Einsames Kind im Grafenschloss - Annette Stromberg - E-Book

Einsames Kind im Grafenschloss E-Book

Annette Stromberg

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. Wie eine Insel des Friedens und der Ruhe lag das Lehenau-Palais zwischen den verkehrsreichen Straßen in Münchens Westend. Ein schmiedeeiserner Zaun umgab das riesige Grundstück. Alte, hohe Bäume verbargen das fürstliche Palais vor den Blicken der Passanten. Einmal hatte der Name Lehenau bereits Schlagzeilen gemacht. Das war vor acht Jahren gewesen, als der junge Graf Harald von Lehenau die bekannte Schauspielerin Andrea Andersen geheiratet hatte. Viele Menschen hatten mit Spannung das so offen zur Schau getragene Glück des jungen Paares verfolgt und beredet. Doch dann war es still um das Lehenau-Palais geworden, und man hatte auch das schöne Paar vergessen. So, wie man alles vergißt, was sich nicht durch irgendwelche Besonderheiten, welcher Art sie auch sein mögen, immer wieder bemerkbar macht, sich in den Vordergrund drängt. Andrea von Lehenau saß in ihrem Boudoir vor dem Toilettenspiegel; sie machte einen gereizten, nervösen Eindruck. Sie schaltete das grelle, unbarmherzige Licht ein, das ihr Gesicht nun mit schonungsloser Offenheit beleuchtete. Ganz nahe beugte sie sich zu dem Spiegel, und aufmerksam begann sie, sich zu betrachten. Sie wußte, daß sie, achtundzwanzigjährig, eine vollerblühte Schönheit war, doch der Spiegel verriet ihr auch, der zarte Schmelz der ersten Jugend war bereits geschwunden. Ärgerlich schnitt sie ihrem Spiegelbild eine verzerrte Grimasse, und entsetzt sah sie, daß sie nun tatsächlich einer alten, verbitterten Frau glich. »Ich will nie so aussehen müssen! Nicht, ehe ich noch meine Jugend mit vollen Zügen genossen habe!« Dabei bekamen ihre Augen einen gierigen, funkelnden Glanz. Sie erhob sich und drückte auf den Klingelknopf. »Meinen Mantel, Maria!« sagte sie knapp. Ihre Stimme hatte einen rauchigen Klang, und schon bei wenigen Silben konnte man feststellen, daß sie gut ausgebildet war.

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Fürstenkinder – 21 –

Einsames Kind im Grafenschloss

Ein ergreifendes Kinderschicksal

Annette Stromberg

Wie eine Insel des Friedens und der Ruhe lag das Lehenau-Palais zwischen den verkehrsreichen Straßen in Münchens Westend.

Ein schmiedeeiserner Zaun umgab das riesige Grundstück. Alte, hohe Bäume verbargen das fürstliche Palais vor den Blicken der Passanten.

Einmal hatte der Name Lehenau bereits Schlagzeilen gemacht. Das war vor acht Jahren gewesen, als der junge Graf Harald von Lehenau die bekannte Schauspielerin Andrea Andersen geheiratet hatte.

Viele Menschen hatten mit Spannung das so offen zur Schau getragene Glück des jungen Paares verfolgt und beredet.

Doch dann war es still um das Lehenau-Palais geworden, und man hatte auch das schöne Paar vergessen. So, wie man alles vergißt, was sich nicht durch irgendwelche Besonderheiten, welcher Art sie auch sein mögen, immer wieder bemerkbar macht, sich in den Vordergrund drängt.

Andrea von Lehenau saß in ihrem Boudoir vor dem Toilettenspiegel; sie machte einen gereizten, nervösen Eindruck.

Sie schaltete das grelle, unbarmherzige Licht ein, das ihr Gesicht nun mit schonungsloser Offenheit beleuchtete.

Ganz nahe beugte sie sich zu dem Spiegel, und aufmerksam begann sie, sich zu betrachten.

Sie wußte, daß sie, achtundzwanzigjährig, eine vollerblühte Schönheit war, doch der Spiegel verriet ihr auch, der zarte Schmelz der ersten Jugend war bereits geschwunden.

Um ihre dunklen, glühenden Augen gruben sich die ersten hartnäckigen Fältchen, auch ihr langer, schlanker Hals zeigte trotz eifrigster kosmetischer Pflege einige Ringe

Ärgerlich schnitt sie ihrem Spiegelbild eine verzerrte Grimasse, und entsetzt sah sie, daß sie nun tatsächlich einer alten, verbitterten Frau glich.

Mit einer fahrigen Handbewegung strich sie sich das silberblond gefärbte, schulterlange Haar aus der Stirn und murmelte:

»Ich will nie so aussehen müssen! Nicht, ehe ich noch meine Jugend mit vollen Zügen genossen habe!«

Dabei bekamen ihre Augen einen gierigen, funkelnden Glanz.

Sie erhob sich und drückte auf den Klingelknopf.

Kurz darauf erschien eine Zofe

»Meinen Mantel, Maria!« sagte sie knapp.

Ihre Stimme hatte einen rauchigen Klang, und schon bei wenigen Silben konnte man feststellen, daß sie gut ausgebildet war.

»Sofort, gnädige Frau!« beeilte sich das Mädchen zu erwidern. »Welchen Mantel…«

»Den braunen Nerz natürlich!« fiel Frau von Lehenau der Zofe ungehalten ins Wort.

Sie trug ein tannengrünes, schlichtes Wollkleid, das ihre hohe, schlanke Figur wunderbar betonte.

Das Kleid war im Schnitt so einfach gehalten, daß man ihm ansah, daß es besonders teuer gewesen sein mußte.

Als Maria der jungen Gräfin in den Mantel half, bemerkte diese leichthin:

»Sagen Sie meinem Mann, daß ich…«

Sie unterbrach sich, denn es war an ihre Tür geklopft worden.

»Das wird er sein!« rief sie und öffnete.

Harald von Lehenau betrat das Ankleidezimmer seiner Frau.

Er war ein sehr großer blonder Mann mit einer ausgesprochen sportlichen Figur.

Seine Kleidung war ausgesucht elegant, fast etwas salopp.

Er hatte ein gebräuntes, markantes Jungengesicht, das von leuchtendblauen Augen beherrscht wurde.

»Ah, da bist du ja!« sagte er. Dabei bemerkte er, daß seine Frau zum Ausgehen bereit war.

»Es ist gut. Sie können gehen, Maria!«

Mit diesen Worten schickte Andrea von Lehenau die Zofe aus dem Raum.

Harald von Lehenau blieb lässig an der Tür stehen, seine rechte Braue hob sich etwas, als er wie nebenbei fragte:

»Du gehst aus, Andrea?«

»Das siehst du doch! Ich habe mich mit Sibylle in der Stadt verabredet, sie erwartet mich«, erwiderte sie kurz.

»Hast du vergessen, daß sich heute Tommys Erzieherin vorstellt?«

»Ach, mein Gott, auch das noch!« stöhnte sie. Dabei streifte sie sich die langen Lederhandschuhe über. Doch gereizt fuhr sie fort: »In dieser Sache habe ich ja ohnehin nichts zu bestimmen, mein Lieber. Deine Mutter hat angeordnet, daß eine Erzieherin engagiert werden müßte, nun soll sie das auch allein tun!«

»Bitte, Andrea!« sagte er hart. »Ist es Mutters Schuld, wenn du nie Zeit für unseren Sohn hast?«

In dramatischer Pose hob sie ihre Arme, und ihre Stimme klang dramatisch, als sie gekränkt ausrief: »Ich nie Zeit für Tommy? Das ist einfach lächerlich! Aber schließlich habe ich auch noch ein Recht auf ein bißchen Privatleben!«

Verstimmt beobachtete Harald von Lehenau dieses bühnenhafte Posieren seiner Frau.

Sie machte das in letzter Zeit immer häufiger. Und das, obgleich sie wußte, wie verhaßt ihm diese Geste war.

Damals, als sie geheiratet hatten, wollte sie nichts anderes als nur seine Frau sein, und sie hatte das affektierte Bühnenverhalten sofort abgelegt.

Er mußte zugeben, daß sie sich tadellos benommen hatte, wie es einer Gräfin von Lehenau zugestanden hatte.

Doch in der letzten Zeit benahm sie sich, als ob sie dauernd eine neue Rolle spielen würde, mit vielen Gebärden und mit viel Mimik.

»Ich muß mich jetzt beeilen, Harald!« erklärte sie entschieden.

Er zuckte mit den Schultern, dabei öffnete er seiner Frau die Tür.

»Wenn dir das wichtiger ist, bitte! Dann werde eben ich…«

»Tu, was du für richtig hältst! Also, dann bis später!« sagte sie kalt, und auf ihren hohen Absätzen klapperte sie an ihm vorüber; der seidenweiche Nerz streifte seine Hand.

Unentschlossen, die Türklinke noch immer in der Hand haltend, verharrte er einen Augenblick reglos.

Dabei überlegte er sich, was er nun seiner Mutter sagen sollte.

Mama würde sich sicher sehr darüber wundern, daß Andrea fortging, während die neue Erzieherin jede Minute hier sein konnte.

*

Caroline von Lehenau saß in ihrem Rollstuhl im Garten.

Ihr sechsjähriger Enkelsohn spielte in kindlicher Versunkenheit mit einem kleinen Auto. Er schien seine Umwelt vergessen zu haben.

Eine wärmende Frühlingssonne beschien das weiße Palais und den vollergrünten Park.

Geschmackvoll bepflanzte Rabatten mit Märzenbechern und Tulpen, die in ihrer wächsernen Farbenpracht leuchteten, gaben dem großen Rasen bunte Farbtupfer. Und bei jedem schwachen Windhauch zogen Schwaden der süß und schwer duftenden Hyazinthen zu Frau von Lehenau herüber.

Ein riesiger, weitverästelter Magnolienbaum stand wie ein rot-weißes Blütenfanal inmitten des grünen Rasens, von Schmetterlingen und Bienen umsummt.

Caroline von Lehenau war eine vornehme, gepflegte Erscheinung, die trotz der schweren Krankheit noch jugendlich wirkte.

Sie war sehr schmal, doch aufrecht und gerade saß sie in ihrem Rollstuhl.

Sie hatte die gleichen strahlendblauen Augen wie ihr Sohn, doch ihr Haar war grau, mit einem leichten Blauschimmer, wie ihn nur sehr geschickte Friseure ins Haar zaubern können.

Sie streckte ihre kleine, schmale Hand, an der ein mehrkarätiger Brillant glitzerte, nach dem kleinen Thomas aus, und mit heiterer, junger Stimme bat sie:

»Bitte, Thomas, würdest du mir eine einzige Magnolienblüte dort vom Baum brechen? Ich würde sie zu gerne in der Hand fühlen!«

Thomas, ein etwas scheues, zurückhaltendes Kind mit großen dunklen Augen und dunklem Haar, unterbrach sofort das Spiel.

Er nahm das kleine Auto und legte es Frau von Lehenau auf die Decke, die sie um ihren Leib und ihre Beine gewickelt hatte.

»Du mußt aber inzwischen aufpassen, Omi, daß mir das Auto nicht fortfährt!« belehrte er sie gewichtig.

Dann rannte er über den dichten grünen Rasen zu dem Magnolienbaum.

Er mußte sich etwas recken, doch es gelang ihm, eine Blüte vom Baum zu brechen, und sofort brachte er sie seiner Omi.

»Ich danke dir, mein Kind!« sagte Frau von Lehenau.

Vorsichtig umschlossen ihre Hände die tulpenähnliche, wächserne Blüte. Dabei nahm ihr feines, schmales Gesicht einen abwesenden, sinnenden Ausdruck an.

Wie liebkosend fuhren ihre Finger über die zarten rotgeflammten Blütenblätter; sie schien ihren Blick kaum noch von der Blüte abwenden zu können.

Thomas hatte seine Großmutter sehr aufmerksam beobachtet. Er schien zu ahnen, daß sie mit ihren Gedanken sehr weit von ihm entfernt war.

Schließlich fragte er zögernd, dabei sah er nur die Blume, nicht aber seine Großmutter an: »Hat es sehr weh getan, Omi, als du vom Pferd gestürzt bist?«

Frau von Lehenau schien aus weiter Ferne zurückzukommen, doch ihre Stimme klang sanft, als sie erwiderte:

»Nicht sehr, Thomas! Das, was ich nachher erfahren mußte, hat viel mehr geschmerzt!«

»Dann hast du es erst nachher gespürt?«

»Ja, mein Kind! Als ich hörte, daß ich nie mehr gehen konnte, das hat weh getan.«

Thomas hatte verstanden, und traurig verzog sich sein Kindergesicht. Aber plötzlich rief er spontan aus:

»Du hast ja mich, Omi. Ich laufe für dich überall hin, wo du nur willst! Du brauchst mir nur zu sagen, was du möchtest, und dann hole ich es dir!«

Frau von Lehenau fuhr ihrem Enkel liebevoll über das kurz geschnittene, dunkle Haar, dabei sprühte der geschliffene Brillant blaue Blitze. Lächelnd meinte sie:

»Jetzt, da ich dich habe, mein Junge, ist es auch schon nicht mehr so schlimm. Du bist mir wirklich eine große Hilfe.«

»Siehst du!« rief der Junge triumphierend aus. »Du sagst auch, daß ich dir eine Hilfe bin, aber Mami sagt, ich bin ihr eine Last!«

Sofort wurde das Gesicht der alten Gräfin ernst, und heftig widersprach sie: »Das ist doch nicht wahr, Thomas!«

»Freilich!« behauptete er steif. »Mami sagt: ›Du kannst eine rechte Last sein, Tommy!‹«

»Das ist doch etwas ganz anderes, Thomas! Deine Mutter meint das nicht so ernst. Und du solltest das auch nicht sagen«, schalt sie sanft.

Thomas schmollte sofort. Er war, wie alle Kinder, denen die richtige Mutterliebe fehlte, ein sehr empfindliches, sensibles Kind.

»Aber Zeit hat sie doch auch nie für mich, nie spielt sie mit mir!« beharrte er.

Dabei stieß er mit dem Fuß kleine Kieselsteinchen beiseite, und sein Kopf war tief gesenkt.

Frau von Lehenaus Herz zog sich bei diesen so traurigen Worten schmerzlich zusammen. Doch tröstend erwiderte sie:

»Heute kommt ja für dich ein Fräulein, mein Junge. Und dann hast du immer jemanden zum Spielen.«

Thomas’ Schmerz war ebenso rasch vergessen, wie er gekommen war.

Aufgeregt fragte er:

»Wann kommt sie denn?«

»Du meinst Fräulein Hartmann?« berichtigte sie ihn nachdrücklich.

»Ja, Fräulein Hartmann«, wiederholte er gehorsam.

»Siehst du, so klingt es schon viel besser. Aber so genau weiß ich das auch nicht. Du mußt schon noch ein bißchen Geduld haben!«

Thomas griff nach der Magnolienblüte, die auf Frau von Lehenaus Schoß gelegen hatte, und achtlos zerdrückte er sie.

»Jetzt hast du die schöne Blüte zerstört!« tadelte seine Großmutter.

»Ich kann dir ja eine andere holen, dort sind noch so viele.«

War das nur Kinderart, daß sie im nächsten Augenblick zerstörten, was sie eben noch gefesselt hatte, oder war das schon Erwachsenenart?

*

Johanna Wieser war im Palais so etwas Ähnliches wie das Hausfaktotum, obwohl sie eigentlich nur zur persönlichen Verfügung der alten Frau Gräfin angestellt war.

Sie war eine mürrische, stets wachsame Frau, die ihre Augen überall hatte, der nichts entging, die alles bemängelte.

Sie war schon seit über dreißig Jahren im Lehenau-Palais beschäftigt, doch seit dem tragischen Unfall der Frau Gräfin pflegte Johanna die gnädige Frau mit aufopfernder Liebe.

Sie hatte eine gute, linde Hand, und kein unbeherrschtes Wort kam über ihre Lippen, sie liebte ihre Herrin über alles.

Im Laufe der Jahre hatte sich zwischen diesen so ungleichen Frauen eine feste Freundschaft gebildet; sie besprachen mehr miteinander, als man ahnen konnte.

Doch immer blieb Johanna respektvoll, für sie war Caroline von Lehenau die Frau Gräfin, so vertraut sie auch miteinander waren.

Johanna redete Harald von Lehenau mit dem vertrauten Du an, denn sie hatte ihn ja bereits als Baby gewickelt und gebadet, und sie sagte ihm sehr oft, was ihr alles nicht paßte.

Harald von Lehenau hatte an Johannas Unverblümtheit noch nie Anstoß genommen, er ließ sich ihre Fürsorge gern gefallen.

Nur der jungen Frau von Lehenau gegenüber war Johanna sehr zurückhaltend, sie ließ sie unbeachtet. Sie war nun einmal die junge Frau von Lehenau.

Johanna weigerte sich standhaft, Andrea mit Frau Gräfin anzureden. Für sie würde die Junge, wie sie sie heimlich nannte, immer eine Außenseiterin bleiben!

Johanna vermied es auch, die Gemächer von Haralds Familie zu betreten, die sich im ersten Stock des Hauses befanden.

Caroline von Lehenau lebte, zusammen mit ihrem Personal, im Erdgeschoß, vor allem wegen ihres Rollstuhls, und sie kam mit ihrer Schwiegertochter recht wenig in Berührung.

Es waren zwei völlig getrennte Haushalte, der eine oben, der andere unten, ein jeder hatte seine Welt für sich, und das wurde von allen respektiert.

Nur der kleine Thomas fühlte sich überall zu Hause, sowohl oben wie auch bei seiner Omi, die er sehr liebte.

Caroline von Lehenau hatte damals die Heirat ihres Sohnes mit einer Schauspielerin um jeden Preis zu verhindern versucht.

Doch als der Entschluß ihres Sohnes unverrückbar feststand, hatte sie gezwungenermaßen nachgeben müssen.

Sie hatte die Schwiegertochter in die Familie aufgenommen, wie es sich gehörte, doch sie liebte Andrea auch heute noch nicht.

Und sie hatte nie mehr auch nur mit einem einzigen Wort erwähnt, daß ihr die Heirat nicht gepaßt hatte.

Ihr Sohn wußte, wie sie darüber auch heute noch dachte, und das genügte!

Als Caroline von Lehenau Johanna auf sich zukommen sah, wußte sie, daß es genau vier Uhr war, denn Johanna war pünktlich auf die Minute.

Johanna sagte freundlich:

»Es ist Teezeit, Frau Gräfin!«

Ohne eine Erwiderung zu erwarten, wendete sie den Rollstuhl und schob ihn dann über den Kiesweg zum Haus.

Thomas lief nebenher. Seine nicht mehr ganz saubere Bubenhand hielt das kleine Spielzeugauto fest umklammert.

»Darf ich mit dir Tee trinken, Omi?« fragte er bittend.

»Aber selbstverständlich, mein Junge!« erwiderte Frau von Lehnau und nickte ihrem Enkel aufmunternd zu.

Später, als Caroline von Lehenau mit Thomas beim Tee saß, betrat ihr Sohn Harald ihren Salon.

Harald von Lehenau trat zu seiner Mutter, beugte sich über sie, und seine Lippen streiften ihre Wange mit einem Kuß.

»Wie geht es dir, Mama? Hast du einen angenehmen Nachmittag verbracht?« erkundigte er sich.

»Ja, danke, mein Sohn! Es war wirklich ein bezaubernder Frühlingstag! Und Thomas hat mir Gesellschaft geleistet! – Aber willst du dich nicht setzen?«

Allzu bereitwillig nahm er Platz, so daß seine Mutter sofort fragte:

»Darf ich dir eine Tasse Tee anbieten?«

»Ja, gerne, Mama!« stimmte er zu, und etwas zögernd fuhr er fort: »Andrea mußte dringend in die Stadt!«

Seine Mutter nickte nur. Ihr Gesicht war undurchdringlich, als sie ihrem Sohn eine Tasse Tee eingroß.

Nach einem Weilchen fragte sie leichthin:

»Wann erwartest du denn die Erzieherin, Harald? Andrea wird doch bis dahin zurück sein?«

»Fräulein Hartmann wollte bis fünf Uhr hier sein, Mama!« erwiderte er. Dabei vermied er es, seine Mutter anzusehen. Ihre zweite Frage ließ er unbeantwortet.

Frau von Lehenau nickte nur, sie stellte keine weitere Frage.

Um das gespannte Schweigen zu durchbrechen, mahnte Harald von Lehenau seinen Sohn:

»Bitte, Tommy, du sollst deinen Kuchen nicht so zerbröckeln!«

Thomas richtete seine großen dunklen Augen, die er von seiner Mutter geerbt hatte, anklagend auf seinen Vater, dann verteidigte er sich schmollend: »Das tue ich doch gar nicht, Papi!«

Harald von Lehenau überhörte den Einwand seines Sohnes, er fragte seine Mutter:

»Wie ist es, Mama, möchtest du nicht gern einmal einen Ausflug unternehmen? Wir könnten ein bißchen aus der Stadt hinausfahren, es ist jetzt so herrlich draußen, alles steht in voller Blüte.«

»Danke, Harald, lieb von dir! Aber ich verspüre immer weniger Lust, diesen Ort hier zu verlassen. Hier ist es friedlich und still, während draußen nur Lärm und Hast sind.«

Harald drang nicht weiter in sie. Er überlegte sich im stillen, ob es sein konnte, daß seine Mutter gar nicht wußte, daß hier längst nicht mehr ein Ort des Friedens und der Ruhe war.

Machte sie sich nur etwas vor und versuchte krampfhaft, den Eindruck eines geborgenen Heimes aufrechtzuerhalten?

Nein, das konnte er nicht glauben, denn dazu war seine Mutter viel zu klug.

Sicher wollte sie damit andeuten, daß eine Trennung nicht in Frage kam, daß sie das nie billigen würde.