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Sie ist tief gefallen – wird er sie wieder aufbauen? England im 13. Jahrhundert: Einst trug sie feine Kleider und hatte eine glänzende Zukunft vor sich – dann zerstörte der grausame Lord Mortimer ihre Familie und ihr Leben. Verarmt und schutzlos bleibt der schönen Joan keine andere Wahl, als mit ihrem jüngeren Bruder in einen der armen Bezirke Londons zu ziehen und sich fortan als Ziegelbrennerin und Töpferin zu verdingen. Dort begegnet sie dem Freimaurer Rhys, der sie vor Lakaien eines Edlen und aufdringlichen Männern rettet. Als er sie jedoch bei ihrem Herrn freikauft, ist Joan alles andere als erleichtert: denn der hilfsbereite Steinmetz arbeitet für Mortimer, deshalb kann sie ihm niemals voll vertrauen. Doch dass ihr Herz schneller schlägt, wann immer sie in seiner Nähe ist, kann sie nicht verleugnen … Eine prickelnde Mittelalter-Romance voller Dramatik, die auch Fans von Margaret Mallory begeistern wird! Alle Bände der Reihe: Band 1: Eine tapfere Lady Band 2: Eine leidenschaftliche Lady Band 3: Eine wilde Lady Die Bände sind unabhängig voneinander lesbar.
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Seitenzahl: 527
Veröffentlichungsjahr: 2025
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England im 13. Jahrhundert: Einst trug sie feine Kleider und hatte eine glänzende Zukunft vor sich – dann zerstörte der grausame Lord Mortimer ihre Familie und ihr Leben. Verarmt und schutzlos bleibt der schönen Joan keine andere Wahl, als mit ihrem jüngeren Bruder in einen der armen Bezirke Londons zu ziehen und sich fortan als Ziegelbrennerin und Töpferin zu verdingen. Dort begegnet sie dem Freimaurer Rhys, der sie vor Lakaien eines Edlen und aufdringlichen Männern rettet. Als er sie jedoch bei ihrem Herrn freikauft, ist Joan alles andere als erleichtert: denn der hilfsbereite Steinmetz arbeitet für Mortimer, deshalb kann sie ihm niemals voll vertrauen. Doch dass ihr Herz schneller schlägt, wann immer sie in seiner Nähe ist, kann sie nicht verleugnen …
eBook-Neuausgabe September 2025
Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2000 unter dem Originaltitel »By Arrangement« bei Bantam Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2002 unter dem Titel »Geheimnisvolle Entführung« bei Heyne.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2000 by Madeleine Hunter
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2002 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Neuausgabe 2025 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: A&K Buchcover, Duisburg, unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock KI, depositphotos/Violin, depositphotos/1xpert
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (mm)
ISBN 978-3-96898340-0
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Madeline Hunter
Roman
Aus dem Amerikanischen von Alexandra von Reinhardt
Für Pam, die weiß warum.
»Sollte Euer Bruder davon erfahren, kann ich von Glück sagen, wenn ich meinen Kopf behalte, von meiner Manneskraft ganz zu schweigen«, knurrte Thomas.
Bleiches Mondlicht zauberte Schatten an die Mauern der Läden entlang der Straße. Zur Rechten und Linken huschten zwielichtige Gestalten im Dunkeln umher, doch Christiana brauchte sich in dieser Nacht nicht vor Räubern zu fürchten, denn Thomas Holland, einer der Ritter der Königin, hielt sich dicht an ihrer Seite, und im Schein der Fackel in seiner Hand war sein Langschwert deutlich zu sehen. Obwohl sie nach der Sperrstunde in der Stadt unterwegs waren, würde diese bedrohliche Waffe mit Sicherheit alle Ganoven abschrecken.
»Er wird nichts davon erfahren, das verspreche ich Euch«, beruhigte Christiana ihren Begleiter. »Kein Mensch wird etwas davon erfahren.«
Insgeheim musste sie zugeben, dass Thomas sich zu Recht Sorgen machte. Falls ihr Bruder Morvan herausfand, dass der Ritter ihr geholfen hatte, Westminster nach Einbruch der Dunkelheit heimlich zu verlassen, würde er ihnen die Hölle heiß machen. Doch in diesem Fall würde sie die alleinige Verantwortung übernehmen. Verschlimmern konnte ihre gegenwärtige Situation sich sowieso kaum noch ...
»Dieser Kaufmann, den Ihr aufsuchen wollt, muss reich sein, wenn er nicht über seinem Laden wohnt«, bemerkte Thomas. »Es geht mich natürlich nichts an, Mylady, aber dies ist eine sehr ungewöhnliche Zeit für einen Besuch, von dem überdies niemand etwas wissen darf. Hoffentlich ist es kein Liebhaber, zu dem ich Euch bringe, sonst wird der König mich höchstpersönlich zur Rechenschaft ziehen.«
Unter normalen Umständen hätte Christiana über eine solche Vermutung amüsiert gelacht, doch jetzt waren ihre Nerven so angespannt, dass sie die Bemerkung des Ritters gar nicht spaßig fand. »Nein, es ist kein Liebhaber, und ich suche den Mann nur deshalb zu dieser späten Stunde auf, weil ich mir ganz sicher sein wollte, ihn zu Hause anzutreffen.« Sie hoffte, dass Thomas auf weitere Fragen verzichten würde, denn ihr Repertoire an Lügen war restlos erschöpft.
Der vergangene Tag hatte zu den schlimmsten in ihrem ganzen Leben gehört. War es wirklich erst gestern Abend gewesen, dass Königin Philippa sie zu sich gerufen und ihr mitgeteilt hatte, ein Freier habe um ihre Hand angehalten, und der König habe diesen Antrag angenommen? Seitdem hatte sich für Christiana jede Minute zu einer Ewigkeit von Höllenpein und ohnmächtiger Wut gedehnt.
Dabei hatte sie im Prinzip nichts gegen eine baldige Eheschließung einzuwenden. Schließlich war sie schon achtzehn, und die meisten Mädchen heirateten in jüngerem Alter. Doch der Mann, der sie heiraten wollte, war nicht Stephen Percy, jener Ritter, an den sie ihr Herz verloren hatte. Es war nicht einmal irgendein anderer Ritter oder Lord, die immerhin standesgemäße Partner für die Tochter von Hugh Fitzwaryn gewesen wären.
Nein, König Edward hatte beschlossen, Christiana, die einer alten Adelsfamilie entstammte, mit David de Abyndon zu verheiraten, dem sie nie zuvor begegnet war.
Mit einem gewöhnlichen Kaufmann!
Einem gewöhnlichen und alten Kaufmann, wenn sie ihrer Anstandsdame Lady Idonia Glauben schenken wollte, die sich daran erinnerte, in ihrer Jugend Seide bei diesem Master David gekauft zu haben.
Natürlich wollte der König sie auf diese Weise bestrafen ... Sie war seit dem Tod ihrer Eltern sein Mündel und lebte zusammen mit seiner ältesten Tochter Isabele und seiner jungen Cousine Joan of Kent bei Hofe. Er musste über ihre Schandtat völlig außer sich gewesen sein, wenn er zu derart drastischen Maßnahmen griff, um sie möglichst schnell unter die Haube zu bringen.
Stephen! Der attraktive blonde Stephen, der endlich Sonne in ihr behütetes, aber einsames Leben gebracht hatte! Er war der erste Mann, der es wagte, ihr den Hof zu machen, obwohl ihr Bruder gedroht hatte, jeden zu töten, der ihr vor einer offiziellen Verlobung zu nahe kam. Morvans imposante Statur und sein Waffengeschick sorgten dafür, dass diese Warnung ernst genommen wurde: im Gegensatz zu den anderen Mädchen bei Hofe hatte Christiana keine Verehrer. Immerhin brauchte Morvan sie nicht vor Mitgiftjägern zu beschützen, denn es gab keine Mitgift ... Das schien Stephen jedoch nicht zu stören. Er liebte sie eben, das hatte er oft genug glaubhaft beteuert.
Lady Idonia hatte Christiana und den unerschrockenen Ritter im Bett ertappt, und jetzt wollte der König sein Mündel mit dieser demütigenden Ehe bestrafen. Aber das würde sie nicht hinnehmen! Und der alte Kaufmann würde sie bestimmt auch nicht mehr heiraten wollen, wenn er erfuhr, dass der König ihn nur benutzte.
Christiana und Thomas folgten dem blonden Lehrling, den sie im Laden aus dem Bett geholt hatten und der sich bereit erklärt hatte, sie zum Haus seines Meisters zu bringen. Er führte sie am Rathaus vorbei, blieb vor einem Torbogen stehen und klopfte leise an.
Die schwere Tür wurde von einem Riesen geöffnet, der eine Fackel in der Hand hielt. Christiana hatte noch nie einen so großen und breitschultrigen Mann gesehen, dessen schulterlange weißblonde Haare ein grimmiges Gesicht umrahmten.
»Andrew, bist du das?« Die tiefe Stimme sprach mit schwedischem Akzent. »Was zum Teufel machst du hier? Wenn die Wachposten dich wieder nach der Sperrstunde draußen erwischen ...«
»Diese Herrschaften sind zum Laden gekommen, Sieg. Ich musste ihnen doch den Weg zeigen, oder etwa nicht?« Sieg hielt die Fackel höher, um die späten Besucher besser sehen zu können. »Er erwartet Euch ... allerdings hatte er mir zwei Männer angekündigt«, knurrte er misstrauisch. »Also gut, folgt mir. Ich bringe Euch in den Söller und sage ihm Bescheid, dass Ihr hier seid.«
»Ich begleite Euch nach oben«, flüsterte Thomas Christiana zu. »Falls etwas passieren sollte ...«
»Nein, ich muss das allein erledigen«, widersprach sie. »Mir droht hier keine Gefahr.«
Thomas stieß einen schweren Seufzer aus. »Wie Ihr wollt... Dann warte ich hier auf dem Hof. Beeilt Euch aber bitte – und schreit, falls Ihr Hilfe brauchen solltet.«
Christiana folgte dem Riesen. Sie durchquerten den Hof, betraten eine Halle mit Bänken und Tischen, bogen in einen Seitenflügel ab und stiegen eine schmale Treppe hinauf.
In der ersten Etage öffnete Sieg eine Tür und machte eine einladende Geste. »Ihr könnt hier warten. Master David hat sich schon schlafen gelegt, deshalb wird es wohl eine Weile dauern, bis er bei Euch ist.«
Christiana hob eine Hand, um den Mann zurückzuhalten. »Ich wollte ihn nicht stören. Vielleicht komme ich lieber ein anderes Mal ...«
»Er hat gesagt, dass ich ihn wecken soll, wenn Ihr kommt.«
Dies war bereits das zweite Mal, dass er andeutete, man habe sie erwartet. »Ich glaube, hier liegt ein Irrtum vor ...«, murmelte sie, aber der Riese hatte den Raum schon verlassen.
Sie schaute sich in dem großen Zimmer um. Im Kamin verglühte ein Feuer, und durch die hohen Fenster mit Spitzbögen flutete genug Mondlicht, um die Umrisse schwerer Möbel erkennen zu können. Christiana trat an die Fensterfront heran und betastete die Einfassung aus Blei und die Butzenscheiben. Glas! Teures Glas! Dieser Master David hatte es im Laufe der Jahre offenbar zu großem Wohlstand gebracht.
Das war nicht weiter verwunderlich. Christiana wusste, dass manche Londoner Kaufleute genauso reich wie Lords mit riesigen Ländereien waren und dass einige von ihnen wegen ihrer Reichtümer sogar in den Adelsstand gehoben wurden. Der Londoner Bürgermeister wurde bei Hofe genauso ehrerbietig behandelt wie Mitglieder des Hochadels, und auch die Ratsherren standen in hohem Ansehen. Es ließ sich nicht leugnen – die Londoner Kaufleute genossen viele Privilegien und Freiheiten, waren stolz und einflussreich, weil König Edward auf ihr Geld angewiesen war und sie deshalb genauso oft zu Rate zog wie seine Barone.
Sieg kehrte zurück, schürte das Feuer im Kamin, legte Holzscheite nach, zündete mehrere Kerzen auf einem Tisch an und entfernte sich wieder. Christiana blieb in der dunklen Ecke neben den Fenstern stehen, die etwas Schutz vor neugierigen Blicken bot.
Eine Tür in der Wand neben dem Kamin wurde geöffnet, und ein Mann betrat den Raum. Er sah sich suchend um, erspähte die Silhouette seiner Besucherin und kam einige Schritte auf sie zu.
Im hellen Schein des neu entfachten Kaminfeuers sah Christiana eine große, schlanke Gestalt mit goldbraunen Haaren und markanten Gesichtszügen. Eine Woge von Demütigung schwappte jäh über sie hinweg: sie war am falschen Ort gelandet!
»Mylady?« Die Stimme war ein weicher Bariton – eine angenehme Stimme, der man gern zuhören würde, selbst wenn sie nur Unsinn von sich gab.
Christiana suchte vergeblich nach Worten.
»Habt Ihr etwas für mich?«, fragte er ermutigend.
Vielleicht konnte sie das Haus verlassen, ohne dass dieser Mann erfuhr, wer sie war. »Es ... es tut mir leid«, stammelte sie verlegen. »Wir ... wir haben uns wohl in der Adresse geirrt ...«
»Wen sucht Ihr denn?«
»Master David, den Stoffhändler.«
»Der bin ich.«
»Es ... es muss sich um einen anderen Master David handeln. Mir wurde gesagt, er sei ... er sei viel älter.«
»Es gibt keinen anderen Stoffhändler dieses Namens. Wenn Ihr mir etwas mitgebracht habt ...«
Christiana hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Sie würde Lady Idonia umbringen, die von einem alten Kaufmann gefaselt hatte! Dabei war dieser Master David höchstens dreißig!
Er hatte seinen Satz nicht beendet, und sie begriff, dass auch er jemand anderen erwartet hatte, als er noch etwas näher trat und sie neugierig musterte. »Vielleicht solltet Ihr mir erzählen, warum Ihr mich sucht ...«
Ob jung oder alt – es spielte keine Rolle, entschied Christiana. Sie war jetzt hier und würde ihm ihre Geschichte erzählen. Diesem Mann würde es bestimmt nicht gefallen, vom König zum Narren gehalten zu werden ...
»Mein Name ist Christiana Fitzwaryn.«
Es folgte ein langes Schweigen, in dem nur das Knistern des Feuers zu hören war.
»Ihr hättet mir nur eine Nachricht zukommen lassen müssen, dann wäre ich zu Euch gekommen«, sagte er schließlich. »Mir wurde zu verstehen gegeben, dass die Königin uns morgen im Schloss miteinander bekannt machen wolle.«
Sie hatte also doch den richtigen Master David vor sich, dachte Christiana. »Ich musste mit Euch unter vier Augen sprechen.«
Er legte den Kopf etwas zur Seite. »Dann setzt Euch bitte, Lady Christiana, und erzählt mir, was Ihr auf dem Herzen habt.«
Vor dem Kamin standen drei große Stühle mit Arm- und Rückenlehnen. Christiana wäre am liebsten einfach weggerannt, aber sie biss die Zähne zusammen und nahm auf dem mittleren Stuhl Platz. Er war so hoch, dass ihre Füße in der Luft baumelten, was ihre Unsicherheit verstärkte. Sie fühlte sich ähnlich wie am vergangenen Abend bei der Königin – wie ein unartiges Kind, das ängstlich seine Strafe erwartet. Doch sie musste selbstbewusst auftreten, wenn sie ihr Ziel erreichen wollte. Mit einer trotzigen Geste schob sie die Kapuze ihres weiten Mantels nach hinten.
David de Abyndon rückte den linken Stuhl ein Stück zur Seite und setzte sich ebenfalls hin. Christiana musterte ihn möglichst unauffällig von unten nach oben.
Hohe braune Stiefel aus weichem Leder, lange muskulöse Beine in einer hautengen braunen Hose ... Ihre Blicke schweiften höher, zu einer schönen Männerhand mit schmalen Fingern, die locker auf der Armlehne lagen. Sein rotes Wams war nicht bestickt, aber aus feiner Wolle und sichtlich von einem erstklassigen Schneider angefertigt. Einen Moment lang bewunderte sie den kunstvoll geschnitzten, mit Vögeln und Weinranken verzierten Lehnstuhl, bevor sie ihren ganzen Mut zusammennahm und das Gesicht des Mannes betrachtete, den sie gegen ihren Willen heiraten sollte.
Seine dunkelblauen Augen hatten die Farbe von Lapislazuli und einen Ausdruck, den Christiana nicht deuten konnte. War es Belustigung, Neugier oder Langeweile, die in diesen leicht verschleierten Augen geschrieben stand? Alle Gesichtsknochen waren perfekt geformt und angeordnet, wie gemeißelt, so als hätte ein Steinmetz sein Bestes gegeben, um ein Meisterwerk zu vollbringen. Die gerade Nase war schmal, der Mund sinnlich, mit vollen Lippen, die Stirn hoch und breit. Schläfen und Wangen wurden von goldbraunen Haaren umrahmt, die etwas kürzer waren als es der neuesten Mode entsprach – sie reichten nur knapp bis zum Hemdkragen.
David de Abyndon, Londoner Kaufmann und Zunftmeister, sah sehr gut aus, das musste Christiana widerwillig zugeben. Das Einzige, was sie störte, war die harte Kinnpartie, die darauf hindeutete, dass mit ihm nicht zu spaßen war ...
Sie durfte einen Fremden nicht so anstarren, rief Christiana sich energisch zur Ordnung. Das gab ihm allerdings noch lange nicht das Recht, sie seinerseits nicht aus den Augen zu lassen. Er war älter und müsste sich deshalb besser beherrschen können.
»Wollt Ihr Euren Mantel nicht ablegen? Hier ist es sehr warm«, schlug er ruhig vor.
Die bloße Vorstellung entsetzte Christiana. Ohne ihr weites Cape würde sie sich wie nackt vorkommen! Unwillkürlich raffte sie den dicken Stoff über der Brust noch fester zusammen.
Ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht, was sie ärgerte.
»Mir ... mir wurde gesagt ...« – sie räusperte sich kräftig – »Mir wurde gesagt, Ihr wärt ...«
»Viel älter«, ergänzte er schmunzelnd.
»Ja.«
»Zweifellos hat jemand mich mit meinem toten Lehrmeister und Partner David Constantyn verwechselt, dem das Geschäft früher gehörte.«
»Ja, so muss es gewesen sein ...«
Christiana wusste wieder nicht weiter. Das Schweigen zog sich in die Länge. Dieser Kaufmann strahlte eine unerwartete Ruhe und Würde aus, und das brachte sie aus der Fassung. Aber sie war hergekommen, um mit ihm zu reden, und er wartete geduldig darauf, dass sie endlich zur Sache kam.
»Ich ... ich muss etwas sehr Wichtiges mit Euch besprechen.«
»Das freut mich.«
Sie sah ihn verwirrt an. »Wie bitte?«
»Es freut mich zu hören, dass es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt, denn ich fände es höchst unvernünftig, wenn eine junge Dame wegen irgendeiner Nichtigkeit Nachts in London unterwegs wäre.«
Christiana war sich nicht sicher, ob er sie nur necken wollte, oder ob seine Bemerkung einen leichten Tadel enthielt.
»Ich bin nicht allein hier«, erwiderte sie schroff. »Im Hof wartet ein Ritter auf mich.«
»Nett von ihm, Euch zu begleiten.«
Dieses Mal war der tadelnde Ton nicht zu überhören, und sie fand den Mann plötzlich sehr unsympathisch. Wie konnte er sich anmaßen, sie zu kritisieren? Er hatte etwas Stolzes und Unnahbares an sich, und damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte einen alten Mann erwartet, der sie wegen des Standesunter- schieds ehrerbietig behandeln würde, doch diesem jungen Kerl fehlte es entschieden an der nötigen Ehrerbietung!
»Master David, ich bin hier, um Euch zu bitten, Euren Heiratsantrag zurückzuziehen«, sagte sie energisch.
Er lehnte sich bequem im Stuhl zurück und legte ein langes, muskulöses Bein über das andere. Wieder spielte ein schwaches Lächeln um seine Mundwinkel, doch seine Augen blieben unergründlich.
»Warum sollte ich das tun, Mylady?«
Er schien weder überrascht noch verärgert zu sein, und sie schöpfte neue Hoffnung. Vielleicht würde dieses Gespräch doch noch wie erhofft verlaufen ...
»Master David, ich bin mir sicher, dass Ihr wirklich der ehrenwerte Mann seid, für den der König Euch hält. Aber er hat Euren Antrag ohne meine Zustimmung angenommen.«
David legte den Kopf leicht zur Seite. »Und?«
»Und?«, wiederholte sie verwirrt.
»Mylady, das mag für Euch ein ausgezeichneter Grund sein, diese Eheschließung abzulehnen. Teilt dem König oder dem Bischof mit, dass Ihr mich nicht heiraten wollt. Warum sollte ich die Initiative ergreifen?«
»So einfach ist diese Sache nicht ... Vielleicht wäre sie es unter Euresgleichen, aber ich bin ein Mündel des Königs, und wenn ich mich ihm widersetze ...«
»Am Traualtar wird keine Frau zum Jawort gezwungen, selbst wenn ein König diese Ehe für wünschenswert hält. Ich hingegen sehe nicht den geringsten Grund für einen Rückzieher.«
Seine Gelassenheit reizte Christiana. »Also gut, dann muss ich wohl deutlicher werden, um Euch diesen Grund zu liefern. Ich kann Euch nicht heiraten, weil ich einen anderen Mann liebe.«
David zuckte nicht einmal mit der Wimper, so als hätte sie ihm nur anvertraut, dass ihr Bein durch eine Warze verunziert sei!
»Für Euch ist das natürlich ein guter Grund, mich nicht heiraten zu wollen, Christiana, aber ich kann nur wiederholen – es ist nicht meine Angelegenheit.«
Sie war fassungslos. Besaß dieser Mann denn keinen Stolz? Kein Herz? »Ihr könnt Euch doch keine Frau wünschen, die einen anderen Mann liebt?«, brach es aus ihr heraus.
»Warum nicht? Das ist in England gang und gäbe. Die meisten Ehen werden unter solchen Umständen geschlossen, und auf lange Sicht spielt es keine große Rolle.«
Du lieber Himmel, dachte Christiana, sie hatte es mit einem Anhänger von Vernunftehen zu tun! Aber was konnte man von einem Kaufmann auch anderes erwarten?
»Vielleicht spielt es unter Euresgleichen keine Rolle«, fauchte sie erbittert, »doch ich finde, dass man eine Ehe nur aus Liebe schließen sollte.«
»Jetzt habt Ihr das schon zum zweiten Mal gesagt, Mylady. Tut es bitte nicht wieder.« Seine Stimme war immer noch ruhig, die Miene ausdruckslos, und doch hörten seine Worte sich wie ein Befehl an.
»Was habe ich gesagt?«
»Ihr habt zweimal den Ausdruck Euresgleichen benutzt.«
»Das hatte überhaupt nichts zu bedeuten.«
»O doch, es hat sehr viel zu bedeuten, aber darüber werden wir uns ein anderes Mal unterhalten.«
Er hatte sie mit seinem Tadel von ihrem Thema abgelenkt, und sie hatte den Faden verloren, doch er half ihr bereitwillig auf die Sprünge.
»Mylady, ich bin mir sicher, dass jedes junge Mädchen glaubt, unbedingt jenen Mann heiraten zu müssen, in den es verliebt ist. Aber Gefühle sind oft von kurzer Dauer, während eine Ehe lange währt. Auch Ihr werdet über diese Enttäuschung hinwegkommen und mit dem Leben an meiner Seite zufrieden sein.«
Er redete mit ihr, als wäre sie ein unvernünftiges kleines Kind, so nüchtern, als diskutierten sie über die Verschiffung von Wolle. Es war ein Irrtum von ihr gewesen zu glauben, sie könnte seine Teilnahme wecken. Als Händler sah er das ganze Leben wohl nur als riesiges Hauptbuch mit Spalten für Ausgaben und Einnahmen an!
Nun, dann musste sie ihm eben klarmachen, dass diese Heirat für ihn eine erhebliche Einbuße an Stolz mit sich brächte ...
»Das ist keine flüchtige Verliebtheit, Master David«, sagte sie hoheitsvoll, »und ich bin kein törichtes kleines Mädchen. Ich habe diesem Mann Treue geschworen.«
»Seid Ihr heimlich mit ihm verlobt?«
Christiana wünschte sich verzweifelt, dass es so wäre, doch wenn sie Master David eine Lüge auftischte, könnte das öffentliche Konsequenzen nach sich ziehen, und dazu fehlte ihr der Mut. »Nicht direkt ...«, murmelte sie ausweichend.
»Hat dieser Mann um Eure Hand angehalten?«, fragte er unerbittlich.
»Seine Familie hat ihn nach Hause beordert, bevor er es tun konnte.«
»Dann ist er also ein Junge, der sich von seiner Familie herumkommandieren lässt?«
»Einem Mann wie Euch mag der Zusammenhalt einer Familie unwichtig erscheinen«, entgegnete sie scharf, »aber er entstammt einer sehr mächtigen Familie im Norden Englands, und bei solchen Menschen sind die Blutsbande eben besonders stark ausgeprägt. Trotzdem bin ich sicher, dass er sofort an den Hof zurückeilen wird, wenn er von den absurden Plänen des Königs erfährt.«
»Wenn ich Euch richtig verstehe, Christiana, so heißt das, dass dieser Mann gesagt hat, er wolle Euch heiraten, dann aber abgereist ist, ohne die Angelegenheit geregelt zu haben.«
Bedauerlicherweise entsprach das den Tatsachen. »Ja«, gab sie widerwillig zu.
Er lächelte wieder. »Aha!«
Dieses vielsagende Aha brachte Christiana so in Wut, dass sie ihr Schamgefühl vergaß. »Master David, offenbar muss ich deutlicher werden, als mir lieb ist. Ich habe mich diesem Mann hingegeben!«
Seine Reaktion fiel enttäuschend schwach aus. Er legte nur den Kopf etwas zurück und betrachtete sie unter halb gesenkten Lidern hervor. »Vielleicht solltet Ihr noch deutlicher werden, Mylady. Was versteht Ihr unter Hingabe?«
Christiana hob erbittert die Hände. »Wir haben miteinander geschlafen – ist das jetzt deutlich genug? Wir wurden zusammen im Bett ertappt. Euer Heiratsantrag wurde nur deshalb angenommen, weil die Königin einen Skandal vermeiden und meinen Bruder daran hindern wollte, eine Ehe zu erzwingen, die der Familie meines Geliebten nicht wünschenswert erscheint.«
Sie glaubte, ein zorniges Funkeln in seinen schmalen Augenschlitzen zu sehen. »Ihr wurdet zusammen im Bett ertappt, und dieser Mann hat sich daraufhin einfach aus dem Staub gemacht und Euch Eurem Schicksal überlassen? Bewundernswert, dass Ihr diesem Ritter ohne Furcht und Tadel trotzdem die Treue halten wollt!«
Seine sarkastische Bemerkung über Stephens Charakter war wie ein Schlag ins Gesicht. »Ein Mann wie Ihr sollte es nicht wagen ...«
»Ihr tut es schon wieder«, fiel David ihr ins Wort.
»Was?«
»Den Ausdruck ein Mann wie Ihr schätze ich genauso wenig wie Euresgleichen, und Ihr solltet ihn in Zukunft vermeiden.« Nach kurzem Schweigen fragte er: »Wie heißt Euer Geliebter?«
»Das darf niemand wissen«, sagte Christiana steif. »Mein Bruder würde ... Außerdem geht es Euch überhaupt nichts an.«
David stand geschmeidig auf, trat dicht an den Kamin heran und blickte in die Flammen. Er war groß – nicht ganz so groß wie Morvan, aber größer als die meisten Männer, und sein Wams brachte die breiten Schultern und den muskulösen Oberkörper wirksam zur Geltung. Ein gewöhnlicher Kaufmann dürfte nicht so attraktiv aussehen, dachte Christiana. Die wenigen Kaufleute, die sie bisher kennen gelernt hatte, waren entweder dürr oder aber übergewichtig gewesen.
»Seid Ihr schwanger?«, fragte David unerwartet.
Diese Möglichkeit war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen – aber vielleicht der Königin ... Woher sollte sie wissen, ob sie ein Kind von Stephen erwartete oder nicht?
David drehte sich um und bemerkte ihre ratlose Miene. »Sind Euch die Anzeichen einer Schwangerschaft denn nicht bekannt?«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Hattet Ihr Eure Monatsblutung, seit Ihr zuletzt mit ihm zusammen wart?«
Christiana nickte errötend. Sie hatte ihre Periode gerade heute bekommen.
»Dann seid Ihr nicht schwanger«, kommentierte er ruhig und schaute wieder in die Flammen.
Sie fragte sich, woran er denken mochte, während er die Feuerzungen betrachtete. Falls er wirklich die Seele eines Kaufmanns hatte, müsste es ihm eigentlich davor grauen, eine gebrauchte Ware zu erwerben ...
Sein anhaltendes Schweigen ging ihr so auf die Nerven, dass sie schließlich herausplatzte: »Werdet Ihr zum König gehen und Euren Heiratsantrag rückgängig machen?«
David warf ihr über die Schulter hinweg einen flüchtigen Blick zu. »Nein.«
»Nein?«, murmelte sie erschüttert.
»Junge Mädchen irren sich sehr oft«, erklärte er.
»Ich irre mich nicht!«, widersprach Christiana wütend. »Wollt Ihr denn unbedingt zum öffentlichen Gespött werden? Mein Geliebter wird zurückkommen, um mich zu holen, wenn nicht schon vor der erzwungenen Verlobung mit Euch, so jedenfalls vor der Hochzeit. Und wenn er kommt, werde ich mit ihm gehen, wohin er will.«
Er schaute sie nicht an, aber seine tiefe Stimme hallte in ihren Ohren wider. »Und Ihr glaubt, dass ich Euch so einfach gehen lasse?«
»Ihr werdet mich nicht aufhalten können. Er ist ein Ritter, ein meisterhafter Kämpfer ...«
»Es gibt auf dieser Welt wirksamere Waffen als die aus Stahl, Christiana.« David wandte sich ihr zu. »Wie schon gesagt – es steht Euch frei, zum Bischof zu gehen und zu erklären, dass Ihr mit dieser Ehe nicht einverstanden seid. Aber ich für meine Person werde keinen Rückzieher machen.«
»Ein ehrenwerter Mann würde nicht von mir erwarten, den Zorn des Königs zu erregen«, sagte sie verbittert.
»Ein ehrenwerter Mann ruiniert aber auch nicht den guten Ruf eines Mädchens«, konterte David. »Es wird dem König missfallen, wenn ich meinen Antrag rückgängig mache, und ich möchte ihn nicht verärgern. Folglich müsste ich ihm einen einleuchtenden Grund für mein plötzliches Umdenken nennen. Ist es wirklich Euer Wunsch, dass ich Euer Geheimnis preisgebe – dass ich sage, ich wolle Euch nicht heiraten, weil Ihr keine Jungfrau mehr seid?«
Christiana senkte die Lider. Die Panik und Verzweiflung des vergangenen Tages drohte sie wieder zu überwältigen.
David de Abyndon stand plötzlich dicht vor ihr und hob mit kräftigen, aber sanften Fingern ihr Kinn an, sodass sie gezwungen war, in sein attraktives Gesicht zu schauen. Es kam ihr so vor, als könnten seine blauen Augen in ihrem Geist und ihrer Seele lesen. Sie fühlte sich von diesen Augen wie hypnotisiert, sie spürte den leichten Druck seiner Finger, und als er mit dem Daumen über ihre Wange strich, lief ihr ein heißer Schauer über den Rücken.
»Sollte Euer Geliebter vor unserer Hochzeit zurückkommen und Euch seinerseits heiraten wollen, gebe ich Euch frei, selbst wenn wir schon verlobt sein sollten«, sagte er mit seiner betörend weichen Stimme. »Aber ich muss Euch warnen, Christiana – ich kenne die Männer, und ich glaube nicht, dass er sich Euretwegen mit seiner Familie entzweien wird.«
»Ihr kennt ihn nicht!«
»Das stimmt, und ich bin noch nicht so alt, dass mich nichts mehr überraschen könnte.« David lächelte, und zum ersten Mal war es kein ironisches, sondern ein wirklich freundliches Lächeln. Er ließ seine Hand sinken, aber die Haut an ihrem Kinn prickelte weiter, so als berührten seine warmen Finger sie immer noch.
Christiana stand auf. »Ich muss gehen. Mein Begleiter wird bestimmt schon ungeduldig warten.«
Er folgte ihr zur Tür. »Ich werde Euch in den nächsten Tagen besuchen.«
Ihr wurde noch schwerer ums Herz. Er wollte nicht auf diese Farce einer Verlobung verzichten, und sie konnte ihn nicht dazu zwingen. Aber sie hatte nicht die Absicht, ihn häufiger als unbedingt notwendig zu sehen.
»Bitte tut das nicht. Es wäre sinnlos.« Sie eilte vor ihm die Treppe hinab und durchquerte mit großen Schritten die Halle.
»Wie Ihr wollt, Christiana«, sagte er ruhig und hielt ihr höflich die Tür auf.
Christiana erspähte Thomas auf dem Hof und lief ihm entgegen. Dabei spürte sie, dass David sie von der Schwelle aus beobachtete.
»Nun, ist Euer Gespräch erfolgreich verlaufen?«, erkundigte sich der junge Ritter, während sie zum Tor gingen.
»Ja«, schwindelte sie. Thomas wusste noch nichts von der geplanten Verlobung, und sie hatte inbrünstig gehofft, Master David vor der öffentlichen Bekanntmachung umstimmen zu können. Sein Starrsinn zwang sie, sich irgendeine neue Strategie einfallen zu lassen, um diese absurde Verlobung – oder wenigstens die Hochzeit – doch noch irgendwie abzuwenden.
David beobachtete, wie sie den Hof überquerte, und bewunderte ihren anmutigen Gang. Er nahm ihre Bewegungen wie in Zeitlupe wahr und hörte alle Geräusche wie aus weiter Ferne. Es war ein gespenstisches Gefühl, so als wäre er plötzlich durch einen dichten Schleier von der Außenwelt getrennt. Im Laufe seines Lebens hatte er diese seltsame Entrückung schon mehrere Male erlebt, und deshalb kämpfte er nicht dagegen an. Sie bedeutete immer, dass irgendetwas Wichtiges vor sich ging oder dicht bevorstand. Das Rad des Schicksals wurde langsam in Gang gesetzt und kam dann allmählich ins Rollen ... Im Gegensatz zu den meisten Menschen fürchtete David sich nicht vor der unberechenbaren Schicksalsgöttin, denn bis jetzt hatte sie es meistens gut mit ihm gemeint.
Christiana Fitzwaryn von Harclow ... Die Höhlen von Harclow ... Würde die Göttin ihm auch dieses Mal gnädig gesonnen sein?
Das Tor fiel hinter dem Mädchen und seinem ritterlichen Begleiter zu, und dieses Geräusch drang wieder mit voller Lautstärke an seine Ohren. Mit klarem Kopf überlegte er ganz nüchtern, welche Auswirkungen Christianas Besuch auf sein Leben haben könnten.
Er hatte Verständnis für den Wunsch des Königs, die Bezahlung für die exklusive Handelslizenz, die David erwerben wollte, geheim zu halten. Wenn ihre Abmachung bekannt würde, hätten andere Kaufleute allen Grund zu Neid, und das würde erheblichen Unfrieden stiften. David hatte selbst mehrere Möglichkeiten vorgeschlagen, wie man das Geschäft kaschieren könnte, wenn er in Raten bezahlte, doch der König brauchte dringend Geld, um seinen Krieg gegen Frankreich zu finanzieren, und bestand deshalb auf der Gesamtsumme. Es war Edwards Einfall gewesen, David mit einer Adligen zu verheiraten und zu behaupten, der Kaufmann hätte einen enormen Brautpreis für diese hohe Ehre geboten. David war von der Idee, sein gemütliches Junggesellendasein aufzugeben, nicht gerade begeistert, aber ihm lag sehr viel an der Handelslizenz, und deshalb stimmte er schließlich zu. Was ihm am meisten Kopfzerbrechen bereitete, war die Möglichkeit, dass das Mädchen ihm nicht gefallen könnte. Eine Katze im Sack zu kaufen war sonst nicht seine Gewohnheit!
Jetzt tauchte ihr Bild vor seinem geistigen Auge auf: die schwarzen Haare, die helle Haut, das liebliche Gesicht. Ihre dunklen Augen funkelten wie schwarze Diamanten. Sie war nicht klein, wirkte aber zart, fast zerbrechlich. Er hatte unwillkürlich den Atem angehalten, als er sie im Feuerschein betrachtete – das passierte ihm sonst nur, wenn er irgendwo einen besonders schönen Gegenstand oder eine besonders reizvolle Landschaft sah.
Ihr Besuch hatte unerwartete Komplikationen angekündigt, doch gleichzeitig ein Problem aus der Welt geschaffen: David wusste jetzt, dass Christiana Fitzwaryn ihm als Ehefrau sehr gut gefallen würde.
Als der König ihm mitteilte, er habe die Tochter von Hugh Fitzwaryn zur Braut auserkoren, hatte David ihn darauf hingewiesen, dieser Standesunterschied sei in den Augen der Gesellschaft durch nichts zu überbrücken. Die Fitzwaryns waren ein altes Adelsgeschlecht und würden es zu Recht als Demütigung empfinden, wenn Christiana einen Kaufmann heiraten müsste.
Edward hatte diese Einwände einfach beiseite gefegt. Wir werden sagen, Ihr hättet sie gesehen, Euch auf den ersten Blick leidenschaftlich in sie verliebt und mir ein Vermögen bezahlt, um sie zu bekommen. Nun, jetzt wusste David, warum die Wahl des Königs ausgerechnet auf Christiana gefallen war: ein möglicher Skandal wegen ihres Geliebten sollte im Keime erstickt werden.
Es freute ihn, jetzt die Wahrheit zu wissen, denn er schätzte es gar nicht, wie eine Schachfigur herumgeschoben zu werden. Normalerweise war er der Spieler, der sich jeden Zug sorgfältig überlegte.
David ging über den Hof zu Sieg hinüber.
»Na, ist alles erledigt?«, fragte der Schwede.
»Das waren nicht die Leute, die wir erwartet hatten.«
»Was?«
David lachte. »Geh schlafen. Ich bezweifle, dass sie heute Nacht noch kommen werden.«
»Hoffentlich nicht! Wir haben hier neuerdings schon zu viele nächtliche Besucher.« Nach kurzem Schweigen fügte Sieg hinzu: »Was ist mit Lady Alicias Wächter?«
David warf einen Blick auf den Seitenflügel, an dessen Ende schwaches Kerzenlicht durch ein Fenster schimmerte. »Ich werde sie später zu ihm bringen.«
Er wandte sich zum Gehen, blieb dann aber wieder stehen. »Sieg, ich möchte, dass du morgen für mich den Namen eines Mannes auskundschaftest. Er ist ein Ritter, und seine Familie ist im Norden ansässig. Es handelt sich um eine mächtige Familie.«
»Das sind nicht gerade viele Anhaltspunkte ... Es gibt Dutzende ...«
»Dieser Ritter hat Westminster erst vor kurzem verlassen. Ich vermute, gestern oder vorgestern.«
»Das macht die Suche leichter.«
»Ich will wissen, wie er heißt, Sieg. Und bring auch sonst alles über ihn in Erfahrung, was du kannst.«
Christiana verbrachte eine schlaflose Nacht. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere und überlegte verzweifelt, wie sie sich retten könnte. Gegen Morgen hatte sie immer noch keinen anderen Ausweg gefunden als Stephen zu schreiben, einen königlichen Kurier zu bestechen, ihren Brief nach Norden zu bringen, und zu hoffen, dass dieser Kurier sich beeilte. Doch die Verlobung sollte schon in einer Woche stattfinden, und so schnell würde Stephen unmöglich bei ihr sein können.
Sie kam nicht umhin, mit dem König zu sprechen. Ohne sich direkt zu weigern, den Kaufmann zu heiraten, würde sie ihrem Vormund doch sagen, dass sie über seine Entscheidung alles andere als glücklich sei. Vielleicht würde sie ihn zu einem Aufschub der Verlobung bewegen können ...
Christiana nahm ihren ganzen Mut zusammen, verließ die Gemächer, die sie unter Lady Idonias Adleraugen mit Isabele und Joan teilte, und ging durch lange Schlosskorridore zu dem Raum, wo der König Bittsteller zu empfangen pflegte. Das Vorzimmer war schon überfüllt. Sie nannte ihren Namen einem Schreiber, der an der Tür saß, und hoffte, dass man sie bevorzugt behandeln und nicht allzu lange warten lassen würde.
Lange Bänke standen an einer Wand, und ein älterer Ritter stand höflich auf und machte ihr Platz. Während sie dasaß, umringt von Leuten, die stehen mussten, legte sie sich im Geist die richtigen Formulierungen für ihr Anliegen zurecht. Die Tür des Vorzimmers wurde wieder geöffnet, ein Page trat ein, gefolgt von ihrem Bruder Morvan, dessen dunkler Kopf gleich darauf im Empfangssaal verschwand.
Der König wollte ihn zweifellos über Christianas geplante Hochzeit mit einem Kaufmann informieren. Wie würde ihr stolzer Bruder auf diese Neuigkeit reagieren?
Sie brauchte nicht lange auf eine Antwort zu warten. Wenige Minuten später hörte man durch die geschlossene Tür ein lautes Wettern, und es war unverkennbar die Stimme des Königs, der vermutlich seinem Ärger über Morvans Proteste Luft machte. Morvan selbst brüllte nie – wenn er außer sich vor Zorn war, erstarrte er stattdessen zu Eis, was auf die meisten Menschen noch bedrohlicher als ein Wutanfall wirkte.
Christiana beschloss zu verschwinden. Wenn ihr Bruder den König verstimmt hatte, würde Edward ihren eigenen Einwänden mit Sicherheit kein Gehör schenken, und sie wollte auch nicht, dass Morvan sie hier sitzen sah.
Sie stand gerade auf, als ihr Bruder aus dem Empfangssaal stürmte. Seine schwarzen Augen funkelten, und sein Gesicht war eine Maske kalter Wut. Wie ein Mann, der sich für eine Schlacht rüstet, durchquerte er mit Riesenschritten das Vorzimmer und warf geräuschvoll die Tür zu.
Christiana traute sich nicht, ihm zu folgen. Vielleicht würde er auf dem Korridor stehen bleiben, um Luft zu schöpfen, und sie legte keinen Wert darauf, ihm in seiner derzeitigen Stimmung in die Arme zu laufen.
Was sollte sie nur machen? Wie ein gehetztes Reh sah sie sich im Vorzimmer um, und dabei fiel ihr Blick auf die schmale Tür in einer Seitenwand. Sie wusste, dass dahinter ein Korridor zu Edwards Privatgemächern führte und dass es außerdem eine Treppe ins Freie gab, über die geheime Gäste, Diplomaten und manchmal auch Frauen unbemerkt zum König gelangen konnten. Wer sich dort unerlaubt aufhielt, musste mit erheblichem Ärger rechnen. Nicht einmal die Königin benutzte diesen Korridor.
Christiana schob sich durch die Menge. In ihrer Verzweiflung beschloss sie, das Risiko einzugehen. Sie öffnete die kleine Tür einen Spalt weit und huschte hindurch, ohne dass es jemandem auffiel. Weil der Korridor an der äußeren Schlossmauer lag, fiel durch hohe Fenster in schmalen Alkoven helles Tageslicht ein. Sie eilte ihn mit lautem Herzklopfen entlang.
Als irgendwo hinter ihr eine Tür ins Schloss fiel, flüchtete sie hastig in einen der Alkoven, presste sich in die Ecke und betete inbrünstig, dass Wer-auch- immer-es-sein mochte in die andere Richtung – auf die Außentreppe zu – gehen würde. Die Schritte entfernten sich tatsächlich, und sie stieß einen erleichterten Seufzer aus.
Doch im nächsten Moment näherten sich zu ihrem Entsetzen andere Schritte und versperrten ihr den Fluchtweg. Sie drückte sich noch tiefer in die Ecke, biss die Zähne zusammen und rechnete damit, jede Sekunde entdeckt zu werden.
Ein ziemlich kleiner Mann mittleren Alters, mit grauem Haar und Bart, in der prächtigen Kleidung eines Diplomaten, passierte ihr Versteck, ohne sie zu bemerken, weil seine ganze Aufmerksamkeit offenbar dem Mann galt, der nach ihr auf den Korridor getreten war und sich dann in Richtung der Treppe entfernte.
»Pardon! Attendez!«, rief der Diplomat halblaut, und der Unbekannte blieb stehen.
Die beiden Männer unterhielten sich leise, doch Christiana spitzte die Ohren und konnte fast jedes Wort verstehen. Sie sprachen das elegante Pariser Französisch, das sie von ihren Lehrern gelernt hatte, während die meisten englischen Höflinge einen grässlichen Akzent hatten, wenn sie diese Sprache benutzen mussten.
»Wenn Ihr hier erwischt werdet, werdet Ihr große Probleme bekommen«, sagte der Mann, den Christiana nicht gesehen hatte.
»Dieses Risiko ließ sich leider nicht vermeiden. Ich muss wissen, ob es stimmt, was ich über Euch gehört habe.«
»Was habt Ihr denn gehört?«
»Dass Ihr uns helfen könnt.«
»Dann seid Ihr bestimmt an den falschen Mann geraten.«
»Das glaube ich nicht. Ich bin Euch hierher gefolgt. Ihr habt Zutritt zum König – genau wie man mir berichtet hatte.«
»Wenn Ihr das wollt, was ich glaube, seid Ihr trotzdem an den falschen Mann geraten.«
»Hört mich wenigstens an.«
»Nein.«
Christiana hörte Schritte, die sich entfernten. Die Stimmen wurden noch leiser.
»Es würde sich für Euch lohnen.«
»Ihr könnt mir nichts bieten, was ich haben möchte.«
»Woher wollt Ihr das wissen, wenn Ihr mich nicht anhört?«
»Ihr seid ein Narr, mich hier anzusprechen, und ich verhandle nie mit Narren!«
Als die Stimmen auf der Außentreppe verklangen, hob Christiana ihre Röcke an und rannte durch die Korridore in ihr Zimmer. .
Sie saß auf ihrem Bett in Isabeles Vorzimmer und grübelte, ob sie den König in den nächsten Tagen aufsuchen sollte oder nicht, als Morvan ohne anzuklopfen eintrat, immer noch außer sich vor Wut über seine Unterredung mit Edward.
Er lief im Zimmer hin und her und machte keinen Hehl aus seinem Zorn. Christiana hatte ihn selten so erregt erlebt, und ihr war klar, dass sie ihn jetzt beruhigen und von unbedachten Handlungen abhalten musste. Dabei plagten sie heftige Gewissensbisse, denn im Gegensatz zu ihrem Bruder wusste sie ja, dass alles ihre eigene Schuld war. Morvan hingegen machte nur den König und den unverschämten Kaufmann für diese Katastrophe verantwortlich.
»Dieser Stoffhändler besaß nicht einmal den Anstand, zunächst mit mir zu sprechen!«, tobte Morvan mit funkelnden schwarzen Augen. »Er hat sich direkt an den König gewandt! Diese verdammten Kaufleute maßen sich immer mehr an! Es ist unerhört – einfach unerhört!«
»Vielleicht kennt er sich einfach nicht mit den in unseren Kreisen üblichen Anstandsregeln aus«, wandte Christiana begütigend ein. Sie mussten gemeinsam nach einem Ausweg suchen, aber im Augenblick schien ihr sonst so besonnener Bruder keinen klaren Gedanken fassen zu können.
»Diese Regeln gelten für jeden Stand, Schwester. Hätte er um die Hand der Tochter eines Kürschners angehalten, wäre er doch auch nicht zum Bürgermeister gegangen!«
»Wie auch immer – der König hat seinen Antrag angenommen. Daran können wir nichts ändern.«
»Ja, Edward hat zugestimmt ...« Morvan hielt in seinem rastlosen Auf und Ab inne, blieb vor dem Kamin stehen und starrte ins Feuer. »Das ist ein schlechtes Omen, Christiana, denn es bedeutet, dass der König sein Versprechen wirklich vergessen hat.«
Er hörte sich so deprimiert an, dass sie ihre eigenen Sorgen und Enttäuschungen vergaß, aufsprang und ihn umarmte. Völlig mit sich selbst, ihrem Kummer und verletzten Stolz beschäftigt, hatte sie bis jetzt keinen Gedanken an sonstige Auswirkungen dieser erzwungenen Ehe verloren.
Vage Erinnerungen an ein anderes Leben wurden plötzlich wieder wach: Erinnerungen an Harclow, an eine glückliche frühe Kindheit. Dann Bilder von Krieg und Tod. Nagender Hunger und ständige Furcht während der Belagerung. Wirklich deutlich hatte sich ihr nur die letzte Szene des Dramas eingeprägt: der erst zehnjährige Morvan schritt tapfer durch das Burgtor und ergab sich dem Feind, obwohl er damit rechnen musste, getötet zu werden. Doch der schottische Lord hatte den Knaben verschont, und Christiana glaubte felsenfest, dass Gott dieses Wunder bewirkt hatte, damit sie nicht ganz allein auf der Welt zurückblieb.
Als sie aus Harclow geflüchtet, beim jungen König Zuflucht gesucht und ihm berichtet hatten, ihr Vater sei tot und der Familienbesitz erobert worden, bereute Edward zutiefst, keine Verstärkung geschickt zu haben. Hugh Fitzwaryn war einer seiner besten Freunde gewesen und hatte Englands Interessen an der Grenze zu Schottland stets mutig verteidigt. Damals hatte der König vor Morvan, Christiana und ihrer im Sterben liegenden Mutter geschworen, seinen Freund zu rächen und dafür zu sorgen, dass Harclow wieder den Fitzwaryns gehörte.
Seitdem waren elf Jahre vergangen. Morvan hatte immer gehofft, sobald er zum Ritter geschlagen sei, werde der König sein Versprechen erfüllen. Doch dieser Ritterschlag lag nun schon zwei Jahre zurück, und es zeigte sich immer deutlicher, dass Edward keinen größeren Feldzug im Norden des Landes plante. Seine ganze Aufmerksamkeit galt vielmehr dem Krieg gegen Frankreich.
Und dass er jetzt Christiana einem Kaufmann zur Frau geben wollte, bedeutete in der Tat, dass er nicht die Absicht hatte, Morvan jemals zu helfen, Harclow zurückzuerobern. Die alte Adelsfamilie der Fitzwaryns würde in der nächsten Generation völlig bedeutungslos sein ...
Kein Wunder, dass die Percys eine Ehe ihres Sohnes mit der mittellosen Christiana verhindern wollten! Doch Stephens Liebe zu ihr würde stärker sein als solche kleinlichen Erwägungen politischer und finanzieller Vorteile. Er würde sie heiraten, und sobald verwandtschaftliche Bande zwischen den beiden Familien bestanden, würden die mächtigen Percys ihren Bruder bestimmt auch in seinem gerechten Kampf unterstützen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund war sie so empfänglich für Stephens Liebeswerben gewesen. Die Wiederherstellung der Familienehre durfte nicht allein auf Morvans Schultern ruhen. Es war ihre Pflicht, durch eine geeignete Ehe wertvolle Verbündete zu gewinnen.
Morvan befreite sich aus ihrer Umarmung. »Der König sagte, die Verlobung solle schon am Samstag stattfinden. Ich kann diese Eile nicht verstehen.«
Christiana konnte ihrem strengen älteren Bruder nicht anvertrauen, dass auf diese Weise eine Einmischung ihres Geliebten ins Geschehen verhindert werden sollte. Wenn Morvan erführe, was geschehen war, würde er Stephen zweifellos zum Duell fordern. Und König Edward wollte keinen Ärger mit den Percys riskieren.
Alle Versuche, Morvan zu beruhigen, schlugen fehl. Er verließ das Zimmer genauso zornig, wie er gekommen war. »Mach dir keine Sorgen, Schwester«, schwor er. »Ich werde diesen Kaufmann zur Vernunft bringen.«
David stand in seiner Ladentür und schaute zu, wie seine jungen Lehrlinge Michael und Roger die in Musselin verpackten Seidenballen und Pelze zur Transportkutsche trugen, einem langen Gefährt mit Platz für Waren im hinteren Teil, Sitzen für die Damen und Seitenfenstern. Prinzessin Isabele saß an einem dieser Fenster.
Dass sie zusammen mit Lady Joan und Lady Idonia heute in sein Geschäft gekommen war, amüsierte ihn, während es seine Lehrlinge gewaltig beeindruckte. Angeblich wollten die Damen Stoffe und Zubehör für die Kleidungsstücke aussuchen, die Isabele bei Christianas Hochzeit tragen würde, doch die Prinzessin hatte bisher nicht zu seinen Kundinnen gehört. Die Kunde von der baldigen Verlobung hatte wohl inzwischen in Westminster die Runde gemacht, und David wusste, dass es Christianas Freundinnen in Wirklichkeit nur darum ging, ihn in Augenschein zu nehmen.
Um ein Haar hätten sie sich die Mühe vergeblich gemacht, denn er war erst im Laden aufgetaucht, als sie alle Einkäufe bereits getätigt hatten. Mittlerweile konnte er es sich leisten, die Kundenbetreuung weitgehend Andrew zu überlassen, während er selbst andere – wichtigere – Angelegenheiten erledigte. Schmunzelnd erinnerte David sich an Lady Idonias Entsetzen beim Anblick des riesigen Schweden, der ihn begleitete. Die winzige Anstandsdame hatte sich zwischen Isabele und Sieg gestellt, so als befürchtete sie, dass der Wikinger die Prinzessin an Ort und Stelle vergewaltigen würde.
Die Lehrlinge verstauten die letzten Pakete in der Kutsche, die sich gleich darauf – umringt von fünf berittenen Wachposten – in Bewegung setzte.
Viele Gaffer säumten die Straße, was nicht verwunderlich war, denn schließlich bekamen sie nicht alle Tage eine Prinzessin und die Cousine des Königs – die schöne Lady Joan – zu sehen. Mitglieder des Königshauses pflegten nicht zu den Kaufleuten zu kommen – die gewünschten Waren wurden normalerweise ins Schloss gebracht.
Christiana war natürlich nicht mit von der Partie gewesen. David fragte sich, welchen Vorwand sie wohl benutzt hatte, um sich nicht an dieser ›Besichti- gungsfahrt‹ zu beteiligen. Er hatte Lady Idonia aber ein Geschenk für seine Zukünftige mitgegeben – ein mit schwarzem Pelz gefüttertes Cape, das der Schneider George, der über dem Laden für ihn arbeitete, nach seinen Angaben angefertigt hatte. Der Mantel, den sie neulich bei ihrem nächtlichen Besuch getragen hatte, schien schon mehrere Jahre alt zu sein und war eine Hand breit zu kurz. Ein Mündel des Königs zu sein bedeutete offenbar nicht zwangsläufig, dass man im Luxus lebte.
Wahrscheinlich würde sie sein Geschenk trotzdem nur ungern annehmen. Bei ihrer kurzen Unterhaltung hatte er ziemlich viel über ihren Charakter gelernt und war beeindruckt von ihrer Aufrichtigkeit gewesen. Noch mehr faszinierte ihn freilich ihre Schönheit. Seit ihrem Besuch hatte er oft an ihre strahlenden dunklen Augen und ihre helle Haut gedacht.
Sie wartete sehnsüchtig auf ihren Geliebten. Wie lange würde sie das tun?
Im Gegensatz zu den meisten Männern mochte er Frauen und verstand sie gut. Er konnte Christianas Kummer durchaus nachvollziehen. Schließlich hatte er ähnliche Seelenqualen achtzehn Jahre lang hautnah miterlebt. Würde er nun für den Rest seines Lebens wieder Zeuge einer solch sinnlosen Trauer werden müssen? War das der Preis, den die Schicksalsgöttin ihm dieses Mal für ihre sonstige Gunst abverlangte? Nein, Christiana war viel zu stark und zu stolz, um ewig einem untreuen Geliebten nachzutrauern – jedenfalls hoffte er das von ganzem Herzen.
David wollte gerade in seinen Laden zurückkehren, als sein Blick auf einen Mann fiel, der sich auf der Straße näherte und eine ihm nur allzu gut bekannte Livree trug.
»David de Abyndon?«, fragte der Bedienstete.
»Ja, der bin ich.«
Ein gefaltetes Stück Pergament wurde ihm überreicht. David las den Brief, auf den er schon lange gewartet hatte. Noch sehr viel länger – genauer gesagt, seit über zehn Jahren – wartete er auf das Treffen, das die Frau ihm vorschlug. Er musste diese Angelegenheit jetzt schnell zu Ende bringen, denn wenn er erst einmal verheiratet war, würden solche Dinge schwieriger zu erledigen sein.
»Sag ihr, dass ich diese Woche keine Zeit habe«, erklärte er dem Boten. »Sie soll am nächsten Dienstag nachmittags in mein Haus kommen.«
Michael und Roger waren schon damit beschäftigt, die schweren Fensterläden zu schließen, und Andrew schleppte aus dem Hinterzimmer einen Stoffballen an und legte ihn aufatmend ins Regal.
David klopfte ihm auf die Schulter. »Du hattest also das Glück, einen ganzen Nachmittag mit der schönen Joan zu verbringen. Deine Freunde werden dir mindestens einen Monat Freibier spendieren, damit du ihnen alles haarklein erzählst.«
Andrew grinste. »Das glaube ich auch. Sie ist wirklich sehr schön. Lady Christiana Fitzwaryn übrigens auch – ich habe sie einige Male in der Stadt gesehen. Du hättest uns über deine Verlobung informieren sollen. Es war ziemlich peinlich, dass die Damen uns darauf ansprachen und wir keine Ahnung hatten.«
Michael und Roger hielten in ihrer Arbeit inne und spitzten die Ohren. Auch Sieg, der neben der Tür stand, sah seinen Freund forschend an.
»Die Sache wurde erst in den letzten Tagen entschieden.«
Alle warteten schweigend auf weitere Auskünfte.
»Schließen wir ab und gehen nach Hause. Dort werde ich euch alles erklären.«
Aber was erklären? Die Wahrheit konnte er niemandem anvertrauen. Nicht einmal Christiana durfte jemals etwas davon erfahren. Er würde in aller Eile eine gute Geschichte erfinden müssen.
Sie wollten gerade aufbrechen, als laute Pferdehufe auf der Straße einen Reiter ankündigten, der gleich darauf vor dem Laden anhielt. Michael warf neugierig einen Blick aus der Tür. »Ein Ritter«, rief er. »Derselbe, der dich schon heute Morgen gesucht hat, David.«
Ohne den Besucher gesehen zu haben, wusste David, um wen es sich handelte. »Ihr geht alle nach Hause«, befahl er. »Auch du, Sieg. Ich will mich allein mit ihm unterhalten.«
Die Tür wurde geöffnet, und ein großer dunkelhaariger junger Mann trat ein, blieb auf der Schwelle stehen und schaute sich um. Seine Kleidung verriet einen Ritter des Königs, und er war mit einem Langschwert bewaffnet. Funkelnde schwarze Augen musterten David kalt von Kopf bis Fuß.
Sichtlich eingeschüchtert von der Statur und vom selbstsicheren Auftreten des Fremden, huschten die Lehrlinge an ihm vorbei ins Freie. Sieg war anzusehen, dass er lieber bleiben würde, um seinem Freund notfalls helfen zu können, doch David schüttelte den Kopf, und der Riese verließ widerwillig den Laden.
»Ich bin Christianas Bruder Morvan«, stellte der Ritter sich vor, als sie endlich allein waren.
»Ich weiß, wer Ihr seid.«
»Tatsächlich? Ich dachte, Ihr hättet vielleicht irrtümlich angenommen, sie hätte keine Angehörigen mehr.«
David wartete schweigend ab, welche Einwände dieser Bruder gegen die Heirat vorbringen würde. Und aus der Sicht des Ritters, der einer alten Adelsfamilie entstammte, gab es natürlich jede Menge berechtigter Einwände.
Sir Morvan trat etwas näher an ihn heran. »Ich wollte den Mann kennen lernen, der sich eine Frau kauft, so als wäre sie ein Pferd!«
David dachte an die zwei Stunden, die er an diesem Morgen mit einem Sekretär des Königs zugebracht hatte, um den Ehevertrag aufzusetzen. Es ließ sich nicht vermeiden, dass der angebliche Brautpreis darin eine wichtige Rolle spielte, aber eine exakte Summe wurde nicht genannt. David hatte stattdessen eine komplizierte Formel benutzt, die auf dem Exportpreis für Wolle des Vorjahres basierte, in der Hoffnung, dass kaum jemand sich der Mühe unterziehen würde, schwierige Rechenaufgaben zu lösen.
Offenbar hatte Morvan diesen Vertrag aufmerksam gelesen und zumindest geschätzt, dass es sich um eine enorme Summe handeln musste.
»Der König hat auf diesem Brautpreis bestanden, wie es in alten Zeiten üblich war. Ihr könnt mir glauben, dass ich es vorgezogen hätte, nichts zu bezahlen.«
Morvan betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. »Wenn es nicht um meine Schwester ginge, würde ich das Ganze vielleicht sogar amüsant finden. Ihr scheint keinen Aufwand zu scheuen, um eine Frau zu heiraten, die Ihr gar nicht kennt.«
»So etwas ist doch gang und gäbe.«
»Ja – aber nur, wenn eine hohe Mitgift lockt!«
»Ich bin nicht auf eine Mitgift angewiesen.«
»Das ist mir zu Ohren gekommen. Und ich habe auch gehört, dass Ihr keine Ehefrau benötigt, um ein warmes Bett vorzufinden. Warum bezahlt Ihr trotzdem ein Vermögen für meine Schwester?«
David musste zugeben, dass das eine verdammt gute Frage war. Er durfte diesen jungen Mann nicht unterschätzen. Morvan hatte sich genau über ihn erkundigt, so wie auch er selbst sich über Christianas Bruder erkundigt hatte. Vielleicht würde Morvan sich ja mit der vom König vorgeschlagenen Erklärung zufriedengeben. Wir werden sagen, Ihr hättet sie gesehen, Euch auf den ersten Blick leidenschaftlich in sie verliebt und mir ein Vermögen bezahlt, um sie zu bekommen. Allerdings dürfte dieser junge Ritter wenig Sympathie für einen Mann aufbringen, der scharf auf seine Schwester war ...
»Ich habe sie einige Male gesehen und in Erfahrung gebracht, wer sie ist. Der König hat mir dann Näheres erzählt.«
»Ihr habt also um ihre Hand angehalten, nur weil Ihr sie irgendwo aus der Ferne gesehen hattet?«
»Ich habe mitunter solche seltsamen Anwandlungen, etwas um jeden Preis besitzen zu wollen. Bisher habe ich das nie bereut. Wie schon erwähnt – das Fehlen einer Mitgift stört mich nicht, und ich bin auch gern bereit, die vom König verlangte Summe zu bezahlen. Eure Schwester scheint mir das wert zu sein.« Er konnte nur hoffen, dass sein Argument sich halbwegs glaubhaft anhörte, denn etwas Besseres hatte er nicht auf Lager.
Morvan musterte ihn wieder aufmerksam. »Das würde mir einleuchten, wenn Ihr ein Narr wärt, aber ich halte Euch nicht für einen Narren, sondern für einen Emporkömmling, der durch diese Ehe mit einer Adligen zu höherem Ansehen gelangen und seinen Kindern den gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen möchte.«
Eine durchaus naheliegende Vermutung, doch wenn Morvan mit den richtigen Personen gesprochen hätte, wüsste er, dass sie jeder Grundlage entbehrte.
»Ihr seid Christianas Bruder und könnt deshalb wohl nicht begreifen, dass ihr bloßer Anblick genügt, um einen Mann völlig um seinen Verstand zu bringen.«
Die schwarzen Augen des jungen Ritters funkelten vor Zorn. Nein, er hegte wahrlich keine Sympathien für Männer, die scharf auf seine Schwester waren, dachte David.
»Ich werde diese Ehe nicht erlauben! Ich werde nicht zulassen, dass Christiana einen gewöhnlichen Händler heiratet, mag er auch noch so reich sein! Sie ist keine Zuchtstute, die man erwerben kann, um das minderwertige Blut eines Bastards durch blaues Blut zu veredeln! Sie will das übrigens auch nicht.«
David schluckte diese Beleidigungen, auch wenn es ihm sehr schwer fiel. Morvan hatte wirklich gründliche Erkundigungen über ihn eingezogen, das musste man dem Mann lassen ...
»Eure Schwester und ich haben darüber gesprochen. Ich habe ihr gesagt, dass ich meinen Heiratsantrag nicht rückgängig machen werde, weil ich keine Veranlassung dazu sehe.«
»Diese Veranlassung liefere ich Euch mit Freuden! Geht zum König und erklärt ihm, Christianas Bruder wolle Euch zum Duell fordern, falls Ihr nicht freiwillig auf sie verzichtet, und ihr hättet nicht mit solchen Komplikationen gerechnet, als Ihr um ihre Hand angehalten habt.«
»Wenn ich das dem König sage, wird er Euch zur Rede stellen.«
»Das nehme ich gern in Kauf. Mein Schwert kann notfalls auch anderen Herren von Nutzen sein.«
»Und wenn ich nicht tue, was Ihr verlangt?«
»Dann mache ich meine Drohung wahr.«
Seine resolute Miene ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Ein intelligenter und wackerer junger Mann, der David durchaus imponierte. »Wisst Ihr, warum Eure Schwester nicht meine Frau werden will?«
»Das liegt doch auf der Hand, glaube ich!«, erwiderte Morvan hochmütig.
Er hatte also wirklich keine Ahnung von Christianas Liebschaft mit Sir Stephen Percy. Andernfalls würde er bestimmt nicht David, sondern den feigen Ritter zum Duell fordern, der seine Schwester verführt und dann im Stich gelassen hatte.
»Tatsächlich?«
»Um Himmels willen, Mann, sie ist die Tochter eines Barons! Dieser Heiratsantrag ist für sie eine Beleidigung.«
David bezähmte mühsam seinen Zorn. Eigentlich hatte er sich längst an solche Kommentare gewöhnt, die offenbarten, dass Adlige verächtlich auf alle anderen Menschen herabschauten. Aber von diesem Mann hatte er sich in den letzten Minuten schon zu viel anhören müssen! Um nichts Unbedachtes zu tun, lehnte er sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Werdet ihr freiwillig auf meine Schwester verzichten?«
»Nein.«
Morvan musterte ihn wie ein lästiges Insekt. »Ihr tragt einen Dolch, wie ich sehe. Könnt Ihr auch mit dem Schwert umgehen?«
»Nicht besonders gut.«
»Dann solltet Ihr fleißig trainieren.«
»Habt Ihr die Absicht, mich zu töten, nur weil ich Eure Schwester begehre?«
»Die Verlobung kann ich nicht verhindern, aber die Hochzeit werde ich verhindern! Wenn Ihr diese absurde Verbindung nicht innerhalb eines Monats annulliert, treffen wir uns beim Duell.«
David kochte mittlerweile vor Wut, aber unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es ihm immer noch sich zu beherrschen. »Wie Ihr wollt ... Teilt mir Zeit und Ort mit, und ich werde pünktlich zur Stelle sein«, sagte er ruhig.
Morvans Gesicht spiegelte zunächst seine Verblüffung wider, dass ein Kaufmann nicht furchtsam den Schwanz einzog, wenn ein Ritter ihm mit einem Duell drohte. Doch dann verzog er die Mundwinkel zu einem hämischen Lächeln. »Wir werden ja sehen, ob Ihr wirklich kommt ... Ich wage das sehr zu bezweifeln, denn Leute Eures Standes sind zwar reich an Gold, besitzen aber kein Ehrgefühl.«
»Und die allermeisten Ritter sind heutzutage zwar immer noch reich an unerträglicher Arroganz, besitzen aber weder Land noch Geld!«, entgegnete David scharf. Eigentlich war es seiner unwürdig, auf die Mittellosigkeit der Fitzwaryns anzuspielen, aber dieser Mann hatte ihn bis zur Weißglut provoziert.
Morvans Augen schleuderten Blitze, er wirbelte auf dem Absatz herum und marschierte mit großen Schritten auf die Tür zu. »Meine Schwester ist nicht für Euch bestimmt, Kaufmann! Ihr habt einen Monat Zeit, um zur Vernunft zu kommen.«
Urplötzlich ging das Temperament mit David durch: er stemmte sich behende von der Wand ab, seine Hand fuhr an die Hüfte, ein langer Stahldolch schwirrte durch die Luft und bohrte sich in den Türrahmen, nur Sekunden, nachdem der Ritter auf der Straße verschwunden war.
Ein blonder Kopf spähte vorsichtig um die Ecke. Im nächsten Moment tauchte Sieg auf der Schwelle auf, zog den Dolch aus dem Holz und ging auf David zu.
»Sieht ganz so aus, als wäre es noch zu früh, dir zu dieser Heirat zu gratulieren«, kommentierte er trocken.
David nahm ihm den Dolch ab und schob ihn in die Scheide. Mit dem Messerwurf hatte er seine Wut wirksam abreagiert. »Du hast gelauscht?«
»Ja.«
»Ich hatte doch gesagt, du solltest mich mit dem Kerl allein lassen.«
»Sein Schwert und sein Gesichtsausdruck veranlassten mich, trotzdem in deiner Nähe zu bleiben. Ich dachte, heute bekäme ich vielleicht endlich die Gelegenheit, mich für deine einstige Hilfe zu revanchieren.«
Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, winkte David den Schweden hinaus und schloss die Ladentür hinter ihnen ab.
»Sollen wir uns dieses Ritters annehmen?«, schlug Sieg vor. »Das Mädchen würde nie etwas davon erfahren. Es gibt hier so viele Flüsse, in die ein Mann versehentlich fallen kann ...«
»Nein!«
»Du kannst nicht gut genug mit dem Schwert umgehen.«
»Es wird zu keinem Duell kommen.«
»Bist du ganz sicher? Der Bursche machte auf mich einen zu allem entschlossenen Eindruck.«
»Ja, ich bin mir ganz sicher.«
Sie gingen nebeneinander in Richtung von Davids Haus, und Sieg warf ihm immer wieder verstohlene Seitenblicke zu, bevor er schließlich murmelte: »Dies ist ein merkwürdiger Zeitpunkt für eine Heirat.«
»Ja«, bestätigte David unumwunden. In den nächsten Monaten wollten sie eigentlich auf verschiedenen Feldern die Früchte langer harter Arbeit ernten.
»Dadurch könnte alles erschwert werden«, fuhr Sieg fort.
»Das ist mir bewusst.«
»Du solltest die Hochzeit vielleicht auf den nächsten Winter verschieben. Bis zum November müssten wir eigentlich alles geschafft haben.«
David schüttelte den Kopf. Er hatte nicht die Absicht, Christianas Liebhaber so viel Zeit für eine mögliche Rückkehr zu lassen. Und er wollte auch nicht so lange darauf warten, mit seiner schönen Braut ins Bett zu gehen. »Nein, es ist sicherer, sie bei mir im Haus zu haben.«
»Und wenn es Probleme geben sollte ...«
»Dann hat das Mädchen doppeltes Glück gehabt: es wird einen unerwünschten Ehemann los und kann als reiche Witwe das Leben genießen.«
Die Strand – eine Straße unweit der Themse – war in leichten kalten Nebel gehüllt, als die kleine Gruppe in Richtung Westminster ritt. John Constantyn saß stolz auf seinem Pferd, in einem prächtigen Samtwams – mit Perlen bestickt und mit Pelz gesäumt –, ein leuchtend blaues Cape lose über die Schultern geworfen. Er warf einen missbilligenden Blick auf Davids schmucklose dunkelblaue Kleidung.
»Gott sei Dank trägst du wenigstens deine Kette«, sagte er grinsend. »Für diesen Anlass hättest du dich aber wirklich ausnahmsweise mehr in Schale werfen können! Ich werde nie begreifen, warum du dich immer so unauffällig anziehst.«
David hätte gern behauptet, dass seine schlichte Kleidung einfach seinem Geschmack entsprach, aber das stimmte nicht ganz. Indem er sich weigerte, mit dem Luxus der Adligen zu wetteifern, wollte er demonstrieren, dass er für ihre Anmaßung und Überheblichkeit nur Verachtung übrig hatte.
Sogar die schwere goldene Brustkette hatte er nur Christiana zuliebe angelegt, um ihre Freundinnen durch diesen kostbaren Schmuck zu beeindrucken. Vielleicht würden sie dann etwas weniger über die in ihren Augen demütigende Verlobung lästern ...
»Du hättest das Gesicht deines Onkels Gilbert sehen müssen, als ich ihm erzählte, was ich heute vorhabe«, sagte John. »Mein Gott, es war einfach köstlich! Ich traf ihn direkt vor dem Rathaus und fragte ganz scheinheilig, ob er auch an der Feier teilnehmen würde. Natürlich hatte er keine Ahnung, wovon ich redete – und das Schönste war, dass mindestens zwanzig Zunftmeister die Ohren spitzten, um sich kein einziges Wort unserer Unterhaltung entgehen zu lassen.« John lachte schallend. »Was, Gilbert, du weißt nicht Bescheid? Dein Neffe und die Tochter des berühmten Hugh Fitzwaryn ... Natürlich mit Zustimmung des Königs ...
Verlobung in der Kapelle von Westminster, unter Anwesenheit der königlichen Familie ... Ich schwöre dir, er wurde leichenblass!«