Einer Liebe Opferweg - Karin Bucha - E-Book

Einer Liebe Opferweg E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Wie gelähmt stand Dr. Alexander Hanssen vor dem Schaufenster der Kunsthandlung Panneck. Seine Augen wurden förmlich angezogen von einem Ölgemälde. »Anbruch« stand mit großen Buchstaben darunter. Mit der Hand fuhr er sich über die Augen, weil er glaubte, ein Spuk narre ihn, aber das Bild blieb. Die zarte, schleierumflossene Frauengestalt, die jauchzend den anbrechenden Morgen begrüßte, glich aufs Haar Christine, seiner Frau. Ich werde wahnsinnig! dachte er. Es muß etwas geschehen, damit ich es nicht tatsächlich werde! Aber es geschah nichts. Gewißheit! Gewißheit, schrie es in ihm. Er wandte sich brüsk um und stand in der Kunsthandlung. »Kann ich bitte Herrn Panneck sprechen?« Dr. Hanssen strich sich über die Stirn. Ihm war so merkwürdig zumute, so dumpf im Kopf. Ein schmerzhafter Druck quälte seine Augen, so daß er die Lider schloß. Nur jetzt nicht wieder krank werden, nachdem er erst eben das Krankenlager verlassen hatte.

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Leseprobe: Bettina Fahrenbach - Staffel 7

Als der alte Fahrenbach, der eine zunächst kleine Firma im Weinanbau und -vertrieb errichtet und im Laufe der Jahre zu einem bedeutenden Familienunternehmen erweitert hat, das Zeitliche segnet, hinterlässt er ein ziemlich seltsames Testament. Drei seiner Kinder scheinen Grund zur Freude zu haben, Frieder als neuer Firmenchef, Jörg als Schlossherr und Grit als Villenbesitzerin.

Karin Bucha Classic – 25 –

Einer Liebe Opferweg

Karin Bucha

Wie gelähmt stand Dr. Alexander Hanssen vor dem Schaufenster der Kunsthandlung Panneck. Seine Augen wurden förmlich angezogen von einem Ölgemälde.

»Anbruch« stand mit großen Buchstaben darunter.

Mit der Hand fuhr er sich über die Augen, weil er glaubte, ein Spuk narre ihn, aber das Bild blieb.

Die zarte, schleierumflossene Frauengestalt, die jauchzend den anbrechenden Morgen begrüßte, glich aufs Haar Christine, seiner Frau.

Ich werde wahnsinnig! dachte er. Es muß etwas geschehen, damit ich es nicht tatsächlich werde!

Aber es geschah nichts.

Gewißheit! Gewißheit, schrie es in ihm.

Er wandte sich brüsk um und stand in der Kunsthandlung.

»Kann ich bitte Herrn Panneck sprechen?«

Dr. Hanssen strich sich über die Stirn. Ihm war so merkwürdig zumute, so dumpf im Kopf. Ein schmerzhafter Druck quälte seine Augen, so daß er die Lider schloß.

Nur jetzt nicht wieder krank werden, nachdem er erst eben das Krankenlager verlassen hatte.

»Sie wünschen, mein Herr?«

Dr. Hanssen fuhr aufgeschreckt herum.

»Eine Frage, bitte.« Seine Stimme klang unnatürlich. »Können Sie mir die Adresse des Malers Helldorf sagen?«

Panneck maß den eleganten Fremden mit prüfendem Blick. Vielleicht irgendein reicher Kunstliebhaber, urteilte er. Und Axel Helldorf hatte Aufträge sehr nötig.

»Gewiß, mein Herr. Herr Helldorf wohnt Geniusstraße 20.«

»Danke!« preßte Alexander Hanssen hervor und wandte sich zum Gehen. Fast an der Tür, kam er nochmals in den Laden zurück.

»Können Sie mir sagen, ob das Bild ›Anbruch‹ verkäuflich ist?«

»Vorläufig wohl nicht.«

Dr. Hanssen war von dieser Antwort unbefriedigt. Wie ein Traumwandler verließ er den Laden. Fragen über Fragen drängten sich ihm auf. In welchem Zusammenhang stand Christine mit diesem Bild? Wie war das Gemälde entstanden? Wie stand Christine zu dem Maler?

Mißtrauen gegen Christine kroch ihn an.

Was wußte er überhaupt von ihr? Am Krankenbett eines seiner Patienten war er ihr erstmals begegnet, und von da ab war er dem zarten jungen Geschöpf verfallen gewesen.

Vor einigen Wochen hatte er geheiratet. Sie, Christine, die jüngste Tochter des Bahnarbeiters Franz Walther. Und er war unaussprechlich glücklich gewesen, bis ihn jetzt eine rauhe Hand aus dem Himmel der Seligkeit gerissen hatte.

Wie war Christine dazu gekommen, dem Maler Modell zu stehen?

Er stand vor dem Haus Geniusstraße 20.

Ohne Zögern ging er die Stufen bis unter das Dach zum Atelier des Kunstmalers Axel Helldorf hinauf.

*

»Sie, Herr Professor?« In lieblicher Verwirrung schloß Christine Hanssen die Tür hinter Professor Markhoff und streckte ihm die Hand entgegen.

»Erschrecken Sie nicht, kleine Frau!«

Professor Markhoff legte den Mantel ab und sah sich gemütlich in der kleinen Diele um.

»Nett haben Sie es.«

Christines schöne graue Augen leuchteten dankbar auf. Doch Professor Markhoff wich dem strahlenden Blick der jungen Frau aus. Handelte er recht, wenn er dieses glückliche Herz mit Kummer belastete? Er gab sich einen Ruck. Ihre Liebe mußte sich bei dem, was nun kommen würde, bewähren.

»Ich komme Alexanders wegen«, begann er.

»Alexanders wegen?« wiederholte Christine, und Unruhe befiel sie. »Erfüllt er seine Pflichten als Oberarzt in Ihrem Krankenhaus nicht? Oder hat Alexander nach der schweren Krankheit seinen Dienst etwa doch zu früh angetreten?«

Professor Markhoff lächelte väterlich. »Alexander hat seine Pflichten noch nie absichtlich vernachlässigt.«

»Warum betonen Sie ›absichtlich‹?« In Christine sprang Angst auf.

»Frau Hanssen, seit Tagen beobachten wir Alexander. Er führt so seltsame Reden. Wissen Sie, daß er sich eine eigene Praxis einrichten will?«

»Wovon denn?« warf Christine entsetzt ein.

»Alexander hat aber seine Stellung gekündigt.«

Christine fuhr betroffen auf. »Davon weiß ich kein Wort. Hat man ihm ein günstiges Angebot gemacht?«

Professor Markhoff hob die Schulter. »Das wollte ich gerade von Ihnen wissen.«

»Ich weiß gar nichts!« bemerkte Christine bestürzt.

Professor Markhoff wurde sehr ernst. »Dann gibt es nur eine Erklärung: Ihr Gatte ist noch nicht gesund – ja, sein Zustand scheint sich verschlimmert zu haben. Es ist selbstverständlich, daß ich diese Kündigung nicht annehme. Wir werden Alexander noch einmal untersuchen. Es könnte von der Gehirngrippe etwas zurückgeblieben sein.«

»Ich habe Angst!« kam es leise von Christines Lippen.

»Nicht verzagt sein, kleine Frau!« Der Professor fuhr ihr sanft über das kastanienbraune Haar. »Sie müssen tapfer sein, wenn sich unsere Vermutung bestätigen sollte.«

»Welche Vermutung?«

»Ich kann Ihnen noch nichts sagen. Aber auf alle Fälle Kopf hoch!«

Seltsamen Empfindungen war Christine preisgegeben, als sie wieder allein war.

Was war mit Alexander?

Sie sollte auf ihn einwirken, hatte der Professor gesagt. Mein Gott, sie würde ja alles tun. Aber wenn die böse Krankheit abermals zum Ausbruch kam, würden dann ihre Kräfte ausreichen?

Immer wieder gingen ihre Blicke zur Uhr. Ihr Zeiger rückte unaufhaltsam weiter, und Alexander kam nicht. Sie geriet in einen Zustand fieberhafter Erregung.

Warum kam Alexander nicht?

Plötzlich fuhr sie zusammen. Das Telefon hatte geläutet.

Zaghaft nahm sie den Hörer zur Hand.

»Christine Hanssen!« meldete sie sich. Sie erschrak selbst vor dem heiseren Klang ihrer Stimme.

»Ich – soll sofort hinkommen? Was ist geschehen? So reden Sie doch! – Ja, ich komme!«

Der Hörer entfiel ihrer zitternden Hand. Was war mit Alexander geschehen?

Sie kleidete sich mit fliegenden Händen an und verließ vollkommen aufgelöst die kleine Neubauwohnung. Unterwegs hielt sie ein Taxi an.

Was ist nur mit mir los? dachte Dr. Hanssen und lief rat- und ziellos durch die Straßen.

War es nun zu seinem Glück, daß er den Maler nicht angetroffen hatte, oder gönnte ihm das Schicksal nur eine Gnadenfrist?

Ein paarmal blieb er stehen und fuhr sich mit den Händen nach dem Kopf. Das war ja kaum noch auszuhalten, dieser rasende Schmerz in den Augen. Dazu die Zweifel an Christine.

Aber noch wußte er nichts. Es konnte doch eine andere Frau sein, beschwichtigte er sich, aber tief im Herzen blieb das Mißtrauen. .

Er ging an einem Schaufenster vorbei und sah sich im Spiegel. Wie sah er aus? Verfallen war sein Gesicht, in den Augen brannte ein inneres Feuer. Wurde er wieder krank? Er mußte etwas gegen die Schwäche tun, die in seinen Gliedern lag.

Mit der nächsten Bahn fuhr er ins Friedstädter Krankenhaus, an die Stätte seiner Tätigkeit.

Sein Kollege Bretschneider begegnete ihm.

»Menschenskind, wie siehst du denn aus?«

Hanssen hob nur abwehrend die Hand und verschwand im Ärztezimmer. Kopfschüttelnd folgte ihm Dr. Bretschneider. Leise trat er hinter ihn und sah, wie der Kollege am Medizinschrank stand und nach einer Glasröhre griff.

Im Nu stand Bretschneider neben dem Freund und riß ihm die Röhre aus der Hand.

»Alexander! Was willst du mit dem Gift?«

»Gift?« Hansen lachte verlegen auf. »So was! Ich habe mich vergriffen.«

Er warf sich auf den nächsten Stuhl. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Bretschneider schloß den Schrank und stellte sich vor dem Freund auf.

»Was ist los mit dir, Alexander?«

»Hundeelend ist mir!« antwortete Hanssen geistesabwesend und meinte den Schmerz in seiner Brust und das körperliche Unbehagen.

»Gib mir ein Pulver, Arno, ich könnte sonst wieder zum Gift greifen«, sagte er nach einer Weile grimmig.

Dr. Bretschneider kam diesem Wunsch nach.

»Trink, Alexander.«

Unsicher faßte er nach dem Glas – gleich darauf entfiel es seiner kraftlosen Hand und zerbrach am Boden.

Bretschneider fing den wankenden Freund auf.

»Schwester Erika!« rief er in Angst, und als die Schwester eilig aus dem Nebenzimmer eintrat, bat er: »Schnell, Hanssen ist ohnmächtig geworden. Rufen Sie bitte den Professor.«

Es war ein schweres Stück Arbeit, den kräftigen Mann auf das Ruhebett zu bringen.

»Armer Kerl!« Mitleidig neigte sich Arno Bretschneider über den Kranken. »Hast zu zeitig deine Arbeit wieder aufgenommen.«

Da wurde hastig die Tür geöffnet. Professor Markhoff kam von Christine Hanssen zurück. Ein Blick genügte, er war im Bilde.

»Zusammengeklappt?« fragte er kurz, und Bretschneider nickte.

Hanssen rührte sich nicht.

»Christine – das Bild – das unglückselige Bild!« schrie er auf. In diesen Worten war so viel Qual, daß Markhoff zusammenfuhr.

»In den Operationssaal!« Knapp kamen seine Befehle. Schwester Erika ging, sie auszuführen. Dann wandte sich der Professor an Bretschneider.

»Sie rufen bitte in seiner Wohnung an. Frau Hanssen möchte sofort kommen!«

*

Leise schloß Professor Markhoff die Tür des Krankenzimmers hinter sich und ging eilig über den Flur.

Vor seinem Sprechzimmer verhielt er den Schritt, schöpfte noch einmal tief Atem, dann trat er ein.

»Herr Professor!« Christine kam auf ihn zugestürzt. »Kann ich zu Alexander? Ich halte das entsetzliche Warten nicht länger aus!«

»Ich sehe meine Befürchtungen leider übertroffen«, begann der Professor mit schwerer Zunge, an Christine Hanssen vorbeisehend. »Alexander hat einen Abszeß im Gehirn, der –«

»Der –?« An Christine Hansen flog alles. »So reden Sie doch endlich!«

»– der durch operativen Eingriff entfernt werden muß, und zweierlei im Gefolge haben kann.«

Christines Gesicht glich einer Maske.

»Sie können mir alles sagen!« Es klang wie ein Hauch, aber Markhoff fühlte die Angst in ihr.

Er legte den Arm um die junge Frau und redete liebevoll, tröstend auf sie ein. »Sie müssen stark sein, Frau Hanssen! Sie wollen doch, daß Alexander lebt, nicht wahr?«

Sie hob in stummer Verzweiflung die Augen. »Sie sprechen vom Tod?« fragte sie leise.

Der Professor zwang sich zu einem zuversichtlichen Ton. »Nicht vom Tod. Alexander wird leben, aber –«

»Er muß leben!« fuhr Christine leidenschaftlich auf. »Für unser Kind!«

Wie ein Vater hielt Professor Markhoff die Frau in seinen Armen, der das Schicksal eine so schwere Prüfung auferlegte.

»Es wird nicht leicht für Sie sein, aber ich muß es Ihnen sagen: Wenn wir Alexander am Leben erhalten, wird er entweder die Sprache verlieren – oder erblinden.«

»Nein, nein!« schrie Christine auf. »So grausam kann das Schicksal nicht sein!«

Sie preßte die Hände auf die Brust, unter der das Herz fast zerspringen wollte.

»Wenn er blind wird, dann kann er nicht einmal sein Kind sehen! Lieber Gott, womit habe ich das verdient?«

»Und wenn er es überhaupt nicht überlebt?« warf Professor Markhoff milde ein.

Christine rang die Hände.

»Er muß leben!« Sie richtete sich hoch auf. »Mein Leben hat nur Wert für mich, wenn ich für Alexander leben kann.«

»Dann wollen wir hoffen, daß wir ihn durchbringen«, sagte er ergriffen.

Etwas später beugte Christine Hanssen sich über ihren Mann. Sie verbarg ihr heißes Erschrecken hinter einem matten Lächeln.

»Alexander!« rief sie ihn sanft an.

Er rührte sich nicht, teilnahmslos starrte er ins Leere.

»Er steht unter dem Einfluß des Narkotikums«, raunte der Professor ihr zu.

Christine nickte wehmütig.

Als sie sich über seine Lippen neigte und sanft einen Kuß darauf drückte, schwor sie sich, Alexander niemals zu verlassen, was auch kommen möge.

Der Professor geleitete die junge Frau hinaus.

»Wir halten Sie selbstverständlich auf dem laufenden, Frau Christine. Und lassen Sie es sich gesagt sein: Sie haben treue Freunde zur Seite.«

Christines schöne Grauaugen hatten sich mit Tränen gefüllt. Er meinte es gewiß gut mit ihr. Wenn Alexander aber weder seinen Beruf als Arzt noch eine andere Tätigkeit ausüben konnte – würde sie auf des Professors Hilfsbereitschaft auch dann noch rechnen können?

Sie stöhnte leise. Nur jetzt nicht daran denken, was später kam.

Aber die Worte des Professors taten ihr doch wohl. Herzlich drückte sie seine Hand.

»Ich will immer daran denken, daß ich an Ihnen einen Freund habe.«

Dann ging sie.

*

»Almut, du weinst?« Axel Helldorf drehte seine Schwester zu sich herum.

»Ich weine nicht!« kam es abweisend von ihren Lippen, und dabei liefen ihr die Tränen über die Wangen.

»Almut!«

Axel fuhr zart über das glänzende Blondhaar der Schwester. Noch nie hatte er die kleine, tapfere Almut so verzweifelt gesehen.

Er riß sich zusammen.

»Paß auf, Almut, heute verkaufe ich einige Skizzen. Davon bezahlen wir die Miete, und der olle ›Bulle‹ kann uns nicht mehr an die Luft setzen«, tröstete er zuversichtlich.

Almut Helldorf trocknete sich die Tränen.

»Sei mir nicht böse, Axel, es ist schon vorbei.« Sie lächelte dem Bruder beruhigend zu.

Axel atmete auf. Er legte die Zeichnungen in seine Mappe, griff zum Hut und drückte Almut einen Kuß auf die Wange.

»Ich bleibe nicht lange, Kleines. Etwas zu futtern bringe ich auch mit«, sagte er und war auch schon die Tür hinaus.

Almut seufzte tief auf. Ihr war unbehaglich zumute.

Hinter Axels Rücken hatte sie sein Bild »Anbruch« zum Kunsthändler Panneck gegeben, und der hatte es versprochen, es zur Ausstellung zu bringen. Er war so begeistert von dem Gemälde gewesen, daß sie alle Gewissensbisse über Bord geworfen hatte.

Erst seit Panneck ihr mitgeteilt hatte, daß das Bild täglich von interessierten Menschen förmlich belagert wurde, schlug das Gewissen erneut.

Ratlos saß sie da. Du lieber Gott! Was würde Axel dazu sagen? Und doch – sie verstand ihn einfach nicht. Es war sein bestes Werk, und gerade dieses Bild wollte er nicht an die Öffentlichkeit bringen…

Die Flurglocke läutete.

Der »Bulle«! durchfuhr es Almut. Ohne Eile ging sie öffnen und richtig – die athletische Gestalt des Hauswirtes stand vor der Tür.

»Morgen Almut, darf ich mal reinkommen?« sagte Herr Große gönnerhaft.

Almut zog die Brauen zusammen und sagte kühl: »Können Sie nicht wiederkommen, wenn mein Bruder da ist?«

Er lächelte vertraulich. »Nein, Almut. Was ich zu sagen habe, geht nur Sie an.«

Almut kämpfte mit körperlichem Unbehagen. Sie dachte aber an die fällige Miete und gab nach.

»Bitte!« sagte sie einlenkend und ging dem Wohnzimmer zu. »Übrigens ist mein Name für Sie immer noch Helldorf.«

Große war dickfellig. Ihren gereizten Ton schien er nicht zu hören. Er sah sich neugierig in dem vornehmen Wohnzimmer um.

»Sie wünschen?« riß ihm Almut aus seinen Betrachtungen.

Er räusperte sich. »Hm, Fräulein Helldorf. Ich – wollte Sie mal fragen, wie es mit der Miete steht?« begann er vorsichtig.

Almut schaute den Mann groß an. »Bis zum Letzten gaben Sie uns doch Frist. Haben Sie nur noch ein bißchen Vertrauen zu uns.«

»Natürlich, Almut. Aber es braucht eben jeder sein Geld.«

»Sie sollen es ja auch haben«, fuhr Almut auf.

»Werden Sie nur nicht gleich so aufgeregt«, grollte Große. »Überhaupt hat mich etwas ganz anderes zu Ihnen geführt.«

Almut lächelte spöttisch. Sie hatte plötzlich vor dem Bullen gar keine Angst mehr.

»Na, dann schießen Sie mal los.«

Große wurde verlegen. »Sie wissen doch«, begann er, »daß ich das bin, was man eine vermögenden Mann nennt?«

»Und da rennen Sie sich die Füße wund nach ein paar lausigen Mieten?« warf Almut spöttisch ein.

»Ordnung muß sein«, meinte er kleinlaut. »Also, weil es bei Ihnen doch sehr mager hergeht, da dachte ich – hier mußt du helfen. Also – Große, habe ich mir gesagt, die Almut Helldorf, das wäre eine Frau für dich, anspruchslos, fleißig und daß Sie nebenbei auch noch verdammt hübsch sind, ist kein Fehler. Nun fragt sich’s bloß, ob Sie meine Frau werden wollen.«

Almut war sprachlos.

»Sehen Sie, Almut«, fuhr Große lebhafter fort, »gleich vom ersten Tag an, wo ich Sie gesehen habe, stand es fest bei mir: Die wird deine Frau, Große. Und der Gedanke hat mich nicht mehr in Ruhe gelassen.«

»Dann wird es aber höchste Zeit, daß Sie Ihre Ruhe wiederfinden«, fiel Almut ihm ins Wort. »Ich glaube, Sie haben sich da einigermaßen geirrt.«

»Almut, es ist mein heiliger Ernst«, versicherte Große eifrig.

»Bitte: Helldorf!« verbesserte sie scharf. »Ich muß leider für die Ehre danken, Herr Große. Damit halte ich unsere Unterredung für beendet.«

Große war wie vor den Kopf geschlagen. »Sie weisen mich ab? Obwohl es Ihnen dann doch viel besser gehen würde?«

Almuts Stolz bäumte sich auf. »Ich möchte bloß wissen, wie Sie zu der Annahme kommen, daß es uns schlecht geht.«

Ein dreistes Lachen entstand um seinen breiten Mund. »Hm, die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern, wie traurig es Ihnen geht. Aber hochmütig sind Sie, und das nicht zu knapp. Möchte nur wissen, auf was Sie sich so viel einbilden. Auf Ihr hübsches Lärvchen etwa?« höhnte er. Nun, als er begriffen hatte, daß er abgeblitzt war, wurde er frech.

Almut straffte ihre schlanke Gestalt. »Vielleicht bilde ich mir etwas auf die Anständigkeit meiner Gesinnung ein, Herr Große«, sagte sie scharf und wies nach der Tür.

In Große kochte es.

»Bettelprinzessin!« stieß er hervor. »Und damit Sie es wissen: Ich habe für diese Wohnung andere Mieter in Aussicht.«

Mit dieser Drohung verließ er die Wohnung.

Almut aber sank auf den nächsten Stuhl und brach in lautes Weinen aus. Sie zweifelte nicht eine Minute an der Ernsthaftigkeit der Drohung. Das Gespenst der Not stand wieder vor ihr. Der Umzug kostet Geld. Woher sollte sie es nehmen?

*

Wenig später wurde Almut Helldorf die Tür fast aus den Händen gerissen, als sie sie auf das stürmische Läuten hin öffnen wollte.

»Wölfchen, Charlos, Männe!« staunte sie. »Ja, wo kommt ihr denn her in dieser Aufmachung?«

»Pst!« Wölfchen legte ihr den Finger auf den Mund. »Die Weihnachtsmänner kommen!«

Die drei Freunde Axel Helldorfs stürzten ins Wohnzimmer und drehten am Lichtschalter, aber kein Licht flammte auf, denn auch das Elektrizitätswerk hatte inzwischen seinen Dienst aufgekündigt.

Charlos sah sich mit wild rollenden Augen um.

»Männe, ich ahne Unheil! Schnell, lauf zu Kaufmann Hering, er soll uns sechs Kerzen pumpen.«

»Ich glaube, ihr seid –«, begann Almut.

»– übergeschnappt? Nee, wir feiern nur den Erfolg unseres Freundes Axel«, gab Charlos trocken zurück.

»Erfolg?«

Almut dachte an das Bild und mußte sich rasch hinsetzen. Ach nein, das konnte es nicht sein. Panneck hatte ihr doch gesagt, es stehe in seinem Fenster.

Wölfchen entkorkte eine Flasche, rannte in die Küche, kam mit Tellern, Gläsern und Bestecken zurück und deckte im Handumdrehen einen einladenden Tisch.

Almuts Augen wurden immer größer.

»Wo habt ihr das nur her?« fragte sie zögernd.

»Gepumpt! Axel wird die Sache in Ordnung bringen«, antwortete Charlos ohne Rührung.

Almut brach in ein unnatürliches Gelächter aus: »Axel soll das bezahlen? Wovon denn?«

Sie griff nach ihrer Geldbörse und schüttelte den Inhalt aus.

»Da, unser ganzer Segen, nicht einmal die Lichtrechnung habe ich bezahlen können.«

Lautlos war Männe eingetreten. Er legte ein Päckchen mit sechs Kerzen auf den Tisch.

»Allah erleuchte dich, meine Tochter, damit es hell in dir werde!« sagte er salbungsvoll.

»Sagt mir lieber, was dieser Mummenschanz soll«, erboste sich Almut. »Mir ist wahrhaftig nicht nach Feiern zumute.«

»Wo steckt Axel?« fragte Wölfchen.

»Er läuft sich die Beine wund, um ein paar Skizzen zu verkaufen«, sagte sie bitter.

»Der Ärmste!« Männe drehte bedauernd die Augen.

»Aber hat er in Zukunft nicht mehr nötig. Die Bude wird man ihm einrennen.«

»Wenn Axel euch nur nicht kurz und klein haut, wenn er die Bescherung hier sieht«, stöhnte Almut.

»Almut, ahnst du denn noch immer nichts?« Charlos setzte sich neben die Jammernde, zog eine Zeitung aus seiner Tasche und hielt sie ihr unter die Augen. »Da, lies, mein Goldkind!«

Und Almut las. Sie atmete tief und schnell. Mit einem unterdrückten Jubellaut ließ sie die Zeitung sinken.

»Es wird doch kein Irrtum sein?« stieß sie zweifelnd hervor.

»Das haben wir erst auch gedacht. Wir haben uns aber sofort an Ort und Stelle erkundigt«, erklärte Charlos neidlos. »Es ist schon so: Axels Entwurf zu dem Wandgemälde ›Autobahn‹ ist mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden. Zehntausend Emmchen bringt ihm die Arbeit.«

Er sprang wie elektrisiert auf.

»Und der arme Kerl rennt sich die Schuhsohlen ab nach ein paar Märkchen. Es ist zum Verzweifeln!«

»Allerdings, zum Verzweifeln bin ich nahe«, ließ sich eine Stimme von der Tür her vernehmen. Es war Axel Helldorf, der den letzten Satz gehört hatte.

»Nichts habe ich verkauft!«

Mutlos warf er seine Tasche auf den Tisch und begegnete vier funkelnden Augenpaaren. Er sah auch die Kerzen und den festlich gedeckten Tisch.

»Wen von euch drückt das Geld zu sehr?« fragte er in einer Art Galgenhumor. »Dich!« Almuts Hände zitterten, als sie dem Bruder die Zeitung hinreichte.

»Zehntausend Mark?« Axel Helldorf starrte fassungslos von einem zum anderen, dann setzte er mit ein paar kühnen Sprüngen über sämtliche vorhanden Stühle.

»Zehntausend Emmchen! Kinder, ich werde verrückt!« schrie er.

*

»Erblindet!« wiederholte Christine Hanssen und senkte den Kopf auf die gefalteten Hände.

Eine Hand legte sich ihr auf die Schulter.

»Alexander weiß noch nichts von seiner Erblindung. Reden Sie nicht darüber, so lange es geht. – Eine schwere Last hat das Schicksal auf Ihre Schultern gelegt, Frau Hanssen«, sagte Professor Markhoff mit tiefer Bewegung. »Aber eine Frau, die liebt, vollbringt Wunder.«

Christine hob den Kopf, tiefe Mutlosigkeit lag in ihren Augen.

Professor Markhoff nahm es mit Besorgnis wahr, aber er unterließ jede Äußerung.

»Bitte, führen Sie mich zu meinem Mann, ich will ihm wenigstens das Gefühl geben, daß er nicht verlassen ist.« Sie atmete erregt. »Das andere wollen wir der Zukunft überlassen. Wie es auch kommen mag, ich werde tapfer sein.«

Und dann stand sie in einem verdunkelten Zimmer, sah ein weißes Bett und darin ein bleiches Männergesicht sich regungslos aus den Kissen schimmern.

»Alexander!« Es war nur ein Hauch, der das Ohr des Kranken kaum erreicht haben konnte, und doch machte er eine kleine Bewegung mit der Hand.

»Christine!«

Christine nahm seine Hand. Ihre Tränen tropften auf sie nieder.

Wie lange sie regungslos gesessen hatte, wußte sie nicht, sie wußte nur, daß sie mit dem, was kommen mußte, fertig werden wollte.

»Sie dürfen kommen, sooft Sie wollen«, sagte Professor Markhoff beim Abschied. »Eine kleine Hoffnung kann ich Ihnen aber noch mitgeben. Wir haben den Sehnerv nicht zu zerstören brauchen.«

»Sie meinen –?« fragte Christine atemlos.

»Es ist nur eine Hoffnung«, schwächte der Professor das in Christine aufschießende Glücksgefühl ab.

»Eine nochmalige Operation könnte nichts ausrichten?« forschte sie.

»Ausgeschlossen!«

Das kam so bestimmt, daß Christine jede weitere Frage unterließ.

Man gibt mir diese Hoffnung nur als Trost mit auf den Weg, dachte sie bitter.

*

Wochen waren ins Land gegangen.

Eines Morgens trat Professor Markhoff in Dr. Hanssens Krankenzimmer.

Alexander hatte gelernt, die Menschen am Schritt und an der Stimme zu erkennen.

»Guten Morgen, Herr Professor!« begrüßte er gutgelaunt seinen Chef. Gestern hatte man ihn darauf vorbereitet, daß heute die Binde, die er noch vor den Augen trug und die ihm die Gewißheit seiner Erblindung bisher gnädig verhüllt hatte, fallen würde. »Sind Sie endlich gekommen, um mir das verhaßte Ding abzunehmen?«

Diese Hoffnungsfreudigkeit machte dem Professor das Amt noch schwerer, als es ohnehin war.

»Ein Auge vorläufig, lieber Doktor. Das andere – muß noch kräftiger werden. Und –«, der Professor zögerte. »Was ich noch sagen wollte, lieber Hanssen, Sie waren sehr krank –«

Lachend unterbrach Hanssen den Professor. Seine Hände tasteten nach der Stirn.

Mit einem Ruck riß er die Binde von den Augen.

Professor Markhoff sprang hinzu – zu spät!

Weit aufgerissene Augen starrten ihm entgegen, Augen, die tot und leer waren.