Hartwig Imgerhofs seltsame Ehe - Karin Bucha - E-Book

Hartwig Imgerhofs seltsame Ehe E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Dorina Martin huscht aus der Küche über den dunklen Flur in das Wohnzimmer der Mansardenwohnung, das noch einen Schimmer einstiger Pracht aufweist. Leise klinkt sie die Tür auf. Richtig! Elisabeth, ihre Mutter, sitzt an ihrem Tisch, den sie nahe an das Fenster geschoben hat, und ist eifrig dabei, zu schreiben. »Mutti, hast du keinen Hunger?« Elisabeth wendet unwillig den Kopf mit dem dunklen Haar und den strahlenden Blauaugen. Noch lebt sie mit ihren Romanfiguren und kann nicht so schnell in die Wirklichkeit zurückfinden. »Hunger?« fragt sie geistesabwesend und weist auf die fertig vor ihr liegenden Manuskripte. »Das weiß ich gar nicht, Kind«, erwidert sie in ihrer sanften Art. »Noch bin ich ganz von meiner Arbeit gefangen.« »Die dir kaum etwas einbringt«, erwidert Dorina bitter und kommt näher. Als sie das traurige Gesicht ihrer Mutter gewahrt, legt sie den Arm um deren Schulter und preßt sie an sich. »Verzeih, Mutti, ich habe es nicht böse gemeint. Ich weiß ja, wie sehr du deine Arbeit liebst.« Elisabeth Martin strahlt sie versöhnt an. »Ich arbeite am Schluß meines Romans, Kind. Paß auf, diesmal habe ich Erfolg damit.

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Karin Bucha Classic – 23 –

Hartwig Imgerhofs seltsame Ehe

Karin Bucha

Dorina Martin huscht aus der Küche über den dunklen Flur in das Wohnzimmer der Mansardenwohnung, das noch einen Schimmer einstiger Pracht aufweist.

Leise klinkt sie die Tür auf. Richtig! Elisabeth, ihre Mutter, sitzt an ihrem Tisch, den sie nahe an das Fenster geschoben hat, und ist eifrig dabei, zu schreiben.

»Mutti, hast du keinen Hunger?«

Elisabeth wendet unwillig den Kopf mit dem dunklen Haar und den strahlenden Blauaugen. Noch lebt sie mit ihren Romanfiguren und kann nicht so schnell in die Wirklichkeit zurückfinden.

»Hunger?« fragt sie geistesabwesend und weist auf die fertig vor ihr liegenden Manuskripte.

»Das weiß ich gar nicht, Kind«, erwidert sie in ihrer sanften Art. »Noch bin ich ganz von meiner Arbeit gefangen.«

»Die dir kaum etwas einbringt«, erwidert Dorina bitter und kommt näher. Als sie das traurige Gesicht ihrer Mutter gewahrt, legt sie den Arm um deren Schulter und preßt sie an sich. »Verzeih, Mutti, ich habe es nicht böse gemeint. Ich weiß ja, wie sehr du deine Arbeit liebst.«

Elisabeth Martin strahlt sie versöhnt an.

»Ich arbeite am Schluß meines Romans, Kind. Paß auf, diesmal habe ich Erfolg damit. Ich fühle es. Ganz bestimmt.«

»Ganz bestimmt«, wiederholt Dorina, wenn ihren Worten auch die Überzeugung fehlt. Dann eilt sie schnell wieder aus dem Zimmer und in die Küche.

Sorgsam legt Elisabeth das bereits fertig geschriebene Manuskript zusammen. Jede Seite streichelt sie zärtlich. Sie liebt ihren Beruf, sie lebt mit ihren Romanfiguren in inniger Verbundenheit, und immer tut es ihr leid, wenn sie eine Arbeit beendet hat und von den Figuren Abschied nehmen muß.

Gleich nach dem Abendessen wird sie weiterarbeiten, und wenn sie die halbe Nacht dazu nehmen muß. Es arbeitet in ihr, und sie hat nicht eher Ruhe, bevor das Werk vollendet ist. Ob diesmal ihr Verleger zufrieden ist? Er schon, er hat ihr überaus herzliche Briefe geschrieben. Wie er wohl aussehen mag?

Sie ist ganz in Gedanken versunken. Seit dem Tode ihres Mannes hat sie sich nie wieder für das andere Geschlecht interessiert. Dorina war damals fünf Jahre alt.

Elisabeth seufzt. Sie möchte ihrem Kind eine bessere Jugend bieten, als sie es vermag. Leider hat sie immer nur wenig Honorar bekommen.

Wie Dorina nur mit dem wenigen Geld auskommen mag?

Ein angenehmer Duft steigt ihr in die Nase. Dorina ist mit einem Tablett ins Zimmer gekommen und deckt flink den Tisch.

»Zwei Gänge«, sagt sie triumphierend. »Bratkartoffeln, knusprig und im letzten Fett gebacken, und anschließend als zweiten Gang für jeden ein Leberwurstbrot. Ist das nicht wunderbar, Mutti?«

Jetzt erst merkt Elisabeth, daß sie Hunger hat. Sie setzt sich zu Dorina und läßt es sich schmecken.

Bewundernd blickt sie auf die Tochter. »Ich weiß nicht, wie du das schaffst, Kind. Wenn wir doch einmal ohne Sorgen leben könn-

ten.«

Dorina winkt mit gespielter Sorglosigkeit ab. »Das ist gar nicht so schlimm, Mutti. Wenn du erst einmal Erfolg hast, paß auf, dann kommt das Glück von allen Seiten. Du wirst berühmt –«

Elisabeth hebt entsetzt die Hände. »Um Gottes willen, Dorina! Ich will gar nicht berühmt werden. Ich möchte in aller Zurückgezogenheit arbeiten können und dir die häuslichen Sorgen erleichtern.«

Nachdenklich sieht Dorina auf ihren leergegessenen Teller hinab. Bevor sie antworten kann, schellt es. Dorina zuckt zusammen. Es muß etwas Unangenehmes sein. Sie eilt durch den Flur und öffnet die Tür. Vor ihr steht die massige Gestalt des Kolonialwarenhändlers. Dorinas Beine beginnen zu zittern. Mit aller Liebenswürdigkeit sagt sie:

»Lieber Herr Schneider –«

Schneider fällt ihr mürrisch in die Rede.

»Hören Sie auf mit Ihrem ›lieber Herr Schneider‹, damit können Sie meine Frau herumkriegen, mich nicht. Also, wie ist es, können Sie zahlen?«

Dorina strafft sich.

»Es tut mir so leid. Aber wir erwarten demnächst Geld. Meine Mutti –«

»Hören Sie mit dem Gequatsche auf. Ihre Mutter wird mit ihrer Schreiberei nie richtig verdienen. Firlefanz ist das in meinen Augen. Sie sollten lieber beide eine ordentliche Arbeit annehmen.« Er atmet tief und spricht polternd weiter. »Also, hören Sie gut zu. Ich gebe Ihnen noch zehn Tage Zeit, dann muß alles bezahlt sein. Auf Pump wird nichts mehr bei mir geholt. Verstanden?«

Als die Flurtür sich hinter ihm geschlossen hat, lehnt sich Dorina aufatmend an die Wand. Er ist und bleibt ein ungehobelter Mensch. Aber schließlich ist er im Recht.

Sie rafft sich auf, zwingt ein Lächeln auf die Lippen und kehrt ins Wohnzimmer zurück.

»Wer hat denn da draußen so geschrien?« empfängt Elisabeth sie. Dorina beginnt das Geschirr auf das Tablett zu räumen. So kann sie dem forschenden Blick der Mutter entgehen.

»Och, nichts weiter, Mutti. Der Mieter von unten wollte sich ein paar Streichhölzer ausleihen.«

»Und dabei hat er solchen Krach geschlagen?«

Dorina wird immer verlegener. »Das ist so seine Art, Mutti.«

Dorina ist heilfroh, daß sie das Zimmer verlassen kann, um die kleine Küche in Ordnung zu bringen.

Sie weiß, daß ihre Mutter den kleinen Zwischenfall bei ihrer Arbeit, in die sie sich sofort wieder vergräbt, gleich vergißt.

*

»Herein!«

Dr. Frank Altenau, Besitzer des Altenau-Verlages, lehnt sich in seinem Sessel zurück und sieht seiner Sekretärin erwartungsvoll entgegen. »Schon fertig mit Sortieren?«

Gertie Sonntag, ein überschlankes, in seiner Blondheit etwas fad wirkendes Mädchen, das aber enorm tüchtig und zuverlässig ist, reicht dem Chef einen Brief, den sie gleich obenauf auf die Postmappe gelegt hat.

»So etwas haben wir noch nicht erlebt, Herr Doktor. Bitte, lesen Sie ihn zuerst.«

Dr. Altenau vertieft sich in den Inhalt des Schreibens. Es kommt von einem Rechtsanwalt aus München. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wird immer erstaunter.

»Donnerwetter«, sagt er und legt den Brief vor sich hin. »Da haben Sie recht. Das ist mir während meiner ganzen Praxis noch nicht passiert.«

»Wir müssen Frau Martin sofort verständigen«, meint die Sekretärin.

»Hm!« macht Dr. Altenau und denkt nach. Er hat die Romane Eli-sabeth Martins mit großer Begeisterung gelesen und versucht, sich ein Bild von der Schreiberin zu machen. Es ist ihm nie gelungen. Sie hat in ihren Romanen Saiten in ihm zum Klingen gebracht, wie er es bei keiner anderen Autorin erlebt hat. Leider hat er Elisabeth Martin bisher nur kleine Honorare überweisen können. Das hat ihn oft geärgert, weil er ihre Arbeiten für gut hält. Aber der Durchbruch zum Erfolg ist schwer.

»Ich werde selbst zu Frau Martin fahren«, unterbricht er die Stille, und die Sekretärin nickt dazu.

»Das würde ich auch tun.«

*

Verzweifelt sitzt Dorina in der Küche. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Der Schlachter hat ihr auch nichts mehr gegeben. Der Hauswirt hat großen Krach wegen der fälligen Miete geschlagen, und die Lichtrechnung wird demnächst auch präsentiert werden…

Sie schnellt empor, als die Flurglocke anschlägt, fährt sich eifrig über die nassen Wangen und eilt an die Tür. Alles an ihr zittert. Wer mag das schon wieder sein? Vielleicht der Gasmann?

Zaghaft öffnet sie. Vor ihr steht ein Fremder, ein hochgewachsener Mann, elegant gekleidet, der sie höflich grüßt.

»Sind Sie Frau Elisabeth Martin?« erkundigt er sich und behält den Hut in der Hand.

»Nein – leider bin ich nur die Tochter.«

»Darf ich Ihre Mutter kurz sprechen?«

Ehe Dorina ihr einläßt, fragt sie zaghaft:

»Hoffentlich bringen Sie meiner Mutter keine schlechte Nachricht. Sie müssen nämlich wissen, daß sie Schriftstellerin ist und äußerst sensibel.«

Dr. Altenau lächelt, und mit diesem Lächeln wird er Dorina schon sympathisch.

»Ganz im Gegenteil. Ich bringe eine gute Nachricht. Gestatten Sie, Dr. Altenau. Ich bin der Verleger Ihrer Mutter –«

»Sie sind –?«

Dorina verschlägt es den Atem. Wenn er sich aufgemacht hat, um Mutter zu besuchen, kann es sich wirklich nur um eine gute Nachricht handeln. Sie streicht sich das dunkelbraune Haar glatt und läßt Dr. Altenau eintreten.

»Daß Sie überhaupt hierhergefunden haben«, plaudert sie, während sie vorangeht und die Wohnzimmertür öffnet.

»Besuch für dich, Mutti«, posaunt sie förmlich in den nicht gerade großen, aber sehr behaglich ausgestatteten Raum. Dann verschwindet sie in die Küche. Zwar plagt sie die Neugier, aber sie hat das Gefühl, jetzt muß sie Mutti und ihren Verleger allein lassen.

Was für ein imposanter Mann, denkt sie. Am Fenster läßt sie sich nieder und wartet voller Ungeduld.

»Frau Martin?« eröffnet im Wohnzimmer Dr. Altenau das Gespräch.

Elisabeth runzelt unwillig die Stirn. Mitten aus der Arbeit gerissen zu werden, verursacht ihr immer Unbehagen. Aber höflich erhebt sie sich und bietet dem Fremden einen Stuhl an.

»Bitte, nehmen Sie Platz.«

Aufmerksam betrachtet Dr. Altenau die Frau, um deretwillen er sich auf die Reise gemacht hat.

Er sieht in ein paar wunderschöne Blauaugen. Die Wimpern sind dicht, seidig und etwas nach oben gebogen.

»Sie wünschen?« Elisabeth wird es unter den forschenden Blicken des Mannes ganz eigenartig zumute.

»Zunächst möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Altenau.«

Elisabeth lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und schließt die Augen. Jetzt bringt er ihr das letzte Manuskript zurück. Mein Gott! Soll denn alles vergeblich gewesen sein? Die ganze Arbeit, die vielen Nachtstunden, die sie dabei verbracht

hat?

Langsam hebt sie die Lider und blickt mitten hinein in ein Paar warme, gütige Augen, die von einem hellen Braun sind.

»Sie – sind Dr. Altenau?« Ihr versagt fast die Stimme. »Sicherlich bringen Sie mir den letzten Roman zurück.«

Er schüttelt den Kopf. Sein Mund verzieht sich zu einem weichen Lächeln.

»Aber nein, gnädige Frau. Etwas ganz anderes hat mich zu Ihnen geführt.«

»Es hängt nicht mit meiner Arbeit zusammen?« fragt sie erleichtert.

Er wiegt den Kopf hin und her. »Man könnte ja und auch nein sagen«, fährt er fort. »Sie haben eine Erbschaft gemacht, und zwar hat Ihnen eine Leserin, die Ihre Bücher mit Begeisterung gelesen hat, ein Erbe hinterlassen.«

Dr. Altenau entnimmt seiner Aktentasche die Unterlagen.

»Rechtsanwalt Meininger aus München hat an mich geschrieben, da ja seine Mandantin Ihre Adresse nicht wußte. Darf ich Ihnen den Brief vorlesen – oder wollen Sie selbst –«

Elisabeth macht nur eine kurze Handbewegung, und Altenau beginnt, ihr das Testament vorzulesen:

Da ich die Romane der Schriftstellerin Betty Mai mit größtem Interesse gelesen habe, und sie mir viele schöne Stunden in meiner Einsamkeit gegeben hat, und da ich keinerlei Anhang habe, vermache ich Betty Mai mein am Tegernsee gelegenes Haus. Der dortige Bürgermeister, Leopold Meininger, hat Anweisung von mir bekommen, jeden Monat eine Summe in Höhe von 500 Mark an Frau Mai zu überweisen, damit das Grundstück auch weiterhin in Ordnung gehalten werden kann.

Die gesamte Einrichtung des Hauses gehört ebenfalls Frau Mai.

Ich wünsche ihr, daß sie in dieser schönen Umgebung noch viele Romane schreiben kann und sich ihre Leserschaft vermehren möge.

Ich danke Frau Mai für das, was sie mir mit ihren Romanen gegeben hat, und wünsche ihr viel Glück in ihrem neuen Haus.

Agnes Straub

Elisabeth ist immer mehr auf ihrem Stuhl zusammengekrochen. In ihrem Kopf dreht sich alles. Ein Haus! Man hat ihr ein Haus vermacht. Das kann doch nur ein Scherz sein.

»Ist – ist das auch wirklich wahr?« flüstert sie kaum vernehmbar.

Altenau reicht ihr das Testament. »Es stimmt« erklärt er ihr. »Hier steht es schwarz auf weiß, und keiner kann Ihnen die Erbschaft streitig machen.«

Elisabeths Hand zittert so sehr, daß sie nicht eine Zeile zu lesen vermag. Dorina, denkt sie, wo ist Dorina?

Dorina sitzt in der Küche und ist vor Besorgnis ganz krank. Nirgends ein Lichtblick. Wie soll das nur weitergehen?

Als sie ihren Namen rufen hört, erhebt sie sich mit weichen Knien. Jetzt kommt die Hiobsbotschaft. Immer, wenn Mutti sich nicht zu helfen weiß, muß sie einspringen. Das kennt sie schon.

Noch einen schnellen Blick in den altersschwachen, fast blinden Spiegel. Sie streicht sich über das dunkelbraune Haar und geht langsam hinüber ins Wohnzimmer.

»Dorina!« empfängt Elisabeth ihre Tochter.

»Ja, Mutti? Was gibt es?«

Elisabeth zieht ihre Tochter zu sich herab und küßt sie ungestüm auf beide Wangen. Die Tränen laufen ihr aus den Augen.

»Ach, Dorina –«

»So beruhige dich doch, Mutti«, tröstet Dorina die Mutter und zieht ihr Taschentuch, um die immer mehr nachdrängenden Tränen zu trocknen.

»Es ist ja nur die Freude, Kind.« Elisabeths Stimme ist dunkel vor Freude und Aufregung. »Stell dir vor, wir haben geerbt –«

»Wir –?« unterbricht Dorina ihre Mutter. »Wir haben doch gar keine Verwandten.«

»Doch, doch, Dorina, wir haben geerbt«, versichert Elisabeth eifrig. »Eine Leserin –« Sie zwingt Dorina das Testament in die Hand. »Lies selbst, Kind, ich bin nicht fähig dazu.«

Dorina vertieft sich in den Inhalt des Schreibens und stößt einen Laut der Überraschung aus. Im nächsten Augenblick liegt das Testament auf dem Boden, und Dorina fällt in die Arme ihrer Mutter.

»Es ist wirklich wahr, Mutti! Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten.«

Dann dreht sie sich zu Dr. Alte-nau um, der der Szene mit Rührung und einiger Belustigung gefolgt ist.

»Vielleicht ist es nur eine Blockhütte?«

Jetzt lachte Altenau hell heraus.

»Es ist keine Blockhütte, sondern ein stabil gebautes Haus mit Blick auf den Tegernsee. Es hat zwölf Zimmer, und alle sind möbliert.«

»Ich werde verrückt!« Mit diesem Ausruf, der Altenau noch mehr zum Lachen bringt, fällt sie auf den nächsten Stuhl. Sie sieht sich in dem kleinen Raum um. »Zwölf Zimmer, du meine Güte, Mutti, da können wir jeden Tag in einem anderen wohnen.«

Wie elektrisiert springt sie auf die Beine.

»Verzeihen Sie, Herr Doktor, wollen Sie nicht ablegen und eine Tasse Tee oder Kaffee mit uns trinken?«

»Moment, bitte.« Dr. Altenau holt seine Brieftasche hervor. »Noch habe ich nicht alles erledigt. Hier ist ein Scheck über tausend Mark und ein zweiter über zwölfhundert, der Rest der letzten Buchabrechnung.«

Nach dieser Eröffnung herrscht tiefe Stille zwischen den drei Menschen. Elisabeth und ihre Tochter starren auf die beiden Schecks und finden keine Worte. Dorina ist es, die in Jubel ausbricht und wild durch das Zimmer wirbelt.

»Mutti, wir sind die reinsten Glückskinder. Ich könnte losheulen vor Freude.«

»Das kann ich alles noch gar nicht fassen«, flüstert Elisabeth und blickt voller Mißtrauen auf die Schecks, als könnten sie sich jeden Augenblick in Nichts auflösen.

Das bringt Dorina wieder zur Besinnung. »Wir haben doch gar kein Konto, Mutti.« Sie wendet sich Altenau zu. »Hätten Sie vielleicht ein bißchen Bargeld bei sich? Unsere Kasse ist wie ausgebrannt, und Kaffee und Tee haben wir auch nicht mehr im Haus.«

»Dorina!« ruft Elisabeth entsetzt.

»Was denn, Mutti, habe ich etwas Böses gesagt?« fragt sie verwundert. »Es ist wirklich so, wir sind wieder einmal am Ende angelangt.«

Altenau amüsiert sich köstlich über Dorinas Offenheit. Er zieht abermals seine Brieftasche und legt zwei Fünfziger auf den Tisch, die Dorina andächtig betrachtet. Zaghaft greift sie danach. »So viel Geld, der Schneider wird platzen.« Erklärend setzt sie hinzu: »Sie müssen nämlich wissen, daß besagter Herr Schneider unser Kaufmann ist und uns den Kredit gesperrt hat -«

»Dorina!« verweist Elisabeth ihre Tochter und ist den Tränen nahe. »Wie kannst du Herrn Dr. Altenau mit solchen Dingen belästigen?«

»Ich habe volles Verständnis dafür, gnädige Frau«, sagt er warmherzig. »Ich komme mir wie der Weihnachtsmann vor.«

»Das sind Sie in meinen Augen auch«, übernimmt Dorina die Antwort. »Mutti, unterhalte den Herrn inzwischen. Ich gehe einkaufen und bereite für uns drei einen Imbiß.«

Schon ist sie zur Tür hinaus. Man hört sie im Flur trällern, dann gibt es einen Knall, und es herrscht Ruhe. Dorina hat die Flurtür ins Schloß geschlagen. –

*

Verlegen sitzt Elisabeth vor dem Mann, mit dem sie sich sehr oft beschäftigt hat, dessen Bild sie sich im Geiste ausmalte.

Alles ist für sie unfaßbar. Schließlich fühlt sie die prüfenden Blicke ihres Gastes, und sie sieht ihn verwirrt an.

»Verzeihen Sie, ich bin eine schlechte Hausfrau. Alles tut Dorina. Sie führt den Haushalt. In dieser Beziehung bin ich eine Niete. Mein Beruf bedeutet mir alles, und wäre Dorina nicht, wer weiß, wie es um mich bestellt wäre.«

»Ihre Tochter ist sehr zart«, bemerkt Altenau.

Elisabeth wird lebhaft. »Wegen Dorina freue ich mich besonders über das Erbe. Sie wird in eine schöne Umgebung kommen, wird keine Sorgen mehr haben. Ach, ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Dorina ist mein einziges Kind. Meinen Mann verlor ich früh, viel zu früh. Wir haben kaum eine richtige Ehe führen können. Deshalb habe ich mein ganzes Herz an Dorina gehängt.«

Er betrachtet sie stumm, und als er dem Blick ihrer dunkelblauen Augen begegnet, geht es wie ein Ruck durch seinen Körper. Ja, genauso hat er sich die Autorin vorgestellt, gereift und trotzdem jugendlich wirkend. Das schlichte Hauskleid zeugt für ihren guten Geschmack.

»Entschuldigen Sie«, fällt sie in seinen Gedankengang ein. »Darf ich Ihnen die Garderobe abnehmen. Machen Sie es sich bequem, Dorina wird gleich zurückkommen.«

»Danke!« Er verneigt sich leicht und sieht hinter ihr her, wie sie das Zimmer verläßt.

Seitdem er die vielen Stufen zur Mansarde emporgeklettert ist, kommt er sich wie verzaubert vor. Die schöne Frau mit ihrer ebenfalls schönen Tochter.

Elisabeth kehrt zurück. Ihre Wangen glühen. Sie sieht wie ein junges Mädchen aus, und Altenau läßt keinen Blick von ihr. Überallhin verfolgen sie seine Blicke.

Sie nimmt aus der Vitrine hauchdünne Tassen und beginnt, den Tisch zu decken.

»Bin ich nicht sehr ungeschickt?« fragt sie verschämt. »Meine Tochter kann das viel besser.«

»Ich finde den gedeckten Tisch sehr schön«, sagt Altenau. »Vielleicht noch ein paar Blumen.«

»Ach ja, Blumen –«

Altenau hat schon von der Fensterbank eine zierliche Vase mit Anemonen genommen und seitlich auf den Tisch gestellt.

»Davon verstehen Sie auch etwas?« Elisabeth wird immer verwirrter. »Glauben Sie nun, daß ich eine Niete bin?«

Er schüttelt lächelnd den Kopf.

»Das glaube ich nicht. Sie schreiben wunderbare Romane. Passen Sie auf, gnädige Frau, jetzt kommt der Erfolg. Ich werde für Sie Reklame machen. Sie müssen vorankommen. Oder – wollen Sie jetzt mit der Schriftstellerei aufhören?«

Sie schüttelt so heftig den Kopf, daß das schwarze, lockige Haar um die schöngeformte Stirn flattert. Überhaupt ist sie eine sehr reizvolle Frau mit einem schmalen, rassigen Gesicht.

Ich bin verrückt, ruft er sich zur Ordnung, noch nie habe ich eine Frau mit so viel Aufmerksamkeit und Wohlgefallen betrachtet.

Wie ein Bann ist es, und er schüttelt ihn gewaltsam von sich.

»Wie wäre es, wenn ich Sie und Ihre Tochter zum Essen einlüde?«

»Aber nein«, kommt es entsetzt von ihren Lippen. »Wir wollen es uns lieber hier gemütlich machen. Sie sollen sehen, was Dorina herbeizuzaubern versteht.«

Er reicht ihr seine Zigarettendose und bedient sie und sich mit Feuer. Gedankenverloren blicken sie beiden den bläulichen Rauchwolken nach.

Indessen kostet Dorina das herrliche Gefühl aus, im Besitz von Geld zu sein. Sie kauft alles ein, wonach ihr der Sinn steht.

Wie lange hat sie auf einen solchen Augenblick gewartet!

Als sie die Wohnung wieder betritt, schmunzelt sie vor sich hin.

Sie legt die gekauften Sachen in die Küche, fährt sich über das vom Wind verwehte Haar und geht ins Wohnzimmer.

»Das hättest du erleben müssen, Mutti«, überfällt sie ihre Mutter. Ausgelassen wirft sie sich in einen Sessel.

»Es war einfach wunderbar, das dumme Gesicht von Herrn Schneider zu sehen«, erzählt sie. »Und denk mal, Mutti. Die Kleineberger ist gerade in den Laden gekommen, als ich von der Erbschaft erzähl-

te.«

Elisabeth schüttelt unwillig den Kopf. »Mußte das sein, Dorina? Nun werden wir im Handumdrehen das Ortsgespräch sein. Du weißt, ich liebe kein Aufsehen.«

Sie wirft auf den stillen Zuhörer einen schnellen Blick. Was muß er von ihnen denken?

Dorina springt auf. »Jetzt mache ich uns zur Feier des Tages einen Kaffee, daß der Löffel darin steckenbleibt. Bis nachher.«

Damit eilt sie aus dem Zimmer.

Elisabeth sieht auf ihre im Schoß verschlungenen Hände hinab. Sie wagt die eingetretene Stille nicht zu unterbrechen. Bestimmt wird Dr. Altenau sie und auch Dorina verkennen. Da klingt seine sonore Stimme an ihr Ohr.

»Sie haben ein prächtiges Mädel, gnädige Frau. Ich kann mich gut in ihren augenblicklichen Zustand versetzen. Lassen Sie ihr die Freude. Sie gefällt mir ausgezeichnet in ihrer Natürlichkeit.«

»Wirklich?« fragt sie. Er nickt ihr lächelnd zu.