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Kaum aus den Ferien zurückgekehrt, wartet auf Emmi und ihre Freunde eine böse Überraschung: Marble und Charlene, ihre Widersacher aus ihrem Abenteuer im magischen Schneckenhaus, sind zurückgekehrt und haben ihren alten Freund Brutus Blacksabbath überfallen. Noch viel schlimmer ist, dass sie ihm den Schlüssel zu einer geheimnisvollen Tür gestohlen haben, die den Eingang zu einer verzauberten Welt darstellt. Mutig machen sich die Freunde auf den Weg, um das Zauberreich von den Eindringlingen zu befreien. Zahlreiche Aufgaben und Gefahren warten auf sie, bei denen ihnen immer wieder ein magisches Orakel hilft. Werden die Freunde die Eindringlinge stoppen können? Oder ist es für eine Rettung schon zu spät? Und was hat es mit der Königin und ihrem Zeichen auf sich? Eine neue spannende Abenteuerreise durch eine Welt voller magischer Geschöpfe und geheimnisvoller Rätsel.
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Seitenzahl: 500
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Martina Temming wurde 1972 in Gelsenkirchen geboren. Die Leidenschaft für Bücher und Geschichten begleitet sie bereits seit frühester Kindheit. Beruflich schlug sie mit einem Wirtschaftsstudium und Tätigkeiten im Marketing einen völlig anderen Weg ein und widmete sich erst später dem Schreiben eigener Kinder- und Jugendbücher. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Essen.
Wie schön, dass Emmi
deine Freundin geworden ist
Wieder daheim
Freund in Not
Die Tür
Tannen und Sand
Unter Bären
Die Verwandlung
Aufbruch zu neuen Ufern
Im Land der Farben
Gestohlene Flügel
Die Schlucht
Das Land der Lucanier
Das Zeichen der Königin
Das Versteck der Rotknöpfe
Die Straße durch den Berg
Fliegende Fische
Kampf unter Wasser
Der Wegweiser
Der Nachtwald
Das Herz von Arcanum
Neue Gefährten
Die Geschichte der anderen
Der Plan
Schwingen aus Silber und Gold
Im Inneren des Palastes
Die Königin
Der Aufstand
Der Neuanfang
Zu alten Freunden
Zurück
WIT– Wit - wit… - Mist´, dachte Emmi. ,Schon wieder nur dreimal.´ Pa schaffte es viel öfter, einen Stein über das Wasser hüpfen zu lassen, manchmal sogar sechs oder sieben Sprünge hintereinander. Jetzt hatte sie fast drei Wochen geübt und brachte immer noch nur solche kläglichen Versuche zustande.
Sie probierte es ein letztes Mal. Platsch! Oje, sofort abgesoffen. Okay, das war ein eindeutiges Zeichen. Emmi ließ die restlichen Steine, die sie gesammelt hatte, in den Sand fallen und wandte sich zum Gehen.
Sie schlenderte zu dem steilen steinigen Pfad zurück, der vom Strand hinauf zum Café führte. Das Café thronte oben auf den Klippen wie eine mittelalterliche Festung. Von dort aus hatte man einen atemberaubenden Blick über das Meer und die Steilküste. Dort oben wartete ihr Pa auf Emmi – zusammen mit Agnes.
Agnes war seit gut einem Jahr Pas neue Freundin. Emmi hatte sie inzwischen schon häufiger an den Wochenenden bei ihrem Pa oder bei Familienfeiern getroffen, aber in den diesjährigen Ferien hatten sie zum ersten Mal längere Zeit miteinander verbracht. Es hatte Emmi selbst überrascht, wie unkompliziert dies verlaufen war. Agnes war wirklich eine nette Person. Sie war witzig, lebhaft und hatte eine warme freundliche Stimme – sie war Synchronsprecherin und verlieh Figuren in Kinderfilmen oder –hörspielen ihre Stimme. Und sie unterhielt sich mit Emmi wie mit einem ganz normalen Menschen, nicht so übertrieben oder hölzern, wie es Erwachsene oft taten. Ein weiterer nicht ganz unwichtiger Pluspunkt war, dass sie phänomenale Pfannkuchen backen konnte. Was Emmi jedoch besonders schätzte: sie buhlte nicht mit durchschaubaren Tricks um ihre Gunst und mischte sich auch nicht in Erziehungsfragen ein, die nur Emmi und ihre Eltern etwas angingen.
All das machte sie Emmi sehr sympathisch. Gleichzeitig fühlte sie sich immer ein wenig schuldig, wenn sie mit ihr redete oder lachte, denn es schien ihr ihrer Mutter gegenüber unfair. Zum Glück hatte sie mit dieser bereits einmal darüber gesprochen. Vielmehr hatte ihre Mutter Emmi direkt danach gefragt, als sie von einem Besuch bei Pa wiedergekommen und ins Stocken geraten war, als sie erst ganz begeistert und dann plötzlich betont gelangweilt von einem gemeinsamen Ausflug erzählte.
„Du musst dich nicht schlecht fühlen, wenn du sie gern hast“, hatte ihre Mutter gesagt. „Uns beide bringt gar nichts auseinander, egal, wie viele andere Menschen du in deinem Leben außerdem magst. Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall: Je mehr liebe Menschen du um dich hast, umso mehr freue ich mich darüber.“
„Wie findest du sie denn?“, hatte Emmi ihre Mutter gefragt, woraufhin diese eine kurze Denkpause eingelegt hatte. Emmi hatte in der Zwischenzeit darüber nachgedacht, wie ihre Mutter und Agnes sich kennengelernt hatten.
An Emmis letztem Geburtstag war es gewesen, als Pa und Agnes zum ersten Mal gemeinsam zu Besuch gekommen waren. Alle waren zunächst ein wenig verkrampft gewesen. Dann hatte Pa eine Sektflasche öffnen wollen – und dabei hatte er sich mit dem Korken selbst ein blaues Auge geschossen. Plötzlich war der Bann gebrochen. Agnes und ihre Mutter hatten sich ausgeschüttet vor Lachen und anschließend das dumme Gesicht von Emmis Vater unzählige Male nachgemacht. Von da an war die Unterhaltung locker und lustig gewesen, und zum Abschied hatten sowohl Emmis Vater als auch Agnes ihre Mutter herzlich umarmt und ein Treffen zu Pas Geburtstag vereinbart.
Als Emmis Mutter nun zur Antwort ansetzte, lächelte sie – wenn auch ein klitzekleines bisschen schief. „Agnes ist wirklich eine nette Frau und ich mag sie. Und es ist völlig offensichtlich, dass dein Vater sehr…verliebt ist.“ Emmi war das kurze Stocken nicht entgangen.
„Emmi“, fuhr ihre Mutter fort, „mir geht es ähnlich wie dir. Bei aller Sympathie und obwohl ich auf keinen Fall mehr als Paar mit deinem Vater leben wollte…manchmal macht es mich trotzdem traurig und auch eifersüchtig, die beiden so glücklich zu sehen. Wir waren sehr lange zusammen und lange Zeit auch sehr glücklich miteinander. Das kann ich nicht so leicht abschütteln und das will ich auch gar nicht. Schließlich sind es ja wunderbare Erinnerungen.“
Sie lächelte Emmi verständnisvoll an. „Wie du siehst, ist es auch für Erwachsene nicht immer ganz einfach. Manches im Leben hat eben sowohl schöne als auch traurige Seiten. Aber du, Emmi, musst dir darüber überhaupt keine Sorgen machen. Dein Vater und ich und auch Agnes haben dich alle sehr lieb, ohne dass du dich für einen von uns entscheiden musst.“
Emmi war ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Danach fand sie es deutlich leichter, unbeschwert die Zeiten bei ihrem Pa und Agnes zu genießen und sich darüber zu freuen, dass ihre Eltern wieder Frieden miteinander geschlossen hatten. Dennoch – ein winziger Rest an Schuldgefühlen blieb bestehen. Aber vielleicht war auch das ganz normal so.
Was auf jeden Fall nicht normal war, sondern ganz und gar wunderbar neu: dass ihr Dad sich in ihren Sommerferien ganze drei Wochen Urlaub genommen hatte, die sie miteinander verbrachten. Das hatte er, solange Emmi denken konnte, nicht gemacht, da ihn immer ein wichtiges Projekt oder ein vorzubereitendes Angebot oder sonst irgendetwas in seinem Job abgehalten hatte. Also war sie jahrelang mit ihrer Mutter allein in den Urlaub gefahren, und ihr Dad hatte sie – wenn überhaupt – an den Wochenenden besucht.
Aber jetzt war er ganz für sie da gewesen. Sie hatten Ausflüge in die Umgebung gemacht, im Wald gepicknickt, waren ins Kino gegangen und hatten eine Wanderung mit Zelt und Rucksack in der nahegelegenen Hochebene gemacht. Manchmal hatte Agnes sie begleitet, aber vieles, zum Beispiel die Wanderung, hatten Emmi und ihr Vater allein unternommen. Emmi konnte sich nicht erinnern, ihrem Vater je so nah gewesen zu sein. Sie redeten in dieser Zeit viel miteinander, und endlich hatte Emmi Gelegenheit, alles einmal aus ihrer Sicht zu schildern. Manches erschütterte ihren Vater sichtlich und es flossen – bei ihr und auch bei ihm – etliche Tränen. Dennoch war es unglaublich wohltuend, diese Dinge endlich einmal auszusprechen, um sie danach wirklich ruhen lassen zu können. Und dadurch entstand in dieser Zeit ein ganz neues und festes Band zwischen Emmi und ihrem Vater.
Sie sprachen auch viel über die Zeit, die ihre Eltern zur Beendigung ihres Streits bewogen hatte. Seit dieser Zeit teilte Emmi ein ganz besonderes Geheimnis mit ihren Eltern – und mit ihren neuen Freunden. Vor etwa einem halben Jahr war Emmi fast drei Wochen verschwunden gewesen. Die offizielle Version war, dass sie sich in dem riesigen Waldgebiet in der Nähe ihres Heimatdorfs Little Aspen verirrt hatte. Am Ende ihres Irrwegs hatte sie vier andere Kinder entdeckt und befreit, die zu diesem Zeitpunkt bereits anderthalb Jahre verschollen gewesen waren. Die Kinder hatten in einem unterirdischen Bunker festgesessen, in den sie bei einer Wanderung abgestürzt waren und aus dem sie sich nicht hatten befreien können. In der Zeit ihrer „Gefangenschaft“ hatten sie sich mit dort zurückgelassenen Konserven, Wasser, Decken, Streichhölzern und anderem Proviant notdürftig versorgen können. Ein weiteres Mädchen, welches mit den Vieren zusammen aufgebrochen war, blieb leider nach wie vor verschwunden. Sie war vor dem Absturz in den Bunker mit unbekanntem Ziel durchgebrannt.
Wie gesagt, das war die offizielle Version. Die Wahrheit war, dass erst die verschollenen Kinder und dann Emmi in ein Zauberreich geraten waren, welches sich im Inneren eines verwunschenen Schneckenhauses befand. Unter Emmis Führung hatten sie gemeinsam nach vielen Abenteuern den Weg nach draußen gefunden und zuvor den dort grausam herrschenden König besiegt. Nur eines der Kinder – Charlene – war den falschen Versprechen dieses Zauberreichs von Macht und Reichtum erlegen. Sie hatte sich entschieden, mit dem ebenfalls dort lebenden verräterischen Salamander Marble gemeinsame Sache zur Übernahme der Herrschaft im Schneckenhausreich zu machen. Emmi und ihre Freunde mussten Charlene bei ihrer Flucht schweren Herzens zurücklassen, ja am Ende sogar gegen sie kämpfen.
Die Kinder waren nach ihrer Rückkehr überzeugt gewesen, dass ihnen diese Geschichte niemand abnehmen würde oder sie sogar für verrückt erklärt werden würden. Deswegen hatten sie sich offiziell auf die erfundene Geschichte mit dem Bunker geeinigt. Außer ihren Eltern, die ihnen glücklicherweise nach vielen langen Gesprächen geglaubt hatten und nach außen hin selbst Stillschweigen bewahrten, hatten sie sich nur einem einzigen Menschen anvertraut, und zwar dem verschrobenen alten Mr. Brutus Blacksabbath. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass dieser als Junge ebenfalls in das verzauberte Reich geraten war und bislang – abgesehen von Emmi und ihren Freunden – als einziger von dort hatte flüchten können.
Seit diesen Ereignissen waren nicht nur Emmi und die durch ihren tapferen Einsatz geretteten Kinder Barney, Eric, Paulus und Billie dickste Freunde, auch Mr. Blacksabbath zählte zu ihrem Bund fest dazu. Zahllose Stunden hatten sie über die gemeinsam erlebten Abenteuer gesprochen, und fast ebenso viele Stunden hatten sie zusammengequetscht auf dem Sofa von Mr. Blacksabbath gehockt und seinen Geschichten über magische Gegenstände gelauscht, über die der sonderbare Alte unglaubliche Kenntnisse besaß. Er hatte ihnen von verzauberten Spiegeln, magischen Waffen und allen möglichen Hexereien erzählt oder sie mit Geschichten über Tricks und Betrügereien belustigt. Das ganze Dorf wunderte sich über diese ungewöhnlichen Freundschaften. Emmi und die anderen Kinder waren vor deren Verschwinden alles andere als Freunde gewesen, so dass die ganze Schule über die neue Clique tratschte. Aber all das störte die fünf Kinder und den Alten herzlich wenig. Sie verband nun etwas, das jede Spöttelei oder Anfeindung abprallen ließ.
In Gedanken war Emmi genau bei ihren Freunden, als sie nun an diesem sonnigen und windigen Tag den steilen Pfad zum Klippencafé emporstieg. Es war ihr letzter Ferientag bei ihrem Vater und das stimmte sie traurig. Andererseits freute sie sich unglaublich darauf, die zweite Hälfte der Ferien zu Hause mit ihrer Mutter und damit auch mit ihren Freunden zu verbringen. So wunderbar die unbeschwerten und intensiven Tage mit ihrem Dad gewesen waren, sie vermisste die Gespräche und gemeinsamen Stunden schmerzlich.
Am meisten vermisste Emmi das Zusammensein mit einer speziellen Person. Sie war heilfroh, dass sie diesen Gedanken während ihres Aufstiegs nur mit sich selbst teilte, denn so lief sie nur leicht rosa statt puterrot an, als ihre Tagträume zu Eric wanderten. Schon während des Abenteuers im Schneckenhaus hatte er durch seine aufrichtige und freundliche Art ihre besondere Sympathie gewonnen. Seither hatte sich dieser Eindruck noch verstärkt, und Emmi schätzte es mehr und mehr, mit ihm zu reden, zu lachen oder – was mit den wenigsten Menschen möglich war – auch einfach nur angenehm schweigend zusammenzusitzen.
Emmi hatte endlich den Aufstieg bewältigt und steuerte den Tisch im Klippencafé an, an dem ihr Vater und Agnes auf sie warteten. Erschöpft ließ sich Emmi in einen Stuhl fallen, und ihr Vater strich ihr das wirre Haar aus der Stirn.
„Und“, fragte er neugierig, „wie oft hat es geklappt?“ Den ganzen Urlaub hatten sie gemeinsam das „Steine hüpfen“ am Meer geübt. Emmi verzog das Gesicht.
„Frag´ nicht“, antwortete sie gespielt verzweifelt.
Agnes schaltete sich ein. „Dann schlage ich vor, ihr beide tretet heute Abend noch zu einer Abschiedspartie Tischtennis an. Da sehen Emmis Chancen schon deutlich besser aus! Ich spendiere dem Sieger ein Dutzend Pfannkuchen, und der Verlierer bekommt nur die schäbigen Reste.“ Das hellte Emmis – ohnehin gar nicht wirklich trübe – Stimmung auf. Sie tranken rasch ihre Gläser aus und machten sich auf den Weg nach Hause.
Es wurde noch ein wunderbarer Abend. Wie zu erwarten, verpasste Emmi ihrem Vater eine beschämende Niederlage, teilte jedoch trotzdem großzügig den Berg Pfannkuchen mit ihm. Danach saßen sie noch lange gemeinsam am Tisch, lachten, erzählten und ließen die schönen Ferientage Revue passieren. Erst gegen Mitternacht beschlossen sie, die Runde aufzulösen. Emmi machte sich für die Nacht zurecht und schlüpfte anschließend schläfrig unter ihre Decke.
Es klopfte an der Tür und ihr Vater steckte noch einmal seinen Kopf durch den Spalt. Emmi hielt ihm ihre Hand hin und bedeutete ihm damit, zu ihr zu kommen. Er setzte sich auf die Bettkante und ergriff ihre Hand.
„Das waren ganz supertolle Ferien, Pa!“, sagte Emmi und erwiderte seinen Händedruck.
„Ja“, antwortete ihr Vater, „es waren die wunderbarsten Ferien seit langem.“ Ein Schatten stahl sich auf sein Gesicht. „Ich wünschte, ich hätte schon viel früher…“
Aber Emmi unterbrach ihn energisch. „Pa, das ist doch jetzt nicht mehr wichtig. So ist es doch auch schön, nicht perfekt, das nicht gerade, aber was ist eigentlich schon perfekt?“
„Du bist ein so kluges Mädchen“, sagte ihr Vater leise.
„Von dir kann ich noch eine Menge lernen. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn du im letzten Winter nicht…“ Er verstummte, als er Emmis entschiedenen Blick auffing, der ihm bedeutete, nicht solch düsteren Gedanken nachzuhängen.
Stattdessen nahm ihr Vater Emmi fest in die Arme und flüsterte ihr ins Ohr. „Nun schlaf schön, meine große Kleine! Und noch einmal ,Danke´ für die tollen Ferien, vor allem auch dafür, dass du Agnes gegenüber so offen bist.“
„Bitte sehr“, antwortete Emmi lächelnd. „Auch wenn du dich gar nicht zu bedanken brauchst. Mir hat es total gut hier gefallen bei…euch.“
Die letzten Worte waren ihr fast ein bisschen herausgerutscht. Aber als sie noch einmal darüber nachdachte und sich zudem das jüngste Gespräch mit ihrer Mutter vor Augen führte, merkte sie, dass sie es tatsächlich so meinte.
Am nächsten Tag stand Emmi bereits früh auf. Gestern Abend war es einfach zu gemütlich gewesen, als dass Emmi ans Kofferpacken auch nur gedacht hätte. So erledigte sie dies noch vor dem Zähneputzen, nahm dann ein kleines Frühstück mit ihrem Dad und Agnes ein, und um zehn Uhr saß sie auf dem Rücksitz von Pas Auto und winkte Agnes zum Abschied durch die Heckscheibe zu.
Ihr Vater wählte für den Rückweg nicht die Autobahn, sondern die Landstraße, auf der sie gemütlich dahinzockelten. Er begründete dies mit der schönen Landschaft und den zwei oder drei Sehenswürdigkeiten am Rande dieser Route. Emmi vermutete allerdings, dass er dadurch den Zeitpunkt ihres Abschieds noch ein wenig hinauszögern wollte.
Nach etwa zwei Stunden hatten sie dann aber doch ihr Ziel erreicht, und Emmi flog ihrer Mutter in die Arme, die ihr lachend und winkend aus der Haustür entgegengelaufen kam. Auch ihren Ex-Mann begrüßte sie herzlich und lud ihn ein, zum Begrüßungsessen zu bleiben, welches sie für Emmi vorbereitet hatte: ein riesiges Blech Pizza Margherita und zum Nachtisch einen saftigen Schokoladenkuchen. Während des Essens unterhielten sie sich lebhaft darüber, was Emmi und ihr Vater alles in den letzten drei Wochen unternommen hatten, und Emmi war aufs Neue glücklich und dankbar für die entspannte Stimmung, die zwischen ihren Eltern herrschte.
Und dann war es Zeit für den Abschied. Emmi drückte ihren Vater fest an sich, der wiederum seine Arme um sie schlang und ihr einen Kuss aufs Haar gab. „Ich vermisse dich jetzt schon“, sagte er mit einem schrägen Lächeln.
„Aber nun genieße erst einmal deine restlichen Ferien. Wir sehen uns ja schon bald wieder.“ Er wandte sich abrupt zum Auto, um den Abschied nicht in die Länge zu ziehen.
„Ich ruf´ dich an, wenn ich wieder zu Hause angekommen bin!“, rief er ihr über die Schulter zu. Dann stieg er ins Auto und fuhr winkend und hupend aus der Einfahrt. Emmi und ihre Mutter gingen anschließend Arm in Arm ums Haus und setzten sich auf die Terrasse.
„Und“, fragte Emmi, „was gibt es hier Neues?“
„Nicht viel“, erwiderte ihre Mutter. „Ich habe viel gearbeitet und jede Menge im Haus und im Garten geackert. Na ja“, sie lächelte Emmi mit einem Augenzwinkern an, „und seit vorgestern steht das Telefon nicht mehr still. Deine Freunde sind nach und nach ebenfalls aus den Ferien zurückgekehrt und haben sich noch vor dem Auspacken nach dir erkundigt.“
Emmi sah so erwartungsvoll und begeistert aus, dass ihre Mutter lachend kapitulierte. „Na los, schwing dich schon ans Telefon, wir können ja heute Abend noch in Ruhe weiterreden.“
„Danke, Mum“, jubelte Emmi und spurtete zum Telefon, um ihre Freunde über ihre Rückkehr zu informieren.
Zu diesem Zeitpunkt konnte niemand ahnen, dass noch die unglaublichsten Dinge geschehen würden, bis sie die Verabredung mit ihrer Mum zur Weiterführung ihres Gesprächs würde einlösen können.
Emmi hielt den Telefonhörer in der Hand und überlegte stirnrunzelnd, wen sie zuerst anrufen sollte. Am meisten freute sie sich darauf, Erics Stimme zu hören. Gleichzeitig war es ihr auch ein wenig peinlich, dies so deutlich zur Schau zu tragen, indem sie in zuerst anrief. Billie würde am Telefon wie üblich lossprudeln – über sie würde Emmi auf jeden Fall in kürzester Zeit die meisten Informationen bekommen. Paulus würde wahrscheinlich wie immer ein wenig umständlich und gemessen die Ereignisse der letzten Wochen abarbeiten, sachlich und in zeitlich korrekter Reihenfolge. Emmi schätzte ihn sehr, auch gerade für seine Klugheit, aber für ein fröhliches Gespräch über den aktuellen Klatsch und Tratsch war er wohl nicht der Richtige. Und den üblicherweise recht wortkargen und immer ein wenig auf „cool“ machenden Barney schob Emmi gedanklich ebenfalls in der Reihe nach hinten.
Gerade hatte Emmi sich dazu durchgerungen, ihrem Bauchgefühl zu folgen und Erics Nummer zu wählen, als sie vor Schreck fast den Hörer fallenließ. Denn in diesem Moment schellte das Telefon laut und durchdringend. Mit etwas zittrigen Fingern nahm sie das Gespräch an und meldete sich.
„Emmi!“, hörte sie Erics vertraute Stimme erleichtert ausrufen. „Ein Glück, dass du ans Telefon gehst. Wir haben es vorhin schon einmal versucht, aber da hat niemand abgenommen. Auch wenn es vielleicht etwas sehr spontan ist: Kannst du sofort rüberkommen? Die anderen sind auch schon da. Wir müssen dringend etwas besprechen.“
Emmi war völlig verdattert. Es passte überhaupt nicht zu Eric, so mit der Tür ins Haus zu fallen. Natürlich hatte sie vorgehabt, ihre Freunde heute noch zu sehen, aber das hier klang eher schon wie ein Notfall.
„Ist etwas passiert?“, fragte sie Eric alarmiert.
„Ja“, antwortete Eric. „Aber das lässt sich schlecht am Telefon besprechen. Kannst du kommen?“
Eric hörte sich ziemlich beunruhigt an, und er neigte sonst wirklich nicht zu Panikmacherei. Daher war für Emmi klar, dass sie seiner Bitte sofort nachkommen würde.
„Ich sage kurz meiner Mutter Bescheid“, antwortete sie daher. „Dann mache ich mich auf den Weg. In zehn Minuten bin ich da.“
„Gut“, erwiderte Eric. „Beeil´ dich.“ Dann legten beide ohne ein weiteres Wort auf.
Emmi ging zurück auf die Terrasse zu ihrer Mutter.
„Mum?“, fragte sie möglichst leichthin, um sie nicht zu beunruhigen. „Hast du etwas dagegen, wenn ich zu Eric hinübergehe? Die anderen sind zufällig auch gerade dort und haben offenbar viel zu erzählen.“
Ihre Mutter nickte ihr lächelnd zu. „Geh´ ruhig, aber komm nicht allzu spät zurück. Ich würde gern noch mit dir Pläne schmieden und überlegen, was wir beide in unseren drei Ferienwochen unternehmen könnten.“
Sie stand auf, um sich aus dem Wohnzimmer ein Buch zu holen. Im Vorbeigehen wandte sie sich noch einmal an Emmi. „Falls ihr übrigens zu Mr. Blacksabbath wollt, der scheint verreist zu sein. Jedenfalls tut sich an seinem Haus seit Tagen nichts, und alle Vorhänge sind geschlossen.“
Emmi stutzte. Vielleicht hatte Erics Sorge ja etwas damit zu tun. Vielleicht war ihrem alten Freund etwas zugestoßen? Jetzt breitete sich die Sorge, die sie bislang halbwegs erfolgreich unterdrückt hatte, schnell in ihrem Magen aus. Am besten, sie erfuhr so rasch wie möglich, was tatsächlich passiert war. Sie schnappte sich ihre Jacke und ihren Schlüssel und sah auf die Uhr: kurz nach drei.
„Ich bin gegen sieben Uhr wieder zu Hause“, rief sie ihrer Mutter zu und lief aus dem Haus. Sie holte ihr Rad aus der Garage und radelte im Eiltempo zu Erics Haus. Als sie dort vom Sattel stieg, sah sie ihre Freunde erwartungsvoll aus Erics Fenster starren, und Sekunden später riss Eric bereits die Haustür auf.
„Emmi“, begrüßte er sie, trotz seiner erkennbaren Anspannung hocherfreut darüber, sie zu sehen. „Komm´ schnell rein, dann bringen wir dich auf den neuesten Stand. Es ist echt unfassbar.“
Damit ging er zurück ins Haus, und sie folgte ihm. Seine Eltern schienen nicht da zu sein, und so entfiel glücklicherweise der höfliche Smalltalk im Hausflur, für den sie im Moment kaum genug Nerven gehabt hätte.
In Erics Zimmer angekommen, ging es ihr ähnlich wie soeben Eric bei ihrem Anblick. Obwohl sie inzwischen ziemlich besorgt darüber war, was sie gleich zu hören bekommen würde, fühlte sie für einen Moment einfach nur riesige Freude, ihre Freunde wiederzusehen, und sie strahlte einen nach dem anderen an: den schlaksigen blonden Eric, die kleine zierliche Billie, den kräftigen sportlichen Barney, den etwas rundlichen und schon so erwachsen wirkenden Paulus…und in der Ecke erblickte sie einen Jungen, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Emmi hob überrascht die Augenbrauen.
Er war hochgeschossen und mager, hatte struppiges dunkelblondes Haar und erstaunt dreinschauende blaue Augen. Es machte den Eindruck, als sei er in letzter Zeit stark gewachsen, denn seine Bewegungen wirkten ein wenig ungelenk. Als er zur Begrüßung schüchtern die Hand hob, stieß er fast Erics Lampe vom Schreibtisch. Er machte erschrocken einen Schritt zur Seite und latschte dabei Paulus voll auf die Zehen, woraufhin dieser vor Schmerz japste. Der Junge sprang wieder zurück, schüttelte entschuldigend den Kopf und ließ die Schultern hängen.
Nichtsdestotrotz oder gerade wegen seiner Tollpatschigkeit fand Emmi ihn sympathisch. Sie lächelte ihn freundlich an, und er lächelte etwas verlegen zurück, so als wäre ihm die Freundlichkeit so vieler Kinder gleichzeitig irgendwie unheimlich. ,Wenn es das ist, was ihn wundert´, dachte Emmi, ,kann ich ihn sehr gut verstehen´.
Sie dachte an die Zeit zurück, als auch einige ihrer heutigen Freunde sie mit dem Spitznamen ,Mopey-Dopey´ geärgert hatten, als Verspottung ihres Nachnamens Mope – Trauerkloß. Auf ihren fragenden Blick hin löste Eric nun das Rätsel auf. „Das ist Samuel, und er ist Mr. Blacksabbaths Enkelsohn.“
Emmi fiel die Kinnlade herunter. „Mr. Blacksabbath hat einen Enkel?? Dann muss er ja auch…Aber er hat nie…“, stotterte sie völlig perplex.
„Eins nach dem anderen“, meldete sich Barney zu Wort. „Jetzt setz´ dich erst einmal. Und übrigens: Schön, dass du wieder da bist!“
Alle nickten zustimmend, und selbst Samuel schien glücklich, obwohl Emmi sich nicht vorstellen konnte, warum er sich über ihre Anwesenheit freute.
„Auch wenn es ein wenig unhöflich ist, gar nicht nach deinen Ferien zu fragen, vielleicht erzähle ich dir jetzt direkt, was passiert ist?“, schlug Eric vor.
„Unbedingt!“, pflichtete Emmi ihm bei. „Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich schon ganz gespannt bin, aber ehrlich gesagt bin ich eher besorgt.“
„Ja“, stimmte Eric düster zu. „Das ist wohl auch das richtige Gefühl in dieser Situation.“ Er holte tief Luft und begann zu erzählen. „Mr. Blacksabbath ist im Krankenhaus. Er ist…nun ja, er hatte so eine Art Unfall. Seit vier Tagen ist er dort in Behandlung, und passiert ist es noch einmal zwei Tage früher. Wir haben es aber erst heute von Samuel erfahren.“ Eric nickte ihm dankbar zu.
„Um Himmels Willen“, rief Emmi aus. „Was ist denn geschehen?“
Nochmals atmete Eric tief durch, aber dieses Mal war es Barney, der die Geschichte weitererzählte. „Charlene und Marble sind aus dem Schneckenhaus aufgetaucht und haben ihn niedergeschlagen, als er sie von dem abhalten wollte, was sie dann leider doch geschafft haben.“
Emmi schwirrte der Kopf. Charlene und der widerliche Salamander Marble? Das gab´s doch gar nicht. „Wo sind die beiden jetzt?“, fragte sie atemlos.
Aber Eric schüttelte den Kopf. „So richtig wissen wir es auch noch nicht, denn wir haben noch nicht mit Mr. Blacksabbath selbst sprechen können. Momentan steht so viel fest: Er wurde von den beiden überrascht und überwältigt und lag dann hilflos in seinem Haus, bis ihn Samuel fand. Er hat dafür gesorgt, dass Mr. Blacksabbath ins Krankenhaus kommt. Dort hat er dann nach uns gefragt und alle Schwestern terrorisiert, damit sie mit uns Kontakt aufnehmen. Die haben es dann über Samuels Eltern probiert, aber die…“, er blickte Samuel unsicher an, „nun, jedenfalls haben sie nichts unternommen und auch Samuel davon abgehalten. Heute konnte Samuel dann wieder ins Krankenhaus kommen, und er hat sofort die Telefonbücher gewälzt. Mich hat er als Ersten erreicht, ich habe alle zusammengetrommelt – ja, und jetzt sind wir hier.“
Alle sahen nun Samuel an. Der räusperte sich, etwas verunsichert durch die ihm geltende gespannte Erwartungshaltung. Trotzdem wollte er offensichtlich seinen Teil zur Aufklärung der Sache beitragen. „Ja, also, mein Großvater und ich haben schon immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Leider gilt das nicht für ihn und seine Tochter und seinen Schwiegersohn – also meine Eltern. Sie haben seit Jahren keinen richtigen Kontakt mehr und wollen mir am liebsten auch verbieten, ihn zu sehen. Sie meinen, er macht mich verrückt mit seinen ganzen seltsamen Ideen von Magie und Zauberei. Selbst können sie damit gar nichts anfangen. Ich glaube, sie haben Angst davor, denn schließlich…“ Er verstummte und suchte kurz nach den richtigen Worten.
„Meine Großmutter“, sprach er dann weiter, „genauer die Mutter meiner Mutter war von derselben Art wie mein Großvater. Beide haben das Mystische, die Zauberei und das Magische geliebt. Kaum ein Mensch wollte damals etwas mit den beiden zu tun haben, aber es hat sie nicht gestört, sie hatten ja sich. Meine Mutter hat allerdings sehr darunter gelitten, von den anderen Kindern gehänselt und verspottet zu werden. Tja, meine Großmutter wurde dann schon in jungen Jahren sehr krank. Sie weigerte sich, in ein Krankenhaus zu gehen. Vermutlich hätte es sie sowieso nicht gerettet, aber meine Mutter ist davon überzeugt, dass sie es geschafft hätte, hätte sie sich nur in die Obhut der „wirklichen“ Welt gegeben. Nachdem Großmutter gestorben war, ging für meinen Großvater die Welt unter, und er zog sich völlig in sich zurück. Meine Mutter kam zu einer Tante und wuchs am Ende ganz bei ihr auf. Für sie ist die Magie Schuld an der ganzen Familienmisere, und sie sagte sich von ihrem Vater los. Irgendwie hat sie auch ihrer Mutter nie „verziehen“, dass sie einfach gestorben ist.“
Er senkte den Kopf und sprach kaum hörbar weiter. „Tja, und wenn ich nun meinen Großvater sehen will, muss ich es immer heimlich tun, und das funktioniert leider nur ganz selten. Daher sind wir uns dort auch noch nie über den Weg gelaufen.“
Emmi blickte ihn betroffen an. Sie konnte sehr gut nachvollziehen, wie es sich anfühlte, in der eigenen Familie hin- und hergerissen zu sein zwischen den Menschen, die man selbst liebt, die sich untereinander aber bekriegten.
Samuel straffte nun die Schultern und sprach die folgenden Worte voller Nachdruck aus. „Ich selbst bin übrigens fest davon überzeugt, dass all die Menschen, die nichts gelten lassen als Fakten und Zahlen viel mehr schuld daran sind, dass es schlecht um die Welt steht. Aber davon will meine Mutter leider nichts hören.“ Er hielt kurz inne und musste sich sichtlich bemühen, den Faden der Geschichte wieder aufzunehmen.
„Also, an diesem Tag jedenfalls“, sprach er dann weiter, „an dem diese Geschichte hier ihren Anfang nahm, waren meine Eltern unterwegs und dachten, ich wäre bei einem Freund. Ich bin aber zu meinem Großvater gegangen, doch auf mein Klopfen und Klingeln rührte sich nichts. Dann kam jemand aus eurem Dorf vorbei und sagte mir, dass sich dort bereits seit zwei Tagen kein Mucks getan hätte, und das machte mich dann doch stutzig. Ich lief noch einmal ums Haus und fand zum Glück die Kellertür offen vor. So kam ich ins Haus und sah mit Schrecken, dass er mitten in der Wohnstube auf dem Boden lag – in einem schrecklichen Zustand. Sein Bein stand komisch ab, er war ganz grau und schwach und konnte kaum sprechen. Am Kopf und am Hals hatte er ziemlich üble Wunden. Auch das Haus war in einem furchtbaren Zustand.
Alles war zerwühlt und einiges zerbrochen. Ob etwas oder was genau fehlte, konnte ich auf den ersten Blick nicht erkennen. Ich rief sofort einen Krankenwagen und fuhr mit ihm ins Krankenhaus…und obwohl er kaum bei Sinnen war, hatte mein Großvater immerhin noch so viel Kraft, um mir einen weiteren Anruf bei der Polizei zu verbieten. Er kann sehr überzeugend sein, das wisst ihr vielleicht auch, deshalb habe ich nichts weiter unternommen.“ Er zuckte die Schultern und hob entschuldigend die Hände.
„Vom Krankenhaus aus rief ich meine Eltern an, in der Hoffnung, dies würde sie dazu bringen, sich um ihn zu kümmern.“ Er schnaubte unwillig. „Falsch gedacht! Sie kamen zwar schnell, drückten der Schwester dann aber nur Geld in die Hand, damit sie ihm das Nötigste kaufen konnten, packten mich ein und fuhren nach Hause. Es kamen mehrere Anrufe aus dem Krankenhaus bei uns an, aber sie wimmelten alle ab. Heute habe ich es dann endlich geschafft, unbemerkt hinauszuschlüpfen und meinen Großvater zu besuchen. Er hat mich sofort gebeten, unverzüglich mit einem von euch Kontakt aufzunehmen und euch zu erzählen, dass es etwas mit Charlene und Marble zu tun hat. Tja, und als ich dann Erics Nummer herausbekommen hatte und es ihm erzählte, hatte es tatsächlich die Wirkung, die mein Großvater sich erhofft hatte. Eric hat mich eingeladen, hierher zu kommen, damit ich nicht so lange im Krankenhaus herumhängen muss, während mein Großvater behandelt wird. Dann hat er euch sofort alle zusammengetrommelt…“.
„…und mit dir, Emmi“, vollendete Billie nun den Satz, „sind wir endlich komplett, um nun selbst ins Krankenhaus zu fahren!“
Emmi hatte zwar noch tausend Fragen, aber die konnten ihre Freunde und Samuel wohl auch nicht beantworten. Daher schwangen sie sich alle unverzüglich auf ihre Räder und fuhren zum Krankenhaus und zu ihrem verletzten Freund.
Im Krankenhaus vermieden sie es, den Schwestern oder Ärzten ins Gesicht zu schauen, obwohl sie ja streng genommen gar nichts Verdächtiges oder Verbotenes taten. Aber das Wissen darum, dass sich ihr Gespräch gleich um etwas absolut Geheimes drehen würde und zumindest Samuel entgegen dem Willen seiner Eltern hier war, bewirkte, dass sie sich wie halbe Verbrecher fühlten. Im richtigen Stockwerk angekommen, folgten sie Samuel zu dem Zimmer, in dem Mr. Blacksabbath lag. Sie klopften vorsichtig an die Tür und traten auf ein leises „Herein!“ hin ein.
Den Freunden stockte der Atem beim Anblick ihres Freundes, aber sie versuchten, sich nichts anmerken zu lassen. Er wirkte beängstigend schwach und hilflos in dem großen Bett. Sein Kopf war verbunden, und quer über seinem Hals klebte ein großer Verband. Sein linkes Bein steckte in einem weißen Gipsverband. Es bereitete ihm offensichtlich Schmerzen, sich aufzurichten. Trotz allem begrüßte er sie mit einem strahlenden Lächeln, das ihn schlagartig viel besser aussehen ließ.
„Dem Himmel sei Dank, dass ihr hier seid!“, rief er begeistert. „Man sollte nicht meinen, dass es heutzutage so schwer ist, ein paar Kinder auf einen Besuch ins Krankenhaus zu holen. Aber wie ich schon mehrfach erleben durfte: Wer Familie hat, braucht keine Feinde mehr.“ Er blickte Samuel eindringlich an. „Du bist natürlich hiervon ausgenommen.“
Mit einer Handbewegung lud der Alte die Kinder ein, Platz zu nehmen, und sie verteilten sich auf Stühle, die Bettkante und die Fensterbank. Ein paar Sekunden sahen sich alle nur schweigend und besorgt an. Dann ergriff Emmi das Wort.
„Mr. Blacksabbath…“, begann sie, aber dieser hob die Hand, um selbst noch etwas zu sagen.
„Bevor wir irgendetwas miteinander besprechen“, sagte er mit seiner vertrauten kratzigen Stimme, „möchte ich euch bitten, mich zu duzen und ,Brutus´ zu mir zu sagen. Mir scheint, dieser Augenblick ist gerade der rechte, um damit anzufangen.“
Emmi lächelte schüchtern und setzte dann erneut an. „Also, Brutus, Samuel hat uns erzählt, was passiert ist, zumindest das, was er wusste. Wir können es kaum glauben. Charlene und Marble sind zurückgekehrt? Was haben sie mit Ihnen…mit dir gemacht? Und überhaupt: wo sind die beiden jetzt?“
Brutus seufzte. „Ja, es ist wahr, die beiden sind aus dem Schneckenhaus in unsere Welt gekommen, und sie haben sich einen wirklich spektakulären Auftritt geleistet. Mitten in der Nacht war es. Ich war im Sessel in der Wohnstube eingeschlafen, als mich ein seltsames Rasseln und Zischen weckte. Woher es kam, war sofort klar, denn das Schneckenhaus vibrierte und glühte in der Dunkelheit. Dann gab es einen mächtigen Knall, und die beiden standen mitten im Zimmer, mager und dreckig und wild um sich blickend. Obwohl Marble inzwischen ungefähr so alt sein muss wie ich, hatte er sich – im Gegensatz zu mir – kaum verändert. Sie hatten natürlich keine Ahnung, wo sie gelandet waren, und waren nicht wenig überrascht über meinen Anblick. Noch überraschter waren sie allerdings – und ich ebenfalls –, als hinter ihnen plötzlich das Schneckenhaus mit einem zweiten kolossalen Knall zu Staub und Scherben zerbrach. Ich vermute, dass dies passierte, weil Marble die magische Kraft aus dem Schneckenhaus herausgebracht hatte. Ohne diese Kraft in seinem Inneren fällt die Magie des Schneckenhauses ganz offensichtlich in sich zusammen.
Wie auch immer, es war auf jeden Fall unrettbar zerstört, was die beiden selbstverständlich massiv unter Druck setzte. Denn wie sie mir kurz danach erzählten, waren sie eigentlich nur herausgekommen, um nach Kindern zu suchen, die sie in ihr verfluchtes Reich mitnehmen wollten. Von allein kam ja schon längst keines mehr, dafür haben wir gemeinsam gesorgt. Und offenbar waren sie es satt, selbst die ganze Arbeit zu tun. Aber nun gab es weder neue Kinder noch eine Möglichkeit zur Rückkehr.“
Emmi musste kurz voller Bedauern an die vielen Geschöpfe im Inneren des Schneckenhauses denken, aber sie schüttelte diese Gedanken mit Nachdruck ab. Jetzt galt es, sich mit ganzer Kraft auf die drängenderen Probleme zu konzentrieren.
„Also mussten sich beide so schnell wie möglich eine neue Strategie ausdenken. Ich versuchte zunächst, sie ruhig und vernünftig anzusprechen, aber daran hatten die beiden nun gar kein Interesse. Charlene war einfach nur panisch. Marble jedoch begann langsam, mehr Interesse für seine Umgebung zu entwickeln. Er trägt selbst genug Zauberkraft in sich, um sofort zu erkennen, dass er von jeder Menge magischer Gegenstände umgeben war. Ich glaube, das war auch der Moment, in dem er mich wiedererkannte.
Er begrüßte mich spöttisch, versuchte, mir Informationen zu entlocken, die ihnen bei der Flucht helfen konnten, drohte mir dann offen, aber natürlich gab ich diesem Halunken nichts preis. Wäre ja noch schöner!“
Brutus schnaubte grimmig, seufzte dann allerdings, denn offenbar kam nun der weniger angenehme Teil der Erzählung. „Dann entdeckte er die Tür. Deren Zauber ist schon für Menschen spürbar, die überhaupt nichts mit Magie am Hut haben. Und Marble nahm die von ihr ausgehende Energie selbstverständlich deutlich wahr. Ich versuchte, ihn abzulenken, ihm andere Wege aufzuzeigen, ihn irgendwie von der Tür fernzuhalten…alles vergebens. Und nun geriet ich ebenfalls in Panik und führte ihn unfreiwillig auf die richtige Spur.“
Wieder stieß er einen zornigen Laut aus. „Ohrfeigen könnte ich mich! Unwillkürlich ergriff ich nämlich den Schlüssel zu der Tür, den ich seit Jahrzehnten an einer Kette bei mir trage. Natürlich ist Marble das nicht entgangen. Tja, und dann überwältigte er mich gemeinsam mit Charlene. Sie stießen mich zu Boden und rissen mir den Schlüssel vom Hals, wovon ich übrigens diese wunderbaren Striemen hier habe. Dann griffen sie sich auf sein Kommando ein paar sehr nützliche Gegenstände…und verschwanden durch die Tür.“
Völlig erschöpft hielt Brutus inne. Es war zum einen die Anstrengung der langen Erzählung, die ihn stocken ließ. Zum anderen machte ihn offenbar die Tatsache, dass Marble und Charlene die geheimnisumwobene Tür entdeckt und für was auch immer genutzt hatten, fix und fertig.
„Die beiden schrecken wirklich vor nichts zurück“, schaltete sich nun Eric ein. „Aber was hat es denn mit dieser Tür auf sich?“
Der alte Mann sah sie nacheinander an. „Erinnert ihr euch noch an unsere Zusammenkunft nach eurer Rückkehr aus dem Schneckenhaus? Ich habe euch gesagt, falls ihr noch einmal Lust auf ein Abenteuer hättet, könnte ich euch etwas Interessantes bieten.“
Emmi erinnerte sich natürlich genau. Und sie erinnerte sich auch daran, dass er in diesem Augenblick zu der Tür am oberen Ende der Treppe im ersten Stock geschaut hatte. Dort befand sich eine schwere alte Eichentür mit einem mächtigen schmiedeeisernen Schloss. Bis jetzt hatten sie allerdings noch so viel damit zu tun gehabt, in allen Einzelheiten über ihr Schneckenhaus-Abenteuer zu sprechen, dass sie auf dieses Angebot noch nicht zurückgekommen waren.
„Natürlich!“, sagte Emmi. „Die Tür im ersten Stock in deinem Haus.“
„Genau die“, bestätigte Brutus. „Ja, wahrscheinlich ist sie wirklich das schönste und bedeutendste magische Stück in meiner Sammlung.“
Seine Stimme wurde ganz weich und zärtlich, als er zu einer Erklärung ausholte. „Die Tür führt in eine Welt, dagegen ist das Innere des Schneckenhauses geradezu alltäglich und klein. Diese Welt heißt Arcanum. Dort herrscht kein böser König, sondern eine freundliche und weise Königin. Alles funktioniert dort ohne Gewalt, ohne Macht und Ohnmacht, ohne Herrscher und Untertanen. Jeder erfüllt dort einfach seine Aufgabe und trägt so zum Gleichgewicht bei. Seit Jahrhunderten gibt es diese Tür, und sie taucht immer wieder in anderen Häusern auf. Ich habe in der ganzen Welt recherchiert und herausgefunden, dass sie immer dort erscheint, wo Magie zu Hause ist. Und – was noch viel wichtiger ist – sie bleibt besonders lang dort, wo die ein-und ausgehenden Menschen achtsam mit Zauberkraft umgehen.“ Er ballte die Faust und schlug sie kraftlos auf seine Bettdecke. „Ich könnte aus der Haut fahren! Alles, was ich in den letzten Jahrzehnten so gehegt und gepflegt habe, haben die beiden womöglich innerhalb von Minuten zerstört!“
Trotz der Schmerzen setzte er sich in seinem Bett auf. „Ihr müsst diese Welt retten! Ihr müsst diese beiden Eindringlinge bekämpfen und von dort verjagen, so schnell wie möglich. Sonst wird diese wunderbare Welt für immer verloren sein. Das darf einfach nicht passieren!“
Die Freunde sahen sich reihum an. Emmi schwirrte der Kopf und sie fühlte, wie ein kalter Klumpen Angst in ihrem Bauch anwuchs. Billie saß mit weit aufgerissenen Augen auf der Bettkante und blickte erschrocken von einem zum anderen. Auch Eric, Barney und Paulus waren ganz blass geworden bei Brutus´ Erzählung. Aber obwohl sie alle bei dessen verzweifeltem Appell die nackte Furcht vor den drohenden Gefahren gepackt hatte, war es eigentlich schon entschieden, dass sie es versuchen mussten. Denn Brutus würde sie niemals einer solchen Gefahr aussetzen, wenn es nicht wirklich unumgänglich wäre.
„Ich werde euch natürlich helfen“, meldete sich da Samuel zu Wort.
„Du?“, fragte Paulus erstaunt. „Du musst entschuldigen, aber mir scheint, du verstehst nicht recht…ich meine, du weißt doch bestimmt nicht…“
„Ich weiß nicht, worum es geht?“, fragte Samuel freundlich, aber bestimmt zurück. „Das weiß ich allerdings. Ich war nämlich schon einmal dort.“
Er wandte sich an seinen Großvater, der ihn zunächst erstaunt anblickte, dann aber wie bei einem Streich ertappt lächelte. Samuel lächelte zurück. „Du dachtest wohl, ich könnte mich nicht daran erinnern, nicht wahr? Aber das kann ich. Ich muss ungefähr vier oder fünf Jahre alt gewesen sein, als du mich dorthin mitgenommen hast. An viel kann ich mich nicht erinnern, einzig eine riesige bunte Wiese ist mir im Gedächtnis geblieben…und eine mysteriöse Gestalt…“ Die Miene seines Großvaters sprach Bände. Alles war tatsächlich so passiert, wie Samuel es geschildert hatte, und er wusste offensichtlich auch, wer dieses phantastische Wesen war.
„Die Königin“, sprach Brutus leise. „Sie ist uns tatsächlich erschienen. Kindern gegenüber ist sie nicht so scheu, und sie und ich kennen uns schon lange. Deshalb ist sie gekommen, als wir beide dort waren. Aber dass du dich erinnern kannst…“
„Ich habe immer darauf gewartet, dass du mich noch einmal mitnimmst“, sagte Samuel. „Gefragt hätte ich nie, das schien mir irgendwie fast verboten. Ich hatte immer Angst, dass Ma und Dad es herausbekommen könnten und dann alles noch komplizierter werden würde. Du bestimmt auch, oder?“ Brutus nickte. „Aber jetzt…?“, fuhr Samuel fort. „Sei´s drum, wenn ihr mich überhaupt mitnehmen wollt.“ Fragend schaute er die fünf Freunde an.
Auch wenn sie sich gerade ein paar Stunden kannten, passte Samuel so gut in ihre Mitte, als würden sie bereits seit Jahren miteinander befreundet sein. Irgendwie schien es fast so etwas wie eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen zu geben. Daher war es für alle eigentlich gar keine Frage, dass sie gemeinsam auf die Suche gehen würden, und die Freunde nickten einstimmig.
„Also“, sagte Emmi etwas zittrig. „Dann ist es wohl beschlossene Sache. Auch wenn wir noch keinen Schimmer haben, worum es genau geht: das nächste Abenteuer steht an.“
„Emmi hat recht“, schaltete sich Eric in das Gespräch ein. „Doch bevor wir gehen, müssen wir unbedingt noch mehr über Arcanum erfahren. Was gibt es dort für Geschöpfe? Welche Gefahren drohen uns? Und was haben Charlene und Marble dort vor? Wie sollen wir sie finden?“
Brutus überlegte nun etwas länger. Dann begann er, langsam zu sprechen. „Es ist eine Welt, wie ihr sie euch in euren kühnsten Träumen nicht vorstellen könnt. Sie ist atemberaubend schön und prachtvoll. Dort gibt es Gebirge aus schwarzem Gestein, wuchernde Urwälder mit den wunderschönsten, aber auch gefährlichsten Pflanzen, die es je irgendwo gab, Meere und Schluchten…Und das sind nur die Landschaften. Die Wesen, die all diese Gegenden bevölkern, sind so vielfältig und so seltsam, dass ich stundenlang über sie erzählen könnte. Hirschkäfer, groß wie Kinder, Bärengestalten, Fische in allen Regenbogenfarben, winzige Zwergenvölker...“
Er hing kurz seinen Gedanken nach, dann bemühte er sich um Konzentration. „So notwendig es wäre“, stieß er schließlich seufzend hervor, „es bleibt einfach keine Zeit, euch dies in allen Einzelheiten zu erklären. Ihr müsst nämlich wissen, dass die Zeit dort – genau andersherum als im Schneckenhaus – rasend schnell vergeht. Ein paar Minuten hier bedeuten dort den Verlauf eines ganzen Tages. Insofern hatten Charlene und Marble bereits viel zu viel Zeit, um Unheil anzurichten.
Ihr müsst versuchen, so weit wie möglich ins Innere des Landes vorzudringen. Dort ist die Chance am größten, dass sich die Königin euch zeigt. Sie wird euch helfen können, die beiden Eindringlinge zu bekämpfen und zu besiegen. Deren Spur wird wahrscheinlich leicht zu finden sein. Sie werden dort in ähnlicher Weise auftreten wie im Schneckenhaus: ungerecht und brutal. Und vor allem werden sie nach Prunk und Pracht streben: Paläste, Schmuck, Diener und so weiter. Sie werden bestimmt versuchen, die stärkeren Geschöpfe auf ihre Seite zu ziehen. Folgt einfach der Schneise der Zerstörung, dann werdet ihr todsicher auf sie stoßen“, schloss Brutus bitter.
Emmi fiel nun eine weitere Schwierigkeit ein. „Wie kommen wir denn eigentlich hinein, wenn Charlene und Marble den Schlüssel gestohlen haben?“, fragte sie Brutus.
Dies schien die Stimmung des alten Mannes wieder ein wenig aufzuhellen. „Viele meiner magischen Gegenstände“, antwortete er, „haben schon Neider und Neugierige in Versuchung geführt. Daher habe ich mir für einige meiner kostbarsten Besitztümer ein paar Sicherheitsvorkehrungen einfallen lassen. Bei der Tür ist dies zum Glück auch der Fall. Wenn nämlich jemand gegen meinen Willen den Schlüssel benutzt…tja, wie soll ich sagen, dann…merkt die Tür das. Daher kann sie zwar aufgeschlossen, aber zumindest von innen nicht abgeschlossen werden. Sie steht somit offen, und ihr könnt einfach hinein. Allerdings braucht man den Schlüssel wieder für den Rückweg, um die Tür zu öffnen“, schloss er eindringlich. „Oder jemanden, der von der anderen Seite Wache hält und die Rückkehrer wieder hereinlässt. Aber dennoch ist es enorm wichtig, dass ihr den Schlüssel findet. Denn wenn er zu lange in Arcanum bleibt, schließt sich die Tür irgendwann für immer und kann nie wieder geöffnet werden.“
„Aber wenn sie jetzt offen steht“, gab Billie nach einer Schrecksekunde zu bedenken, „dann gerät womöglich noch jemand aus Versehen hinein, die Putzfrau oder sonst wer.“
Der Alte warf ihr einen leicht tadelnden Blick zu. „Erstens, liebe Billie, müsstest du inzwischen wissen, dass ich nicht unglaublich viel Besuch bekomme. Und zweitens sitze ich ja davor und passe auf.“
„Davorsitzen?“, echote Paulus. „Aber Sie…du musst doch bestimmt noch einige Tage im Krankenhaus bleiben.“
„Meine lieben Freunde“, erwiderte Brutus bestimmt.
„Ich bin zwar momentan nicht gerade auf der Höhe meiner Kraft, was mich leider auch davon abhält, in meiner wunderbaren Zauberwelt selbst für Ordnung zu sorgen. Aber ich werde es wohl schaffen, eine Tür zu bewachen. Und zur Not schleppe ich mich schon irgendwie die Treppe hoch, um euch zu öffnen. Ich zähle also auf euch, dass ihr mir helft, hier herauszukommen.“
„Aber…“, startete Billie mit einem Einwand, den Brutus jedoch energisch abschnitt.
„Ich muss leider darauf bestehen. Mir geht es gut, die paar Kratzer und das gebrochene Bein können auch zu Hause heilen. Und von diesem Krankenhausfraß werde ich erst recht krank. Also, reicht mir bitte meine Sachen. Einer von euch kann schon mal die Lage im Flur auskundschaften, und wenn niemand zu sehen ist, schiebt ihr mich einfach im Rollstuhl zum Ausgang. Dort muss noch jemand ein Taxi organisieren. Den Rollstuhl lasse ich dann am Ausgang stehen, und die paar Schritte ins Haus werde ich mit eurer Hilfe schon schaffen.“
Brutus wirkte so entschlossen, dass keiner es wagte, seinen Anweisungen Widerstand zu leisten. Außerdem würden sie so noch mehr Zeit haben, Informationen über die Zauberwelt und den einen oder anderen hilfreichen Tipp von ihm zu bekommen. Und am Ende war ihm zuzutrauen, dass er – sollten sie ihm nicht helfen – allein zu türmen versuchte, und das würde garantiert ins Auge gehen.
Alle blickten Emmi an, um von ihr die letztendliche Entscheidung zu hören. Sie seufzte. „Na schön, dann verteilen wir uns mal.“
Samuel holte Brutus´ Kleidung aus dem Schrank und half ihm beim Anziehen. Währenddessen rief Paulus telefonisch ein Taxi, Billie und Emmi überwachten in dieser Zeit den zum Glück menschenleeren Flur. Barney und Samuel halfen schließlich dem nun angekleideten Alten in den Rollstuhl. Eric richtete das Bett so her, dass es aussah, als würde Brutus noch darin liegen.
„Also, los geht die Flucht“, sagte Brutus leise und wirkte so, als würde ihm diese Sache diebischen Spaß bereiten. Samuel schob ihn aus dem Zimmer und auf den Aufzug zu.
Alle anderen gingen hinter ihnen her und machten sich möglichst groß, um Brutus und Samuel vor eventuellen Blicken der Schwestern halbwegs gut zu verdecken. Im Erdgeschoss angekommen, setzten sie alle die unauffälligsten Mienen auf, die ihnen unter diesen Umständen glücken wollten und versuchten, ganz selbstverständlich am Empfang vorbeizugehen. Die dort zuständige Empfangsdame war zum Glück mit irgendwelchen Listen beschäftigt und beachtete sie überhaupt nicht. Samuel brachte seinen Großvater zum bereits wartenden Taxi und half ihm beim Einsteigen. Emmi brachte noch schnell den Rollstuhl zurück und stellte ihn der immer noch beschäftigten Empfangsdame vor die Nase. Fast war sie ein wenig erzürnt darüber, wie wenig Aufmerksamkeit man ihrer Flucht zollte, und sie konnte sich ein pikiertes „Schönen Tag noch!“ nicht verkneifen. Aber selbst darauf reagierte die Frau nicht, und Emmi stapfte grummelnd zu den anderen nach draußen.
Brutus war inzwischen schon mit dem Taxi losgefahren, und die fünf Freunde und Samuel radelten mit ihren Fahrrädern schnell hinterher. Bei seinem Haus angekommen, half ihnen der Taxifahrer, ihren alten Freund sicher auf die Couch in der Wohnstube zu bugsieren.
Der Blick des Fahrers wanderte irritiert über die vielen seltsamen Gegenstände. „Meine Güte“, bemerkte er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Sie haben ja eine bemerkenswerte Sammlung an…Dingen.“ Ihm fiel offenbar nichts ein, das als gemeinsame Klammer für all diese eigenartigen Sachen taugte.
„In der Tat habe ich meine…Dinge sehr vermisst“, antwortete Brutus. „Deshalb bin ich mit Hilfe meiner Komplizen aus dem Krankenhaus abgehauen. Vor einigen Tagen haben mir zwei böse Zauberer zudem ein paar meiner magischen Gegenstände gestohlen. Jetzt schicke ich diese Kinder los, um sie mir aus der Zauberwelt, in die sie geflohen sind, zurückzuholen, und ich bewache in der Zeit den Eingang.“
Der Taxifahrer lachte, aber als die Kinder erst nach einer Schrecksekunde und dann auch völlig übertrieben in sein Lachen einstimmten, verstummte er, strich sich verwirrt über die Stirn und ging dann kopfschüttelnd aus dem Haus.
„Grandpa“, tadelte ihn sein Enkel nur halb ernsthaft. „Du lässt auch keine Gelegenheit aus, was?“
„Nein“, sagte Brutus schmunzelnd. „Diese Gelegenheit war einfach zu verlockend.“ Augenblicklich wurde er aber wieder ernst. „Also, ihr habt wirklich keine Zeit zu verlieren. Ein paar Dinge müsst ihr jedoch unbedingt noch wissen.“ Jetzt wirkte er fast ein wenig ängstlich, als er weitersprach.
„Charlene und Marble haben nicht nur den Schlüssel gestohlen. Sie haben außerdem zwei machtvolle Gegenstände mitgenommen, die Marble sofort als solche erkannt hat. Der eine ist eine verzauberte Peitsche. Sie ist scharf wie die schärfste Klinge, richtig geschwungen trennt sie sogar Köpfe und Gliedmaßen mühelos ab. Der Riemen verlängert sich in Sekundenschnelle auf jede nur erforderliche Länge und eignet sich somit auch sehr gut zum Einfangen Flüchtender. Bislang hat sich noch nichts und niemand aus der Umwicklung des Riemens befreien können, so stark ist er. Und sollte es notwendig sein, wirft die Peitsche sogar ihren Riemen ab wie eine Eidechse ihren Schwanz, und ein neuer wächst dann nach. Ihr seht also“, betonte der Alte nachdrücklich, „vor dieser Waffe müsst ihr euch unbedingt in Acht nehmen.“
Die Freunde sahen sich an. Jetzt wurde ihnen doch mulmig zumute. Mit einem lustigen Ausflug hatte dies nun wirklich nichts mehr zu tun.
„Der andere Gegenstand, den sie mir gestohlen haben“, fuhr Brutus fort, „ist ein magischer Handschuh. Er ist aus strahlend grünem Stoff gefertigt, der die eigene Hand umschließt wie eine zweite Haut. Der Handschuh verleiht seinem Träger die wundersamsten Gaben. Man erlangt Kunstfertigkeit in allem, was Geschicklichkeit mit den Händen verlangt, egal, ob Goldschmiedekunst, Bildhauerei oder irgendein anderes Handwerk. Leider kann auch dieser Gegenstand viel Unheil anrichten. Es kommt eben auf den Träger an. Genauso hilft er nämlich dabei, ausgeklügelte Waffen zu fertigen, Gefangene allein mit Berührungen zu quälen oder schlichtweg Dinge mit einem Fingerzeig zu zerstören.“
Auch diese Worte trugen nicht gerade zum Heben ihrer Moral bei. Aber es half nichts, sie würden jetzt auf keinen Fall kneifen. Zu viel stand auf dem Spiel, am Ende die weitere Existenz von Arcanum.
Brutus war immer noch nicht ganz zum Ende gekommen. „Das hört sich für euch bestimmt alles ziemlich beängstigend an. Und ehrlich gesagt solltet ihr wirklich so vorsichtig wie möglich sein. Aber eigentlich ist es eine friedliche Welt, in die ihr gleich geht, und ohne Grund werden euch die Bewohner nichts antun…na ja, zumindest die meisten nicht. Und ich werde euch nicht fortschicken, ohne euch ebenfalls ein paar Waffen in die Hand zu geben.“ Er blickte in die Runde. „Wobei ,Waffen` vielleicht nicht das richtige Wort ist. ,Hilfsmittel´ wäre wohl der bessere Ausdruck.“ Er richtete sich auf und deutete mit der Hand auf ein kleines unscheinbares Schränkchen in der Zimmerecke.
„Samuel“, forderte er seinen Enkel auf. „Hol´ mir bitte aus diesem Schrank das smaragdgrüne Kästchen und das goldenen Ding, das so aussieht wie eine alte Taschenuhr.“
Samuel sprang auf und stöberte in dem Schrank nach den gesuchten Gegenständen. Sie waren offenbar leicht zu finden, denn bereits Sekunden später reichte er sie seinem Großvater.
„Diese beiden Sachen werden euch hoffentlich in der einen oder anderen Situation helfen, vielleicht sogar retten können.“ Er öffnete das Kästchen und hielt es ihnen hin, so dass sie hineinsehen konnten. Es befanden sich kleine Kügelchen darin, zehn Stück an der Zahl, und alle in kleinen passgenauen Mulden ordentlich aufgereiht. Alle hatten transparente Hüllen, die mit winzigen Symbolen und Bildern bedruckt waren, und sie waren mit einer eigenartigen Substanz in unterschiedlicher Farbe gefüllt. Wenn man genau hinsah, schien deren Inneres wie farbiger Nebel zu wabern.
„Diese Kügelchen“, erläuterte der Alte, „verwandeln den, der sie einnimmt, für kurze Zeit in ein Wesen Arcanums – mit all seinen Fähigkeiten, sei es schwimmen, fliegen oder sonst etwas. Sie können euch außerdem helfen, mit den Einwohnern Arcanums in Kontakt zu treten, die eine eigene Sprache sprechen. Ich habe sie von der Königin als Geschenk erhalten. Gebraucht sie in der Not und mit Bedacht.“
Voller Staunen betrachteten die Kinder die Schachtel mit den Wunderkugeln. Emmi konnte es nicht fassen, aber in dieser Situation hätte selbst Brutus keine Scherze gemacht. Sie malte sich gerade aus, wie wundervoll es sein musste, wie ein Adler fliegen oder wie ein Fisch tauchen zu können, da sprach der Alte bereits weiter, und sie widmete ihm wieder ihre volle Aufmerksamkeit.
„Dieses goldene Teil ist ein Orakel. Wenn ihr in eine Situation geratet, in der ihr nicht mehr weiter wisst, könnt ihr es befragen, und es wird euch einen Ratschlag geben, der euch die richtige Richtung weist. Aber leider spricht es – das haben Orakel nun mal an sich – immer in Rätseln. Also erwartet keine leicht verständlichen Überlebenstipps, sondern stellt euch darauf ein, dass ihr die Hinweise des Orakels erst entschlüsseln müsst. Dennoch ist es ein kluger und wertvoller Begleiter und hat mir in meinem Leben schon aus mancher Krise herausgeholfen.“
Er blickte sie der Reihe nach an, so als ob er noch etwas sagen wollte, ließ es dann aber doch bleiben. Samuel griff nach den beiden Gegenständen, die sie mit auf ihre Reise nehmen würden und verstaute sie in seinem Rucksack. Dann standen sie auf und wandten sich der Tür zu.
„Verdammt“, fluchte Brutus. „Es gibt noch so viel, das ich euch erzählen müsste. Aber es ist wirklich höchste Zeit. Jede Minute zählt. Ich wünsche euch alles erdenklich Gute. Seid freundlich zu den Wesen dort, das zahlt sich am Ende immer aus.“ Er blickte noch einmal einen nach dem anderen an, dann lächelte er. „Aber das brauche ich euch nun wirklich nicht zu sagen. Schließlich habt ihr euch von mir ja auch nicht abschrecken lassen.“
Sie lächelten ihrem alten Freund ebenfalls zu. Emmi hatte zwar noch tausend Fragen. Da Brutus sie aber immer hektischer zur Tür dirigierte, fügte sie nur eine letzte Bitte hinzu.
„Falls wir nicht pünktlich zurückkommen“, sie blickte kurz auf die Uhr: kurz vor fünf, „genauer gesagt: bis heute Abend um sieben Uhr, sag´ unseren Eltern Bescheid, dass es uns gut geht und wir…bei dir übernachten, als Willkommensparty oder so. Dadurch würden wir etwas Zeit gewinnen.“
„Mache ich“, versprach Brutus. „Aber jetzt geht!“
Die Kinder schritten die Treppe hoch zu der schweren Eichentür. Sie stellten sich nebeneinander auf den Treppenabsatz und fassten sich an den Händen. Nur Emmi behielt eine freie Hand, mit welcher sie die Klinke hinunterdrückte. Die Tür schwang leichter auf, als sie es bei solch einer massiven Tür erwartet hätte.
Und der Anblick, der sich ihnen durch die geöffnete Tür bot, verschlug ihnen allen den Atem.
„Unglaublich“, wisperte Emmi. Die anderen sagten zwar nichts, aber ihr Schweigen war beredt genug. Auch sie konnten es kaum fassen, was sich hinter dem Durchgang befand, an den sich normalerweise ein Schlafzimmer oder ein weiterer Flur hätte anschließen müssen. Normalerweise…
In diesem Fall offenbarte sich etwas eigentlich vollkommen Unmögliches. Hinter der Türöffnung befand sich eine weite hügelige Heidelandschaft. Übermannshoch gewachsene ausgeblichene Grasfelder wechselten mit vereinzelten baumbestandenen Flecken ab. Dazwischen waren ausgedehnte sandige Bereiche zu erkennen, auf denen außer blassen Flechten oder niedrigem trockenem Gestrüpp nichts wuchs. Dort waren auch kahle Baumskelette zu sehen, die zum Teil weit in den Sand hinein versunken waren. In weiter Ferne war vage ein Gebirgszug zu erkennen. Über allem schien die Sonne, weiße Wolken zogen über einen hellen Himmel. Hinweise auf Lebewesen waren nicht zu erkennen. Das wäre für den Moment vielleicht auch ein bisschen zu viel des Guten gewesen.
Die Freunde starrten wie gebannt auf das Zauberland. Emmi kniff einmal fest die Augen zusammen, doch als sie sie wieder öffnete, bot sich ihr kein anderer Anblick. Sie hätten wahrscheinlich noch länger dort wie festgewachsen verharrt, wenn nicht Brutus durch ein Räuspern signalisiert hätte, dass die Zeit ihnen durch die Finger rann.
Emmi blickte noch einmal zu dem alten Brutus zurück, dann machte sie als Erste einen Schritt nach vorn. Die anderen taten es ihr nach und so betraten sie nacheinander das verzauberte Reich Arcanum.
Der Boden unter ihren Füßen fühlte sich weich und etwas nachgiebig an und es duftete wunderbar frisch und ein wenig herb nach Kräutern, Kiefern, Sand und Wind. Langsam gingen die Freunde weiter in die Heide hinein. Nach ein paar Metern blieb Emmi stehen und drehte sich langsam im Kreis. Die Tür hinter ihnen hatte bereits begonnen, sich zu schließen. Für einen Moment kroch Panik in Emmi hoch. Was, wenn sie den Schlüssel nicht zurückeroberten? Oder wenn Brutus etwas zustieß und er ihnen nicht mehr würde öffnen können?
Plötzlich hörten sie noch einmal Brutus´ Stimme. „Samuel!“, rief er aufgeregt. „Ich habe vergessen, dir noch etwas Wichtiges zu sagen! Zeig´ der Königin unbedingt…“ Aber in diesem Moment fiel die Tür mit einem satten Klacken, das alle zusammenfahren ließ, ins Schloss, und wie ein Chamäleon nahm sie augenblicklich die Farben ihrer Umgebung an. Nur ein haarfeiner Umriss blieb zurück, und wenn man ganz genau hinsah, konnte man die Struktur der Oberfläche wie einen hauchdünnen Umhang in der Luft hängen sehen. Für jemanden, der nicht wusste, dass sich dort eine Tür befand, war diese jedoch so gut wie unsichtbar.
,Was hatte Brutus Samuel noch mit auf den Weg geben wollen?´ fragte Emmi sich sorgenvoll. Sie rüttelte an der Tür, aber sie ließ sich von dieser Seite offenbar ohne den Schlüssel wirklich nicht öffnen. Und Brutus saß momentan noch am Fuß der Treppe fest.
„Kannst du dir denken, was dein Großvater dir noch sagen wollte?“, fragte sie Samuel. Aber der zuckte nur die Schultern. Offenbar würde der letzte Hinweis von Brutus erst einmal ein Geheimnis bleiben.
„Vielleicht sollten wir eine Markierung an der Tür zurücklassen, damit wir sie auf dem Rückweg wiederfinden“, schlug Paulus vor.
„Gute Idee“, stimmte Emmi zu. Sie sammelten ein paar Steine und häuften sie am Fuß der Tür zu einem Haufen auf. Als sie fertig waren, schauten alle Emmi an, in der Hoffnung, sie hätte wie schon so häufig eine Idee für die nächsten Schritte.
Es erfüllte Emmi nach wie vor mit einer Mischung aus Erstaunen, Verlegenheit und Freude, dass ihre Freunde offenbar so viel auf ihre Meinung hielten und ihr so sehr vertrauten. Sie sammelte sich und blickte sich konzentriert um. Wege, Gebäude oder andere Zeichen von Leben waren nirgendwo zu erkennen. Emmis Blick fiel auf die ferne Anhöhe. Hatte Brutus nicht etwas von einem Gebirge erzählt? Außerdem lag der Gebirgszug von hier aus gesehen weit im Inneren von Arcanum, und dort sollten sie ja nach der geheimnisvollen Königin suchen. Am Ende war dieses Ziel jedoch einfach nur genauso gut oder schlecht wie jedes andere.
,Was für ein Jammer´, dachte Emmi, ,dass wir nicht mehr Zeit zur Vorbereitung mit Brutus gehabt hatten.´ Schon jetzt fielen ihr Dutzende Fragen ein, die sie ihm noch hätten stellen können. Was sollten sie hier essen und trinken? War es hier kalt oder warm? Welche Wege sollten sie nehmen, außer dass sie versuchen sollten, ins Innere vorzudringen? Gab es vielleicht eine Landkarte von Arcanum? Aber nein, eine solche hätte Brutus ihnen bestimmt gezeigt. Und wenn es gar keine Nahrung hier für sie gäbe, hätte er ihnen auch sicher Proviant mitgegeben, oder?
Emmi seufzte schwer, rang sich aber dann zu einer Entscheidung durch. „Also“, sagte sie an ihre Freunde gewandt. „Ich schlage vor, in Richtung der Anhöhe dort hinten zu gehen. Sonst fällt mir momentan nichts Besseres ein.“ Sie drehte sich zu Samuel. „Oder kommt dir irgendetwas bekannt vor?“
Aber Samuel, der mit gerunzelter Stirn umhergeschaut hatte, schüttelte den Kopf.
„Nein, nichts“, sagte er bedrückt. „Im Gegenteil, ich habe irgendwie eine verschwommene Erinnerung an viel mehr Grün, an einen Bach und saftige Wiesen.“ Er hielt kurz inne und zuckte dann die Schultern. „Aber vielleicht irre ich mich ja auch oder verwechsle etwas. Ist ja auch schon eine Weile her. Ich jedenfalls finde Emmis Vorschlag vernünftig…sofern hier irgendetwas mit Vernunft zu tun hat.“
Da die anderen Kinder auch keine besseren Ideen hatten, richteten sie ihren Blick auf die Anhöhe in der Ferne und marschierten los.
„Achtet auf eure Schritte!“, mahnte Eric zu Vorsicht. „Ich habe irgendwie ein seltsames Gefühl, so als ob…“
Im selben Moment bestätigte sich Erics Ahnung. Billie schrie plötzlich auf und versuchte hektisch, einen Schritt zurück zu machen, aber etwas hielt offenbar ihren Fuß fest. Die anderen traten rasch zu ihr und zogen sie zu sich. „Dd-d-er Sand!“, stotterte Billie atemlos. „Ich bin in den Sand getreten, und auf einmal war mein Fuß weg.“