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Gertraud Hofbauer

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Beschreibung

Am Ende des gemeinsamen Urlaubs, in einem fremden Land, bekommt der Ehemann einen Herzinfarkt, an dem er zwei Tage später im Krankenhaus verstirbt. Die Autorin sieht sich nicht nur konfrontiert mit der Angst um ihren Mann, sondern auch mit ihrer Sorge um die in Deutschland gebliebenen Kinder. Offen berichtet sie nicht nur von ihrem verdrängten Schmerz, der sie dann doch einholt, sondern ebenso davon, wie sie mit ihrer bewussten Aufmerksamkeit auf Resonanzen und großer Dankbarkeit für die vielen Fügungen in ihrem Leben ihren Humor und ihre Lebens­freude wieder zurückgewann. Dieses Buch bietet Betroffenen in ähnlichen Situationen Anregungen und soll Mut machen, nicht in der Trauer steckenzubleiben.

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Seitenzahl: 180

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Gertraud Hofbauer

Einfach weitergehen

Wie geht man mit dem plötzlichen Tod eines geliebten Menschen um?

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021 by edition fischer GmbH

Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main

Alle Rechte vorbehalten

Schriftart: Times New Roman 12 pt

Herstellung: ef/bf/2B

ISBN 978-3-86455-203-8 EPUB

Ich widme dieses Buchin unendlicher Liebe meinen KindernManuela, Bäda und Georg

Inhalt

Etwas Besonderes soll es sein

Kleine Hinweise der Seele

Im Flugzeug

Der Herzstillstand

Im Krankenhaus in Nikosia

Unerwartete Hilfe

Die Kinder informieren

Eine endlose Wartezeit

Ich habe ein Hotelzimmer

Was brauche ICH?

Der nächste Morgen (Donnerstag)

Gespräch mit der Ärztin

Zum Konsulat

Ich darf Rupert am Monitor sehen

Finanzielle Ängste

Die Todesnachricht

Rupert identifizieren

Wieder eine lange Nacht

Die Zeit drängt (Freitag)

Die Planungen laufen

Abschied von Zypern (Samstag)

Der Rückflug

Am Flughafen in München

Wieder daheim

Die Todesnachricht aus Sicht der Kinder

Der Bestatter kommt (Sonntag)

Reden, reden, reden

Die Organisation beginnt (Montag)

Überführung (Mittwoch)

Mitgefühl, das uns trägt

Die Beerdigung

Kann ich das Haus behalten?

Die Hilfen und Fügungen gehen weiter

Der Schmerz ist da

Wieder in der Arbeit

Noch einmal hinsehen

Änderungen für Weihnachten

Selbstzweifel

Heiligabend und die Tage davor

Ein neues Jahr

Versprechen einlösen

Neugestaltung oder Verrat?

Zusammenbrechen und wieder aufstehen

Bei einem Medium

Aufarbeitung durch Resonanz

Noch ein Versprechen einlösen und Abschied

Der Jahrestag rückt näher

Rückblick

Dank

Etwas Besonderes soll es sein

Mein 50. Geburtstag Ende Oktober rückt näher und damit auch die Frage, wie ich diesen Tag verbringen will.

Auf keinen Fall beabsichtige ich, am jährlichen Leonhardiritt teilzunehmen. Natürlich würde ich hier unzählige Bekannte treffen und viele Gratulationen erhalten, aber an diesem besonderen Tag möchte ich etwas machen, das mein Herz erfüllt.

Mein Mann Rupert ist mit Leib und Seele Vorstand des hiesigen Schützenvereins. Dazu gehört für ihn unter anderem auch die Organisation an der Teilnahme dieses Festes und ein Fehlen seinerseits hatte es bisher noch nie gegeben. Ich weiß, wie wichtig dieser Tag für ihn ist.

Und mein Geburtstag fällt diesmal genau auf diesen Tag!

Mit einem langgezogenen »Duhu?« beginne ich also das Gespräch. Er sieht mich über den Rand seiner Lesebrille an und ihm ist klar, dass ich etwas von ihm will: »Mein Geburtstag fällt dieses Jahr genau auf den Leonhardiritt und dort möchte ich ihn ganz sicher nicht verbringen. Da ich aber weiß, wie wichtig dieser Tag für dich ist, habe ich mir überlegt, ich könnte ein Wellnesswochenende mit einer Freundin buchen. Ich würde Astrid fragen.«

Mit einem breiten Grinsen fahre ich fort: »Oder wir zwei fahren über das Wochenende fort?«

Von meinem ohnehin schweigsamen Mann kommt nur ein langes »hmm«, dann liest er weiter. Er muss nachdenken.

Ein paar Tage später hake ich nach: »Was hältst du denn von meinem Vorschlag, zu zweit für ein paar Tage zu verreisen?«

»Wo möchtest du denn hinfahren?«, kommt die interessierte Gegenfrage.

»Das ist mir egal, ich würde einfach nur gerne wieder einmal Zeit mit dir allein verbringen«, erwidere ich und weiß gleichzeitig, dass er sich etwas überlegen wird. Wir hatten in unseren 29 Jahren Ehe noch nie längeren Urlaub gemacht, das längste waren vier Tage Hamburg. Umso mehr überrascht mich wenige Tage später sein Vorschlag, eine Woche Urlaub in Nordzypern zu verbringen. Dies sollte gleichzeitig unsere nachgeholte Hochzeitsreise werden, die wir nie gemacht hatten.

Die Kinder freuen sich mit uns und amüsieren sich gleichzeitig über mich, weil sie ahnen, dass ich sie bereits am ersten Tag vermissen werde.

Wir leben in unserem Haus auf dem Land und unsere 28-jährige Tochter wohnt mit ihrer Familie direkt neben uns. Unsere Söhne sind mit 22 und 16 Jahren noch zu Hause und jeder versteht sich mit jedem prächtig.

Die Planungen und Vorbereitungen laufen an, mein Mann bucht online ein Hotel, das auch deutschsprachige Mitarbeiter hat, ansonsten ist die Landessprache türkisch, viele Leute sprechen außerdem englisch. Ich hoffe, dass mein Englisch zur Verständigung ausreicht, und so lassen wir uns auf dieses Abenteuer ein und freuen uns auf den bevorstehenden Urlaub.

Kleine Hinweise der Seele

Unsere Hotelanlage ist wunderschön. Wir haben ein Zimmer mit Balkon und Meerblick und sind in fünf Minuten am Strand. Die Umgebung und die Sehenswürdigkeiten erkunden wir auf eigene Faust und fast täglich gehen wir in das kleine Hafenstädtchen Girne oder fahren mit dem hoteleigenen Shuttlebus dorthin.

Am ersten Tag beschließen wir, mit der EC-Karte vom Bankautomaten Türkische Lira zu besorgen, auch wenn wir überall mit Euro bezahlen könnten.

Zu unserem großen Entsetzen zieht der Automat die Karte ein!

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als dass Rupert bei dem Automaten wartet, während ich in die Bank gehe und unser Missgeschick erkläre. Der freundliche Angestellte holt unsere Karte, ich winke Rupert herein und bevor er sie ausgehändigt bekommt, muss er noch ein Formular unterschreiben, da es seine Karte ist. Wir bekommen außerdem mitgeteilt, dass wir von nun an von jedem Automaten dieser Bank Geld abheben können.

Am Abend schreiben wir eine SMS nach Hause und ernten für diesen amüsanten Zwischenfall natürlich jede Menge lustige Kommentare.

Bei einer leichten Steigung des Weges bittet mich Rupert, kurz Pause zu machen und langsamer zu gehen, da er ein Druckgefühl auf dem Herzen verspüre. Ich bekomme einen enormen Schreck und schlage ihm vor, sofort zum Arzt zu gehen, aber er weigert sich vehement und meint nur, dass er das schon öfter gehabt habe und es stets gleich wieder verginge. Alles Zureden bleibt erfolglos.

Zu Hause würde ich ihn schon zu einem Arztbesuch überreden können.

Es ist mein 50. Geburtstag! Wir bummeln am Vormittag durch Girne. Zu Hause ist Leonhardiritt und wir amüsieren uns, als Georg, unser Jüngster, zweimal auf Ruperts Handy anruft, um etwas bezüglich des Festes zu fragen. Nur meinen Geburtstag hat er vergessen.

Insgeheim warte ich auf einen Anruf der Kinder, aber nichts rührt sich. Bis zum Nachmittag ist meine Enttäuschung so groß, dass mein Mann bei Georg anruft und ihn darauf hinweist, mich anzurufen.

Ich möchte keine aufgeforderten Glückwünsche! Auf diese Weise haben sie keinen Wert!

Die Kinder rufen an, aber ich kann mich nicht darüber freuen. Nach den angeordneten Glückwünschen nimmt mich Rupert in die Arme und ich lasse meine Tränen der Enttäuschung fließen.

Ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass mir meine Tochter sogar ein Video mit den Enkeln geschickt hatte, welches wir jedoch auf Grund der schlechten Verbindung nicht erhalten hatten. Ich werde es erst zu Hause sehen.

Wir besichtigen in dieser Woche Kirchen, alte Festungen und Moscheen, bummeln durch die geteilte Hauptstadt Nikosia und besuchen ein Museum. Aber unser Lieblingsort ist der kleine, malerische Hafen von Girne.

»Ich möchte mir gerne eine Kette kaufen«, teilt Rupert mir hier beim Bummeln mit.

»Welche Kette?«

»Eine silberne mit Kreuzanhänger.«

Wir suchen nach Schmuckgeschäften und finden im zweiten Geschäft eine Kette. Kreuze gibt es hier allerdings nirgends. »Dann kaufen wir eben zu Hause noch ein Kreuz dazu«, schlage ich vor und Rupert ist einverstanden.

Von unserem Balkon aus sehen wir auf den Pool und kommen auf die Kinder zu sprechen. Rupert erzählt, was er an jedem Einzelnen von ihnen besonders schätzt, einschließlich unseres Schwiegersohnes.

Es ist ungewöhnlich, da er in dieser Hinsicht eigentlich kein Mann vieler Worte ist. Dann ergänzt er unvermittelt: »Du musst unsere Kinder mehr loslassen. Sie sind nicht mehr so klein und brauchen uns auch nicht mehr ständig. Und auch mich musst du mehr loslassen, darfst mich nicht so festhalten.«

Mir kommen die Tränen und ich entgegne, dass von Festhalten wohl keine Rede sein könne, da er durch seine Arbeit und Vereinsarbeit ohnehin weit mehr Zeit außer Haus verbringe als daheim.

Das ganze Gespräch verläuft trotz der intensiven Gefühle friedvoll und vor allem äußerst ungewöhnlich.

Es ist unser letzter Abend und wir sitzen an unserem kleinen Tisch beim Abendessen. Es liegt eine ruhige und liebevolle, fast zauberhaft wirkende Stimmung in der Luft. Als säßen wir alleine unter einer unsichtbaren Glocke. Nachdem wir mit dem Essen fertig sind und wir nur noch unsere Getränke vor uns stehen haben, bemerke ich, wie Rupert mich auf ungewöhnliche Weise betrachtet: »Was ist los?«, frage ich amüsiert.

»Nichts«, bekomme ich lächelnd zur Antwort und es fällt mir schwer, seinem Blick standzuhalten. Sein Lächeln ist versonnen und sein Blick erfüllt von tiefster Liebe, und es fühlt sich an, als blicke er direkt tief in meine Seele. Ich werde etwas verlegen und fange an, an der Tischdecke zu nesteln, woraufhin er mich nur noch liebevoller anlächelt. Lange hält er diesen Blick und das versonnene Lächeln. Es bleibt unvergessen.

Später am Abend sitzen wir auf der Terrasse und trinken Cocktails. Unsere Stimmung ist heiter und ausgelassen und wir lachen in Erinnerung an die vielen gegenseitigen Streiche, die wir vor Jahren gemeinsam mit unseren Nachbarn erlebten.

»Wir haben davon doch bestimmt noch viele Fotos«, überlegt Rupert.

»Ja, haben wir!«, bestätige ich, »und auch Videoaufnahmen! Die Kassetten müssten in unserer alten Kameratasche sein!«

»Weißt du was? Die suchst du zu Hause raus und dann setzen wir uns mit unseren Nachbarn zusammen. Das wird bestimmt ein sehr lustiger Abend!«

»Ja, das ist eine tolle Idee!«

»Du musst dir das unbedingt merken! Nicht vergessen!«

»Ja, ich denke schon daran!«

Mit dieser beschwingten Stimmung gehen wir anschließend ins Bett und freuen uns schon wieder auf daheim und die Kinder.

Im Flugzeug

Es ist noch dunkel, als wir am Hotel abgeholt und zum Flughafen gefahren werden. Im Duty Free Shop sind um diese Zeit nur wenige Leute und wir wollen hier zwei Stangen Zigaretten besorgen. Da wir um diese frühe Morgenstunde beide noch nicht sehr gesprächig sind, bummeln wir fast schweigsam durch den Shop. Rupert kauft schließlich nur eine Stange und meint, dass diese genüge. Ich wundere mich etwas, aber es ist mir egal. Anschließend gehen wir über den Flugplatz zum Flugzeug und steigen ein.

Im Handgepäck haben wir nur meine Handtasche und jeder eine Jacke für die Ankunft, da wir den 30. Oktober haben. Am Abend wollen wir mit den Kindern meinen Geburtstag nachfeiern und essen gehen. Den Tisch haben sie bereits reserviert und wir freuen uns auf das Wiedersehen.

Nachdem ich unsere Jacken verstaut und Platz genommen habe, bemerke ich mit einem Blick auf meinen Mann, der am Fenster sitzt, dass er sich offensichtlich nicht wohl fühlt.

»Geht’s dir nicht gut?«

»Ich habe wieder diesen Druck auf der Brust«, erwidert er leise.

»Dann lass uns jetzt sofort aussteigen! Du musst zum Arzt!«

»Nein, das vergeht schon wieder«, bekomme ich unwillig zur Antwort.

»Doch, du musst aber unbedingt zum Arzt!«, dränge ich. »Seit wann spürst du denn den Druck?«

»Seit dem Duty Free Shop.«

Aha, deshalb also nur eine Stange Zigaretten!

»Komm, bitte lass uns aussteigen«, hake ich nach.

»Jetzt hör auf, ich geh dann übermorgen zu Hause zum Arzt!«

»Nein, dann geh wenigstens gleich heute noch«, bitte ich eindringlich.

»Ich hab vor übermorgen keine Zeit! Morgen muss ich erst arbeiten und möchte dann hinterher im Stüberl noch etwas fertig machen.« (Das Stüberl ist unser neuer Aufenthaltsraum in unserer Vereinsgaststätte).

Naja, wenn er das alles noch vorhat, wird es vielleicht doch nicht so schlimm sein, hoffe ich, sonst wäre er beunruhigter.

Nur wenige Sekunden später blicke ich in sein angespanntes Gesicht und nehme wahr, dass seine Gesichtsfarbe aschfahl geworden ist.

Er stirbt!

Für den Bruchteil einer Sekunde taucht eine Todesahnung auf. Er gibt die Schmerzen zu und im nächsten Augenblick stehe ich auf, hebe meine Hand und rufe laut: »I need your help!«

Eine Flugbegleiterin kommt auf uns zu und ich sage ihr auf englisch, dass mein Mann, der jetzt nur noch stöhnt, einen starken Druck auf dem Herzen und vermutlich einen Herzinfarkt habe und wir schnell einen Arzt bräuchten.

Während sie nach vorne läuft und telefoniert, frage ich, ob ein Arzt unter den Passagieren sei. Es meldet sich tatsächlich einer und gibt meinem Mann nach dem Messen des Blutdruckes aus dem Erste-Hilfe-Koffer der Stewardess einen Hub Nitrospray.

Ich kann den Wettlauf gegen die Zeit fühlen, alles in mir krampft sich zusammen und ich habe das Gefühl, es gehe nichts vorwärts im Cockpit. Ich will ruhig bleiben für ihn und kämpfe gleichzeitig gegen die Panik, die sich in mir ausbreiten will.

Dann endlich geht es weiter. Ein Arzt kommt mit einem Rollstuhl und mein Mann setzt sich unter verhaltenem Stöhnen um, während ich unsere Jacken und meine Handtasche schnappe. Vor dem Aussteigen werde ich noch nach der Beschreibung unserer Koffer gefragt und nehme gleichzeitig wahr, wie eine Frau mir zuruft: »Alles Gute, auch für Sie!«

Der Moment, in dem wir das Flugzeug verlassen, fühlt sich an, als würde ich den Boden unter den Füßen verlieren. Mir ist klar, wir brauchen zwei neue Flüge, unsere Konten sind überzogen und wir haben keine Bleibe mehr. Ich weiß nicht, wo ich in der jeweils nächsten Minute sein werde und habe keine andere Wahl, als mich fallen zu lassen in dieses Nichts. Zeitgleich breitet sich das unklare Gefühl in mir aus, geführt zu sein.

Der Herzstillstand

In Zypern herrscht Linksverkehr. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und blicke immer wieder nach hinten.

Wieso fahren wir nicht schneller?

Es scheint alles viel zu langsam zu gehen.

Mein Mann krümmt sich mittlerweile vor Schmerzen und macht mit seinem Bein eine Bewegung, als ob er diesen Wahnsinn wegstoßen wolle. Der Arzt schiebt ihm eine Schmerztablette (wie ich auf Nachfrage erfahre) in den Mund und legt ihm eine Kanüle für eine Infusion, während ich versuche, Rupert gut zuzureden, dass die Tablette sicher bald wirken würde. Vielleicht geht es mir aber auch nur darum, mich selbst zu beruhigen.

Während der gesamten Zeit kann ich bei Rupert keinerlei Angst sehen oder fühlen, dazu sind vermutlich seine Schmerzen viel zu groß.

Im Krankenhaus angekommen, wird in der Aufnahme sofort ein EKG geschrieben. Ich stehe an Ruperts Fußende und meine Hände liegen auf seinen Unterschenkeln, während der neben ihm stehende Arzt mit ernster Miene das EKG betrachtet.

Im selben Augenblick muss ich mit ansehen, wie mein Mann plötzlich seine Augen verdreht und gleichzeitig Kopf und Körper überstreckt, während ein gequälter, unmenschlicher Schrei aus seiner Kehle dringt. Es klingt, als würde ihm jemand seine Seele herausreißen und er mit letzter Kraft dagegen ankämpfen.

Er hat einen Herzstillstand!

Ich will schreien, stehe wie erstarrt und sehe und höre lediglich, wie die Schwester mich wiederholt liebevoll aus dem Raum bittet.

Immer wieder schüttele ich den Kopf, während ich weiterhin seine Beine halte: »I don’t cry, I don’t cry«, stammele ich nur.

Schließlich verlasse ich doch den Raum und setze mich davor auf eine Bank.

»Bitte lass ihn nicht sterben, bitte, bitte!« Immer wieder dieselben Worte. Ich kämpfe gegen meine aufsteigende Panik an.

Endlich öffnet sich die Tür.

Rupert ist intubiert und während zwei Ärzte versuchen, ihn zu reanimieren, wird er gleichzeitig wieder in den Rettungswagen geschoben und ich muss abermals auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Der Fahrer erklärt mir, dass es in diesem Krankenhaus keine Intensivstation gäbe und wir jetzt deshalb auf dem Weg in ein anderes Krankenhaus seien. Während der ganzen Fahrt sehe ich zu, wie mein Mann hinter mir von den zwei Ärzten reanimiert wird und habe dabei das Gefühl, ihn zu verlieren.

Im Krankenhaus in Nikosia

Im nächsten Krankenhaus angekommen, wird Rupert fast im Laufschritt durch eine breite, sich automatisch öffnende Glastüre geschoben, während ich davor Platz nehmen und warten muss.

Ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dies ein Abschied für immer ist.

Nachdem die Formalitäten erledigt sind, erkundige ich mich, wie ich jetzt zu meinem Mann gelangen würde. Zu meinem Entsetzen bekomme ich mitgeteilt, dass man in die Intensivstation nicht hineindürfe, da man Keime einschleppen könne.

Panik steigt auf!

Ich überlege kurz, ob ich mich auf eine Diskussion einlassen und erklären soll, dass dies bei uns durchaus erlaubt sei, gegebenenfalls mit Schutzkleidung, und verwerfe diesen Gedanken sofort wieder, da ich es mir nicht leisten kann, in meiner Situation das Personal gegen mich aufzubringen. Rupert soll von freundlichen und hilfsbereiten Menschen umgeben sein!

Ich frage mich bis zum Eingangsbereich der Intensivstation durch. Dort angekommen, steht eine Nebentüre versehentlich einen Spalt breit offen. Dieser Spalt genügt, um meinen Mann ein letztes Mal, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, zu sehen. Sie haben ihn ausgezogen und sind gerade im Begriff, ihn umzubetten. Als einer der Männer die offene Türe sieht, ruft er einem anderen laut etwas zu und die Tür wird sofort geschlossen.

Eine Ärztin läuft vorbei und ich höre die Worte Troponin und Marcumar und es breitet sich für einen Moment so etwas wie Zuversicht und Vertrauen in mir aus.

Sie werden schon wissen, was zu tun ist.

Dann stehe ich alleine am Gang.

Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Also warte ich und hoffe, einen Arzt sprechen zu können, um zu erfahren, wie es weitergeht.

Unerwartete Hilfe

Nach wenigen Minuten kommt eine Ärztin heraus und ich stelle mich ihr kurz vor. In diesem Moment geschieht für mich das größte Wunder. Wie aus dem Nichts steht plötzlich ein großer, sympathischer Mann neben mir, gibt mir seine Hand und stellt sich vor mit den Worten: »Grüß dich, ich bin der Franz, ich bin der Reiseleiter hier vor Ort.«

Er wendet sich mit ein paar kurzen, türkischen Sätzen an die Ärztin, diese notiert sich etwas auf einem Block und verabschiedet sich dann. Franz zeigt auf eine Bank, auf der wir uns niederlassen. Ich bin unendlich erleichtert, mich in dieser Situation auf bayerisch unterhalten zu können. Franz ist Österreicher und lebt hier auf Zypern. Er erklärt mir, dass unsere Hotelrezeption vom Flughafenpersonal informiert wurde. Daraufhin sei er zuerst in das andere Krankenhaus gefahren, das näher am Flughafen liegt. Dort schickten sie ihn weiter hierher nach Nikosia.

»Du kannst natürlich weiterhin in eurem Hotel wohnen bleiben«, teilt er mir mit.

»Danke, aber ich würde gerne hier in unmittelbarer Nähe bei meinem Mann bleiben, wenn das möglich wäre.«

»Ja, das verstehe ich. Ich werde sehen, was sich machen lässt. Hast du ein Handy? Dann gebe ich dir meine Nummer, damit du mich jederzeit erreichen kannst, und ich speichere deine Nummer bei mir ein.«

Während ich das Handy aus der Tasche hole, beginnen meine Hände unkontrolliert zu zittern. Ich bin nicht in der Lage, die Tasten zu drücken und bin dankbar, dass Franz das für mich erledigt.

»Ich habe auch der Ärztin meine Nummer gegeben und mit ihr ausgemacht, dass sie mich anruft, sobald sich etwas verändern sollte«, informiert er mich, während er die Nummern eintippt.

»Franz, ich weiß nicht, wie lange ich noch telefonieren kann. Das Ladekabel vom Handy und der Adapter sind in einem der Koffer und ich weiß nicht, wo die jetzt sind. Es ist möglich, dass sie am Flughafen noch aus der Maschine genommen wurden, sie können aber auch schon auf dem Weg nach München sein.« Meine Stimme zittert.

»Ich werde mich darum kümmern, und ein Ladekabel hätte ich ansonsten auch noch bei mir zu Hause«, beschwichtigt er mich.

Wir gehen zum Ausgang und Franz verabschiedet sich. Er will sich um ein Zimmer und die Koffer kümmern und dann gegen halb zwei wieder hier sein. Jetzt ist es neun Uhr.

Die Kinder informieren

Ich bin allein.

Ich setze mich auf eine der wenigen kleinen Bänke in die Sonne und denke an die Kinder und dass sie uns erwarten. Ich weiß, dass ich sie jetzt anrufen und gleichzeitig das Telefonat möglichst kurz halten muss.

Und wenn dann der Akku leer ist und Franz mich nicht mehr erreicht? Aber er sagte ja, dass er noch ein Ladekabel hätte, und er weiß auch, dass ich hier sitze und nicht weg kann. Er kann mich also auf alle Fälle erreichen. Ich muss aber die Kinder anrufen!

Mir wird fast körperlich übel dabei und ich hoffe, dass die Verbindung hält.

Während ich die Nummer meiner Tochter wähle, habe ich das Gefühl, als würde mir jemand den Brustkorb abdrücken. Manuela ist wie ich Krankenschwester und ich weiß, dass sie sofort die gesamte Tragweite des Geschehens erfassen wird.

Ich höre ihre Stimme und fühle den Stich in meinem Herzen.

»Hallo, Maus, hier ist die Mama!«

Nach ihrem erfreuten »Hallo!« unterbreche ich sie und fahre fort: »Ich weiß nicht, wie lange der Akku reicht, hör bitte gut zu, es ist sehr wichtig! Der Papa hatte heute Morgen einen Herzinfarkt und liegt jetzt hier in Zypern im Krankenhaus!«

»Neeeiiin!« Ihr Schrei ist markerschütternd.

Ich fahre fort: »Er hatte einen Herzstillstand, wird jetzt beatmet und ist nicht bei Bewusstsein. Er liegt auf der Intensivstation!«

»Neeeiiin!! Neeeiin, Mama!!«

Ich muss unbeirrt weitersprechen, während ich sie weinen höre: »Ich darf nicht zu ihm und weiß jetzt auch noch nicht, wie es weitergehen wird oder wann wir heimkommen können. Bitte kümmert euch zu Hause um alles. Bitte haltet jetzt zusammen und kümmere dich auch um deine Brüder, damit sie zu Essen haben. Ich weiß nicht, ob und wann ich euch wieder erreiche!«

Weinend fleht sie: »Bitte, Mama, lass den Papa nicht alleine dort unten!«, woraufhin ich nur vollkommen verständnislos verspreche, dass ich das nie im Leben machen würde.

Schnell rede ich weiter: »Bitte ruf auch bei mir auf der Station an und sag Bescheid, dass ich nicht weiß, ob ich nächste Woche zum Dienst kommen kann!«

»Ja, ja, ich mach das schon, Mama!«, stammelt sie verzweifelt.

Dann bitte ich Manuela noch, meine Kollegin Dragana zu informieren, die mit Fernheilung vertraut ist, und ebenso meine beste Freundin Gerlinde, auch sie soll energetisch arbeiten.

»Ja, Mama, ja, ich kümmere mich schon um alles! Bitte, bitte melde dich bald wieder!«

»Ja, natürlich, Maus, so bald es mir möglich ist!«

Ich kann noch hinzufügen, dass mir ein Reiseleiter helfend zur Seite steht, dann beenden wir das Gespräch und ich fühle mich hundeelend.