Einführung in die Theorie der Erwachsenenbildung - Sigrid Nolda - E-Book

Einführung in die Theorie der Erwachsenenbildung E-Book

Sigrid Nolda

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Beschreibung

Diese Einführung enthält den aktuellen Kernbestand des erziehungswissenschaftlichen Wissens zur Erwachsenenbildung in verständlicher Form. Nach einer Erläuterung zentraler Begriffe wie Erwachsenenbildung, Weiterbildung, Lebenslanges Lernen werden historische Konzepte von Erwachsenenbildung vorgestellt und die für die aktuelle Diskussion wesentlichen Theorien und Ansätze (symbolischer Interaktionismus, Systemtheorie, Diskursanalyse, Theorien zur Risiko-, Wissens- und Lerngesellschaft) beschrieben. Es folgen die maßgeblichen Handlungsbereiche der Erwachsenenbildung, die zugleich die Forschungsfelder der Erwachsenenbildungswissenschaft darstellen: Adressaten und Teilnehmer; Lernen, Wissen und Kompetenzen Erwachsener; Institutionen und Lernorte sowie professionelles Handeln in der Erwachsenenbildung. Der Band schließt mit einem Ausblick auf traditionelle Paradoxien und aktuelle Tendenzen der Erwachsenenbildung.

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Seitenzahl: 292

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Grundwissen Erziehungswissenschaft

Die Reihe „Grundwissen Erziehungswissenschaft“ stellt Studierenden, Lehrenden und pädagogisch Interessierten den disziplinären Wissensbestand der Erziehungswissenschaft für Studium, Selbststudium und Lehre bereit. In klarer Orientierung am Kerncurriculum der Erziehungswissenschaft der DGfE bilden die Themen der Einzelbände zusammen, systematisch gegliedert, das theoretische Wissen, über das Studierende als Basis für ihr weiteres Studium verfügen sollten.

Die gut verständlichen Texte sind auf neuestem Stand der Forschung und wurden in Lehrveranstaltungen praktisch eingesetzt und gemeinsam mit Studierenden auf ihre Studientauglichkeit hin geprüft. Ein übersichtliches Layout mit leitenden Begriffen in der Randspalte erleichtert den Zugang. Jedes Kapitel enthält am Ende kommentierte Literaturhinweise sowie einen kurzen Überblick über das, was der Leser gelernt haben sollte.

Herausgeber:

Lothar Wigger, Universität Dortmund

Peter Vogel, Universität Dortmund

Sigrid Nolda

Einführung in die Theorieder Erwachsenenbildung

3. Auflage

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung inund Verarbeitung durch elektronische Systeme.

3., aktualisierte Auflage 2015© 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt1. Auflage 2008Die Herausgabe des Werkes wurde durchdie Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.Redaktion: Katharina Gerwens, MünchenEinbandgestaltung: schreiberVIS, BickenbachSatz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-26693-7

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-74054-3eBook (epub): 978-3-534-74055-0

Inhalt

Vorbemerkung

A Zugänge

1   Begriffserläuterungen

1.1   Von der „Volksbildung“ zur „Erwachsenenbildung“

1.2   Von der „Erwachsenenbildung“ zur „Weiterbildung“

1.3   Von der „Weiterbildung“ zum „Lebenslangen Lernen“

1.4   Erwachsenenbildung oder Weiterbildung?

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 1 gelesen haben

Einführende und grundlegende Literatur zur Erwachsenenbildung

B Historische Konzepte und aktuelle Theorien

2   Ziele von Erwachsenenbildung

2.1   Aufklärung als Mündigkeit

2.2   „Bildung für alle“

2.3   Bildung und Befreiung

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 2 gelesen haben

3   Begründungen für Erwachsenenbildung

3.1   Anpassung an Veränderungen

3.2   Kompensation von Defiziten

3.3   Antizipation von Zukunft

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 3 gelesen haben

Literatur zur Geschichte der Erwachsenenbildung

4   Deutungsanalytische Sichten auf Erwachsenenbildung

4.1   Der symbolische Interaktionismus

4.2   Symbolischer Interaktionismus in der Erwachsenenbildung

4.3   Systemisch-konstruktivistische Ansätze

4.4   Verwendung der Ansätze in der Erwachsenenbildung

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 4 gelesen haben

5   Modernisierungstheoretische Sichten auf Erwachsenenbildung

5.1   Risikogesellschaft und reflexive Modernisierung

5.2   Individualisierung und Pluralisierung

5.3   Risikogesellschaft und Erwachsenenbildung

5.4   Theorie(n) der Wissensgesellschaft

5.5   Wissensgesellschaft und Erwachsenenbildung

5.6   Die „learning society“

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 5 gelesen haben

6   Systemtheoretische Sichten auf Erwachsenenbildung

6.1   Grundbegriffe der soziologischen Systemtheorie

6.2   Frühe Rezeption der Systemtheorie in der Erwachsenenbildung

6.3   Spätere Rezeption der Systemtheorie in der Erwachsenenbildung

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 6 gelesen haben

7   Diskursanalytische und machttheoretische Sichten auf Erwachsenenbildung

7.1   Diskurs und Wirklichkeit

7.2   Theorie und Praxis der Diskursanalyse

7.3   Weiterbildung als gouvernementale Machtpraktik

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 7 gelesen haben

Literatur zur Theoriediskussion der Erwachsenenbildung

C Forschungsfelder und Handlungsbereiche

8   Adressaten und Teilnehmer

8.1   Erwachsene: Versuche der Bestimmung und Einteilung

8.2   Adressaten von Erwachsenenbildung

8.3   Teilnehmer an Veranstaltungen der Erwachsenenbildung

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 8 gelesen haben

9   Das Lernen Erwachsener

9.1   Allgemeine Bestimmung von Lernen

9.2   Psychologie des Lernens Erwachsener

9.3   Erwachsenenpädagogische Konzepte zum Lernen Erwachsener

9.4   Lernstile und Lernformen

9.5   Lernen in modernen Gesellschaften und Organisationen

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 9 gelesen haben

10 Wissen und Kompetenzen Erwachsener

10.1 Bildungs- und Anwendungswissen

10.2 Alltagsweltliches und wissenschaftliches Wissen

10.3 Vom deklarativen zum prozeduralen Wissen

10.4 Kompetenzen und Kompetenzentwicklung

10.5 Umgang mit NichtWissen und Ungewissheit

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 10 gelesen haben

11 Institutionen, Organisationen und Lernorte der Erwachsenenbildung

11.1 Institutionelle Gliederungen der Erwachsenenbildung

11.2 Institution und Organisation

11.3 Institutionen der impliziten Erwachsenenbildung, reale und virtuelle Lernorte

11.4 Geographische Lernorte

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 11 gelesen haben

12 Berufliches Handeln in der Erwachsenenbildung

12.1 Berufsrollen und Beschäftigungsverhältnisse

12.2 Von der Profession zum professionellen Handeln

12.3 Kernaufgaben beruflichen Handelns in der Erwachsenenbildung

12.4 Forschungen zum professionellen Handeln in der Erwachsenenbildung

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 12 gelesen haben:

Literatur zur Erwachsenenbildungsforschung

D Ausblick

13 Traditionelle Paradoxien und aktuelle Tendenzen

13.1 Offizielle Zustimmung und reale Hintanstellung

13.2 (Allgemein-)Bildung und Berufsbildung

13.3 Institutionalisierung und Entgrenzung der Erwachsenenbildung

13.4 Selbstreflexivität, Bewertung und Beratung

Englische Originalversionen übersetzter Texte und Abbildungen

Literaturverzeichnis

Personenregister

Sachregister

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Inhaltsverzeichnis

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Informationen zur Autorin

Impressum

Vorbemerkung

Die vorliegende Einführung wendet sich an Studierende der Erziehungswissenschaft. Ziel ist es, einen ersten Überblick über die wesentlichen Fragen und Themen der Erwachsenenbildung zu geben, der auch die historische Entwicklung berücksichtigt. Es geht nicht um die Theorie der Erwachsenenbildung oder um eine Auswahl von Theorien der Erwachsenenbildung, sondern um eine Darstellung dessen, was aus erziehungswissenschaftlicher Sicht diesem Bereich angehört und was zu einer Theorie der Erwachsenenbildung führen könnte. In diesem Sinn soll in die Theorie, nicht in die Praxis der Erwachsenenbildung eingeführt werden.

Das Buch ist – konsequenter als andere Einführungen – um Verständlichkeit und um Neutralität gegenüber den verschiedenen Richtungen und Ansätzen bemüht. Besonderer Wert wird auf die Einbeziehung der internationalen, in der Regel englischsprachigen Literatur gelegt. Übernahmen aus dem Englischen werden im Text in deutscher Übersetzung und in einem Anhang im Original zur Verfügung gestellt. Die zahlreichen Zitate sollen die unterschiedlichen Autoren und Positionen selbst zu Wort kommen lassen, um den Lesern die Diskussion gegensätzlicher Standpunkte und die Bildung einer eigenen Meinung zu ermöglichen.

Anordnung, Auswahl und Akzentuierung der behandelten Themen sind das Ergebnis von pragmatischen Entscheidungen, die nicht zuletzt durch den vorgegebenen Umfang nötig waren. Verwandte Themen werden durch Querverweise miteinander in Beziehung gesetzt. Zum gezielten Auffinden von Themen, Autoren und Publikationen soll der im Anhang enthaltene Sach- und Personenindex sowie eine alphabetisch angeordnete Literaturliste dienen. Themenbezogene Literaturhinweise finden sich nach Kapitel 1 („Einführende und grundlegende Literatur zur Erwachsenenbildung, deutsch- und englischsprachig“), nach Kapitel 3 („Literatur zur Geschichte der Erwachsenenbildung“), nach Kapitel 7 („Literatur zur Theoriediskussion der Erwachsenenbildung) und nach Kapitel 12 („Literatur zur Erwachsenenbildungsforschung“). Da die Buchtitel aussagekräftig genug sind, wird auf eine Kommentierung der Literatur verzichtet.

A zugänge

1   Begriffserläuterungen

Über Erwachsenenbildung wird in unterschiedlichen Zusammenhängen gesprochen und geschrieben, ohne dass der Begriff als solcher auftaucht. Für das Lehren und Lernen Erwachsener werden nicht nur unterschiedliche Bezeichnungen verwendet, diese werden zudem nur selten definiert und deutlich voneinander abgegrenzt. Man kann zwar eine historische Entwicklung nachzeichnen, muss aber dabei erkennen, dass nicht immer ein älterer durch einen neueren Begriff abgelöst wird, sondern dass verschiedene Begriffe gleichzeitig nebeneinander benutzt werden. Trotzdem ist eine historische Betrachtung sinnvoll, weil nur diese die Ideen erkennen lässt, die mit den Begriffen ursprünglich verbunden waren und die sich selbst in ihren ironischen Verwendungen niederschlagen. Die Kenntnis der dahinterstehenden Ideen erlaubt es zudem, die Entscheidung für bzw. gegen die Wahl eines der in Frage kommenden Begriffe zu begründen.

1.1   Von der „Volksbildung“ zur „Erwachsenenbildung“

Volksbildung

Das, was wir heute Erwachsenenbildung nennen, wurde vor allem im 19. Jahrhundert unter den Begriff der Volksbildung gefasst. Der Begriff war zunächst gleichermaßen auf das Kinder-, Jugend- und Erwachsenenalter bezogen. Erst mit der Etablierung von altersspezifischen Bildungsinstitutionen wurde die erwachsene Bevölkerung zum alleinigen Objekt der Volksbildung (vgl. SEITTER 2001a). Erkennbar ist dies an Bezeichnungen wie Volksbibliotheken, Volksbildungsvereine und den auch heute noch so genannten Volkshochschulen. Der Begriff „Volksbildung“, in der DDR noch als Bezeichnung für ein entsprechendes Ministerium verwendet, ist inzwischen weitgehend verschwunden, und die ihm verwandten Wörter wie „Volkspädagogik“ bzw. „volkspädagogisch“ werden – wenn überhaupt – nur in distanzierender Absicht gebraucht (s. Kap. 13.1).

Erwachsenenbildung

In der Zeit der Weimarer Republik begann sich der Begriff „Erwachsenenbildung“ durchzusetzen, der zunächst gleichwertig neben dem der Volksbildung verwendet wurde, der aber nach dem Zweiten Weltkrieg den der Volksbildung ersetzen sollte. Mit dem Begriff der Erwachsenenbildung sollte der einzelne Erwachsene mit seinen subjektiven und objektiven Bildungsbedürfnissen im Mittelpunkt stehen. Ein Zentraldokument bildet in dieser Hinsicht das Gutachten „Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung“ des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus dem Jahr 1960. Dort heißt es:

Gutachten des Deutschen Ausschusses

„Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln.“ (DEUTSCHER AUSSCHUSS 1960, S. 20)

Mit dieser Definition grenzt sich das Gutachten einerseits von Vorstellungen ab, die Bildung als festen, auf das Individuum bezogenen Besitz sehen, und wendet sich andererseits gegen Konzepte, die das Kollektiv an die erste Stelle setzen oder die Unüberwindbarkeit sozialer Unterschiede betonen. Mit der Figur des Erwachsenen (s. Kap. 8.1) ist eine Grenze gegenüber der Pädagogik als einer auf das Kind gerichteten Erziehungsaktivität gezogen, mit der Betonung von Bildung, an anderer Stelle definiert als „Entschlossenheit, nach neuen Formen der Erkenntnis und der Lebensgestaltung zu suchen“ (a.a.O., S. 16), wird der Aspekt der beruflichen Qualifizierung in den Hintergrund gerückt.

1.2   Von der „Erwachsenenbildung“ zur „Weiterbildung“

Die „realistische Wende“

In der Folgezeit hat sich im Zusammenhang mit der sogenannten „realistischen Wende“ ein Verständnis von Erwachsenenbildung durchgesetzt, das sich von der Vormachtstellung allgemeinbildenden Wissens ab- und praktisch verwertbaren Kenntnissen zuwandte. Der Begriff „Weiterbildung“ schien passender, um – zusammen mit der Idee des Fortschreitens und Aufsteigens – die Verbindung mit bereits erworbenen Kenntnissen zu verdeutlichen. Beispielhaft ist hier der „Strukturplan für das Bildungswesen“ des Deutschen Bildungsrats aus dem Jahr 1970. Ausgehend von der Vorstellung einer Verbindung zwischen den Bildungsphasen in der Kindheit und Jugend einerseits und im Erwachsenenalter andererseits wurde Weiterbildung „als Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase bestimmt“ (DEUTSCHER BILDUNGSRAT 1970, S. 197).

„Strukturplan Weiterbildung“

Der Strukturplan legte dar, dass der „Auf- und Ausbau eines Weiterbildungssystems zu einem Hauptbereich des Bildungswesens als öffentliche Aufgabe“ anzustreben sei. Auf dieser Basis wurde von einem Arbeitskreis von Erwachsenenbildnern ein „Strukturplan Weiterbildung“ ausgearbeitet, in dem die realen Voraussetzungen und erforderlichen Schritte für die Schaffung eines flächendeckenden öffentlichen Weiterbildungssystems in der Bundesrepublik beschrieben wurden. Dabei wurde empfohlen, das vorhandene System der öffentlichen Volkshochschulen als Basis zu nutzen – die Volkshochschulen, die sich bis zu dieser Zeit in ihren Verlautbarungen eher der allgemeinen Bildung verschrieben hatten, de facto aber immer beruflich verwertbare Bildungsangebote gemacht hatten, bekannten sich damit auch offiziell zur stärker berufsorientierten Weiterbildung. Allerdings wurde der politische Anspruch, auch bildungsferne Bevölkerungsgruppen zu erreichen und diesen die Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft zu ermöglichen (s. Kap. 2.2), nicht aufgegeben. Im Grunde ging es um die Anerkennung eines bisher vernachlässigten Bildungsbereichs und um die Behebung von ‚Versorgungsdefiziten‘:

„Die bisherige Entwicklung hat […] mit einer gewissen historischen Zwangsläufigkeit schwerwiegende Defizite bei der Versorgung der Bevölkerung entstehen lassen: soziale Defizite, regionale Defizite und curriculare Defizite. Mit sozialen Defiziten meinen wir die oft nachgewiesene Tatsache, daß große Teile der Bevölkerung in der Weiterbildung unterrepräsentiert sind, wie die Arbeiterschaft und andere Gruppen, deren Vorbildung und berufliche Qualifikation gering und deren Grad sonstiger Partizipation niedrig ist. Die regionalen Defizite werden deutlich, wenn man die außerordentliche Beschränktheit der Weiterbildungsmöglichkeiten in vielen Regionen, besonders in abgelegenen Landgebieten betrachtet. Und die curricularen Defizite, die sich auf das inhaltliche Angebot beziehen, stellen sich zur Zeit besonders in der Notwendigkeit dar, politische Bildung mit der Existenznähe beruflicher Qualifizierungen zu vermitteln, weiterhin in dem dringenden Gebot, ein differenziertes Programm bundeseinheitlicher Kurse nach dem Baukastenprinzip auszubauen und abzusichern, sowie in dem Fehlen wichtiger Sachgebiete, die, wie viele technische Fächer mit apparativen Voraussetzungen, bisher vernachlässigt werden mussten.“ (ARBEITSKREIS STRUKTURPLAN 1975, S. 8)

Verbreitung des Begriffs Weiterbilding

Beide Ziele – die öffentliche Anerkennung der Bildungsarbeit mit Erwachsenen und der Ausbau des Bildungssystems – schienen mit dem Begriff „Weiterbildung“ leichter erreichbar zu sein. Tatsächlich hat sich dieser Begriff in der politischen und öffentlichen Diskussion durchgesetzt; er wird aber auch in der Wissenschaft verwendet – auch wenn unter Weiterbildung meist funktionales Weiterlernen, unter Erwachsenenbildung dagegen eher personenbezogenes Lernen verstanden wird (vgl. TIETGENS 2003, S. 61).

1.3   Von der „Weiterbildung“ zum „Lebenslangen Lernen“

Politische Bedeutung des Lebenslangen Lernens

Das Konzept des „Lebenslangen Lernens“ („Lifelong Learning“) erlangte nach einigen weniger beachteten Vorstößen in den 1960er Jahren politische Bedeutung und wurde dann wieder in den 1990er Jahren zu einem allseits verwendeten Begriff. Eine wesentliche Rolle haben dabei die politischen Organisationen UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization), OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) und der Europarat eingenommen. Diese Diskussion wurde in den englischsprachigen Ländern und in Europa intensiver geführt als in (West-) Deutschland, wo sich Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung eher mit dem Begriffspaar ‚Erwachsenenbildung – Weiterbildung‘ auseinandersetzten. Im Unterschied zu diesen beiden Begriffen bedeutet Lebenslanges Lernen aber – wie der Name schon sagt – ein Lernen über die gesamte Lebenszeit, schließt also auch die Kinder- und Jugendphase mit ein. In den frühen Lebensphasen soll der Grundstock für ein das Leben begleitendes Lernen gelegt werden, und zwar weniger durch die Vermittlung eines Kanons an Grundwissen, sondern durch das Erarbeiten von Grundfähigkeiten und -einstellungen, wozu vor allem die Fähigkeit zum und das Interesse am Lernen gehören.

„Recurrent education“ und „lifelong education“

Bevor sich der Begriff des „Lifelong Learning“ durchgesetzt hatte, wurde von „recurrent education“, dann von „lifelong education“ gesprochen. Als recurrent education wurde, speziell von der OECD, der Prozess einer über das Leben verteilten diskontinuierlichen Wahrnehmung von Bildungsangeboten verstanden. Absicht war es, ein Bildungssystem zu schaffen, das Ausbildung und Praxis im periodischen Wechsel und damit die wiederholte Aufnahme aktuellen Wissens ermöglicht und sich vom traditionellen Modell einer Vorratsbildung abgrenzt (vgl. KNOLL/KÜNZEL 1981, S. 240f.).

In den 1970er Jahren war international von ‚lifelong education‘ die Rede, die im Gegensatz zur eher berufsbezogenen recurrent education deutlicher auf allgemeine Bildung bezogen war. Mittlerweile ist der Aspekt des Lernens in den Vordergrund getreten, der sich auch auf selbstorganisierte Lernaktivitäten bezieht, die zu Hause, bei der Arbeit oder in der unmittelbaren Lebensumgebung stattfinden können. Während recurrent education von Unterbrechungen des Berufs durch das Lernen und umgekehrt ausgeht, zielt die Vorstellung des Lifelong Learning auf ein ununterbrochenes Lernen, das von unterschiedlichen, auch unterschiedlich verbindlichen Lernformen in unterschiedlichen Umgebungen geprägt ist (vgl. HASAN 1996).

Der Faure-Report

Als wesentliches Dokument der UNESCO gilt der nach dem damaligen französischen Unterrichts- bzw. Bildungsminister genannte FAURE-Report, der Anfang der 1970er Jahre unter dem Titel „Wie wir leben lernen“ erschien. Der Bericht geht davon aus, dass Bildung, die die volle Entfaltung des Menschen zum Ziel hat, nur global und permanent sein kann und einen wesentlichen Motor der Demokratisierung darstellt (vgl. FAURE u.a. 1973, S. 21ff.). Angestrebt wird hier eine Veränderung der gegenwärtigen Gesellschaft zur sogenannten ‚Lerngesellschaft‘ (s. Kap. 5.6), die dann verwirklicht sei, wenn „das Lernen sich sowohl durch seine Dauer als auch durch seine Vielschichtigkeit auf das ganze Leben ausweitet und Sache der ganzen Gesellschaft und ihrer erzieherischen, sozialen und wirtschaftlichen Mittel“ (a.a.O., S. 42) ist. Eingeschränkt wird die Bedeutung von Bildungsinstitutionen, indem betont wird, dass informelles Lernen (s. Kap. 9.4) den Großteil allen menschlichen Lernens umfasst. Der FAURE-Report hat damit nicht-institutionelles Lernen zu einer Zeit fokussiert, als die deutsche Diskussion vor allem um den Ausbau von Erwachsenenbildungseinrichtungen kreiste. Als Kernsatz aus dem FAURE-Report kann deshalb die folgende Erklärung gelten:

„Bildung muß auf vielfältige Weise erworben werden können; wichtig ist dabei nicht, welchen Weg das Individuum gewählt, sondern was es gelernt hat.“ (a.a.O., S. 251)

Das Konzept relativierte die Bedeutung der traditionellen, in der ersten Zeit des Lebens stattfindenden institutionellen Bildung und betonte die Bedeutung des Lernens über die gesamte Lebenszeit des Menschen – gleichgültig, ob dieses in institutionellen oder außerinstitutionellen settings stattfindet. Es enthält somit neben der vertikalen (lifelong) auch eine horizontale (lifewide) Dimension und strebt eine Integration auf beiden Ebenen an (vgl. Abb. 1–1, S. 14).

„Memorandum über lebenslanges Lernen“

In der Folgezeit wurde dieser Ansatz stärker auf beruflich zu verwertendes Wissens bezogen, ohne die ursprüngliche Intention ganz aufzugeben. Von den zahlreichen neueren Dokumenten zum Lebenslangen Lernen internationaler Organisationen kann exemplarisch das im Jahr 2000 veröffentlichte „Memorandum über lebenslanges Lernen“ der Europäischen Union angeführt werden. Auf der Basis der Einschätzung, dass so genannte wissensbasierte Gesellschaften (s. Kap. 5.4) nur unter der Bedingung des Lebenslangen Lernens überleben können, nennt das Memorandum zwei Ziele, die zur Durchsetzung dieses Prinzips führen sollen: die Förderung der aktiven Staatsbürgerschaft und die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit:

Abb. 1–1: Vertikale und horizontale Dimension des Lebenslangen Lernens (eigene Darstellung)

„Bei der aktiven Staatsbürgerschaft geht es darum, ob und wie die Menschen in allen Bereichen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens teilhaben, es geht um die damit verbundenen Chancen und Risiken, und um die Frage, inwieweit sie das Gefühl entwickeln, zu der Gesellschaft, in der sie leben, dazuzugehören und ein Mitspracherecht zu haben. Für die meisten Menschen gilt, dass während eines großen Teils ihres Lebens die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ein wesentlicher Garant für Unabhängigkeit, Selbstachtung und Wohlergehen und damit auch für allgemeine Lebensqualität ist. Beschäftigungsfähigkeit – also die Fähigkeit, eine Beschäftigung zu finden und in Beschäftigung zu bleiben – ist nicht nur eine zentrale Dimension der aktiven Staatsbürgerschaft, sondern auch eine entscheidende Voraussetzung für Vollbeschäftigung, für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas und für die Gewährleistung von Wohlstand in der ‚Neuen Wirtschaft‘. Sowohl Beschäftigungsfähigkeit als auch aktive Staatsbürgerschaft setzen voraus, dass man über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die auf dem neuesten Stand sind und die es ermöglichen, am wirtschaftlichen und sozialen Leben teilzuhaben und einen Beitrag zu leisten.“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2000, S. 6)

Lebenslanges bzw. lebensbreites (REISCHMANN 2004, S. 92f.) oder lebensbegleitendes Lernen (vgl. BRÖDEL/KREIMEYER 2004) ist ein alle Alterstufen, Bildungsinstitutionen und Lernformen umgreifendes bildungspolitisches Konzept, das erst allmählich auch zum Thema wissenschaftlicher Auseinandersetzungen wird. In Deutschland wird es am ehesten von Vertretern der Erwachsenenbildungswissenschaft aufgenommen, während die Schulpädagogik und Hochschuldidaktik vergleichsweise verhalten reagieren (vgl. KRAUS 2001).

Lebenslanges Lernen als Verschulung

Von Anfang an haben sich aber auch kritische Positionen Gehör verschaffen können: 1976 ist im gleichen Verlag, in dem 1973 der Faure-Bericht „Wie wir leben lernen“ erschienen ist, ein Buch veröffentlicht worden, das gegen eine „lebenslängliche Verschulung“ mit dem Ziel, „die Menschen wirksamer in die Klassenstruktur einzupassen, was für eine zentralisierte, effektive industrielle Produktion unvermeidlich ist“ (DAUBER/VERNE 1976, S. 7) Position bezieht. Im sogenannten „Manifest von Cuernavaca“ werden deshalb Prüfungen und professionelle Lehrer abgelehnt, und es wird vielmehr der Wert eines herrschaftsfreien bzw. -kritischen, selbstorganisierten und praxisrelevanten Lernens betont:

„Darum schlagen wir vor:a) Es ist wichtiger, bestehendes Wissen für jedermann zugänglich zu machen, als weiteres Expertenwissen anzuhäufen.b) Experten, wie zum Beispiel Lehrer, Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Wissenschaftler, Architekten u.a., sollen verpflichtet sein, andere an ihren Fähigkeiten, ihrer Fachkenntnis und ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Dies bedeutet einen Verzicht auf ihr professionelles Monopol.c) Arbeitnehmern muß am Arbeitsplatz selbst Zeit zur Verfügung stehen, dessen Bedingungen zu erforschen und daran zu lernen, um dadurch fähig zu werden, die Arbeitsorganisation und ihren Arbeitsplatz kontinuierlich nach ihren Bedürfnissen neu zu gestalten.d) Noten, Zeugnisse und Prüfungen sind abzuschaffen. Es soll gesetzlich verboten sein, schulische Abschlußzeugnisse oder irgendeine Form von Persönlichkeitstests zur Voraussetzung dafür zu machen, einen Beruf ergreifen zu können. Die Fähigkeit einer Person, einen Beruf qualifiziert auszuüben, soll von den Mitarbeitern am Arbeitsplatz oder den Klienten beurteilt werden.e) Individuen und Gruppen sollen ermutigt werden, in ihren Gemeinden Werkstattseminare zu entwickeln und Gemeinschaftszentren aufzubauen, die jedermann offenstehen, die durch ihre Benutzer kontrolliert werden, in denen Lernen und Tun verbunden ist, um kritische Analyse und Selbstvertrauen zu fördern.f) Der freie Zugang zu Massenmedien und die Kontrolle über sie muß dadurch gesichert werden, daß ihre Komplexität vereinfacht und die Zahl der zur Verfügung stehenden Einrichtungen vermehrt wird.g) Jedermann soll, ohne Rücksicht auf Ausbildung oder Berechtigungsnachweis, das Recht haben, seine Erfahrung, sein Wissen oder seine Fähigkeiten mit anderen zu teilen. Darum wenden wir uns gegen jede Professionalisierung der Erwachsenenerzieher.“ (a.a.O., S. 18)

Lebenslanges Lernen als soziale Kontrolle

Mit den Veränderungen des Konzepts – von der lifelong education zum lifelong learning und mit der Anerkennung auch informellen und selbstgesteuerten Lernens – hat sich auch die Kritik an diesem Konzept gewandelt. Vor allem wird die Vagheit des Konzepts angegriffen, das sich nicht nur auf verschiedene Bereiche wie die des beruflichen und nicht-beruflichen Lernens bezieht, sondern auch unterschiedlichen, wenn nicht sogar gegensätzlichen Zwecken und dabei vor allem der sozialen Kontrolle dienen kann (vgl. COFFIELD 1999, S. 487f.). Speziell aus machttheoretischer Sicht (s. Kap. 7.3) werden die Kontrolle über bisher nichtöffentliche Bereiche wie informelles Lernen und die Steuerung durch Selbststeuerungsaufforderungen kritisch dargestellt, und es wird befürchtet, dass mit der Durchsetzung des Konzepts lernungewohnte Menschen benachteiligt werden und die Bedeutung von Bildungsinstitutionen abnimmt:

„Tatsächlich geht es beim Lebenslangen Lernen um einen gigantischen Umerziehungsprozess der Bevölkerung. Sie soll lernen, eigenaktiv zu lernen. Lebenslanges Lernen stellt sich als ehrgeiziges Metabildungsprogramm heraus, in dem es darum geht, die Bevölkerung moderner industrialisierter Gesellschaften auf eine Bildungseinstellung zu verpflichten, in der sie sich das bisher von Bildungsinstitutionen Vermittelte jenseits dieser Institutionen ‚selbst‘ aneignet.“ (FORNECK 2001)

1.4   Erwachsenenbildung oder Weiterbildung?

Bildung vs. Qualifizierung und Erziehung

Wenn Volksbildung politisch diskreditiert und national verengt, Lebenslanges Lernen auf die gesamte Lebensspanne und damit eben auch auf Kinderund Jugendbildung bezogen ist, dann bleibt die Frage, ob man besser von Erwachsenenbildung oder von Weiterbildung sprechen sollte. Obwohl das Ziel beruflicher Weiterbildung bekanntlich auch, wenn nicht in erster Linie, Qualifizierung ist, hat sich der Begriff „Erwachsenenqualifizierung“, der in der DDR geläufig war, nicht durchsetzen können. Daran ist erkennbar, dass die Akteure in diesem Feld – Theoretiker ebenso wie Praktiker – offensichtlich den Anspruch haben, Erwachsene als allgemein entwicklungsfähige Personen anzusprechen und ihnen mehr als nur eine äußerliche Anpassung an berufliche Notwendigkeiten zu ermöglichen. Auch der Begriff Erziehung, der ein Erzieher-Zögling-Verhältnis beinhaltet, wird traditionell in Bezug auf Erwachsene so gut wie nicht benutzt. Der englische Begriff „education“, der sowohl Erziehung als auch Bildung umfasst, konnte dagegen als „adult education“ problemlos auf Erwachsene angewandt werden. Er entspricht dem deutschen Begriff der Erwachsenenbildung, so wie „continuing education“ dem deutschen Begriff der Weiterbildung entspricht.

Allgemeinbildung und Berufsbezug

Die Diskussion konzentriert sich also auf die Begriffe Erwachsenenbildung und Weiterbildung. Einerseits liegt es nahe, sich – zum besseren allgemeinen Verständnis oder zur politischen Durchsetzung von Vorhaben – des in der Öffentlichkeit verbreiteten Begriffs Weiterbildung zu bedienen. Andererseits ist mit dem Begriff Weiterbildung häufig eine Eingrenzung auf die Vermittlung und Aneignung unmittelbar berufsrelevanten Wissens verbunden, so dass eine davon unabhängige Vertiefung von Wissen oder ein In-Frage-Stellen von Einstellungen damit meist nicht assoziiert werden. Erwachsenenbildung aber umfasst beide Aspekte – den allgemeinbildenden und den anwendungsbezogenen. Hinzu kommt, dass beide Ausrichtungen nicht immer eindeutig voneinander abgegrenzt werden können (vgl. SCHIERSMANN 2007b, S. 24): Das Erlernen von Fremdsprachen in organisierten Kursen beispielsweise kann sowohl für den Erwerbs- wie für den Privatbereich sinnvoll sein.

Institutionelle und nicht-institutionelle Formen

Dies würde dafür sprechen, den Begriff Erwachsenenbildung als Oberbegriff zu verwenden, der nicht nur allgemeine Erwachsenenbildung und berufliche Weiterbildung, sondern auch institutionelle und institutionsunabhängige Formen (vgl. Abb. 1–2) umfasst. Erwachsenenbildung bezieht sich damit auf das institutionell organisierte und das nicht-organisierte Lehren und Lernen Erwachsener, das berufsbezogene Qualifizierung ebenso wie allgemeine Bildung betrifft.

Abb. 1–2: Erwachsenenbildung als Oberbegriff (nach: WEINBERG 2000, S. 39)

Erwachsenenbildung als Disziplin

Erwachsenenbildung bezeichnet aber nicht nur das Feld der praktischen Anwendung, sondern auch die – relativ junge – wissenschaftliche Disziplin gleichen Namens. In Deutschland gibt es seit den 1970er Jahren Lehrstühle für diesen Bildungsbereich, in England seit den 20er und in Schweden erst seit den 80er Jahren. Obwohl auch hier keine einheitliche Bezeichnung festgestellt werden kann, führen die meisten deutschen Lehrstühle (noch) die Bezeichnung Erwachsenenbildung. Dementsprechend trägt die für diesen Bereich zuständige Kommission bei der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften den Namen „Kommission Erwachsenenbildung“, und das führende außeruniversitäre Institut heißt „Deutsches Institut für Erwachsenenbildung“. Einige Einführungen in das Fach benutzen den Begriff Erwachsenenbildung, andere den Begriff Weiterbildung und manche führen beide Bezeichnungen im Titel. Um Abweichungen von der zitierten Literatur möglichst gering zu halten, werden deshalb auch in der vorliegenden Einführung beide Begriffe gelegentlich synonym verwendet.

Was Sie wissen sollten, wenn Sie Kapitel 1 gelesen haben:

– Sie sollten die Begriffe Erwachsenenbildung und Weiterbildung in ihrer historischen Entstehung erläutern können.

– Sie sollten die Entwicklung des Konzepts des Lebenslangen Lernens und die darauf bezogene Kritik nachzeichnen können.

– Sie sollten Argumente anführen können, die für und solche, die gegen die Verwendung des Begriffs „Erwachsenenbildung“ sprechen.

Einführende und grundlegende Literatur zur Erwachsenenbildung

Deutschsprachige Literatur:

ARNOLD, ROLF (52006): Erwachsenenbildung. Eine Einführung in Grundlagen, Probleme und Perspektiven. Hohengehren. Erstauflage: 1988.

ARNOLD, ROLF/PÄTZOLD, HENNING (2008): Bausteine zur Erwachsenenbildung. Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung. Hohengehren.

ARNOLD, ROLF/NOLDA, SIGRID/NUISSL, EKKEHARD (Hrsg.) (22010): Wörterbuch der Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn.

DINKELAKER, JÖRG/HIPPEL, AIGAVON (Hrsg.) (2014): Erwachsenenbildung in Grundbegriffen. Stuttgart.

FAULSTICH, PETER/ZEUNER, CHRISTINE (32008): Erwachsenenbildung. Eine handlungsorientierte Einführung in Theorie, Didaktik und Adressaten. Weinheim. Erstauflage 2002.

FAULSTICH, PETER/ZEUNER, CHRISTINE (2010): Bachelor/Master: Erwachsenenbildung. Weinheim.

FORNECK, HERMANN J./WRANA, DANIEL (2005): Ein parzelliertes Feld. Eine Einführung in die Erwachsenenbildung. Bielefeld.

FUHR, THOMAS/GONON, PHILIPP/HOF, CHRISTIANE (Hrsg.) (2010): Erwachsenenbildung – Weiterbildung. Handbuch der Erziehungswissenschaft 4. Stuttgart.

HOF, CHRISTIANE (2009): Lebenslanges Lernen. Eine Einführung. Stuttgart.

KADE, JOCHEN/NITTEL, DIETER/SEITTER, WOLFGANG (22007): Einführung in die Erwachsenenbildung, Weiterbildung. Stuttgart. Erstauflage 1999.

NUISSL, EKKEHARD (2000): Einführung in die Weiterbildung: Zugänge, Probleme und Handlungsfelder. Neuwied.

TIETGENS, HANS (1981): Die Erwachsenenbildung. München.

TIPPELT, RUDOLF/HIPPEL, AIGA VON (Hrsg.) (52011): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Wiesbaden. Erstauflage: 1994.

WEINBERG, JOHANNES (2000): Einführung in das Studium der Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn. überarb. Neuaufl.

WITTPOTH, JÜRGEN (42013): Einführung in die Erwachsenenbildung. Opladen. Erstauflage: 2003.

 

Englischsprachige Literatur:

ENGLISH, LEONA M. (Hrsg.) (2005): International Encyclopedia of Adult Education. New York.

FIELD, JOHN: Lifelong Learning. Education Across the Lifespan. London 2013.

JARVIS, PETER (2010): Adult and Continuing Education: Theory and Practice. London.

JARVIS, PETER (2002): International Dictionary of Adult and Continuing Education. London.

KÄPPLINGER, BERND/ROBAK, STEFFI (Hrsg.) (2014): Changing Configurations in Adult Education in Transitional Times. International Perspectives in Different Countries. Frankfurt/M.

KNOWLES, MALCOLM S. (1980): The Modern Practice of Adult Education: From Pedagogy to Andragogy. New York.

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B Historische Konzepte und aktuelle Theorien

Anders als Kinder- und Jugendbildung scheint Erwachsenenbildung der Rechtfertigung zu bedürfen. Die Geschichte der Erwachsenenbildung ist deshalb eng mit der Geschichte von Konzepten verbunden, die Ziele und Begründungen von Erwachsenenbildung beschreiben. Diese Konzepte sind normativ, geben also vor, wie bzw. was Erwachsenenbildung sein soll. In den Kapiteln 2 und 3 werden solche Konzepte von Erwachsenenbildung skizziert, auf die mit unterschiedlichen Akzentuierungen bis heute zurückgegriffen wird. In den Kapiteln 4 bis 7 geht es nicht um Rechtfertigungen, sondern um Wege, grundlegende Phänomene und Prozesse zu verstehen. Dabei wurden Theorien herangezogen, die außerhalb der Erwachsenenbildung entwickelt wurden, dann aber auf spezielle Probleme der Erwachsenenbildung angewendet worden sind.

2   Ziele von Erwachsenenbildung

2.1   Aufklärung als Mündigkeit

Freiheit und Vernunft

Mit der Aufklärung etablierte sich im 18. Jahrhundert ein neues Selbstverständnis des Menschen, in dem die fortgesetzte Auseinandersetzung mit der Welt einen zentralen Platz einnahm. Traditionelle Bindungen verloren an Bedeutung; politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel erforderte den Erwerb neuen Wissens und neuer Formen der Kommunikation. Während die christliche Religion ein gottgefälliges Leben verlangte und Erlösung im Jenseits versprach, waren die Anstrengungen der Aufklärer auf die positive Gestaltung des Diesseits gerichtet. Diese sollte durch religiöse Toleranz, rechtliche Gleichstellung aller Menschen, Meinungsfreiheit sowie persönliche, wirtschaftliche und politische Freiheit gewährleistet werden. Moralisches Handeln stellte sich somit nicht als Unterordnung unter (religiöse) Gebote, sondern als Vernunftentscheidung dar: Es ist vernünftig, so zu handeln, dass das eigene Handeln als Gesetz für alle anderen gelten könnte – so die moderne Übersetzung des von IMMANUEL KANT (1724–1804) formulierten kategorischen Imperativs („Handle so, dass jeder Zeit dein Handeln zur Maxime des Handelns erhoben werden kann!“).

Die Vernunft, nicht der Glaube prägte die Epoche, die auch als „Age of reason“ (so der Titel eines 1795 erschienenen Buchs von THOMAS PAINE) bezeichnet wurde. Mit Hilfe der Vernunft sollte der Mensch mündig werden – auch und gerade der erwachsene Mensch. Bis heute immer wieder zitiert wird die Antwort KANTS auf die Frage „Was ist Aufklärung?“

Selbstverschuldete Unmündigkeit

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn Ursachen derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, Dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (KANT 1784)

Der Mensch wird nicht als Opfer gesehen, sondern als derjenige, der seine eigene Unmündigkeit selbst zu verantworten hat. In dieser zu verbleiben ist Zeichen mangelnden Mutes und fehlender Entschlusskraft. Das auffordernde Moment der Aufklärung, hier auch durch die grammatische Form des Imperativs erkennbar, ist als Gegensatz zu Bescheidung und Demut, aber auch zu Faulheit und Passivität gedacht.

In der Aufklärung ist der Beginn der Durchsetzung der Idee der Erwachsenenbildung anzusetzen. In dieser Zeit sind auch schon ihre wesentlichen Ausrichtungen erkennbar, die sich im Laufe der Zeit in unterschiedlicher Intensität entwickelt, sich teilweise abgespalten und dann auch wieder miteinander verbunden haben. Was heute als personenbezogene und politische Bildung, als berufliche und freizeitbezogene Bildung bezeichnet wird, findet sich bereits im Konzept der zugleich rational wie ethisch orientierten Aufklärung. In den Begriffen der damaligen Zeit ging es um „Selbstbestimmung und Gemeinwohl, Nützlichkeit und Geselligkeit, mit dem Ziel einer Einheit von Vernunft und Tugend“ (TIETGENS 1999, S. 27).

Aufklärende Schriften

Dieses Konzept wurde auch praktisch durchzusetzen versucht. Anfang des 18. Jahrhunderts erschienen – zuerst in England – sogenannte moralische Wochenschriften, die eine rationale Weltsicht propagierten und vielfältige Probleme des täglichen Lebens, aber auch moralische, wirtschaftliche, theologische, medizinische und vor allem auch pädagogische Fragen behandelten. Daneben erschien eine Reihe von volkspädagogischen Schriften mit belehrendem Charakter. Vermittelt wurde in erster Linie unmittelbar anwendbares Wissen, wobei die unterhaltsame Form der Erzählung bevorzugt wurde. Erkennbar ist dies bereits am Titel des wohl bekanntesten Beispiels dieser Gattung, dem „Noth- und Hülfsbüchlein oder lehrreiche Freudenund Trauergeschichte der Einwohner von Mildheim“ von RUDOLF ZACHARIAS BECKER (1759–1822). Auch der geistliche Stand war an derartiger Volksaufklärung beteiligt. So erschien 1791 in Zürich ein ‚Lesebuch für Landgeistliche und Bauern‘ mit dem Titel „Der vernünftige Dorfpfarrer“, in dem etwa erzählt und mit Illustrationen veranschaulicht wurde, wie ein idealer Kinderspielplatz einzurichten sei (vgl. LICHTENBERG 1970).

Vereine und Gesellschaften

Mit dem Anstieg des Teils der Bevölkerung, der lesen und schreiben konnte, und dem Wechsel vom wiederholten, andächtigen Lesen zum Lesen von immer neuen Publikationen, waren die Voraussetzungen für diese Art der Aufklärung gegeben. Sie verband sich aber auch mit neuen Formen der Lesen und Lernen fördernden Geselligkeit. Hier sind an erster Stelle die zahllosen Vereine und Gesellschaften zu nennen, die in dieser Zeit gegründet wurden. Dort fanden sich Bürger aus unterschiedlichen Berufen zusammen, die nicht nur an Fragen der Kultur, sondern auch an solchen des öffentlichen Lebens, speziell an Ökonomie und Politik, interessiert waren und nach Mitbestimmung und Mitverantwortung verlangten. In den demokratisch organisierten Vereinen oder Assoziationen trafen sich Gleichgesinnte mit einem starken Interesse an Informationen aus allen Bereichen des Wissens und des gesellschaftlichen Lebens. Eine besondere Rolle spielten dabei die in ganz Europa verbreiteten sogenannten ‚Lesegesellschaften‘ (vgl. DANN 1988), die den benötigten Lesestoff anschafften und bereitstellten, teilweise aber auch Vorträge anboten und die Möglichkeit zur gemeinsamen Diskussion schufen. Sie können deshalb als Frühform organisierter Erwachsenenbildung gelten (vgl. OLBRICH 2001, S. 42).

Bürgerliche Öffentlichkeit

In Zeitungen und Zeitschriften sowie bei nicht-privaten Zusammenkünften in Kaffeehäusern und Salons wurde eine – kritische – bürgerliche Öffentlichkeit praktiziert. Durch das öffentliche Räsonnement waren die Voraussetzungen für eine Teilhabe an politisch-gesellschaftlichen Prozessen gegeben: Theoretisch (und manchmal auch praktisch) konnten die eigenen Bedürfnisse vermittelt werden, und der mündige Bürger konnte die Staatstätigkeit einer demokratischen Kontrolle unterwerfen (vgl. HABERMAS 1996).

Mündigkeit

Mündigkeit meint hier nicht Volljährigkeit im juristischen Sinn, sondern im Sinne der Aufklärung Selbstbestimmung und Selbstbildung. Auf das Ziel Mündigkeit kann erzogen werden, die Mündigkeit selbst wird dann aber als „prozeßhaft lebenslange Aufgabe des Subjekts“ (WEBER 1994, S. 89) verstanden. Zu ihrer Bewältigung können – unter entsprechenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – (erwachsenen-)pädagogische Arrangements beitragen. Die Idee der Mündigkeit war und ist ein von fast allen getragenes Ziel der Bildungsarbeit, gerade auch mit Erwachsenen. Sie ist eng mit der Idee der Demokratisierung verbunden und kann in Deutschland deshalb in den Vorstellungen zur Bildungsarbeit mit Erwachsenen in der Weimarer Republik (vgl. ZEUNER 2001), nicht aber in der Erwachsenenbildung der Zeit des Nationalsozialismus nachgewiesen werden. Eine besonders große, auch kontroverse öffentliche Resonanz hatte sie in der Zeit der Studentenbewegung.

Erst in den letzten Jahren äußern sich Stimmen, die nicht das Ziel, wohl aber naive Machbarkeitsvorstellungen in Frage stellen und die Freisetzung des Menschen auch als Belastung und sogar als indirekte Manipulation beschreiben. An zwei Buchtiteln kann man diese Entwicklung ablesen: Im Jahr 1971 erschien der Band „Erziehung zur Mündigkeit“, der Gespräche mit THEODOR W. ADORNO, dem Hauptvertreter der sogenannten „Kritischen Theorie“, über Fragen der Pädagogik, darunter auch der Erwachsenenbildung, enthielt. 2002 hat der Schüler seines Schülers JÜRGEN HABERMAS, AXEL HONNETH, einen Band herausgegeben, der den Titel „Befreiung aus der Mündigkeit“ trägt und der den Paradoxien nachgeht, die mit diesem Konzept verbunden sind. In der Erwachsenenbildung selbst wird dieses Problem neuerdings unter machttheoretischen Aspekten diskutiert (s. Kap. 7.3).

2.2   „Bildung für alle“

Französische Revolution: Bildung und Unterricht für alle

Mit der Französischen Revolution hatte sich die Idee der Gleichberechtigung (,égalité‘) festgesetzt – auf Bildung bezogen bedeutete dies die Aufhebung ihrer Beschränkung auf die (männlichen) Angehörigen der gehobenen Schichten und auf das Kinder- und Jugendalter. Es entstanden Pläne, die eine allgemeine Versorgung mit Bildung vorsahen. In Frankreich wurde ein sogenannter Nationalerziehungsplan („Decret sur l’organisation générale de l’instruction publique“) entworfen, der das Menschenrecht auf Vervollkommnung aller Fähigkeiten und Fertigkeiten für jeden, unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft, gewährleisten sollte. Sein Verfasser JEAN MARIE ANTOINE CONDORCET (1752–1794) trug im April 1792 den Entwurf der Nationalversammlung vor und forderte als „erstes Ziel eines nationalen Unterrichtswesens“:

Nationalerziehungsplan

„allen Angehörigen des Menschengeschlechts die Mittel zugänglich zu machen, daß sie für ihre Bedürfnisse sorgen, ihr Wohlergehen sichern, ihre Rechte erkennen und ausüben, ihre Pflichten begreifen und erfüllen können;