El Gustario de Mallorca und das tödliche Gemälde - Brigitte Lamberts - E-Book
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El Gustario de Mallorca und das tödliche Gemälde E-Book

Brigitte Lamberts

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Beschreibung

Aus und vorbei, dachte Sven, bevor er das Bewusstsein verlor. Dabei lief alles so gut. Hals über Kopf wurde Sara seine neue Liebe. Ihre Urgroßeltern hatten sich 1940 auf der Baleareninsel das Leben genommen. Als deutsche Juden sahen sie keinen anderen Ausweg, der Deportation zu entrinnen. Sara möchte mehr darüber erfahren. Um sie zu unterstützen gerät Sven in einen brisanten Fall. Der führt ihn in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte und zu einem geraubten Gemälde. Eine mörderische Jagd beginnt.

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Ähnliche


El Gustario de Mallorca

und das tödliche gemälde

Brigitte Lamberts

edition oberkassel

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Nachbemerkung

Akteure des Krimis

Karte von Mallorca

Quellen zum historischen Hintergrund

Danksagung

Mallorquinische Köstlichkeiten

Dank an die LeserInnen

Brigitte Lamberts & Co.

Impressum

Meinen Freunden möchte ich auch diesmal herzlich danken für ihre Geduld, wenn ich mich in den Manuskriptseiten vergrub, und sie gewartet haben, bis ich wieder aufgetaucht bin.

Prolog

Palma. El Terreno. 21. Juli 1940. Mit zitternden Fingern führte er den Schlüssel in das Schloss. Den goldenen Türklopfer im Blick, schob er die schwere Holztür auf. Sofort umfing ihn die kühle Luft der herrschaftlichen Villa. Langsam fiel die Tür hinter ihm zu. Er lehnte sich mit dem Rücken dagegen und hielt für einen Augenblick inne. Die letzten Stunden war er kopflos durch El Terreno gelaufen. Das vertraute Stadtviertel auf der Anhöhe unterhalb des Castell de Bellver erschien ihm nach dem Besuch im Konsulat düster und trostlos. Wie hatte er diesen Teil Palmas einst geliebt: die Chalets auf den Felsen mit Blick auf das Meer, die schmalen Gassen mit ihren ausgetretenen Steintreppen und die von blühenden Bougainvilleasträuchern umrankten Mauern. Diese Schönheit und Idylle empfand er nicht mehr.

»Julius, bist du es?« Wieder dieser brennende Schmerz, als ob ihm jemand ein Messer in den Bauch gestoßen hätte. Wie sollte er ihr jetzt in die Augen sehen? Mühsam presste er hervor: »Ja, Elisabeth. Ich komme gleich.« Mit schweren Schritten durchquerte er die Empfangshalle. Kurz bevor er auf die Terrasse trat, holte er tief Luft.

»Hast du sie?« Als er den Kopf schüttelte, erhob sie sich aus dem Rattansessel und ging auf ihn zu. Sie nahm sein Gesicht sanft in ihre Hände und lächelte ihn traurig an, dabei schaute sie ihm in die Augen: Sie hatte verstanden, er brauchte nichts mehr zu sagen.

»Vielleicht morgen«, flüsterte sie und gab ihm einen Kuss. Hilflos hob er die Hände.

»Es hat nicht funktioniert. Er hat sein Wort nicht gehalten.«

»Aber er hat das Gemälde. Er hat es doch bekommen.«

»Ja, das Bild hat er.« Der ältere Mann fuhr sich über die Stirn. »Doch den Tauschwert ist er uns schuldig geblieben. Ich hätte es wissen müssen, mit denen gibt es keine Geschäfte.« Sie spürte seine Wut und Verbitterung.

»Du brauchst dir keinen Vorwurf zu machen. Du hast alles versucht.« Sie streichelte ihm zärtlich über den Kopf. Wortlos drehte er sich um und ging ins Haus. Wenige Minuten später kehrte er mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern zurück. Elisabeth erkannte das Etikett. »Die letzte gute Flasche?«

»Ja, die für einen besonderen Anlass.«

Julius schenkte ein, dann setzten sie sich in die Rattansessel. Sie genossen den Wein, blickten auf das Meer und fassten sich immer wieder an den Händen. Nach einer Weile zog er eine silberne Dose aus seiner Jackentasche, klappte den Deckel auf und legte sie auf den Beistelltisch. Zwei gläserne Kapseln lagen darin. Elisabeth küsste seine Hand und drückte sie fest. Dann blickten sie stumm auf das Meer, dessen Oberfläche mit einem roten Schimmer überzogen war.

Der morgendliche Dunst löste sich allmählich auf. Es versprach ein schöner Sommertag zu werden, als fünf Uniformierte mit schwarzem Dreispitz auf den Köpfen und mit Pistolen bewaffnet die Stufen der engen Gasse erklommen. Sie wussten, wen sie zu holen hatten. Heute war es eine Handvoll deutscher Juden. Einer der Männer ergriff den goldenen Türklopfer der herrschaftlichen Villa und hämmerte energisch. Nichts rührte sich. Dann schlug er mit der Faust gegen die alte Holztür und brüllte: »Sofort öffnen! Guardia Civil!« Kein Geräusch kam aus dem Inneren. Kurz entschlossen griff er zu seiner Pistole und feuerte mehrere Schüsse auf das Türschloss ab. Holz splitterte. Dann stemmten sich die Männer gegen die Tür, die sich ächzend öffnete. Mit gezogenen Pistolen stürmten sie hinein und durchkämmten die untere Etage. Nichts. Sie verharrten und lauschten. Unnatürlich still war es. »Los, nach oben!« Der Capitán zeigte mit der Pistole zur Treppe. Die Uniformierten rannten hinauf, Türen wurden aufgestoßen. Dann das letzte Zimmer. Der Anführer preschte vor. Das Bett war unberührt. Er riss die Schränke auf. Nichts deutete auf einen plötzlichen Aufbruch der Gesuchten hin. Schließlich fanden sie das Ehepaar auf der Terrasse. Es war nicht nötig, genauer hinzuschauen. Der Capitán zog eine Liste hervor und strich die beiden obersten Namen durch. »Das ist jetzt Aufgabe unserer deutschen Kollegen«, bemerkte er, ohne eine Miene zu verziehen.

Kapitel 1

Cala Illetes. Gemeinde Calvià. Der Himmel zeigt sich in einem satten Blau, das durch vereinzelte weiße Quellwolken noch intensiver leuchtet. Die Luft riecht nach Meer. Sven Ruge steht am Strand und betrachtet die neue Tapasbar seines Freundes Manuel Muñoz. Ein großes Schild mit der Aufschrift ‚Lucía’s‘ prangt über dem flachen Satteldach aus rötlichen Schindeln. Manuel und ihm war es wichtig gewesen, das neu erbaute Strandhaus genauso zu gestalten wie das nur einige Meter entfernt stehende Restaurant von Manuel: ein Holzhaus mit großen Fenstern und einer gemütlichen Terrasse. Sie haben es geschafft! Sven ballt die Hand zur Faust und ruft laut »Yeah!«.

Er strahlt. Endlich ist die Strandbar fertig. Der Weg bis dahin war anstrengend und lang. Er hält sein Gesicht in den Wind und genießt die Wärme der Sonne, dabei erinnert er sich: Nachdem Manuel ihm die geschäftliche Partnerschaft angeboten und das Grundstück oberhalb des Strandes erworben hatte, das an sein Restaurant grenzt, war es Svens Aufgabe, die Arbeiten am Neubau zu überwachen. Kein einfaches Unterfangen.

In Deutschland braucht es schon Geduld und Nerven für ein solches Projekt, aber auf Mallorca hat so etwas eine ganz andere Dimension – es geht viel schleppender voran. Schon die Baugenehmigung einzuholen war ein Abenteuer für sich, die Bürokratie auf der Insel ist unschlagbar langsam und zugleich so kreativ, dass man aufpassen muss, später nicht die Grundsteuer für ein benachbartes Grundstück zu zahlen. Doch die Gefahr besteht in diesem Fall nicht: Die zwei Restaurants sind die einzigen auf der kleinen felsigen Erhöhung vor dem Strand. Dem Besitzer einer nahegelegenen Imbissbude, einer chiringuito, hatte Manuel ein Angebot unterbreitet, das dieser nicht ablehnen konnte. Nun haben sie die Bucht zumindest gastronomisch ganz für sich.

Auch die Bauarbeiten waren ein Erlebnis. Wie oft war er allein auf der Baustelle – weit und breit kein Arbeiter in Sicht. Doch jetzt ist alles fertig, er ist glücklich und stolz. Morgen Abend steigt die große Eröffnungsparty. Und so wie es aussieht, wird es richtig voll.

Sven nimmt die Sonnenbrille ab und wischt sich über die Augen. Für Manuel war es selbstverständlich, ihn zum Kompagnon zu machen, nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten. Sein Freund würde ohne ihn wahrscheinlich nicht mehr leben und das Restaurant wäre schon längst geschlossen, hätten nicht so viele Menschen ihm und seiner Familie in der schlimmen Zeit beigestanden. Besonders freut es ihn, dass Lucía weiterhin mit dabei ist. Während Manuel im Krankenhaus lag, hatte sie die Küche übernommen und sich als exzellente Köchin erwiesen.

Nun führt Manuel sein Restaurant weiter und die neue Tapasbar hat er in Lucías Obhut gegeben. Sie kocht und Sven ist für das Marketing und die Events in beiden Häusern zuständig. Sie haben schon einige kulinarische Themenabende im ‚Manuel’s‘ veranstaltet, bei denen Sven als Gastrokritiker und mittlerweile sehr guter Kenner der typisch mallorquinischen Küche die Gäste erfolgreich unterhalten hat.

Sven lässt die frische Meeresluft bis tief in seine Lungenflügel gleiten. Dann marschiert er über den weißen Sand zu den kleinen Steinstufen, die ihn zur Terrasse von Lucías Bar führen.

Lucía steht mit Manuel in der Küche. Die beiden debattieren heftig. »Eine Auswahl von zehn unterschiedlichen tapas, zwei verschiedene Salatteller, zwei größere Gerichte und drei Nachspeisen reichen vollkommen aus«, sagt Lucía mit funkelnden Augen. Manuel ist damit nicht einverstanden. »Meine Gäste sind eine umfangreichere Karte gewöhnt«, entgegnet er aufgebracht.

»Mag sein, aber zu unserem Eröffnungsfest braucht es nicht mehr, es sind doch alles geladene Gäste und die wissen, dass ich nur mittags geöffnet haben werde.« Lucía tritt einen Schritt auf Manuel zu und bohrt ihm den Zeigefinger in die Brust. Bevor Sven, der gerade eintritt, ein Wort an sie richten kann, schiebt Lucía nach: »Wir waren uns einig. Du verantwortest deine Küche, ich meine.« Sie holt Luft und ergänzt: »Außerdem müssen wir uns voneinander abgrenzen. Es macht keinen Sinn, wenn beide Restaurants das Gleiche anbieten.«

»Das meine ich doch gar nicht.« Manuel legt ihr besänftigend seine Hand auf die Schulter.

Lucía verdreht die Augen. »Manuel, das hatten wir schon besprochen. Ich biete eine Vielzahl unterschiedlicher tapas an und immer eine Auswahl an Salaten und bei dir bekommen die Gäste ein ganzes Menü.«

»Ja, natürlich, so ist es geplant, aber gerade bei der Eröffnung …«

Sie unterbricht ihn. »Eben. Da biete ich zusätzlich zwei größere Gerichte an und fertig.«

»Nun beruhigt euch mal«, mischt sich Sven ein. Sofort drehen sich Lucía und Manuel zu ihm um und posaunen im Gleichklang heraus: »Du hältst dich da raus.« Als sie Svens erschrockenen Gesichtsausdruck sehen, müssen beide lachen.

»Okay, kommt, setzen wir uns und dann überlegen wir gemeinsam«, schlägt Manuel vor und zeigt zur Terrasse. Lucía greift nach einer Flasche palo und einem Teller mit Zitronenschnitzen, Sven bringt eine Flasche Soda und drei Gläser zum Tisch. Nachdem Lucía den Kräuterlikör in die Gläser gefüllt hat, prosten sie sich zu. Das, was sie gemeinsam durchgestanden haben, kann ihnen niemand nehmen. Nicht die Zuneigung zueinander, nicht das Verständnis füreinander und schon gar nicht das Vertrauen ineinander.

Kapitel 2

Madrid. Auktionshaus. Das großbürgerliche Stadtpalais, der Palacio Longoria, liegt im Herzen Madrids an der Kreuzung der Straßen Calle Fernando VI. und Calle Pelayo und beherbergt ein renommiertes Auktionshaus. Mehrere Marmorstufen führen Bao Huáng durch ein schmiedeeisernes Tor in den großzügigen Empfangsraum des prachtvollen Gebäudes, das als bedeutendstes Beispiel des »Modernismo«, des spanischen Jugendstils, in Madrid gilt. Doch für diese architektonische Schönheit hat der Chinese keinen Blick. Auch die Kunstsammler, Journalisten, Kunstberater, Galeristen und Kuratoren von Museen sowie die Kunstexperten des Hauses interessieren ihn nicht, die hier bei einem Glas Champagner zusammenstehen und nach den pinchos greifen, den kleinen belegten Weißbrotscheiben, die auf silbernen Tabletts gereicht werden. Huáng folgt nur seinem Auftrag.

An der Tür zum Auktionssaal muss er sich ausweisen und erhält seine Bietermarke. Der Raum ist hell ausgeleuchtet, vorne auf der Bühne befindet sich das Stehpult für den Leiter der Auktion, daneben steht ein länglicher Tisch mit Bildschirmen für die Mitarbeiter. Im Hintergrund ist an der Wand ein großer Monitor befestigt, auf dem später das aktuelle Gebot zu dem jeweiligen Kunstwerk in verschiedenen Währungen zu sehen sein wird. Er setzt sich in eine der ersten Stuhlreihen und fasst sich mit der Hand ans Ohr. Der In-Ear-Kopfhörer sitzt. Sein Auftraggeber Chen Yáng, mit dem er während der Auktion telefonisch verbunden sein wird, will das Objekt mit der Losnummer 125, ein wertvolles Gemälde, unbedingt ersteigern. Die Schätzung liegt bei 2 bis 2,5 Millionen Euro. Bao Huángs Spielraum geht bis 4,5 Millionen, danach muss er Kontakt aufnehmen. Wie bei so vielen Superreichen geht es seinem Chef nicht so sehr um das Kunstwerk selbst, sondern um das Image, das Renommee, das mit dem Erwerb von Spitzenstücken verbunden ist. Eines weiß er jedoch: Nicht jede Summe wird von Chen Yáng mitgetragen, da ist sein Auftraggeber anders als seine Landsleute oder die russischen und arabischen Mitbieter.

Der Raum füllt sich. Eine junge blonde Frau setzt sich auf den Stuhl links neben ihm, ein übergewichtiger Afrikaner nimmt rechts von ihm Platz. Sie nicken sich zu. Noch wird getuschelt, Stühle gerückt, hier und da die Nase geschnäuzt oder gehustet. Seine Sitznachbarin fächelt sich Luft mit einem Auktionsprospekt zu. Bei so vielen Menschen wird es schnell warm. Als der Auktionator die Bühne betritt, verstummt die Geräuschkulisse. Lässig lehnt sich der Mittfünfziger an sein Stehpult.

Das Licht im Raum wird gedimmt und die Scheinwerfer nehmen den Versteigerer in den Fokus. Bao Huáng schaut konzentriert nach vorne. Eine Arbeit nach der anderen wird aufgerufen. Mitarbeiter mit weißen Handschuhen stellen das jeweilige Bild auf die Staffelei oder die eine oder andere Skulptur auf einen breiten Sockel. Der Auktionator hat sein Publikum genau im Blick. Wie ein Entertainer fesselt er seine Gäste. Er macht das ganz geschickt, mal verlangsamt er das Tempo, mal zieht er es an. Stocken die Bietergebote, schafft er es mit Charme und Humor, die Kaufinteressierten aus der Reserve zu locken. Zwischendurch gibt es unterhaltsame Bemerkungen, dann schlägt er mit dem Hammer auf das Pult.

Es ist soweit. Das Los 125 wird aufgerufen. Bao Huáng greift nochmals zum Ohr. Die Frau neben ihm, bisher eher gelangweilt, strafft ihren Rücken und rutscht auf ihrem Stuhl etwas nach vorne. Der Afrikaner scheint zu dösen. Ein verhülltes Bild wird von zwei Mitarbeitern vom Tuch befreit. Der Auktionator gibt Auskunft zu dem Werk. Er verrät nichts Neues, alles ist im Auktionskatalog nachzulesen. Doch er versteht es, Spannung aufzubauen. »Wir dürfen Ihnen jetzt eine Rarität präsentieren. Es handelt sich um ein Doppelselbstbildnis von Max Beckmann.« Er holt kurz Luft, um mit noch mehr Elan weiterzureden. »Beckmann bildet sich gleich zweimal in diesem Werk ab, als Künstler vor der Staffelei, der sich selbst auf der Leinwand festhält.« Es folgt eine dramaturgische Pause, dann fährt er fort: »Ein vergleichbares Bild ist von Beckmann nicht bekannt. Und es ist marktfrisch!« Seine Stimme wird lauter. »Noch nie wurde dieses Doppelselbstbildnis in einer Auktion angeboten. Es befand sich über 70 Jahre in Familienbesitz.« Ein Raunen geht durch den Saal. Der Auktionator hat es geschafft, Begehrlichkeit zu wecken, denn sowie er das Anfangsgebot von 1,8 Millionen Euro aufruft, prasseln die Offerten nur so auf ihn ein. Dass dieses Bild weder im Werkverzeichnis von Max Beckmann aufgelistet ist noch je auf einer Ausstellung zu sehen war, steht lediglich im Katalog. Der Versteigerer macht dies nicht zum Thema. Es könnte den zu erwartenden Auktionsrekord gefährden.

Huáng wartet ab. Er wird sich erst einschalten, wenn der Auktionsleiter die Bieterschritte erhöht. Doch die Gebote nehmen kein Ende, mindestens zehn Kaufinteressierte bieten mit, dazu zwei Vermittler am Telefon. Bei 3,5 Millionen stockt es kurz und der Chinese hebt seine Hand auf 4,0 Millionen. 4,5 Millionen werden ausgerufen. Er drückt den Ear-Stick tiefer in sein Ohr und hält sich das Mikrofon dicht an den Mund, um flüsternd nachzufragen. »Weiter«, hört er daraufhin die Stimme von Chen Yáng. Mit 5 Millionen hält er dagegen. Ein weiterer Bieter, der bisher nicht in Erscheinung getreten ist, ein älterer, distinguierter Herr mit südländischem Aussehen, erhöht auf 5,5 Millionen. Die anderen Kaufinteressierten sind ausgestiegen. Huáng hält erneut seine Bieterkarte nach oben: 6 Millionen. Ein Knacken in der Leitung oder war es eine Anweisung seines Chefs? Wieder geht die Hand zum Ohr. Verdammt. Die Telefonverbindung ist abgerissen, zum ungünstigsten Zeitpunkt, den man sich vorstellen kann. Seine Finger fliegen über das Display, tippen die Kurzwahlnummer. Der Ruf scheint rauszugehen, doch eine Verbindung will nicht zustande kommen. Für einen Moment ist Huáng abgelenkt. Er blickt nach oben. Wie weit ist die Auktion? Da erscheinen 6,5 Millionen Euro auf dem großen Bildschirm. Er gibt ein weiteres Gebot ab: 7 Millionen. Schräg vor ihm geht die Karte nochmals in die Höhe: 7,5 Millionen, mehr als das Dreifache des oberen Schätzpreises. Huángs Gedanken rasen. Er weiß, bei solchen Größenordnungen schaut der Auktionsleiter jetzt sehr genau in die Runde, ob es weitere Gebote gibt, und lässt für gewöhnlich wenig Bedenkzeit zu.

»7,5 Millionen zum Ersten.«

Er muss den Kontakt zu seinem Auftraggeber wiederherstellen, und zwar schnell. Doch die Leitung ist tot, keine Chance.

»7,5 Millionen zum Zweiten. Bietet jemand mehr?«

Huáng wischt deutlich angespannt über das Display. Das darf doch alles nicht wahr sein. Würde Chen Yáng mehr bieten? Für das Stück seiner Begierde? Er ist sich nicht sicher. Besitz ist seinem Chef wichtig, aber nicht um jeden Preis.

Das Krachen des Hammers beweist ihm auf schmerzliche Art sein Versagen. Auftrag nicht erfüllt, eine Enttäuschung für seinen Auftraggeber und eine Schande für ihn selbst. Er lässt den Kopf sinken und starrt zu Boden. Die Stimme der Frau neben ihm dringt nur allmählich an sein Ohr. Hat sie ihm eine Frage gestellt? Der Chinese sieht zu ihr auf, ihre Lippen bewegen sich. »Do you know him?«, liest er ihr vom Mund ab. Sie meint den Sieger des Bietergefechtes. Niedergeschlagen schüttelt er den Kopf. Hinter ihnen wird getuschelt. »Schon wieder dieser Condé. Woher kommt das viele Geld? So vermögend ist der mallorquinische Adel doch gar nicht mehr.«

Kapitel 3

Palma. Santa Catalina. Aus den Lautsprechern des alten Kastenwagens tönt blechern die Stimme von Juanes. Doch das hält Manuel, Lucía und Sven keineswegs davon ab, das Lied »La camisa negra« schief und schrill mitzusingen. Manuel klopft mit den Fingern den Takt auf dem Lenkrad, Lucía trällert etwas zu hoch und Sven brummt eher, als dass er die Melodie hält. Er hat auf dem Rücksitz den schlechtesten Sitzplatz und wird jedes Mal, wenn Manuel eine Kurve zu forsch nimmt, nach links oder rechts geschleudert. Im Szeneviertel Santa Catalina, dem ehemaligen Fischerviertel von Palma, sind die Straßen eng und verwinkelt. Hier gibt es wunderschöne Häuser mit Jugendstilornamenten, zwar kleiner als in der Altstadt, dafür mit morbidem Charme. Kaum hat Manuel die nächste Ecke genommen, sehen sie schon eine der runden Glastüren der Markthallen. Nach wenigen Metern tritt Manuel abrupt auf die Bremse und Sven prallt unsanft mit dem Kopf gegen die Rückenlehne des Fahrersitzes. »Mensch, pass doch auf«, schimpft er und fasst sich an die Stirn. Sein Freund dreht sich grinsend nach hinten und fährt mit Schwung in die Parklücke. Dann schaltet er den Motor aus und die Musik verstummt. »So, das hätten wir geschafft«, bemerkt er zufrieden, denn selbst um diese frühe Uhrzeit ist hier kaum ein Parkplatz zu finden, schon gar nicht direkt vor dem Markt.

»Wollen wir uns aufteilen oder gehen wir zusammen?«, fragt Manuel.

»Zusammen, dann macht es mehr Spaß«, schlägt Lucía vor, doch Sven gibt zu bedenken: »Dann dauert es länger.«

»Ist doch egal. Wir sind gut in der Zeit«, erwidert die Mallorquinerin. Gemeinsam steuern sie gleich im ersten Gang den Stand mit Fleisch und frischen Wurstwaren an. Lucía holt einen Zettel aus der Hosentasche ihrer Jeans.

»Ich brauche zehn sobrasadas.« Manuel deutet auf mehrere, fast 60 Zentimeter lange Würste, die von einem Haken herunterhängen. »Nimm die llonganissa, die eignet sich gut zum Grillen und Frittieren«, erläutert er.

»Ich brauche aber auch einige als Beigabe zum gedünsteten Rebhuhn«, stellt Lucía klar. »Was meinst du, soll ich die botifarró nehmen?« Sie zeigt auf kleine, dunklere Würstchen, die in einer Glasvitrine liegen. »Die botifarró ist besonders gut für Eintöpfe. Aber denkst du, die geben meinem Rebhuhn die zusätzliche Würze?« Manuel nickt ihr zu. Sven schmunzelt. Es ist doch immer wieder ein Genuss, mit den beiden auf den Markt zu gehen. Manuel reserviert sich noch schnell zwanzig Lammschultern, die er auf dem Rückweg abholen wird. Auf Svens Kommentar, ob er die so zubereiten will wie die alte Köchin im Bergbauernhof Es Verger oberhalb von Alaró, die Bier und viel Wasser in die Bräter gibt, grinst er nur vielsagend. Und schon weiß Sven, sein Freund wird es ganz anders machen. Der nächste Stand bietet Gemüse und Salate, präsentiert wie auf einem Gemälde: Fast schon künstlerisch sind die glänzenden Auberginen zu kleinen Türmen aufgestapelt und die getrockneten Paprika hängen wie Girlanden von der Decke. Lucía ist kaum zu halten und ordert gleich mehrere unterschiedliche Salatköpfe, Tomaten, Paprika, Zucchini und Auberginen. Sie schaut erneut auf ihren Zettel, dann deutet sie auf einen großen, flachen Bastkorb, der bis zum Rand gefüllt ist mit pimientos, den kleinen grünen Bratpaprika. Nachdem sie ihre Einkäufe in einer großen Einkaufstasche verstaut hat, steuern die drei den Fischstand an. Beeindruckend liegt hier auf mehr als zwanzig Metern all das, was einem Fischliebhaber das Herz aufgehen lässt. Sven erblickt einen großen Berg der auf Mallorca so beliebten Goldmakrele. Die llampuga fällt durch den glänzenden, goldenen Schimmer ihrer Haut sofort ins Auge. Gleich daneben liegen zwei prächtige Exemplare des círvia, Sven schätzt die Zitronenfische auf jeweils stattliche fünfzig Kilogramm.

Ehe er sich weiter umschauen kann, eilt Emilio, der Fischverkäufer, auf die drei zu.

»Was kannst du mir heute anbieten?«, fragt Manuel ihn interessiert. Wie immer fährt sich der wortkarge Mann erst einmal über seine Bartstoppeln.

»Ich möchte bitte zwei Kilo caragols«, drängelt sich Lucía mit ihrer Schneckenbestellung vor. Emilio zieht eine Augenbraue hoch. Das geht ihm eindeutig zu schnell.

Lucía weiß den Blick richtig zu deuten und geht zwei Schritte zurück. Dabei stößt sie mit Sven zusammen, der nach hinten stolpert.

»Aua!«, hören sie eine helle Frauenstimme.

Sven springt zur Seite, dreht sich um und schaut in das schmerzverzerrte Gesicht einer jungen blonden Frau. »Entschuldigung«, stammelt er, »das war keine Absicht.« Sie hüpft auf einem Bein und massiert sich den Fuß, der in einer Sandale steckt.

Manuel ahnt, dass sie sich gerade noch eine bissige Bemerkung verkneifen kann. In ihren Augen liest er so etwas wie »Trottel«. Doch dann winkt sie ab. »Geht schon. Alles halb so schlimm.«

Sven ist die Situation überaus peinlich, das merken seine Freunde sofort. Und er wäre nicht Sven, wenn er seiner Entschuldigung nicht sogleich eine Wiedergutmachung nachschieben würde. »Darf ich Sie als Entschädigung zu einem cortado einladen?« Die junge Frau schaut ihn von oben bis unten an und überlegt kurz, dann nickt sie huldvoll. Lucía verdreht die Augen und Manuel zuckt nur kurz mit den Schultern. Sven ist erleichtert und blickt sich um. »Hier ist gleich die Bar Ostra, dort gibt es die besten Austern des Marktes, wollen wir die zusammen probieren?« Manuel verzieht das Gesicht, dann legt er den Arm um Lucía und flüstert ihr zu: »Mit unserem El Gustario brauchen wir bis heute Abend nicht mehr zu rechnen.« Lucía schaut ihn verwundert an. Dann sehen sie, wie ihr Freund mit ausgestrecktem Arm auf zwei freie Barhocker an der Theke des Standes zeigt. Sie grinst. »Das glaube ich auch.«

Kapitel 4

Palma. Mercat de Santa Catalina. Die Hocker an der langgezogenen Theke und die wenigen kleinen Tische rechts von der Bar sind längst besetzt, die Geräuschkulisse schon recht laut. Doch Sven und die junge blonde Frau, die sich als Sara vorgestellt hat, scheint das nicht zu stören, sie unterhalten sich angeregt. Fast macht es den Eindruck, als gäbe es das Treiben um sie herum gar nicht. Sie haben verschiedene Austernsorten probiert, nur mit Zitrone beträufelt. Sven erklärt die Unterschiede bei den Schalentieren und wie wichtig die Wasserqualität bei der Züchtung ist. Auf ihre Frage, ob er auf Mallorca leben würde, erzählt er ausführlich, wie es dazu gekommen ist: dass er vor rund zwei Jahren den Auftrag bekommen hat, als Gastrokritiker einen besonderen kulinarischen Reiseführer über Mallorca zu schreiben, er deswegen für drei Monate auf die Insel gereist sei und danach einfach nicht mehr wegwollte.

»War es eine Schönheit der Insel oder die mallorquinische Küche?« Sie zwinkert ihm zu. Sven lacht, dann legt er den Kopf leicht schräg und denkt kurz nach.

»Ich habe Mallorca immer schon geliebt, aber geblieben bin ich wegen meiner neuen Freunde.«

»Freundschaft, das ist wie Heimat.«

»Stimmt! Könnte von Tucholsky stammen.«

»Ist von ihm.«

Sven grinst belustigt. »Wollen wir nicht zum ‚Du‘ übergehen? In Spanien spricht sich jeder mit dem Vornamen an.«

»Gerne«, erwidert sie.

Sven genießt Saras Gegenwart und ihr geht es offensichtlich ähnlich.

»Und du?«, fragt er, »machst du Urlaub auf Mallorca?«

»Ja, zwei Wochen habe ich mir freigeschaufelt.«

»Wann bist du angekommen?«

»Heute früh.« Sara lacht. »So früh, dass ich mein Hotelzimmer noch nicht beziehen konnte. Also habe ich meine Koffer an der Rezeption abgestellt, bin durch die Altstadt gelaufen und dann in Santa Catalina gelandet.«

»Bist du das erste Mal auf Mallorca?«

»Ja, und ziemlich unwissend.«

Sven grinst. »Ich zeig dir meine Lieblingsinsel, wenn du magst.«

»Sehr gerne. Das machen wir!«

Svens Augen strahlen. »Wollen wir ein Glas cava trinken?«, schlägt er vor, »ich hätte jetzt große Lust auf einen kühlen Sekt.« Sara ist einverstanden und Sven bestellt zwei Gläser bei der Bedienung hinter der Theke. Sie warten. Irgendwie haben sie den Gesprächsfaden verloren und wissen nicht so recht, was sie sagen sollen. Dann schauen sie sich an und lachen etwas verlegen. Als die Gläser über den Tresen gereicht werden, greifen sie danach und stoßen miteinander an.

»Wo wohnst du im richtigen Leben?«

Sie schmunzelt. »In der Schweiz. Das hört man doch, oder?«

»Ach, nee, wäre ich jetzt nicht draufgekommen«, scherzt Sven. Der Schweizer Akzent ist tatsächlich nicht zu überhören. Er runzelt leicht die Stirn, aber nachbohren will er nicht. Stattdessen fragt er: »Ist die Schweiz nicht sehr teuer?«

»Ja, ziemlich, aber man schlägt sich so durch. Und du wirst es nicht glauben, seit ein deutscher Discounter seine Filialen bei uns eröffnet hat, geht es uns, den nicht so Begüterten, besser.« Sven, der gerade einen Schluck Sekt getrunken hat, verschluckt sich. Nur mühsam bekommt er wieder Luft. Doch bevor er etwas sagen kann, stellt Sara fest: »Aber die Preise auf Mallorca sind auch nicht ohne.«

»Stimmt. Aber es gibt tatsächlich das andere Mallorca. Und das zeige ich dir.« Sven holt sein Portemonnaie aus der Hosentasche und legt es auf die Theke des kleinen Standes.

»Und wo bist du untergekommen?«

»In einem kleinen Hotel in der Altstadt, einfach, aber sauber, und absolut zentral gelegen.« Dass sie ihm den Namen des Hotels nicht verrät, fällt Sven zwar auf, aber er misst dem keine Bedeutung bei.

Sara öffnet ihre Handtasche und reicht ihm eine Visitenkarte. »Ruf mich einfach an, wenn du Zeit hast.«

»Mach ich, versprochen.« Er nimmt die Visitenkarte und steckt sie in die Brusttasche seines Hemdes.

»Leider muss ich jetzt los. Ich helfe bei den Vorbereitungen zur Eröffnungsparty der neuen Tapasbar meines Freundes.« Er hebt bedauernd die Hände, dann kommt ihm ein Gedanke. »Aber vielleicht magst du heute Abend zur Party nach Illetes kommen? Wir feiern in Lucía’s Strandbar. Ich würde mich freuen.«

Sie lächelt. »Das kann ich dir nicht versprechen, vielleicht. Erst muss ich zurück ins Hotel und dann weiß ich noch nicht so genau, was ich mache.« Sven versteht sie und bestellt die Rechnung. Sie verabschieden sich mit einer kurzen Umarmung und dem Versprechen, sich wiederzusehen.

Sara will sich noch etwas in den Markthallen umsehen, deshalb macht sich Sven allein auf den Weg. Er braucht noch Espressokapseln und so geht er in Richtung Passeig des Born, dem von Platanen eingefassten Prachtboulevard Palmas, an dessen Ende der Bus nach Illetes hält. Zugesagt hat sie nicht, aber wer weiß, vielleicht kommt sie doch, geht es ihm durch den Kopf. Es war recht forsch, sie gleich einzuladen. Wir kennen uns kaum. Ach egal. Er wischt die Bedenken mit einer Handbewegung weg. Sie gefällt mir, die hellen blauen Augen, das blonde, schulterlange Haar, die schlanke Figur und sie scheint aufgeschlossen und interessiert zu sein. Sven zieht ihre Visitenkarte hervor. Sara Füssli steht darauf und eine Handynummer.

Kapitel 5

Palma. Altstadt. 12. Mai 1940. Zwei große Schaufenster rahmten den schmalen Eingang zu dem Fotogeschäft ein. Über ihnen stand auf einem die ganze Fassadenbreite einnehmenden Schild: ‚Mestre de la fotografia alemania, fundata 1923‘. In einem Fenster wurden Porträtfotografien in beeindruckenden goldenen Rahmen präsentiert, in dem anderen hingen große Landschaftsaufnahmen. Einige Motive erkannte er wieder, die Kathedrale von Palma, den Hafen von Pollença, das Tramuntanagebirge mit schneebedeckten Gipfeln, die Felsen der Bucht von Palma und darüber die Hügel von El Terreno. Julius Goldschmidt nickte anerkennend.

Der Fotograf war ein Meister seines Faches, aber das hatte sein Freund Max Horrmann schon angedeutet. Er brauchte lediglich neue Passfotos. Die Fotos von seiner Frau und ihm waren zwar erst zwei Jahre alt und groß verändert hatten sie sich nicht. Doch je aktueller, desto besser, nicht dass ein älteres Foto einen weiteren Antrag sofort wieder zunichtemachte. Als er sich der Eingangstür näherte, fiel sein Blick auf eine Landkarte, die von einem Ständer herabhing: das Deutsche Reich. Er trat näher heran, fast wäre er mit der Stirn an die Scheibe gestoßen. Kleine Hakenkreuzfähnchen zeigten den Frontverlauf.

Er erschauderte.

Farblich auf der Karte in Rot hervorgehoben schwoll das Nazi-Deutschland an. Dänemark und Norwegen waren besetzt, ebenso die Niederlande, Luxemburg und Belgien. Noch bevor er sich abwenden konnte, erschien ein Mann in einem weißen Kittel im Schaufenster und verschob die Fähnchen ein Stück weiter nach Westen und Osten. Als er ihn sah, lächelte dieser und zeigte stolz auf die Karte. Goldschmidt trat einen Schritt zurück, seine Gesichtszüge waren erstarrt. Erst jetzt erblickte er die rote Fahne mit dem schwarzen Hakenkreuz auf weißem Grund, die an einer Stange in das Schaufenster hineinragte. Wie hatte sein Freund noch gesagt? Auf Mallorca haben wir unter den hier lebenden Deutschen die gleichen Strukturen wie in der Heimat.

Es gibt Nazis, Nazigegner, Mitläufer, Juden, Kommunisten und Pazifisten. Goldschmidt murmelte: »Ja, ja, und die Nazis sind auf der Insel ebenso straff organisiert wie im Reich.« Das Wort Heimat kam ihm nicht über die Lippen. Aber wie konnte sein Freund ihm einen Nazi als Fotografen empfehlen? Er wandte sich ab und ging schnellen Schrittes zur Straßenbahn, die ihn zurück nach El Terreno bringen sollte.

Kapitel 6

Cala Illetes. Gemeinde Calvià. Sven geht die Steinstufen vom Parkplatz hinunter und gelangt über die Holzbohlen auf die Terrasse von Manuels Restaurant, das heute geschlossen hat. Nach wenigen Metern erreicht er Lucías Strandbar. Er sieht Salvator, den Ehemann von Lucía, der gerade einen Stehtisch auf die Terrasse schleppt. »Hola«, ruft er. Salvator, der schlanke, großgewachsene Mann mit den ergrauten Schläfen und den unzähligen kleinen Lachfalten um die Augen, dreht sich um und kommt auf Sven zu.

»Schön, dich zu sehen.« Sie umarmen sich. »Alles gut bei dir?«

Sven bejaht. »Und bei dir?«

»Alles bestens«, erwidert Salvator mit einem Lächeln.

»Wie fühlst du dich so ohne Lucía?«

»Jetzt geht es ja, aber als sie damals Manuels Küche unter ihre Fittiche genommen hatte, war das schwer.« Schnell schiebt er nach: »Für uns beide.« Er grinst. »Aber die Tapas-Bar hat ja nur mittags auf. Deshalb werde ich meine Frau abends in die Arme schließen können.«

Sven lacht. »Das hoffe ich für dich.« Er legt Salvator die Hand auf die Schulter. »Aber wie ich deine Frau kenne, wird sie es sich nicht nehmen lassen, ab und an auch abends Manuel Konkurrenz zu machen.«

Salvator seufzt. »Wenn es denn ihr Herzenswunsch ist. Seit sie sich bei euch engagiert, ist sie ausgeglichener, glücklicher. Valdemossa ist eben ein Nest, sehr schön zwar, aber langweilig. Was soll ich machen?«

»Nix!«, antwortet Sven. »Lass ihr den Freiraum, denn deinen Job als Bibliothekar im Kloster wirst du ja wohl nicht aufgeben, oder?«

»Gott behüte. Das wäre eine große Dummheit.«

»Eben.« Sven schaut sich um. »Kann ich dir helfen?«

»Gut, dass du fragst, sonst würde ich glatt an unserer Freundschaft zweifeln.« Salvator zeigt ans Ende der Terrasse. »Dort müssen die Stehtische hin.«

Nachdem Salvator und Sven die Tische aus dem Schuppen nach draußen getragen und aufgestellt haben, betreten sie den großen Essraum der Strandbar. Lange Tische mit weißen Tischdecken darauf bilden ein großes Rechteck. Héctor und Carlotta, die Angestellten von Manuel, decken ein und Christina, Manuels Ehefrau, stellt Kerzen auf. Sven geht dem Duft nach Rosmarin, Zwiebeln, gerösteten Pinienkernen und geschmortem Kohl nach und wirft einen Blick in die Küche. Manuel ruft dem Kochschüler Sebastián Anweisungen zu und Lucía schließt gerade die Backofentür. Als sie sich mit hochrotem Kopf umwendet, stößt sie auf Sven, der sich neugierig herangeschlichen hat.

»Lass mal schauen«, bittet er sie und zeigt auf den Herd.

»Mach, dass du hier rauskommst!«, blafft sie ihn an und streicht sich eine ihrer dunklen Haarsträhnen hinter das Ohr.

»Ich will doch nur helfen«, kommt es kleinlaut zurück.

»Aber nicht in der Küche, verschwinde.«

Manuel fasst seinen Freund mit beiden Händen an der Schulter, schiebt ihn hinaus und ruft noch: »Wenn du helfen willst, frag Héctor!«

Kurz vor 20 Uhr kommen die ersten Gäste, fast alle sind Stammgäste von Manuel, es sind nur wenige neue Gesichter dabei. Sven begrüßt sie und bittet auf die Terrasse zu einem Aperitif. Er unterhält sich mal hier und mal dort, dabei lässt er die Steintreppe, die vom Parkplatz zu den Restaurants führt, nicht aus den Augen. Dass seine Freunde meist in letzter Minute kommen, ist er gewohnt, aber wird sich auch Sara auf den Weg nach Illetes machen?

In die Gespräche auf der Terrasse mischt sich derweil eine tiefe, warme Stimme. »Herzlich willkommen«, begrüßt Manuel die Gäste. In der blütenweißen Kochschürze und dem roten Vorbinder sowie einem ebenfalls roten Halstuch macht er eine richtig gute Figur. »Wir«, Manuel zeigt auf Lucía, die neben ihm steht, dann auf Sven, der am Stehtisch lehnt, und schließlich auf sich, »freuen uns, Sie heute zur Einweihung unserer neuen Tapasbar begrüßen zu dürfen. Ab morgen gibt es nicht nur ‚Manuel‘s Restaurant‘, sondern auch ‚Lucía‘s Strandbar‘.« Der nächste Satz wird von Applaus übertönt.

Manuel lächelt und hebt die Hände, um sich erneut Gehör zu verschaffen. »Sie dürfen sich bei Lucía auf bodenständige, saisonale Leckereien einstellen. In erster Linie wird es bei ihr tapas und frische Salate geben. Genau das Richtige für den mittäglichen Appetit.« Dann erhebt auch Lucía ihre Stimme: »Tapas sind meine Leidenschaft, echte mallorquinische und natürlich auch neue Kreationen. Jeden Tag werde ich meine Gäste mit einer noch nicht dagewesenen Idee überraschen, versprochen.« Sie strahlt über das ganze Gesicht und die Freude an der neuen Herausforderung ist ihr anzusehen. »Doch nun sind wir soweit, es ist angerichtet! Wenn ich Sie bitten darf.« Sie zeigt mit der Hand zur offenen Tür, die in den Gastraum führt.

Kaum haben die Gäste an den Tischen Platz genommen, da sieht Sven seine Freunde Alejandro und Paco gemächlich auf die Terrasse zuschlendern. Mit den Worten »Mensch, ihr habt aber die Ruhe weg« begrüßt er die beiden mit einer Umarmung. »Na, so ganz bist du noch nicht akklimatisiert, daran müssen wir noch arbeiten«, bemerkt der Marquis und klopft ihm freundschaftlich auf den Rücken. Auch Paco grinst darüber, dass es die Deutschen mit der Zeit immer so genau nehmen.

Die Stimmung unter den Gästen ist gelöst. Sie unterhalten sich angeregt, auch die, die sich noch nicht kennen. Sven lässt die Atmosphäre auf sich wirken. Wie Manuel es doch immer wieder schafft, mit nur wenigen Worten und allein durch seine Anwesenheit ein Gefühl der Herzlichkeit zu erzeugen, erstaunt ihn stets aufs Neue.

---ENDE DER LESEPROBE---