Einführung in die Prosa des Absurden - Dieter Hoffmann - E-Book

Einführung in die Prosa des Absurden E-Book

Dieter Hoffmann

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Beschreibung

Im Vergleich zum Theater des Absurden wird die Prosa des Absurden in der Literaturwissenschaft oft recht stiefmütterlich behandelt. Dabei finden sich auch in ihr vielfältige Spiegelungen der absurden Grundstruktur unseres Daseins und der zahllosen absurden Aspekte unseres Alltags. In diesen Spiegelungen können wir lesen wie in einem Spiegel, der uns zu einem tieferen Verständnis unserer selbst und unserer Existenz verhilft.

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Dieter Hoffmann

 

 

Einführung in die Prosa des Absurden

 

 

Albert Camus – Jean-Paul Sartre – Samuel Beckett – Franz Kafka –

Wolfgang Hildesheimer –Thomas Bernhard – Ilse Aichinger –

Ingeborg Bachmann – Friedrich Dürrenmatt – Peter Weiss

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

© LiteraturPlanet

Erste Auflage 2021

 

LiteraturPlanet

Im Borresch 14

6606 St. Wendel

 

 

http://www.literaturplanet.de

Cover-Bild: © Gary Manzo: Ride into the Absurd; Mai 2016 (Wikimedia commons)

 

Über dieses Buch:

Im Vergleich zum Theater des Absurden wird die Prosa des Absurden in der Literaturwis-senschaft oft recht stiefmütterlich behandelt. Dabei finden sich auch in ihr vielfältige Spiegelungen der absurden Grundstruktur unseres Daseins und der zahllosen absurden Aspekte unseres Alltags. In diesen Spiegelungen können wir lesen wie in einem Spiegel, der uns zu einem tieferen Verständnis unserer selbst und unserer Existenz verhilft

 

Informationen über den Autor auf Wikipedia

Einleitung

 

 

Prosa des Absurden – nur eine Begleiterscheinung des absurden Theaters?

 

Wer in den einschlägigen literaturwissenschaftlichen Lexika und Werken zur Literaturgeschichte nach dem Stichwort "absurd" sucht, wird in der Regel zunächst auf Ausführungen zum Theater des Absurden stoßen. Die Prosa des Absurden spielt dagegen meist allenfalls eine untergeordnete Rolle.{1}

Dies ist insofern erstaunlich, als beispielsweise für Samuel Beckett – der mit seinen Stücken Warten auf Godot und Endspiel das Theater des Absurden besonders nachhaltig geprägt hat – das "Theater (...) zunächst eine Erholung von der Arbeit am Roman" war (vgl. Haerdter 1968: 88). Ebenso markieren auch im Falle Wolfgang Hildesheimers, einem der bedeutendsten deutschsprachigen Autor des Theaters des Absurden, die absurden Theaterstücke lediglich eine kurze Übergangsphase zwischen dem satirisch-grotesken Frühwerk und seiner in den 60er und frühen 70er Jahren verfassten Prosa des Absurden. Dieser maß Hildesheimer, nicht anders als Beckett, wesentlich mehr Bedeutung bei als seinen Theaterstücken.

Auch die wenigen Monographien, die sich der Literatur des Absurden widmen, stellen – wie etwas Martin Esslins bahnbrechende Studie über das Theater des Absurden aus dem Jahr 1961 (erw. Neuausgabe 1985) – zumeist das dramatische Werk der betreffenden Autoren in den Vordergrund. Sofern die Prosa Berücksichtigung findet, wird oft zu wenig zwischen dem Ausdruck des Absurden auf der Bühne und in der Prosa unterschieden, so dass die spezifischen Gestaltungsmöglichkeiten der Prosa nicht deutlich genug hervortreten (vgl. Dücker 1976).

Wird gesondert auf die Prosa eingegangen, so geschieht dies zudem in der Regel im Rahmen von Studien zu einzelnen Autoren – wobei neben Hildesheimer vor allem Ilse Aichinger Berücksichtigung findet (vgl. Blamberger 1985/1986; Stanley 1979). Dadurch tritt gerade die für die Beschreibung übergreifender Merkmale der Prosa des Absurden entscheidende Frage nach Verbindungslinien zwischen einzelnen Autoren in den Hintergrund.

Als weiteres Problem erscheint schließlich die mangelnde Differenzierung zwischen dem Absurden und dem Grotesken bzw. die unzureichende Herausarbeitung der hier fraglos vorhandenen Wechselbeziehungen. Wo dieser Fragestellung mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, geschieht dies überdies eher in Bezug auf das Drama oder im Rahmen von Einzelstudien zur nichtdeutschen Prosa des Absurden (vgl. Heidsieck 1969; Fritsch 1990).

 

Zur Aktualität des Absurden

 

Die Tatsache, dass die meisten Veröffentlichungen zur Literatur des Absurden schon etwas älteren Datums sind, verweist aber auch darauf, dass die Philosophie des Absurden ebenso wie die Bemühungen um einen adäquaten literarischen Ausdruck des Absurden heute einer vergangenen Epoche der europäischen Geistesgeschichte zugerechnet werden. Implizit wird so unterstellt, dass sie zur Diskussion der Gegenwartsprobleme keinen bedeutenden Beitrag mehr leisten könnten.

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass das Nachdenken über die Absurdität des menschlichen Daseins insofern kaum je etwas von seiner Aktualität einbüßen kann, als diese Absurdität selbst unvergänglich ist. Vergänglich kann allenfalls die Motivation zur Beschäftigung mit dem Absurden sein, die offenbar in einem prozyklischen Zusammenhang mit übergreifenden konjunkturellen und politischen Konstellationen steht.

Nun ist allerdings das Absurde gerade in der deutschsprachigen Prosa des Absurden nie allein als existenzielle Kategorie verstanden worden. Hildesheimer leitete es vielmehr unmittelbar aus dem Holocaust und der durch ihn bewirkten Verzweiflung ab – die hierdurch zu einer "kontinuierliche[n] Lebenshaltung" geworden sei (FV 59).

Der Holocaust ist jedoch keineswegs der einzige Ausgangspunkt für eine soziohistorische Begründung des Existenzgefühls des Absurden. So ist etwa im Rahmen der Kritischen Theorie (vgl. Adorno 1961) schon früh der Versuch unternommen worden, das Existenzgefühl des Absurden mit bestimmten, durch den Zweiten Weltkrieg krisenhaft verstärkten Merkmalen der spätkapitalistischen Ökonomie in Zusammenhang zu bringen. Die Empfindung des Absurden wäre demnach darauf zurückzuführen, dass der Einzelne sich anonymen Mächten ausgeliefert fühlt und die konkreten Wirkungen seines eigenen Handelns angesichts der Unübersichtlichkeit der sozioökonomischen Strukturen, in denen er zu handeln hat, nicht angemessen einschätzen kann.

Diese Konstellation ist indessen nicht zwingend an das Leben in einem totalitären Staat oder an die Nachkriegsjahre gebunden, als die Menschen von dem zerstörten Boden Europas aus das fortgesetzte atomare Wettrüsten der Supermächte mit ansehen mussten. Auch das Zeitalter der Globalisierung ist durch eine Unübersichtlichkeit der Wirk- und Handlungszusammenhänge gekennzeichnet. Diese bedingen, dass die global handelnden Akteure in ihrer Anonymität etwas buchstäblich "Unfassbares" haben und das konkrete Alltagshandeln in seinen Auswirkungen  undurchschaubar und dadurch kaum kontrollierbar ist.

So kann das Einkaufsverhalten der Menschen in den Industrieländern unabsehbare Folgen für das Leben der Menschen in ärmeren Ländern haben, ohne dass die Käufer sich dessen immer bewusst wären oder über ausreichende Möglichkeiten verfügen würden, die negativen Wirkungen ihrer Konsumpraxis abzustellen. Denn zwischen ihnen und den Verkäufern der entsprechenden Produkte stehen die global operierenden Konzerne und die staatlichen Kontrolleure des Welthandels, d.h. weitgehend anonyme, im Alltag unsichtbare Mächte, denen die Einzelne in ihrem Handeln ausgeliefert sind. Diese Konstellation ist durch die fortschreitende Digitalisierung noch einmal verstärkt worden.

Nicht anders ist die Situation für die bei der Zusammenlegung von Konzernen entlassenen Angestellten, oder auch für diejenigen, die die monetaristische Politik des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank dazu verdammt, zu hungern, damit ihr Staat in ferner Zukunft eine ausgeglichene Haushaltsbilanz aufweist. Auch in diesen Fällen sind es nicht konkrete Gewaltherrscher, die das Unglück der Menschen verursachen, sondern im Alltag unsichtbare Entscheidungsträger, die in ihren Beschlüssen selbst wieder einer unabhängig von ihnen existierenden Logik folgen.

 

Klima der Absurdität

 

Was sich in solchen Mechanismen letztlich abzeichnet, ist nicht nur die Dialektik, sondern der Bankrott der Aufklärung und der aus ihr abzuleitenden Moral. Denn alle oben genannten Beispiele stehen in krassem Widerspruch zur kantischen Ethik. Diese geht von der Grundannahme aus, dass der Mensch, wie "überhaupt jedes vernünftige Wesen, (…) als Zweck an sich selbst" anzusehen sei. Deshalb müsse jedes menschliche Wesen, so Kant,

 

"nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern (…) in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden" (Kant, W VII: 59 f.).

 

Kants "praktische[r] Imperativ" leitet hieraus die Forderung ab, stets so zu handeln, dass wir die Menschheit sowohl in der eigenen "Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel" betrachten (ebd.: 61). Dagegen implizieren die oben genannten Mechanismen nicht nur, dass andere Menschen als Mittel für fremde Zwecke betrachtet werden. Vielmehr führen sie auch dazu, dass wir nie wissen können, wann wir selbst als Mittel gebraucht werden, um andere Menschen zum Mittel zu machen für die Zwecke unsichtbar bleibender Dritter.

Darüber hinaus manifestiert sich in diesen Mechanismen auch ein Denken, das sich nur graduell von der Logik des Krieges unterscheidet, in der das Elend und ggf. auch der Verlust des Lebens anderer Menschen nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern gezielt zur Erreichung der eigenen Ziele eingesetzt wird. Ähnlich, wie es Albert Camus für die Zeit des Zweiten Weltkriegs beobachtet hatte, weitet sich die existenziell verstandene Absurdität des Daseins so zu einem allgemeinen "Klima der Absurdität" aus (vgl. Camus, MS 16). Die immer stärkere Konzentration der ökonomischen Macht – und die daraus folgende Abhängigkeit der Politik von den global agierenden Konzernen – verstärkt das Gefühl, anonymen Mächten ausgeliefert zu sein, die das Alltagshandeln aus der Ferne steuern und für ihre Zwecke nutzen. Auch in dieser Hinsicht beschleunigt die Digitalisierung nur Prozesse, die bereits früher eingesetzt haben.

Die Tatsache, dass die zentralen Werke der Philosophie und Literatur des Absurden bereits vor längerer Zeit verfasst worden sind, lässt somit nicht notwendig darauf schließen, dass sie heute keine Aktualität mehr besitzen. Denkbar wäre vielmehr auch, dass lediglich die Menschen in einem bestimmten Teil der Welt eine Zeit lang in der glücklichen Lage waren, das in ihnen zum Ausdruck gebrachte "Klima der Absurdität" in ihrem Alltag nicht spüren zu müssen. Geht man indessen von einer ungebrochenen Aktualität des Absurden als einer Bestimmungskategorie des menschlichen Daseins aus, so kann auch die Untersuchung von dessen literarischem Ausdruck dazu verhelfen, die "Wirklichkeit des Absurden" (Hildesheimer, FV 43 ff.) besser zu verstehen und für seine Erscheinungsweisen im Alltag zu sensibilisieren. Eben hierzu möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten.

 

Zum Aufbau dieses Bandes

 

Ausgangspunkt der Überlegungen wird Albert Camus' Essay über die Philosophie des Absurden sein. Die Studie ist nicht nur allgemein von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des Absurden in der Nachkriegszeit, sondern war auch für viele Autoren der Prosa des Absurden ein zentraler Orientierungspunkt. So hat etwa Wolfgang Hildesheimer sich in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen über die Prosa des Absurden ausdrücklich auf dieses Werk berufen.

Hieran schließt sich logischerweise die Frage an, wie Camus selbst in seinen literarischen Werken sein Verständnis des Absurden umgesetzt hat. Daraus ergibt sich wiederum die Frage nach weiteren nichtdeutschen Vertretern der Prosa des Absurden. Neben Camus' langjährigem geistigen Weggefährten Sartre ist dabei insbesondere Samuel Beckett mit seiner Molloy-Trilogie von Bedeutung, die für viele nachfolgende Autoren des Absurden Vorbildcharakter hatte.

Im zweiten Teil dieser Arbeit steht die deutschsprachige Prosa des Absurden im Mittelpunkt. Zentral ist dabei jeweils die Frage, ob die betreffenden Werke einen eigenständigen Gestaltungsentwurf des Absurden darstellen. Diese Abgrenzung ist wichtig, da in der spezifischen zeithistorischen Situation des Kriegsendes und der Nachkriegszeit das vorherrschende "Klima der Absurdität" auch in zahlreichen anderen Werken widergespiegelt wurde. Dies musste jedoch nicht notwendigerweise mit einer bewussten literarischen Gestaltung des Absurden einhergehen.

Dass hier ein Unterschied besteht, ist bereits den Reaktionen auf die während der Tagung der Gruppe 47 in Bad Dürkheim im Jahr 1951 vorgelesenen Texte zu entnehmen.{2}  So enthielt etwa der Beitrag Milo Dors – ein Kapitel aus seinem ein Jahr darauf veröffentlichten Roman Tote auf Urlaub – durchaus Elemente des Absurden.{3} In dem Text wird ein Geschäftsmann, der während des Krieges mit den deutschen Besatzern Belgrads kooperierte, hingerichtet, weil er es das Pech hat, einen rebellischen Namensvetter zu haben – der an seiner Stelle aus der Haft entlassen wird. Die Absurdität des Daseins tritt hier in ähnlicher Weise vor Augen wie in Sartres 1937 erschienener Erzählung Die Wand.

Wie in dieser, bleibt die Erzählweise dabei jedoch realistisch, so dass Dors Werk von den Tagungsteilnehmern noch nicht als Bruch mit der "Kahlschlagliteratur" der unmittelbaren Nachkriegszeit wahrgenommen wurde. Ilse Aichingers auf derselben Tagung vorgelesene Erzählung Der Gefesselte empfand man dagegen als "Einbruch in das Gewohnte" (Richter 1979: 61), da in ihr die Erfahrung des Absurden in einer von der Alltagsrealität abgelösten Form vermittelt wird.

Hieraus ergibt sich auch die Frage, welche literarischen Mittel konkret dazu genutzt werden können, das Absurde darzustellen. Um diese Frage zu beantworten, wird es auch notwendig sein, das Absurde vom Grotesken abzugrenzen bzw. die Berührungspunkte zwischen beiden aufzuzeigen. Dazu dient in der vorliegenden Arbeit ein eigenes Kapitel. Außerdem wird auf die Wechselbeziehungen und Differenzen zwischen dem Absurden und dem Grotesken auch im Rahmen der Einzeluntersuchungen zu Peter Weiss und Friedrich Dürrenmatt eingegangen.

 

Ein geistiger Reiseführer

 

Der vorliegende Band ist aus meiner 2006 veröffentlichten Habilitationsschrift zum selben Thema hervorgegangen. Während in dieser eine möglichst erschöpfende Behandlung des Untersuchungsgegenstands angestrebt wurde, bemüht sich die aktuelle Arbeit um eine exemplarische Darstellung der literarischen Gestaltung des Absurden bei ausgewählten Autorinnen und Autoren. Ziel ist also nicht die Beleuchtung aller Facetten, sondern eine Einführung in die jeweiligen Besonderheiten im Umgang mit dem Absurden.

Dem Einführungscharakter des Werkes entspricht auch die Bemühung um eine übersichtliche Darstellung und eine klarere Ausdrucksweise. Zu diesem Zweck wird auch auf Exkurse und Seitenäste der Thematik verzichtet. Einen Ausflug in die Welt des Theaters des Absurden hielt ich ebenfalls für entbehrlich, zumal es hierzu bereits andere einschlägige Veröffentlichungen gibt.  

So ist dieser Band eine Art Reiseführer in das Land des Absurden. Es werden mögliche Reiseziele vorgestellt, Sehenswürdigkeiten beschrieben und zueinander in Beziehung gesetzt. Dies kann es Interessierten ermöglichen, das, was sie sehen, bewusster wahrzunehmen. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sie sich selbst auf die Reise begeben.

 

1. Albert Camus' Philosophie des Absurden

 

 

Herkunft des Begriffs "absurd"

 

Der Begriff "absurdes" (lat. "misstönend", "unrein klingend") stammt ursprünglich aus dem Bereich der Musik. In der Philosophie wurde er anfangs auf dem Gebiet der Logik und Rhetorik verwendet, im Sinne von "etwas ad absurdum führen". Die heute vorherrschende Begriffsbedeutung geht zurück auf die Glaubensmaxime des "credo quia absurdum" ("Ich glaube daran, weil es absurd ist").{4}

Der Glaube wird hier gerade aus der Tatsache hergeleitet, dass er mit den Mitteln der menschlichen Vernunft nicht fassbar ist bzw. ihr sogar widerspricht.{5} Systematisch begründet wird dieser Gedanke in der Philosophie Sören Kierkegaards, der auf seiner Grundlage den Versuch Hegels, den Glauben aus der Betrachtung der Geschichte abzuleiten, zurückweist.

 

"Sprung in den Glauben": Das Verständnis des Absurden bei Kierkegaard

 

Hegel betrachtet die Geschichte als Selbstentäußerungsprozess des göttlichen Geistes. Der Verlauf der Geschichte dient aus dieser Perspektive als Prozess, der zur Wiederherstellung der Einheit des göttlichen Geistes auf einer höheren Bewusstseinsstufe dient. Gott wäre demnach aus seinem Wirken in der Geschichte zu erkennen.

Dem widerspricht Kierkegaard, weil er historische und göttliche Wahrheit für nicht miteinander vereinbar hält. Die geschichtliche Entwicklung ist ihm zufolge nicht denkbar ohne einen "Moment von Zufälligkeit", der ja "gerade der eine Faktor in allem Werden" sei (UN 229). Eben deshalb ist nach Kierkegaard auch der Glaube nicht aus einer geschichtlichen Wahrheit abzuleiten. Vielmehr sei er nur durch einen "qualitativen Sprung" (BA: 58) in jene andere Begriffssphäre zu gewinnen, die der Glaube repräsentiert.{6}

Wenn der Glaube sich nur außerhalb des konkreten historischen Entwicklungsprozesses ereignen kann, so bedeutet dies aber zugleich auch, dass weder der Weg zu ihm noch sein Erleben sprachlich vermittelbar sind. Denn dies würde den Glauben ja wieder auf die Ebene des Geschichtlichen herabzwingen.

Religiöse und historische Wahrheit treten demnach bei Kierkegaard – in fundamentalem Gegensatz zu Hegel – radikal auseinander. Nur die historische Wahrheit lässt sich ihm zufolge mit den Mitteln des abstrakten Denkens aus den Ereignissen ableiten und folglich auch sprachlich vermitteln. Die religiöse Wahrheit hält er dagegen nur auf dem Wege einer rückhaltlosen Verinnerlichung für erreichbar. Dem entspricht auf der Ebene des konkreten Subjekts die Bereitschaft, das, "was sich gerade nicht denken lässt, (…) kraft des Absurden (…) glaubend anzunehmen" (UN 232), also eben 'in den Glauben zu springen'.

Das Absurde ist demnach für Kierkegaard zum einen "der Gegenstand des Glaubens und das einzige, was sich glauben lässt" (UN 354). Zum anderen ist es aber auch das, was dem Einzelnen – wenn er sich zu seinem Glauben bekennt – die Kraft gibt, an diesem festzuhalten:

 

"Das Absurde ist gerade durch das objektive Abstoßen der Kraftmesser des Glaubens für Innerlichkeit." (ebd.)

 

Kierkegaard bestreitet dabei nicht den Kern des christlichen Glaubens, wonach "die ewige Wahrheit in der Zeit geworden ist", Gott also "geworden ist, geboren, gewachsen und so weiter ist, ganz und gar wie der einzelne Mensch geworden ist" (UN 353). Was er Hegel und seinem Versuch einer "Approximation" an die göttliche Wahrheit über die Suche nach deren Spuren in der Geschichte vorwirft, ist jedoch, dass eben hierdurch "das Absurde" und damit das Wesen dieses Prozesses negiert werde:

 

"Insofern dem Absurden das Moment des Werdens innewohnt, wird ein Weg der Approximation auch der sein, der das absurde Faktum des Werdens, das der Gegenstand des Glaubens ist, mit einem einfachen geschichtlichen Faktum verwechselt und also historische Gewissheit für das sucht, was gerade das Absurde ist, weil es den Widerspruch enthält, dass, was nur gerade strikt gegen allen menschlichen Verstand das Geschichtliche werden kann, es geworden ist. Dieser Widerspruch ist eben das Absurde, das nur geglaubt werden kann; bekommt man eine historische Gewissheit, so bekommt man bloß die Gewissheit davon, dass dies Gewisse nicht das Erfragte ist." (UN 355)

 

Sisyphos als "Held des Absurden"

 

Eine Wende in dieser Sichtweise des Absurden ergab sich erstmals durch Friedrich Nietzsche. Im Anschluss an Schopenhauer bezog dieser das Absurde nicht mehr auf den Glauben bzw. auf das Sein Gottes, sondern auf die menschliche Existenz selbst:

 

"Zu der Demuth, welche spricht: credo quia absurdum est [Ich glaube <daran>, weil es absurd ist] und ihre Vernunft zum Opfer anbietet, brachte es wohl schon mancher; aber keiner, soviel ich weiß, bis zu jener Demuth, die doch nur einen Schritt davon entfernt ist und welche spricht: credo quia absurdus sum." ("Ich glaube, weil ich absurd bin"; Nietzsche 1881: 273)

 

In ähnlicher Weise kritisiert auch Camus die von Kierkegaard aus der Absurdität des Glaubens abgeleitete Notwendigkeit eines "Sprungs" in diesen als ein "Ausweichen" vor der Absurdität der menschlichen Existenz. Außer auf Kierkegaard bezieht er sich dabei in seiner Kritik auch auf Lev (Léon) Schestow und Karl Jaspers. Ihnen wirft er vor, zwar von dem Absurden auszugehen und sich scheinbar auf "eine geschlossene, auf das Menschliche begrenzte Welt" zuzubewegen, dann jedoch "durch eine sonderbare Überlegung (...) das, was sie zerschmettert", zu vergöttlichen:

 

"Sie finden einen Grund zur Hoffnung in dem, was sie hilflos macht. Diese gewaltsame Hoffnung ist bei allen wesenhaft religiös." (MS 32)

 

Diese Haltung kritisiert Camus als "philosophischen Selbstmord" (MS 39). Was er damit meint, verdeutlicht er durch eine Auseinandersetzung mit Kierkegaards Sprung-Metapher. Kierkegaard wollte hiermit die Angst des Menschen vor den Folgen eines Bekenntnisses zu Gott – das für ihn gleichbedeutend war mit dem Bekenntnis zum eigenen Selbst – veranschaulichen. Camus hält dem entgegen, der Sprung selbst bedeute gerade "keine äußerste Gefahr", sondern stelle "das Ewige und dessen Behaglichkeit wieder her":

 

"Die Gefahr liegt im Gegenteil in dem kaum messbaren Augenblick vor dem Sprung. Die Redlichkeit besteht darin, sich auf diesem schwindelnden Grat zu halten; alles andere ist Ausflucht." (MS 46)

 

Diese Ausflucht trägt nach Camus wesenhaft mystischen Charakter. Damit aber ist die Freiheit ihm zufolge hier auch nur begrenzter Natur. Camus führt sie darauf zurück, dass die Mystiker sich in ihren Gott "versenken" und dessen Geboten 'zustimmen'. In der "freiwillig anerkannten Abhängigkeit" entdeckten sie so subjektiv "eine tiefe Unabhängigkeit". In Wahrheit seien sie aber "weniger frei als befreit", da sie eben durch diesen 'Sprung in den Glauben' von der beängstigenden Freiheit des Absurden entlastet würden. Wenn auch "die Rückkehr zum Bewusstsein, die Flucht aus dem täglichen Schlaf", am Anfang ihrer Überlegungen stünden, so ziele ihre Philosophie letzten Endes doch nur auf "die existenzielle Predigt" ab und mit ihr "auf den geistigen Sprung, der im Grunde dem Bewusstsein entschlüpft" (MS 53).

Dem stellt Camus seine eigene Philosophie des Absurden gegenüber. Diese betrachtet zum einen das Absurde nicht als Charakteristikum des Göttlichen bzw. des Glaubens, sondern als Grundzug der menschlichen Existenz. Zum anderen erhebt sie das Bewusstsein dieser Absurdität zum Maßstab einer freien, selbstverantwortlichen Lebenspraxis. Die hieraus abzuleitende Lebenshaltung veranschaulicht Camus anhand des Sisyphos-Mythos:

 

"Sisyphos ist der Held des Absurden. Dank seinen Leidenschaften und dank seiner Qual. Seine Verachtung der Götter, sein Hass gegen den Tod und seine Liebe zum Leben haben ihm die unsagbare Marter aufgewogen, bei der sein ganzes Sein sich abmüht und nichts zustande bringt. Damit werden die Leidenschaften dieser Erde bezahlt." (MS 99)

 

Mit dieser Interpretation des Mythos von Sisyphos spielt Camus nicht nur auf dessen sinnleere Tätigkeit an – darauf also, dass er von den Göttern dazu verurteilt worden war, "unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufzuwälzen, von dessen Gipfel der Stein von selbst wieder hinunterrollte" (MS 98). Von gleicher Bedeutung für seine Sicht des Sisyphos ist vielmehr dessen revoltierender Geist, wie er in seinem Aufbegehren gegen die Götter zum Ausdruck kommt.

So hebt Camus besonders die Tatsache hervor, dass Sisyphos die Geheimnisse der Götter preisgegeben und den Tod in Ketten gelegt haben soll (vgl. ebd.). Die Tatsache der Absurdität seines Tuns sieht Camus zudem mit dem Bewusstsein dieser Absurdität verknüpft, das sich während des periodischen Rückzugs "in die Ebene" notwendig habe einstellen müssen. Ein "Held des Absurden" aber ist Sisyphos für Camus vor allem deshalb, weil er sich trotz der Einsicht in sein absurdes Dasein zu diesem bekannt habe:

 

"Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jedes Gran dieses Steins, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." (MS 101)

 

So wird Sisyphos für Camus zu einer Art Meta-Symbol für "das Denken unserer Zeit", das er – "wie selten ein Denken – von einer philosophisch begründeten Sinnlosigkeit der Welt durchdrungen" sah (MS 44). Folglich bestand für ihn die zentrale Aufgabe der Philosophie darin, sich auf dieses "Klima der Absurdität" (MS 16) einzulassen und es näher zu untersuchen.

Soweit "die Handlungsweise eines aufrichtigen Menschen (...) von dem bestimmt werden [sollte], was er für wahr hält", müsse, so Camus, auch "der Glaube an die Absurdität des Daseins" ein diesem gemäßes Handeln generieren (MS 11). Vor diesem Hintergrund legt er sich die Frage vor, ob ein als absurd erkanntes Dasein notwendigerweise in den Selbstmord führen müsse. Die "Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht", beantworte "die Grundfrage der Philosophie". Und da "ein Philosoph, der ernst genommen werden will, mit gutem Beispiel vorangehen" müsse, gehe es für ihn hierbei nicht um theoretische Überlegungen, sondern um eine Entscheidung auf Leben und Tod (MS 9).

 

Das Absurde und die Entfremdung

 

Nun bedingt die Feststellung, dass das Dasein des Menschen grundsätzlich absurd ist, noch nicht notwendigerweise bei jedem Einzelnen die Erkenntnis und die Anerkennung dieser Tatsache. Hierfür muss  vielmehr zunächst ein Gefühl für das Absurde in ihm wach werden. Die zentrale Voraussetzung dafür ist nach Camus die Empfindung der Entfremdung von der Welt, in der der Mensch lebt:

 

"Eine Welt, die sich – wenn auch mit schlechten Gründen – deuten und rechtfertigen lässt, ist immer noch eine vertraute Welt. Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusionen und des Lichts beraubt ist, fühlt der Mensch sich fremd. Aus diesem Verstoßensein gibt es für ihn kein Entrinnen, weil er der Erinnerungen an eine verlorene Heimat oder der Hoffnung auf ein gelobtes Land beraubt ist. Dieser Zwiespalt zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Schauspieler und seinem Hintergrund ist eigentlich das Gefühl der Absurdität." (MS 11)

 

Camus differenziert zwischen verschiedenen Arten der Entfremdung, die sich zum einen nach der Intensität der Empfindung und zum anderen nach dem jeweiligen Bezugspunkt voneinander unterscheiden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um

 

eine Entfremdung des Menschen von seinem Alltag:

 

"Aufstehen, Straßenbahn, vier Stunden Büro oder Fabrik, Essen, Straßenbahn, vier Stunden Arbeit, Essen, Schlafen, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, immer derselbe Rhythmus – das ist sehr lange ein bequemer Weg. Eines Tages aber steht das 'Warum' da, und mit diesem Überdruss, in den sich Erstaunen mischt, fängt alles an. (...) Der nächste Schritt ist die unbewusste Umkehr in die Kette oder das endgültige Erwachen." (MS 16)

 

eine Entfremdung des Menschen von der Wirklichkeit, d.h. die blitzhafte Einsicht in die Tatsache, dass die Welt nicht das ist, als was sie sich der menschlichen Wahrnehmung darstellt:

 

"Eine Sekunde lang verstehen wir die Welt nicht mehr: jahrhundertelang haben wir in ihr nur die Bilder und Gestalten gesehen, die wir zuvor in sie hineingelegt hatten, und nun verfügen wir nicht mehr über die Kraft, von diesem Kunstgriff Gebrauch zu machen. Die Welt entgleitet uns: sie wird wieder sie selbst." (MS 18)

 

eine Entfremdung des Menschen von sich selbst, d.h. die Empfindung der nie zu überbrückenden "Kluft zwischen der Gewissheit meiner Existenz und dem Inhalt, den ich dieser Gewissheit zu geben suche":

 

"Das Herz in mir kann ich fühlen, und ich schließe daraus, dass es existiert. Die Welt kann ich berühren, und auch daraus schließe ich, dass sie existiert. Damit aber hört mein ganzes Wissen auf; alles andere ist Konstruktion. Wenn ich nämlich dieses Ich, dessen ich so sicher bin, zu fassen, wenn ich es zu definieren und zusammenfassend zu bestimmen versuche, dann zerrinnt es mir wie Wasser zwischen den Fingern. Ich kann nacheinander alle Gesichter nachzeichnen, die es annehmen kann, auch alle Gesichter, die man ihm gegeben hat – Erziehung, Herkunft, Leidenschaft oder Ruhe, Größe oder Niedertracht. Addieren aber kann man Gesichter nicht. Selbst dieses Herz, das doch meines ist, wird mir immer unerklärbar bleiben." (MS 21 f.)

 

eine Entfremdung des Menschen von seinem Dasein:

 

"Auch die Menschen sondern Unmenschliches ab. In gewissen hellsichtigen Stunden lässt das mechanische Aussehen ihrer Bewegungen, ihre sinnlos gewordene Pantomime alles um sie herum stumpfsinnig erscheinen. Ein Mensch spricht hinter einer Glaswand ins Telefon, man hört ihn nicht, man sieht nur sein sinnloses Mienenspiel: man fragt sich, warum er lebt." (MS 18)

 

Das Zum-Tode-Sein und das "Heimweh nach der Einheit"

 

Der Ermöglichungsgrund für das Gefühl der Entfremdung im oben genannten Sinn ist zunächst das Faktum des 'Zum-Tode-Seins' des Menschen. Vor dem Hintergrund des Sterben-Müssens erscheint die Befolgung der Alltagsroutine als sinnlos. Auch alle moralischen Maßstäbe verlieren vor diesem Hintergrund ihren imperativischen Charakter:

 

"Aus dem leblosen Körper, auf dem eine Ohrfeige kein Mal mehr hinterlässt, ist die Seele verschwunden. Diese elementare und endgültige Seite des Abenteuers ist der Inhalt des absurden Gefühls. Im tödlichen Licht dieses Verhängnisses tritt die Nutzlosigkeit in Erscheinung. Keine Moral und keinerlei Streben lassen sich a priori vor der blutigen Mathematik rechtfertigen, die über uns herrscht." (MS 19)

 

Auch das Gefühl der Entfremdung von der eigenen Existenz hat für Camus hier seine Wurzel. Das "Unbehagen des Menschen vor der Unmenschlichkeit des Menschen selbst, dieser unberechenbare Sturz vor dem Bilde dessen, was wir sind", wird deshalb von ihm auch mit der Empfindung von "Ekel" in Verbindung gebracht (MS 18).{7}

Das abstrahierende (Selbst-)Bewusstsein{8} des Menschen hat in den alltäglichen Denkprozessen zur Folge, dass er sich als geistiges Wesen begreift. Dem steht der Ekel als unmittelbares Seinserleben entgegen. Er resultiert aus der konkreten sinnlichen Erfahrung, als lebendes Wesen nicht aus Geist, sondern aus progressivem Verfall anheimgegebener Materie zu bestehen. 

Hieraus leitet sich die Erkenntnis ab, dass für den Menschen das Zum-Tode-Sein seine "Beziehung zum Leben bestimmt" (MS 23). Dies kann dem Denken, so Camus, eine paradoxe Struktur verleihen: Einerseits erzeugt die bewusste Einsicht in die Endlichkeit der eigenen Existenz ein "Heimweh nach der Einheit", ein "Verlangen nach dem Absoluten". Andererseits ist gerade die Tatsache dieses Verlangens ein Beleg für die Kluft, die den Menschen vom Ganzen des Seins trennt:

 

"Denn wenn wir den Abgrund zwischen Wunsch und Erfüllung überspringen und mit Parmenides die Wirklichkeit des 'Einen' (wie immer es beschaffen sein möge) behaupten, dann geraten wir in den lächerlichen Widerspruch eines Geistes, der die totale Einheit behauptet und gerade durch die Behauptung sein eigenes Anderssein und die Mannigfaltigkeit beweist, die er angeblich aufgehoben hat. Dieser weitere circulus vitiosus genügt, um unsere Hoffnungen zunichte zu machen." (MS 20)

 

Je mehr der Einzelne also sein "Verstoßen-Sein" aus dem "Paradies" der Einheit beklagt (MS 11), desto deutlicher muss er gerade einsehen, "dass die Welt 'dicht' ist", desto stärker wird er spüren, "wie sehr ein Stein fremd ist, undurchdringbar für uns, und mit welcher Intensität die Natur oder eine Landschaft uns verneint" (MS 17). Denn diese Überlegungen setzen einen nur dem Menschen möglichen Reflexionsgrad voraus. So führt paradoxerweise gerade die Erkenntnis, selbst nichts anderes als Materie zu sein, dazu, dass der Einzelne sich aus dem Ganzen des Seins ausgeschlossen fühlt:

 

"Wenn ich Baum unter den Bäumen wäre, Katze unter den Tieren, dann hätte dieses Leben einen Sinn oder vielmehr: dieses Problem bestünde überhaupt nicht, denn dann wäre ich ein Teil dieser Welt. Ich wäre diese Welt, zu der ich mich jetzt mit meinem ganzen Bewusstsein und mit meinem ganzen Anspruch auf Vertrautheit in Gegensatz befinde. Eben diese so höhnische Vernunft setzt mich in Widerspruch zur ganzen Schöpfung." (MS 47)

 

Der Vergleich als strukturelle Basis von Absurdität

 

Diese "Gegenüberstellung des Menschen, der fragt, und der Welt, die vernunftwidrig schweigt" (MS 29), ist für Camus die Grundkonstellation des Absurden. Daraus folgt zugleich, dass es unzulässig wäre, von der Welt selbst zu behaupten, sie sei absurd:

 

"An sich ist diese Welt nicht vernünftig – das ist alles, was man von ihr sagen kann. Absurd aber ist die Gegenüberstellung des Irrationalen und des glühenden Verlangens nach Klarheit, das im tiefsten Innern des Menschen laut wird. Das Absurde hängt ebensosehr vom Menschen ab wie von der Welt." (MS 23)

 

Die aus dem "gemeinsamen und gleichzeitigen Vorhandensein" von Mensch und Welt (MS 31) resultierende Absurdität ist nun allerdings für Camus nur eine unter vielen anderen Erscheinungsformen des Absurden. Zwar mag diese für die menschliche Existenz von zentraler Bedeutung sein. Grundsätzlich entsteht das Absurde nach Camus jedoch immer "durch einen Vergleich". Camus veranschaulicht dies u.a. am Beispiel eines unschuldig zum Tode Verurteilten oder am Beispiel eines durch und durch tugendhaften Menschen, den man einer unmoralischen Tat bezichtigt. Hieraus folgert er:

 

"Ich darf also wohl sagen, dass das Gefühl der Absurdität nicht aus der einfachen Untersuchung einer Tatsache oder eines Eindrucks entsteht, sondern dass es seinen Ursprung in einem Vergleich hat, in einem Vergleich zwischen einem Tatbestand und einer bestimmten Realität, zwischen einer Handlung und der Welt, die stärker ist als sie. Das Absurde ist im Wesentlichen ein Zwiespalt. Es ist weder in dem einen noch in dem anderen verglichenen Element enthalten. Es entsteht durch deren Gegenüberstellung." (MS 30 f.)

 

Im Falle von Mensch und Welt betrifft diese Gegenüberstellung das Bedürfnis des Menschen nach Sinn, das notwendig entsteht, wenn der Einzelne sich seiner existenziellen Situation bewusst wird. Mit seinen Fragen trifft er dabei jedoch auf eine Welt, die "vernunftwidrig schweigt" (s.o.).

Die so entstehende Absurdität ist nach Camus "das einzige Band" (MS 23 und 31), das Mensch und Welt miteinander verbindet. Daraus schließt er, "dass der Begriff des Absurden etwas Wesentliches ist und als meine erste Wahrheit gelten kann" (MS 31). Konsequenterweise hätte ich also "gerade das, was mich vernichtet, festzuhalten und infolgedessen das, was ich darin für wesentlich halte, zu respektieren" (ebd.). Wahre Freiheit ist für den Menschen vor diesem Hintergrund nur durch die ständige Konfrontation mit dem Absurden – als dem zentralen Aspekt seines Daseins – möglich:

 

"Leben heißt: das Absurde leben lassen. Das Absurde leben lassen heißt: ihm ins Auge sehen." (MS 49)

 

Die Auflehnung als adäquater Umgang mit dem Absurden

 

Dem Absurden ins Auge zu sehen, bedeutet für Camus nun allerdings gerade nicht, sich mit ihm abzufinden. Als die einzig adäquate Form der Auseinandersetzung mit ihm ist sieht er vielmehr die ebenso absurde, sisyphoshafte "Auflehnung" (ebd.) gegen es an:

 

"Das Absurde hat nur insoweit einen Sinn, als man sich mit ihm nicht einverstanden erklärt." (MS 32)

 

Die Auflehnung gegen das Absurde sieht Camus dabei nicht als einmaligen Akt, sondern als einen "pausenlosen Kampf" (MS 31) an. Das "Motiv der permanenten Revolution" übertrage sich so "auf die individuelle Erfahrung" (MS 49).

Die nach Camus zentrale philosophische Frage, ob die absurde Grundstruktur der menschlichen Existenz notwendig den Selbstmord zur Folge haben müsse, kann vor diesem Hintergrund verneint werden. Denn der Selbstmord ist ja gerade nicht von Auflehnung gegen das Absurde geprägt, sondern erkennt die dem Menschen durch das Absurde gesetzten Grenzen in einem absoluten Sinne an. Er bedeutet die Kapitulation vor der "einzige[n] und furchtbare[n] Zukunft", auf die jedes menschliche Dasein zuläuft. Dadurch hebt er "das Absurde auf seine Art auf":

 

"Er zieht es mit in den gleichen Tod. Ich weiß aber, dass das Absurde, um sich zu behaupten, sich nicht auflösen darf. Es entgeht dem Selbstmord in dem Maße, wie es gleichzeitig Bewusstsein und Ablehnung des Todes ist." (MS 49)

 

Aus der zentralen Prämisse seines Denkens – das menschliche Dasein ist absurd – ergibt sich für Camus damit notwendig die Schlussfolgerung, dass Freiheit für den Menschen nur über die Anerkennung dieses Faktums zu erlangen ist. Alles andere ist für ihn – konkretes oder philosophisch-abstraktes – Ausweichen vor der Realität des eigenen Lebens.

Die Konfrontation mit dem eigenen Zum-Tode-Sein wird demzufolge nach Camus' Auffassung bei einem Menschen, der bereit ist, "das Absurde leben [zu] lassen" (s.o.), auch nicht zum Selbstmord, sondern gerade zur Erkenntnis der eigenen Freiheit führen. Denn "der absurde Mensch, der ganz und gar dem Tode zugewandt ist (der hier als die offensichtlichste Absurdität verstanden wird)", fühlt sich "losgelöst von allem, was nicht zu dieser leidenschaftlichen Aufmerksamkeit gehört, die sich in ihm kristallisiert" (MS 53).

Gerade die Fremdheit gegenüber dem eigenen Leben, die das Bewusstsein des Sterben-Müssens dem Menschen vermittelt – als Grundmerkmal des absurden Lebensgefühls – sieht Camus dabei als Ermöglichungsbedingung der menschlichen "Handlungsfreiheit" an. Diese "neue Unabhängigkeit" sei zwar "zeitlich begrenzt". Gerade dadurch, dass sie "keinen Wechsel auf die Ewigkeit"{9} ausstelle, befreie sie den Menschen jedoch von unrealistischen Freiheitsideen. Diese zeichnen sich nach Camus durch ein Verschweigen des Zum-Tode-Seins aus. Sie sind für ihn deshalb nicht nur illusionär, sondern führen auch zur Errichtung zusätzlicher "Schranken" für das eigene Leben:

 

"Bevor er dem Absurden begegnet, lebt der Mensch täglich mit Zielen, mit einer Sorge um die Zukunft oder um eine Rechtfertigung (in welcher Hinsicht, danach fragen wir nicht). Er wägt seine Chancen, er rechnet mit der spätesten Zukunft, mit seiner Pensionierung oder mit der Arbeit seiner Söhne. Er glaubt noch, dass irgendetwas in seinem Leben gelenkt werden könne. Tatsächlich handelt er, als wäre er frei, wenn auch alle Tatsachen gegen diese Freiheit sprechen." (MS 51 f.)

 

Erst "der Tod und das Absurde" geben dem Menschen nach Camus "die Prinzipien der einzig vernünftigen Freiheit" an die Hand (MS 53). Das "genaue Gegenstück" zu dem Resignieren des Selbstmörders vor der Aufgabe seiner Existenz sieht Camus folglich "in der äußersten Spannung des Gedankens dessen, der zum Tode verurteilt ist", in dem "Schuhband, das er trotz allem ein paar Meter entfernt liegen sieht, am Rande seines schwindelnden Sturzes" (MS 50).

Die "göttliche Verfügungsmacht des zum Tode Verurteilten, vor dem sich einmal im frühesten Morgenlicht die Gefängnistore öffnen, diese unglaubliche Interesselosigkeit allem gegenüber, außer der reinen Flamme des Lebens" (MS 53), kann dabei zunächst ganz allgemein als Bild für den von Geburt an zum Tode "verurteilten" Menschen verstanden werden.

In seiner konkreten Ausführung verweist das Bild aber auch auf die historische Realität, vor deren Hintergrund Camus' Schrift entstanden ist. Über die allgemeine Bedeutung des Essays für die menschliche Existenz hinaus wird dadurch seine Funktion erkennbar, die Résistance-Kämpfer in ihrem Widerstand gegen die nationalsozialistischen Besatzer zu ermutigen und etwaige Anwandlungen von Resignation überwinden zu helfen. Dabei geht es auch um den Mut, notfalls das eigene Leben im Interesse höherer Ziele aufs Spiel zu setzen:

 

"Was man einen Grund zum Leben nennt, das ist gleichzeitig ein ausgezeichneter Grund zum Sterben" (MS 9).

 

 Camus' Feststellung, es gehe dem absurden Menschen darum, "unversöhnt und nicht aus freiem Willen zu sterben" (MS 50), erhält so einen zusätzlichen, zeithistorisch begründeten Sinn. Gerade das unbedingte Bekenntnis zum Wert des Lebens – trotz oder gerade wegen seiner Absurdität – kann den Einzelnen dazu ermutigen, es gegen diejenigen zu verteidigen, die seine Freiheit mit Füßen treten. Dabei vermittelt gerade die Einsicht in die grundsätzliche Absurdität des Daseins jene innere Unabhängigkeit, die den absoluten Wert der Freiheit und des Lebens höher ansetzt als das eigene Überlebensbedürfnis und so im Notfall auch den Einsatz des eigenen Lebens für die Verteidigung der Freiheit bejaht. Auch dies kann in einer bestimmten historischen Situation der Verwirklichung jener Lebensmaxime dienen, die Camus als das "Ideal des absurden Menschen" bezeichnet:

 

"Sein Leben, seine Auflehnung und seine Freiheit so stark wie möglich empfinden – das heißt: so intensiv wie möglich leben." (MS 56)

 

Die Kunst und das Absurde

 

Im Rahmen seines "Versuchs über das Absurde" beschäftigt sich Camus auch mit der Frage, inwieweit "ein absurdes Kunstwerk möglich" sei (MS 81). In diesem Zusammenhang weist er zunächst die Annahme zurück, das Kunstwerk könnte "als eine Flucht vor dem Absurden betrachtet werden". Er betrachtet es vielmehr selbst als "ein absurdes Phänomen" und versucht es als solches zu beschreiben. Dabei stellt er insbesondere die unterstützende Funktion des Kunstwerks bei der Auseinandersetzung des Einzelnen mit der Absurdität seiner Existenz heraus. Das Kunstwerk, so Camus, lasse

 

"zum ersten Mal (...) den Geist aus sich selbst herausgehen und stellt ihn etwas anderem gegenüber, nicht damit er sich darin verliere, sondern um ihm einen genauen Fingerzeig von dem aussichtslosen Weg zu geben, den alle gehen müssen. In der Zeit der absurden Überlegung führt das Kunstwerk die Gleichgültigkeit und die Enthüllung weiter. Es bezeichnet den Punkt, von dem die absurden Leidenschaften ausgehen und bei dem die Überlegung anhält." (MS 80 f.)

 

Camus betont insbesondere die Möglichkeit der Kunst, einen Gedanken sinnlich-ummittelbar erfahrbar zu machen – eine ästhetische Position, die in ähnlicher Form bereits im deutschen Idealismus{10} postuliert worden war:

 

"Damit ein absurdes Werk möglich ist, muss das Denken in seiner hellsten Form daran beteiligt sein. Dieses Paradox erklärt sich aus dem Absurden. Das Kunstwerk entsteht aus dem Verzicht des Verstandes, das Konkrete zu begründen. Es bezeichnet den Triumph des Sinnlichen. Das klare Denken ruft es hervor, leugnet aber in diesem Akt sich selbst." (MS 82)

 

Camus tritt in diesem Kontext für eine Kunst ein, "in der das Konkrete nichts anderes bedeutet als sich selbst" (ebd.). Damit plädiert er allerdings keineswegs für eine 'konkrete Kunst', also eine Befreiung des von dem Künstler verwendeten Materials aus den Strukturen, in die es jeweils eingebunden ist (im Falle der Literatur also eine Emanzipation der sprachlichen Zeichen von ihrer Bindung an konkrete Bedeutungen).

Wenn Camus vom Vorrang des 'Konkreten' in der Kunst spricht, so ist dieses für ihn offenbar gleichbedeutend mit dem 'Sinnlichen'. Mit dessen Betonung grenzt er sich ab von jenen "Thesen-Schriftstellern" (MS 84), deren Werke nur der Exemplifizierung dessen dienten, was ihre Schöpfer für den "tieferen Sinn" des Lebens hielten:

 

"Der Thesenroman, das beweisende Werk, das hassenswerteste von allen, lässt sich am häufigsten von einem zufriedenen Denken inspirieren. Man beweist darin die Wahrheit, die man zu besitzen glaubt." (MS 96)

 

Ein solcher Roman bezeichnet nach Camus das Gegenteil eines absurden Kunstwerks. Wenn dieses die Absurdität des Daseins vor Augen führe, wolle es in keinem Fall "Sinn" und "Trost" vermitteln (MS 82), sondern lediglich "Symbole eines begrenzten, sterblichen und aufrührerischen Denkens" (MS 96) bieten. Dies gilt zum einen für die Inhalte der betreffenden Werke, zum anderen aber auch für den schöpferischen Prozess, wie er sich im absurden Kunstwerk manifestiert:

 

"Von allen Schulen der Geduld und der Klarheit ist das Schaffen die wirksamste. Es ist zudem das erschütternde Zeugnis für die einzige Würde des Menschen: die eigensinnige Auflehnung gegen seine Lage, die Ausdauer in einer für unfruchtbar erachteten Anstrengung. Sie erfordert eine tägliche Anstrengung, Selbstbeherrschung, die genaue Abschätzung der Grenzen des Wahren, Maß und Kraft. Sie begründet eine Askese. Und das alles 'für nichts', nur um zu wiederholen und um auf der Stelle zu treten." (MS 95){11}

 

Der Künstler als exemplarische Sisyphos-Gestalt

 

Sowohl in dem, was er erschafft, als auch in seinem Tun selbst ist der Künstler für Camus somit ein herausragendes Beispiel für die sisyphoshafte Natur des menschlichen Daseins. Dies schließt für ihn allerdings nicht aus, dass der Schriftsteller sich in seinen Werken um die Exemplifizierung der Philosophie des Absurden bemüht. Vielmehr sieht er "die großen Romanciers" gerade deshalb als "das Gegenteil von Thesen-Schriftstellern" an, weil sie "philosophische Romanciers" seien (MS 84).

Camus verlangt demnach von einem absurden Kunstwerk lediglich, dass es nicht falschen "Illusionen huldigt". Es soll die "Gebote des Absurden" beachten sowie "den Zwiespalt und die Auflehnung sichtbar" machen, von denen Camus zufolge die menschliche Existenz geprägt ist (MS 85 f.). Die Beachtung der "Gebote des Absurden" ist für ihn folglich durchaus mit einer konventionellen Erzählweise vereinbar.

In diesem Sinne ist auch Camus' Bemerkung zu verstehen, dass die absurden Kunstwerke "im Konkreten triumphieren und dass das ihre Größe ist" (MS 96). Gemeint ist damit offenbar, dass die Künstler in ihren Werken die Absurdität der menschlichen Existenz als solche sinnlich darstellen und der "Versuchung", dieser Existenz "einen tieferen Sinn unterzulegen" (MS 82), widerstehen sollten. Mit anderen Worten: Eine künstlerische Darstellung des Absurden im Sinne Camus' muss nicht in sich selbst absurd sein. Was er propagiert ist damit eine Kunst und Literatur des Absurden, nicht aber eine absurde Literatur. Genau dieser Maxime ist er auch in seinem eigenen literarischen Werk gefolgt.

 

Künstlerische Revolte als Antwort auf das Absurde

 

Camus' in Der Mythos von Sisyphos entfaltete Kunsttheorie entspricht in wesentlichen Punkten seiner später in  Der Mensch in der Revolte (1951) vertretenen Position. In beiden Fällen bleibt die Frage nach der Möglichkeit eines der Erfahrung des Absurden nicht nur inhaltlich, sondern auch formal entsprechenden künstlerischen Ausdrucks unberücksichtigt.

In Der Mensch in der Revolte sieht es Camus allerdings auch in inhaltlicher Hinsicht nicht mehr als Ziel der Kunst an, die Absurdität des Daseins zu gestalten. Stattdessen legt er den Akzent hier ganz auf den Aspekt der Auflehnung bzw. der "Revolte" gegen diese Absurdität. Entscheidend ist für ihn nun das künstlerische Streben danach, "dem Leben die Form zu geben, die es nicht hat":

 

"Es genügt nicht zu leben, man braucht ein Schicksal und dies, ohne den Tod abzuwarten. Es ist also richtig, zu sagen, der Mensch habe eine Vorstellung einer besseren Welt als dieser. Allein besser bedeutet nicht verschieden, sondern zur Einheit gebunden." (MR 297).

 

Dieses Einheitsverlangen sieht Camus in exemplarischer Weise im Roman verwirklicht:

 

"Der Mensch gibt sich hier schließlich selbst die Form und die beruhigende Grenze, die er vergeblich in seinem Leben verfolgt. Der Roman fertigt Schicksal nach Maß an. So macht er der Schöpfung Konkurrenz und triumphiert vorübergehend über den Tod. Eine eingehende Analyse der berühmtesten Romane würde in jedes Mal verschiedener Perspektive zeigen, dass das Wesen des Romans in dieser unaufhörlichen Korrektur besteht, immer in gleicher Richtung verlaufend, und die der Künstler nach seiner eigenen Erfahrung vornimmt. Weit entfernt davon, moralisch oder rein formal zu sein, zielt diese Korrektur zuerst auf die Einheit und drückt damit ein metaphysisches Bedürfnis aus." (MR 300)

 

Um Ausdruck der "Revolte" im Sinne Camus' zu sein, muss das im Roman widergespiegelte Gestaltungsverlangen allerdings stets die Balance halten zwischen der Ablehnung der Absurdität des Daseins und der grundsätzlichen Bejahung des Lebens:

 

"Durch die Behandlung, die der Künstler der Wirklichkeit aufzwingt, behauptet er seine Kraft der Ablehnung. Doch was er von ihr in seiner erschaffenen Welt bewahrt, deckt die Zustimmung auf, die er mindestens für einen Teil des Wirklichen hegt, den er aus dem Schatten des Werdens zieht, um ihn ins Licht der Schöpfung zu stellen. " (MR 304)

 

Die vollständige Ablehnung der Wirklichkeit führt nach Camus zu rein formalen Werken, die er als "nihilistisch" verwirft. Die Leugnung des Absurden habe dagegen den Versuch zur Folge, "die rohe Wirklichkeit zu verherrlichen" (ebd.). Der "Ehrgeiz" des Künstlers sei dabei "die Einübung nicht der Einheit, sondern der Totalität der wirklichen Welt" (MR 306). Der in Camus' Augen eben hierauf abzielende Realismus sei deshalb – wie er unter Anspielung auf die Doktrin des sozialistischen Realismus ergänzt – auch "die offizielle Ästhetik einer Revolution der Totalität" (ebd.).

Reiner Realismus – im Sinne einer vollständigen und objektiven Wiedergabe der Wirklichkeit – ist zudem nach Camus ebenso unmöglich wie reiner Formalismus. Die realistischen Romane müssten "gegen ihren Willen aus dem Wirklichen eine Auswahl" treffen, da "Auswahl und Übersteigung der Wirklichkeit (…) die Hauptbedingungen des Denkens und des Ausdrucks" seien (ebd.).

Ebenso sei auch dem Formalismus immer "eine Grenze (…) gesteckt", da "selbst die reine Geometrie, in der die abstrakte Malerei manchmal endet, (…) der Außenwelt die Farben und die perspektivischen Beziehungen" entnehmen müsse (MR 305). So verleugne sich "der schöpferische Akt (…) in diesen beiden Arten von Werken" in eben dem Maße, in dem er "in der absoluten Verneinung oder der absoluten Bejahung" die Wirklichkeit selbst verleugne (MR 304).

 

Absurde Kunst und die Kunst des Absurden

 

Camus' Kunst- und Literaturtheorie ist nicht unwidersprochen geblieben. Indem sie nämlich die Revolte gegen die Wirklichkeit zum Maßstab für ein im Sinne der Philosophie des Absurden gelungenes Kunstwerk macht, muss sie notwendigerweise von der Annahme einer prinzipiell vorhandenen Form und Formbarkeit der "Außenwelt" ausgehen.

Demgegenüber verknüpfen sowohl Jean-Paul Sartre als insbesondere auch Samuel Beckett die Erfahrung des Absurden gerade mit der Einsicht in den grundsätzlichen Konstruktcharakter dessen, was wir als "Realität" bezeichnen. In ihren Werken dekonstruieren sie folglich gerade die scheinbar klaren Konturen der Wirklichkeit, indem sie deren Bindung an die sprachlich vermittelten Kategorisierungs- und Beziehungsmuster des menschlichen Denkens vor Augen führen.

Für Beckett ergab sich hieraus die Frage, inwieweit die Erfahrung der Absurdität des Daseins sprachlich überhaupt adäquat ausgedrückt werden könne. Denn die sprachlichen Strukturen und die in sie eingeschriebenen Denk- und Deutungsmuster verleugnen ja gerade die Absurdität des Daseins. Wie sollen dieselben sprachlichen Strukturen dann dazu dienen können, diese Absurdität zum Ausdruck zu bringen?

Die "Revolte" Becketts und Sartres bestand vor diesem Hintergrund gerade nicht in dem Versuch, eine real nicht vorhandene Einheit zu erschaffen. Stattdessen richteten sie ihre künstlerische Arbeit gerade an dem Ziel aus, die durch die Sprache suggerierte Einheit der Realität in ihrem trügerischen Charakter vor Augen zu führen.

Camus' Poetologie des Absurden ist indessen nicht nur in epistemologischer Hinsicht fragwürdig. Problematisch ist vielmehr auch, dass hier – anders als noch in Der Mythos von Sisyphos – die künstlerische Revolte vollständig von der Ebene der historischen Realität getrennt wird. Camus' Kunsttheorie gerät so in eine bedenkliche Nähe zu dem konservativen Konzept eines sich in der Kunst manifestierenden Reichs des reinen Geistes, in dem sich die menschliche Freiheit unabhängig vom Gang der Geschichte offenbare.

Dies geht etwa aus Aussagen hervor, die der Kunst die Aufgabe zuschreiben, die "Schönheit [zu] erhalten" – weil einmal "der Tag kommt, da die Revolutionen ihrer bedürfen" (MR 314). Gleiches gilt für die Forderung, die Kunst solle den Menschen lehren, dass er "sich nicht mit der Geschichte erschöpft und (…) auch in der Natur einen Lebensgrund findet" (MR 313).

Wie problematisch eine solche ahistorische Konzeption von Kunst ist, wird deutlich, wenn Camus ausgerechnet eine Passage aus dem in russischer Gefangenschaft verfassten Tagebuch des Nazi-Autors Edwin Erich Dwinger als Beispiel für sein künstlerisches Ideal anführt. Dwingers Freikorpsroman Die letzten Reiter (1935) zählt nach Ernst Loewy (1966: 344) "zum Blutrünstigsten, was diese Art 'Schrifttum' hervorgebracht hat". Camus dient das Dwinger-Zitat dennoch als Beleg dafür, dass "geheimnisvolle Melodien und grausame Bilder entschwundener Schönheit inmitten von Verbrechen und Wahnsinn das Echo jenes Aufstandes" vermitteln könnten, "der während der Jahrhunderte für die menschliche Größe zeugte" (MR 313).

Camus' Mensch in der Revolte wurde so auch zum Anlass des Bruchs zwischen Camus und Sartre. Dieser warf seinem einstigen Weggefährten vor, sein Konzept der Revolte beruhe auf der Vorstellung eines "zeitlosen Kampf[s] gegen die Ungerechtigkeit unseres Schicksals" bzw. gegen die "blinden Mächte des Universums" (KiF 45; vgl. hierzu auch Royle 1982; Koechlin 1990).

2. Das Absurde und das Groteske

 

Das Absurde weist zahlreiche Berührungspunkte mit dem Grotesken auf, unterscheidet sich von diesem aber auch in vielfältiger Hinsicht. Für eine genauere Bestimmung der Prosa des Absurden erscheint es daher notwendig, Wechselbeziehungen und Differenzen zwischen dem Absurden und dem Grotesken zumindest überblicksartig herauszustellen. Hierfür muss zunächst das Groteske näher bestimmt werden.

 

Herkunft des Begriffs "grotesk"

 

Der Begriff "grotesk" (ital. "grottesca") geht zurück auf die römischen Grotten (ital. "grotta", Plural "grotte"), in denen Ende des 15. Jahrhunderts eine bestimmte Art von antiker Ornamentik entdeckt worden war. Deren zentrales Kennzeichen war eine Vermischung unterschiedlicher Sphären. So konnten an die Stelle von Säulen Blumenstängel treten, die manchmal mit Tier- oder Menschenköpfen versehen waren.

Als in der Renaissance Maler wie Raffael die neu entdeckten antiken Gestaltungsformen zu adaptieren begannen, wurden die entsprechenden Elemente der Gemälde als "sogni dei pittori" (Malerträume) bezeichnet (vgl. Kayser 1957: 14). Dies unterstrich den Bruch mit den konventionellen Deutungsmustern der Realität, der die neuen bildnerischen Elemente auszeichnete.

Darin, dass die Traumlogik hier der Alltagslogik gleichberechtigt an die Seite gestellt wurde, lag für die Zeitgenossen Raffaels wohl auch das Beunruhigende der neuen Malweise. Denn in dieser wurde dem Verdacht Ausdruck verliehen, dass die menschliche Wirklichkeitswahrnehmung nicht notwendig der Wahrheit entsprechen muss. Insofern war es wohl auch kein Zufall, dass die Malweise gerade in der Renaissance – die ja in vielerlei Hinsicht das bisherige Weltbild revidierte – auf fruchtbaren Boden fiel.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die von Luca Signorelli zwischen 1499 und 1504 am Dom zu Orvieto angebrachten Grotesken, bei denen die in sich verschlungene, ungeordnete Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt des unteren Bildteils im oberen Bildteil mit einer klaren, wohlgeordneten Welt kontrastiert wird. Beide Welten sind dabei allerdings nicht klar voneinander geschieden, sondern gehen in der Mitte ineinander über.

Das Groteske dient damit hier der Gestaltung eines bestimmten Aspekts der menschlichen Existenz, der sich auf die Teilhabe des Menschen an der Welt der Materie, seine Natur- und Triebhaftigkeit, bezieht. Dem wird im oberen Bildteil die hellere Welt des Geistes gegenübergestellt, an der die menschliche Existenz – wie der gleitende Übergang zwischen den beiden Bildteilen vor Augen führt – ebenfalls Anteil hat.

 

Das Groteske und das Erhabene

 

Aus dieser Vermischung der Sphären ergibt sich zugleich, dass dem Menschen in seinem subjektiven Erleben sowohl das "Oben" als auch das "Unten" zugänglich sind. Der Erfahrung des "Oben" entspricht dabei das "Sich-Erheben" über die eigene Verstrickung in das chaotisch erscheinende Brodeln der Materie.

Während dem "erhebenden" Gefühl die spezifischen Darstellungsweisen des Erhabenen korrespondieren, entsprechen der Erfahrung des "Unten" gerade Gestaltungsformen, die dem vollständigen Versinken im Chaos der Welt Ausdruck verleihen. An die Stelle der Empfindung größtmöglicher Klarheit tritt hier das Gefühl einer umfassenden Entgrenzung. Dem entspricht auf der Ebene der subjektiven Erfahrung der Rausch und auf der Ebene der künstlerischen Darstellung eine Gestaltungsform, bei der sich alles unterschiedslos miteinander vermengt, bei der die Grenzen der Dinge aufbrechen und ineinander übergehen. Eben dies wurde in der Renaissance auf den Namen "grottesca" getauft.

Das Erhabene und das Groteske lassen sich damit auch als anthropologische Konstanten verstehen, die sich als solche mit den religionsgeschichtlichen Begriffen des Apollinischen und des Dionysischen berühren.{12} Vor diesem Hintergrund lassen sich dann auch noch weitere Kunstformen und kulturelle Praktiken des späten Mittelalters dem Bereich des Grotesken zuordnen.

So lebten seinerzeit etwa im Karneval typische Elemente des dionysischen Kultes wieder auf.{13} Zu denken ist dabei nicht nur an Rausch und Maskerade, sondern vor allem auch an die vorübergehende Suspension oder Umkehrung der Alltagskonventionen. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür ist die Eselsmesse, bei der ein Esel an die Stelle des Geistlichen trat und die Gemeinde statt Gebeten und Gesängen nur Eselslaute von sich gab (vgl. Zacharias 1982: 70).

 

Karneval und Totentänze als "groteske" Praktiken

 

Noch enger sind die Affinitäten zur Groteske im Falle der danses macabres (Totentänze){14}, die im Gefolge der großen Pestepidemien (ab 1347) kreiert wurden. Die Vermischung sonst voneinander getrennter Daseinssphären wird hier dadurch auf die Spitze getrieben, dass der Tod nicht nur als lebende Gestalt in Erscheinung tritt, sondern dabei auch noch wilde, oft obszön wirkende Tanzsprünge vollführt. Seine Darstellung wird hier also gerade mit besonders intensiven Formen der Lebensäußerung verbunden.

Sowohl im Karneval als auch im Totentanz kam es damit zu einer Überschreitung der Grenzen des Gewohnten und Alltäglichen. Im Karneval stand dabei allerdings eher der Versuch im Vordergrund, für sonst unterdrückte Triebe bzw. Verhaltensweisen eine begrenzte Zeit lang ein Ventil zu öffnen. Zugleich wurden etwaige Unzufriedenheiten mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Lachen aufgelöst. So hatte der Karneval eine kathartische Wirkung und trug im Endeffekt gerade zu einer Stärkung der herkömmlichen Ordnung bei.

Demgegenüber überwog im danse macabre von Anfang an das Grauen. Nicht nur schien der Tod mit seinem Grinsen die Lebenden hier auszulachen. Mit seinen Tanzgebärden äffte er sie vielmehr auch nach und verspottete sie so gerade in ihrer Lebenslust. Diese Wirkung beruhte außer auf seinen Bewegungen auch auf der bloßen Vorstellung des tanzenden Todes. Diese führte auf sehr anschauliche Weise das Enthaltensein des Todes im Leben vor Augen und fasste so den Vanitas-Gedanken in einem einprägsamen Bild zusammen.

Dem spöttisch-hämischen Grinsen des Todes entsprach dabei die lachhafte Erscheinung derer, die in vollem Ornat, mit den Insignien ihrer Macht oder ihrem Goldschatz in der Hand vom Tod in sein Reich überführt wurden. In anderen Fällen – wie etwa in den Darstellungen von Mädchen in der Blüte ihrer Jahre, die in sehnsuchtsvoller Gebärde den wollüstig grinsenden Tod umarmen – stand stärker der Aspekt der  Vergänglichkeit irdischer Lüste im Vordergrund.

Die Totentänze hatten damit zwar einerseits die didaktische Funktion, die Zuschauer von der Notwendigkeit einer gottgefälligen Lebensführung zu überzeugen. Schließlich überraschte der Tod seine Opfer stets mitten im Leben und ließ ihnen somit keine Zeit, sich den Höllenstrafen durch eine rechtzeitige Buße zu entziehen.

Andererseits enthielten die danses macabres aber zugleich auch ein befreiendes, sozialkritisches Element. Dies ergab sich daraus, dass die Totentänze die Gleichheit aller Stände vor dem Tod besonders hervorhoben. Dabei führten sie zugleich die Lächerlichkeit derer vor Augen, die im Glauben an ihre gesellschaftliche Unentbehrlichkeit darauf zu vertrauen schienen, dass der Tod sie verschonen würde. Indem die Totentänze so ein Ventil für sozialen Unmut schufen, verhinderten sie freilich auch den offenen Ausbruch sozialer Unruhen und wirkten sich insofern ebenso stabilisierend auf die herrschende Ordnung aus wie der Karneval.

 

Das Makabre als Sonderform des Grotesken

 

Das Makabre lässt sich damit als Sonderform des Grotesken beschreiben, bei der das für dieses charakteristische Ineinanderfließen sonst voneinander getrennter Daseinssphären sich speziell auf die Vermischung von Leben und Tod bezieht.

Als das radikal Andere des Lebens ist der Tod allerdings selbst in besonderer Weise mit der Nachtseite des Ichs verbunden. So gesehen, stellt das Makabre letztlich nur eine extreme Variante des Eindringens des Anderen in den Alltag des Menschen dar. Die Bilder vom tanzenden Tod erinnern denn auch selbst an die Struktur von Träumen, in denen ja ebenfalls die Alltagslogik durch die frei assoziierende Logik der Phantasie ersetzt wird. Makabre und andere groteske Gestaltungsweisen treffen sich demzufolge auch in der spezifischen Mischung aus Erheiterung und Grauen, die entsprechende Kunstwerke auslösen können.

Die enge Verknüpfung beider Empfindungen resultiert zum einen aus der Tatsache, dass in der Groteske der illusionäre Charakter des menschlichen Glaubens, das eigene Leben in der Hand zu haben und selbst über es bestimmen zu können, als solcher entlarvt wird. Zum anderen vermitteln groteske Darstellungsweisen auch stets einen Eindruck von der trügerischen Struktur der menschlichen Wirklichkeitswahrnehmung. Sie nähren den Zweifel, dass die Wirklichkeit nicht so ist, wie wir sie sehen. Daraus ergibt sich unmittelbar das beunruhigende Gefühl, dass unserer Wahrnehmung zentrale Aspekte verborgen bleiben, die aus dieser Verborgenheit heraus unser Dasein (mit-)bestimmen.

 

Wechselbeziehungen und Differenzen zwischen dem Grotesken und dem Absurden

 

Für eine Herausarbeitung von Wechselbeziehungen und Differenzen zwischen dem Grotesken und dem Absurden müssen zunächst die verschiedenen Ebenen, auf denen beide diskutiert und analysiert werden können, voneinander abgegrenzt werden. Unterschieden werden kann dabei etwa zwischen

 

dem Grotesken bzw. dem Absurden als anthropologischen Grundkonstanten, d.h. als Ausdruck einer bestimmten Sichtweise des menschlichen Daseins und des dieser entsprechenden Empfindungsmodus;

der Frage nach den strukturellen Voraussetzungen für die Entstehung des Grotesken und des Absurden;

der konkreten Manifestation des Grotesken bzw. des Absurden auf der Ebene des Individuums und/oder der gesamtgesellschaftlichen Ebene;

der Frage nach den künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten des Grotesken und des Absurden.

 

Das Absurde als anthropologische Grundkonstante

 

Als anthropologische Grundkonstante bezeichnet das Absurde

 

a) das Faktum, dass der Mensch seine Existenz nur dann in einen metaphysischen Sinnzusammenhang zu stellen vermag, wenn er – im Sinne des "credo quia absurdum" ("Ich glaube daran, weil es absurd ist") – die seine rationalen Kapazitäten übersteigende Eigenart dieses Sinnzusammenhangs gerade als Bestätigung für dessen Vorhandensein ansieht;

b) die nie zum Ziel führende Suche nach einem allgemeinverbindlichen Sinn des menschlichen Daseins, sofern der Einzelne (mit Camus) den nach Kierkegaard hierfür notwendigen "Sprung in den Glauben" für sich ablehnt;

c) den Widerspruch zwischen dem sich selbst als immateriell – und in diesem Sinne "ewig" – wahrnehmenden menschlichen Bewusstsein und dessen materieller und damit vergänglicher Grundlage.

 

Als diese Aspekte des menschlichen Daseins zusammenfassende mythologische Denk-Bilder können neben dem von Camus genannten Sisyphos (vgl. Kap. 1) auch Prometheus und Tantalos angesehen werden.

Im Falle von Prometheus ist dies in der Strafe begründet, die die Götter ihm für sein anmaßendes Verhalten auferlegen. Als Überbringer des Feuers, dem Bild für Wissen und Erkenntnisfähigkeit, an die Menschen, möchte er sich selbst zum Demiurgen erheben und die Welt aus eigener Machtvollkommenheit neu erschaffen. Zur Strafe lassen die Götter ihn an einen Felsen schmieden, wo bis in alle Ewigkeit ein Adler an seiner Leber frisst.

Da die Leber in zahlreichen Mythologien als Sitz der Seele bzw. des menschlichen Geistes angesehen wird, fasst das Bild in prägnanter Weise die Grundkonstellation des menschlichen Daseins zusammen: Indem der Mensch sich seines Verstandes bedient, muss er zugleich die physische Grundlage seiner geistigen Kapazitäten (und damit deren Instabilität und Vergänglichkeit) erkennen.

---ENDE DER LESEPROBE---