Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Er ist ihr Feind, doch sie fühlt sich unwiderruflich zu ihm hingezogen … Eine Festung nahe der schottischen Grenze im 14. Jahrhundert. Als ihre Heimat von feindlichen Truppen belagert wird, fasst die junge Witwe Lady Reyna Graham einen waghalsigen Plan: Sie schleicht hinter die feindlichen Linien und gibt sich als Kurtisane aus, um den Befehlshaber der Armee zur Unachtsamkeit zu verführen und sich seiner zu entledigen. Doch Sir Ian of Guilford ist nicht nur ein starker Krieger, sondern auch ein kluger Mann, dem es gelingt, Reyna zu überlisten. Die einzige Waffe, die ihr bleibt, ist ihre Schönheit – doch ihr wird plötzlich klar, dass sie ihren Feind unterschätzt hat: Denn Sir Ian wird »Herr der tausend Nächte« genannt, weil noch keine Frau ihm widerstehen konnte. Wie kann sie als Jungfrau diesen berühmten Liebhaber davon überzeugen, ihr Volk zu verschonen? Eine knisternde Enemies-to-Lovers Mittelalter-Romance – für alle Fans von Margaret Mallory und Lynsay Sands.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 380
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Eine Festung nahe der schottischen Grenze im 14. Jahrhundert. Als ihre Heimat von feindlichen Truppen belagert wird, fasst die junge Witwe Lady Reyna Graham einen waghalsigen Plan: Sie schleicht hinter die feindlichen Linien und gibt sich als Kurtisane aus, um den Befehlshaber der Armee zur Unachtsamkeit zu verführen und sich seiner zu entledigen. Doch Sir Ian of Guilford ist nicht nur ein starker Krieger, sondern auch ein kluger Mann, dem es gelingt, Reyna zu überlisten. Die einzige Waffe, die ihr bleibt, ist ihre Schönheit – doch ihr wird plötzlich klar, dass sie ihren Feind unterschätzt hat: Denn Sir Ian wird »Herr der tausend Nächte« genannt, weil noch keine Frau ihm widerstehen konnte. Wie kann sie als Jungfrau diesen berühmten Liebhaber davon überzeugen, ihr Volk zu verschonen?
eBook-Neuausgabe November 2025
Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2002 unter dem Originaltitel »Lord of a Thousand Nights« bei Bantam Books, New York.
Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Zauber der Nacht« bei im Wilhelm Heyne Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2002 by Madeline Hunter
Copyright © der deutschen Erstausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH 2006
Copyright © der Neuausgabe 2025 venusbooks Verlag, venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: AK Buchcover, Duisburg, unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock KI, depositphotos/Mumemories, depositphotos/dvoevnore
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (mk)
ISBN 978-3-69076-827-6
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected] . Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags
***
Besuchen Sie uns im Internet:
www.venusbooks.de
www.facebook.com/venusbooks
www.instagram.com/venusbooks
Madeline Hunter
Roman
Aus dem Amerikanischen von Julia Burg
Die schottische Grenze 1357
»Achte darauf, dass er den Wein ausgetrunken hat, bevor er dir die Kleider auszieht.«
Dieses war die letzte einer langen Liste von Ermahnungen, die Reyna zu hören bekam, als sie sich wie ein Maulwurf in dem stockfinstren Tunnel entlangtastete.
Zuversichtlich drückte sie die feste Hand der mütterlichen Frau, die sie begleitete. »Ich werde mich genau an den Plan halten, Alice. Die Männer wirken derb und einfältig. Die Belagerung langweilt sie. Eine Ablenkung dürfte willkommen sein.«
»Es gibt nur eine Art von Ablenkung, die die meisten Männer interessiert, Kind. Die Gefahr.«
»Lass dir deswegen keine grauen Haare wachsen.«
Die völlige Dunkelheit im Tunnel machte Reyna Angst. Sie eilte voran, die eine Hand an der Wand und die andere Schutz suchend an Alices Arm geklammert.
Die Steine unter ihrer Handfläche vibrierten. Pioniere gruben einen Nebentunnel nicht weit von diesem hier entfernt. Schon seit längerem war sie ab und zu mit einer Fackel in der Hand zu dem verborgenen Ausgang gegangen, um zu hören, wie weit die Arbeiten fortgeschritten waren. Anfangs war sie unbesorgt gewesen. Hilfe würde auf jeden Fall rechtzeitig vor Beendigung des Baus eintreffen. Das Heer, das die Festung umzingelte, war nicht groß. Für eine kleinere Truppe aus Harclow oder Clivedale dürfte es ein Leichtes sein, die Belagerung aufzuheben. Aber Hilfe war bisher nicht eingetroffen, es würde jetzt nur noch wenige Tage dauern, bis die Pioniere die Ringmauer erreicht hätten. Noch Besorgnis erregender aber war die zweite Tunnelgrabung auf der Südseite des Bollwerks.
Nach einer scharfen Rechtskrümmung kam den beiden Frauen silbriges Licht aus einer engen Öffnung entgegen, die gut versteckt hinter massigem Felsgestein lag. Das dichte Gestrüpp tat sein Übriges, um den Eingang vor neugierigen Augen zu verbergen. Nur einem aufmerksamen Beobachter wäre es möglich gewesen, die Stelle zu finden. Zum Glück war dies den feindlichen Truppen bisher noch nicht gelungen. Welch Ironie, dachte Reyna schmunzelnd, hier tagelang einen unterirdischen Gang zu graben, wenn der Eingang zum Tunnel nur wenige Schritte entfernt war.
»Du wirst morgen erfahren, ob ich Erfolg hatte, Alice. Halte im Tower die Augen offen und benachrichtige Sir Thomas und Reginald.« Reyna übernahm den Korb, den Alice getragen hatte und versuchte gefasst und zuversichtlich zu klingen. »Ich werde zuerst zu meiner Mutter gehen und dann nach Edinburgh. Ich lasse dich sofort wissen, sobald ich wohlbehalten angekommen bin und du mir nachfolgen kannst.«
Alice umarmte sie. »Ein mutiges, aber gefährliches Unternehmen, auf das du dich eingelassen hast, mein Kind. Sir Robert wäre nicht einverstanden, wenn er noch lebte.«
»Wenn Robert noch am Leben wäre, müsste ich das nicht tun.«
Die ältere Frau nickte traurig. »Gott sei mit dir!«
Reyna schlüpfte hinaus in den Schutz des dichten Gestrüpps. Nicht mehr als fünfzig Yard von der Festung entfernt befanden sich die Feldlager. Das Heer war nicht besonders groß, reichte aber aus, um den Nachschub von Vorräten zu blockieren und weder Pferd noch Reiter hinein- oder hinauszulassen. Zu Überfällen war es nicht gekommen. Es wurde auch kein Versuch unternommen, die Mauern mit Leitern, Katapulten oder brennenden Geschossen zu erstürmen. Auch hatte es keine Verhandlungen gegeben. Nur eine zweimonatige, unbarmherzige Belagerung.
Im Lager war es ruhig. Die sommerliche Hitze machte die Männer träge. Viele von ihnen waren nur dürftig bekleidet. Die Sonne hatte ihre Körper gebräunt. Einige hatten die kühlere, schottische Kleidung vorgezogen und trugen Kilts. Aber diese Männer waren keine Schotten.
Engländer, dachte sie angewidert – dieser Gedanke gab ihr wieder neuen Mut. Die Engländer waren die Ungeheuer aus ihrer Kindheit und die Feinde ihrer Jugendzeit. Ihr schottischer König hatte sich zwar damit abgefunden, von König Edward von England vor zehn Jahren besiegt worden zu sein, aber kein Schotte, vor allem nicht an den Grenzen von Cumbria und Northumberland, unterwarf sich bereitwillig den Engländern.
Sie wusste alles über die englischen Soldaten und vor allem, was geschehen würde, wenn es ihnen gelang, die Festung zu stürmen. Beschreibungen englischer Gräueltaten wurden von Generation zu Generation übermittelt. Sie malte sich aus, wie Menschen, die ihr lieb waren, qualvoll hingemetzelt würden, um aus diesen Schreckensbildern Kraft zu schöpfen. Innerlich ging es ihr gegen den Strich, ihren Plan auszuführen, aber sie sah keine andere Möglichkeit. Gott würde ihr beistehen und ihr verzeihen.
Geduckt huschte sie aus dem Gebüsch heraus zu einem Pfad, der in die Richtung der Lager führte.
Die Männer schauten ihr nach und dachten sich ihren Teil, als sie mit offenem Haar im seidenen Gewand zielstrebig an ihnen vorbei zum westlichen Lager ging. Beim Anblick des großen Zelts in der Mitte des Lagers verlangsamte sie ihren Schritt. Sobald sie es betrat, gäbe es kein Zurück.
Laute Pfiffe erregten ihre Aufmerksamkeit. Zwei Landsknechte grinsten sich an und gingen auf sie zu, dabei machten sie mit den Mündern obszöne Laute und spotteten über sie. Sie rannte die letzten Schritte zu dem großen, mit grünweißen Wimpeln geschmückten Zelt.
Ein Knappe saß am Eingang und reinigte Waffen. Er blickte überrascht auf, als sie an ihm vorbeischlüpfte und hinter der Zeltbahn verschwand. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sich der Mann, den sie suchte, im Zelt befand und ihr keiner folgte.
Die weiße Leinwand schuf ein verschwommenes, weiches Licht, und es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen daran gewöhnten. Ihr Blick fiel auf ein einfaches Feldbett, einen Tisch und eine Truhe. Blank geputzte Waffen schimmerten wenige Schritte von ihr entfernt am Boden. Nicht ein Laut war zu hören.
Dann bewegte sich ein Schatten. Ein Mann erhob sich von einem Hocker, auf dem er an den mittleren Zeltmasten gelehnt Platz genommen hatte.
»Was wünschen Sie hier?«, fragte er scharf.
Sie starrte ihn an.
Diesen Mann hatte sie bereits vom obersten Ausguck der Burg beobachtet. Er war größer als die meisten anderen Männer, aber letztlich wirkte jeder Soldat aus dieser Höhe gesehen nicht größer als ein Punkt. Sie jedenfalls war eher klein, und der Größenunterschied zwischen ihr und ihm gab ihr plötzlich das Gefühl der Hilflosigkeit.
Vom Turm aus hatte sie jedoch nicht erkannt, welch gutaussehender Mann er war. Dichte Wimpern milderten den Blick der dunklen, nachdenklichen Augen, die in diesem Licht feucht wie ein Bergsee schimmerten. Wangenknochen und Kinn waren kantig. Der breite, etwas volle Mund fiel ihr besonders auf. Dunkles Haar reichte zu seinen Schultern und wurde von einem Schweißband gehalten, das er um die Stirn gebunden hatte.
Er trug eine lose, bäuerliche Hose, die oberhalb der Knie abgeschnitten war. Die Beine waren wohlgeformt und muskulös. Das Gleiche galt für die breiten Schultern und den kräftigen, wie aus Stein gemeißelten Brustkorb. In dieser einfachen Kleidung erinnerte er sie an die Krieger des Altertums, über die sie in Roberts Büchern gelesen hatte. Er war ihr Feind, auch wenn ihr bei seinem Anblick der Atem stockte.
Prachtvoll. Umwerfend.
Wie schade, dass sie ihn töten musste.
Er schritt auf sie zu und musterte Kleid, Haar und die geröteten Wangen mit kühlem Wohlgefallen, während er das Schweißband von der Stirn zog und sich mit seiner kräftigen, gebräunten Hand durch das Haar fuhr. Sie hoffte, dass er ihr Erröten nicht bemerkt hatte, denn die Frau, die sie heute spielen musste, durfte sich nicht durch den abschätzenden Blick eines Mannes aus der Fassung bringen lassen – auch wenn er noch so gutaussehend war.
Sein Gesicht hellte sich auf. Eine Augenbraue hob sich. Er hatte das Einzige, das er wissen wollte, herausgefunden.
Er lächelte.
Großer Gott, was für ein Lächeln! Einfach verführerisch, aber doch ein wenig spöttisch. Auf jeder Seite des Mundes bildeten sich kleine Falten. Das Lächeln verlieh dem kühlen, gut geschnittenen Gesicht mit den unergründlichen Augen Wärme und Freundlichkeit.
Aber sie entdeckte noch etwas, als er sie von oben bis unten musterte. In der lässigen Haltung, dem Funkeln der Augen, sogar im Lächeln spiegelten sich maßlose Selbstgefälligkeit, Stolz und eine unerträgliche Selbstsicherheit wider. Sie konnte ihm ansehen, dass er genau wusste, welche Wirkung sein Äußeres auf sie hatte. Auf alle Frauen.
Sie war solchen Männern oft im Haus ihres Vaters begegnet. Vielleicht würde es ihr doch nicht so schwerfallen, ihn zu töten.
»Was machen Sie hier?«, wiederholte er.
Sie riss sich zusammen. »Ich komme im Auftrag der Stadt Bewton. Sie hat einen Boten geschickt, der mich in Glasgow für diesen Dienst gewonnen hat. Die Bewohner der Stadt wollten sicher gehen, dass ihr Geschenk Sie erfreut, Sir Morvan.«
»Geschenk? Wollen Sie damit sagen, dass die Stadt eine Hure gekauft hat ...?«
»Ich bin Melissa, eine Kurtisane«, sagte sie spitz. »Ich versichere Ihnen, keine Hure zu sein. Darum bin ich hier. Eine Hure aus dem Bordell würde die Stadt nicht mit dieser Aufgabe betreuen.«
»Und was soll dieses Geschenk bezwecken?«
»Sollten Sie Gefallen daran finden, hofft man, dass Sie die Stadt verschonen und Ihre Soldaten zurückhalten.«
»Und Sie sind gekommen, um mich dazu zu überreden?« Er umkreiste sie und musterte sie wie ein Pferd, das zum Kauf angeboten wurde. Es hätte sie nicht überrascht, wenn er mit einem Gähnen erklärte, dass sie dafür nicht in Frage käme. »Sie haben Recht. Was haben Eroberungen für einen Sinn, wenn man keine Beute macht?«
»Die Stadt wird ihren Tribut an Sie zahlen. Die Beute wird ausreichend sein. Es ist der Wunsch der Bevölkerung, Plünderungen und Vergewaltigungen zu vermeiden.«
Er streckte die Hand aus, strich ihr über das Haar, hob eine Strähne und ließ die Augen über die beträchtliche Länge wandern. »Wie sagten Sie, war Ihr Name?«
»Melissa. Sie mögen noch nichts von mir gehört haben, aber ich bin eine Schülerin der berühmten Dionysia.«
»Sie sehen nicht wie eine Kurtisane aus, Melissa. Darunter hatte ich mir immer üppige, wollüstige Frauen vorgestellt. Sie erscheinen mir zu mickrig und dürr. Allerdings ist das Haar wunderschön. Eine ungewöhnliche Farbe. Sehr hell, wie gesponnenes Mondlicht.« Er behielt das Ende der langen Strähne in der Hand, das zwischen ihnen wie ein Streifen Seide hing.
»Was Sie als mickrig und dürr bezeichnen, erachten große Lords als zierlich und anmutig, Sir Morvan. Die Fähigkeiten einer Kurtisane sind davon unabhängig. Ich kann aber durchaus verstehen, dass Sie andere Vorlieben haben. Ich werde zurückgehen und den Stadtvätern mitteilen, dass sie die falsche Wahl getroffen haben.«
»Nein. Das war eine glänzende Strategie. Es gibt ein Problem, aber das betrifft nicht ihr Äußeres.« Er spielte immer noch mit ihrem Haar. »Ich bin nicht Sir Morvan.«
»Aber das ist das größte Zelt, in der Mitte des Lagers. Mir wurde gesagt, dass dieses Heer zu Morvan Fitzwaryn gehört.«
»Das ist richtig, aber ich befehlige hier. Morvan ist anderweitig im Einsatz. Der Hauptteil der Armee befindet sich in Harclow.«
Kein Wunder, dass die versprochene Hilfe nicht eingetroffen war. Die Beobachter in der Festung waren der Meinung gewesen, dass Morvan Fitzwaryn erst hier Fuß fassen würde, bevor er versuchte, das besser befestigte Harclow einzunehmen. Aber dieser Mann hatte beide Festungen gleichzeitig angegriffen. Und Clivedale auch? Wie groß war diese Streitmacht?
Sie überlegte schnell. Wenn dieser Mann hier befehligte, dann dürfte der Plan bei ihm genauso gut wie bei seinem Lord gelingen.
»Wenn Sie nicht Morvan Fitzwaryn sind, wer sind Sie dann?«
»Ian of Guilford.«
»Und Sie sind tatsächlich der hiesige Befehlshaber?«
»Aye. Das Schicksal dieser Festung und der Stadt liegt in meinen Händen. Wenn die Stadt Sie als Unterhändlerin schickte, dann haben Sie den falschen Namen, aber sprechen mit dem richtigen Mann. Das Geschenk war für mich gedacht.«
Er betrachtete sie auf unverhohlene Art, die ihr peinlich war. Sein Blick sprach Bände. Sie gefiel ihm nicht. Sie hatte versagt.
Ihr Mut sank. »Ein Pech, dass ich Ihrem Geschmack nicht entspreche. Ich werde jetzt gehen.«
»Ich bestehe darauf, dass Sie bleiben. Sonst verlieren Sie Ihren Lohn, und Sie haben den weiten Weg umsonst gemacht. Es war ungeschickt von mir, solch ein Geschenk zu kritisieren. Und wenn Sie bei dieser berühmten Dionysia in die Schule gingen, dann wird es zweifellos keine Enttäuschungen geben.«
Er trat näher an sie heran. Seine überragende Größe und Männlichkeit ängstigten sie, und sie suchte verzweifelt nach Ausflüchten, um den Rückweg anzutreten. »Anscheinend sind diese Männer Söldner. Werden sie Ihrem Befehl gehorchen?«
»Es sind Söldner, aber es sind meine Söldner, und sie gehorchen mir. Morvan Fitzwaryn bezahlt mit Silber, nicht mit der Erlaubnis zur Plünderung. Wahrscheinlich haben sie damit gerechnet, aber so war es nicht abgemacht.«
»Und wenn Ihnen etwas zustoßen sollte?«
»Ich wusste nicht, dass die Stadt in Gestalt der Kurtisane gleichzeitig einen Anwalt gesandt hat.«
Seine Worte und sein unmissverständlicher Blick erinnerten sie daran, wen sie verkörperte und warum sie hier war. Sie dachte an den qualvollen Tod, der Unschuldigen beim Fall der Festung drohte. Das Gelingen ihres Vorhabens war die einzige Rettung
»Ziehen Sie sich aus, Melissa, damit Sie mir Ihre Künste vorführen können.« Ungerührt blickte er auf das Feldbett. »Wohl kaum das Passende für eine Kurtisane. Wären Ihnen Felle am Boden lieber? Sie bieten mehr Platz.« Er ging zur anderen Seite des Zelts und warf einige große Felle auf den Boden. »Ja, so ist es viel bequemer.«
Er schickte sich an, das Band seiner Hose zu lösen. »Ich würde sagen, das erste Mal auf Ihren Händen und Knien.«
Die schnelle Entwicklung der Ereignisse erschreckte sie. »Sir Ian, Sie haben nicht verstanden. Wie ich bereits sagte, bin ich keine Hure. Ich bin eine Kurtisane. Bei uns geht die Annäherung langsamer vonstatten.«
»Tatsächlich? Nun, dann freue ich mich, etwas Neues zu lernen.«
Aye, es dürfte wirklich nicht schwer sein, ihn zu töten. »So habe ich das nicht gemeint. Kurtisanen paaren sich nicht wie Tiere. Zuerst stimmen wir uns ein und schaffen eine entspannte Atmosphäre. Das erfordert eine lange Vorbereitung und Erfahrung.«
Er ließ die Hände sinken. »Dann werden Sie mich unterweisen müssen, Madam. Ich bin nur ein einfacher Ritter und an Huren gewöhnt, die einem Mann zu Willen sind, aber wie ich sehe ist bei Kurtisanen das Gegenteil der Fall.«
»Sie werden alles bekommen, was Sie wünschen. Außer diesen Künsten wurde ich noch in vielen anderen Dingen unterrichtet. In Musik und Konversation, zum Beispiel. Nachdem sich das Leben im Zelt kaum von dem der Tiere unterscheidet, dürfte Ihnen eine kultivierte Unterhaltung am Abend willkommen sein.« Sie ging zu den Fellen, sammelte herumliegende Beutel und Taschen auf und baute daraus ein Polster. »Sie können sich hinlegen. So. Ist das nicht viel besser?«
Er streckte sich auf den Fellen aus, Kopf und Schulter gegen die Taschen gestützt. Sie kniete sich neben ihn und hob das Tuch vom Korb. Dann servierte sie die Fleischpasteten und schenkte den guten Bordeaux in einen Kelch. Sie reichte ihm das Getränk.
Er nippte daran und blickte sie an. »Möchten Sie auch einen Schluck Wein?«
»Nein. Das würde meine Fertigkeiten mindern. Und das wollen Sie doch nicht, oder?«
Er biss in die Pastete und hob anerkennend die Augenbrauen. »Ob Sie die Lagerhuren übertreffen, wird sich noch herausstellen, aber diese Köstlichkeit kann mit der Feldküche nicht Schritt halten.«
Sie lächelte ihn an und hätte sich beinahe über die von ihr verwendeten Kräuter ausgelassen, bevor sie sich eines Besseren besann. »Soll ich Sie während des Essens mit einem Flötenspiel erfreuen?«
»Eine ausgezeichnete Idee. Für einen armen Ritter wie mich ein seltener Genuss. Ich möchte nicht eine Note versäumen.« Bei diesen Worten stützte er sich auf einen Ellenbogen, während sie versuchte, nicht auf den Kelch zu schauen, der sich zu seinen Lippen neigte. Mehr. Einen großen Schluck, bitte!
Sie spielte mit einer langsamen Melodie auf und dachte nur an die Aufgabe, die vor ihr stand. Sie hoffte inständig, dass sie den Mut aufbringen würde, ihren Auftrag zu vollenden. Die Belagerung würde wenigstens für ein, zwei Tage unterbrochen werden, bis Morvan Fitzwaryn das Vorgefallene entdeckte und mehr Männer hierher schickte. Währenddessen konnten die anderen gen Norden nach Clivedale reiten.
Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Ian den Weinkelch abstellte. Er war leer. Sie seufzte erleichtert auf und ließ eine Note aus. Und dann noch zwei weitere, als zwei Finger sie am Arm streiften und an der Schulter hinab glitten.
Die Hand des Mannes hinter ihr strich ihr über das Haar, dann über den Rücken. Sein Gesicht presste sich auf den Nacken, und warmer Atem strich ihr über die Haut. Ein Kuss auf die Schulter. Zähne liebkosten ihr Ohrläppchen.
Sie starrte auf die weiße Zeltwand. Sie war zutiefst erschrocken, dass sie die Berührungen dieses Fremden derart aus der Fassung brachten. Die Melodie verebbte in Misstönen.
Sie ließ die Flöte sinken und sah ihn fragend an. Sein Gesicht war nur wenige Inch von dem ihrem entfernt und schien nur aus einem feurigen Augenpaar und einem sinnlichen Mund zu bestehen. Von Panik erfasst blickte sie auf den leeren Weinkelch. Schlaf ein! Unglücklicherweise schien Sir Ian durchaus nicht schläfrig zu sein.
»Ein wahrer Ohrenschmaus«, sagte er leise und küsste sie wieder auf den Nacken. »Die kleinen Pausen gaben der Melodie eine gewisse Dynamik.« Er drehte sich mit dem Oberkörper zu ihr. »Sie sind bezaubernd«, murmelte er und zog ihre Hand zu sich.
Er küsste sie fast zu lange und ausgiebig. Das war eher der Kuss eines Geliebten und nicht der eines Verführers, sagte ihr eine innere Stimme, die sie nicht beeinflussen konnte. Nach den langen Entbehrungen breitete sich in ihrem Körper das prickelnde Gefühl der Erwartung aus, dem sie zu ihrem Schrecken machtlos ausgeliefert war. Reyna hätte ihn von sich gestoßen, aber die Kurtisane Melissa musste es erdulden, dabei war ihr zu ihrer großen Pein bewusst, dass es ihr gar nicht so unangenehm war. Verzweifelt versuchte sie, diese beschämende Reaktion zu überwinden, und betete im Stillen, dass er endlich einschlafen möge.
Er ließ von ihr ab. Sein Gesichtsausdruck strahlte Wärme und Begehren aus. Das Versprechen unausgesprochener Freuden. Auf den Arm gestützt lag er vor ihr und berührte mit dem nackten Oberkörper ihre Schulter. Gegen ihren Willen fühlte sie sich von ihm angezogen und konnte die Augen nicht von seinem Gesicht lassen.
»Es sollte Ihnen nicht peinlich sein«, sagte er. »Es ist doch sicherlich gestattet, dass Sie sich gelegentlich eine Freude gönnen.« Mit den Fingern strich er am Rand ihres Kleides entlang, am Ansatz ihrer Brüste. Er beugte sich vor und küsste die Haut, die das tief ausgeschnittene Kleid frei gab. Ein sonderbares Brennen kroch durch ihren ganzen Körper. Wie hypnotisiert beobachtete sie die Hand, die den Stoff von ihrer Schulter schob.
Achte darauf, dass er den Wein ausgetrunken hat, bevor er dir die Kleider auszieht.
Sie war wieder bei Sinnen. Sie rückte ein wenig von ihm ab, zwang sich zu einem Lächeln und versuchte, wie eine erfahrene Kurtisane zu wirken, die genau wusste, wie sie ihr Spiel zu spielen hatte. »Sie haben den Wein schon ausgetrunken«, sagte sie und nahm den Becher. »Ich gieße noch einen Schluck ein.« Viel mehr.
Er warf ihr einen Blick zu, als ob er sagen wolle, dass er sich noch eine Weile ihrem Wunsche füge, aber dann nicht mehr. Er rutschte auf das Polster zurück und streckte sich aus. Wieder hob er den Becher an die Lippen.
»Trinken Sie Ihren Wein aus, und dann erzählen Sie mir, was Sie hierher geführt hat.«
»Bestreite ich die Unterhaltung? Ich denke, Sie sind in der Kunst der Konversation geschult.«
»Ich habe das Zuhören gelernt. Männer sprechen gerne über sich, und wir hören zu.«
»Aber ich spreche nicht gerne über mich. Also sind Sie sind an der Reihe.«
»Ich? Worüber soll ich reden?«
»Sie können über mich sprechen. Sie können mir erzählen, was für ein gutaussehender Mann ich bin, dass Sie mich und meinen Körper bewundern. Das tun Frauen immer.«
»Tatsächlich?« Wie gut, dass er sie wieder daran erinnerte, dass er ein eingebildeter Laffe war. Eine kleine Unterstützung in dieser Richtung hatte sie dringend nötig. Wenn dieser aufgeblasene Adonis erwartete, dass sie schmachtend vor ihm niedersank, war er im Irrtum ... Sie seufzte zwar, aber nur, weil ihr Vorhaben nicht plangemäß verlief. Der Wein sollte schon längst seine Wirkung getan haben. Weiß der Himmel, er hatte genügend getrunken!
Sie zwang sich zu einem strahlenden Lächeln und drehte sich zu ihm. Er hatte die Augen geschlossen.
Er nahm ihre Hand und legte sie auf die Brust. Dabei musste sie sich ein wenig nach vorne beugen und bemerkte, dass er sie durch die halbgeschlossenen Lider beobachtete. Nein, es würde ihr nicht schwerfallen, ihn zu töten.
Sie setzte ein verführerisches Lächeln auf und fuhr den Konturen der Schultern und Brustmuskeln nach. Fieberhaft suchte sie nach den passenden Worten. »Gewiss, Sie sind ein besonders gutaussehender Mann. Sie haben wunderschöne Augen und Ihr Lachen ist betörend. Ihre Gestalt gleicht der eines griechischen Gottes.« Du lieber Himmel! Kurtisanen und Huren haben sich jeden Penny wirklich schwer verdient. Schlaf jetzt endlich ein, jämmerlicher Idiot. »Nicht grobschlächtig und behaart wie die meisten Krieger.«
»Was gefällt Ihnen am besten?« Seine Stimme klang schläfrig.
»Uh ... diese Mulden am Schlüsselbein sind sehr verlockend ...«
Schwerfällig hob er die Hand und umwickelte sie mit ihrem Haar. Er zog ihren Kopf behutsam zu sich hinunter. »Dann küsst sie, Madam. Und den Rest ... Beweist eine Kurtisane nicht ihr größtes Talent mit dem Mund?«
Ihr Gesicht hatte sich dem seinen bis auf wenige Inch genähert. Sie spürte seinen warmen Atem und sah in das glimmende Dunkel seiner Augen, die sie aus halb geschlossenen Lidern betrachteten. Ihre Brüste schwebten über ihm, berührten ihn leicht, und ihr Körper erbebte verräterisch. Sie biss die Zähne zusammen, senkte den Nacken und presste die Lippen in die Mulden oberhalb des Schlüsselbeins.
Haut. Wärme. Der verführerische Geruch eines Mannes. Mit sanfter aber bestimmter Hand drückte er ihren Kopf auf seinen Oberkörper.
Verdammt noch mal, schlaf endlich ein! Sie küsste seine Brust und versuchte die Erregung zu unterdrücken, die diese innige Berührung in ihr weckte. Er war ein Feind, ein widerwärtiger Engländer. Sie hasste ihn, aber dennoch widerstrebte es ihr.
Er schob ihren Kopf tiefer zu seinem Rumpf, seinem Bauch ...
Plötzlich erschlaffte die Hand, die ihren Kopf gehalten hatte. Sie hielt den Atem an, bis sie sicher war, dass er schlief.
Vorsichtig glitt sie von ihm herab. Sein Arm fiel kraftlos zur Seite.
Sie zog den Korb zu sich und räumte die restlichen Pastetchen aus. Dann entfernte sie das locker aufgenähte Tuch, das den doppelten Boden verdeckte und starrte auf den stählernen Dolch, der sich darunter verbarg.
Für Alice und die anderen Frauen. Aye, auch für Margery. Für Reginald und sogar für Thomas.
Sie hob den Dolch. Mit Bedauern blickte sie auf den Mann, der wie ein betäubtes Opfertier vor ihr lag. Er wirkte plötzlich so hilflos wie ein schlafendes Kind. Unschuldig und rein. Widerstrebend zog sich ihr Herz zusammen. Ihr Innerstes wehrte sich gegen den Plan, den sie jetzt ausführen musste.
Sie umklammerte den erhobenen Dolch mit beiden Händen und richtete die tödliche Spitze auf sein Herz. Ihre Arme zitterten, der Körper bebte, und die Klinge schwankte in der Luft.
Wieder versuchte sie all ihren Mut zusammenzunehmen und beschwor das Unheil herauf, das ihren Freunden drohte. Und letztendlich auch ihr. Die misstrauischen Blicke, die Anschuldigungen. Der Brief des Bischofs. Die Bücher und Kräuter und Tinkturen.
Einen Augenblick lang hatte sie den Dolch vergessen. Aber jetzt blitzte er wieder vor ihr auf, in all seiner tödlichen Wirklichkeit. Sie blickte auf ihre geballten Hände, dann auf die Spitze und dann auf die muskulöse Brust. Schließlich auf das schöne Antlitz.
Er blickte zurück. Dunkle Augen funkelten drohend hinter den dichten Wimpern.
Panik ergriff sie. Sie wusste, jetzt ging es um Tod oder Leben. Sie richtete sich auf und wollte zustechen.
Kräftige Arme schossen hervor. Ein eiserner Griff umschloss ihre Handgelenke. Dann wurde sie zur Seite gestoßen, dass sie zu Boden fiel. In dem folgenden Handgemenge streifte ihn die Klinge am Oberarm. Ein blutroter Streifen wurde sichtbar.
Sie selbst lag wie fest genagelt mit dem Rücken am Boden. Zorn verzerrte das Gesicht über ihr. »Hatten Sie gedacht, Sie könnten Judith und Holofernes spielen?«, zischte er. »Das war Ihr Plan, nicht wahr? Wie die Geschichte in der Bibel. Sie ermorden den General, und das führungslose Heer läuft kopflos davon.«
»Apokryphe«, berichtigte sie absurderweise. Ihre Stimme schien von weit her zu kommen. »Das steht nicht in der normalen Bibel. Das ist apokryph.«
»Es schert mich einen Dreck, ob Gott die Geschichte Moses persönlich übergab oder nicht!« Er packte sie bei den Haaren und zwang sie auf die Knie. Dann schleifte er sie zum Zeltmast in der Mitte und band die Arme über dem Kopf fest.
Rasend vor Zorn ging er zu den Fellen zurück. Sie war überzeugt, dass er den Dolch holte und ihr die Kehle durchschnitt. Das Herz hämmerte ihr bis zum Hals.
Stattdessen kehrte er mit dem Weinkelch zurück und hielt ihn ihr an die Lippen. »Trink«, befahl er.
Stöhnend wälzte sie sich hin und her. Ian blickte ungerührt zu ihr hinüber. Er hatte sich auf einen Hocker gesetzt und verspeiste ein Fleischpastetchen. Sie lag auf dem Feldbett und war mit ausgebreiteten Armen und Beinen am Kopf- und Fußteil gefesselt. Zuerst wollte er ihr die Kleider ausziehen, dann kam es ihm doch ein wenig übertrieben vor. Sie sollte sich fürchten und ihre Hilflosigkeit spüren, nicht aber vor Angst gelähmt sein.
Bei dem Kampf war ihr Kleid zerrissen, so dass ihre kleine hübsche Brust zum Vorschein kam. Der Rock war hinaufgerutscht und entblößte wohlgeformte Beine. Sie hatte einen sehr schönen Körper, auch wenn sie seinem Geschmack nach ein wenig zu mager war. Zierlich mit festen Rundungen, straff und geschmeidig, wie Elizabeths Körper, nur jünger.
Als er sie zum ersten Mal in dem gedämpften Licht stehen sah, furchtlos und zu allem entschlossen, mit hellblondem Haar, das wie eine Kaskade zu den Hüften hinabfiel, hatte er einen Augenblick lang geglaubt, Elizabeth vor sich zu haben. Aber das Gesicht, auch wenn es als schön zu bezeichnen war, hatte nicht die Ebenmäßigkeit, die Elizabeths Züge auszeichnete, aber mehr Wärme und Ausdruck. Und das Haar war nicht so hell wie das von Elizabeth. Bei ihr schimmerte ein blasses Blond durch, das stellenweise silbern aufleuchtete, und ihre Haut hatte einen leicht rosa Schein. Im Vergleich zu ihr war Elizabeth eine Schneekönigin. Diese Frau hier erinnerte an die ersten Strahlen der Morgensonne.
Mitte zwanzig vermutete er. Schön und mutig.
Schade, dass er sie vernichten musste.
Sein Knappe John trat durch die Zeltklappe ein und brachte einen Teller, der mit einem Eintopfgericht gefüllt war. Der junge Mann hatte sich mit dem Servieren des Abendessens Zeit gelassen und trug jeden Gegenstand einzeln auf. Ein reiner Vorwand, um verstohlene Blicke auf die Frau auf dem Feldbett zu werfen. Mit gierigen Augen verschlang er die nackten Beine.
Er schuf sofort Klarheit. »Halt deine Hose verschnürt, Junge. Sie ist nicht für dich.«
John bekam einen roten Kopf und stellte den Eintopf ab. Beim Anblick der faden Masse verzog Ian das Gesicht. Zum Glück hatte er seinen Hunger mit Melissas köstlichen Fleischpasteten gestillt. Als der Knappe hinausging, nahm er das letzte Stück Pastete und warf es ihm zu. »Ein kleiner Trost. Das Vergnügen ist bei allen Frauen ziemlich ähnlich. Das Gleiche gilt auch für das Essen.«
Sie bewegte sich wieder. Langsam hob sie die Lider. Sofort war sie hellwach, als sie begriff, in welcher Lage sie sich befand. Verzweifelt zerrte sie an den Fesseln und stöhnte vor Schmerzen auf.
»Na, wie geht es?«, fragte er. »So viel ich weiß, gibt es keinen Schlaftrunk, der einem hinterher nicht den Schädel spaltet.«
Aus halb geschlossenen Augen blickte sie zu seinem Stuhl hinüber. Einen kurzen Moment lang fürchtete sie in Panik zu geraten, aber es gelang ihr sich zu beherrschen.
Gut.
»Ein Glück für Sie, dass es kein Gift war«, fügte er hinzu.
»Für Gift habe ich kein Rezept.«
Er unterdrückte das Lachen. Freches kleines Ding. »Wie schade.«
Es gelang ihr andeutungsweise mit den Schultern zu zucken. »Da Sie ja nicht davon getrunken haben, ist es belanglos.«
Sie blickte wieder auf ihren hilflosen Körper. »Was haben Sie mit mir vor?«
Sie versuchte gelassen zu klingen und tat ihm ein wenig Leid. »Das habe ich mir auch durch den Kopf gehen lassen. Ich wollte Sie hängen, wenn Sie aufwachen.«
»Mich hängen!«
»Aye. Wegen Mordes.«
»Aber ich habe doch nicht ...«
»Sie haben es versucht.«
»Nicht wirklich. Mich hat der Mut verlassen.«
»Ich habe eine Schnittwunde an meinem Arm, das ist Beweis genug.«
»Die haben Sie, weil sie mich angegriffen haben. Wenn Sie geschlafen hätten, wie es geplant war ...«
»Dann wäre ich jetzt tot. Spielen Sie nicht das Unschuldslamm, Melissa. Ihr Plan war gewagt und mutig, und das respektiere ich. Aber Sie haben versagt, und ich kann jetzt über Ihr Leben verfügen. Ich dachte an Tod durch den Strang, aber mein Lord überzeugte mich, dass dies die pure Verschwendung sei. So habe ich mir für Sie eine Art Buße ausgedacht.«
Er ging zu ihr und setzte sich auf die Kante des Feldbetts. »Wie Sie schon sagten, es ist eine lange Belagerung. Die Männer langweilen sich und werden unruhig, und die Huren im Lager ... nun, mit Kurtisanen kann man sie nicht vergleichen.«
Ihre Augen wurden groß. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie mich Ihrem Heer übergeben? Dass Sie von mir erwarten, ich ...«
»Nicht das ganze Heer. Nur die Ritter.«
»Das ist abscheulich.«
»Das Hängen ist es auch.«
Ihr Gesichtsausdruck wurde eisig. Nur die Augen sprühten vor Wut. Er hatte Tränen erwartet. Sie hatte Schneid, das musste er ihr lassen.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr Lord, Sir Morvan, Ihren Plan gutheißen würde. Es heißt, er sei ein Mann von Ehre.«
»Das kümmert ihn einen Dreck. Den Turm habe ich bald eingenommen, und die Hälfte der Truppen kann sich ihm in Harclow anschließen. Nur das allein zählt. Abgesehen davon habe ich ihm einmal das Leben gerettet, also steht er in meiner Schuld.«
Mit zusammengebissenen Zähnen rang sie um Beherrschung. Ihre Augen blitzten auf bevor sie die Lider schloss. »Dann hängen Sie mich lieber! Mindestens zwanzig Ritter sind hier. Wahrscheinlich werden sie mich so oder so umbringen.«
»Nicht, wenn man ihnen gefällig ist. Auf diese Weise werden Sie Ihren Auftrag doch erfüllen. Morgen bei Tagesanbruch werden wir einen der Tunnel sprengen. Ich rechne damit, dass die Festung mittags fällt oder sich ergibt. Ihre Gunst wird meine Ritter belohnen und vielleicht ihren Unmut besänftigen, weil sie auf eine Plünderung der eroberten Stadt verzichten müssen.«
Sie blickte ihn eindringlich an. »Sie sprengen den Tunnel bei Tagesanbruch?«
»Das habe ich vor. Wir graben zwei. Der auf der Südseite hat die Mauer bereits erreicht.«
Seine Augen wanderten über die samtige Haut ihres Gesichts, ihrer Schultern und der entblößten Wölbung ihres Busens. Sie ist kein Mädchen mehr, aber schließlich hatte er sich nie viel aus Mädchen gemacht. Das Verlangen, die samtige Haut zu küssen, und das Bewusstsein, dass sie ihn nicht daran hindern konnte, strafften seinen Körper. Die Kurtisane Melissa hatte in einem Punkt Recht. Er war des Lagerlebens müde und sehnte sich nach der Illusion einer romantischen Liebeswerbung. Er war versucht gewesen, ihr Spiel zu Ende zu spielen, aber dann hätte er vielleicht nicht mehr das Herz gehabt, sie so zu benutzen wie er es jetzt vorhatte.
Er konnte nicht anders. Er streckte die Hand aus und streichelte ihre Wange. Weich. Warm. Er lehnte sich vor und streifte sie mit den Lippen. »Für eine Kurtisane dürfte das eine milde Strafe sein. So wie ich die Situation einschätze, gibt es nur ein Problem.« Er lächelte zu ihr herab. »Sie, Melissa, sind keine Kurtisane.«
»Und ob ich das bin!«
»Das sind Sie keineswegs. Ich habe Jungfrauen kennen gelernt, die die Kunst des Küssens besser beherrschen als Sie. Wer sind Sie? Kommen Sie aus der Stadt?«
Sie nickte.
»Eine so junge Frau wie Sie beschließt für ihr Volk in die Rolle der Heldin zu schlüpfen. Sehr tapfer und beeindruckend. Weiß Ihr Mann, dass Sie sich auf diesen Wahnsinnsplan eingelassen haben?«
»Ich bin verwitwet.«
»Ah. Trotzdem, Ihr Mann hat Ihnen nicht viel beigebracht. Habe ich Recht? Und da liegt das Problem. Mein Knappe hat im Lager erzählt, dass ich eine Kurtisane bei mir habe. Einige der Ritter könnten unangenehm werden.«
Er blickte auf ihren halb entblößten Körper. Sie starrte ihn ängstlich an.
»Da es meine Absicht ist, Sie am Leben zu lassen, könnte ich mich ja als Erster an Ihnen vergehen«, sagte er. »Ich werde Ihnen einiges beibringen und dann ist es Ihnen vielleicht möglich, die anderen zu täuschen.«
»Das ist nicht nötig. Ich komme zurecht.«
»Das glaube ich nicht.« Er ließ die Hand über ihren Körper gleiten. Seine Berührung erregte sie, und sie hasste sich dafür. Sie war gegen dieses Gefühl nicht gefeit, aber das hatte er bereits bemerkt, als er sie küsste.
Ein Zittern durchfuhr ihren Körper und übertrug sich auf ihn. Er biss die Zähne aufeinander. Die Versuchung, sie zu behalten und den Sommer mit ihr auf dem Feldbett und den Fellen zu verbringen, war groß.
Er stand auf. »Ich muss jetzt gehen. Die Arbeiten am Tunnel erfordern meine Anwesenheit. Sie werden jedoch vor dem Morgengrauen abgeschlossen sein. Da ich hier befehlige, kann ich mir erlauben, bereits etwas früher zu feiern.« Er stand jetzt über ihr. »Zu schade, dass ich Sie mit den anderen teilen muss, Melissa, aber sie wissen, dass Sie hier sind, und es wäre unklug, Sie den Männern vorzuenthalten. Abgesehen davon gehören Sie mir, vorher und nachher.«
»Nachher! Danach müssen Sie mich gehen lassen!«
»Irgendwann, ja. Wenn ich keinen Gebrauch mehr für Sie habe.«
Als er sich zum Gehen wandte, sank ihr Körper mutlos zusammen, als ob die letzte Bemerkung ihr den Todesstoß versetzt hätte.
Ian wartete mit John und fünf anderen Männern am Fuße des kleinen Hügels, auf dem sich das Turmhaus erhob. In den Lagern war es still. Die Soldaten waren in der Nähe des Torhauses positioniert. Über ihm erhob sich Black Lyne Keep wie eine uneinnehmbare steinerne Säule, die von dicken Festungsmauern umringt war.
Die Lagerfeuer brannten niedrig und spendeten nur wenig Licht. Seine Gefangene würde die Stille nicht überraschen, da sie ja annahm, dass heute Nacht jeder Mann am Tunnel arbeitete.
Es war einfach gewesen, sie hinters Licht zu führen. In gewisser Weise ist eine kluge Frau leicht zu täuschen. Es sei denn natürlich, sie hat ihn zuerst an der Nase herumgeführt. Das war ihm in seinem Leben einmal passiert und endete in einer Katastrophe. Er hatte sich geschworen, dass es nie wieder geschehen würde.
»Sind Sie sicher?«, flüsterte der Bogenschütze Gregory. Er war einer von Morvans Männern, dick und grau, und beauftragt, Ian zu begleiten, und die Dinge im Auge zu behalten.
»Ich bin sicher«, sagte Ian. »Sie wusste zu viel, aber nicht, dass Morvan in Harclow ist, auch nicht, dass wir bereits vor einem Monat mit der Stadt verhandelt haben. Zudem ist sie eine Lady, keine Kurtisane oder Kaufmannswitwe.«
Wenn sie den Weg hierher gefunden hat, dann findet sie ihn auch wieder zurück.
Er empfand keine Ungeduld. Wenn sie feststellt, dass die Fessel an einer Hand locker ist, würde es eine Weile dauern, bis sie sich befreit hatte.
Die einzige Frage war, ob sie eine kluge Entscheidung traf und die Flucht wählte oder das Risiko einging, zurückzukehren und die anderen zu warnen. Er setzte auf die Lady, die sich als Kurtisane ausgab, um ihn zu töten. Sie würde die letztere Möglichkeit wagen.
»Wenn Sie Recht haben, wird es schnell erledigt sein. Morvan wird es zu schätzen wissen«, sagte Gregory.
Ian rechnete damit. Er baute darauf, dass Morvan Fitzwaryn noch tiefer in seiner Schuld stand. Obwohl es gewisse Spannungen zwischen ihnen gab, respektierte er Morvan und war bereit, diesen Krieg zu seinen Bedingungen zu führen, in dem Bewusstsein, dass Morvan ihn großzügig entlohnen würde. Mit einer großen Summe. Aber Ian spielte um einen höheren Einsatz. Wenn Morvan Harclow wieder eingenommen hätte und das Land seiner Vorfahren zurückerhielte, das ihm entrissen wurde als er noch ein Kind war, würde er auf seine Besitzungen in Britannien und zu seiner Familie zurückkehren. Harclow würde dann einen Seneschall benötigen.
Ian hatte vor dieser Mann zu sein. Es ist natürlich nicht das Gleiche als wenn er seinen eigenen Ländereien vorstand. Aber weit besser als das erbärmliche Lagerleben eines Freibeuters, das ihm das Schicksal in den letzten vier Jahren beschert hatte.
Ein Schatten zog an einem der Zelte vorbei. Der Feuerschein ließ die Silberlichter auf Melissas Haar tanzen, als sie von Zelt zu Zelt huschte. Sie blieb an einem der Zelte stehen, das der nach Norden führenden Straße am nächsten stand.
Komm Kleines. Komm. Ian lockte sie im Stillen. Verliere jetzt nicht deinen Mut. Zeig aus welchem Holz du geschnitzt bist.
Mit eiligen Schritten ging sie weiter, den Hügel hinter sich lassend. Ian fluchte leise. Aber plötzlich blieb sie stehen, verharrte einen Augenblick, machte entschlossen kehrt und ging auf den Turm zu.
Ian schlich ihr nach.
Reyna zwängte sich durch das Gestrüpp und fand den Eingang. Die schwarze, gähnende Öffnung starrte sie an.
Keine Alice, die ihr dieses Mal zur Seite stand.
Einhundertfünfzig Yard unterirdische Katakomben erwarteten sie. Fünfhundert Schritte in einem stockfinsteren Felstunnel.
Die alte Panik ihrer Kindheit überfiel sie, und sie kämpfte verzweifelt dagegen an.
Sie hatte nicht vorgehabt, wieder zurückzugehen. Ihr Plan war es, ein Pferd zu stehlen und jetzt bereits in nordöstlicher Richtung davonzugaloppieren. Bei Tagesanbruch hätte sie ihre Mutter in die Arme geschlossen. Dann hätte sie ihre Reise nach Edinburgh vorbereitet.
Der Eingang erschien ihr wie ein aufgesperrter Rachen, der sie verschlingen wollte.
Es war nur die Dunkelheit. Es gab keinen Grund sich zu fürchten.
Sie nahm ihren Mut zusammen und wagte sich hinein.
Sofort ging ihr Herzschlag in ein dumpfes Pochen über. Wenn sie gerannt wäre, hätte sie alles schneller hinter sich gebracht, aber die Beine versagten ihr den Dienst und bewegten sich nur schleppend vorwärts. Sie tastete sich an der Felswand entlang und kämpfte gegen die alten Erinnerungen an, die sie an den Rand des Zusammenbruchs trieben.
Schrecken. Kälte. Unendliche Verlassenheit. Unsichtbare Klauen griffen nach ihr.
Aber dann, Gott sei Dank, entstand ein anderes Bild vor ihren Augen. Warmes Licht, ein freundliches Gesicht und eine Hand, die sich ihr in der dunklen Schwärze entgegenstreckte. Komm mit mir, Kleines. Du wirst in Sicherheit sein, und du wirst dich niemals wieder fürchten. Sie konzentrierte sich auf das Bild dieser Hand und die Geborgenheit und Liebe, die sie versprach. Es half. Sie ging zügig voran.
Plötzlich schnappten diese Geisterhände nach ihr. Sie schrie auf. Der Laut hallte von den steinernen Wänden wider. Sie schlug wild um sich, bis sie zwei kräftige Arme an sich drückten und warmer Atem über ihr Gesicht strömte. Etwas benommen erwachte sie aus dem Albtraum und fand sich in den Armen von Ian Guilford wieder.
»Brav. Ist ja gut.« Er sprach auf sie ein, wie auf ein Pferd, das scheute.
Im Augenblick der Schwäche wäre sie vor Erleichterung und Dankbarkeit beinahe ohnmächtig an ihn gesunken. Dann schwand die Erinnerung, und sie begriff plötzlich, was seine Anwesenheit bedeutete. In wilder Verzweiflung versuchte sie sich aus dem Klammergriff zu befreien.
»Ich möchte Ihnen nicht wehtun, Melissa«, beruhigte er sie und zog sie zum Eingang zurück. Dort hielt er sie fest, steckte vorsichtig den Kopf hinaus und pfiff.
»Dreckskerl, Hurensohn«, zischte sie. »Woher wussten Sie das?«
»Ich habe mich in der Stadt erkundigt. Sie sind weder die Frau eines Handwerkers noch eine Kurtisane.« Seine Arme hielten sie immer noch fest. »Machen Sie sich keine Vorwürfe. Für ihre Freunde dort drinnen ist es besser so.«
Das bezweifelte sie. Entsetzliche Schuldgefühle überkamen sie. Anstatt ihre Freunde zu retten, hatte sie ihre Not verschlimmert. Wenn sie doch jetzt den Dolch hätte! Dieses Mal würde sie nicht eine Sekunde zögern.
Mehrere Schatten verdeckten den schwachen Lichtschimmer am Eingang. »Es ist doch nicht zu fassen! Sie hatten Recht«, ertönte eine ältere Stimme.
Ian schob sie an die Felswand und hielt sie mit eisernem Griff an den Schultern fest. »Es ist aus. Machen Sie jetzt keine Dummheiten«, warnte er.
Sie starrte auf den schemenhaften Umriss seines Kopfes. Zur Hölle mit diesem Mann. Hol dich der Teufel!! Bewusst langsam richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf, neigte den Kopf nach hinten und spuckte.
Die anderen mussten es gehört haben, denn die kleine Gruppe war plötzlich verstummt. Ian packte sie fest am Kinn. »Benehmen Sie sich, Melissa, sonst behandle ich Sie wie die Hure, die Sie mir vorgespielt haben.«
Er trat zurück. »Bewache sie mit deinem Schwert, John. Sie darf sich keinen Schritt von hier wegrühren, bis ich sie hole.«
»Das heißt, dass ich hier bleiben muss?«, maulte der junge Mann.
»Ja. Und, John, vergiss nicht, was ich dir gesagt habe. Sie gehört mir. Mein Pferd würdest du niemals ohne meine Erlaubnis besteigen. Also nimm dir auch bei ihr keine Freiheiten heraus.«
John stieß einen Fluch aus und zog das Schwert aus der Scheide. Die anderen Männer verschwanden in der Dunkelheit.
Reyna lehnte an der Felswand mit dem Gesicht zu John. Als eine Weile verstrichen war und sie sich ruhig verhielt, ließ die Anspannung ihres Bewachers nach. Langsam sank die Schwertspitze von ihrem Oberkörper. Er rutschte zu ihr hinüber und lehnte sich ebenfalls an den Felsen.
Sie lauschte angestrengt in die Stille. Aber vom Turm waren keine Geräusche zu hören. Sie stellte sich vor, wie Ian und seine Männer aus dem Tunnel schlichen in den Durchgang zum Nordwall und von dort im Schutz der Dunkelheit zum Torhaus weiter huschten und die Wachtposten der Reihe nach außer Gefecht setzten.
»Ihr Lord scheint ein großer Krieger zu sein.«
»Ja, das kann man wohl sagen«, stimmte John stolz zu. »Nur wenige können sich mit seinem Schwertarm messen. Und er gewinnt die meisten Turniere.« Begeistert schilderte er ihr seine Siege bei den verschiedensten Wettkämpfen in Britannien, und Reyna überhäufte ihn mit Fragen, um sein Vertrauen zu gewinnen.
Immer noch kein einziger Laut vom Turm. »In England muss er sehr berühmt sein.«
John gluckste in sich hinein. »Das ist er zweifellos. Aber nicht so, wie Sie meinen. Die meisten Kämpfe hat er in Frankreich ausgetragen mit seinen Freiwilligen, die mit ihm gekommen sind, als Sir Morvan ihn anheuerte. Er ist bereits seit einigen Jahren ihr Befehlshaber.«
Reyna wusste einiges über diese Freiwilligen. Es handelte sich dabei um unabhängige Soldaten und besitzlose Ritter, die sich bei Baronen und Königen gegen einen Sold verdingten. Wenn sie nicht im Auftrag handelten, dann führten sie ihre Eroberungszüge auf eigene Faust durch. So führten sie zum Beispiel Belagerungen durch, die sie aufhoben, wenn die Stadt ein Lösegeld zahlte. In Frankreich wurden sie zu einem ernsten Problem für Städte, Dörfer und Bauernhöfe. Wenn Morvan Fitzwaryn diese Briganten für die Belagerung angeheuert hatte, dann war es nicht gut um ihre Freunde bestellt.
»Letztes Jahr kämpfte er bei Poitiers mit dem Schwarzen Prinzen«, fügte John trotzig hinzu, als hätte er ihre Missbilligung gespürt. »Dort hat er Sir Morvan das Leben gerettet. Wegen einer alten Fehde zwischen Sir Morvan und der Familie Beaumanoir wurde er verfolgt und überfallen. Ian wusste nicht einmal, wem er eigentlich half. Er sah nur wie die Ritter versuchten, Morvan vom Pferd zu stoßen. Aus Spaß und Tollerei sprang er dazwischen.«
»Es ist nur natürlich, dass ihn solche Heldentaten berühmt machen.«
»Oh, das ist es nicht. Nicht in England. Ich würde sagen, hier ist er wegen seines Erfolgs bei Frauen berühmt.«
»Sir Ian ist ein gut aussehender Mann, das lässt sich nicht leugnen.«
»Das hieße aus der Mücke einen Elefanten machen. Mein Lord muss sich der Frauen mit dem Schwert erwehren. Hohe Damen sowie Küchenmädchen werfen sich ihm an den Hals.« Er seufzte bewundernd auf, dann beugte er sich verschwörerisch zu ihr. »Ich habe erfahren, dass der Hof von Windsor ihm einen Beinamen so wie einen Titel verliehen hat.«
»Einen besonderen Namen? Einen Ehrennamen?«
»Aye.« Sie konnte sich sein verschmitztes Lächeln vorstellen. »In Windsor und London ist er als Herr der tausend Nächte bekannt.«
