Eisfunken - Magdalena Pauzenberger - E-Book

Eisfunken E-Book

Magdalena Pauzenberger

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Beschreibung

Was wäre, wenn ein Fremder durch einen Blick die Tiefen deiner Seele erschüttern könnte? Wenn alte Ängste sich wieder in dein Herz gefressen haben und nur der Mann mit dem eiskalten Blick die Furcht lindern kann? Die junge Biologiestudentin Marlena trifft durch Zufall immer wieder auf den gefühlskalten Musikstudenten Valentin. Nur ein einziger Blick – und Marlena weiß, dass sich etwas verändert hat. Dumm nur, dass Valentin ein arroganter Arsch ist, aus dessen kalten, blauen Augen förmlich Eisfunken sprühen, wenn er sie ansieht. Ob die beiden es wollen oder nicht: etwas verbindet sie. Doch was hinter Valentins bröckelnder Unnahbarkeit zum Vorschein kommt, verändert alles…

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Inhalt

Kapitel 1 - Marlena 

Kapitel 2 - Marlena 

Kapitel 3 - Marlena 

Kapitel 4 - Valentin 

Kapitel 5 - Marlena 

Kapitel 6 - Marlena 

Kapitel 7 - Marlena 

Kapitel 8 - Marlena 

Kapitel 9 - Valentin 

Kapitel 10 - Marlena 

Kapitel 11 - Marlena 

Kapitel 12 - Valentin 

Kapitel 13 - Marlena 

Kapitel 14 - Der Gesetzlose 

Kapitel 15 - Marlena 

Kapitel 16 - Marlena 

Kapitel 17 - Marlena 

Kapitel 18 - Marlena 

Kapitel 19 - Der Gesetzlose 

Kapitel 20 - Marlena, ein Traum 

Kapitel 21 - Marlena 

Kapitel 22 - Marlena 

Kapitel 23 - Marlena 

Kapitel 24 - Marlena 

Kapitel 25 - Marlena 

Kapitel 26 - Marlena 

Kapitel 27 - Marlena 

Kapitel 28 - Valentin 

Kapitel 29 - Marlena 

Kapitel 30 - Valentin 

Kapitel 31 - Marlena 

Kapitel 32 - Marlena, ein weiterer Traum 

Kapitel 33 - Marlena 

Kapitel 34 - Valentin 

Kapitel 35 - Marlena 

Kapitel 36 - Marlena 

Kapitel 37 - Marlena 

Danksagung 

 

 

 

 

 

Vollständige e-Book Ausgabe 2020 

 

Copyrigth © 2020 ISEGRIM VERLAG in der Spielberg Verlag GmbH, Neumarkt 

Covergestaltung: © Ria Raven, www.riaraven.de

Bildmaterial: © shutterstock.com Alle Rechte vorbehalten. 

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung können ziviloder strafrechtlich verfolgt werden. 

ISBN: 978-3-95452823-3 

 

www.isegrim-buecher.de 

 

 

 

 

Magdalena Pauzenberger wurde 1998 im schönen Oberösterreich geboren und wohnt auch heute noch dort. Studiert hat sie allerdings in Salzburg, wo auch ihr Debütroman spielt. Bücher und fantastische Geschichten sind aus ihrem Alltag als Bücherbloggerin, Biologin und dauerverspätete Tagträumerin nicht mehr wegzudenken, obwohl sie erst im Teenager-Alter begonnen hat, so viel zu lesen. Fantasie hat sie hingegen schon immer besessen. Im Alter von 18 Jahren hat sie dann begonnen, die Geschichten aus ihrem Kopf niederzuschreiben – vor allem als Ausgleich zu ihrer naturwissenschaftlichen Ausbildung.

 

 

 

Für Helmut – der in einer dunklen Stunde die richtigen Worte fand 

Kapitel 1 - Marlena 

Warum muss ich eigentlich immer schon zehn Minuten vor Ankunft des Zugs am Bahnsteig stehen, wenn ich sowieso schon am Bahnhof bin? Ah ja, ich weiß schon wieder: damit ich mir dann fast meinen hübschen Hintern abfriere, weil der Zug schon wieder Verspätung hat. Manchmal möchte ich mir echt selbst einen Klaps auf den Hinterkopf geben. Vielleicht würde ich dann auch endlich mal ein wenig entspannter sein. Mit dem Zug nach Salzburg zu fahren ist ja schließlich nichts Neues, nachdem ich nun schon seit Monaten jede Woche mindestens einmal hin und wieder zurückfahre. Aber ich muss natürlich wieder Panik schieben, dass ich den Zug verpassen könnte und dann ewig auf den nächsten warten müsste, die Uni verpassen würde oder einfach keinen Sitzplatz mehr ergattern könnte (was angesichts der Tatsache, dass ich zwar einen relativ kleinen, dafür aber umso schwereren Koffer mit mir herumschleppe, echt scheiße wäre). Also friere ich mir genau deshalb nicht nur meinen Hintern, sondern inzwischen auch meine Ohren ab.

»Dieser Zug hat voraussichtlich fünf Minuten Verspätung.«

Na toll, damit verlängert sich meine Wartezeit ins gefühlt Unendliche und die Gefahr eines Erfrierungstodes rückt bedrohlich näher. Also scrolle ich weiter lustlos durch die Songs auf meinem iPod – habe ich eigentlich auch Lieder darauf, die nach 2012 erschienen sind und nicht in »Magic Mike« als Stripgrundlage verwendet wurden?! – bis endlich der Zug in den Bahnhof einrollt. Warum müssen die zwei Waggons der ersten Klasse auch noch direkt vor meiner Nase halten? Kann dieser Tag denn noch ätzender werden? Dann schleif‘ ich diesen verdammten Koffer mit dem viel zu kurzen Griff eben noch weitere 200 Meter den Bahnsteig entlang und reihe mich in die endlose Warteschlange vor der offenen Zugtür ein, um sowieso keinen Sitzplatz mehr zu bekommen. Sport ist schließlich gesund. Oh Mann, heute ist wirklich nicht mein Tag. Zehn Minuten später erwische ich dann doch noch einen Platz. Sogar einen Doppelplatz nur für mich alleine. Dank meiner Gabe auch mit dem Rücken zur Fahrtrichtung ohne Übelkeit fahren zu können. Das können offensichtlich nicht besonders viele Leute… aber mir soll‘s recht sein. Endlich mal etwas Erfreuliches an diesem kalten und nebeligen Dienstagmorgen.

So, nur noch den Koffer auf der Ablage über den Sitzen verstauen, dann kannst du zwei Stunden lang lesen und entspannen, Marlena. Du schaffst das schon, du hast immerhin stärkere Arme als mancher Kerl in deinem Alter. Na ja, ein wenig gut zureden kann trotzdem nicht schaden. Seit wann sind Klamotten eigentlich so schwer? Nur noch zwei Zentimeter, dann liegt der Schwerpunkt des Koffers über der Kante… und ruummmmps!

Das Gute ist: Mir ist der Koffer nicht auf total peinliche Weise mit lautem Krachen zu Boden gefallen und auch der Inhalt liegt jetzt nicht überall verstreut. Das Schlechte daran ist jedoch, dass es meine Zähne waren, die dieses verdammte Gepäckstück davon abgehalten haben, sich der Schwerkraft hinzugeben. Kurz halte ich die Luft an und verdrücke mir die Tränen. Wenn ich mir jetzt die Schneidezähne abgebrochen habe, bekomme ich hier vor allen Zugpassagieren einen Nervenzusammenbruch, da bin ich mir sicher. Ganz vorsichtig fahre ich mit der Zunge über die schmerzende vordere Zahnreihe, bereite mich schon mal mental darauf vor, dass ich die nächsten zwei Wochen überall als Verrückte, die den halben Zug zerlegt hat, in den Nachrichten zu sehen sein werde… und bemerke, dass ich wieder einmal überreagiere. Ein Zahn ist vielleicht ein wenig verschoben, aber darauf kommt es jetzt gerade nicht an. Was mach ich denn jetzt mit diesem scheiß Koffer? Moment mal… hier muss doch irgendwo ein Gentleman sitzen, oder? Mit einem besonders hilfsbedürftigen Hundeblick schaue ich mich im Waggon um. Die einzigen zwei Typen in meinem Umfeld ignorieren mich dermaßen angestrengt, dass sich schließlich eine etwa 1,60m große Touristin meiner erbarmt und wenig hilfreich, aber trotzdem echt nett, mit mir gemeinsam den Koffer verstaut. ENDLICH! Völlig geplättet lasse ich mich gegen die Rückenlehne meines Sitzes sinken und werfe dem Typen schräg vor mir, der alles andere als ein hilfsbereiter junger Mann zu sein scheint, einen extra finsteren Blick zu. Ja, ich bin inzwischen achtzehn Jahre alt und somit eigentlich erwachsen, aber wenn mich jemand nervt, bekommt derjenige nun mal meinen wahrscheinlich weniger einschüchternden als erhofft, giftigen Blick zu spüren. Dadurch, dass der Blick aber nicht mal annähernd giftig ist und der Zweitname dieses Mannes offenbar Ignoranz lautet, bringt mir auch das keinerlei Befriedigung.

Während ich ein Buch aus meiner Tasche krame – in Ruhe Lesen hilft mir immer, mich zu entspannen und meine Laune zu bessern – mustere ich den Typen immer noch aus den Augenwinkeln. Mein Blick fällt auf seinen grauen Pulli mit den braunen Verstärkungen an den Ellbogen. Wie spießig. Außerdem war das vielleicht vor zwei Jahren in, aber jetzt doch nicht mehr. Obwohl ich zugeben muss, dass ihm dieser Rollkragenpulli irgendwie steht, dazu noch diese perfekt geschnittene Hose und … sind das Lederschuhe? Wow, jetzt bin ich aber ehrlich beeindruckt, mal wieder einen rund 20Jährigen ohne Sneakers zu sehen. Sein Modegeschmack macht ihn aber leider auch nicht sympathischer. Was mir im nächsten Moment auffällt ist das ältere, reich aussehende Ehepaar ihm gegenüber. Die beiden sehen dafür umso netter aus. Warte… Konnte es sein, dass das seine Eltern waren? Vielleicht ein Familienausflug ins Grüne? Hmm… Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln? Wohl eher nicht.

Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich kann es einfach nicht lassen, diesen Kerl anzustarren.

Oh, hätte ich mich nur zurückgehalten. Denn ich werde schlagartig aus meinen Spekulationen gerissen, als ich bemerke, dass er durchaus mitbekommen hat, dass ich seit etlichen Minuten Blicke in seinen Rücken bohre. Ach du Scheiße, wie peinlich. Doch bevor ich beschämt zu Boden starren kann, sehe ich seine beeindruckenden eisblauen Augen, die so kalt glitzern wie ein Bergsee im Frühjahr.

Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Unwillkürlich beginne ich zu zittern, wobei ich hoffe, dass er davon nichts mitbekommt. Obwohl ich nichts lieber möchte, als meinen Blick abzuwenden, schaffe ich es einfach nicht, den Augenkontakt zu unterbrechen. Diese klaren, blauen Augen haben mich gefesselt. Alles um mich herum verblasst, einzig dieses Blau kann ich sehen, als würde ich in Wasser versinken. Im nächsten Moment stellt sich ein ziemlich breiter Schaffner zwischen uns und tut mir dadurch unbewusst einen großen Gefallen, indem er den Blickkontakt zwischen mir und diesem unbekannten Typen blockiert.

Noch etwas neben der Spur krame ich in meiner Tasche nach der Fahrkarte. Nachdem ich sie dem Schaffner unter die Nase gehalten habe und dieser auch den wie es scheint alles andere als hilfsbereiten, jungen Mann mit den strahlenden Augen kontrolliert hat, widmet sich Besagter wieder seinen Schreibunterlagen und ignoriert mich wie zu Beginn der Zugfahrt. Erleichtert lasse ich mich wieder zurück in den Sitz sinken. Erst jetzt fällt mir auf, wie angespannt ich war. Langsam lasse ich meine Schultern kreisen, um die Verspannungen etwas zu lockern.

Als mich das schlechte Gewissen schlagartig übermannt, krame auch ich meine Lernunterlagen hervor – tut mir Leid Buch, aber mit Gewissensbissen, weil man eigentlich für eine wichtige Prüfung lernen sollte, liest es sich nicht gut. Nun spüre ich auch, wie kalt mir plötzlich geworden ist. Meine Finger gleichen Eiszapfen, die jedoch glücklicherweise langsam wieder auftauen. Meine Gedanken kreisen um diesen durchdringenden Blick. Wie konnte mich dieser Kerl nur so teilnahmslos mustern und gleichzeitig eine so heftige Reaktion bei mir hervorrufen?

Dazu kommt, dass mir nicht nur bewusstwird, dass mich diese beinahe türkisen Augen das Fürchten gelehrt haben, sondern dass mir auch gleichzeitig unendlich warm ums Herz geworden ist, während der Rest meines Körpers von Kälte umschlossen wurde. Ich kann einfach nicht leugnen, dass diese faszinierenden Iriden in einem ziemlich atemberaubenden Gesicht liegen, das durch die kurzgeschorenen dunklen Haare noch besser in Szene gesetzt wird. Denn seine Haare müssen dieses Gesicht nicht extra einrahmen, diese markanten und doch nicht zu kantigen Wangenknochen, wie sie kein Schönheitschirurg je besser formen könnte, unterstreichen seine Ernsthaftigkeit bereits perfekt und zeigen doch wie gut er auch trotz grimmiger Miene aussieht. Ich kann mir kaum vorstellen, welche Ausstrahlung er wohl zu besitzen vermag, wenn er lächelt oder gar ausgelassen lacht.

Warum ist mir der Dunkelhaarige noch mal unsympathisch?

Ich weiß es wieder: Weil er Hilfsbereitschaft wohl nicht einmal buchstabieren kann. Das ist einer der größten Makel meiner Generation:

Jeglicher Respekt und auch nur das kleinste Bisschen Mitgefühl für andere Menschen scheinen nach und nach verloren zu gehen. Tut es denn wirklich so weh, wenn man alten Leuten seinen Platz im Bus überlässt oder jungen hübschen Mädels im Zug unaufgefordert mit dem schweren Koffer hilft?!

Na ja ist jetzt egal. Das dumme Gepäckstück ist inzwischen gut verstaut und ich sollte endlich einmal anfangen zu lernen, sonst ist der nächste Prüfungsstress-Nervenzusammenbruch vorprogrammiert.

Habe ich schon erwähnt, dass ich für eine Studentin viel zu unentspannt bin? Wenn nicht: Ich bin ein einziger Haufen aus Stress, Sorgen und Zwängen … na gut und Brüsten … und ein bisschen Hirn. Und wenn wir schon dabei sind auch aus einem dickem Haarschopf, den Friseure ausdünnen können wie sie wollen - ich werde immer noch fast dreimal so viele Haare auf dem Kopf haben wie eine Durchschnittseuropäerin. Aber auch dagegen kann ich nichts machen und auch wenn ich mich immer wieder über meine langen Haare ärgere, wenn sie mal wieder in die Suppe eintauchen oder unzähmbar sind, so bin ich doch auch stolz auf meine dunkelbraune Mähne.

So aber jetzt wirklich.

»Die Prokaryonten werden traditionell in Bacteria und Archea unterteilt. Unter speziellen Einschränkungen werden auch Viren hin und wieder zu den Prokaria gezählt.«

Mikrobiologie – wie spannend. Ungewollt entkommt mir ein kleiner selbstmitleidiger Seufzer.

Schnell schaue ich mich um, ob ihn jemand gehört hat. Im Jahrhundert wird man nämlich schon fast als gestört betrachtet, wenn man sich nicht so ruhig und unauffällig wie möglich verhält. Das gilt vor allem für Busse, Züge und Flugzeuge. Aber Herr Eisblick, der zu gut für alles und jeden zu sein scheint, ist immer noch in seinen Block vertieft und kritzelt wie ein Wahnsinniger darauf herum. Was macht der da? Schreiben kann es kaum sein. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, die Unterlagen dieses hübschen aber genauso gefühlskalten Typen haben mein Interesse und damit meine Neugier geweckt.

Nochmals strecke ich meine verspannten Schultermuskeln durch und versuche dabei einen Blick auf seine Notizen zu erhaschen und siehe da: das ist kein normaler Collegeblock. Das ist ein Notenblock, und zwar ein fast gänzlich vollgeschriebener. Ich bin mir nicht sicher, ob er da etwas komponiert oder das bereits getan hat und nun nochmals den Feinschliff vornimmt. Vielleicht korrigiert er aber auch etwas für eine andere Person? So oder so, macht ihn das leider nur noch interessanter. Ich bin gespannt, ob er auch in Salzburg aussteigt, denn das vermute ich anhand seiner augenscheinlichen musikalischen Begabung stark. Es ist nicht nur eine Stadt mit Festung und teuren Geschäften. Nein, es ist vor allem die Stadt der klassischen Musik. Auch wenn ich selbst damit nur wenig anfangen kann – ich meine, ich habe wirklich Respekt vor Komponisten und Musikern, aber länger als fünf Minuten kann ich mir klassische Stücke einfach nicht anhören, ohne mich zu langweilen – bin ich schon immer ein wenig neidisch auf diese zum Teil unglaublich talentierten Musikstudenten gewesen, die sich hier in dieser Stadt teils zu wahren Künstlern der Klänge und Melodien ausbilden lassen. Und irgendwann werden ein paar Auserwählte von ihnen vielleicht in die Geschichte eingehen, wie einst Wolfgang Amadeus Mozart, dessen musikalisches Genie die Stadt an der Salzach bis heute prägt. Das hat nicht nur zufolge, dass Salzburg von asiatischen Touristen nur so überrannt wird, nein, viel mehr ist der Geist seiner Musik förmlich spürbar und hängt Tag ein Tag aus wie eine sanfte Nebeldecke über der Stadt und verleiht ihr diese gewisse Atmosphäre - außer man ist zu den Stoßzeiten mit dem Auto oder dem Bus nahe des Zentrums unterwegs, da ist die verträumte Atmosphäre ganz schnell wieder weg.

 

Nur noch eine Haltestelle, dann heißt es für mich – und vielleicht auch für den jungen Mann – aussteigen und willkommen zurück im Studierendenalltag. Als ich realisiere, dass ich für die immer näherrückende Prüfung wieder nichts gelernt habe, ist mir gleich zum Heulen zumute.

Und der Gedanke daran, dass ich heute stundenlang Physik und Chemie-Vorlesungen habe, stimmt mich auch nicht gerade fröhlicher.

 

Meine Damen und Herren in Kürze erreichen wir Salzburg Hauptbahnhof. Ausstieg in Fahrtrichtung links. Wir wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt oder eine angenehme Weiterreise.

 

Ich schnappe mir meinen Koffer von der Ablage über den Sitzen und achte nun besonders darauf, ihn von meinem Gesicht fernzuhalten. Ha! Noch einmal bekommst du nicht die Chance mich zu entstellen, du verfluchtes Gepäckstück.

Na, wer erhebt sich denn da?

Der eiskalte Schönling muss also auch am Hauptbahnhof raus, dachte ich es mir doch. Da kommt mir ein Gedanke: vielleicht wohnt er ja im selben Studentenwohnheim wie ich. Vielleicht ist er sogar mein neuer Nachbar, den ich bislang noch nicht gesehen habe?

Gedankenversunken blicke ich mich am Bahnsteig um, aber seine Spur hat sich in der Menge verloren. Ist auch egal, ich sollte lieber schauen, dass ich ohne weitere Missgeschicke in meine Wohnung und dann endlich zur Uni komme.

Verdammt! Was hat denn der Koffer schon wieder? Es wär‘ aber auch einfach zu schön gewesen.

Eine orange Scheck-Karte blitzt unter den Rädern meines Gepäcks hervor, scheint sich dort verklemmt zu haben. Das kleine knall-orange Stück Plastik kenne ich nur zu gut: Ein Studentenausweis der Uni Salzburg. Ich kann den doch nicht einfach hier liegen lassen, oder? Schnell stecke ich die Karte in meine Jackentasche und hoffe im nächsten Moment, dass es nicht so ausgesehen hat, also würde ich hier eine Kreditkarte oder Ähnliches heimlich an mich nehmen. Da mich hier aber sowieso jeder zu ignorieren scheint, schließe ich Zweiteres vorsichtig aus. Jetzt heißt es aber endlich ab in den Bus und in meine Wohnung.

Im Wohnheim angekommen schlurfe ich durch den grüngestrichenen Flur auf meine Wohnungstür zu, während mich der alt-bekannte Duft nach Chinarestaurant umgibt. Li Yang ist also gerade dabei zu kochen und macht dafür sogar eine Pause von ihrem Klavierspiel, das sonst so gut wie durchgehend durch diesen Stock des Wohnheims hallt. Wenigstens spielt sie gut, was man anhand des sehr starken und unangenehmen Geruchs von ihrer Kochkunst wohl eher nicht behaupten kann.

Schnell tausche ich mein angebissenes Brötchen von heute Morgen gegen einen College-Block sowie ein paar Kugelschreiber und schon bin ich wieder auf dem Weg nach draußen. Ich will schließlich noch einen Burger in der Uni-Mensa abbekommen.

Kapitel 2 - Marlena 

»Baby take off your coat! Reaaaal slow.« Joe Cockers rauchige Stimme meldet sich mal wieder.

Wie viele Strip-Songs hab ich denn noch auf meinem iPod? Tut mir leid Joe, auch wenn ich es noch immer furchtbar traurig finde, dass du nicht mehr unter den Lebenden weilst und dieses Lied ein wahres Meisterwerk ist, will ich doch nicht Gefahr laufen hier im Bus mitzusummen oder gar mitzusingen.

Was ist denn das?

Kaum greife ich nach dem iPod in meiner Jackentasche, halte ich auch schon das noch immer nasse und verdreckte Stück Plastik in meiner Hand. Der Studentenausweis! Den hatte ich ja fast vergessen. Mal sehen wem der gehört … Hmm … Valentin Lenz. Nie gehört.

Ein Blick auf das grässliche Foto lässt mich zusammenzucken.

Mir schaut der Typ mit den faszinierenden Augen aus dem Zug, alias Herr Arrogant himself, entgegen. Kurz muss ich mir ein Grinsen verkneifen, als ich das wohl schon in die Jahre gekommene Passfoto genauer betrachte. Wenn seine Augen nicht so markant wären, hätte ich ihn wohl mit seinen leicht gelockten Haaren und dem Ansatz eines Lächelns nicht erkannt. Aber er sieht auch wirklich noch um Einiges jünger aus, sogar ein bisschen süß und irgendwie … unschuldiger. Aber was mach‘ ich den jetzt mit der blöden Karte? Behalten kann ich sie wohl schlecht und darauf warten, dass er wieder einmal mit demselben Zug fährt wie ich und ich ihn dann anspreche, kommt auch nicht in Frage. »Äh…T‘schuldigung? Hast du zufälligerweise deinen Studentenausweis verloren vor … äh … ca. drei Wochen? Ich dachte nur das könntest vielleicht du sein, nachdem ich dich ja schon mal genauestens gemustert habe.«

Ja genau Marlena, da kannst du auch gleich eine Runde nackt durch die Uni sprinten. Das ist wahrscheinlich sogar weniger peinlich als dich selbst als Stalkerin vor diesem Typen zu outen. Mal überlegen … Es gibt bestimmt so was wie ein Fundbüro an der Uni. Zumindest ein Sekretariat muss es ja wohl geben. Ich kann ja heute nach der Vorlesung mal schauen. Na das klingt doch nach einem Plan.

 

 

Um kurz nach halb zwei bin ich dann endlich in der Mensa und freue mich über einen der letzten Burger. Immerhin passiert mir heute eine gute Sache, wenn der Tag schon so beschissen beginnen musste. Immer wieder drehe und wende ich den Ausweis von diesem Valentin in der freien Hand.

Ja, ich sollte diese Karte wirklich abgeben. Aber irgendetwas an diesem Mann fasziniert mich. Ich mache mir gleich mal eine geistige Notiz, ihn heute Abend noch auf Facebook zu suchen. Während ich mir überlege, ob ich enttäuscht wäre, wenn ich kein Profil von ihm finden sollte, zieht ein dunkler, kurzgeschorener Haarschopf an der Tür meinen Blick auf sich. Wenn man vom Teufel spricht. Oder an ihn denkt… Was macht der denn hier? Okay, er studiert an der Uni, aber muss es ausgerechnet eine Naturwissenschaft sein? Eigentlich könnte ich ihm die Uni-Karte ja jetzt auch einfach persönlich geben und mir die Suche nach dem Sekretariat sparen. Aber sicher nicht hier und schon gar nicht vor seiner verdammt gutaussehenden Freundin oder wer auch immer diese hübsche Blondine ist, mit der er sich gerade angeregt unterhält. Wie ich es hasse, wenn meine gut durchdachten Pläne durchkreuzt werden. Spontanität, was ist das? Kann man das essen? Wenn ja, immer her damit! Irgendwie hab ich noch immer Hunger, aber ich halte es plötzlich keine Minute länger mit diesem Typen in einem Raum aus. Und schon gar nicht während ich seinen Studentenausweis in der Hand halte. So schnell es geht eile ich aus der Mensa und bin unglaublich dankbar, dass es zwei Ausgänge gibt und ich nicht an ihm vorbei muss. Ich vermute nämlich, dass er sich mein Gesicht heute im Zug gemerkt hat.

Wahrscheinlich hat er gleich noch in Gedanken die Notiz »Spannerin« auf meine Stirn geschrieben.

 

Im Flur angekommen fällt mir das Atmen gleich leichter. Erst jetzt merke ich, wie nervös ich plötzlich geworden bin. Was macht dieser Vollpfosten nur mit mir? Ich kenne ihn ja garnicht. Zugegeben, ich war noch nie gut darin, mit fremden Männern in nüchternem Zustand ein Gespräch zu beginnen, aber so übertrieben hab ich doch noch nie allein beim Gedanken daran reagiert. Unbewusst gehe ich mit der Karte in meiner Hand immer wieder auf und ab. Ich überlege fieberhaft was ich jetzt machen soll, kann aber einfach keinen Entschluss fassen, als ich auch schon geradewegs in jemanden hineinlaufe. Bitte lass es nicht meinen Professor sein. Wenn ich dachte, das wäre eine Katastrophe, dann kann ich jetzt wohl von einem Supergau sprechen. Kalte Augen mustern mich mit so viel Hass, wie ich es noch bei keiner Menschenseele zuvor gesehen habe. Ein eisiger Schauer huscht mir über den Rücken. Meine Hände beginnen unkontrolliert zu zittern, während mein Herz zu rasen anfängt. Sind das die ersten Anzeichen eines Kreislaufkollaps? Klappe ich gleich hier vor seinen Füßen zusammen? Vielleicht reagiere ich aber auch einfach nur wieder einmal über. In meinen Ohren beginnt das Blut zu rauschen und ich bin in diesem Moment einfach nur verdammt dankbar für meine langen dicken Haare, die das rote Glühen meiner Ohrmuscheln hoffentlich weitgehend verbergen. Er reibt sich die Stelle an seiner Brust, gegen die mein Kopf gerade geprallt ist – wie groß ist der überhaupt? 1,90 oder doch zwei Meter? – als sich plötzlich für den Bruchteil einer Sekunde eine Mischung aus Überraschung und Wiedererkennen in seinen Augen spiegelt.

Verdammt, er kennt mich noch!

Warte, warum freue ich mich darüber? Sollte mir das nicht unangenehm sein? So schnell wie diese Gefühlsregung aufgeblitzt ist, so schnell ist sie auch wieder verschwunden und macht purer Abneigung Platz.

»Du? Stalkst du mich jetzt auch noch, oder was? Hat dir das Gestarre im Zug nicht gereicht?« Sein Blick bohrt sich förmlich bis in mein Hirn, als würde er dort nach einem Beweis dafür suchen, dass ich die Verrückte bin, für die er mich hält.

»Ich … äh… tut mir leid!« Dass du so ein Arschloch bist! Das füge ich jedoch nur in meinen Gedanken hinzu, denn mehr als dummes Gestotter scheine ich wohl gerade nicht von mir geben zu können. Schnell versuche ich wieder etwas Selbstachtung zu erlangen. »Eigentlich wollte ich nur so nett sein und dir deinen Studentenausweis geben. Hat am Bahnhof herumgelegen und ich dachte der auf dem Foto könntest du sein. Wenn ich jedoch gewusst hätte, wie unausstehlich du bist, hätte ich wohl lieber den nächsten Zug drüber fahren lassen sollen.« Ha, richtig so, Marlena. Gib‘s ihm!

Falls sein Blick wirklich noch dunkler werden kann, dann passiert das gerade. »Wie redest du eigentlich mit mir, du kleine Göre?« Seine gefährlich leise gestellte Frage, die man wohl eher eine Drohung nennen sollte, lässt mich unwillkürlich erschaudern. Warte, hat der mich gerade »Göre« genannt? Ich bin weder unerzogen noch leben wir im 18. Jahrhundert.

»Jetzt nimm einfach diesen verdammten Ausweis, damit ich in die Vorlesung kann. Ich bin sowieso schon spät dran.« Auch wenn meine Anspannung ins Unermessliche steigt, versuche ich doch möglichst unbeeindruckt, ja fast schon gelangweilt, zu klingen. Mit einer schnellen, flüssigen Bewegung reißt er mir seinen Studentenausweis aus der Hand. Na endlich! Schnell mache ich auf dem Absatz kehrt und gehe Richtung Auditorium Maximum davon. Doch weit komme ich nicht. »Ja, geh! Nicht, dass der kleine Ersti noch etwas von dem verpasst, was in der ach so wichtigen und interessanten Vorlesung vorgetragen wird.« Immer auf die kleinen Erstsemester, wie einfallsreich. Doch es reicht trotzdem aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Mein Kopf rät mir dazu, ihm lediglich den Mittelfinger zu zeigen, ohne mich auch nur nach im umzudrehen und endlich in den Hörsaal zu gehen. Doch in diesem Moment gehen meine Gefühle mit mir durch.

Ich stürme auf ihn zu, um ihm Sekunden später immer wieder wie eine verrückte Furie mit meinem Zeigefinger gegen den Brustkorb zu pieken und ihm endlich an den Kopf zu werfen, was ich von ihm halte.

»Kannst du nicht einfach ein wenig Dankbarkeit dafür zeigen, dass ich mir nicht mein Essen vom Geld auf deiner Karte bezahlt habe und du dir dank mir das Ansuchen eines neuen Ausweises sparen kannst? Es genügt nicht, dass du, wie es aussieht, ein egozentrisches Arschloch bist, das gerne dabei zusieht, wie einem unscheinbaren Mädel von ihrem Koffer die Schneidezähne ausgeschlagen werden. Nein, du musst auch noch das letzte Wort haben und dir ganz besonders toll vorkommen, nur weil du ein paar Jahre älter bist als ich und Erstsemester dissen anscheinend eine deiner größten Leidenschaften ist. Mein Tag war schon beschissen genug, da brauche ich mich nicht auch noch von einem Scheißkerl wie dir fertigmachen zu lassen. Also hau doch einfach ab und erschreck Kindergartenkinder oder stiehl einem wehrlosen süßen Baby den Schnuller oder was sonst so deine Hobbies sind, Herr Valentin Arroganz.«

Wow, also das hat ja mal gut getan. Stolz auf mich selbst bemerke ich wie etwas passiert, womit ich niemals gerechnet hätte: der Blick aus seinen kristallenen Augen wird weicher, versöhnlicher.

»Jetzt reg‘ dich doch nicht gleich so auf.« Nun legt sich auch noch ein kleines Lächeln auf seine vollen Lippen. Findet er das Ganze etwa auch noch witzig? Ich nicht! »Außerdem sind, wie ich sehe«, gespielt interessiert mustert er mein Gesicht, während ich meinen Kiefer vor Wut fest zusammenpresse, »deine Zähne noch vollzählig, also übertreib mal nicht. Jeder hat mal einen schlechten Tag, aber deshalb musst du ja nicht gleich so auszucken. Und darüber, ob du so unscheinbar bist wie du meinst, wäre ich mir an deiner Stelle auch nicht so sicher.«

Als plötzlich auch noch ein kehliges Lachen durch die inzwischen leeren Gänge hallt, das eindeutig von ihm stammt, fühle ich mich vollends verarscht, habe diese ziellose Diskussion aber einfach satt.

Deshalb setze ich das süßeste gestellte Lächeln auf, das ich zusammenbringe, und wünsche ihm noch einen ganz zauberhaften Nachmittag. Als ich versuche zu gehen, spüre ich jedoch wie er mich an meinem Oberarm zurückhält.

»He, du hast mir noch gar nicht deinen Namen verraten. Meinen scheinst du ja schon zu kennen.

Mehr oder weniger.«

Mit finsterem Blick reiße ich mich aus seinem lockeren Griff los. »Ich wüsste nicht, warum dich mein Name interessieren könnte«, zische ich, wende mich von ihm ab und gehe immer noch wütend schnellen Schrittes in den Hörsaal. Endlich!

Kapitel 3 - Marlena 

Außer Atem vor Aufregung und Wut betrete ich das Audimax und schaue mich suchend nach meinen Freundinnen um, während ich durch kontrolliertes, tiefes Einund Ausatmen versuche, meinen Puls wieder zu normalisieren. Wie fast immer finde ich sie schnell auf unserem selbsternannten Stammplatz und gehe zu ihnen. Immer wieder wird mir einer der größten Unterschiede zur Schule bewusst: Damals wurdest du angestarrt, als hättest du gerade eine Bank überfallen und wärst flüchtig, wenn du zu spät zum Unterricht gekommen bist. In dem Moment, in dem du dann den Klassenraum betreten hast, starrten dich alle Augenpaare an, du hattest die ungeteilte Aufmerksamkeit deiner Klassenkollegen. An der Uni ist das etwas ganz anderes, zumindest wenn es um Vorlesungen geht. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen von Menschen, die zum Teil kaum unterschiedlicher sein könnten. Der große, schlanke Mann aus dem mittleren Sitzblock mit den blonden Dread-Locks verlässt den Saal, um sich noch einen weiteren Becher Kaffee zu holen. Der schüchterne Dunkelhaarige, der immer möglichst weit vorne sitzt, tritt im selben Moment mit eingezogenem Kopf durch die noch einen Spalt offene Tür. Doch so gut wie niemand zeigt auch nur das kleinste Interesse an dir. Du bist lediglich eine oder einer von über dreihundert oder vierhundert Studenten, die hier im Hörsaal sitzen und mehr oder weniger wissbegierig den Worten des Vortragenden lauschen. Was sollte dich so besonders machen, aus der Masse hervorzustechen und beachtet zu werden? Ich für meinen Teil weiß es nicht, deshalb bin ich auch für die meisten unsichtbar.

Aber nicht für alle. Ich lasse mich erschöpft auf den Platz neben Maxi fallen und nicke den anderen zur Begrüßung kurz zu. Maxi, deren richtiger Vorname zwar Maximiliane ist, die aber niemand so nennt. Wäre sie nicht meine Nachbarin und hätte ich nicht schon einmal das Schild auf ihrem Briefkasten studiert, dann würde ich vielleicht sogar denken, dass sie wirklich von ihren Eltern schlichtweg den Namen »Maxi« erhalten hat.

»Na, auch schon da? Was hat dich denn so lange aufgehalten? Ich dachte schon, du kommst heute vielleicht gar nicht.« Ich bin ja bekannt dafür, nicht gerade die Pünktlichkeit in Person zu sein, aber heute bin ich schon sehr spät dran, sogar für meine Verhältnisse. Das weiß Maxi natürlich auch.

»Frag‘ lieber erst gar nicht«. Um zu demonstrieren, wie ich mich fühle, lasse ich den Kopf auf meine vor mir auf dem Pult abgestützten Arme sinken und vergrabe mein Gesicht zwischen meinen Armbeugen. »Was habe ich verpasst?« Ich hebe kurz den Kopf und nicke in Richtung des Professors.

»Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Irgendwas über Energieerhaltung oder so. Ich kann mich bei diesem einschläfernden Monolog einfach nicht konzentrieren.« Das geht nicht nur Maxi so. Bei der beruhigenden, monotonen Vortragsweise dieses Professors ist das aber auch durchaus verständlich.

»Also ist alles wie immer.« Ich versuche mich an einem kecken Grinsen, das meine Augen jedoch kaum zu erreichen scheint. Es ist erst halb drei, aber ich fühle mich schon so geplättet, als hätte ich bereits einen ganzen Tag Unterricht hinter mir.

Wie Freundinnen so sind, entgeht Maxi nichts. Erst vor wenigen Monaten sind wir uns das erste Mal begegnet, am ersten Tag an der Uni, aber trotzdem kennt sie mich schon zu gut, als dass ihr irgendeine meiner oft durchmischten Stimmungen entgehen könnte. »Also, sagst du mir freiwillig, was los ist oder muss ich dich erst mit haufenweise hartnäckigen Fragen nerven, bevor du mit der Sprache rausrückst? Ich merke doch, dass etwas nicht stimmt. Sonst redest du doch auch immer so viel.«

Kurz muss ich sogar ein wenig schmunzeln. Ja, stundenlang still dasitzen war noch nie meine Stärke und wenn ich dann mal anfange zu reden, ist so schnell kein Ende meiner Ausführungen in Sicht.

»Ich habe heute einen der größten und arschigsten Egozentriker der ganzen Uni kennengelernt, der zugegebenermaßen verdammt gut aussieht.«

Jetzt ist sie diejenige, die sich das Grinsen nicht verkneifen kann.

»Dass scharfe Studenten oft nicht ganz kapieren, wie man mit den Mitmenschen umgehen sollte, vor allem mit Frauen, ist ja nichts Neues. Das erklärt aber noch immer nicht, warum du aussiehst, als hättest du die letzte Nacht durchgefeiert und wärst anschließend auch noch gleich von deiner großen Liebe stehen gelassen worden.«

So etwas würde mir Tom Hiddleston doch nie antun. Allem voran deshalb, weil er wahrscheinlich nie wissen wird, dass ich überhaupt existiere. Aber das muss ich wohl oder übel einfach hinnehmen.

»So schlimm?«, frage ich vorsichtig. Als Antwort zuckt Maxi nur entschuldigend mit den Schultern.

Also erzähle ich ihr von allem und jedem, was beziehungsweise wer mir heute schon auf die Nerven gegangen ist und meine Selbstbeherrschung strapaziert hat. Von der Zugverspätung über die Koffer-Attacke bis hin zum Typen mit den hellblauen Augen. Und als krönenden Abschluss berichte ich ihr von meinem Fund am Bahnhof und dem Wortgefecht im Gang. Als ich etwas außer Atem geendet habe, hassen mich alle wissbegierigen Kommilitonen im Umkreis von fünf Metern und der Vortragende hat sich schon zweimal geräuspert, um daraufhin, mit strengem Blick in meine Richtung, um Ruhe zu bitten. Aber hey, es hat gutgetan, mal jemandem vorjammern zu können.

Kapitel 4 - Valentin 

Jetzt stehe ich hier wie bestellt und nicht abgeholt. Sie wirkt zwar nicht so unscheinbar, wie sie vielleicht glaubt, aber mit so einem Konter habe ich nicht im Entferntesten gerechnet. Ich bin noch immer baff. Und ein wenig beeindruckt. Zugegebenermaßen ist sie mir schon aufgefallen, bevor sie mich im Zug viel zu intensiv gemustert hat. Spätestens als sie die dicke Winterjacke abgelegt hat, waren ihr meine Blicke sicher. Solche weiblichen Rundungen entgehen meinem geschulten Auge nie.

Sie hat auch noch ein recht hübsches Gesicht. Ist auch nicht schlecht. Trotzdem hat sie nicht so mit mir zu reden. Hat sie denn keinen Respekt? Eigentlich habe ich gedacht, dass allein der Größenunterschied – ihr Scheitel reicht mir gerade mal bis zum Kinn – genügen würde, um sie einzuschüchtern. Um meine Abneigung noch extra hervorzuheben, habe ich auch darauf hingewiesen, dass sie, was die Uni – und bestimmt auch andere Dinge – betrifft, eine blutige Anfängerin ist, während ich ihr um so vieles voraus bin. Doch irgendwie hat ihr inneres Feuer ihre Ängste besiegt und mir einen kleinen Blick darauf ermöglicht, was sie wirklich denkt. Doch das war das letzte, was ich wollte: Sie besser kennenlernen. Zu verstehen, was sie beschäftigt und was sie beruhigt. Was sie sich wünscht und was sie verabscheut. Verehrerinnen habe ich zur Genüge und etwas anderes will und brauche ich nicht.

Keine Freundschaft. Keine Liebe. Zu meiner Unterhaltung mag sie zwar beigetragen haben – ihr Wutausbruch war teilweise doch ganz amüsant – aber mehr interessiert mich nicht. Mehr darf mich nicht interessieren. Denn diese Gefühle, wie Liebe und Fürsorge, lassen den Menschen schwach werden und Schwäche kann ich mir nicht leisten.

Auch wenn mein Hormonsystem und ich uns in manchen Punkten nicht immer ganz einig zu sein scheinen. Doch langsam schaffe ich es, meinen Herzschlag zu beruhigen und meine Gedanken von dieser doch aufregenden jungen Frau, nein wohl eher diesem Mädchen, wegzuleiten und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Ich muss an weiterer Stärke gewinnen und fokussiert sein. Ich kann keine Ablenkung gebrauchen.

Kapitel 5 - Marlena 

»Sollen wir mit Bus Nummer 8 fahren und umsteigen oder auf die Linie 3 warten?«

»Lass uns die Linie 3 nehmen. Ob wir jetzt fünf oder sieben Minuten warten ist auch schon egal.« Ich nicke nur kurz, um Maxi zu zeigen, dass ich mit ihrem Vorschlag einverstanden bin.

»Irgendwie finde ich es ja gut, dass wir einen Tag in der Woche frei haben, aber ich hab einfach keine Idee, was ich morgen den ganzen Tag machen soll. Hast du schon irgendwelche Pläne?«

Da ich morgen nichts zu tun habe, hoffe ich, dass Maxi vielleicht einen Einfall hat, um die Langeweile fernzuhalten.

»Morgen werden wir sowieso den halben Tag verschlafen.« Mit einem schelmischen Grinsen guckt mich Maxi von der Seite an. Oh oh … dieser Blick kann nichts Gutes bedeuten.

»Warum? Was hast du vor?«