Einfach Kind sein - Nicole Schmidt - E-Book

Einfach Kind sein E-Book

Nicole Schmidt

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Beschreibung

Es gibt sie - diese kostbaren Momente, in denen man die vollkommene Liebe Gottes erahnen kann. Nicole Schmidt hat sie erlebt, besonders im Zusammenspiel mit ihren Kindern. Denn nicht zuletzt durch die innige Eltern-Kind-Beziehung offenbart Gott sein vor Liebe übersprudelndes Vaterherz. Nicole Schmidt erzählt Episoden aus ihrem Leben als Mutter. Dabei hat sie sich gefragt: "Was möchte mich Gott durch meine Kinder lehren?" Die 35 Kurzgeschichten zeigen, was sie durch diese Erlebnisse über ihren himmlischen Vater gelernt hat. Ihre Beobachtungen und Gedanken weiten den Blick für persönliche Alltagserlebnisse, die mehr von Gottes Vaterherz enthalten, als wir bislang vielleicht meinten. Ein Buch voller kurzweiliger und berührender Geschichten aus dem Familienleben - verknüpft mit geistlichen Wahrheiten, die die Vaterliebe Gottes ins Herz fallen lassen.

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Über die Autorin

Nicole Schmidt (Jahrgang 1982) hat drei große Leidenschaften: ihre Familie, das Schreiben und ihren Glauben an Jesus Christus. Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt mit ihrer Familie in Windeck-Schladern (Bergisches Land). Aktuell ist sie als freie Autorin tätig und hat Artikel für christliche Zeitschriften geschrieben.

Für Nele und Sophia.Meine seelewärmenden Kinder.

Inhalt

Prolog

Einfach Kind sein

Die Zusage

Der Preis

Jesus’ Mutter

Ist doch meins

Kleine Helfer

Herzensgeschenke

Der Haarknoten

Vergoldete Narben

Von kleinen großen Ängsten

Kuschelzeit

Der Bestimmertag

Der Zuckerrand

Muttertag

Der zerbrochene Haarreifen

Jesus, der Mensch

Wer nicht hören will

Verloren und gefunden

Ohne Worte

Herzensrichtung

Phantomschmerzen

Die neuen Sandalen

Schmerzhafte Liebe

Am Ende des Weges

Die kalte Schulter

Im Dunkeln unterwegs

Regenbogenfarben

Die Fahrradprüfung

Der leere Platz

Unpassend

Der Papierstern

Der Makel an der Wand

Die Herausrede

Epilog

Anmerkungen

„Ich werde euer Vater sein, und ihr werdet meine Söhne und Töchter sein. Das sage ich, der Herr, der allmächtige Gott.“2. Korinther 6,18

„Kinder bleiben die Mittler zwischen Gott und den Menschen.“Jeremias Gotthelf

Prolog

Es war eine Nacht wie viele andere. Nichts an ihr war ungewöhnlich. Und doch war sie etwas Besonderes und hat mich verändert.

Unsere Tochter war damals noch kein Jahr alt. Sie schlief nachts nicht besonders gut, wurde oft wach und weinte. Es kam vor, dass wir sie mehrmals beruhigen mussten. Auch in dieser Nacht wurde ich von ihrem herzerweichenden Wimmern geweckt. Schlaftrunken schob ich die körperwarme Decke und die gemütliche Bettschwere von mir und rollte mich von der Matratze. Meine Tochter lag in ihrem Bettchen, das kleine Mündchen zitterte jammernd und die Augen waren zu Schlitzen zusammengekniffen. Es wunderte mich, dass überhaupt Tränen aus ihnen herausfließen konnten. Ich hob dieses kleine Bündel Mensch hoch, drückte es an mich und bewegte mich sachte im Takt des Rhythmus, zu dem alle Eltern auf der Welt tanzen. Ich spürte den warmen Körper durch den weichen Schlafsack und die heißen Tränen auf ihren butterweichen Wangen. Das Weinen wurde schwächer, bald war es nur noch ein leises Winseln. Ihre Atmung wurde gleichmäßig. Dann holte sie einmal tief Luft und ein wohliger Seufzer entflog ihren Lungen. Nun lag sie ganz entspannt in meinen Armen. Ich setzte mich vorsichtig in den Schaukelstuhl, damit sie in aller Ruhe wieder einschlafen konnte. Jetzt lag sie auf meiner Brust, das Ohr an meinem Herzschlag. Niemand kannte ihn so gut wie sie. Auch ich spürte ihr winziges Herz schlagen, stetig wie ein Metronom und trotz der geringen Größe voller Stärke und Entschlossenheit. Zwei Herzschläge in der Dunkelheit der Nacht.

Und plötzlich, vollkommen unerwartet, geschah es: Ein Gefühl der absoluten Glückseligkeit durchströmte mich. Dieser Eindruck war so überwältigend, so klar und rein, so schöpferisch und kraftvoll, dass ich mich wie berauscht fühlte, unklar darüber, ob ich noch atmete. Und ich weiß, dass mein Versuch, dieses Empfinden in Worte zu verwandeln, nur ein lächerliches Gestammel zu dem sein kann, was ich tatsächlich erlebt hatte. Mein Herz und meine Seele liefen über und eine tiefe Zufriedenheit ließ keinen Raum für Zweifel, dass das, was ich spürte, die pure, makellose und unverfälschte Liebe zu meinem Kind war. Es war nur ein kurzer Augenblick. Doch ich wusste, dass in ihm ein Stückchen Ewigkeit enthalten gewesen war.

Ich legte das schlafende Kind vorsichtig zurück und beobachtete es noch eine Weile. Von seinem Schlaf ging eine tiefe Zufriedenheit und Sorglosigkeit aus. Dann schlich ich mich aus dem Zimmer. Mein eigenes Bett empfing mich kalt, die Laken mussten erst wieder von mir gewärmt werden. Aber das gerade Erlebte durchströmte mich wie ein milder Sommertag.

Die Liebe zu meiner Tochter hatte ich seit dem Tag gespürt, an dem ich erfahren habe, dass sie in mir heranwächst. Seitdem wurde sie immer stärker und intensiver. Meist vermischte sie sich mit Fürsorglichkeit und Sorge um sie. Aber in dieser Nacht spürte ich diese Liebe zu ihr in einer nie zuvor da gewesenen Weise. Ich starrte in die Dunkelheit des Zimmers, bewegte das Erlebte in mir und versuchte mich krampfhaft an diesem Glückstaumel festzuhalten, aus Angst, ihn zu verlieren und zu vergessen. Doch das geschah nicht. Auch heute noch erinnere ich mich an diese Nacht und an den Segen, der mir in ihr zuteilwurde: Gott hatte mir eine winzig, winzig, winzig kleine Ahnung davon geschenkt, welch reine Liebe er für uns, seine Kinder, empfindet. Und ich bin mir sicher, dass ich nicht allein damit bin, dass dies kein Exklusivgeschehen war, sondern dass viele andere diese Ergriffenheit, diesen flüchtigen Augenblick der vollkommenen Liebe Gottes bereits erlebt haben und in sich tragen. Und weil Gott uns so unterschiedlich und einzigartig geschaffen hat, offenbart er sich ebenso unterschiedlich und einzigartig. Mir offenbart er sich oft durch sein von Liebe übersprudelndes Vaterherz. Dieses Erlebnis, mein Erlebnis, hat mich aufhorchen lassen und ich habe mir die Frage gestellt: Was möchte Gott mich durch mein Kind lehren?

„Ich bin zur Ruhe gekommen, mein Herz ist zufrieden und still. Wie ein kleines Kind in den Armen seiner Mutter, so ruhig und geborgen bin ich bei dir!“Psalm 131,2

Seit dieser Nacht sind 13 Jahre vergangen. Mein Mann und ich haben zwei herzinspirierende Töchter, die uns geholfen haben, Gott immer besser kennenzulernen. Die Beziehung zu unseren Kindern ist ein – natürlich unvollkommener und nahezu stümperhaft fragmentarischer – Spiegel der Beziehung, die Gott zu uns, seinen Kindern, hat. Trotzdem fühlen wir uns als Eltern von Gott mit einer Ahnung beschenkt, wie Gott als Vater ist und wie wichtig wir ihm sind. Wir dürfen unsere Sicht korrigieren und unser Gottesbild erweitern. Aus diesem veränderten Blickwinkel heraus können wir das Leben gestalten und lernen, uns auch selbst und unseren Nächsten besser zu sehen, anzunehmen und zu lieben.

Und so habe ich immer Ausschau gehalten und nach Spuren der Liebe Gottes in unserem Familienalltag gesucht. Ein paar von diesen Erlebnissen aus diesen Jahren habe ich aufgeschrieben und sie in diesem Buch gebündelt. Es sind jene Geschehnisse, die mich kurz innehalten ließen, um zu staunen über einen Vater im Himmel, der mich auch in meinem unglamourösen und oft auch nicht besonders geistlichen Alltag sieht. Es sind jene Begebenheiten, in denen Gott mich unmittelbar aus seiner unermesslichen Gnade heraus erkennen ließ, welch wertvolle und tiefe Erkenntnis er mir darin für meine persönliche Beziehung zu ihm geschenkt hatte. Ob die Geschichten in der vorgegebenen Reihenfolge gelesen werden oder im oftmals vollen Familienalltag als einzelne, kleine Oasen dienen, dürfen Leserinnen und Leser gerne selbst entscheiden. Vielleicht erkennt die eine oder der andere so manche Situation wieder. Und vielleicht weitet es den Blick für persönliche Alltagserlebnisse, die möglicherweise doch nicht so alltäglich sind, wie sie erscheinen, die mehr von Gottes Vaterherz enthalten, als wir uns wahrscheinlich vorstellen können.

Einfach Kind sein

„Das Herz bleibt ein Kind.“Theodor Fontane

Da lag nun dieses winzige Knäuel Menschlein wieder selig schlafend in seinem Bettchen und ich konnte einfach nicht aufhören, es anzusehen. Es war einfach perfekt. Die Schönheit überwältigte mich immer wieder von Neuem. Tief in mir zerrte ein noch neues Gefühl an meinem Herzen und schenkte mir eine wohlige, kribbelige Zufriedenheit. Dazu kam das befriedigende Wissen, eine ehrenwerte Aufgabe zu haben: die Fürsorge für dieses neugeborene Erdenkind. Mir war bewusst, dass es ohne Zuwendung nicht überleben könnte.

Ein Baby ist völlig hilflos. Theoretisch hatte ich das natürlich gewusst. Doch dies nun als Mutter zu erleben, war etwas völlig anderes. Unsere Töchter waren zu Beginn noch nicht einmal in der Lage, ihre Köpfchen selbstständig zu halten, ohne dass sie wie eine verwelkte Blume zur Seite knickten. Sie waren darauf angewiesen, dass mein Mann und ich sie ernährten, wickelten, wuschen und ihnen sogar beim Aufstoßen halfen. Sie gierten geradezu nach körperlicher Nähe und Aufmerksamkeit. Wenn sie weinten, beruhigten wir sie und versuchten herauszufinden, was ihnen fehlte. Viele Nächte schaukelten wir sie durch das Zimmer. Wir beseitigten Windelinhalte, wofür eigentlich der Kampfmittelräumdienst zuständig gewesen wäre. Wir wurden angespuckt und auch mal vollgepinkelt. Wir passten unseren Tagesablauf an ihre Bedürfnisse an und aßen erst, wenn sie satt und zufrieden waren. Wenn sie schliefen, schlichen wir durch unser Haus und unterhielten uns lediglich flüsternd. Wir wuschen enorme Wäscheberge, nicht nur ihre Kleidung, sondern auch unsere eigene, da es kaum noch ein Kleidungsstück ohne Babykotze oder Babyspucke gab. Außerdem kauften wir Windeln gefühlt im Wert eines Kleinwagens.

Und unsere Babytöchter? Sie nahmen unsere Pflege, Fürsorge und Liebe einfach bedenkenlos, ja geradezu naiv, an. Sie haben sich bestimmt nie darüber den Kopf zerbrochen, wie sie es „wiedergutmachen“ könnten oder welche Gegenleistung wir Eltern wohl verlangen würden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie niemals einen einzigen Gedanken daran verschwendet haben, ob sie überhaupt ein Anrecht auf unsere Liebe und Fürsorge hätten oder sie dieser wert wären, geschweige denn, ob sie uns überhaupt bräuchten. Genauso sicher bin ich mir darüber, dass sie sich nicht schuldig fühlten, wenn mein Mann und ich uns ständig um sie kümmerten. Denn selbst wenn wie schliefen, kreisten unsere Gedanken um ihr Wohlbefinden. Für uns Eltern war es einfach selbstverständlich. Sie waren unsere Töchter und von überschäumender Liebe sehnlichst gewollt. Keinen einzigen Moment zweifelten wir daran, ob sie unsere Obhut überhaupt verdienten.

Wie lächerlich diese Gedanken klingen! Und doch dachte ich oftmals genauso über die Beziehung zu meinem himmlischen Vater. Anstatt mir bewusst zu sein, dass ich sein unendlich geliebtes Kind bin – sorgfältig gestaltet, sehnsüchtig erwartet und aufopferungsvoll errettet –, fragte ich mich, ob ich seine allumfassende Wertschätzung und Liebe überhaupt verdient hatte.

„Der HERR wird nicht zulassen, dass du fällst; er, dein Beschützer, schläft nicht. Ja, der Beschützer Israels schläft und schlummert nicht. Der HERR gibt auf dich acht; er steht dir zur Seite und bietet dir Schutz vor drohenden Gefahren. Tagsüber wird dich die Sonnenglut nicht verbrennen, und in der Nacht wird der Mond dir nicht schaden. Der HERR schützt dich vor allem Unheil, er bewahrt dein Leben. Er gibt auf dich acht, wenn du aus dem Haus gehst und wenn du wieder heimkehrst. Jetzt und für immer steht er dir bei!“Psalm 121,3-8

Ich bin hilflos in dieser Welt. Auch wenn ich früher der Meinung gewesen war, dass ich mein Leben schon irgendwie alleine auf die Reihe kriegen würde, dass ich keinen Gott dafür bräuchte, lehrte mich die Erfahrung etwas anderes. Ich bin von der Fürsorge meines himmlischen Vaters abhängig, ich brauche seine Liebe und Gnade. Er versorgt mich mit allem Nötigen. Er stützt mich, wenn ich zu schwach bin, hält mich, wenn ich verzweifelt bin, und tröstet mich, wenn ich traurig bin. Und um den Mist, den ich baue, hat er sich längst schon gekümmert, auch wenn es ihn alles gekostet hat. Darüber bin ich nicht verbittert, sondern unendlich dankbar und glücklich. Wo, wenn nicht bei Gott, erfahre ich tiefste Geborgenheit? Mit leeren Händen darf ich aus seiner unendlichen Gnadenquelle schöpfen. Nun bin ich vollkommen, weil Gott mich sein Kind nennt.

„Du bist mein Gott, seitdem mein Leben begann. Seit der Stunde meiner Geburt bin ich auf dich angewiesen.“Psalm 22,11

Während ich wieder einmal das kleine Baby in der Wiege betrachtete, über seine unglaubliche Perfektion staunte und nicht aufhören konnte, es anzusehen, hielt ich mir also vor Augen, wie absurd meine Bedenken gegenüber meiner eigenen Gotteskindschaft waren. Stattdessen vergegenwärtigte ich mir, dass auch Gott mich voller Liebe anschaute und mir zuflüsterte: „Du bist es wert!“

Die Zusage

„Unauslöschlich habe ich deinen Namen auf meine Handflächen geschrieben, deine Mauern habe ich ständig vor Augen!“Jesaja 49,16

Während meines Stöberns in einem christlichen Buchladen fiel mir eine Postkarte ins Auge. Auf pflaumenlila Untergrund stand in schlichter weißer Schrift: „Du bist gewollt, geliebt, geadelt – Gott“. Auf dem „e“ des „geadelt“ prangte ein kleines Krönchen. Dieser ermutigende Zuspruch gefiel mir so gut, dass ich zwei dieser Karten kaufte. Daheim legte ich sie in weiße Bilderrahmen und klebte sie an die Zimmertüren meiner Töchter, die beide zu dieser Zeit noch sehr klein waren und somit weit davon entfernt, diese lesen zu können. Aber mir gefiel einfach die Vorstellung, dass dieses wunderschöne Versprechen Gottes meine Töchter in ihrem Aufwachsen begleitet, auch wenn es noch dauern würde, bis sie etwas damit anfangen konnten.

Die Mädchen wurden älter und im Laufe der Jahre gesellte sich das ein oder andere Ausstellungsstück hinzu, das jeweils mit einer großzügigen Menge Klebestreifen von den beiden an die Türen geklebt wurde: selbst gemalte Bilder, mit einem variablen Anteil von Glitzerpulver versehen, Poster von Tieren, Filmen oder mit Sinnsprüchen, Fotos von Familie und Freunden oder Ansichtskarten von schönen Stränden oder Berglandschaften. Immer wieder veränderte sich das Outfit der Türen je nach Stimmung, Dekorationsschub, Bastelintensität und Entwicklungsphase. Und jede Zimmertür war dabei auf ihre ganz individuelle Weise von ihrer Bewohnerin gestaltet. Daher wirkte „meine“ Karte zeitweilen etwas verloren inmitten des kreativen Tohuwabohus.

Irgendwann kam ich an den Zimmern meiner Töchter vorbei, als beide vor ihren Türen standen, die Stirnen nachdenklich in tiefe Grübelfalten gelegt. Mittlerweile besuchten sie die erste und dritte Klasse der Grundschule und waren mehr oder weniger des Lesens mächtig. Sie fragten mich, was dieser Satz auf der gerahmten Karte bedeutete. Ich versuchte es ihnen, mit meinen plumpen Worten, so einfach wie möglich zu erklären. Ich sagte, dass wir aus Gottes übersprudelnder Liebe heraus gemacht worden sind, weil er sich so sehr nach uns gesehnt hat. Und weil Gott der König über alles ist und wir seine Kinder, sind wir Königskinder, also adlig. In den Köpfen meiner Mädels arbeitete es sichtlich. Plötzlich erhellte ein Strahlen das Gesicht meiner einen Tochter, ihre Augen leuchteten vor Begeisterung und es sprudelte aus ihr heraus: „Dann bin ich ja eine Prinzessin!“ Ihre Schwester kommentierte diese Erkenntnis mit einem: „Cool!“ Dann verschwanden sie fröhlich in ihren Zimmern. Ich hörte sie in ihren Verkleidungskisten kramen und hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wonach sie gerade suchten.

Ich stand nun alleine vor ihren Zimmertüren und betrachtete die bunten und chaotischen Collagen. Unmittelbar gingen meine Gedanken auf Reisen. Ich dachte an den Moment zurück, als ich mein Leben in Gottes Hände gegeben und wie er mir dann zugesprochen hatte: „Du bist gewollt, geliebt, geadelt.“ Diese Anerkennung steht fest und ist sicher, nichts kann an seiner Liebe zu mir rütteln und niemand kann mir diese von Gott zugesprochene Würde nehmen. Das ist meine Basis, mein Fundament, mein Mittelpunkt. Leider merke ich oft nicht, wie viel anderes „Zeug“ sich nach und nach neben dieser eingerahmten Präambel anhäuft. Da sind die wundervollen Seiten des Lebens, die ich feiere und über die ich mich so sehr freue. Die ich in vollen Zügen genieße und schätze und die ich mit Glitzerkleber auf meiner Lebensgrundlage anhefte. Schnell kann es allerdings passieren, dass ich ihnen einen unrecht- und unverhältnismäßigen Stellenwert zuspreche. Dann vergesse ich, dass meine Herzensfreuden königliche Geschenke sind, die mir gnädig und unverdient zuteilwerden. Wie oft nehme ich dieses Glück allzu selbstverständlich an und versäume, dankbar zu sein? Darüber hinaus klebe ich ebenfalls die beklemmenden Andenken des Lebens dazu: den Alltag, dessen Mühlen zermürbend sein können, die Sorgen, die das Leben mit sich bringt, das unabsichtliche Verschieben der eigenen Wertvorstellungen, die einschleichende Trägheit des Herzens, das Setzen auf falsche Hoffnungen, das Gefangensein in melancholischen Erinnerungen oder das Verfolgen falscher Sehnsüchte. Meine „Lebenstür“ wird mit der Zeit immer voller mit selbst gebastelten Ängsten und Kümmernissen, mit Souvenirs aus bedrückenden oder glückseligen Augenblicken oder mit Postern von trügerischen Idealen und Leitbildern. Irgendwann ist die Tür so zugekleistert, dass ich Gottes Zusage ganz leicht übersehe. Die überfrachteten Zimmertüren meiner Töchter führten mir das ganz klar vor Augen. Ich begriff, dass es unaufhörlich notwendig ist, Gott Ordnung schaffen zu lassen. Ich selbst darf zum Kreuz kommen und ihm meinen Krempel bringen. Er hilft mir dabei, aufzuräumen: Schädliche Denkmäler und Vorstellungen werden eingerissen und entsorgt, glückselige Momente und seelenstreichelnde Erinnerungsstücke in dankbarer Haltung an ihren eigentlichen Platz gestellt. Dann endlich sehe ich wieder klar und deutlich, was schon von jeher da gewesen ist:

„Denn Gott hat uns versprochen: ‚Ich lasse dich nicht im Stich, nie wende ich mich von dir ab.‘“Hebräer 13,5b

Die Postkarten an den Zimmertüren meiner Töchter erinnern mich an Gottes Zusage und daran, wer ich wirklich bin. Es ist wie ein kleines „Vergiss das nie!“ von Gott. Egal, was mein Gemütszustand mir einredet, ob ich entmutigt oder erschöpft bin oder mich wertlos fühle und sich mein Selbstbewusstsein in die verborgenste Ecke meines Wesens zurückgezogen hat. Das ein oder andere Mal schon haben diese vier kleinen Worte meinen Blick auf mich selbst korrigiert, mich getröstet und daran erinnert, dass ich Gottes Tochter bin.

Viele Jahre später unterzogen meine Mädels ihre Zimmer einer Grundreinigung. Vieles wurde umgestaltet, ausgemistet und entsorgt. Im Zuge dieser Aktion entfernten sie sämtliche Aushänge an ihren Zimmertüren. Außer den Bilderrahmen mit den Postkarten. Ich weiß nicht, warum, denn ich habe ihnen nie gesagt, dass diese hängen bleiben müssten. Vielleicht war es aus Gewohnheit, habe ich gedacht, weil sie nun bereits seit mehr als einem Jahrzehnt dort hingen. Jedoch hat das meine Töchter auch nicht davon abgehalten, die schnörkeligen Buchstaben ihrer Namen nun nach ebenso langer Zeit abzunehmen. Möglicherweise sprach dieser kurze Zuspruch meine Töchter auf irgendeine Weise wahrhaftig an. Es machte auf mich den Anschein, dass er etwas in ihnen anrührte, das sie selbst noch nicht wirklich greifen konnten. Eigentlich hatte ich diese Karten damals im Buchladen nicht für mich selbst aufgeklebt. Sie hingen dort auch in der Hoffnung, dass meine Mädels, wenn sie dann lesen konnten, beim Eintreten in ihr Zimmer diese beflügelnde Zusicherung vor Augen haben. Mein Gebet ist, dass sie eines Tages verstehen, was diese wunderschöne Zusage bedeutet. Ich hoffe, dass sie den unmessbaren Schatz in Jesus erkennen und ihn einladen, nachdem er wortwörtlich ein Leben lang an ihre Tür geklopft hat, in ihren Herzen zu wohnen. Mein sehnlichster Wunsch ist es, dass sie irgendwann eintauchen in die grenzenlose Liebe und Gnade ihres himmlischen Vaters und Töchter Gottes sein werden.

Das einstige Lila der Postkarte ist verblichen und einem sanfteren Fliederton gewichen. Die Zusage steht aber nach wie vor und ganz klar fest: Du bist gewollt, geliebt, geadelt – Gott.

„Denn ich bin ganz sicher: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch irgendwelche Gewalten, weder Hohes noch Tiefes oder sonst irgendetwas auf der Welt können uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns ins Jesus Christus, unserem Herrn, schenkt.“Römer 8,38-39

Der Preis

„Mit scharfem Blick, nach Kennerweise, Seh ich zunächst mal nach dem Preise,Und bei genauerer BetrachtungSteigt mit dem Preise auch die Achtung.“Wilhelm Busch

Es war Karfreitag und wieder einmal wurde mir Jesus’ Leidensgeschichte in unserem Gottesdienst deutlich vor Augen gemalt. Wieder einmal war ich gedanklich am Tisch mit den Jüngern und betrachtete Jesus’ Hände, wie sie das Brot brachen. Wieder einmal begleitete ich ihn in den Garten Gethsemane, beobachtete seine Verurteilung und versuchte den Blick nicht abzuwenden von seinem geschundenen Körper, der schließlich ans Kreuz geschlagen wurde. Und wieder einmal saß ich im Gottesdienst und fühlte mich schuldig. Denn wieder einmal quälte mich die Frage, ob ich wirklich verstanden hatte, welchen Preis Jesus tatsächlich für mich bezahlt hatte.

Seit ich mich mit sechzehn Jahren in Jesus verliebt hatte, beschäftigte mich dieser Gedanke. Ich zweifelte nicht daran, dass mir meine Sünden vergeben worden waren. Doch hatte ich das wirklich begriffen? War ich würdig? Nahm ich Jesus’ Vergebung zu leichtfertig an oder gar auf die leichte Schulter? Verstand ich, was es Jesus tatsächlich gekostet hatte, oder tat ich seine Gnade zu billig ab?

„Denn Christus hat unsere Sünden, ja, die Sünden der ganzen Welt auf sich genommen; er hat sie gesühnt.“1. Johannes 2,2

Wenn ich diesen Vers aus Johannes las, wurde mir fast schwindelig. Schon allein der Gedanke an meine eigene Schuld machte mir schwer zu schaffen und ließ meine Schamgefühle Granitfelsen schleppen. Und dabei konnte ich noch nicht einmal ansatzweise erahnen, wie sehr Gott die Sünde tatsächlich hasst, wie sehr er sie verabscheut. Ein Gott, der so heilig ist, dass er die Nähe zur Sünde nicht erdulden will, nicht erdulden kann, weil es nichts gibt, was seinem Wesen mehr widerspricht. Wie zwei Pole eines Magneten, die sich stets abstoßen. Und dieser Gott, Jesus, hat nicht nur meine Sünde auf sich genommen, sondern die Sünden der ganzen Welt. Welch unermesslicher und unbändiger Wille muss dafür nötig gewesen sein? Der sündlose Gott, dem die Sünde so sehr zuwider ist, beladen mit ebendieser – ein maßloser Kraftakt der perfekten Vollkommenheit, der im finstersten Moment der Ewigkeit mündete: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46). Wegen uns, wegen mir. Und ich hatte das Gefühl, dass ich verstandesmäßig nicht in der Lage war zu verstehen, wie hoch dieser Preis war, den Jesus am Kreuz gezahlt hat. Es überstieg mein Vorstellungsvermögen. Gleich würden wir als Gemeinde gemeinsam das Abendmahl feiern. Und wieder fragte ich mich, ob ich in angemessener Weise daran teilnehmen konnte oder ob ich vielleicht viel zu gering über Jesus’ Opfer dachte.

„Ein’ Euro bitte!“ Wie aus dem Nichts kam mir plötzlich eine Begebenheit aus der letzten Woche in den Sinn. Meine zweijährige Tochter hatte mir ihre ausgestreckte Hand entgegengehalten. Daraufhin hatte ich mit einer Plastikmünze gezahlt und mich über das Schnäppchen gefreut. Immerhin hatte ich gerade einen Wocheneinkauf für eine Großfamilie erstanden. Meine Töchter hatten ihr Kinderzimmer zu einem Supermarkt umgebaut und selbstverständlich hatte ich dort einkaufen kommen müssen. Meine Tochter hatte dann auf den Plastiktasten ihrer kleinen Kasse herumgetippt, die Schublade geöffnet und mir einen Papierschein zurückgegeben.

„Das bekommst du noch wieder.“ Vollbepackt hatte ich das Geschäft verlassen. Jetzt hatte Papa einkaufen kommen dürfen. Leider war er ein Opfer der im Sekundentakt steigenden Inflation geworden. Zusätzlich hatte nun die vierjährige Chefin die Kasse übernommen. So hatte er für einen Flummi und eine angekaute Plastikbanane 500 Euro abdrücken müssen. Trotzdem hatte er, ohne zu murren, bezahlt, auch wenn ich nicht umhingekommen war, seinen neidischen Blick auf meinen erstandenen Einkaufsberg zu bemerken. Doch weder er noch ich hatten unsere Töchter wegen ihrer vollkommen falschen Preisvorstellungen korrigiert. Es störte uns in keiner Weise. Sie waren einfach noch viel zu klein, um das zu verstehen.

Für sie waren es nur Zahlen und Gegenstände, die in keinerlei Verhältnis zueinanderstanden. Oft amüsierten wir uns über ihre spannenden Schätzungen, die meistens von ihren persönlichen Vorlieben abzuhängen schienen. So waren sie der Überzeugung, dass unser Haus „bestimmt 1.000 Euro“ teuer war und der riesige bunte Lutscher, weil er ja so lecker aussah, 50 Euro kosten müsste, also im Übrigen genauso viel wie unser Auto. Keine dieser Kalküle kränkten mich in irgendeiner Weise und niemals dachte ich, dass meine Töchter irgendetwas davon nicht wertschätzen würden. Denn ich wusste, dass sie es nicht begreifen konnten. Sie waren einfach noch nicht in der Lage dazu. Ihnen fehlten das nötige Verständnis und die praktische Erfahrung. Sie hatten noch keinerlei Gefühl für Größen, Geld war für sie etwas vollkommen Abstraktes. Ihr Denkvermögen war noch nicht so weit. Sie nannten eine Zahl, die für sie schon unwahrscheinlich hoch erschien. Aber das fand ich nicht schlimm und nie dachte ich, dass sie dies in böser Absicht täten. Sie mussten es nicht verstehen. Sie waren meine Kinder und ich sorgte für sie, egal, ob sie tatsächlich verstanden, was es mich kostete.

Noch wohlig eingehüllt in diese Erinnerung wurde mir klar, dass ich zu meinen Lebzeiten nicht verstehen werde, wie hoch der Preis tatsächlich gewesen war, den Jesus für meine Erlösung gezahlt hatte. Jedoch wurde mit ebenfalls klar, dass dies nicht von Bedeutung ist. Denn Gott, mein Vater, hat es für mich, seine Tochter, getan. Aus Liebe, Fürsorge und einer tiefen Sehnsucht nach mir. Und er erwartet nicht, dass ich das ganze Ausmaß seiner Hingabe jetzt schon begreife. Er weiß, dass ich jetzt noch gar nicht dazu in der Lage bin, sondern erst in der Ewigkeit, wenn meine Augen für das Wahrhaftige vom irdischen Schleier befreit sein werden. Ich verstand nun: Wir werden niemals würdig sein. Wir leben von Gottes Gnade, einem Geschenk, das so groß ist, dass wir es nur mit leeren Händen annehmen und dessen wahre Dimension wir vorerst nur erahnen können.