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"Jeden Morgen stehe ich vor meinem Spiegel. Was sehe ich? Ich sehe mich. Jedenfalls erzähle ich mir das, denn gleichzeitig fühle ich mich einfach so fremd." Eindrücke eines Mädchens berichtet von dem Leben, den Emotionen und den Selbstzweifeln einer jungen Frau und spricht mit seinen Texten und Empfindungen für viele Menschen, die sich schon einmal gefragt haben, wer sie eigentlich sind. In gefühlvollen Kurztexten werden Gedanken und Wahrnehmungen geschildert, die oft zur Frage haben: wer bin ich und wer möchte ich sein? Die Autorin erzählt Geschichten aus dem Leben und betont dabei die alltäglichen Kämpfe, die viele Menschen austragen. Eine Hommage an das Heranwachsen, an die Vielfältigkeit der Menschen und ein Appell an den Mut zum Anderssein.
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Seitenzahl: 76
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Vorwort
Anders sein
Schwarze Stiefel
Der rote Mantel
Dein Abschied vom Uns
Es kommt, wie es kommt
Lieben und geliebt werden
Das Mädchen
Die Kunst der Unschuld
Erste Eindrücke
Der sterbende Schwan
Befriedigend Plus
Die Liebenden
Nachwort
Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?
Ich mag Geschichten über starke Menschen.
Ich glaube ich muss den Satz noch einmal überdenken…
Ich mag Geschichten über Menschen. Als stark werden sie bezeichnet, weil sie in ihrem Leben Dinge getan haben, die ihre Gesellschaft als „rebellisch“ angesehen hat. Eigentlich jedoch waren es Dinge und Handlungen, die heutzutage, als alltäglich angesehen werden sollten – und es dennoch nicht sind.
Ich denke mir gerne Geschichten aus, gerade in diesem Moment arbeite ich parallel noch an einem anderen Projekt, meine Mutter, die wohl strengste meiner Literaturkritiker, sieht es als „meinen großen Durchbruch“ an. Ich kreiere Charaktere, gebe ihnen einige meiner Charakteristika, baue Geschichten um sie herum, weil ich denke, irgendwie muss ich mit meinen Erlebnissen abschließen, irgendwie muss ich das alles verarbeiten. Ich denke, meine eigene Geschichte ist dafür zu langweilig, niemand möchte so etwas lesen. Ich mache das, was ich als Schülerin jahrelang an den Texten anderer Autoren und Autorinnen analysiert habe: die Reflexion ihres eigenen Lebens anhand ihrer fiktiven Texte. Vielleicht möchte ich als Autorin aber auch subtil sein, denn wenn meine Charaktere fiktiv sind, kann sie niemand automatisch mit mir in Verbindung bringen. So entgehe ich der direkten Kritik, der Reaktion auf mein ganz eigenes Reales, es ist ja schließlich immer noch nur die Realität meiner Charaktere und nur partiell meine. Vielleicht schreibe ich aber auch Geschichten für die Figuren, die ich mir für mein eigenes Leben gerne gewünscht hätte, erfinde jene Abenteuer, die ich selbst gerne erlebt hätte und erfüllte meinen Figuren alle Wünsche, die ich mir selbst gerne erfüllt hätte. Sicherlich schreibe ich aus vielerlei Gründen.
Die Texte in diesem Buch habe ich zehn Jahre lang geschrieben und verborgen gehalten, weil sie eine Art meiner Realität zeigen, auf die ich lange nicht stolz gewesen bin. Und heute frage ich mich wieso, denn all das, was mir widerfahren ist, lag nicht in meiner Hand. Ich habe keinen Grund meine Gedanken zu verstecken und keinen Grund diesen Teil meiner Vergangenheit geheim zu halten. Ausnahmsweise denke ich, dass meine Realität auch jene tausender anderer Menschen ist.
Die Gründe zur Entstehung dieser Geschichten sind simpel: ich habe in der Literatur verarbeitet, was ich lange nicht verarbeiten konnte. Ich habe jahrelang aufgeschrieben, was zu schwer für meinen Kopf gewesen ist, habe auf Papier gebracht, was ich mich nicht traute, laut auszusprechen. Für mich gibt es kein Vergessen, es gibt nur ein Verstehen. Heute sollen sie eine Erinnerung an harte Zeiten sein, eine Erklärung an mein jetziges Ich, das noch heute oft sehr hart zu sich selbst ist. Dies sind persönliche Geschichten, geschrieben von einem Mädchen. Ein Mädchen mit vielen Eindrücken.
Ich erhoffe mir mit diesen Texten keine Rückmeldung auf meine Erlebnisse, kein psychologisches Fremdinterpretieren, ich möchte nicht therapiert werden, und meine Eindrücke sollen so stehen, wie sie sind. Ich habe versucht ein Buch zu schaffen, eine Geschichte von einem Mädchen, so wie all die Geschichten, die in meinem Ikea Kallax Regal fein aneinandergereiht stehen. „Jane Austen und die Welt der Worte, Lehrerin einer neuen Zeit.“… „Chiara Fabiano und die alten Kamelle ihres Lebens.“ Ich finde diesen Ausdruck auf vielerlei Hinsicht sonderlich. Meine, aus dem Rheinland stammende, Familie benutzt den Ausdruck „Kamelle“ (Süßigkeiten, Bonbons) recht gerne. „Mein Gott, das sind doch alles alte Kamelle!“ Dieser Satz hat sich so in mein Gedächtnis eingebrannt, denn ich höre ihn tatsächlich auch heute noch recht oft, wenn ich versuche über meine Vergangenheit zu reden. Also hier: das meine die alten Kamelle, von denen ich jahrelang gehört habe sie würden niemanden mehr interessieren und seien es nicht wert wieder hervorgeholt zu werden. Ich schreibe das hier nicht, weil ich besonders Fortschrittbringende Sachen entdeckt habe, oder aber, weil ich laut gesellschaftlichem Empfinden etwas Besonderes gemacht habe, ich schreibe das, weil alles, was ich erlebt habe, so unfassbar alltäglich ist. Weil es eine Millionenanzahl an Lesern gibt, die auf Geschichten warten, mit denen sie sich identifizieren können, weil sie real sind.
Ich habe so viele Jahre den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen, war überwältigt von allem, was ich berichten wollte, wusste nicht, wo alles seinen Ursprung hat.
Eine beliebte Vorgehensweise in der Psychoanalyse ist das Monologisieren des Patienten. Durch das pure, ununterbrochene Erzählen offenbaren sich ihm die größten Konflikte seines inneren Kindes. Ich glaube, dass die häufigsten Probleme, die Erwachsene mit ihrer mentalen Gesundheit haben jene sind, die entstehen, weil sie sich nicht mit ihrem Leben auseinandersetzen, weil sie nicht reflektieren, nicht hinterfragen. Wir verstehen oft nicht, warum unsere Emotionen sich so anfühlen, wie sie es tun, weil wir nicht wissen, wer wir sind, warum wir so sind, und weil wir unser inneres Kind nicht mehr vor uns sehen. Oder aber, weil wir wissen, dass, würden wir es aus uns hervorholen, unser inneres Kind noch immer vor uns stehen und auf das gleiche Unverständnis treffen würde, wie bereits damals. Ich habe viele Dinge in meinem jungen Leben erlebt, habe viele Kämpfe gekämpft und oft geglaubt, dass es nicht mehr weiter gehen würde. Aber ich sage euch etwas: es geht immer weiter.
In diesem Buch befinden sich zehn Jahre meines Lebens, zehn Jahre meiner Eindrücke und meines inneren Kampfes mit mir selbst. Ich habe absichtlich weder Jahreszahlen noch Altersangaben erwähnt, weil ich möchte, dass jeder, egal welche Situation, welches Alter, welches Geschlecht, was auch immer, die Chance hat meine Eindrücke zu lesen und so für sich zu interpretieren, wie man diese Worte fühlt. Viele der Texte stammen noch aus meiner frühen Schulzeit, andere kommen aus meiner Zeit als Studentin und ich habe alle so gelassen, wie sie sind, auch wenn sie meinem heutigen Standard wahrscheinlich literarisch nicht mehr genügen würden. Ich möchte sie genau so unperfekt und unverändert lassen, wie ich sie damals geschrieben habe. Manche sind fiktiv, andere erzählen aus meinem Leben. Letztlich möchte ich, dass all ihr dort draußen wisst, die dieses Buch gerade lesen und sich mit der ein oder anderen Stelle identifizieren können: ihr seid nicht allein. Wir alle haben das Recht fühlen zu dürfen, was wir fühlen, mit uns zu hadern, zu versagen, unglücklich zu sein, wir haben ein Recht darauf unsere Geschichte erzählen zu dürfen.
Ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass einige der Texte sehr schwer sein können. Es werden emotional schwer verdauliche Dinge geschildert, wie Mobbing, Selbstzweifel und Trauer.
Passt auf euch auf, fühlt euch gedrückt und danke, dass ihr mir eine Stimme gebt.
Eure Chiara
Manche Menschen sind anders. Andere sind normal. Und alle wollen etwas Besonderes sein, während sie eigentlich normal sind. Jeden Morgen stehe ich vor dem Spiegel. Was sehe ich? Ich sehe ein Mädchen. Ich sehe mich selbst. Jedenfalls sage ich mir das, denn gleichzeitig kommt mir der Gedanke: „Ich mag mich nicht“. Ich höre die Leute, die lachen. Ich sehe die Augen, die mich beäugen, als wäre ich ein Tier im Zoo. Und ich bemerke die Münder, die über mich sprechen, wie über ein Fernsehprogramm, das sie erst am Vorabend gesehen hatten. Sie sprechen über mich, weil ich so anders bin. Ich trage meine Kleider, denn Hosen sind nicht mein Geschmack. Meine Haare kräuseln sich, denn ich mag sie nicht glatt. Auf meinem Rücken trage ich einen Rucksack, denn eine Handtasche wäre mir zu schwer. Stets befindet sich ein Buch unter meinem Arm, denn es ist mein bester Freund. Menschen bemerken das, was anders ist. Einmal anders, für immer anders. „Es ist nur ein Scherz“, sagen sie nach einem weiteren schmerzenden Kommentar. „Ich weiß“, sage ich. Aber es schmerzt, denke ich mir. Wer anders ist, ist verletzlich, denn man ist allein unter vielen Anderen. Die Leute lachen, sie sprechen, sie glotzen und das alles nur, weil jemand anders ist. Ich möchte mich verstecken, denke ich.
Ich möchte normal sein, denke ich. Aber kann ich dieses Normalsein jemals erreichen? Ich kann mir eine Hose anziehen, ich kann die schweren Bücher in eine Handtasche packen und das Buch zu Hause heimlich weiterlesen, doch niemals wäre ich eine andere Person. Mein Anderssein ist viel mehr. Ich muss es sein. Die Menschen lachen, sie reden, sie glotzen. Wenn nicht über mich, dann über jemand anderen. Irgendwann kommt der Moment, in dem ist plötzlich alles anders. Ein Lichtstrahl am Himmel, der Aufgang der Sonne. Der Moment, in dem man den Menschen anfängt zu lieben, der man ist. Liebt, für dieses Anderssein. Die Menschen können lachen, sie können reden, sie können glotzen, doch eins werden sie mir nie nehmen können: Das Anderssein