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Es ist Sommer und die jungen Rinder Julyus und Leopold sollen mit ihrer Herde verreisen. Doch die beiden Kälber haben dazu keine Lust. Sie möchten die Zeit viel lieber mit ihren Freunden verbringen. Die Herde erzählt den jungen Stieren von dem spannenden Abenteuer, das sie im vergangenen Jahr auf der Reise erlebt haben. Wird es ihnen damit gelingen, Julyus und Leopold für den Ausflug zu begeistern?
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Seitenzahl: 50
Veröffentlichungsjahr: 2022
Für Amilia
Kapitel 1: Willkommen in der Herde
Kapitel 2: Die Geschichte beginnt
Kapitel 3: Auf großer Fahrt
Kapitel 4: Tierische Freundschaften
Kapitel 5: Freunde auf zwei Beinen
Kapitel 6: Die Geschichte nimmt Fahrt auf
Kapitel 7: Erst die Schule, dann das Vergnügen
Kapitel 8: Auf der Suche nach Murphy
Kapitel 9: Die Suche geht weiter
Kapitel 10: Ein guter Plan
Stift- bzw. Aufbewahrungsbox / Pflanztopf aus Dosen
Liebevoll betrachtete Sarina ihre Familie, die es sich zu ihren Füßen im Heu bequem gemacht hatte und darauf wartete, dass sie endlich zu erzählen begann. Julyus, der Jüngste im Bunde, lag ihr nun schon seit Tagen damit in den Ohren, dass er die Geschichte hören wollte. Die Geschichte von der Reise in die Rhön.
Nun endlich war es so weit. Julyus zappelte vor lauter Vorfreude so sehr herum, dass Heu durch den Stall flog.
„Es war einmal“, begann Sarina ihre Erzählung. Weiter kam sie nicht. „Nein, das ist falsch. So erzählt man die Geschichte nicht!“, polterte Salomon los.
Wütend blickte Sarina ihn an, doch bereits nach wenigen Sekunden war ihre Wut weg, verraucht. Wie immer, denn sie konnte ihrem Enkel einfach nicht böse sein.
„Aber so erzählen die Menschen ihre Geschichten doch auch immer“, protestierte sie. Sarina wusste das ganz genau, denn schon als Kälbchen hatte sie sich immer ganz ganz nah an die Hoffenster begeben, damit sie zuhören konnte, wenn die Mutter den Kindern Geschichten erzählte. Geschichten von Prinzen und Prinzessinnen, Hexen, Feen und Drachen. Nie hatte sie genug bekommen können, selbst wenn sie eine Geschichte schon das zehnte oder zwanzigste Mal hörte. Eine Erzählung hatte sie immer ganz besonders geliebt. Es ging um ein junges Mädchen mit pechschwarzem Haar und roten Lippen, das bei Zwergen im Wald wohnte. Im Sommer hatte sie fast jede Nacht unter dem offenen Fenster gestanden, um den Geschichten zu lauschen. Die Weide grenzte dort unmittelbar an den Hof. Und nun behauptete dieser Bengel einfach, sie würde die Geschichte falsch erzählen.
Nachdem Salomon seine Großmutter unterbrochen hatte, war es im Stall schlagartig still geworden. Sogar Julyus lag regungslos im Heu und traute sich kaum zu atmen. Alle warteten, ob Salomon es wagen würde, Sarina zu widersprechen. Schließlich war sie die Herdenälteste und Mutter beziehungsweise Großmutter der anwesenden Rinder. Okay, von fast allen anwesenden Rindern. Votan und Henry stammten aus einer anderen Herde. Irgendwann hatten sie einfach auf der Weide gestanden. Niemand wusste, woher sie gekommen waren. Henry hatte sich sofort mit Samuel angefreundet. Votan hingegen war sehr schüchtern und hielt sich meistens eher im Hintergrund. Aber auch ihn hatte die Herde schnell ins Herz geschlossen und so durften die beiden Stiere bleiben.
Anfangs hatte die Herde sie versteckt, denn sie befürchteten, dass die Menschen sie wegschicken würden. Aber dann war Nina, die Besitzerin des Hofes, ihnen auf die Schliche gekommen. Die Herde hatte mit einem großen Donnerwetter gerechnet, doch das blieb aus. Nina empfing Votan und Henry mit offenen Armen und seitdem bestand die Herde aus zwölf Auerochsen.
Salomon, mit seinen großen Hörnern und dem imposanten Äußeren, der unangefochtene Chef der Herde, bereute sofort seine Oma unterbrochen zu haben. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Jetzt musste er sich gegen Sarina durchsetzen, schließlich war er der Anführer. Die anderen Auerochsen durften nicht den Respekt vor ihm verlieren. Aber er liebte auch seine Oma und wollte sie nicht schlecht dastehen lassen. Also musste schnell eine Lösung her.
„Du hast vollkommen recht“, sagte er. „Aber was die Menschen erzählen, das sind doch Märchen, erfundene Geschichten. Unsere Reise in die Rhön ist ein echtes Erlebnis.
Sarina, die sich bemüht hatte, Salomon mit einem stechenden Blick ein schlechtes Gewissen zu machen, musste zugeben, dass ihr Enkel recht hatte.
Das Abenteuer, von dem sie Julyus erzählen wollte, hatten sie im vergangenen Sommer wirklich erlebt. Da waren Julyus und Leopold noch nicht geboren gewesen. Ein wenig eingeschnappt war Sarina immer noch. Aber sie wollte nicht streiten, der Abend war einfach zu schön. Der Vollmond warf sein Licht durch die Stallfenster, es war angenehm warm und die Menschen hatten ihnen eine große Portion Kräuter zu fressen gegeben. Das war ein richtiges Festmahl gewesen. Also gab sie nach.
„Okay, wahrscheinlich hast du recht.“ Allerdings konnte sie es sich nicht verkneifen, ihren Enkel ein wenig zu ärgern. „Und da du dich mit dem Geschichtenerzählen so gut auskennst, kannst du das ja dann übernehmen.“
Salomon schluckte. Damit hatte er nicht gerechnet und es gefiel ihm überhaupt nicht. Er war nicht gut darin, Geschichten zu erzählen und Julyus und auch Leopold freuten sich doch so auf eine gute Geschichte.
„Was hältst du davon, wenn wir alle die Geschichte zusammen erzählen?“, schlug Saphira vor. Sie kannte ihren Sohn und auch wenn er ein starker Auerochse war, manchmal brauchte er halt einfach die Hilfe seiner Mutter.
„Das ist eine tolle Idee!“, sprang Sarah ihrer jüngeren Schwester zur Seite, was ihr ein dankbares Lächeln von Salomon einbrachte. „Ich fang dann direkt mal an.“
Sarah, die älteste Tochter von Sarina, ein sehr hübscher weiblicher Auerochse mit einem auffälligen weißen Fleck auf der Schulter, hatte sich vor der Fahrt in die Rhön sehr gut informiert. Schließlich muss man als besorgte Mutter sichergehen, dass es den Kindern gutgeht.
„Im letzten Jahr hat die gesamte Familie einen Ausflug in die Rhön gemacht und den ganzen Sommer dort verbracht. Wir wurden eingeladen und durften monatelang die prachtvolle Natur, mit saftigen Wiesen, leckeren Kräutern und dem dichten Wald, genießen. Noch heute läuft mir bei der Erinnerung an den wildwachsenden Bärlauch das Wasser im Mund zusammen. Der ist das Leckerste, was ich je gegessen habe, noch besser als altbackene Brötchen vom Vortag.“
Bevor Sarah richtig ins Schwärmen kam, zeigte ihre Mutter ihr mit einem einzigen Blick, dass sie die Geschichte endlich weitererzählen sollte.