Einsitzschwimmer - Sabine Höntzsch - E-Book

Einsitzschwimmer E-Book

Sabine Höntzsch

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Beschreibung

Einsitzschwimmer‹ Ein Unterhaltungsroman, schräg und "Schisskojenno". Nils ist ein prächtig tätowierter Traumtänzer. Wenig erfolgreich als Texter und Besitzer eines Schallplattenladens, steckt der 26-Jährige in einer hoffnungslosen finanziellen Misere. Zu dem führen seine Tattoos ein kurioses Eigenleben und mischen sich ständig in sein Leben ein. Im denkbar ungünstigsten Moment kreuzt die ungezogene Catherine seinen Weg. Unfreiwillig macht er auch noch die Bekanntschaft ihrer herrschsüchtigen Oma. Gemeinsam unternehmen sie eine bizarre Reise nach Spanien, wohin den leidenschaftlichen Vinyl-Sammler die teuerste Schallplatte der Welt lockt ... Und was bitte schön ist denn nun ein Einsitzschwimmer? Und Schisskojenno? Diese skurrile, amüsante ›On the Road-Story‹ erzählt von Freundschaft und Hassliebe in einem turbulenten Generationenkonflikt. Sie bildet den Auftakt für weitere Erzählungen rund um ein bizarres Team.

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Seitenzahl: 327

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Einsitzschwimmer

Roman

Sabine Höntzsch

Impressum:

Text & Cover Copyright © 2015 Sabine Höntzsch, Krefeld

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis Einsitzschwimmer

Kapitel 1 Der Anfang vom Ende?

Kapitel 2 Viel schlimmer als das!

Kapitel 3 Die Tortur beginnt.

Kapitel 4 Die Ankunft

Kapitel 5 Tag X

Kapitel 6 Einsichten

Kapitel 7 Aussichten

Kapitel 8 Nichts als Ärger

Kapitel 9 Von Null auf Hundert

Der Anfang vom Ende?

Drache, Koi, Betty Page & ich

»Everything must go! Packen wir es!« Ich knete und würge das klebrige schwarze Lenkrad. Die Hitze scheint es aufzulösen. »Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen«, fasele ich und streichle den schwitzenden Koi, der Schulter und Oberarm umschlingt. Die roten Schuppen verschmelzen mit den blauen des Drachen. Entschlossen kriecht das Reptil die Haut hinunter zu meiner Hand. »Jetzt keine Zweifel aufkeimen lassen!« Zur Abwechslung kraule ich das halbnackte Pin-up auf meinem anderen Arm, gezwungen meine Zuneigung einigermaßen gerecht zu verteilen. Ich beschleunige.

»Du hast dich entschieden, bist perfekt vorbereitet, also sei kein Gogo-Girl!«, ermahne ich den lässigen Typen mit dem zerzausten braunen Haar am Steuer des gammligen Mazda. »Die Zeit des einzigartigen Nils Löwenberg ist angebrochen. Meine Zeit! Wem schade ich schon? Wir spazieren rein und gleich wieder raus!« Nochmals tätschele ich die farbenfrohen Tätowierungen. ›Die Bestgestochenen der Welt‹ versuchen täglich, mein eingefleischtes Singledasein zu kontrollieren. Ernsthaft, sie quasseln, toben ... just in diesem Moment wünschte ich, sie wären stinknormale Tattoos.

Ein Schmetterling segelt, nimmt Platz auf meiner Windschutzscheibe. Ich beschleunige nochmals. Die Flügel wehen. Abbremsen, beschleunigen, abbremsen. Er wiegt im Fahrtwind, balanciert und rutscht in Zeitlupentempo, gaanz gaaanz langsam. Patsch! »Weg.«

»Schade Nils, ich mag Schmetterlinge. Die kitzeln den Gaumen. Schmecken schön pelzig«, schmollt der Koi. »Ja, im Abgang und die Flügel eignen sich hervorragend zur Zahnpflege!«, schmatzt der schillernde Drache. Er kratzt das geschuppte Kinn.

»Keine Diskussion! Ihr seid Tattoos. Koikarpfen, Flugdrache, rot und blau. Übrigens, Falterflügel zerfallen zu Staub, wenn ihr sie berührt. Haltet die Klappe!«

»Puh - Dickkopf! Wir schmücken deine Haut, ist das ein Grund uns zu beschimpfen?« »Schmetterlinge - absolute Feinkost! Ich verplempere mein Pfauen-Tattoo-Sein an Nils Wade, schlechte Position um einen zu erwischen«, brüllt der Gefiederte aus dem Fußraum.

»Schluss! Ich brauche Ruhe, muss mich sammeln. Fehlt nur, dass auch die Sonne auf meinem Rücken über Insekten referiert.« »Wieso sprichst du zu deinen Tattoos, wenn wir leblos sind? Bist du vielleicht plemplem?« »Es reicht, Miss Page! Pin-ups, liebste Betty, befriedigen in der Regel einen einzigen Zweck - sexy ausschauen. Das ist wirklich alles, was ich von dir erwarte! Danke!«

»Gut, wie du magst, sprechen wir über Erwartungshaltungen. Nils, wie alt bist du? 26, präzise? Schlaue begehrenswerte Typen horten mit 30 die erste Million auf ihrem Konto. Du hingegen gefällst dir in der armseligen Rolle des Vinyl-Junkies? Ja, Junkie! Schallplatten sammeln ist das eine, sie im Laden zu verkaufen das andere. Ich erinnere mich nicht, wann zuletzt ein Kunde die Bude betreten hat!« »Mein Drachenhirn besinnt sich sehr wohl! Der roch streng – beißt noch heute in meinen Nüstern. Gekauft hat er nix!«

»Das Texten für die blöde Agentur bringt ebenfalls zu wenig Geld ein!«, nörgelt Betty. »Bin ich schuld, dass die nur Freiberufler beschäftigen? Außerdem muss ich Prioritäten setzen!« »Deine Prioritäten kennen wir. Du konzentrierst dich auf Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Betrug und Korruption. Der letzte Held unserer Tage! Der, der die Welt rettet?«, zweifelt der Karpfen. »Ich bin nicht der Einzige. Immer mehr Folks empören sich. Wir leben unsere Vision!«

Von Geld & Frauen

Ich komme dem Ziel näher. Nervous? Ein Klitzekleines bisschen. Ist mein erstes Mal. Ich habe lange geplant, damit nix schief läuft, biege in die nächste Gasse, parke hinter einem verschlafenen, staubigen Kleinlaster aus den 70er Jahren. Alles im Griff - ich schlendere. Nils, die fleischgewordene Gelassenheit. Meine Schritte sind schwer, ebenso meine Lungenbläschen. Träge flippern sie gegeneinander, füllen sich erneut mit Leben. Dorfmuff und die sengende Hitze erschweren das Atmen.

»Guten Tach«, krächzt es. Mein linkes mit Schweißperlen verstopftes Ohr wird freigesprudelt. Ich zucke zusammen, greife an den Gürtel. Kein Colt! Ich bin unbewaffnet, wehrlos. Vorsichtig wende ich mich dem heiseren Stimmchen zu. Ein greises Männlein grinst. Ohne Scheiß, es popelt genüsslich in der überdimensionierten roten Nase, stützt die Arme auf ein verschlissenes Kissen. Widerlich! Ich nicke. Reinklotzen, damit ich vorankomme.

»Jetzt komm runter! Entspann dich Junge!«, flüstert das eine Ich meinem Andern zu. Die Beine - bleierne Stelen. Ich zweifle, den Weg zurück zum Auto zu schaffen – danach.

Der Drache quält mich – bohrt kontraproduktiv die messerscharfen Zähne in meinen Oberarm. »Nils, was, wenn das schief geht? Du bringst das nicht!«, nagt er an meinem Gewissen. Ich lehne an der kühlen Hauswand, höre weg. Jetzt trennen mich nur diese Ecke und der Weg über die Straße von Geld und bezaubernden, schweigenden Frauen.

Frau Potter, die Merkel & das Mädchen

Ein plötzlicher Knall, Stimmengewirr und Gekreische.

»Das kann nicht! Das kann einfach nicht!« Mein Körper spannt. Ich werde grün und blau und rot und verrückt vor Wut. Trete mitten ins gleißende Licht, schüttle verwirrt das Haupthaar, kneife die Augen zusammen. Meine Kiefer knacken, knirschen. Die Zähne reiben aufeinander. Das hört trotz des Lärms und des Tohuwabohus sogar der Alte um die Ecke.

»Was machen die bloß da, Shit?!« Polizist und Polizistin ringen mit einem Mädchen. Das gibt’s nicht. Die ist höchstens 17, hübsch dazu alle mal. Die Widerspenstige versucht, mit Kratzen, Beißen und Treten Bulle und Bulette zu entkommen.

Ich bemerke kaum, wie mein Körper automatisch mitmacht. Ein Tritt nach links, Knie hoch in die Eier, Faust geballt, treffsicher aufs Bullenohr. Dann spüre ich den nickeligen Blick der pickeligen Sensationshungrigen, die den Ereignissen auf der anderen Straße entgegen eilt. Sie schüttelt den akneübersäten Kopf, stimmt lautstark in das Geschrei.

Die wirren dunklen Haare der zierlichen Ringerin fliegen Ninja-Kämpfern gleich durch die Luft. Pinkfarbene T-Shirt-Fetzen verhüllen die schlanke Figur.

Es riecht streng. Riecht definitiv nach ... Die hat `ne Bombe gezündet, zu krass.

»Die Bank - das war mein Job, Scheiße! Wieso tauchen die Bullen so fix auf?«, lausche ich meiner erbosten Frage. Rundum wimmelt es von allerlei Witzfiguren. Der Greis popelt vor versammelter Gesellschaft. Was für ein Kaff. Ich schleiche an das Spektakel heran, unauffällig, darin bin ich erprobt!

Eine Tusse im zu figurbetonten Kostümchen schwatzt aufgeregt vom zerstörten Display des Geldautomaten.

»Oh Mann, wirklich nur das Display gesplattert. Nicht mal Kohle ist dabei rum gekommen«, flüstere ich vorsichtig. »Mädchen, Mädchen! Dafür gehst du in den Knast.«

Ich nutze das Gewimmel aus.

»Das ist unsere Chance – kommt Jungs, gehen wir rein!«, zische ich den unentschlossenen bunten Körpergemälden zu. Zaghaft betrete ich den Vorraum der Bank. Keiner da, der mich aufhalten will. Falte blitzartig die Papiertüte auf, die in meiner Hose verstaut war. Alle verfallen dem Chaos vor der Türe. Mein flüchtiger Blick streift Kontoauszugsdrucker, Serviceterminal und Geldautomat. Aus dem Augenwinkel erkenne ich - tatsächlich nur das Display und diese schwefeligen Schwaden. Sie wollen mich ersticken, Mund-und Nasenschleimhäute verätzen. Der Brechreiz kriecht in meinen leeren Magen. Da muss ich durch! Bloß nicht husten. Zögerlich gewöhnen sich meine dem gleißenden Licht ausgesetzten Augen an die Dunkelheit und mein angespanntes Hirn an die Stille im Schalterraum. »Niemand zu Hause?« Selbstbedienung, ganz nach meinem Geschmack!

Das Knistern der Papiertüte schwillt zu ohrenbetäubendem Lärm. Ich schrecke zusammen, entschlossen, den Krach in den Griff zu bekommen. Erneut bleibt mir die Luft weg. Auf unerklärliche Weise tragen mich meine Beine bis vor das Pult. Los - jetzt Tüten-Tarneinsatz!

Tattoo Lady Betty Page hebt die knisternde Tüte, dann erstarrt sie. Schleichend wechselt meine Farbe - bin transparent. Kalter Angstschweiß bricht aus all meinen Poren. Einem ›Hau den Lucas‹ gleich schießt diese Dame mit Nickelbrille hinter dem Pult hervor.

Die Zwillingsschwester von Harry Potter – hallt es durch meinen Kopf. Transparenz schwindet. Das Blut pocht in meinen Ohren und meinen Knien. Ich winsele mit letzter Kraft: »Überweisungsträger.« Irgendetwas drückt mir die Gurgel zu. »Überweisungsträger, ich benötige Überweisungsträger.« Die Augen meines unverhofften Gegenübers blitzen angriffslustig. Die Mundwinkel hängen teilnahmslos - wie bei der Merkel – Chuckys Braut. »Bitte!«, presse ich heiser mit ungelogen allerletzter Kraft aus mir heraus.

Das gereizte Funkeln ist besänftigt. Genauso blitzartig, wie sie erschien, knallt sie mir einen Stapel Formulare vor die Nase.

»Schönen Tag noch«, lispelt sie. Ihr Wispern kriecht in meine Eingeweide, die sich träge ordnen. Schwups, ist sie hinter dem klobigen Möbel verschwunden. Ich greife nach den Vordrucken, stopfe sie in die Papiertüte. Blutleer drehe ich mich um meine eigene Achse, schwebe aus der Bank. Erleichtert, unterkühlt durch den Schweiß und von Panik geschüttelt finde ich mich vor dem Geldhaus wieder. Meine Papiertüte in der Hand baumelt am schlaffen Arm. Die Meute - aufgelöst. Weder Bullen noch Mädchen, auch der Alte ist verduftet. Sogar die Sonne will versinken bei meinem erbärmlichen Anblick. Unfassbar, das war meine große Chance, und ich vermassele den Scheiß. Eine todsichere Chance. Schlimmer, als `nen Elfmeter zu vergeben. Ich trete ins Nichts. Den hätte ich machen müssen! Ich spüre dumpfe Leere – fuck.

Schwitzen, schmoren im eigenen Sud. Gedemütigt kratze ich mich hinter dem Ohr, berühre das ekelhaft klebende Haar, nutze das Zeitfenster für Überlegungen. Wie ist Plan B?

Schwitzen, schmoren im eigenen Sud. Gedemütigt kratze ich mich hinter dem Ohr, berühre das ekelhaft klebende Haar, nutze das Zeitfenster für Überlegungen. Wie ist Plan B?

»Du?«, werde ich aus den Gedanken gerissen. »Du da sind Löcher in der Tüte!«

Ich beuge mich nach unten, von wo die Worte träge zu mir aufsteigen. »Ein Gesicht.« Der Knirps lächelt. Die dicklichen Arme und Hände wenden sich erneut der Knisternden zu. Sie fingern an den Löchern, aus denen Teile der Überweisungsträger neugierig hervorlugen.

»Ist eine afrikanische Gesichtstüte, sehr, sehr wertvoll!«, entgegne ich mit versteinertem Ausdruck. Seine Augen mustern die Geheimnisvolle abermals, jetzt mit einem bewundernden Kennerblick, der es nicht zulässt, sie nochmals zu berühren.

»Gregor, sprich nicht mit Fremden, komm´ sofort hierher!« Dem Ruf der Mutter folgend, verlässt er mich. Was `ne Nummer, ist ja erbärmlich. Verkackt!

Mit hängendem Kopf und schmerzenden Gliedern schleppe ich meinen Zementsack-schweren Körper, die afrikanische Gesichtstüte baumelt, Richtung Auto.

Nicole & Roselinde

Mein klappriger Mazda ›Der Weiße‹ erwartet mich. Ich reiße die Fahrertüre auf. Der abgestandene scharfbeißende Schwall wabert mir entgegen. Rücklings falle ich auf die Sitze, die Beine hängen leblos aus dem Wagen. Schleppend und hörbar ziehe ich die Fersen über den Bürgersteig. Angewinkelt bleiben die Beine draußen. Kurze Pause.

Betty räkelt sich auf dem Polster, so, als kuschelte sie in flauschiger Zuckerwatte. Im Fußraum windet sich das beschuppte Drachen-Monster, bereit, gleich Vollgas zu geben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit rapple ich mich auf. Die wertvolle Tüte verbanne ich auf den Rücksitz. Die Sonne brutzelt. Tempo 30 ist angesagt.

»Geh Göre!«, schreie ich. Dieses Blag quert diagonal die Straße, ohne einen Blick an den Verkehr zu verschwenden. Der verschwitzte Arm, zu dem die perfekten Tattoos gehören, durchwedelt stickige Luft. Schweißtropfen hüpfen, gehen rund um mich nieder. Na, wenn das Mal keinen Regenbogen gibt.

Meine Zähne knirschen. Fast schmerzhaft kräuselt sich meine Stirn und meine Augen bilden Schlitze, münden in braungebrannten Krähenfüßen. Wie fühlt sich das an, wenn ich vorwärts, rückwärts, vorwärts, rückwärts über diese Göre ... die sich einfach nicht vorschriftsmäßig verhalten will? »Kopfkino für Genießer!«

»Stichwort - N i c o l e – komm auf andere Gedanken! Alles, was dir jetzt durch den Kopf schießt, wird deine Stimmung beeinflussen«, säuselt der Koi.Er grinst ein rotes Grinsen.

Wahrlich ein perfektes Stichwort. Nicole - sie schwört auf trashigen Kitsch und saftige Erotik, schwärmt von diesen entzückenden Filmchen. Roselinde Pichler heißt doch die, deren Bücher als Vorlage herhielten? Man, was da an Kohle floss, als der Mist verfilmt wurde? Nicole – nicht hübsch, nicht hässlich. Durchschnitt, aber auf Dauer unerträglich.

»Hab ich die Haare schön? Eine neue Farbe war bei `ner anderen Friseuse. Meine Tasche - niedlich, ne? Mir bleibt doch nix anderes, als jeden Tag putzen. Die Welt ist so schmutzig! Manchmal verzweifele ich. Und jeden Tag in die Stadt gehen und einkaufen befriedigt nur kurzfristig. War das ein lustiger Abend, als wir ordentlich einen pichelten. Pling, mein Schatz!« Unentwegt plappert dieses Mündchen – Lippenstift ist zu dick und viel zu rot aufgetragen. Säuseln in meinen Ohren, ich befürchte, ohnmächtig zusammen zusacken. Nein, die Dame ist alles andere als blond! Ich schüttle mich angewidert.

Nee, stelle mir vor, ich hätte täglich solche Weiber um mich. Die wünschen nur eins, bespaßt zu werden. Okay, sie sehen echt annehmbar aus, nette Püppitäschchen unter den Achseln, wechseln mindestens zweimal am Tag die Klamotten, zusehen - Fehlanzeige. Das Essen zahl immer nur ich. Politik - Sie wissen, wie man es schreibt - toll! Bücher oder Dokumentationen mit Wahrheitsgehalt ertragen sie nicht, agieren hysterisch, und mit Anfassen ist auch nix. Wieso in Gottes Namen lernte ich diese Frau kennen? Und warum verbrachte ich Zeit mit ihr? Ob man so was sagen darf? Politisch korrekt war ich nie, meine Freunde verstehen das. »Ich hoffte auf positive Gedanken«, schmollt der Koi.

Ich ignoriere ihn, richte meine volle Aufmerksamkeit auf die Straße. Vielleicht läuft mir irgendwas Lebendiges über den Weg. Ich grunze, lache und entblöße meine weißen Zähne. Mhhh, kalter Milchkaffee von heute Morgen. Ja, Milchkaffee. Tattoos bedeuten nicht zwangsläufig Bier!

Das lauwarme, braune Nass erfrischt meinen klebrigen Gaumen. Tropfen sprudeln aus meinem rechten Mundwinkel, folgen dem Kinn. Und wieder blitzen meine weißen Zähne im stechend quälenden Sonnenlicht. Ich blinzle hinüber, in das Auto auf der rechten Spur, mein Lächeln wird erwidert.

Schweiß braucht Ablenkung! Ich denke an Geld, die nächste Fälligkeit der Krankenversicherung - Geld - und Fußball. Deutschland ist erwartungsgemäß natürlich nur Dritter der WM geworden. Mit 51 Punkten beim Tippen war ich gar nicht schlecht, hatte die Holländer als Weltmeister auf dem Schirm. War nix.

Schweiß braucht Nahrung – Flüssignahrung. Nochmals greife ich auf den Beifahrersitz und fingere am kaffeegefüllten Chutneyglas. Es klemmt, das verdammte Ding, ich habe immer eins dabei. Ich muss anerkennen, von Minute zu Minute geht es mir besser! Trotzdem die Hitze im Mazda konstant steigt und die Tattoos perfekter denn je glänzen. Die Klimaanlage ist defekt, die Scheibenheber leider auch. Bankraub, das war `ne Kack-Idee!

Loser & Ninja-Kämpferin

Ich glaub´s nicht. Das ist sie doch! Überrascht verschlucke ich den Kaugummi. Das Girlie sieht besser aus, als ich bei dem Fight mit den Bullen ahnte. Die Ninja-Kämpfer-Haare wirbeln besänftigend um das ovale Gesicht und die Schultern. Eine riesige geblümte Tasche ruht schwer auf angespannter Schulter. Der schlanke Hals wird lang und länger. Modigliani.

Sie hält den Daumen hoch, wartet nur auf mich. Klar nehme ich sie mit. Ich halte an und steige aus. Fenster runterkurbeln - ausgeschlossen! Ich lehne lässig am Weißen.

»Wo willste denn hin? Kann dir `ne Fahrt in japanischer Luxusklasse anbieten.« Meine Zähne überstrahlen alles - und ich weiß das!

»Dich habe ich doch bei der Kasse gesehen.« Sie streckt mir kampflustig das Kinn entgegen und murmelt: »Ich will weg. Egal, erst mal weg!« Galant gehe ich ums Auto und öffne ihr die Türe.Was sonst – von innen funktioniert es nicht.

Sie schmeißt ihre Tasche auf den Rücksitz. Die Miene haftet kurz an meiner Tüte. Frech blinzelt sie und kuschelt sich in den Sitz. »Überweisungsträger, so, so!«

Ist echt mies! Sie fixiert mich. Diese Mandelaugen scheinen alles zu wissen über meinen misslungenen Plan, die gescheiterte Aktion. Sie kennt kein Erbarmen. Wahrscheinlich verrät meine Körperhaltung beim Umkreisen des Weißen, wie peinlich mir das ist.

»Cat.« Sie streckt mir ihre Hand entgegen. »Catherine, lieber kurz, Cat!« Jetzt strahlt sie und ich erkenne, wie blutjung sie ist. Nix für mich – schade! Sie scheint nicht zu erwarten, dass ich ihr meinen Namen nenne und ich tue es doch!

»Wie biste den Bullen entkommen? Die hatten dich voll in der Mangel.« Geschmeidig liegt, der ›Weiße‹ auf der Straße. Ich imponiere - verdammt waghalsiger Retter. »Ich hab´ dich schon im Knast gesehen, ehrlich.« »Pah, bisher ist es mir immer gelungen, zu entwischen.« »Immer? Wie viele Dinger drehst du so? In deinem Alter?« Achtung – Trotzphase!

»20!«, beantwortet sie zickig den zweiten Teil meiner Frage. »Überfälle? Aufgehört zu zählen.« Sie fummelt an ihren Zehen, die vollen Lippen fest aufeinander gepresst.

Sie will vom Thema ablenken. Ich hab es nicht mit Füßen. Wende meinen Blick lieber der Straße zu.

»Das Fenster klemmt.« Sie versucht vergeblich, die abgerissenen Fußnägel zu entsorgen. »Ist schon geraume Zeit kaputt.« Einladend öffne ich den Aschenbecher, abermals blitzen meine weißen Zähne. Unwiderstehlich, scheint bei Cat aber keinen Eindruck zu hinterlassen. Rabenschwarzer Tag! Na ja, Pott wie Hund. Oder Pott wie Deckel?

»Das war verdammt schwer, den beiden zu entkommen.« Ihre Wangen glühen und die Mandelaugen sprühen Funken, zufrieden über den geglückten Coup. Sie befeuchtet ihre prallen Lippen. »Es gibt zum Glück nur zwei Bullen im Dorf. Habe sie ausgetrickst, die Reifen aufgeschlitzt, dem Typen mit dem Messer ein paar Hiebe verpasst und seine Waffe einkassiert.« »Zeig mal her das Ding!« Die Schönheit blufft – das ist klar.

Sie turnt auf die Rückbank, wurschtelt in ihrer geblümten Tasche. Kurz visiert sie meine Nase an, gleitet zurück auf den Beifahrersitz, die Wumme, den kostbaren Schatz, in der Hand. Bitte bedrohen Sie den Fahrer nicht während der Fahrt!

»Und dann lässt du dir Zeit, per Anhalter abzuhauen?« »Ja, genau, denn da kommt doch keiner drauf! Coole Typen, die einen mitnehmen finden sich immer.« Da geht vielleicht doch was, ist mein nächster Gedanke. Betty Page streckt mir die elend lange Zunge heraus. Falsches Luder! Konzentriere dich, Nils! Der Berufsverkehr setzt ein.

»Du wolltest es tun, `ne?«, wirft das Mädchen schnippisch in die schweigsame Stille. »Es war dein Plan, die Sparkasse zu überfallen.« Meine Brauen ziehen die Stirn in Falten, bilden Zelte, die meine Augen schützen wollen. Soll ich´s zugeben und sie anblaffen, weil sie alles vermasselt hat? Sie besitzt `ne Waffe. Mein ›Losen‹ eingestehen? Dem bösartigen Luder Anlass zur Freude geben? »Ist halt Pech, dass wir beide am gleichen Tag dieselbe Idee verfolgen«, seufzt sie, wirft den Kopf in den Nacken. »Nee, ist schon klar, weil du das ja soooo oft machst!« Mein Ton ist gehässig, einen Tick belustigt. »In den letzten drei Jahren fünf Banküberfälle ...« Sie nimmt ihre Hände zu Hilfe und zählt all´ ihre Vergehen auf. »Sieben Tankstellen, vier Kioske, drei Nagelstudios und sechs Plattenläden. Da hab ich mich mit Musik begnügt. Viel Kohle ist in so `nem Laden Fehlanzeige.« Sie lächelt. Also, sie zählt doch noch. Plattenläden - gemeines Stück! »Und im Nagelstudio, haste dir die Nägel feilen lassen?« Ich schmunzle über meine Stichelei. Freue mich, beinahe der Alte zu sein. Angestachelt, setze ich einen drauf. »Alles zu Fuß. Yep!« »Du Arsch! Du glaubst mir nicht?« Sie fuchtelt mit der Waffe vor meiner Nase, die sie flugs aus dem Fußraum gekramt hat. Bitte bedrohen Sie den Fahrer nicht während der Fahrt!

Was ein öder Sound! Ich hasse mutierte Klingeltöne. Aber dieser rettet mir das Leben!Grinse in mich hinein. In der einen Hand die Knarre, befreit sie umständlich mit der anderen das Handy aus der knackigen, superengen Hosentasche. Der öde Sound wird lauter. Zusammengekniffene Mandelaugen stieren auf das Display.

Der öde Sound bleibt. Erstaunlich! Ein altes Handy, ähnlich oll wie meins. Was ist mit Facebook und Co.?

»Ja, Zita?« Geschickt führt sie es vorbei an den Ninja-Kämpfer-Haaren zum Ohr. Ihr Mund bleibt geöffnet. Gebannt lauscht sie. Auf der anderen Seite der Leitung ist Furchtbares geschehen. Sogar ich vernehme das Schluchzen und Jammern, wenn ich auch nichts verstehe.

»Okay, hör´ auf zu heulen! Wir kriegen das schon hin. Na, wenn´s um Leben und Tod geht!« Fragend checkt sie mich ab, die Stirn wirft winzige pralle Falten.

Dass das geht. Ich weiß zwar nicht, warum, aber ich nicke. Bin für jeden Scheiß zu haben. Viel schlimmer kann´s nicht kommen.

»In circa `ner halben Stunde schlag ich bei dir auf. Hab ein Auto, abgemacht? Bis denn!« Hastig beendet sie das Gespräch. »Schrecklich! Fahren wir zu ihr. Ich bete, dass Sue recht behält und das Orten des Handys unmöglich ist.« Entrüstet umklammert, hypnotisiert sie das klobige Ding. Es klingt gemein, die Handytheorie und ihre Erscheinung amüsieren mich.

»Die Nächste rechts, nachher der Straße folgen«, murmelt sie. »Keine Idee, was da passiert ist. Zita ist aufgelöst, es muss sehr, sehr tragisch sein.« Mit erhobenem Finger ermahnt sie sich: »Cat! Lass' es aus!«

»Deines ist fast so alt wie meins. Ich bin technikresistent, mir reicht es. Und Du? Nicht vernetzt? Social Network und so?« »Oh Mann! Twittere ich gleich: Überfall, Abkassieren unmöglich, Polypen verletzt, fahre zu Zita? Besser noch, ich poste bei Facebook den nächsten Bruch mit Angabe der Koordinaten, damit die Bullen mir `nen liebevollen Empfang vorbereiten? Hältst du mich für naiv? Ich lebe ein selbstbestimmtes Leben! Ich habe mit Sue getauscht – Smartphone gegen das unscheinbare und vor allem unknackbare Profi-Super-Notfall-Handy!« Okay, okay, bin überzeugt, wenn es denn unknackbar und nicht zu orten ist! Den Rest der Fahrt verbringen wir still, bis auf ihre Fahranweisungen.

Ich nutze die Zeit für Gesichts- und Gedankenübungen. Training der Mimik – wichtig. Trainiere ich häufig, meist ohne Gesellschaft, immer aber im Auto.

Cat hängt eigenen Hirngespinsten nach, kratzt mit der Waffe den Kopf, bemerkt mich nicht. Angenehme Begleitung! Bezaubernde schweigende Frauen, hab ich mir ja gewünscht.

Ich untersuche mehrfach den Rückspiegel. Ups, der Schluck Kaffee ging daneben, macht mich nicht schöner. Ob ich ihr einen anbiete? Apropos, braun. Angst und Schrecken lauern überall. ›Die braune Gefahr‹ habe ich ordentlich unterschätzt. Dachte, sie stirbt aus. Doch hirntote Glatzen agieren präsenter denn je. Eine zusätzliche Bedrohung für die Gesellschaft stellen die ›Udos‹ dieser Welt dar! Ich könnte ihr davon berichten. Nein. So bleibt mir Zeit für subjektive Betrachtung. Na, Hauptsache man betrachtet irgendetwas.

Genau, die ›Udos‹ dieser Welt! Die sind meist unauffällig, getarnt, Models, zielstrebig, erfolgreich, und das nur monetär. Sie verfügen über soziale Intelligenz, die bei Minus 10, wenn nicht sogar bei Minus 50 liegt. Die rangieren weit oben auf meiner innerlichen Wutskala. Ich weiß, wovon ich spreche. Die kennen Schlupflöcher, um Steuern zu sparen, immer reicher und reicher zu werden. Schrecken nicht davor zurück, nach China zu gehen, wenn in Deutschland der Arsch ab ist, um Zaster zu scheffeln. Natürlich pfeifen sie auf Menschenrechte. Recht erhält nur der Starke. Klischee? Wenn das leider genau so ist? Ach ja, soziale Intelligenz und Kompetenz von Minus 10 bis Minus 50 spiegelt sich in den Reihen unserer Politiker. Ich schließe keine Partei aus! Macht um jeden Preis! Das Wort ›sozial‹ gebrauchen sie vollkommen sinnentleert. Diäten erhöhen, gesellschaftliche Errungenschaften zerstören, so ist das heute. Diese ›Agenda 2010‹-Scheiße, na, wir sehen, was uns blüht. Die Leutchen arbeiten für minimale Kohle, müssen aufstocken, um zu existieren. Panik und Politik - passt hervorragend zusammen.

Tentakelfrau & Seitenschneider

Wir erreichen die Stätte von Zitas Verzweiflung. Hier möchte ich nicht tot über dem Zaun hängen! Beäuge den Rückspiegel, bevor ich aussteige. Man weiß nie! Vielleicht verfolgen sie uns. Ich habe `ne bewaffnete Schwerkriminelle im Mazda.

Cat ist gefangen. Sie wedelt mit den dünnen Armen. Das hebt die Laune. Sie schnaubt vor Wut, als ich sie aus dem Weißen befreie, schubst mich beiseite und eilt zur Eingangstüre. Sie schellt und schellt, die Haare tanzen. Endlich wird die Türe aufgerissen.

Ich kann nicht mehr, was ist denn das? Hager, groß, sehr groß, größer als ich, vermeintlich weiblich – Zita!? Das Halbdunkel lässt mich Konturen erkennen. Meine Augen gewöhnen sich. Im roten glatten Haar steckt etwas Pinkfarbenes, rundlich, irgendwie wie ein Geschwür.

Bei Cats Anblick beginnt das Riesenweib lautstark zu heulen, schmeißt sich theatralisch in ihre Arme. Cat brummelt Versöhnliches - nehme ich an. Das Winseln und Wimmern nimmt kein Ende. Sieht aus, als wolle sie Cat verschlingen, erdrücken mit den blassen Tentakelarmen.

Ich folge den beiden durch den Flur in die Wohnküche. Cat löst sich aus der Umarmung und schiebt Zita ein Stück von sich. Da steht sie vor uns, die Tentakelfrau Zita! Die Arme hängen. Wahnsinn, die reichen bis zu den Kniekehlen. Dann ist da unüberschaubar der Tumor am hängenden, erbsengroßen Kopf.

»Was machst du denn nur?« Cat streckt sich, um an das Geschwür zu gelangen. »Ich wollte ...«, geräuschvoll zieht Zita die Nase hoch, fährt mit erstickter Stimme fort, »`ne leichte Welle, jetzt kriege ich die Bürste nicht mehr raus. Hab ich schon tausend Mal versucht, nur nie mit der Minibürste. Bei Svenja habe ich geklingelt, die ist unterwegs und ich bin doch mit Micha verabredet. Ich wusste mir keinen anderen Rat, als dich zu Hilfe zu holen, was soll ich nur tun?«

Ich stöhne. »Rausschneiden, ist total verfilzt, Mann!« Mein ungebetener Kommentar, während ich Zita seelenruhig umrunde. Mit gespitzten Fingern zupfe ich am Stiel, nach oben, nach unten. »Hilft nix - rausschneiden und du bist das Furunkel los!«

Schon setzt das Geheul erneut ein.

»Der Friseur ist im Urlaub«, schluchzt Zita. »Der hätte das hin bekommen.«

Cat wirft mir vernichtende Blicke zu. Ich ignoriere sie, scanne den Raum. »Krieg ich was zu trinken?« Das Schluchzen wird kurzzeitig unterbrochen. »Im Kühlschrank, da hinten in der Nische.« Die Tentakelarme weisen mir die Richtung.

Cat drückt Zita auf einen Stuhl, analysiert das Problem genau. »Du bist verletzt!«, bemerkt Cat entsetzt. »Ich habe mich mit dem Stielkamm geratscht.« Eine dicke Schramme prangt auf der Stirn, neben der schicken pinkfarbenen Rundbürste mit aufgerolltem roten Haar.

»Ich kriege das Ding garantiert raus, wo ist der Kamm?«, beruhigt sie, streichelt ihr über die Schulter. Die blassen Tentakeln zeigen in den Flur. »Im Bad auf dem Becken.« Cat verlässt uns.

Zita hebt den Kopf, schaut aus verheulten Augen. Riesige Kulleraugen glotzen. An dem Mädchen ist fast alles gigantisch, bis auf den Kopf und ihr Minigesicht. Ich lächle, scheine meine Wirkung zu verfehlen. Muss ich mich sorgen?

Ihr Kopf knickt ab, baumelt. Die Hände bewegen sich unruhig im Schoß, als spiele sie mit einem Rosenkranz. Da hilft nicht mal mehr beten, aber mir glaubt ja keiner.

Cat bearbeitet die aufgerollten Haare nach allen Regeln der Kunst, aber der Stielkamm will nicht so recht. Löst sie Strähnen auf einer Seite, zurren sie sich an der anderen fest. Verfilzt zusehends, wenn ich ehrlich bin. Die Milch tut gut. Sitze jetzt mindestens `ne viertel Stunde rum, langsam packt mich die Ungeduld.

Kein Wort, nur der Klang von dem Gezuppel und Gezirpe.

»Wann biste verabredet?« Mein Unterton ist leicht genervt. »Vor `ner halben Stunde, Micha wartet im Pferdestall«, flüstert das Riesen-Mädchen, atmet schwer, aber gelassener als zuvor. »Das kann ja Tage dauern, der arme Kerl. Wo finde ich `ne Schere?« Ich bin zu allem entschlossen, will dem ein Ende bereiten. »Nein, nicht meine Haare!« Die Gelassenheit verfliegt aus Zitas Stimme. »Nein! Nicht deine Haare!« Ich reiß mich zusammen. Aufhören mit dem Nachäffen!

»Wir schneiden die Noppen von der Bürste, dann kriegt man die Haare besser raus«, entgegne ich zügig. »Sehr gute Idee!« Cat stimmt mir zu. Bewaffnet mit der Schere, die sie in der Schublade findet, schneidet sie Stück für Stück die weißen Noppen von den Drahtborsten. Ihre Zunge, die derweil über die Lippen schleckt, soll den Vorgang beschleunigen. Gummiperlen hüpfen vergnügt durch die Küche, hinterlassen leise Töne bei jeder Berührung des Bodens. Ich lausche der Melodie. Hätte ich Ahnung von Noten ... würde ich sie aufschrieben.

Darüber vergesse ich fast die Zeit. Cat seufzt. Ich ahne Böses. Funktioniert nicht?

»Sieht schon besser aus«, versucht sie die Situation zu entschärfen. Eine halbe Ewigkeit ist an mir vorübergezogen. Das Wort »Seitenschneider«, schießt aus meinem Mund, erschüttert die raumfüllende Stille. Die Mädels starren entsetzt. Fragezeichen tanzen über ihre Stirne. Ich zögere keinen Moment, verlasse die Küche. Zurück, schlage ich lässig den Seitenschneider in meine hohle Hand. Miss Betty Page greift nach ihm. »Ich werd´ der Langen schon nicht die Ohren abschneiden!«Nix da!

»So, ich schneide jetzt die Borsten mit dem Seitenschneider ab, dann befreien wir deine Haare.« Ich triumphiere, würde mich gerne feiern lassen, ernte Unverständnis, Sorgenfalten und kullernde Tränen. »Das muss sein! Willst du am Ende doch die Matte abschneiden?« Ich erhebe meine Stimme, drohe, plustere mich auf, schiebe Cat weg und setze den Schneider an. Jetzt springen die Drahtborsten durch die Küche. Geht, zugegeben nicht, ohne doch ein paar Haare zu erwischen.

10 Minuten - die Sache ist geritzt. Ich löse das, was übrig ist, von der pinkfarbenen Rundbürste aus Zitas Haar. Haar? Strubbelig steht die imposante Filzwelle vom Erbsen-Kopf.

»Nie wieder benutze ich eine so kleine Bürste!«, haucht Zita erleichtert. »Naja, die ist ja jetzt auch tot«, antworte ich mit Sicht auf das pinkfarbene Ding. »Danke, das habt ihr super hingekriegt!« Sie umarmt erst kurz mich und dann lange Cat. »Rufe jetzt Micha an, dass ich nicht mehr komme. Bin erschöpft, muss erst mal `ne Packung machen.«

Micha ist ein Schaf, wenn er wartet! Würde ich nie, solange auf `ne Schnecke warten. Ich lege den Seitenschneider auf den Tisch und setze mich. Was für ein Akt!

Ich schaue auf die Kuckucksuhr an der Wand. Das Schwarzwaldmädel schaukelt unermüdlich hin und her. Der wird nie schlecht. Die Prozedur hat fast zwei Stunden gedauert. Vorteilhaft, dass ich praktisch veranlagt bin.

Auf dem Boden - die Noppen, die Drahtspieße und die langen fusseligen roten Haare ergeben bizarre Muster. Ich müsste die fotografieren. Mist keine Kamera dabei!

Zita und Cat kehren in die Küche zurück. »Zita, kannst du das Stillleben am Boden bis morgen lassen? Dann komm ich vorbei und schieße Fotos.« Ich schenke ihr mein betörendes Lächeln. Zita trägt einen Handtuchturban. Ein überdimensionaler Bienenkorb thront auf dem kulleräugigen Schädel.

»Klar, kein Problem! Aber was willst du denn damit?« Sie schüttelt das Köpfchen mit Unverständnis. Ich sorge mich um den Bienenkorb, der bedenklich schwingt und wackelt. »Na, das ist Kunst! Vielleicht kann ich die Fotos bei Vincent, einem Kumpel, in der Galerie ausstellen. Du darfst aber nix verändern, klar!« Zita nickt völlig fertig. Na ja, es ging schließlich um Leben und Tod! Ich grinse. So was hab ich bisher nicht erlebt, blieb mir erspart, da ich ohne Schwestern, ohne Geschwister aufgewachsen bin.

Ich stehe auf von dem Stuhl, der das Sammelsurium der Küchenstühle komplettiert. Strecke mich. »Werde jetzt mal fahren. Gibst du mir deine Nummer? Ich melde mich morgen, wegen der Fotos.« Zita schreibt die Ziffern auf einen Minizettel und reicht sie mir.

»Kann ich mitkommen? Ich suche ein Versteck und `ne Schlafgelegenheit«, bittet Cat mit bezauberndem Mandelaugen-Aufschlag. »Ich werde gesucht, du erinnerst dich?«

Zita ignoriert uns müde. In Trance, ausgepowert, vergisst sie, Cat einen Schlafplatz anzubieten. Sie dreht sich um und verschwindet in einem Zimmer.

Drei Scheiben Fleischwurst

Cat und ich treten den Heimweg an. Mein Magen knurrt, ähnlich einem ausgehungerten Tiger, der seit Tagen, ach was, seit Wochen erfolglos jagt.

»Wir fahren an `nem Supermarkt vorbei, der ist lange geöffnet. Ich brauche was hinter die Kiemen, hab den ganzen Tag nix gegessen. Du?« »Nudeln! Ich esse am allerliebsten Nudeln.« Ich bin ein exzellenter Koch, was Cat natürlich bislang nicht weiß!

»Spaghetti Ai Olio mit Chiliwurstbällchen. Was hältst du davon?« »Klingt lecker, kannst du das?« »Tz!«, zische ich. »Haste Geld? Ich bin pleite.« Jetzt grinst Cat ihr schönstes breites Grinsen. »Habe heute Morgen meine Eltern beklaut, war ja unklar, ob das mit dem Bankautomaten klappt. Und Geld benötigt man ja leider immer.«

Wie Recht sie hat! Diese Scheißkohle geht mir durch den Kopf. Ich stopfe den Zwanni, den sie mir reicht, in die Hosentasche. Mein inneres Auge durchstöbert die Küchenschränke, irrt umher. Ziemlich leer. Spaghetti gibt es, aber den Rest müssen wir kaufen.

Nach so einem anstrengenden Tag weicht die Musik im Supermarkt meine Birne auf. Das bläuliche Licht schreit nach einer Sonnenbrille. Ich schnappe Knoblauch und Chilis, fische das Olivenöl aus dem nächsten Regalkarussell.

»Komm, ich stecke die Sachen ein, hauen wir ab!«, flüstert Cat. Synchron greift sie nach dem Gemüse. »Nee, für heute reicht´s mir. Alle klauen wie die Raben und mich packen sie.« Ich hebe die Sachen über meinen Kopf. Cat erreicht sie nicht, selbst wenn sie einem Welpen gleich freudig hüpft.

Mit erhobenen Armen, die Tattoos stehen Kopf, verdrehen die Augen, hassen mich dafür, marschiere ich Richtung Fleischtheke. Cat schimpft, folgt mir dennoch. Eine alternde Dame verharrt, schaut mich an und schüttelt den Kopf. Schnepfe, denke ich.

Die Menschenschlange mit vollgestopften Einkaufswagen an der Theke ist lang, leider. Was die alle für Massen kaufen, das ist der Irrsinn. Irgendwie ekelhaft! Fertigprodukte, wer futtert das alles und vor allem, wem schmeckt der Scheiß?

Nicole fällt mir ein – die Königin der Tütensaucen. Geschmacksverstärker pur!

An der Käsetheke gibt´s Ärger. Nur schleppend gelange ich in der Schlange voran, weil die dusselige Kuh vor mir nicht in die Pötte kommt. Stupse den Wagen meiner Vorgängerin mehrfach an - ist nur im Weg, das Ding. Ich verrenke den Hals.

Die aufgebrachten Menschlein in der Käsethekenschlange schimpfen, attackieren einander mit Einkaufswagen, Körben, Taschen oder Beuteln. Oh man, Cat ist verwickelt in den Schlamassel.

Ich wende der Situation besser den Rücken zu. Locker schlendert sie an mir und der Fleischthekenschlange vorbei. Leicht federnd ist ihr Gang. Dann stellt sie sich vor die Erste in der Schlange. Eine Mittvierzigerin im teuren Gucci Hosenanzug, vermute ich. Die Frau mustert sie irritiert. Cat lächelt erst sie, dann die nach viel Wurst ausschauende Fleischereifachverkäuferin an.

»Ich hätte gerne drei Scheiben Fleischwurst!« »Bitte stellen Sie sich hinten an, bis Sie an der Reihe sind«, appelliert der Gucci Anzug. Cat lächelt erneut. »Ich hätte gerne drei Scheiben Fleischwurst!« Der Typ mit Vollbart in karierten kurzen Hosen mischt sich ein. Er ist gleich hinter dem Anzug platziert. »Wir warten alle, dass wir dran kommen, Unverschämtheit!« »Ich hätte gerne drei Scheiben Fleischwurst!« Eine ältere Dame, das Haar hochgesteckt, blaugefärbt, tritt hervor. Sie ist die Dritte in der Schlange, schubst den Hosenanzug weg und drückt Cat mit ihrer dicken Omatasche, die längst eingemottet gehört, zur Seite.

»Geh nach hinten, Kindchen!« Lange Speichelfäden ziehen sich in ihren Mundwinkeln. Cat wiederholt zuckersüß dieselben Worte: »Ich hätte gerne drei Scheiben Fleischwurst!«

Die Aktion läuft aus dem Ruder. Erboste Kunden stimmen ein in diesen wunderlichen Chor – komische Oper. Ich werfe meine Haare in den Nacken, lache durchtrieben – was für ein Weibchen! Der Marktleiter, sein Kittel weht, eilt herbei, zerrt Cat, die heftigen Widerstand leistet, hinter sich her – Richtung Ausgang. Ich nutze die Aufregung, bestelle beim heranwachsenden Metzger – zwei Chiliwürstchen und dann rasch zum Weißen.

Cat schleckt am geklauten Lutscher. Sehr zufrieden zeigt sie den Rest ihrer Beute. Kaugummis, drei weitere Lollies und eine Bitterschokolade. Mein Magen knurrt unerbittlich.

Der Chefkoch & die Nazijägerin

Ein Parkplatz vor der Türe, ich fass´ es nicht. Cat bringt Glück!

Ich befreie sie aus dem weißen Gefängnis. Sie zerrt die großgeblümte Tasche vom Rücksitz und folgt mir zum Hauseingang.Wann ich die wieder brauche? Die afrikanische Gesichtstüte bleibt im Weißen.

Sie ist verschlossen, die dunkle alte Holztüre mit den hübschen Drechslereien. Ich öffne. Wir tauchen in den kühlen mit Mosaiken ausgelegten Flur.

»Klein Chicago, deshalb schließen wir Tag und Nacht ab! Zu viele Junkies, jede Woche mindestens ein Bruch auf der Straße.« Das Holzgeländer und die quietschenden Stufen begleiten uns in den ersten Stock zu meiner Wohnung. »Verkackter Spießer«, nörgelt Cat, begeistert sich im nächsten Atemzug für das Haus. »Ultra cool!«

»Steht unter Denkmalschutz, eines der ältesten am Platz.« Ich wohne liebend gern in dieser Straße, gäbe es nicht immer Parkprobleme.

Der nächste Schlüssel öffnet die Wohnungstüre. Ich freue mich täglich über die Bude, obwohl ich schon etliche Jahre hier lebe. Sie könnte `nen Anstrich vertragen, gebe ich ja zu!

»Mensch, die ist ja irre!« Cat breitet die Arme aus, dreht sich im Kreis. »Die tollen hohen Decken, wie hoch sind die? Schade, dass es keinen Stuck mehr gibt. Und diese Doppelflügeltüren. Ein Palast«, staunt sie. »Einen Holzfußboden, den wünsche ich mir immer schon!« »Der ehemalige Besitzer – verstorben - erzählte, dass meine Räume lang vor meiner Zeit als ›Blauer Salon‹ des Hauses genutzt wurden.« Im Wohnraum wirft Cat ihre Tasche aufs Sofa. Genießt den Ausblick auf das beleuchtete historische Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite. »Ich zaubere uns was zu futtern«, murmle ich auf dem Weg in die Küche, schalte das Licht ein.

Der Einkauf landet auf dem Glastisch. Vier antike Holzstühle haben Platz. Über der Spüle hängen Pfannen und Siebe. Schnappe meine Lieblingspfanne. Mein ganzer Stolz: der Edelstahlgasherd – italienisches Modell! Fünf profimäßige Kochfelder wären der Hammer gewesen, aber die Nische reichte nur für vier. Die Schublade gleitet lautlos aus dem Unterschrank, präsentiert offenherzig die vielen gestapelten Töpfe.

Ein wohl durchdachtes System. Mist, dass ich nicht Koch gelernt habe! Keinen Bock auf die Arbeitszeiten. Kochen finde ich super, aber die Kohle unverschämt, na ja, Sterneköche ... Außerdem geht es der Gastronomie nicht prickelnd. Restaurantsterben, sage ich nur! Wenige Menschen können es sich leisten essen zu gehen.

Pastawasser ist aufgesetzt. Cat hilft mir beim Schnippeln. Chilikörner springen über den Tisch. Knoblauch klebt an meinen Händen. Angeekelt, schweigend quetscht Cat die Chilimasse aus dem Darm. Das gibt morgen Placken!

Leichte Rötungen an Cats rechtem Mundwinkel zeigen sich bereits. »Aber essen kannste die, oder?« Ich übernehme, rolle die klebrigen Bällchen liebevoll in den Handflächen. Kurz in Paniermehl gewälzt - fertig. Spaghetti versinken - torpedierte U-Boote im Topf, kochen brodelnd. Cat hievt die riesigen Pastateller aus dem Glashängeschrank. »Ich könnte ein Pferd verschlingen!«, lacht sie. »Allerdings nur, wenn du es nicht selber schlachten musst!« Ich positioniere meine Lieblingspfanne auf dem matt glänzenden Edelstahlherd. »Was süppeln wir dazu?«, forscht sie vorwitzig. »Wasser ist im Kühlschrank.« Ich deute hinüber, derweil rühre ich zärtlich die Nudeln.

»Wasser?« Entsetzt überschlägt sich ihre Stimme. »Besser Wodka oder Gin.« »Ich trinke nicht, sorry!« »Das geht ja mal gar nicht. Zu leckeren Spaghetti gehört doch ein Schlückchen. Wein, wenn schon nix Hartes.« Ich wette, dass sie boshaft mit den Augen rollt.

»Im Regal im Flur liegen ein paar Pullen, Geschenke. Wenn du willst?« »Na und ob ich will!« Umgehend kehrt Cat mit einer Weinflasche zurück, zerrt den Korken heraus und schenkt sich einen Vorab-Kochwein ein.

Sie schüttet die Nudeln ab. Die Wurstbällchen brutzeln knusprig vor sich hin. Knoblauch, zusätzlich Chili in die Pfanne, die Spaghetti rein, Pfeffer, Salz und schwenken. Mann, hab ich das lange geübt. Miracoli ist fertig!

Wein gluckert in mein Glas. »Überredet, zum Essen nehme ich eins!« Der Chefkoch – mein bestes Ich – verteilt die Spaghetti auf Tellern. Ich strahle, wenn auch ermattet. Bin nicht mehr in der Lage mich aufzuplustern, ein Lob einzufordern.

Das wilde Mädchen taucht mechanisch die Gabel in den Spaghettihaufen, ähnlich elegant wie eine Forke in den Mist. »Lecker!« Still schlingen wir die ersten Bissen in uns hinein. Teigwaren hängen aus Mundwinkeln, wedeln durchs Gesicht, hinterlassen Fettspuren, geschleudert auf T-Shirts, Tattoos, Tisch ... Mann, kann ich gut kochen!

Höre das Schlürfen, das Mahlen der Zähne, das Knirschen der Kaumuskeln, das finale Schlucken. Zum x-ten Mal prostet Cat mir zu. Eine gefühlte Ewigkeit, aber nur drei überfüllte Gabeln später, beginnt die Bildschöne, bis dato recht Schweigsame zu schwätzen. Ich lausche dem Gefasel von geglückten Überfällen, Einbrüchen, dem nächsten Ziel – richtig fettem Kunstraub, Beschwerden über unsensible Verbrecher und vermeidbaren Vandalismus. Sie stößt an, auf famose Freundinnen, eine eingeschworene Tippgemeinschaft und den erwarteten Lottogewinn. Hegt Bewunderung für die verrückte Oma, die sich bestens mit Terrorismus auskennt, als berühmte Nazijägerin gefeiert wird. Stinkende Kanalisationsflucht, eine zusätzliche Spezialität der Oma, möchte ich mir derzeit nicht vorstellen. Tolle Großmutter! Beinahe beneide ich sie um ihren Erfolg in der Ahnenforschung und den Stammbaum, der bis ins Mittelalter reicht.

Spaghettipfanne leert sich. Emsig schenkt Cat Wein nach und nach und nach. »Was ist das?«, lallt sie - entgleister Gesichtsausdruck. Gleichzeitig schiebt sie die letzte Pasta auf ihren Teller. Mir wird schummerig. Ich beuge mich angestrengt über meine Lieblingspfanne, mustere die Innenfläche. »Teflon ...«, ich dehne das Wort ungewollt. Oh, der Alkohol!