ElfUhrTermin - Nora Adams - E-Book

ElfUhrTermin E-Book

Nora Adams

5,0

Beschreibung

"Ich werde dich über deine Grenzen hinausbringen, aber niemals ernsthaft in Gefahr." Finn Böhme, Oberarzt und Experte der Viszeralchirurgie, rettet nahezu täglich Menschenleben, doch dieser eine Tag, der sein komplettes Leben verändert, wird für immer eine Tragödie bleiben. Geplagt von seiner seelischen Pein, muss er Leonora von Tah, Schwester der Verstorbenen, Rede und Antwort stehen, sich professionell ihren Anschuldigungen stellen. Als die Rebellin ihren Job im Krankenhaus antritt, nimmt das Chaos seinen Lauf und Finn glaubt, von einem Wahnsinn befallen zu sein. Seinen Trieb, diese aufsässige Furie zu brechen, kann er nicht mehr im Zaum halten und macht sich zur Aufgabe, sie in eine neue Welt, geprägt von lustvollen Qualen, zu entführen. ElfUhrTermin enthält erotische Szenen, die der Umgangssprache angepasst sind – obszöne Worte sind garantiert zu finden.   ***************************************************** Band 1: NeunUhrTermin – Vince Band 2: ZehnUhrTermin – Björn Band 3: ElfUhrTermin – Finn Band 4: ZwölfUhrTermin – Marc Alle Bücher sind unabhängig voneinander lesbar und in sich abgeschlossen.

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Seitenzahl: 310

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ElfUhrTermin

Roman

Nora Adams

Booklounge Verlag

Erstausgabe im Juli 2018

Copyright © 2018

Alle Rechte beim Booklounge Verlag

Booklounge Verlag, Sabrina Rudzick

Johann-Boye-Str. 5, D-23923 Schönberg

www.booklounge-verlag.de

Umschlagfoto: ©dundanim - Can Stock Photo Inc.

9783947115075

Inhalt

Unfallchirurgie

Onkologie

Psychosomatik

Gynäkologie

Radiologie

Intensivmedizin

Nephrologie

Endokrinologie

Laborchemie

Urologie

Cardiologie

Pulmologie

Herzchirurgie

Viszeralchirurgie

Plastische Chirurgie

Rheumatologie

Neurochirurgie

Thoraxchirurgie

Psychologie

Neurologie

Angiologie

Pathologie

Physiotherapie

Infektiologie

Geriatrie

Neonatologie

Diabetologie

Palliativmedizin

Schlaflabor

Fangirlgruppe

Unfallchirurgie

Zehn Mi­nu­ten vor elf. Alles Kack­brat­zen, außer Han­si, Leo­no­ras Ka­na­rien­vogel – das ein­zi­ge männ­li­che We­sen in ih­rem Le­ben, wel­ches ei­ne Chan­ce hat­te, nicht in ih­re Ung­na­de zu fal­len. Wa­rum das so war? Da­rüber sin­nier­te sie, als sie im men­schen­lee­ren Gang des Kran­ken­hau­ses saß, in dem ih­re Schwes­ter vor ei­ner Stun­de ein­ge­lie­fert wor­den war. Wenn man es im Le­ben nur mit Lüg­nern des an­de­ren Ge­schlechts zu tun hat­te, war es doch ver­ständ­lich, dass Leo­no­ra so emp­fand. In den zwei Be­zie­hun­gen, die sie mit ih­ren vier­und­drei­ßig Jah­ren ver­zeich­ne­te, war sie stets als die Be­tro­ge­ne her­aus­ge­gan­gen. Leo­no­ras Vater hat­te sie sit­zen ge­las­sen, als sie ein klei­nes Ba­by ge­we­sen war. Der Mann ih­rer Schwes­ter, Flo­rent­ina, bums­te sich durch die Welt­ge­schich­te, statt bei sei­ner Frau zu blei­ben. Alle Män­ner waren Voll­pfos­ten, Idio­ten und schwanz­ge­steu­ert. Das wür­de Leo­no­ra hier und jetzt un­ter­schrei­ben. Die Welt war dem Ver­der­ben ge­weiht. Es be­ru­hig­te sie nicht min­der, dass sich ih­re Schwes­ter ak­tu­ell in den Hän­den ei­nes Arz­tes be­fand. Für Leo­no­ra war das ein Su­per-GAU, er ver­moch­te zu schei­tern, das war si­cher. War zu hof­fen, dass Flo­rent­ina da un­be­scha­det her­aus­kam. Bei Gott, sie lieb­te ih­re Schwes­ter, sie muss­te es schaf­fen. Schließ­lich war sie die ein­zi­ge Per­son, die Leo hat­te. Ihr war un­be­greif­lich, dass man sie in den OP ge­scho­ben hat­te. Als ihr Nach­bar sie auf­ge­bracht an­ge­ru­fen hat­te, sag­te er, dass sie ei­nen Kreis­lauf­zu­sam­men­bruch er­lit­ten hat­te und be­wusst­los vor ih­rer Haus­tür lag. Aber mal ehr­lich, wur­de man des­we­gen ope­riert? In der Not­auf­nah­me be­kam sie kei­ne ge­naue Aus­kunft, da sie sich mo­men­tan noch im OP be­fand. Der Dok­tor woll­te sie auf­su­chen, so­bald man mehr wuss­te. Un­ter­des­sen saß sie da, ge­plagt von Kum­mer, und bang­te da­rum, dass sie Flo­rent­ina hof­fent­lich gleich in die Ar­me schlie­ßen konn­te. Es setz­te ihr fürch­ter­lich zu, dass sie in die­ser ufer­lo­sen Si­tua­tion von ei­nem Mann ab­hän­gig war. Ei­ne Leo­no­ra van Tah brauch­te kei­nen Kerl. Nie­mals! Den­noch waren ihr in die­sem Mo­ment die Hän­de ge­bun­den.

Fünf­zehn Mi­nu­ten nach elf. Ei­ne un­fass­ba­re Schei­ße spiel­te sich hier ab. Ge­fühl­te Stun­den saß sie däm­lich war­tend im Flur he­rum, wäh­rend sich ihr Zorn ins Un­er­mess­li­che stei­ger­te. Wenn ihr nicht gleich je­mand ei­ne Aus­kunft zu­kom­men ließ, wür­de sie sich selbst Zu­tritt zu ih­rer Schwes­ter ver­schaf­fen. Die­ses stum­me Ver­har­ren war Gift für Leo­no­ras auf­brau­sen­de und quir­li­ge See­le. Lauts­tark schob sie ih­ren Stuhl nach hin­ten, stand auf und mar­schier­te wie ein Sol­dat den Gang ent­lang. Be­ru­hi­ge dich, Flo­rent­ina wird schon nichts ge­sche­hen, sprach sie sich zu. »Hey!«, schrie sie ei­ner Pfle­ge­kraft un­übe­rhör­bar ent­ge­gen, die an­streb­te, fluch­tar­tig den Gang zu ver­las­sen. Augen­bli­cklich ver­harr­te die Flucht­per­son, als hät­te man sie bei ir­gend­et­was er­tappt. »Ste­hen blei­ben! So­fort!« Die Fach­kraft sah sie wie das obli­ga­to­ri­sche Reh an, was dem her­an­na­hen­den Schein­wer­fer­licht ent­ge­gen­starr­te und sich in letz­ter Se­kun­de frei­wil­lig vors Auto warf. Herr­gott, waren denn heu­te alle zart­be­sai­tet? »Wa­rum, um alles in der Welt, be­kom­me ich kei­ne ver­damm­te Aus­kunft?«

»Ich ha­be lei­der kei­ner­lei In­for­ma­tio­nen. Ent­schul­di­gen Sie«, wo­rauf­hin sie schnell in ein Zim­mer flüch­te­te und die Tür hin­ter sich ins Schloss fal­len ließ. Dach­ten die­se un­fä­hi­gen Men­schen, sie konn­ten Leo­no­ra an der Na­se her­um­füh­ren? Spä­tes­tens wenn Flo­rent­ina wie­der ge­sund war, wür­de sie bei der Kran­ken­haus­ver­wal­tung Be­schwer­de ein­rei­chen. Un­ge­ach­tet des­sen war sie nun allei­ne im Flur und zwang sich, tief durch­zu­at­men.

Zwan­zig Mi­nu­ten nach elf. Leo­no­ra muss­te sich be­ru­hi­gen, sonst wür­de sie gleich vor Wut kol­la­bie­ren. Schwung­haft setz­te sie sich auf ei­nen der bil­li­gen Plas­tik­stüh­le und stütz­te ih­ren Kopf auf den Hän­den ab. Ih­re Ge­dan­ken schweif­ten ab in ih­re Kind­heit. Zu je­ner Zeit, als Leo­no­ra glaub­te, dass das Le­ben nur Schö­nes zu bie­ten hat­te. Wie dumm sie doch war. Mit ih­rer Mutter und Flo­rent­ina wuchs sie in ei­nem klei­nen Haus, un­weit ei­nes wun­der­schö­nen Sees, am Köl­ner Stadt­rand auf. Sie lieb­te es, wenn sie dort mit ih­nen zu­sam­men ge­schwom­men war, was nicht oft vor­kam, denn häu­fig waren ih­rer Mutter der­ar­ti­ge Un­ter­neh­mun­gen zu an­stren­gend ge­we­sen. Ver­ständ­lich, wenn man be­dach­te, dass sie allei­ne mit den bei­den Kin­dern klar­kom­men muss­te. Ih­ren Vater hat­te sie nie ken­nen­ge­lernt. Leo­no­ra war sieben und ih­re Schwes­ter neun, als ih­re Seifen­bla­se zer­platz­te und sie in ei­nem rie­sen­gro­ßen Cha­os zurück­ließ. Ih­re Mutter starb an den Fol­gen ih­rer Ver­let­zun­gen, als sie nach ei­nem Auto­un­fall in ein Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert wur­de. Der ein­zi­ge Trost war, dass sie in dem Heim, in dem sie da­nach auf­wuch­sen, zu­sam­men­blei­ben durf­ten. In ih­rem neu­en Zu­hau­se waren alle nett und zu­vor­kom­mend, was Leo­no­ras Hass auf die ge­sam­te Si­tua­tion und das Le­ben an sich weiter vor­an­trieb. Wie konn­ten alle so schein­hei­lig sein, wenn zwei klei­ne Mäd­chen, die nicht mal das zehn­te Lebens­jahr er­reicht hat­ten, durch die Höl­le ge­gan­gen waren? Hät­te der Arsch, der sich ihr Er­zeu­ger nann­te, sei­ne Sper­mien das Klo run­ter­ge­spült, wä­re Leo­no­ra un­fass­ba­res Leid er­spart ge­blie­ben.

»Sind Sie ei­ne An­ge­hö­ri­ge von Flo­rent­ina van Tah?« Wei­ße Schu­he scho­ben sich in ihr Blick­feld und ris­sen sie aus ih­ren zer­mür­ben­den Ge­dan­ken.

»Ja!« So­fort sprang sie auf. Läh­men­de Angst er­griff er­neu­ten Be­sitz von ihr, wäh­rend sie ei­nem gro­ßen, breit­schul­tri­gen Mann ge­gen­über­stand, der ei­ne ern­ste Mie­ne zu­ta­ge trug. Das Un­be­ha­gen brei­te­te sich aus wie ein Flä­chen­brand. »Ich bin die Schwes­ter«, ent­geg­ne­te sie knapp.

»Ich bin Dok­tor Böh­me, der be­han­deln­de Arzt von Frau Van Tah. Lei­der ha­be ich schlech­te Nach­rich­ten.« Kurz pau­sier­te er, wand­te sei­nen Blick aller­dings nicht ab. »Ih­re Schwes­ter ist so­eben ver­stor­ben. Ich drü­cke Ih­nen mein Be­dau­ern aus.« Schein­bar end­lo­se Stil­le, die hin­ge­gen schril­lend laut in ih­rem Schä­del wi­de­rhall­te. »Ge­hen wir in mein Büro, dann er­klä­re ich Ih­nen, wie es da­zu kam.«

Nein.

In Leo­no­ras Kopf herrsch­te Tu­mult. Sie ver­such­te zwang­haft, den Feh­ler zu fin­den, den die­ser ar­ro­gan­te Typ in sei­ne Aus­sage ein­ge­baut hat­te. »Sie wol­len mich doch ver­ar­schen!« Ei­ne Mi­schung aus Ver­wun­de­rung und Über­ra­schung leg­te sich auf sei­ne Ge­sichts­zü­ge, aber nur kurz, da­nach war es Leo un­mög­lich, weite­re Emo­tio­nen zu er­ah­nen, was sie noch mehr ver­är­ger­te. Das Ge­sag­te be­wirk­te, dass sich ihr Ma­gen zu ei­nem schmerz­haf­ten Kloß zu­sam­men­zog, der sich auf ihr Ge­müt mit Wut äu­ßer­te. Selbst­be­wusst straff­te sie ih­re Schul­tern. »Ich will den Ober­arzt spre­chen. Ich las­se mir doch nicht von ei­nem Würst­chen wie Ih­nen sa­gen, dass mei­ne Schwes­ter tot wä­re!« Dok­tor Böh­me zog sei­ne Augen­brau­en empor und trat ei­nen Schritt nä­her.

»Der Ober­arzt steht vor Ih­nen«, sag­te er mit tie­fer Stim­me, wäh­rend er un­er­bitt­lich auf sie hin­ab­blick­te. Er­staun­li­cher­wei­se schob er sie, ei­ne Hand auf ih­ren Rü­cken ge­legt, zu den Fahr­stüh­len, drück­te ei­nen Knopf, und blieb stumm seit­lich von ihr ste­hen. Herr­gott, un­ter­nimm was, lass dich nicht her­um­schub­sen, Leo­no­ra!

»Dann will ich den ver­damm­ten Chef­arzt spre­chen! Nach­dem ich das ge­tan ha­be, möch­te ich zu Flo­rent­ina.«

»Bit­te, be­ru­hi­gen Sie sich«, sprach er auf sie ein, in­des sie den Auf­zug ver­lie­ßen und ein paar Türen weiter sein Büro be­tra­ten. »Neh­men Sie Platz«, wies er ihr den Stuhl vor ei­nem prot­zi­gen Schreib­tisch zu.

»Sind Sie schwer von Be­griff? Den Chef­arzt, und zwar so­fort. Zack, zack, be­we­gen Sie Ih­ren Arsch!« Um das Gan­ze zu be­schleu­ni­gen, klatsch­te sie zwei­mal laut in die Hän­de, aber der Möch­te­ger­narzt lehn­te sich nur in sei­nem Stuhl zurück und sah sie ab­war­tend an, als hat­te er alle Zeit der Welt ge­pach­tet.

»Sind Sie fer­tig?«, frag­te er ru­hig. Viel zu ru­hig.

»Schei­ße«, quietsch­te Leo­no­ra, den Mut ver­lie­rend. »Sie mei­nen das tat­säch­lich ernst, oder?« Er­war­tungs­voll blick­te sie ihn an. Bit­te, lass es ihn wi­der­le­gen. Flo­rent­ina durf­te nicht ge­stor­ben sein. Um Got­tes wil­len, nicht ih­re Schwes­ter. Sie war die ein­zi­ge Per­son, die Leo­no­ra wirk­lich kann­te, alles was sie hat­te, und war immer für sie da ge­we­sen. Ein un­nach­gie­bi­ger Griff um ihr Hand­ge­lenk führ­te sie end­lich zu ei­nem Stuhl, denn ih­re Bei­ne schie­nen gleich nach­zu­ge­ben, was die­sem Typ schein­bar nicht ver­bor­gen ge­blie­ben war. Sie hat­te gar nicht mit­be­kom­men, dass er un­ver­mittelt ne­ben ihr stand. Er drück­te sie an ih­ren Schul­tern run­ter, so­dass sie nicht an­ders konn­te, als Platz zu neh­men. Erst als er wie­der vor ihr saß, be­gann er zu spre­chen: »Es tut mir leid, Frau?«

»Van Tah«, kam es nur lei­se, fast schon re­si­gnie­rend über ih­re Lip­pen.

»Frau Van Tah, wuss­ten Sie, dass Ih­re Schwes­ter schwan­ger war?« Wie bit­te? Flo­rent­ina war was? »Ih­rem Blick nach zu ur­tei­len, wuss­ten Sie es nicht«, schluss­folg­er­te er. »Sie war erst im drit­ten Monat, aber es war ei­ne Ei­lei­ter­schwan­ger­schaft.« Wie­der ließ er ihr Zeit, da­mit sie rea­li­sie­ren konn­te, was er er­klär­te. »Sie muss die Sym­pto­me ri­go­ros ig­no­riert ha­ben, denn das bleibt in den aller­we­nigs­ten Fäl­len bis zum drit­ten Monat un­be­merkt. Es ist zu ei­ner so­ge­nann­ten Tu­ben­rup­tur, das Plat­zen des Ei­lei­ters, ge­kom­men. Durch den enor­men Blut­ver­lust muss­ten wir ihr Blut­kon­ser­ven ver­ab­rei­chen, um sie aus der Lebens­be­droh­lich­keit zu brin­gen. Da­bei tra­ten schwe­re Kom­pli­ka­tio­nen, in Form ei­nes ana­phy­lak­ti­schen Schocks, auf. Da sie durch den ho­hen Blut­ver­lust vor­her kreis­lau­fins­ta­bil war, ist sie in­folg­edes­sen lei­der ver­stor­ben.«

Leo­no­ra hör­te ihm zu, nahm je­des weite­re nie­der­schmet­tern­de Detail über Flo­rent­inas Tod in sich auf. Es war of­fen­sicht­lich die Wahr­heit. Sie leb­te nicht mehr. Ein­fach so. Mit of­fen­ste­hen­dem Mund sah sie den Arzt spre­chen, wäh­rend ih­re Ge­dan­ken ein Eigen­le­ben ent­wi­ckel­ten. Gott! Sie war erst sechs­und­drei­ßig Jah­re alt, da stirbt es sich eigent­lich nicht so schnell. Ihr Körper hät­te dem Gan­zen doch stand­hal­ten müs­sen. Sie war kern­ge­sund.

»Frau Van Tah?« Der Arzt schnips­te mit den Fin­gern vor ih­ren Augen.

»Wa­rum ha­ben Sie sie nicht ge­ret­tet?«, platz­te es aus ihr her­aus. »Es ist Ih­re ver­damm­te Pflicht, das zu tun. Sie ha­ben mei­ne Schwes­ter ope­riert und hät­ten ihr hel­fen müs­sen! Statt­des­sen er­zäh­len Sie mir ir­gend­ei­nen Schwach­sinn von ei­nem Anal… ir­gend­was Schock!« Me­cha­nisch griff Leo­no­ra nach dem Tele­fon, was rech­ter Hand vor ihr stand, und schmiss es mit aller Kraft in die Rich­tung des Arz­tes. Ih­re Si­che­run­gen brann­ten ge­ra­de durch. Ge­nau­so muss­ten sich Leu­te füh­len, die von ei­nem Wahn­sinn be­fal­len waren.

»Frau van Tah!«, don­ner­te sei­ne fes­te Stim­me durch den Raum. Ge­ra­de so konn­te er den Auf­prall des Tele­fons ab­weh­ren. Ru­hi­ger sprach er weiter: »Ich kann ver­ste­hen, dass Sie auf­ge­bracht sind. Den­noch kann ich Ih­nen mit Ge­wiss­heit sa­gen, dass wir im OP alles Men­schen­mög­li­che ge­tan ha­ben, um ihr Le­ben zu ret­ten. Ver­su­chen Sie, sich zu be­ru­hi­gen. Die­se körper­li­che Re­ak­tion, die letz­tend­lich zum To­de ge­führt hat, konn­te man nicht vor­aus­se­hen.« Shit! So wie er mit ihr sprach, hat­te Leo­no­ra de fac­to ein biss­chen Re­spekt vor ihm – was sonst nie bei je­man­dem der Fall war. Er klang un­nach­gie­big, vor al­lem, und das äng­stig­te sie am meis­ten, kom­pe­tent. »Set­zen Sie sich vor die Tür, Sie wer­den gleich zu Ih­rer Schwes­ter ge­bracht, dann kön­nen Sie sich ver­ab­schie­den«, füg­te er ab­schlie­ßend hin­zu. Sein Blick fi­xier­te sie, hielt sie fest, und ver­bat es Leo­no­ras In­ne­ren, ir­gend­wel­che Wi­der­wor­te zu ge­ben. Das muss­te an der Über­for­de­rung lie­gen, denn nor­mal­er­wei­se ließ sie sich von Män­nern nichts sa­gen. Immer­hin hat­te sie ge­ra­de Flo­rent­ina ver­lo­ren … O Gott! Nicht nur das, schwan­ger war sie auch noch. Ob sie es ge­wusst hat­te? Be­stimmt hät­te sie ihr da­von er­zählt, oder et­wa nicht? Leo­no­ra senk­te ih­ren Blick, sie woll­te ihn nicht mehr an­schau­en müs­sen. Wort­los ge­horch­te sie sei­ner An­wei­sung und ver­ließ das Büro.

Wie be­täubt saß sie im Flur, das Zeit­ge­fühl völ­lig aus­ge­blen­det, bis ei­ne Schwes­ter kam, die sie auf­for­der­te, ihr zu fol­gen. Schwei­gend ging sie ihr nach, brach­te ei­ne Tür nach der an­de­ren hin­ter sich und stopp­te, be­vor die Pfle­ge­rin ihr die Letz­te auf­hielt und sie mit trau­ri­gem Blick mus­ter­te. »Mein auf­rich­ti­ges Bei­leid.«

Un­ter Auf­brin­gung all ih­rer Kraft be­trat sie den Raum. Die Um­ge­bung nicht wahr­neh­mend, starr­te Leo aus­schließ­lich auf das Bett, in dem Flo­rent­ina lag, als wür­de sie fried­lich schla­fen. Der Schein trüg­te so sehr, dass Leo für ei­nen Mo­ment dach­te, der Arzt hat­te sich geirrt. Ih­re Haa­re hat­te sie sich heu­te Mor­gen of­fen­bar zu ei­nem Zopf ge­floch­ten, den ihr jetzt je­mand über die Schul­ter ge­legt hat­te. »Flo.« Ein Schluch­zer bahn­te sich tief aus ih­rem In­ne­ren her­vor. »Wa­rum lässt du mich allei­ne?«, frag­te sie trä­ne­ners­tickt. Ih­re Hand, die sie vor­sich­tig be­rühr­te, fühl­te sich kühl an. Leb­los. Trotz­dem wirk­te sie auf ei­ne per­fi­de Art ent­spannt, als hät­te man sie von ei­nem Leid be­freit. Hat­te sie denn ge­lit­ten? Der Arzt hat­te ihr zwar er­klärt, wa­rum sie ge­stor­ben war, aber das stell­te Leo­no­ra kei­nes­falls zu­frie­den. Es war un­mög­lich, oh­ne ih­re Schwes­ter weiter­zu­le­ben. Ge­mein­sam woll­te sie mit ihr alt wer­den und auch in Zu­kunft je­den zwei­ten Mor­gen bei ihr ei­nen Kaffee trin­ken, wenn ihr Freund sich mal wie­der mit an­de­ren Weibern her­um­trieb. Da­mit war jetzt Schluss? Flos le­blo­ser Körper, des­sen An­blick sich in ihr Ge­hirn ge­brannt hat­te und dort un­wie­der­bring­lich blei­ben wür­de, war Ant­wort ge­nug. Auf ewig. »Ich wer­de dich ver­mis­sen.« Mit dem Fin­ger strich Leo­no­ra ihr ei­ne Haar­sträh­ne hin­ters Ohr. Sie hat­ten viel zu­sam­men durch­lebt. Ihr Da­sein war ge­prägt von Nie­der­schlä­gen, Ent­täu­schun­gen, Ein­sam­keit und doch gab es eben­so glü­ckli­che Mo­men­te. Für die Ge­schwis­ter war es un­er­läss­lich, ein­an­der zu ha­ben. Kei­ner kann­te die Ge­schich­ten der bei­den wie sie selbst. Mit ei­nem der­ar­ti­gen Wer­de­gang war es schwer, an­de­ren Men­schen Ver­trauen ent­ge­gen­zu­brin­gen. Flo war da et­was of­fe­ner, aber Leo zähl­te auf nie­man­den, aus­ge­nom­men auf ih­re Schwes­ter. Ih­rer Seelen­ver­wand­ten, ih­rer be­sten Freun­din, ih­rer Men­to­rin. Sie beug­te sich nach vor­ne, hielt sich an ih­ren Schul­tern fest, leg­te den Kopf an ih­ren. Leo ver­such­te, ih­ren un­ver­gleich­li­chen Duft nach Va­nil­le zu er­ken­nen, den sie sich noch ein­mal ein­prä­gen woll­te, be­vor sie den Raum end­gül­tig ver­las­sen wür­de. Das Des­in­fek­tions­mittel, der ty­pi­sche Kran­ken­haus­duft war so do­mi­nant, dass es ihr un­mög­lich war, et­was da­von wahr­zu­neh­men. Die Last auf ih­rem Her­zen schien sie zu zers­tö­ren, als sie sich von ihr lös­te. Tröst­lich drück­te sie Flos Hand, wisch­te sich ei­ne Trä­ne weg. »Ich lie­be dich, gro­ße Schwes­ter«, mur­mel­te sie und ließ sie zurück.

Onkologie

Jetzt war es so weit. Dok­tor Finn Böh­me, den man als Ex­per­te der Vis­ze­ral­chi­rur­gie ab­stem­pel­te, war ei­ne Pa­tien­tin auf dem Tisch ver­stor­ben. Die Drit­te in sei­ner ge­sam­ten Me­di­zi­ner­lauf­bahn. Selbst ein Groß­kotz wie er, ver­gaß das nicht. Sei­ne Mas­ke saß per­fekt, wäh­rend er die Gän­ge der Sta­tion ent­lang­lief. Er spür­te die be­mit­lei­dens­wer­ten Bli­cke des Pfle­ge­per­so­nals ge­nau, doch er wür­de da­rüber kein Wort ver­lie­ren. In ihm tob­te ein Sturm der Emo­tio­nen, den er allei­ne mit sich aus­mach­te. Fuck! Sie war wirk­lich un­ter sei­nen Hän­den ge­stor­ben. Ih­re Vi­tal­zeichen waren plötz­lich im Kel­ler, so­dass ih­nen zu we­nig Zeit zum Rea­gie­ren ge­blie­ben war.

»Bis mor­gen, Dok­tor Böh­me«, rief ihm die Sta­tions­schwes­ter mit ei­nem trau­ri­gen Lä­cheln auf den Lip­pen hin­ter­her.

Da er schon fast zur Tür raus war, be­trach­te­te er es nicht für not­wen­dig, ihr zu ant­wor­ten. Soll­ten sie den­ken, was sie woll­ten, das ta­ten sie oh­ne­hin und Finn war es so was von scheiß­egal. Mit dem Funk­sen­der sei­nes Auto­schlüs­sels öff­ne­te er die Tür des Sport­wagens und ließ sich kurz da­rauf in den Sitz glei­ten. Er hat­te kaum die Aus­fahrts­schran­ke der Mit­ar­bei­ter­park­plät­ze hin­ter sich ge­las­sen, als er die Musik bis zum An­schlag auf­dreh­te. Wie der Rest sei­nes Tages ver­lau­fen wür­de, wuss­te er ge­nau. An der er­sten gro­ßen Kreu­zung, an der er an ei­ner ro­ten Am­pel an­hielt, nahm er sein Smart­pho­ne zur Hand und schrieb nur drei Wor­te: Mach dich fer­tig! Lin­da war sich im Kla­ren, dass sie kei­ne Zeit ver­trö­deln durf­te, das wür­de sich alles auf Finns Ge­müt aus­wir­ken und be­deu­te­te für sie im Um­kehr­schluss we­ni­ger Ver­gnü­gen. Zu­vor blink­te er und be­fuhr die Auto­bahn, auf der er sei­nen Sport­wagen auf Hoch­tou­ren brach­te. Die Ge­schwin­dig­keit schaff­te es, ihn den Um­stän­den ent­spre­chend run­ter­zu­ho­len. Im­mer­zu muss­te er an sei­ne Pa­tien­tin den­ken, die so jung ge­we­sen war, jetzt mit ei­nem Zet­tel am Zeh in ei­nem der Lei­chen­fä­cher des Kran­ken­hau­ses lag und auf die Ab­ho­lung durch den Be­stat­ter war­te­te. Fuck! Tief at­me­te er ein und wie­der aus. Es be­la­ste­te ihn mehr, als er sich je­mals ein­ge­ste­hen wür­de. Wä­re er fünf Mi­nu­ten frü­her in den OP ge­kom­men, dann hät­ten sie eher rea­gie­ren kön­nen. We­ni­ger Blut­ver­lust, even­tu­ell kei­ne Blut­kon­ser­ven, kein ana­phy­lak­ti­scher Schock, viel­leicht hät­te sie es über­lebt. Alles hät­te und wä­re, brach­te über­haupt nichts, denn Fakt war, sie war tot!

Kur­ze Zeit spä­ter bog er in die Stra­ße ein, in der Lin­da wohn­te. Wie üb­lich war­te­te sie, in ei­nen lan­gen Man­tel ge­hüllt, vorm Haus. Ih­re schwar­zen High Heels glänz­ten und trotz­ten dem de­sas­trö­sen Tag. Ein klei­ner Hoff­nungs­fun­ke brei­te­te sich in Finn aus. Zu­min­dest war sein Ver­gnü­gen für die näch­sten Stun­den ge­si­chert. Ar­tig blick­te sie zu Boden, so­dass es nach außen eher ver­träumt wirk­te. Kei­ner außer ihm wuss­te, dass sie un­ter dem Man­tel, der ihr bis zu den Knien reich­te, nackt war. In sei­ner Lenden­ge­gend brei­te­te sich ein sanf­tes Krib­beln aus. Erst als Finn vor ihr ste­hen blieb, zeig­te sie Re­gung, öff­ne­te die Tür und nahm ne­ben ihm Platz, oh­ne ihn zu be­grü­ßen. Ganz so, wie er es ver­lang­te, denn sie saß mit Si­cher­heit nicht in sei­nem Auto, um ein Schwätz­chen mit ihm zu hal­ten.

Zu­hau­se an­ge­kom­men, park­te er das Auto in der Tief­ga­ra­ge und lief vor­aus. Zu­nächst brauch­te er ei­ne Du­sche. Lin­da wuss­te, was zu tun war, immer­hin war sie nicht zum er­sten Mal in sei­ner Woh­nung. Um ge­nau zu sein, tra­fen sie sich schon seit fünf Jah­ren zum Fi­cken. Kein Be­zie­hungs­scheiß, kei­ne Ge­fühls­du­se­lei­en. Sie hat­ten ei­ne Art Ver­ein­ba­rung ge­trof­fen: Finn tob­te sich se­xu­ell an ihr aus, be­sorg­te es ihr nicht nur, son­dern do­mi­nier­te und er­nie­drig­te sie, wäh­rend er ihr Lust­schmerz be­rei­te­te, sie ge­le­gent­lich be­lohn­te. Lin­da kam da­bei stets auf ih­re Kos­ten, stell­te die­ses gren­zwer­ti­ge Spiel über alles. Sie leb­te Finns Ab­ma­chung aus, war je­der­zeit da, wenn er sie or­der­te und stand, in­so­fern es ihr mög­lich war, ein paar Mi­nu­ten spä­ter war­tend vor ih­rem Haus. Für den Fall, dass sie be­ruf­lich ver­hin­dert oder nicht zu Hau­se war, schick­te sie ihm ei­ne Ab­we­sen­heits­notiz. Ihr war den­noch be­wusst, solch ei­ne Recht­fer­ti­gung nicht zu häu­fig an­zu­wen­den, da es sich be­acht­lich auf Finns Lau­ne, so­mit auch auf ih­re Be­loh­nun­gen, aus­wirk­te.

Die Sa­che mit der fes­ten, emo­tio­na­len Be­zie­hung hat­te er in sei­ner Stu­dien­zeit hin­ter sich ge­las­sen, als sei­ne da­ma­li­ge Freun­din ihn monat­elang mit Vin­cent Dahl­mann, sei­ner­zeit Erz­feind Num­mer eins, be­tro­gen hat­te. Heu­te waren Vin­ce und Finn un­glau­bli­cher­wei­se be­ste Freun­de, was sich durch ei­nen, eher un­glü­ckli­chen, Zu­fall er­ge­ben hat­te. Außer­dem wuss­te er, dass er Vin­ce wahr­schein­lich dank­bar sein soll­te, denn er hat­te sie da­mals da­zu ge­zwun­gen, ihm rei­nen Wein ein­zu­schen­ken, sonst wür­de sie ihn wohl immer noch be­trü­gen. Allei­ne des­we­gen – und weil er das Ri­si­ko ei­ner Ver­ar­schung kei­nes­falls ein­ge­hen woll­te –, gab es kei­ner­lei Bin­dun­gen in Finn Böh­mes Le­ben.

Frisch ge­duscht, be­trat er die Kü­che, öff­ne­te sich ein Bier, nahm ei­nen groß­zü­gi­gen Schluck und ging ins Schlaf­zim­mer. Auf fri­sche Kla­mot­ten hat­te er gleich ver­zich­tet, die hät­te er eh nicht lan­ge an­be­hal­ten. Lin­da saß, ar­tig wie eh und je, auf der Kan­te sei­nes Bet­tes und schwieg. Sie war ei­ne Augen­wei­de. Schlan­ke Fi­gur, ro­si­ge Nip­pel, lan­ges ro­tes Haar, im­mer­zu ge­pflegt und kein ein­zi­ges Scham­haar an ih­rer äu­ßerst ap­pe­tit­li­chen Mu­schi. Die Klei­ne war ganz ver­rückt auf ih­re ge­mein­sa­men Tref­fen, des­sen war er sich si­cher. Sie war durch und durch de­vot, Finn das pas­sen­de Ge­gen­stück. Sie er­gänz­ten sich aus­ge­zeich­net, doch heu­te war er nicht rich­tig bei der Sa­che. Er­schöpft setz­te er sich ne­ben sie, stütz­te sei­nen Kopf auf den Hän­den ab und starr­te ein­fach nur un­ter sich. Frau van Tah, die Schwes­ter der Ver­stor­be­nen, die ihn so un­mög­lich an­ge­gan­gen war, tat ihm ir­gend­wie leid. Die­se Fu­rie wirk­te auf ihn, als wä­re sie mit dem Le­ben maß­los über­for­dert. Ob sie mit dem schwe­ren Ver­lust klar­kam? Eigent­lich soll­te es ihm egal sein, nach­dem, was er sich von ihr an­hö­ren muss­te. Sie hat­te es nur sei­ner knall­har­ten Selbst­be­herr­schung zu ver­dan­ken, dass er sie nicht hoch­kant aus dem Kran­ken­haus ge­wor­fen hat­te. Kei­ner re­de­te so mit Finn Böh­me – nie­mals!

»Finn?«

Finn? Nor­mal­er­wei­se sprach Lin­da ihn nicht mit Na­men an. Ver­wun­dert sah er zur Sei­te, be­geg­ne­te ih­rem nach­denk­li­chen Blick. »Was ist los?« Be­sorgt leg­te sie die Hand auf sei­ne Schul­ter. »Du starrst schon ei­ne Vier­tel­stun­de zu Boden und schüt­telst da­bei den Kopf. Ent­schul­di­ge, ich woll­te nicht re­spekt­los sein, aber du wirkst ab­we­send, ich ma­che mir Sor­gen.« Schwei­gend be­trach­te­te er Lin­da. »Wenn dir heu­te nicht da­nach ist, lass es uns ver­schie­ben.« Ein Ni­cken reich­te ihr, um auf­zu­ste­hen und sich den Man­tel über­zu­zie­hen.

»Tut mir leid, dass du um­sonst her­kom­men muss­test. Ich ma­che es wie­der gut«, be­kräf­tig­te er lei­se.

»Ich weiß«, ant­wort­ete sie nur, beug­te sich vor, um ihn auf die Wan­ge zu küs­sen, und ver­ließ sein Schlaf­zim­mer. Wenn er sie jetzt zie­hen las­sen wür­de, wä­re er mit sei­nem Cha­os im Kopf allei­ne, wes­we­gen er sich im letz­ten Mo­ment an­ders ent­schied.

»Stopp«, rief er, stell­te sich hin und be­ob­ach­te­te, wie Lin­da ab­rupt in­ne­hielt. Ih­ren Rü­cken streck­te sie ge­ra­de durch, dreh­te sich be­däch­tig um.

»Bist du si­cher?«, frag­te sie mit be­ben­der Stim­me, was ihm ein­mal mehr vor Augen führ­te, wel­che Macht er über sie hat­te. Finn ant­wort­ete nicht, le­dig­lich mit ei­nem Blick gab er ihr zu ver­ste­hen, dass sie den Man­tel ab­strei­fen soll­te. Lang­sam öff­ne­te sie ihn, ließ ihn über ih­re Schul­tern glei­ten und war­te­te auf weite­re Be­feh­le.

»Komm her! Auf den Knien.« Ein klei­nes Lä­cheln schlich sich auf ih­re Lip­pen, wäh­rend sie sei­ner An­wei­sung Fol­ge leis­te­te. Vor ihm an­ge­kom­men, ver­harr­te sie. Wie ei­ne Kat­ze, der man ei­nen Platz zu­wies, klopf­te Finn auf sein Bett und be­ob­ach­te­te, wie sie auf­rei­zend, auf allen vie­ren, ne­ben ihn kroch. Ein Klaps auf ih­ren pracht­vol­len Arsch und sie kor­ri­gier­te ih­re Po­si­tion so, wie Finn sie ger­ne hat­te: Bei­ne leicht ge­spreizt, ge­ra­der Rü­cken, den Kopf ge­senkt. Ein Fest für sei­ne Sin­ne. Ih­re blas­se Haut, das leich­te Zit­tern ih­rer Ar­me, ih­re feucht glän­zen­de Fot­ze, die ihn ge­ra­de­zu an­bet­tel­te.

Aus der Schub­la­de sei­ner Kom­mo­de nahm er ei­ne Tu­be Gleit­gel und leg­te die­se ne­ben sie aufs Bett. Dass Lin­da nicht sah, was er tat, sie ner­vös zap­pel­te, mach­te ihn nur gei­ler. Ge­zielt ver­setz­te er ihr ei­nen fes­ten Schlag auf ih­re Mu­schi, wo­durch sie auf­schrie. »Still­hal­ten«, maß­re­gel­te er sie. Finn ging zur an­de­ren Sei­te des Bet­tes, hob ihr Kinn an und zeig­te ihr pro­vo­kant sei­ne Hand, auf der feuch­te Spu­ren, durch den Schlag ver­ur­sacht, haf­te­ten. »Schämst du dich nicht?«, frag­te er und hielt sei­ne Hand direkt vor ih­ren Mund. Die Rö­te schoss ihr in die Wan­gen, wäh­rend sie stumm nick­te. »Sau­ber­ma­chen«, be­fahl er und spür­te sog­leich ih­re Zun­ge über sei­ne Hand­flä­che le­cken. Der An­blick as­so­ziier­te ihm ein ganz an­de­res Bild, näm­lich wie sich ih­re weichen Lip­pen um sei­nen har­ten Schwanz leg­ten. Dem un­ge­ach­tet, wid­me­te er sich vor­weg ih­rem Hin­ter­teil, sei­nen Schwanz konn­te sie spä­ter lut­schen. Das tat sie stets mit Vor­lie­be, muss­te es sich aller­dings erst ver­die­nen, das stand fest.

Finn trat hin­ter sie, zog ih­re Ba­cken mit bei­den Hän­den aus­ein­an­der und be­trach­te­te die klei­ne Öff­nung, die leicht zuck­te, als er sei­nen Atem da­ge­gen blies. Er schraub­te die Tu­be auf, tröp­fel­te ei­ne or­dent­li­che Por­tion der schmie­ri­gen Flüs­sig­keit auf ih­ren Af­ter und ver­teil­te sie mit dem Fin­ger. Immer wie­der drück­te er sich sanft ge­gen ih­ren Schließ­mus­kel, so­dass sie sich ent­span­nen konn­te. Flott zog er sich ein Kon­dom über, denn sein Schwanz schien augen­bli­cklich zu plat­zen, wenn er nicht gleich ab­sprit­zen durf­te. Hin­ge­gen ih­rer Er­war­tun­gen stieß er sich zu­erst, ziem­lich grob und oh­ne Vor­war­nung, in ih­re Pus­sy. Laut schrie sie auf, ver­lor den Halt und kipp­te nach vor­ne. Ge­gen­wär­tig ver­setz­te er ih­rem hei­ßen Hin­ter­teil ei­nen Schlag, so­dass er sei­nen Hand­ab­druck auf dem hel­len Fleisch be­gut­ach­ten konn­te. Das war ver­dammt scharf. »Hoch mit dir«, for­der­te er un­nach­gie­big und zog sie an den Haaren, um das Gan­ze zu be­schleu­ni­gen. Das Zu­cken um sei­nen Schwanz zeig­te ihm, dass die­ses Lu­der ab­so­lut ge­noss, was er tat. Als sie ih­re Hal­tung wie­der ein­ge­nom­men hat­te, strei­chel­te er über ih­re Tail­le, um­fass­te ihr Be­cken und schob sich ei­ni­ge Ma­le ge­müt­lich in sie. Als er spür­te, dass sich ihr Atem be­schleu­nig­te, sich ih­re Mus­ku­la­tur um ihn zu­sam­men zog, ent­fern­te er sich. Ein ent­täusch­tes Keu­chen war ih­re Ant­wort da­rauf, was er je­doch ig­no­rier­te. Mit der fla­chen Hand drück­te er jetzt ih­ren Rü­cken auf die Ma­trat­ze, po­si­tio­nier­te ih­ren Hin­tern ge­nau so, dass er vor ihm in die Luft rag­te und drück­te sei­nen Schwanz an ih­ren Hin­ter­ein­gang. Eisern, den­noch let­har­gisch schob er sich in sie, stöhn­te sei­ne Lust hin­aus und be­trach­te­te die Stel­le, an der sich ih­re Körper ver­ban­den. »Fuck«, keuch­te er und schob sich weiter in sie. Er sah, wie sie sich be­müh­te, ih­re Mus­ku­la­tur zu ent­span­nen. Ihr Ge­sicht, das zur Sei­te ge­wandt auf sei­nem Bett lag, war lust­voll ver­zo­gen. »Reib dei­nen Kitz­ler«, for­der­te Finn sie auf und in­ten­si­vier­te sei­ne Be­we­gun­gen. Sie war so ver­dammt eng, er konn­te sich nur schwer­lich zurück­hal­ten. Kaum hat­te er die­sen Ge­dan­ken be­en­det, brach ein Vul­kan in ihm aus, der sich schub­ar­tig in ih­rem Arsch ent­lud. Laut stöhn­te er auf und war nicht ver­wun­dert, als Lin­da es ihm gleich­tat.

So funk­tio­nier­te das seit Jah­ren. Es waren se­xu­el­le Tref­fen, die bei­de ze­le­brier­ten, nicht mehr und nicht we­ni­ger. Mit ei­nem Griff ent­fern­te er das voll­ge­spritz­te Kon­dom und leg­te sich aufs Bett. »Du darfst«, sag­te er bloß und ver­schränk­te die Ar­me hin­ter sei­nem Kopf. Jetzt folg­te der ent­spann­te Teil. Ir­gend­wann hat­te es sich zu ei­nem Ri­tu­al ent­wi­ckelt, dass Lin­da sich nach je­dem Fick zwi­schen sei­ne Bei­ne knie­te und sei­nen Schwanz mit ih­rem Mund säu­ber­te. Zu­erst leck­te sie die Über­res­te sei­nes Sper­mas ab, die sich um sei­ne Ei­chel ver­teilt hat­ten, dann nahm sie ihn tief in den Mund, so­dass Finn bei­nahe so­fort er­neut hart wur­de. Ihr An­blick war gött­lich. Die ro­ten Haa­re fie­len ihr seit­lich über die Schul­ter, ih­re Bei­ne waren ein biss­chen ge­spreizt, weil er es ganz ein­fach von ihr ver­lang­te – frei­er Zu­gang und Selbst­be­die­nung, wann auch immer ihm da­nach war. »Saug!« Das tat sie, wäh­rend ih­re Hän­de sei­ne Ei­er fest um­grif­fen und mit ih­nen spiel­ten. Kurz be­vor er aber­mals kam, griff er in ihr Haar, press­te sie auf sei­nen Schwanz, so­dass er das Wür­gen auf sei­ner Län­ge spür­te. Ge­nuss­voll schloss er die Augen. Lin­da konn­te bla­sen wie ei­ne Kö­ni­gin. Ih­re weichen Lip­pen, ih­re Zun­ge, sie spei­chel­te stets alles or­dent­lich ein. Eben­dies war der Zeit­punkt, der ihn letz­tend­lich zum Ab­sprit­zen brach­te.

Es dau­er­te ein paar Mi­nu­ten, bis bei­de zur Be­sin­nung fan­den und Lin­da sich end­lich ih­re Kla­mot­ten schnapp­te. Er war ein ver­damm­tes Arsch­loch, ja, aber er hass­te es, wenn Frau­en mein­ten, sich nach dem Sex an ihn zu ku­scheln. Lin­da wuss­te das, wes­halb sie kei­ne An­stal­ten mach­te, sich frei­wil­lig an­zog und sich fort­wäh­rend mit ei­nem Kuss auf sei­ne Wan­ge ver­ab­schie­de­te.

Se­xu­ell ge­sät­tigt und mü­de schmiss er sich gleich nach ei­ner er­neu­ten Du­sche in sein Bett und schloss die Augen. Der Ver­such, end­lich ein­zu­schla­fen, schei­ter­te je­doch, denn alles was er sah, waren blitz­ar­tig auf­kom­men­de Bil­der des voll­ge­blu­te­ten Bauch­rau­mes von Frau van Tah und die­ser Fu­rie, die ihn zur Schne­cke ge­macht hat­te, weil ih­re Schwes­ter un­ter sei­nen Hän­den ge­stor­ben war. Fuck! Wa­rum mach­te es ihn dies­mal so fer­tig? Viel­leicht weil es ei­ne jun­ge Frau war? Oder weil er nicht wuss­te, ob er sie mit ei­nem schnel­le­ren Er­schei­nen im OP hät­te ret­ten kön­nen? Fra­gen kreis­ten in sei­nem Kopf um­her, die er zwang­haft ver­such­te, zu sor­tie­ren. Es war noch zu ak­tu­ell, um die Ge­dan­ken bei­sei­te­zu­schie­ben. Hat­te sie viele Freun­de? War sie in ein gro­ßes Um­feld in­te­griert? Wel­chen Be­ruf hat­te sie aus­ge­übt? Er hat­te sich mal mit Marc, sei­nem Freund, da­rüber un­ter­hal­ten, der ihm ver­si­cher­te, Außen­ste­hen­de dach­ten nie­mals da­rüber nach, was in ei­nem Arzt vor­ging, dem ein Pa­tient auf dem OP-Tisch wegs­tarb. Er er­klär­te ihm da­rauf­hin, was er je­dem As­sis­tenz­arzt sa­gen wür­de: Es gab Ärz­te, die ih­ren Kit­tel da­rauf­hin an den Na­gel häng­ten und sich be­ruf­lich um­orien­tier­ten. Es war immer ein Schock, der aller­dings zwei­tran­gig sein muss­te. Maß­ge­blich galt es, die Kon­trol­le über die Si­tua­tion zu be­wah­ren, weiter­hin zu rea­gie­ren und alles Mög­li­che zu ver­su­chen. Erst, wenn der Tod un­wi­der­ruf­lich war, durf­te den Schwes­tern grü­nes Licht zum Auf­räu­men des OPs oder des Scho­ckraums ge­ge­ben wer­den. Sei­ne Auf­ga­be war es, vor die An­ge­hö­ri­gen zu tre­ten, um ih­nen selbst­be­wusst zu er­klä­ren, dass der To­des­fall ein­ge­tre­ten war, auch wenn man sich ger­ne in das eige­ne Schne­cken­haus zurück­zie­hen wür­de – das kam er­schwe­rend hin­zu. Da­bei ging es nicht um die Schuld­fra­ge, denn ge­wiss­er­ma­ßen konn­te man nicht je­dem Men­schen das Le­ben ret­ten. Ja, es war ei­ne Art Be­trof­fen­sein, die ihn er­griff. Je­des Mal. Den­noch war es Finns ver­damm­ter Job und er muss­te sich vor Augen hal­ten, wie viele Men­schen er be­reits durch sei­ne me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung ret­ten konn­te. Das waren wei­taus mehr und stand in kei­nem Ver­hält­nis zu­ein­an­der.

Psychosomatik

»Gu­ten Tag, Frau van Tah.« Skep­tisch be­trach­te­te sie den zu klein ge­ra­te­nen, rund­li­chen Mann, der ihr ge­schäf­tig die Hand ent­ge­gen­hielt.

»Tag«, ant­wort­ete sie ein­sil­big.

»Mein herz­li­ches Bei­leid. Sie war so jung, dass es ei­nem gleich viel schwe­rer fällt.«

»Sind wir hier, um Small­talk zu hal­ten, oder wol­len Sie Ih­re Ar­beit or­dent­lich ver­rich­ten?« Mit hoch­ge­zo­ge­nen Augen­brau­en starr­te sie den Mann in Grund und Boden. Es war son­nen­klar, dass nichts nach Plan lief. Wo­bei die­ser ja ur­sprüng­lich ganz an­ders aus­sah, denn eigent­lich war heu­te ein Tag, an dem sich Flo und Leo immer zum Kaffee­trin­ken tra­fen. An­dre­as, der Freund ih­rer Schwes­ter, war noch nicht auf­ge­taucht. Er­rei­chen konn­te sie ihn auch nicht, weil sein Han­dy aus war. Die­ser Pis­ser hat­te ei­ne so gü­ti­ge Frau wie Flo gar nicht ver­dient, um das mal deut­lich klar­zu­stel­len. Soll­te er sich doch an sei­ne Schlam­pen hal­ten, die er nächt­lich wech­sel­te wie an­de­re ih­re Un­ter­ho­se. Leo­no­ra war froh, dass sie dem männ­li­chen Ge­schlecht schon vor fünf Jah­ren den Krieg er­klärt hat­te. Man konn­te nur ver­lie­ren, wenn man sich mit der Ge­gen­sei­te ein­ließ.

»Ja«, stot­ter­te der Be­stat­ter. »Wel­che Art der …«

»Schlich­te Ur­ne, in Schwarz ge­hal­ten, am be­sten ei­nen Platz un­ter ei­nem Baum. Der Fried­hof soll­te in Köln sein, wo ist mir völ­lig Ja­cke!« Sie wür­de dort eh nicht oft sein, denn ihr gab die­ser Ort nicht das, was es an­de­ren Trau­ern­den zu ge­ben schien – so war es be­reits bei ih­rer Mutter. Dass das Grab aus­ge­ho­ben wur­de, hat­te sie nur mit­be­kom­men, weil Flo sie da­rüber in Kennt­nis ge­setzt hat­te, was aller­dings nicht hieß, dass sie nie an sie dach­te. Flo war in Leo­no­ras Her­zen ver­an­kert und das konn­te ihr kein be­häm­mer­tes Grab der Welt ge­ben. Dort war le­dig­lich Asche drin, so­zu­sa­gen nichts, was man nicht mit ei­nem Wind­hauch be­sei­ti­gen könn­te. Es schmerz­te so un­fass­bar derb, dass Leo­no­ra dach­te, zu­grun­de ge­hen zu müs­sen. Stän­dig sah sie auf ihr Han­dy, in der An­nah­me, ei­ne ih­rer ge­fühlt tausend Nach­rich­ten, die sie am Tag von Flo er­reich­te, könn­te ein­ge­hen. Zeit­wei­se hat­te sie es ge­nervt, doch was wür­de sie jetzt da­für tun, noch mal ei­ne die­ser Mit­tei­lun­gen zu er­hal­ten. Ih­re däm­li­chen Küs­schen, die sie über­all ran häng­te, ob­wohl Leo es ver­ab­scheu­te. Die­se Herz­chen­ka­cke war ein­fach zu kit­schig. »Wä­re dann alles ge­klärt?«, frag­te sie mit dro­hen­dem Blick.

»Ja­wohl, Frau van Tah«, ant­wort­ete er rasch, fast mi­li­tä­risch. Dass er nicht sa­lu­tier­te, wun­der­te sie.

»Alles Weite­re per Mail«, sag­te sie, dreh­te sich um und ver­ließ das Café. In Win­des­ei­le mach­te sie sich auf den Heim­weg, denn wenn sie schon ih­re Fas­sung ver­lor, und sie spür­te, dass sie es nicht mehr lan­ge zurück­hal­ten konn­te, woll­te sie un­ge­stört sein. Leo­no­ra be­hielt in den meis­ten Fäl­len die Ner­ven. Selbst jetzt, ei­nen Tag nach Flo­rent­inas Tod, konn­te sie ih­re Trau­er as­trein durch Wut kom­pen­sie­ren. Noch kei­ne ein­zi­ge Trä­ne hat­te sie ver­lo­ren, wäh­rend sie sich durch die Nacht käm­pfte, ih­re Woh­nung bis zur Be­sin­nungs­lo­sig­keit putz­te und sich auf das Tref­fen mit dem Be­stat­ter vor­be­rei­te­te. Oh ja, ihr Ge­müts­zu­stand war de­sas­trös, be­denk­li­cher als im Nor­mal­fall. Das wür­de sich auch auf un­ab­seh­ba­re Zeit nicht än­dern.

Es dau­er­te höch­stens zehn Mi­nu­ten, bis sie end­lich die Tür ih­rer Woh­nung hin­ter sich ließ und, mit dem Rü­cken da­ge­gen ge­lehnt, zu Boden sank. Ein tie­fer Schluch­zer bahn­te sich sei­nen un­auf­halt­sa­men Weg, der sich schmerz­lich ih­re Keh­le empor­ar­beit­ete. Die er­ste Trä­ne näs­ste ih­re Wan­ge, mün­de­te in ih­rem di­cken Schal, der ihr Kinn eben­falls be­deck­te. »Flo«, flüs­ter­te sie. »Wa­rum hast du mir das an­ge­tan?« Wahr­schein­lich war es ei­ne Art Su­che nach ei­nem Ven­til, als sie plötz­lich mit Schwung in den Stand kam. »Wa­rum?«, schrie sie un­mittel­bar aus Lei­bes­kräf­ten. Das Er­ste, was ihr zwi­schen die Fin­ger rutsch­te, nach­dem sie blind­lings ins Wohn­zim­mer ge­stürmt kam, war die scheiß­teu­re Steh­lam­pe, die ne­ben ih­rem So­fa stand, was ihr für den Mo­ment ab­so­lut egal war. Ent­schie­den griff sie mit bei­den Hän­den da­nach und warf sie mit Wucht, be­glei­tet von ei­nem lau­ten Schrei, auf den Glas­tisch, der mit­ten im Raum stand. Ih­re Trau­er schien sich nun den nö­ti­gen Weg zu bah­nen, hat­te ei­nen Not­aus­gang ge­fun­den. Ein wei­te­res Mal fass­te sie mit bei­den Hän­den zu und stieß ei­ne Glas­vi­tri­ne um, so­dass die Türen in tausend Split­ter zer­bar­sten. Un­kon­trol­liert schnapp­te Leo­no­ra sich alles, was sie in die Hän­de be­kam und warf es zu Boden. Ei­ne gan­ze Wei­le zer­trüm­mer­te sie ih­re Ein­rich­tung ge­dan­ken­los. Müh­sam lös­te sich der neb­li­ge Schleier, der sich in ih­rem Kopf fest­ge­setzt hat­te, und sie vor der leid­vol­len Rea­li­tät wahr­te. Zurück blieb ein Hau­fen zers­tör­ter Mö­bel, in ih­rem klei­nen ge­müt­li­chen Zu­hau­se, wel­ches sie eigent­lich moch­te. Jetzt, wo Flo nicht mehr da war, hat­te das alles kei­nen Sinn mehr. Wie sie­dend­hei­ßes Was­ser fühl­ten sich die Trä­nen auf ih­ren Wan­gen an, hin­ter­lie­ßen bren­nen­de Spu­ren, die sich bis zu ih­rem Her­zen hi­nab aus­brei­te­ten. So echt und ver­nich­tend, wie die Wirk­lich­keit eben war. Was wür­de jetzt pas­sie­ren? Leo­no­ra war nun ganz allei­ne auf die­ser grau­sa­men Welt. Es war nicht so, dass sie von Natur aus ein glü­ckli­cher Mensch war. Zwar moch­te sie die Ein­sam­keit, hat­te aber immer ih­re Schwes­ter im Hin­ter­kopf, die für sie da war, wenn Leo­no­ra sie brauch­te. Ein schril­les Klin­geln ließ sie zu­sam­men­zu­cken und ei­nen tie­fen Schluch­zer aus­stoßen. Ihr Han­dy.

Flo?

Ei­lig such­te sie ih­re Ta­sche, die ir­gend­wo hier lie­gen muss­te. Jetzt wür­de sich alles auf­klä­ren. Das war si­cher­lich Flo, die sie frag­te, wo sie blei­ben wür­de, denn der Kaffee war immer­hin fer­tig. Hek­tisch schüt­te­te sie den kom­plet­ten In­halt ih­rer ge­fun­de­nen Ta­sche zu Boden. In ei­nem Bruch­teil von Se­kun­den merk­te sie, dass ihr Ge­hirn ihr ei­nen üblen Streich spiel­te. Spä­tes­tens je­doch, als sie den Na­men ih­res Vor­ge­setz­ten auf dem Dis­play sah und das Ge­spräch ent­mu­tigt an­nahm. »Van Tah«, sag­te sie ge­hetzt, ver­such­te, ih­re At­mung zu re­gu­lie­ren, die von dem ge­dank­li­chen Irr­tum re­gel­recht Pur­zel­bäu­me schlug.

»Sie sind ent­las­sen! Ih­re un­kol­le­gia­le Art so­wie Ihr er­neu­tes Zu­spät­kom­men rei­chen aus, da­mit ich Ih­nen end­lich Ih­re Kün­di­gung aus­spre­chen darf. Die­sen Mo­ment ha­be ich her­bei­ge­sehnt, Frau van Tah. Ich wün­sche Ih­nen alles Gu… Ach, las­sen wir das. Hof­fent­lich ver­rot­ten Sie un­ter der Brü­cke! Tschüss!«

Lang­sam senk­te sie den Arm. Ih­re Mund­schleim­haut war so tro­cken, dass sie nicht mal schlu­cken konn­te. Das Tele­fon rutsch­te aus ih­rer Hand und fiel zu Boden. Die­ses Aas! Und wie­der ein Mann! Ja, sie war nicht immer höf­lich zu ihm, aber sie hat­te sich stets Mü­he ge­ge­ben. Zähl­te das denn nicht? Außer­dem kam sie erst gan­ze zwei ver­damm­te Ma­le zu spät zur Ar­beit. Das war ge­stern, als Leo im Kran­ken­haus saß und ver­ges­sen hat­te, sich ab­zu­mel­den, und heu­te, weil sie ge­ra­de ei­nen ver­fluch­ten Ner­ven­zu­sam­men­bruch er­lit­ten hat­te. Der eigent­li­che Plan war es, sich mit dem Be­stat­ter zu tref­fen und dann zur Ar­beit zu ge­hen. Ihr Blick fiel auf das Cha­os. »Mist«, mur­mel­te sie, als ihr das Aus­maß des­sen, was sich ihr hier bot, rea­li­sier­te. Leo war nicht mehr im Be­sitz ih­rer geis­ti­gen Kräf­te und … konn­te kein Wohn­zim­mer mehr ihr Eigen nen­nen. Gut, mit viel Glück schaff­te man es, die Scher­ben von der Couch zu ent­fer­nen, um sie ir­gend­wann er­neut zu nut­zen – zu­min­dest wenn die Fle­cken des Likörs, den sie vor­hin da­rauf ge­wor­fen hat­te, wie­der ge­trock­net waren. Alles an­de­re war hin­über. Flo war tot, Leo­no­ra hat­te kei­nen Job und kein Wohn­zim­mer mehr, sie ver­lor die Kon­trol­le über ihr Le­ben. Das muss­te ein bö­ser Traum sein, an­ders konn­te sie sich das nicht er­klä­ren. In­ner­lich frag­te sie sich, ob sie wirk­lich ein schlech­ter Mensch war, dass das Kar­ma sich mit so ei­ner un­fass­bar mie­sen Tour re­van­chier­te.

Ge­de­mü­tigt, trau­rig und kraft­los be­gab sie sich in ihr Bett, wo sie die kom­men­den Ta­ge ver­brach­te. Sie ver­such­te erst gar nicht, dass Cha­os zu be­sei­ti­gen, ver­schloss die Tür und be­trat das zer­trüm­mer­te Zim­mer ein­fach nicht mehr – was sie nicht sah, wür­de sie auch nicht är­gern. An ei­nem der Ta­ge tä­tig­te sie ei­nen An­ruf in ei­ne Zeit­ar­beits­fir­ma. Ab Frei­tag konn­te sie ei­nen Job in ei­ner Putz­fir­ma an­tre­ten. Dass sie da­für voll­kom­men über­qua­li­fi­ziert war, in­te­res­sier­te sie nicht im Ge­ring­sten. Immer­hin war sie als Gym­na­si­all­eh­re­rin für das Call Cen­ter eben­falls mäch­tig aus dem Rah­men ge­fal­len. Leo war in er­ster Li­nie Rea­lis­tin, wes­halb ihr ganz deut­lich be­wusst war, dass sie in zwei­ter Li­nie nicht men­schen­kom­pa­ti­bel war. Sie pass­te sich den Ge­ge­ben­hei­ten an und ar­beit­ete in Be­rufen, die ihr schlicht­weg zu­flo­gen. Leo woll­te nur ih­re Ru­he und kei­ne Be­wer­bungs­sze­na­rien durch­lau­fen müs­sen, wes­halb sie den Job als Put­ze spon­tan an­nahm.