Frau Regine und ihre Kinder - Karin Bucha - E-Book

Frau Regine und ihre Kinder E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Frühlingssonne stand über dem Industriestädtchen Mattstädt. Im »Modesalon Berghaus« war ein ewiges Kommen und Gehen. Frau Lydia Berghaus' wasserblaue Augen, die gutmütig aus ihren Fettpolstern herausschauten, glänzten vor Befriedigung. Oh – die Mattstädter wußten, was sie dem Frühling schuldig waren. Die vorgeführten Modelle häuften sich zu Bergen, und die jungen Verkäuferinnen machten einen abgehetzten Eindruck. Nur Frau Berghaus verlor ihr Dauerlächeln nicht. Bis Lilo Riedel in Begleitung eines sehr hochgewachsenen, breitschultrigen Mannes erschien und alles erneut kopflos zu werden drohte. Frau Lydia Berghaus' Äuglein wollten fast aus den Fettpolstern treten, weil sie nirgends Hilfe für ihre beste Kundin sehen konnte. »Mein Gott, Lilo Riedel –«, flüsterte sie. Sie rauschte, trotz ihres Umfanges, flink davon. In der geräumigen Schneiderstube saß ein junges Mädchen, das sich fast andächtig über die Arbeit neigte. »Fräulein Regine!« Lydia Berghaus schnappte erst noch einmal nach Luft. Eine solche Hetzerei war doch nichts mehr für ihr Alter. »Sie müssen mir helfen!« Regine Baumgarten hob das feine Antlitz zu Lydia Berghaus auf. Ihre Blauaugen sahen fast furchtsam zu der resoluten Dame empor. Regine fürchtete nichts mehr als den Lärm und den Betrieb, der in den Verkaufsräumen herrschte.

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Leseprobe: Eine Bucht in Florida

Tessa will ein paar ruhige Tage im Florida-Urlaub verbringen. Der gut aussehende Typ, der sie in der Hotelbar anspricht, wird ihr schnell sympathisch, sie verliebt sich in ihn. Es handelt sich um Hollywoodschauspieler Johnny, der während Dreharbeiten vor Ort ist. Tessa erkennt ihn zunächst nicht und flüchtet sofort zurück nach München, als sie herausfindet, wer er ist. Sie geht davon aus, dass sie für ihn nur eine nette Abwechslung bei der Arbeit war. Und schließlich wartet da ja auch noch Bernd, ihr Verlobter. Vergessen kann sie Johnny trotzdem nicht ...

Karin Bucha Classic – 13 –

Frau Regine und ihre Kinder

Karin Bucha

Frühlingssonne stand über dem Industriestädtchen Mattstädt.

Im »Modesalon Berghaus« war ein ewiges Kommen und Gehen.

Frau Lydia Berghaus’ wasserblaue Augen, die gutmütig aus ihren Fettpolstern herausschauten, glänzten vor Befriedigung. Oh – die Mattstädter wußten, was sie dem Frühling schuldig waren.

Die vorgeführten Modelle häuften sich zu Bergen, und die jungen Verkäuferinnen machten einen abgehetzten Eindruck. Nur Frau Berghaus verlor ihr Dauerlächeln nicht.

Bis Lilo Riedel in Begleitung eines sehr hochgewachsenen, breitschultrigen Mannes erschien und alles erneut kopflos zu werden drohte.

Frau Lydia Berghaus’ Äuglein wollten fast aus den Fettpolstern treten, weil sie nirgends Hilfe für ihre beste Kundin sehen konnte.

»Mein Gott, Lilo Riedel –«, flüsterte sie.

Sie rauschte, trotz ihres Umfanges, flink davon. In der geräumigen Schneiderstube saß ein junges Mädchen, das sich fast andächtig über die Arbeit neigte.

»Fräulein Regine!« Lydia Berghaus schnappte erst noch einmal nach Luft. Eine solche Hetzerei war doch nichts mehr für ihr Alter. »Sie müssen mir helfen!«

Regine Baumgarten hob das feine Antlitz zu Lydia Berghaus auf. Ihre Blauaugen sahen fast furchtsam zu der resoluten Dame empor. Regine fürchtete nichts mehr als den Lärm und den Betrieb, der in den Verkaufsräumen herrschte. Und diese Furcht lag in den wunderschönen Augen des Mädchens.

»Vorn ist die Hölle los, Fräulein Regine. Sie müssen helfen, unsere schönsten Modelle vorzuführen.«

»Ich?« Das Wörtchen sprach Bände.

Frau Lydia nickte heftig mit dem Kopf.

»Sie brauchen sie nicht anzuziehen, nur vorlegen sollen Sie, Regine. Nicht wahr, Sie lassen mich nicht im Stich?« Dabei glitt ihr Blick über die zarte, ebenmäßige Gestalt Regine Baumgartens, die sich langsam erhoben hatte.

Mit gesenktem Kopf ging sie den Verkaufsräumen zu, verfolgt von den neidischen Blicken des kleinen Lehrmädchens Irmgard.

Na, ihr sollte einer kommen, sie würde sich keine Minute sträuben. Elegante Kleider vorführen war nämlich der Traum Irmgard Meiers. Als die Luft rein war, nahm sie eins der kostbaren Gebilde an sich, stelzte auf ihren mageren Beinen durch den Raum und kam sich bildschön vor.

*

Als Volkmar Tankred die Tür des kleinen Sitzungssaales schloß, schwirrten in seinem Kopf noch die Reden, die man anläßlich seiner Ernennung zum Chefingenieur gehalten hatte, durcheinander.

Langsam suchte er sein Arbeitszimmer auf, das er mit drei Kollegen teilte, und begann aufzuräumen.

Morgen schon nahm er den Arbeitsplatz des verstorbenen Doktor Steiner ein. Gleich neben dem Zimmer Arthur Riedels, seines verehrten Chefs, würde er fortan schaffen.

Was würde Regine, sein Lieb, dazu sagen? Sie mußte es wissen, unbedingt heute noch.

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr: fünf Uhr vorbei. Um sechs Uhr machte Regine Schluß. Wenn er rasch heimfuhr, sich schnell umzog, konnte er Regine pünktlich bei Lydia Berghaus abholen.

Er schlüpfte in den leichten Sommermantel und verließ das Zimmer.

An der Treppe stieß er auf die Tochter seines Chefs. Lächelnd streckte sie ihm die Rechte entgegen.

»Grüß Gott, Herr Chefingenieur!«

»Sie wissen?« staunte er.

»Natürlich«, lachte sie unbefangen. »Papa hat es mir längst verraten.«

»Gewiß, wie konnte ich nur vergessen«, sagte Volkmar Tankred verlegen und ärgerte sich zugleich über diese Verlegenheit, die immer über ihn kam, sobald er mit Lilo Riedel sprach. Kam sie daher, weil er sie nicht besonders gern mochte und ihr nur den nötigen Respekt entgegenbrachte? Oder lag es daran, daß sie allzu deutlich merken ließ, daß sie an seiner Person mehr Interesse nahm, als ihm lieb war?

Wie selbstverständlich schritt Lilo Riedel an seiner Seite dem Ausgang zu und blieb auch neben ihm, als er den Garagen zuging, wo sein kleiner Sportwagen untergebracht war.

»Würden Sie mir einen Gefallen tun?« fragte sie unvermittelt.

»Gern, wenn es in meiner Macht steht«, antwortete er höflich.

»Nehmen Sie mich mit in die Stadt? Ich habe einige Besorgungen zu erledigen.«

»Selbstverständlich stehe ich Ihnen zur Verfügung.«

»Schön, dann fahren Sie bitte bei Lydia Berghaus vorbei«, sagte sie und sah ihm dabei ins Gesicht.

Mit einem langen Blick maß er sie.

»Sie kennen doch den ›Modesalon Berghaus‹, nicht wahr?« fragte sie harmlos.

Ach, es war besser, man ärgerte sich nicht über Lilo Riedel, dachte Volkmar. Was konnte sie von ihm und Regine wissen? Er vermochte sogar zu la-chen.

»Und ob«, erwiderte er und nahm hinter dem Steuer Platz. »Bitte!« Er wies neben sich.

Schweigsam fuhren sie der Stadt und dem Markt zu.

Äußerlich ruhig, lehnte Lilo Riedel neben Volkmar, der keinen Blick von der Fahrbahn ließ. Nur hinter ihrer Stirn drängten die Gedanken. Oh, sie wußte schon, was sie im Falle Volkmar Tankred wollte. Weshalb sollte es ihr nicht gelingen, die kleine Näherin aus dem Sattel zu heben?

Sie liebte Volkmar Tankred, und gerade seine kühle Gelassenheit reizte sie immer wieder.

»Wir sind am Ziel.«

Volkmar Tankred fuhr an die Bordkante heran.

Lilo Riedel hatte es durchaus nicht eilig auszusteigen.

»Wenn ich Sie nun bitte, mich zu Lydia Berhaus zu begleiten, sagen Sie sicher nein«, sagte sie und bemühte sich, recht unschuldig auszusehen.

Volkmar Tankred sah starr geradeaus. Das war wie eine Herausforderung. Nichts merken lassen, daß man ihre Absicht durchschaut hatte.

Er stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete den Schlag.

»Falsch geraten, gnädiges Fräulein, ich begleite Sie«, sagte er, und Lilo frohlockte.

*

Während Regine Baumgarten neben Lydia Berghaus dem Verkaufsraum zustrebte, schwatzte Frau Berghaus mitteilsam:

»Sie müssen nämlich wissen, Regine, daß Lilo Riedel soeben mit ihrem Verlobten gekommen ist. Es liegt mir viel daran, diese anspruchsvolle Kundin zur Zufriedenheit bedient zu wissen.«

»Ich gebe mir Mühe«, sagte Regine höflich, aber innerlich unbeteiligt. Was ging sie Lilo Riedel und ihr Verlobter an?

Lydia Berghaus öffnete die Tür zu Kabine zehn.

»So, gnädiges Fräulein, nun stehe ich Ihnen zur Verfügung«, sagte sie zu dem Mädchen, das in einem Sessel saß und ihr und Regine groß entgegenblickte.

Regine sah nur den Mann, der lässig, ein belustigtes Lächeln um den Mund, am Fenster lehnte. Sie fühlte, wie ihr alles Blut zu Herzen drängte. Volkmar Tankred war Lilos Verlobter?

Automatisch setzte sie die Füße. Lilo Riedels helles: »Wie interessant!« verhallte ungehört an ihrem Ohr.

Da traf sie ein aufmunternder Blick aus Volkmars grauen Augen, daß sie langsam wieder ruhig wurde.

Da ist die gute Lady Berghaus in ihrer Vermutung wieder einmal zu weit gegangen, dachte sie; aber die Angst wich doch nicht ganz. Sie saß in ihren Augen, als sie grüßend den schönen Kopf senkte.

Volkmar, ahnungslos, welche Rolle man ihm zugesprochen hatte, reichte Regine herzlich die Hand.

»Grüß Gott, Regine!«

Regines Gesicht bekam wieder Farbe. Leise antwortete sie:

»Grüß Gott, Volkmar.« Dann wandte sie sich hastig ab. Es war ihr unerträglich, vor den spöttisch funkelnden Augen mit Volkmar reden zu müs-

sen.

Lydia Berghaus war überrascht.

»Sie kennen sich?«

Wieder lachte Volkmar auf.

»Gewiß kennen wir uns.« Dabei blinzelte er Regine vergnügt zu, daß sich ein zaghaftes Lächeln über ihr Gesicht stahl. Sie begegnete nun auch der Situation mit Humor.

Lilo Riedel sah gelangweilt von Regine zu Volkmar. Da hatte sie ja eine riesengroße Dummheit begangen. Wie hatte sie nur glauben können, daß ein Volkmar Tankred seine Bekanntschaft mit Regine verleugnen würde.

Ihr war alle Lust am Einkauf vergangen; jäh erhob sie sich.

»Mir fällt eben ein, daß ich dringend erwartet werde. Bitte, schicken Sie mir in den nächsten Tagen Fräulein Baumgarten mit den bestellten Kostümen. Falls noch was zu ändern ist, könnte es gleich an Ort und Stelle gemacht werden.«

Lydia Berghaus sah verblüfft drein und stotterte, diesen Umschwung nicht begreifend.

»Ganz wie Sie wünschen, gnädiges Fräulein. Ich hätte aber ein paar ganz entzückende…«

»Danke, heute nicht«, schnitt Lilo ihr die Rede ab. »Ich habe wirklich keine Zeit.«

Volkmar Tankreds Lächeln vertiefte sich. Aha, daher wehte der Wind. Nun, er war es zufrieden. Er wollte heim und dann Regine abholen.

Im Vorbeigehen haschte er nach Regines Hand.

»Ich bin spätestens halb sieben wieder da. Wir fahren ein Stückchen ins Freie.«

Regine nickte und lächelte selig hinter Volkmar her, der Lilo Riedel rasch folgen mußte. Lydia Berghaus fiel entsetzt in den Sessel.

»Haben Sie das begriffen?«

»Ja«, sagte Regine und lächelte weiter. Sie hatte gut begriffen.

»So was Verrücktes! Das mußte sie doch vorher wissen, daß sie keine Zeit hat. Na, der Mann hat auch mal nichts zu lachen bei dieser launenhaften Frau«, erboste Lydia Berghaus sich.

An der Tür wandte sie sich nochmals an Regine:

»In den sauren Apfel müssen Sie aber beißen, Fräulein Regine. Die Sachen müssen Sie schon zu Fräulein Riedel tragen.«

Zustimmend neigte Regine den Kopf. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn es soweit ist.«

Erfreut war sie aber nicht. Sie konnte die hochmütige Art des Mädchens nicht vertragen.

Volkmars Worte hatten sie aber in eine so glückliche Stimmung gebracht, daß sie alles Unangenehme weit von sich schob – und was mit Lilo Riedel zusammenhing, war ihr nun einmal unangenehm.

»Schönen Dank, Regine. Sie können wieder an Ihre Arbeit gehen.«

Regine dachte nur an Volkmars Worte; heimlich zählte sie die Minuten bis zum Geschäftsschluß.

Pünktlich um halb sieben hielt Volkmars hellgrauer Wagen wieder unweit des »Modesalons Berghaus«.

Endlich sah er Regine aus dem Haus treten.

Sie lächelte mit Mund und Augen.

»Tag, Liebling, bitte einsteigen, ich fiebere danach, ins Freie zu kommen!« rief er ihr unternehmungslustig zu und hielt die Tür offen.

Als sie die Häuser hinter sich hatten, verlangsamte Volkmar das Tempo und hielt.

Er nahm Regine in seine Arme und küßte sie.

»So, Liebes, das war die Begrüßung. Sind die Augen wieder blank?«

Er sah ihr tief in die klaren Blauaugen, die einen reizenden Kontrast zu dem dunklen Haar bildeten. »Hast einen schönen Schreck gehabt, als ich mit Lilo Riedel angerückt kam,

stimmt’s?«

Regine nickte, und ihre Augen feuchteten sich. Hastig sagte sie:

»Jetzt nicht mehr, Volkmar. Ich glaube an dich und an deine Liebe. Bloß das dumme Gerede…« Sie verstummte jäh, aber Volkmar gab sich nicht mit Andeutungen zufrieden.

»Was für Reden?« drängte er.

»Ach, Volkmar, Lydia Berghaus hielt dich für Lilo Riedels Verlobten.«

Volkmar Tankreds Lachen war ihr Antwort genug.

»Zuviel Ehre, mein Kind. Jetzt bin ich also schon Arthur Riedels Schwiegersohn geworden? Gar nicht übel.« Er blinzelte sie an.

»Volkmar, damit darfst du keinen Scherz treiben«, sagte Regine leise und wandte sich ab.

»Das ist doch Unsinn!« sagte er ärgerlich und setzte den Wagen wieder in Gang. »Mich lockt kein Geld.«

Regine glaubte ihm bedingungslos und schaute wieder fröhlich drein.

In einer netten Gartenwirtschaft stiegen sie aus und nahmen bei einem blühenden Fliederbusch Platz.

Eine leichte Brise wehte vom See herüber. Die letzten Sonnenstrahlen brachen sich in den Wellen.

»Gott, ist die Welt schön!« sagte Volkmar übermütig und suchte über den Tisch hinweg Regines Hand, die er sanft an seine Lippen führte.

Und nun erzählte er ihr von seiner Ernennung zum Chefingenieur, und Regine strahlte dabei das Glück aus den Augen.

Seine Freude war auch ihre Freude.

Lebhaft sprach er weiter:

»Morgen trete ich eine Geschäftsreise an, Regine. Es ist ein weiteres Zeichen des Vertrauens meines Chefs. Ich schreibe dir, wann ich zurückkomme.«

Ruhig lag ihre Hand in der seinen. Warum kam wieder die dumme Angst? Solange sie bei Volkmar war, gelang es ihr, sie einigermaßen zum Schweigen zu bringen, aber tief im Herzen saß sie fest.

Als Volkmar sich später von Regine trennte, hing sie plötzlich an seinem Hals und klagte leise:

»Ich habe so Angst! Wenn du doch erst wieder da wärest!«

»Schäfchen, kleines! Bist doch meine tapfere Regine«, sagte Volkmar gerührt. Und er küßte sie auf die tränenfeuchten Augen.

*

Zwei Tage später.

Volkmar Tankred hatte seinen Auftrag erledigt und war von seinem Erfolg befriedigt.

Dabei überlegte er: Warum sollte er hierbleiben? Es lohnte sich schon, eine Nacht zu opfern, wenn er morgen Regine wiedersehen konnte.

Also schrieb er Regine eine Karte, worauf er mitteilte, daß er am nächsten Tag um sechs Uhr vor dem Modehaus Berghaus warten würde.

Kilometer um Kilometer fraß der staubbedeckte Wagen Volkmar Tankreds sich durch die nebelbelagerte Landschaft.

Doch Volkmar Tankred war ver-gnügt. Ihn störte weder Wind noch Wetter.

Regine! sang es in seinem Innern – und Regine! antwortete in gleichmäßigem Takt der Motor.

In solche Gedanken versunken, merkte er kaum, daß er das Tempo erheblich verstärkt hatte.

Plötzlich wuchs dicht vor ihm ein rotes Licht auf. Er riß den Wagen herum, empfand einen heftigen Schlag gegen den Kopf, hörte ein Krachen und Splittern – dann war es Nacht um

ihn.

*

Nachdenklich stieg Lilo Riedel die Stufen zum Verwaltungsgebäude der Riedelwerke hinan. Heute würde sie wohl erfahren, wann man Volkmar Tankred zurückerwartete.

Sie fand alles in heller Aufregung vor, und als sie ihres Vaters Arbeitszimmer betrat, saß er mit kummervoller Miene mit dem Prokurist Heinrich zusammen.

»Was ist denn geschehen?« fragte Lilo beunruhigt.

»Volkmar Tankred ist verunglückt – liegt in Wolfsgrund im Krankenhaus«, erklärte Arthur Riedel seinem Kind.

Lilo lehnte mit erblaßtem Gesicht am Türrahmen. »Wann – wann ist das Unglück geschehen?«

»Heute nacht – auf der Rückfahrt.«

Banges Schweigen, dann fuhr Lilo erregt auf:

»Aber dann müssen wir doch zu ihm.«

Entschlossen erhob sich Arthur Riedel. »Ja, wir müssen sofort hinfahren.«

»Ich komme mit«, ließ sich Lilo mit seltsam harter Stimme vernehmen. »Ich will ihn sehen.«

Arthur Riedel streifte sein Kind mit einem traurigen Blick. Er wußte um die Liebe Lilos zu Volmar Tankred.

»Ja, ich nehme dich mit«, bestätigte er.

Es wurde eine schweigsame Fahrt. Ab und zu glitt von Lilos blassen Lippen ein Seufzer.

Endlich standen sie vor der Oberschwester.

»Herr Tankred kann keinen Besuch empfangen, er liegt in tiefer Bewußtlosigkeit. Seine Verletzungen sind sehr schwer.«

Hinter Lilos Stirn jagten die Gedanken. Volkmar konnte niemanden empfangen? Auch Regine nicht? Wenn ihr das Schicksal eine Chance bot?

Sie drehte sich ihrem Vater zu.

»Warte hier, Vater«, sagte sie und lief davon.

Es gelang ihr, bis zu dem Chefarzt vorzudringen. Schwer atmend stand sie vor ihm.

»Ich bin Lilo Riedel, die Braut Volkmar Tankreds«, sagte sie ruhig.

Und dann sprach sie einen Gedanken aus, der sie schon während der Fahrt nicht losgelassen hatte. »Ist es möglich, daß ich um den Kranken sein darf? Ich habe Erfahrung in der Krankenpflege.«

Überrascht musterte Dr. Reichardt die elegante Erscheinung des Mäd-chens.

Lilo Riedels Ungeduld ließ sich jedoch kaum noch bezähmen.

»Sie meinen, ich werde nicht aushalten?«

»So was Ähnliches«, gab Dr. Rei-chardt offen zu. »Doch es läßt sich machen. Allerdings, die Pflege bleibt in den Händen der Schwester. Aber wenn Sie bei dem Patienten bleiben wollen?«

Lilo Riedel atmete tief auf. Auf diese Zusage baute sie ihren Plan auf.

»Wann kann ich ein Zimmer neben dem Verunglückten beziehen?« fragte sie.

»Morgen schon.«

»Gut. Ich hab’ noch einiges zu ordnen, dann melde ich mich wieder bei Ihnen.«

Mit einem Händedruck schied sie von dem freundlichen Arzt.

Dann suchte sie das Sprechzimmer wieder auf, wo Arthur Riedel in nervöser Spannung auf sie wartete.

Lilo teilte dem Vater ihren Entschluß mit und stieß wider Erwarten auf keinen Widerstand.

»Ich hab’ ihn lieb«, sagte Lilo mit abgewandtem Gesicht. »Ich will täglich um Vokmar sein.«

Irgend etwas im Ton erschütterte Arthur Riedel, und er nickte stumm Gewährung.

*

»Bleib da, Regine. Du bist krank«, klagte am Morgen Frau Dorle, als ihr Kind vor ihr stand.

»Es geht nicht, Mutti. Frau Berghaus ist auf meine Hilfe angewiesen.« Sie wich den fragenden Mutteraugen aus und setzte leise hinzu: »Da ist auch noch etwas anderes, was ich erledigen muß.«

Und plötzlich lag sie am Herzen der Mutter, umklammerte hilfesuchend deren Schultern. »Hab Vertrauen,

Mutti, wenn ich es nicht mehr al-

lein tragen kann – dann komme ich zu dir.«

Regine riß sich los und stürzte davon. Aus furchtsamen Augen sah Frau Dorle ihrem Kind nach.

Regine, entschlossen, sich Gewißheit zu verschaffen, vor allem einen Besuch bei dem Geliebten zu erzwingen, trat wie jeden Tag ihren Weg zur Arbeitsstätte an.

Die nächsten zwei Stunden kam sie kaum zur Besinnung. Lydia Berghaus wirbelte die Mädchen durcheinander, überfiel Regine mit einem Wortschwall, ja bei Riedels recht diplomatisch vorzugehen.

Mit vielen guten Ratschlägen vollgepfropft, machte sie sich auf den Weg in die Villa.

»Sie werden erwartet«, empfing sie ein Hausmädchen und geleitete Regine in das erste Stockwerk.

Vor Regine taten sich Zimmer voller Vornehmheit auf. Unter anderen Umständen hätte sie diese Pracht in helles Entzücken versetzt, heute empfand sie nur, daß ein Mensch, der in solcher Umgebung leben durfte, auch die Verpflichtung hatte, sauber und anständig zu sein. Und sie hatte Lilo Riedel in Verdacht, daß sie selbst die Gerüchte ausstreute über sich und Volkmar.

In dem bleichen Gesicht Regines brannten die Augen vor Erregung. Eisige Zurückhaltung ging von ihr aus, und die vor Nervosität bebende Lilo Riedel war betroffen.

Sie streckte Regine scheu die Hand entgegen, aber Regine entging diesem Händedruck, indem sie sich rasch zu dem mitgebrachten Karton niederbeugte.

»Ich bringe die Sachen«, sagte sie kalt und schuf damit die für ihr Vorhaben nötige Stimmung.

Lilo Riedel schoß das Blut in die Stirn. Das war Feindseligkeit, die ihr entgegensprang. Nun, es würde sich ja zeigen, wer Siegerin blieb.

Mit hochmütigem Gesicht sah Lilo zu, wie Regine behutsam die kostbaren Kleider zutage förderte.

»Bitte, kommen Sie in mein Ankleidezimmer«, gebot Lilo. Regine nahm die Kleider über den Arm und folgte ihr.

Es folgte eine stumme Anprobe.

Regine arbeitete ruhig und sicher. Nicht einmal die Finger zitterten, die die Nadel führten.

Endlich fiel Lilos schrille Stimme in die Stille ein:

»Bitte, beeilen Sie sich etwas. Es wird Ihnen bekannt sein, daß mein Verlobter im Krankenhaus liegt. Er hat dringend nach mir verlangt.«

Regine erhob sich.

»Volkmar Tankred hat nach Ihnen verlangt?« Groß und anklagend ruhten ihre klaren Augen auf Lilo Riedel. Heiß stieg es ihr in die Kehle. Wer log nun eigentlich? Volkmar oder das Mäd-chen?

Lilo Riedel führte sie sich willenlos fügende Regine zu einem Sessel.

»Fräulein Baumgarten, lassen Sie uns einmal vernünftig miteinander reden. Warum stehen Sie eigentlich Volkmar Tankreds Vorwärtskommen im Wege?«

Mit einem seltsamen Ausdruck hingen Regines Augen an Lilos Mund.

»Ja, was habe ich denn getan? Wir lieben uns. Ist das ein Verbrechen?«

Lilo erblaßte bei Regines Geständnis. Aber sie zwang sich zu einem etwas gönnerhaften Ton:

»Gewiß, Volkmar Tankred ist tüchtig und wird auch ohne meines Vaters Hilfe weiterkommen. Aber mein Vater will Tankred zum Erben seines Werkes machen. Mit klaren Worten: Er soll sein Schwiegersohn werden.«

Regines Mund zuckte. Langsam erhob sie sich.

»Ach, so meinen Sie das! Ich soll Volkmar Tankred aufgeben – für Sie?«

»Nicht so!« Lilo Riedel drückte die maßlos erregte Regine auf ihren Platz zurück. »Wollen Sie behaupten, Volkmar Tankred zu lieben?«

»Ja!«

»Dann beweisen Sie diese Liebe. Verzichten Sie! Oder glauben Sie, daß einem Mann jeden Tag ein Werk wie die Riedel-Werke in den Schoß fällt?«

Regine schluchzte leise in sich hinein. Sie fand nicht aus noch ein in ihrer Herzensnot.

»Er wird natürlich lieber auf dieses Glück verzichten, als das Ihnen gegebene Versprechen zu brechen.«

Regine wandte sich innerlich in Qualen. Das sah ja alles viel anders aus. Was sollte sie tun? Die Liebe aus dem Herzen reißen?

Wieder überkamen sie Zweifel. Wenn Lilo Riedel aber nur das eigene Ich im Auge hatte?

»Ich will Ihnen noch einen guten Rat geben«, fuhr Lilo fort. »Volkmar Tankred liegt in Wolfsgrund im Krankenhaus. Sprechen Sie sich mit ihm aus. Vielleicht finden Sie als Frau die richtige Lösung.«

Regines Augen leuchteten voller Hoffnung auf.

»Sie glauben, daß ich ihn sprechen kann?«

Lilo nickte, obwohl sie wußte, daß Volkmar keine Besuche empfangen durfte.

Regine reichte beschämt dem schönen Mädchen die Hand und hatte doch das Gefühl dabei, als ob etwas Häßliches an sie herankäme.

Doch schnell überwand sie dieses Gefühl.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar. Sofort will ich es ermöglichen, nach Wolfsgrund zu fahren.«

Sie nahm den Karton und verließ das Haus.

Lilo Riedel stand hinter dem Fenstervorhang und sah mitleidlos hinter dem Mädchen her.

*

»Regine!« flüsterte Volkmar Tankred im Fieber. Sofort drückte Lilo Riedel ein Schwämmchen auf die rissigen Lippen des Verletzten.

»Regine!« wiederholte Volkmar zärtlich. Seine Hände lagen in Gips, und sein Kopf trug einen großen Verband, aus dem nur Mund und Augen herauslugten.

Seit Stunden schon mußte Lilo sich die zärtlichen Rufe des Kranken anhören. Es tat ihr bitter weh, aber sie wich nicht von seiner Seite. Einmal, um in der Nähe des geliebten Mannes zu sein, und zum anderen, um alle Annäherungsversuche Regine Baumgartens abweisen zu können.

Alle nur denkbaren Erleichterungen verschaffte sie dem Schwerverletzten. Sie wollte ihn gesundpflegen, aber für sich. Mochte kommen, was wollte, und mochte ein anderes Herz daran zugrunde gehen.

Sie verfolgte ihren Plan mit Hartnäckigkeit.

In Gedanken versunken saß sie an Volkmars Bett und schaute unverwandt auf seinen schmerzlich verzogenen Mund.

»Regine – bist du da?«

Lilo neigte sich über sein Gesicht, da schlug er die Augen auf, groß und verständnislos.

»Fräulein Riedel?« fragte er verwundert. »Wie kommen Sie hierher? Wo bin ich überhaupt?«

Lilos Herz schlug heftig.

»Sie sind verunglückt, Herr Tankred, liegen in Wolfsgrund im Krankenhaus«, erklärte sie leise.

Volkmar schloß die Augen wieder und dachte angestrengt nach. Er sah sich am Steuer seines Wagens sitzen, und gleich darauf hatte er das Gefühl, als müßte er aufspringen und davonlaufen. Er mußte doch zu Regine, sie würde sich um ihn ängstigen. Warum saß die Frau, die er meiden wollte, an seinem Lager?

»Seit wann liege ich hier?«

»Seit zwei Tagen.«

Etwas wie Erleichterung glitt um seinen Mund.

»Wollen Sie mir einen Gefallen tun?«

»Möchten Sie den Arzt sprechen?« forschte Lilo besorgt.

»Ich möchte meiner Wirtin eine Nachricht zukommen lassen und…«

Lilo preßte die Handflächen gegeneinander. Er hatte noch etwas sagen wollen, aber was?

Sie zwang sich zur Gleichgültigkeit.

»Ihre Wirtin ist bereits unterrichtet. Überhaupt – mein Vater hat auf das beste gesorgt. Er fühlt sich an Ihrem Unglück beinahe mitschuldig. Sie haben unseren Werken einen wertvollen Dienst erwiesen.«

Volkmars Augen sahen nach der Decke. Er preßte etwas wie »Pflicht« zwischen den Lippen hervor.