltest dich malen lassen. Du hast so ein gutes Gesicht.« Maria hatte noch nie ein Kompliment bekommen.

Den anderen Mädchen erzählte sie von diesen Gesprächen nichts. Maria wollte dieses Geheimnis hüten.

Den Sommer über lernte sie Franziska immer besser kennen. Die junge Frau war meist ruhig, ernsthaft, aber gut gestimmt. An manchen Tagen strahlte sie, wollte die Welt umarmen, liebte das Leben. Über diese Tage freute sich Maria am meisten. Die heimliche Freundin so glücklich zu sehen, tat ihr in der Seele wohl. Mit dem Herbst aber mehrten sich die Tage, an denen Franziska grüblerisch und gereizt war. Sie schlief dann tagsüber sehr viel, aß wenig, kam in der Nacht nicht zur Ruhe. Das Sprechen strengte sie an, und manchmal schien es Maria, als hätte die junge Frau starke Schmerzen. Dann wand sie sich und stöhnte, verkroch sich weinend unter der Bettdecke. Maria konnte es kaum ertragen und forderte sie auf, ihr zu sagen, was sie für sie tun konnte. Eine Wärmflasche, einen Tee, Medikamente aus der Apotheke, was immer sie verlangte, Maria würde sich darum kümmern.

»Es ist die Angst«, sagte Franziska eines Tages. »Dass ich zurück in die Klinik muss. Die Angst kann mir keiner nehmen.«

»Ist es ... Hysterie?«, fragte Maria. Das hatten ihr die anderen Mädchen erzählt.

»Sie behandeln mich so. Sie verordnen mir Ruhe und Hypnosen und Spaziergänge und Massagen. Sie haben einen Apparat, mit dem sie mich zwischen den Beinen massieren. Ich weiß nicht, wie ich das finden soll. Sie sagen auch, es hört auf, wenn ich erst einmal verheiratet bin.«

»Aber das ist gut!«, rief Maria. »Dann wird also eines Tages alles gut!«

»Ich werde nicht heiraten«, sagte Franziska. »Ich will es nicht. Willst denn du heiraten?«

»Eine jede heiratet doch.«

»Ich will lieber frei sein«, sagte Franziska, und Maria verstand nicht, was sie meinte.

Da Franziskas Zustand sich nicht besserte, musste Maria von nun an vor ihrer Tür schlafen. Oft schreckte die junge Frau schweißnass vom Schlaf auf, war orientierungslos und redete wirr, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Zu Maria sagte sie eines Nachts: »Es hört nicht mehr auf. Ich will nicht damit leben müssen.«

»Sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann«, bat Maria.

Bald kam eine Nacht, in der Franziska anfing zu schreien. Es waren dieselben Schreie, die Maria in ihrer ersten Nacht im Hause der Landauers gehört hatte. Vielleicht schlief Franziska noch halb, vielleicht halluzinierte sie. Sie schien etwas in ihrem Zimmer zu sehen, wovor sie sich fürchtete. Maria konnte sie nur mit Mühe beruhigen.

»Es tut so weh«, sagte Franziska erschöpft.

»Was? Der Magen? Das Herz?«

»Alles in mir. Als müsste ich zerspringen. Es tut einfach nur weh, und ich will, dass es für immer aufhört.«

»Brauchen Sie etwas zu trinken?« Maria lief in die Küche und kam mit einem Krug Wasser zurück. Sie war froh, dass alle fest schliefen und niemand etwas gehört hatte. Sie wollte nicht, dass Franziska wieder weggebracht wurde. Nicht nur wegen der Dinge, die sie ihr über die Anstalt erzählt hatte, in der sie drei Monate gewesen war. Maria hatte Angst, ihre heimliche Freundin zu verlieren.

»Gibt es denn gar nichts, das hilft? Ihr Vater ist doch Apotheker. Gibt es denn kein Medikament?«

»Doch«, sagte Franziska. »Aber er will es mir nicht geben.«

»Warum denn nicht?«

»Er denkt, dass alles gut wird, wenn ich heirate. Er glaubt, ich simuliere. Glaubst du das auch?«

»Nein!«, rief Maria. »Das Medikament ... Haben Sie es schon genommen?«

»Ich weiß alles darüber. Ich weiß genau, wie es wirkt.«

»Können Sie es sich nicht selbst ... kaufen?«

»Ich kann nicht aufstehen und das Haus verlassen. Ich fühle mich viel zu schwach.«

»Ich besorge es Ihnen«, sagte Maria. »Ich werde oft geschickt, um einzukaufen. Ich kann Ihnen doch etwas holen.«

Franziska schloss die Augen. »Es ist ja genug davon in Vaters Apotheke.«

»Ich hole es sofort für Sie.«

Franziska sagte ihr, wo sie das Fläschchen finden würde. Wo die Schlüssel, mit denen sie in die Apotheke gelangte. Und wo die anderen Schlüssel, um das Schränkchen zu öffnen, in dem das Fläschchen aufbewahrt wurde. Sie sagte ihr, was auf dem Etikett stand.

»Ich habe schon von Morphium gehört«, sagte Maria. »Jemand in unserem Dorf hat es bekommen. Er hatte sehr große Schmerzen.«

»Siehst du? Aber du musst mir versprechen, niemals mit irgendjemandem darüber zu reden. Hörst du?«

»Ich verspreche es Ihnen!«

»Egal, was auch geschieht.«

»Ich sage es niemandem!«

»Und noch etwas, wenn die Flasche einmal leer ist, dann wirf sie heimlich weg. Wirst du das tun?«

Maria versprach auch das. Dann suchte sie sich leise die Schlüssel für die Apotheke zusammen. Sie musste dazu ins Schlafzimmer des Herrn Landauer, aber er wurde nicht wach, auch nicht, als sie die Schlüssel zurücklegte. Sie brachte Franziska das Fläschchen, die ihr glücklich dankte.

»Brauchen Sie noch etwas?«

Franziska schüttelte den Kopf. »Lass mich jetzt alleine. Du hast mir sehr geholfen.« Sie lächelte, und Maria wurde ganz warm ums Herz. »Das ist unser großes Geheimnis. Freundinnen haben Geheimnisse, die sonst niemand auf der Welt erfahren wird. Du musst immer an dein Versprechen denken.«

Maria nickte. Sie legte sich wieder vor Franziskas Tür und schlief, bis die anderen Mädchen sie kurz vor dem Morgengrauen weckten.

Franziska hatte darum gebeten, dass man sie lange schlafen ließ. Als jedoch das Mittagessen bereitet war und noch immer kein Laut aus ihrem Zimmer drang, schickte man Maria zu ihr. Sie klopfte an die Tür und trat ein. Es war dunkel, wie dieser Tage immer, weil Franziska das Licht scheute. Sie schien noch zu schlafen. Auf ihrem Gesicht lag ein freundlicher, ja heiterer Ausdruck. Sie hatte sich noch in der Nacht die Haare ordentlich geflochten und ein frisches Nachthemd angezogen. Maria öffnete die Fenster, um zu lüften, und erwartete, dass Franziska aufwachte und sagte: »Ich friere, und es ist viel zu hell.« Aber sie sagte nichts. Unruhig ging Maria zu ihr und beugte sich über sie. Noch immer lag sie still, die Augen geschlossen. Maria berührte ihr kaltes Gesicht, schüttelte sie an der Schulter, kniff ihr in die Hand. Ihr Blick fiel auf die Flasche, die sie in der Nacht aus der Apotheke geholt hatte. Sie war leer.

Zuerst wollte Maria um Hilfe rufen. Sie dachte daran, dass Franziska sich vielleicht doch nicht gut mit dem Morphium ausgekannt hatte. Dass sie aus Versehen zu viel genommen hatte. Aber dann fiel ihr ein, was sie gesagt hatte. Dass sie frei sein wollte. Dass sie alles über Morphium wusste. Dass sie so nicht mehr leben wollte. Und Maria hatte der jungen Frau etwas versprochen. Sie nahm die leere Flasche vom Nachttisch, versteckte sie unter ihrer Schürze, nahm Franziskas Hand und drückte sie kurz an ihre Lippen. Dann ging sie leise aus dem Zimmer, wie um die Tote nicht zu stören, und suchte die Landauers.

Draußen

Von: Gil Peters

An: Dr. Vera Mertens

Gesendet: Donnerstag, 11. Juni 09, 18:49 Uhr

Betreff: Unser Termin gestern

Liebe Frau Dr. Mertens,

ich hab noch mal über alles nachgedacht. Wie besprochen. An meinem Standpunkt hat sich nichts geändert. Ich denke nicht, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, die Tabletten abzusetzen, und ich denke ebenfalls nicht, dass mir eine Therapiepause guttäte.

Ich frage mich, wie Sie überhaupt dazu kommen, mir so etwas vorzuschlagen. Falls Sie sich mit mir überfordert fühlen oder den Eindruck haben, nicht kompetent genug zu sein, würde ich Sie bitten, mich an einen Ihrer Kollegen zu empfehlen.

Ich wünsche Ihnen nun einen schönen Urlaub, und wir telefonieren dann wieder wie verabredet am 8. Juli um 16 Uhr.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihre G. Peters

Von: Dr. Vera Mertens

An: Gil Peters

Gesendet: Donnerstag, 11. Juni 09, 20:14 Uhr

Betreff: Re: Unser Termin gestern

Liebe Frau Peters,

haben Sie Dank für Ihre Nachricht, auf die ich vor meinem Urlaub noch kurz eingehen will: Die Therapie kann nur dann Fortschritte erzielen, wenn Sie mitarbeiten wollen. Da waren wir uns doch einig. Sie sagen, Sie hätten sich mit Ihrem Zustand abgefunden und weigern sich gleichzeitig, die Therapie zu beenden. Das sollten wir nach meinem Urlaub noch einmal in Ruhe besprechen.

Ein neues Rezept sende ich Ihnen zu. Ich bitte Sie dennoch, während meiner Abwesenheit darüber nachzudenken, wann wir die Medikamente – langsam und kontrolliert – absetzen und in welcher Weise wir therapeutisch weiter verfahren sollen.

Alles Gute für die kommenden drei Wochen.

Dr. Vera Mertens

Von: Gil Peters

An: Dr. Vera Mertens

Gesendet: Freitag, 12. Juni 09, 01:18 Uhr

Betreff: Re: Re: Unser Termin gestern

Liebe Frau Dr. Mertens,

ganz ehrlich, ich ärgere mich über das, was Sie mir schreiben. Ich mache Fortschritte! Und ich finde, der größte Fortschritt ist doch meine Erkenntnis, dass an mir nichts falsch ist. Ich meine, Sie sagen doch immer, dass es nicht Aufgabe der Therapie ist, etwas toll zu finden, wovor man Angst hat, sondern zu lernen, besser mit der Angst umzugehen. Und wenn eine Phobie einem den Alltag nicht versaut – warum muss man gegen sie vorgehen? Soll ich, mal ganz hypothetisch gesprochen, eine Therapie gegen eine Nilpferdphobie machen, wenn ich in München wohne, wo es keine gibt, außer im Zoo? (Wenn ich nicht gerade als Tierpflegerin für die Nilpferde in Hellabrunn zuständig bin, ha, ha.)

Ich habe jetzt verstanden, dass es für mich keine Notwendigkeit mehr gibt, meine Wohnung zu verlassen. Am Anfang mag das noch ein Thema gewesen sein, aber mittlerweile haben sich die Gegebenheiten doch zu meinen Gunsten verändert: Ich muss nicht mal mehr zum Einkaufen aus dem Haus. Spitze! Meinen Job erledige ich online und verdiene sehr viel Geld damit (wovon auch Sie profitieren, das möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen), und über diverse Plattformen habe ich so viele Bekanntschaften geschlossen, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ginge ich nun aus dem Haus, würde ich einen großen Teil meiner wirklich gut bezahlten Arbeitszeit sinnlos verschleudern. Kein Mensch muss heute noch das Haus verlassen!!! Warum also soll ausgerechnet ich mich zwingen?

Wg. Tabletten: Ich schlafe sehr gut durch. Sollte ich mal vergessen, sie zu nehmen, schlafe ich sehr unruhig.

Wg. Therapie: Nur, weil ich mittlerweile die Symptome akzeptiere, ja sogar als Bereicherung meines Lebens betrachte, heißt es nicht, dass wir die Ursache so mir nichts, dir nichts übergehen können. Diesem Thema haben wir uns, wie ich finde, nicht eingehend genug gewidmet.

MfG

GP

Von: Dr. Vera Mertens

An: Gil Peters

Gesendet: Freitag, 12. Juni 09, 07:10 Uhr

Betreff: Re: Re: Re: Unser Termin gestern

Liebe Frau Peters,

nur ganz kurz, weil auf dem Weg zum Flieger: Wir sprachen anfangs fast nur über die Ursache, kamen aber nicht sehr weit. Dann sind wir auf Ihren Wunsch hin in die Verhaltenstherapie zur besseren Bewältigung Ihres Alltags gewechselt. Aber ja, machen wir dort weiter, wenn Sie sich nun dazu bereit fühlen.

Eilige Grüße, alles Gute!

Dr. Vera Mertens

Von: Gil Peters

An: Dr. Vera Mertens

Gesendet: Freitag, 12. Juni 09, 12:33 Uhr

Betreff: Re: Re: Re: Re: Unser Termin gestern

Ja, ja, schon gut, es lag an mir, okay. Jetzt haben wir das mit dem Alltag aber geklärt, also kann es endlich mit den wirklich wichtigen Dingen weitergehen.

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie satt ich diese Diskutiererei gerade habe.

Schönen Urlaub.

GP

Von: Gil Peters

An: Dr. Vera Mertens

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 12:58 Uhr

Betreff: Notfall!!!

Liebe Frau Dr. Mertens,

es tut mir leid, dass ich Sie im Urlaub störe ... Hoffentlich lesen Sie überhaupt Ihre Mails ... Es ist etwas passiert: Mein Haus wird renoviert! Heute Morgen wurde es VOLLSTÄNDIG mit einem Gerüst EINGEZÄUNT. Der Vermieter muss versäumt haben, mich darüber in Kenntnis zu setzen. Ich traue mich jetzt nicht mehr aus dem Schlafzimmer, weil es der einzige Raum mit Jalousien ist, wer braucht schon Jalousien in einer Dachwohnung ... Sie wissen ja, wie ich wohne ... Blick nach Norden, Osten und Süden ... Friedensengel und Isarauen ... Niemand kann in meine Wohnung sehen ... Niemand kann mich sehen ... Aber jetzt dieses GERÜST!

Schreiben Sie mir meinetwegen eine Extrarechnung, aber BITTE melden Sie sich! Ich bin, wie Sie wissen, immer online. ES IST DRINGEND!

GP

Von: Gil Peters

An: [email protected]

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 13:16 Uhr

Betreff: NOTFALL

Guten Tag,

Sie bieten auf Ihrer Seite eine Notfallberatung an. Ich bin ein Notfall: Man hat meine Wohnung mit einem Gerüst eingezäunt. Umzingelt, könnte man auch sagen. Ich traue mich nicht mehr aus dem Schlafzimmer (einziger Raum mit Jalousien). Was soll ich machen?

Bitte antworten Sie mir umgehend.

Gil Peters

Von: Gil Peters

An: [email protected]

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 13:24 Uhr

Betreff: N O T F A L L

Na toll, das klappt ja super bei Ihnen mit einer zeitnahen Beantwortung menschlicher Hilferufe!!!

Enttäuscht, GP

Von: [email protected]

An: Gil Peters

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 14:30 Uhr

Betreff: Re: NOTFALL

Lieber Herr Peters,

unsere Notfallberatung hilft Ihnen gern mit Adressen in Ihrer Nähe weiter. Teilen Sie uns bitte Ihren Wohnort mit, damit wir Ihnen einen Ansprechpartner vor Ort nennen können.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Agoraphobie-Team

PS: Kennen Sie schon unseren Online-Fragebogen? Erste-Hilfe-Tipps erhalten Sie direkt nach dem Ausfüllen!

Von: Gil Peters

An: [email protected]

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 14:33 Uhr

Betreff: Re: Re: NOTFALL

Ich bin eine FRAU! Und meine Ansprechpartnerin vor Ort ist im Urlaub! Ha, ha! Das hilft mir wirklich weiter.

Von: [email protected]

An: Gil Peters

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 14:55 Uhr

Betreff: Re: Re: Re: NOTFALL

Liebe FRAU Peters,

wir verstehen Ihre Not! Aber um Ihnen wirklich umfassend helfen zu können, geben Sie uns doch bitte ein paar weitere Informationen zu Ihrer Person:

- Seit wann leiden Sie an Agoraphobie?

- Wie ausgeprägt ist Ihre aktuelle Angst auf einer Skala von 1-10?

- Welche Symptome treten bei Ihnen auf?

- Was haben Sie bisher dagegen unternommen?

- Befinden Sie sich in therapeutischer Behandlung?

- Wenn ja, wie lange schon?

- Nehmen Sie Medikamente?

- Wenn ja, wie lange schon?

- Liegen andere psychische oder physische Beschwerden vor?

Schauen Sie sich doch auch mal unseren Online-Fragebogen auf unserer Internetseite an. Wenn Sie ihn ausgefüllt haben, erscheinen eigens auf Ihr Profil zugeschnittene Erste-Hilfe-Tipps.

Wir hoffen, Ihnen weitergeholfen zu haben.

Ihr Agoraphobie-Team

PS: Kennen Sie schon unseren Online-Fragebogen? Erste-Hilfe-Tipps erhalten Sie direkt nach dem Ausfüllen!

Von: Gil Peters

An: [email protected]

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 15:00 Uhr

Betreff: Re: Re: Re: Re: NOTFALL

Herrje, ich BIN in Behandlung, aber meine Therapeutin ist gerade im Urlaub, ich NEHME Tabletten, ich habe seit acht Jahren meine verdammte Wohnung nicht mehr verlassen, und das war auch GUT so, kein Mensch, der Internet hat, muss vor die Tür gehen, alles klappte wunderbar, bis heute dieses Scheißgerüst auftauchte!

Ich will nur wissen, was ich machen soll, damit ich aus meinem Schlafzimmer raus kann. Ich muss aufs Klo, ich will was essen, aber mit diesen Scheißgerüstbauern vorm Fenster KANN ICH NICHT aus dem Schlafzimmer!

Na gut, ich fülle ihren Scheißfragebogen aus.

Von: Gil Peters

An: [email protected]

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 15:17 Uhr

Betreff: Fragebogen

Der soll ja wohl ein Witz sein, Ihr Fragebogen. Für wen ist DER denn gedacht?! Sagen Sie doch gleich, dass Sie keine Ahnung haben. Beraten Sie von mir aus Hausfrauen mit Flugangst, aber bitte KEINE Agoraphobiker.

Von: Gil Peters

An: Franz-Xaver Müller-Schwiedens

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 15:42 Uhr

Betreff: Gerüst

Lieber Herr Müller-Schwiedens,

sehr zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass heute ein Gerüst am Haus hochgezogen wurde. Dürfte ich Sie bitten, mir mitzuteilen, wie lange das Gerüst dort stehen wird und zu welchem Zweck? Wird häufig jemand vor meinen Fenstern auftauchen? Mir liegt doch sehr daran, über diese unangenehme Situation genauestens informiert zu sein.

Bitte antworten Sie mir so schnell wie möglich.

Mit freundlichen Grüßen,

Gil Peters, Dachgeschoss

PS: Ich habe bereits mehrfach versucht, Sie telefonisch zu erreichen.

Von: Franz-Xaver Müller-Schwiedens

An: Gil Peters

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 17:58 Uhr

Betreff: Re: Gerüst

Grüß Gott, Frau Peters,

ja, meine Sekretärin und meine Frau haben mir schon gesagt, dass Sie ein paar Mal angerufen haben. Also, ich hatte beim letzten Mietergrillen im Mai an der Isar allen gesagt, wann das Gerüst kommt. Tut mir leid, ich dachte, es hätte sich rumgesprochen. Außerdem gab’s einen Aushang.

Jedenfalls, das Gerüst steht ja nun seit heute, und es bleibt für etwa drei Wochen. Das Haus wird gestrichen, und die Fenster gleich mit, und dann gibt’s noch ein paar Reparaturen am Dach, könnt also a bissl rumpeln, wenn Ihnen einer von den Herrn aufs Dach steigt!

Ach ja, und wenn Sie dann bitte einfach Ihre Hausratsversicherung anrufen würden, die müssen das nur wissen, dass da ein Gerüst ist.

Schönen Tag noch, und wenn die Arbeiter Ihnen blöd kommen, melden Sie sich noch mal! Sind aber alles liebe Jungs.

Ihr Franz-Xaver Müller-Schwiedens

PS: Bevor ich das vergesse: Meine Frau, die liest ja immer so gern Ihre Bücher, und jetzt ist doch schon wieder eins in der Bestsellerliste. Also wenn Sie da vielleicht mal wieder so ein signiertes Exemplar für uns hätten, das wär ganz toll! Mein Neffe, der lebt in den USA, der hat da sogar auch schon ein Buch von Ihnen gekauft, auf Englisch!

PPS: Meine Frau ist gerade am Telefon und sagt, ich soll Ihnen sagen, dass sie zwar weiß, wie viel Arbeit Sie haben, aber vielleicht können Sie’s ja doch mal einrichten, dass Sie sich kennenlernen. Also meine Frau und Sie. Jetzt wohnen Sie ja schon seit acht Jahren bei uns, und irgendwie klappt das nie mit dem Treffen. Das ändern wir aber mal, ja?

Von: Gil Peters

An: [email protected]

Gesendet: Montag, 15. Juni 09, 18:05 Uhr

Betreff: Hausratsversicherung, Kundennr. 4837204P

Sehr geehrte Damen und Herren,