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Ivy Jameson hat ihrem früheren Leben als Meisterdiebin abgeschworen und sich fest vorgenommen, sich nichts mehr zuschulden kommen zu lassen. Doch als ihr Bruder Jasper in Schwierigkeiten ist und sie um Unterstützung bittet, lässt sie sich dazu überreden, ihm noch einmal zu helfen. Aufgrund ihrer Hilfsbereitschaft verpasst sie einen wichtigen Gerichtstermin, sodass ihre Kaution ausgesetzt wird und der Kopfgeldjäger Blake Cunningham sich an Ivys Fersen heftet, nachdem er ihre Akte zu Gesicht bekommen hat. Die Gelegenheit, eine alte Rechnung mit ihr zu begleichen, von der niemand weiß, kann sich der attraktive Kautionsjäger nicht entgehen lassen. Ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt, außerdem machen es die widersprüchlichen Gefühle, die die flüchtige Diebin und Blake füreinander entwickeln, ihnen nicht einfacher …
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Epilog
Annie Grimes
© 2022 Written Dreams Verlag
Herzogweg 21
31275 Lehrte
© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg
ISBN: 978-3-96204-567-8
Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlags weitergegeben werden.
»Wer auf Rache aus ist, der grabe zwei Gräber.«
- Konfuzius -
Blake
Vom reichen Millionär zum abgefuckten Kautionsjäger, das Leben war nicht immer fair, hatte aber einen verdammt guten Sinn für Humor. Warum war es so gekommen? Weil Ivy mir alles genommen hatte. Sie war der Grund, weshalb meine Familie zerbrochen war. Und nun bekam ich endlich die Chance auf Rache.
Ivy
Wie Bonny und Clyde streiften mein Verlobter Greg und ich durch die Gegend, bis die Bad Bandits mir alles genommen hatten. Sie waren der Grund, warum mein Leben zerbrochen war. Und jetzt ging alles um den letzten Teil Familie, den ich noch hatte und retten musste, bevor es zu spät war.
Blake
Ich parkte das Auto in der Nähe des Hauses, in das ich mir gleich Zutritt verschaffen würde. In einer kugelsicheren Weste und mit der Smith & Wesson in der rechten Hand, schlich ich um das Haus herum. Es war ein typisches Gebäude in South Los Angeles. Klein, einstöckig und mit einem flachen roten Dach. Ich vernahm aufgebrachte Stimmen, wohl ein Streit zwischen dem liebreizenden Pärchen, das dort lebte. Vorsichtig kletterte ich über den kaputten Maschendrahtzaun, der die besten Zeiten schon hinter sich hatte, um in den Garten zu gelangen. Das Gebrüll wurde lauter und die Frau fing an zu weinen.
Ich musste eingreifen, weil ich genau wusste, zu was Charles Thomsen fähig war. Er war ein verurteilter Straftäter, der aufgrund von Hausfriedensbruch sowie Körperverletzung gegenüber seiner Frau eingesessen hatte. Diesmal hatte er einen schweren Raub begangen. Vorgestern war er nicht vor Gericht erschienen, weshalb ich mich jetzt um ihn kümmern musste. Seit vier Jahren arbeitete ich als Kautionsjäger und sah es mittlerweile mehr als Berufung an. Ich war verdammt gut in meinem Job und liebte es, den Arsch der Gangster in den Knast wandern zu sehen. Seine Frau Theresa hatte ihr Haus mit einer weiteren Hypothek belastet und sich den Rest bei der Kautionsagentur, für die ich tätig war, geliehen. Würde ich Charles nicht innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden auf dem Revier abliefern, würde sie alles verlieren, was sie besaß. Dafür wollte ich nicht verantwortlich sein, gleichgültig, dass ich ihr Handeln aufgrund der Vorgeschichte nicht verstehen konnte.
Ich spickte durch ein kleines schmutziges Fenster, das sich neben der Hintertür befand. Zum Glück war kein Vorhang angebracht. Da war er: Charles. Seine Baggy-Hose war ihm viel zu groß, weswegen sie ihm vom Hintern rutschte. Er lief nervös auf und ab und jemand kauerte auf dem Boden vor ihm. Mit einem Tritt warf ich die Tür aus ihren Angeln und nutzte das Überraschungsmoment, um ihn zu überwältigen. Theresa schrie, sprang auf und rannte aus dem Haus. Charles holte mit dem Ellenbogen nach hinten aus und rammte ihn mir in meine Rippen. Fuck, mir blieb die Luft weg, und er konnte sich losreißen. Bis ich wieder atmen konnte, war er in die Küche gesprintet. Ich lief ihm nach und war mehr als wütend. Mit mir zugewandtem Rücken blieb er wie angewurzelt stehen. Für ihn gab es hier keine Fluchtmöglichkeit.
»Charles, komm schon. Es ist vorbei«, richtete ich selbstgefällig das Wort an ihn und grinste.
»Nichts ist vorbei. Ich lasse mich nicht so einfach festnehmen«, antwortete er und klammerte sich an der Küchenzeile fest, als sei sie für seinen Halt verantwortlich.
»Du bist selbst schuld.« Ich näherte mich ihm, die Handschellen griffbereit, um sie ihm anzulegen. Gerade, als ich angreifen wollte, drehte er sich um und attackierte mich mit einem Messer. Es verfehlte nur knapp mein Auge, aber meine Schläfe hatte leider nicht so viel Glück. Die Klinge hatte mich leicht verletzt. Eigentlich hätte ich damit rechnen sollen, es war leichtsinnig von mir zu denken, er gäbe so einfach auf. »Du Bastard«, schrie ich, während mir das Blut die Sicht versperrte. Ich schubste ihn mit aller Kraft, die mir zur Verfügung stand, auf den Boden. Es schepperte laut und ich trat noch einmal auf ihn ein, sodass er wirklich liegen blieb. Man konnte ja nicht sicher genug sein. Charles stöhnte und sein schmerzverzerrtes Gesicht verriet mir, dass ich ihn gut erwischt hatte.
Ich packte ihn grob, legte ihm die Handschellen an und zog ihn vor das Haus. Mit einem Ruck beförderte ich ihn auf den Rücksitz meines Ford Edge und brachte ihn zum nächsten Revier. Dave Sawyer, ein Polizist des LAPD, der für die Abnahme der Kautionsflüchtigen zuständig war, bedankte sich recht freundlich für meinen schnellen Einsatz. Theresa war bereits auf dem Revier, um wieder Anzeige gegen ihren Ex zu erstatten, vielleicht hatte sie diesen Augenöffner gebraucht, um zu kapieren, dass ihr Mann sich nie ändern würde. Hoffentlich würde dieser Mistkerl jetzt endlich im Knast verrotten. Mein Chef jedenfalls würde ihm keine Kaution mehr zur Verfügung stellen.
Als ich vor der Kautionsagentur ankam, bemerkte ich, dass ich immer noch blutete. Das Kautionsbüro Harris befand sich im Stadtteil Mid-City, zwischen Santa Monica und Brentwood. Ich stellte meinen schwarzen Geländewagen auf den Parkplatz und schlenderte gelassen ins Büro. An der Rezeption saß Lucy, unsere Sekretärin mittleren Alters. Ihre Brille war ihr wieder einmal von der Nase gerutscht, und sie schaltete gerade den Computer ab, als sie mich kommen sah.
»Blake! Was ist denn nun wieder passiert?«, fragte sie entrüstet und kam mit dem Erste-Hilfe-Koffer zu mir geeilt.
»Nein, lass nur. Es war bloß eine kleine Rauferei«, antwortete ich ihr. Kurz sah ich in den Spiegel. Nur ein Schnitt, fuhr es mir durch den Kopf. In der letzten Zeit hatte ich einiges abbekommen. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass ich fahrlässiger geworden war, oder die Verbrecher einfach ausgefuchster.
»Lydia muss von der Nachhilfe abgeholt werden. Kann ich dich wirklich allein lassen?«, hakte sie nach, nachdem sie einen Blick auf ihre Uhr geworfen hatte.
»Ja, geh schon. Ist der Chef noch da?«
»Nein, vor einer Stunde ist er los, um einen neuen Fall anzunehmen. Roxy ist im Büro, wenn du etwas brauchst.« Lucy stellte den Erste-Hilfe-Koffer auf ihrem Schreibtisch ab und nickte mir noch einmal zu, bevor sie aus der Tür verschwand.
Ah, Roxy war also da. Sie war die Tochter des Chefs und die einzige Frau, die bei uns als Kautionsjägerin angestellt war. Der Job war knochenhart, aber Roxy war ja auch alles andere als zart besaitet. Sie hatte wortwörtlich was auf dem Kasten und konnte es locker mit den bösen Buben aufnehmen. Ich klopfte an die Tür und wartete, bis mir Eintritt gewährt wurde. Roxy saß angespannt auf dem grauen Drehstuhl. Hinter ihr hing der Jahresplan mit den Urlauben der jeweiligen Agenten in roter Schrift. Ich hatte vergessen, dem Chef mitzuteilen, dass ich am morgigen Tage frei brauchte, aber ich hoffte, dass sie mir ihr Okay geben würde.
»Blake, alles klar?«, wollte Roxy von mir wissen, während sie etwas in den Computer tippte. Sie hob dabei nicht einmal ihren Kopf. Ihre blonden, gewellten Haare waren mittlerweile so lang, dass die Spitzen über ihre Brüste hingen. Der eng geschnürte V–Ausschnitt ihres schwarzen Kleides lenkte meine Aufmerksamkeit dorthin und ich musste mich verdammt nochmal zusammenreißen, ihr ins Gesicht zu sehen.
Wir hatten vor einem Jahr versucht, eine Beziehung aufzubauen, aber schnell festgestellt, dass wir beziehungstechnisch überhaupt nicht zusammenpassten. Unsere Freundschaft hatte seitdem ein Plus-Paket, das ich gerne nutzte.
»Ich habe vergessen, morgen Urlaub einzutragen«, erklärte ich ihr.
»Du kannst dir doch immer frei nehmen, komm einfach nicht her.«
»Ja, aber ich darf nicht gestört werden«, erwiderte ich.
»Wo bist du? Im Knast?« Lachend sah sie zu mir auf.
»Ja«, gab ich einsilbig zurück und Roxys Blick weitete sich.
»Oh, das sollte ein Scherz sein«, rechtfertigte sie sich, ihre Stimme verriet ihr Unbehagen.
Beschwichtigend lächelte ich. »Ich weiß.«
»Deinen Vater besuchen?«
»Ja, morgen ist der Todestag meiner Mom. Diesen möchte ich nicht allein verbringen.« Ich sprach über das Thema an sich ungern und vermied es üblicherweise. Aber Roxy vertraute ich. Sie war meine beste Freundin, meine Familie oder etwas, das dem nahekam.
»Okay, ich sage meinem Dad Bescheid. Wir kommen auch einen Tag ohne dich aus.«
»Und wenn ihr einen Notfall reinkriegt?«
»Denkst du, du bist der einzige Kautionsjäger?«, fragte Roxy scharf und blickte erneut vom Bildschirm zu mir auf. Ihre langen schwarzen Wimpern klimperten wartend auf eine Reaktion meinerseits.
»Nicht der einzige, aber der beste«, antwortete ich augenzwinkernd, wobei Blut auf den Boden tropfte.
»Und arrogant wie eh und je.«
»Und arrogant wie eh und je«, äffte ich sie nach.
»Was hast du wieder angestellt, Cunningham?« Erst jetzt kommentierte sie meine Wunde.
»Das war dieser Vollidiot Charles Thomsen« fluchte ich und schnappte mir ein Taschentuch.
»Lass mich das machen.« Sie verließ rasch ihr Büro und nahm den Erste-Hilfe-Koffer, der auf Lucys Schreibtisch stand, zur Hilfe. »Setz dich«, befahl Roxy, anstatt mich zu bitten. Ich mochte ihren herrischen Tonfall schon immer. Als sie die Wunde desinfizierte, zuckte ich kurz zusammen. Eigentlich musste ich den stechenden Schmerz inzwischen gewöhnt sein, so viele Verletzungen, wie ich bisher gesammelt hatte. Ein Risiko, das in meinem Job leider stets mit dabei war.
»Du hättest ins Krankenhaus fahren sollen, damit es genäht wird«, meinte sie, während sie das Pflaster auf die Schnittverletzung klebte.
»Wieso denn, wo ich doch hier meine persönliche Krankenschwester habe?«, flirtete ich und hatte sie mit einem Schubs auf meinen Schoß befördert.
Sie schlang die Arme um meinen Hals und grinste schief. Ihre saphirblauen Augen funkelten, als ich meine Hände unter ihr Kleid schob. Roxy presste ihre Lippen auf meine und meine Zunge fand den Weg in ihren Mund. Sie roch unheimlich gut nach Vanille und ich zog sie immer näher an mich. Unsere Zungenküsse wurden heißer und mein Glied wurde steif. Sie bemerkte die Beule in meiner Hose und wollte mir gerade mein Shirt vom Kopf ziehen, als uns das Telefon unterbrach.
»Ignorier es«, befahl ich und küsste weiter ihren Hals.
»Geht nicht, Blake«, knurrte sie und wollte sich von mir lösen. Ich aber hielt sie an ihrem Po fest. »Soll ich dir erst eine reinhauen, damit du deine Finger von mir lässt?« Roxy war zwar nur einen Meter sechzig groß, hatte jedoch Feuer unterm Hintern. Ich hob die Hände in die Luft und sie sprang von meinem Schenkel.
»Bail Bonds Agentur Harris, Roxana am Apparat«, hörte ich sie freundlich sagen. »Ich komme«, verkündete Roxy knapp und legte auf. Und wie sie kommen wird, schoss es mir durch den Kopf. Als ich aufstand, lachte sie kurz über meine nicht zu übersehende Erektion. »Sorry, ich muss los. Eine Kaution muss gestellt werden und da mein Dad nicht hier ist, werde ich das übernehmen.«
»O nein, Roxy, das kannst du mir nicht antun!«
»Dein kleiner Freund muss wohl warten«, flüsterte sie und biss mir in mein Ohrläppchen. Den Abend hatte ich mir definitiv anders vorgestellt. Roxy verschwand in Windeseile und ich hatte das Büro ganz für mich allein.
Ich setzte mich auf den freien Drehstuhl und durchstöberte gedankenverloren die Akten des Kautionsbüros nach potentiellen Kautionsflüchtlingen, die als Nächstes vielleicht ihre Kaution prellen würden. Ein Zeitungsartikel mit dem Gesicht meines Vaters tauchte auf und sofort dachte ich an die Katastrophe, die vor fünf Jahren begonnen und mein Leben bis heute maßgeblich beeinträchtigt hatte …
Ivy
»Ivy! Der Herr möchte bitte noch eine Tasse Kaffee, beweg deinen Arsch«, rief Kristie mir über die Theke hinweg zu.
»Ich komme«, erwiderte ich und schwenkte die Kanne.
In diesem Laden gab es eindeutig zu wenig Personal und zu viel Kundschaft. Seit zwei Jahren war ich in einem Diner als Kellnerin tätig und hatte es geschafft, den Job zu behalten, ohne gewisse Nebentätigkeiten in Betracht zu ziehen. Bis vor fünf Monaten. Mein Bruder Jasper war unvermittelt zu mir gestoßen und hatte mich um einen Gefallen gebeten. Einen gewaltigen Gefallen. Jasper hatte den Hang, sich ins Chaos zu stürzen und seine Mitmenschen mit in den Abgrund, der sich vor ihm auftat, zu reißen. Er hatte, wie immer eigentlich, Geld gebraucht und mich angefleht, ihm dabei zu helfen.
Da ich selbst nichts auf der hohen Kante gehabt hatte, hatte der einzige Ausweg darin bestanden, einen Einbruch zu begehen. Etwas, das ich seit meiner Verhaftung vor fünf Jahren nicht mehr getan hatte. Drei Jahre hatte ich im Bezirksfrauengefängnis in Orange County gesessen und nie wieder wollte ich in diese Hölle zurück. Frauen waren Miststücke und schlimmer als jeder Mann. Wenn man sich nicht der Ordnung fügte, wurde man gezwungen, sich unterzuordnen.
Lesbische Beziehungen waren an der Tagesordnung, aber auch nicht für den größten Luxus im Gefängnis wäre ich bereit gewesen, eine unrasierte Muschi zu lecken. Ich hatte nichts gegen gleichgeschlechtliche Liebe, persönlich stand ich allerdings einfach auf Schwänze und konnte nichts daran ändern.
Als ich entlassen wurde, sah ich keine großen Aussichten, ein geregeltes Alltagsleben zu führen. Wie denn auch? Wer würde eine ehemalige Kriminelle freiwillig einstellen? Nach Dutzenden von Absagen erhielt ich bei Kristie eine Chance, die ich zugleich ergriff. Ich hatte zu Beginn die miesesten Schichten übernehmen müssen und der Job war alles andere als gut bezahlt, aber es war eine Festanstellung. Eine Konstante im Leben, die mir gefehlt und die ich dringend gebraucht hatte.
Kristie, die Besitzerin des Diners, war Ende dreißig und meine Freundin. Um genau zu sein, war sie meine einzige Freundin. Ich vertraute niemandem mehr. Mein Ex–Freund war vor fünf Jahren wie vom Erdboden verschluckt und ein Jahr später offiziell für tot erklärt worden. Seitdem glich mein Leben einem Scherbenhaufen. Ich hatte Angst, jemandem zu vertrauen, Angst, jemanden nah an mich heranzulassen, Angst, dass mein Herz wieder in Stücke gerissen wurde.
Allein oder einsam zu sein war ein gewaltiger Unterschied. Ich schmeckte förmlich die Einsamkeit, wenn ich am Abend in meiner heruntergekommenen Ein–Zimmer-Wohnung saß. Deshalb klammerte ich mich an den letzten Strohhalm, der von meiner Familie übriggeblieben war: Jasper. Mit meiner Mutter hatte ich nur noch wenig Kontakt, weil sie so enttäuscht von mir gewesen war. Kein Wunder. Wer wollte auch gerne eine Diebin zur Tochter? Ich hatte bisher nichts aus meinem Leben gemacht und war alles andere als stolz darauf.
Jasper hatte mich angebettelt, ihm bei einem angeblich leichten Einbruch zu helfen. Doch erstens war der Einbruch nicht einfach gewesen, ich hatte ihn unterschätzt. Zweitens war Jasper der schlechteste Schmieresteher, den es gab. Aber er war mein kleiner Bruder und ich konnte ihm nichts auf der Welt ausschlagen, was wahrscheinlich einfach nur naiv von mir war. Als die Cops gekommen waren, war er weg und ich stand allein in einem Juweliergeschäft.
Ich wurde vor fünf Monaten auf Kaution freigelassen und morgen war die Hauptverhandlung anberaumt. Die Beweise waren eindeutig gewesen: Ich hatte gerade den Safe mit den Tageseinnahmen geöffnet, als die Polizei hereingeschneit kam. Kristies Bruder war Anwalt und würde mich in der morgigen Verhandlung vertreten, worüber ich sehr glücklich war. Jasper allerdings hatte sich seit jenem Tag nicht mehr persönlich bei mir blicken lassen. Ich wusste, dass es ihm leidtat und er sich schämte. Aber was brachte es mir? Eine erneute Gefängnisstrafe?
Nach meiner Schicht warf ich die Arbeitskluft in die Ecke und nahm mein Handy aus dem Spind. Wie es der Zufall so wollte, meldete sich gerade das schlechte Gewissen meines Bruders. Ich sah aufs Display und sein Foto strahlte mir entgegen. Er hatte die gleichen dunkelblonden Haare wie ich, unsere Augenfarbe war ebenfalls identisch. Wir hätten glatt als Zwillinge durchgehen können.
»Jasper?«, fragte ich gelangweilt, nachdem ich den Anruf angenommen hatte.
»Ivy!«, stöhnte er atemlos. »Ich habe dich bereits ein dutzend Mal angerufen! Warum gehst du nicht an dein verdammtes Handy?«
»Weißt du, manche Menschen üben eine Tätigkeit aus, die nennt sich arbeiten«, erklärte ich ihm gelassen und warf die Spindtür ins Schloss.
»Ivy«, wiederholte er meinen Namen angespannt. Irgendetwas war im Busch. Wollte ich es wirklich wissen? Eigentlich sollte ich nicht nachfragen, konnte es aber nicht sein lassen.
»Was ist Jasper? Spuck es schon aus.«
»Es ist was passiert.«
»Schlimmer als das, was du mir vor ein paar Monaten angetan hast, kann es ja nicht sein.« Stille. Schweigen. Einzig sein abgehackter Atem war am anderen Ende der Leitung zu vernehmen. »Jasper?« Angst beschlich mich und mein Herzschlag nahm von Sekunde zu Sekunde an Geschwindigkeit zu.
»Ich habe Mist gebaut. Großen Mist.«
Ich schüttelte den Kopf und legte ihn anschließend in den Nacken. »Was hast du getan?«, fragte ich und atmete tief ein.
»Hast du jemals von den Bad Bandits gehört?« Ich könnte schwören, dass mein Herz in dem Moment, als er diesen Namen gesagt hatte, ausgesetzt hatte. Bad Bandits. Vor drei Jahren hatte ich diesen Namen zuletzt vernommen und, so gut es ging, versucht zu verdrängen. Nie wieder wollte ich über diesen Namen reden. Ich hatte die Bad Bandits vor Jasper nie erwähnt.
»Ja«, flüsterte ich leise, kaum hörbar.
»Ich habe mich mit ihnen angelegt und glaube, sie sind hinter mir her.«
»Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen, Jasper?! Du solltest dich niemals, und damit meine ich niemals, mit irgendwelchen kriminellen Banden anlegen!«, schrie ich so laut, dass Kristie gegen die Tür klopfte. Ich war immer noch im Umkleidezimmer des Diners.
»Du verstehst es nicht, ich hatte keine Wahl!«
»Man hat immer eine Wahl und du hast dich scheinbar falsch entschieden«, widersprach ich aufgebracht.
»Du musst mir helfen, Ivy, bitte«, flehte er.
»Es tut mir leid, aber morgen ist mein Gerichtstermin, ich kann nicht weg von hier. Du weißt, was auf dem Spiel steht«, fuhr ich ihn an und legte auf, ehe ich mich doch noch von ihm überreden ließ. Ich atmete tief ein und aus und konnte nicht fassen, was er da gerade gesagt hatte.
Die Bad Bandits hatte ich aus meinem Gedächtnis zu löschen versucht. Sie waren die Kriminellen, die Greg auf dem Gewissen hatten. Ich war mir sicher, dass sie schuld an seinem Tod waren. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass mich Rache besänftigen würde, aber es würde ihn auch nicht wieder lebendig machen. Er hatte sich mit den falschen Leuten angelegt, genauso, wie Jasper immer wieder dieselben Fehler machte.
Ich schnappte mir meine Tasche und verließ das Diner, um nach Hause zu gehen. Jasper ließ nichts unversucht und bombardierte mich weiterhin mit Anrufen. Mein Geduldsfaden war nicht besonders dick, und nachdem ich mich geduscht hatte, nahm ich verzweifelt ab.
»Ivy, bitte«, rief er wieder flehend ins Telefon.
»Was soll ich deiner Meinung nach machen?«, hakte ich nach und stellte das Handy auf Lautsprecher, um meine Haare mit dem Handtuch abzutrocknen.
»Sie werden mich umbringen.« Pure Verzweiflung war in seiner Stimme zu hören und meine Nackenhärchen richteten sich auf. Meine Gedanken rasten eine Achterbahn entlang und ich malte mir bereits das Schlimmste aus.
»Was? Jasper, um Himmels willen, was hast du angestellt?«
»Ich erkläre dir alles, aber bitte komm zu mir.«
»Wenn ich morgen nicht vor Gericht auftauche, werde ich im Gefängnis landen!« Unter keinen Umständen wollte ich zurück in den Knast. Es waren die schlimmsten Jahre meines Lebens gewesen. Jeden Einbruch hatte ich während meiner Zeit dort bereut. Besonders den letzten Diebstahl, der mir diesen Mist eingebrockt hatte.
»Was ist dir wichtiger?«
»Jasper, du kannst das nicht von mir verlangen«, erwiderte ich erneut. Aber ich bemerkte bereits jetzt, dass mein Verstand gegen die Gefühle meines Herzens nicht ankommen würde. Familie war Familie. Man ließ sie nicht im Stich, auch, wenn dies bedeutete, dass ich wieder zurück ins Gefängnis gehen musste.
Die Erinnerungen schossen mir durch den Kopf und ich dachte an die Nacht vor fünf Jahren, die mein komplettes Leben verändert hatte.
Fünf Jahre zuvor
Blake
Es war Samstagabend und eine dieser Nächte, in denen alles perfekt sein sollte. Mein Vater hatte die halbe Stadt eingeladen, um auf seinen spätesten Triumph anzustoßen und mich als neues Vorstandsmitglied der Firma Cunningham Industries vorzustellen. Leider hatte es die Woche zuvor nicht geklappt, weil ich mir kurz vor dem Meeting im Büro einen Kaffeebecher über mein makellos weißes Hemd geschüttet hatte. Na ja, eigentlich war es eher die Schuld dieser kleinen Blondine, die urplötzlich vor meinem Auto aufgetaucht war und weshalb ich hatte bremsen müssen. Mein Vater hatte deshalb den Vorstand auf heute Abend vertrösten müssen und die Begeisterung hierfür hatte sich im Zaum gehalten. Ich war gerade dabei, meine Krawatte zu richten, als die schwere Tür zum Salon geöffnet wurde. Trish, meine Verlobte in spe, war eingetreten, sie sah atemberaubend aus. Ein langes schwarzes Kleid mit tiefem Ausschnitt betonte gekonnt ihre kleinen Brüste. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem ordentlichen Dutt gebunden, sodass man den hochwertigen goldenen Schmuck in ihrem Dekolleté bewundern konnte.
»Alles in Ordnung, Schatz?«, fragte sie und kam näher. Ich schwenkte das Glas mit Whiskey on the Rocks in meiner Hand nach rechts und links. Eigentlich hatte ich genug Geld, mir teuren Whiskey zu kaufen und dennoch blieb ich meistens bei einem Jameson hängen.
»Ja«, antwortete ich kurz und knapp. Trish gab mir einen Kuss auf die Wange, während mir ihr viel zu süßes Parfüm in die Nase stach. Ich stellte das Glas auf dem dunklen Mahagoni-Schreibtisch ab und griff nach ihrem Ellenbogen.
»Blake, wir sollten uns wieder deinen Gästen widmen«, forderte sie mich unwirsch auf. Ich küsste sie, damit sie ihre dämliche Klappe hielt, und sie verstummte tatsächlich augenblicklich. Ihre Lippen teilten sich und ich schob meine Zunge in ihren warmen Mund. Meine Hände suchten ihren trainierten Hintern, während Trish aufstöhnte. Ich versuchte, ihr Kleid ein Stück nach unten zu ziehen, um einen Blick auf ihre Brüste zu werfen, aber sie stieß mich schlagartig unsanft weg.
»Blake«, zischte sie vorwurfsvoll.
»Was ist denn?«, tat ich unschuldig.
»Da draußen stehen fünfzig geladene Gäste und du willst hier eine Nummer schieben? So etwas ziemt sich nicht.« Oh, sorry. Ich hatte vergessen, dass nicht Sonntag war, alias unser Ficktag. Woanders als im Bett wollte sie sowieso nicht bumsen und die Missionarsstellung war die Einzige, die sie kannte und die für sie infrage kam. »Und zudem stinkst du!« Trish verschränkte angewidert ihre Arme. Ich stank? Sie war wohl eher diejenige, die ein anderes Parfüm auftragen sollte.
»Zigarre«, rechtfertigte ich mich.
»Hat dein Onkel schon wieder die Kubanischen mitgebracht? Du weißt, wie sehr ich diesen Geruch verabscheue, und trotzdem rauchst du sie immer wieder. Das soll mal jemand verstehen. Sie verursachen Krebs und sind widerwärtig.« Okay, Trish war sauer, und das nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Ich schwieg, es war besser, keinen Streit zu provozieren. »Du ziehst dich hoffentlich noch einmal um, bevor du erneut zu den Gästen trittst. Was sollen die sonst von dir denken? Du benimmst dich immer noch wie ein selbstverliebter Teenager«, fügte Trish hinzu und rauschte aus dem Raum.
Ihr roter Lippenstift war über ihr Gesicht verteilt, aber ich hatte keine Scheu, es unter den Teppich zu kehren. Sollte jemand anderes sie darauf aufmerksam machen.
Ich widmete mich meinem Spiegelbild. Der große Spiegel, der im Salon an der Wandseite hing, war mit einem goldenen Rahmen versehen, wie fast alles in diesem Zimmer. Ich richtete meine Fliege und meine dunkelbraunen Augen strahlten alles andere als Zuversicht aus. Trish und ich waren bereits seit der Highschool liiert. Wir waren als Kinder gemeinsam aufgewachsen, weil unsere Väter eine Firma gegründet hatten.
Am heutigen Abend wollte ich ihr einen Antrag machen, auch, wenn ich nicht besonders begeistert davon war. Mein Dad hatte mich mehr oder weniger in diese Rolle getrieben. Seit meiner Kindheit war mein Leben nach Plan gelaufen. Die Struktur hatte ich schon mit in die Wiege gelegt bekommen und selten dagegen rebelliert. Wer meinen Vater kannte, der wusste, warum. Er ließ sich nichts gefallen und da ich keine Geschwister hatte, die den Thron der Firma besteigen konnten, musste ich herhalten. Egal, ob ich wollte oder nicht. Danach wurde bei den Cunninghams nicht gefragt. Der Verlobungsring war ein teurer Schatz, der nachweislich mehrere Millionen wert war. Trish war mehr als eine gute Partie. Mein vierundzwanzigster Geburtstag stand in ein paar Wochen an, damit würde ich endlich die Vollmacht über meinen Treuhandfond haben, aber nur, wenn ich verheiratet war. Daher die übereilte Verlobung mit einer Frau, die ich nicht liebte.
Ivy
Die Party war bereits in vollem Gange und es sollte das Event an diesem Samstag in Los Angeles werden. Ohne Einladung hatte man keinen Zutritt zu dem exklusiven Bereich in den Hills, wo die Villa der Cunninghams stand. Vor dem Eingang waren zwei Security Männer positioniert, die die Einladungen der Gäste kontrollierten. Zum Glück hatte ich den Job als Kellnerin ergattert und kam so in die Villa. Ich parkte mit meinem Ford auf dem Parkplatz und begab mich anschließend zum Hintereingang, der ausschließlich für das Personal gedacht war. Rasch hatte mir meine Chefin eine Uniform gegeben und ich mich auf der Toilette umgezogen.
Erst am späten Abend sollte die Verkündung des Nachfolgers offiziell werden, so lange hatte ich also Zeit, den Ring von Blake Cunningham zu stehlen. Das Problem war jedoch, dass ich nicht einmal wusste, wo er sich befand. Ich hatte eine vage Vermutung, nämlich die, dass er ihn heute Abend seiner liebreizenden Trish an den Finger stecken wollte und ihn deshalb bei sich hatte. Das hieß, ich musste an das Jackett kommen, das er trug. Ich hielt Ausschau nach Cunningham Junior, fand ihn jedoch leider nicht. Trish, die langbeinige Blondine, unterhielt sich mit seinem Vater Cunningham Senior. Wo steckte dieser Kerl nur?
»Entschuldigung, vermissen Sie etwas?«, fragte eine Frau mittleren Alters. Sie lächelte nett, aber bestimmt. Ihre Augen zeigten nicht diese vorgetäuschte und gespielte Freundlichkeit, die ich sonst aus Los Angeles kannte, sondern Wärme und Zuversicht.
»Nein, Madame. Möchten Sie ein Glas Champagner?«
»Nein, meine Liebe. Ich nehme später noch Valium und das verträgt sich nicht so gut mit Alkohol. Viele auf dieser Party werfen trotzdem beides ein«, antwortete sie. Ich grinste und nickte. »Und glauben Sie mir, der eine oder andere sollte das bereits jetzt tun. Wenn mir noch einmal jemand von seinem tollen Anwesen erzählt, das so und so viele Millionen Dollar wert ist, ziehe ich mich zurück und gehe schlafen.«
»Darling! Komm bitte herüber«, ertönte die Stimme des Hausherrn. Von Mrs. Cunningham existierten nur wenige Fotos, weswegen ich sie nicht erkannt hatte. Sie hielt sich aus den Familiengeschäften vollkommen heraus und wirkte nicht wie die typische Frau eines Millionärs. Ihr Schmuck war schlicht und nicht protzend wie der von Trish Malone. Der Anhänger ihrer teuren Kette verschwand völlig zwischen den Brüsten von Blake Cunninghams Freundin. Die älteren Herren konnten kaum ihre Augen davon abwenden.
»Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und lassen Sie sich von dem angeblich reichen Volk bloß nicht auf der Nase herumtanzen«, fügte sie hinzu und lächelte sanft.
»Danke, das wünsche ich Ihnen auch.«
»Darling, ein Glas Champagner, bitte«, befahl Mr. Cunningham und seine Frau schnappte sich das letzte Glas von meinem zuvor befüllten Serviertablett.
Das Tablett mit den Champagnergläsern war somit geleert, damit hatte ich einen Vorwand, um in der Küche zu verschwinden. Nachdem ich mir drei weitere Gläser geholt hatte, hatte ich ein schmales Zeitfenster, um in den Zimmern des Anwesens zu stöbern. Über die Küche führte eine kleine Treppe hinauf ins zweite Obergeschoss. Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte auf den Boden fallen hören können. Ich versuchte, bei jedem Schritt nicht zu laut mit meinen Pumps zu klackern, aber es war auf dieser Veranstaltung Pflicht, diese bekloppten Schuhe zu tragen, deren Riemchen bereits in mein Fleisch schnitten.
Eine Flügeltür befand sich direkt vor meiner Nase. Ich war einfach zu neugierig und musste in den Raum hineinsehen. Als ich das Zimmer betrat, traf ich unvermittelt auf Blake Cunningham persönlich. Er hatte sich gerade seines Hemdes entledigt, sodass er mit nacktem Oberkörper vor mir stand. Mein Blick huschte über die trainierte Brust bis hin zu seinen muskulösen Lenden, die ein faszinierendes V bildeten. Er hob den Kopf von seinem Smartphone und seine dunklen Augen fanden sofort meine.
»Oh, Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht stören«, erklärte ich freundlich und wollte wieder durch die Tür verschwinden.
»Stopp, ich nehme gerne Champagner«, erwiderte Blake und bat mich mit einer Handbewegung in den Raum. Schnell hatte er sein Hemd wieder angezogen, zugeknöpft und das Jackett übergeworfen. Ich begutachtete in dieser Zeit den Salon. Drei Ohrensessel und eine Ledercouch befanden sich auf der rechten Seite. Eine große Bibliothek aus Ebenholz umsäumte die Wandseite. Der Geruch von Whiskey und Zigarre strömte zugleich in meine Nase.
Blake sah verdammt gut aus und das wusste er mit Sicherheit. Der Anzug hatte sich wie eine zweite Haut über ihn gelegt. Die oberen Knöpfe seines Hemdes waren offen. Wer weiß, ob er nicht gerade eine Nummer geschoben hatte. Seine schwarzen Haare waren lässig auf die Seite gegelt und ein freundliches Lächeln umspielte seine vollen Lippen. Ich ging einen Schritt näher auf ihn zu und hob ihm das Tablett entgegen. Blake nahm sich ein Glas und begutachtete mich von Kopf bis Fuß. Anschließend runzelte er nachdenklich die Stirn.
»Ich kenne Sie«, antwortete er und klopfte mit seinem Zeigefinger auf das Glas. Mist, ich musste mich herausreden, bevor er meinen Plan gefährdete.
»Ja, selbstverständlich. Ich bin Kellnerin und war bereits auf vielen dieser Veranstaltungen«, versuchte ich, ihn zu beschwichtigen.
»Nein, nicht daher.« Er ließ seinen Kopf in den Nacken fallen und schloss einen Augenblick seine Lider. Als Blake sie wieder öffnete, funkelten seine bernsteinfarbenen Augen. Noch nie hatte ich so wunderschöne Augen gesehen. Sie strahlten etwas Mystisches aus. Kein Wunder, dass ihm die Frauen gnadenlos verfallen waren. Diese Tatsache musste selbst ich zugeben, als kein großartiger Fan von Blake Cunningham.
»Du bist diese kleine Göre, die nicht von dem Zebrastreifen treten wollte.« Was hatte mich daran gehindert einfach weiterzugehen, anstatt ihn anzusprechen? Ach ja, mein Stolz. Ich war in Rage gewesen, sodass ich mich nicht hatte beherrschen können.
»Wie bitte?«, sagte ich einen Ton zu laut und stellte das Tablett auf dem Schreibtisch ab.
»Ja, genau. Ich erinnere mich an letzte Woche. Vielen Dank übrigens, deinetwegen konnte ich nicht vorgestellt werden«, erwiderte er ironisch und trank einen großen Schluck Champagner. Danach stellte er das Glas auf den Tisch.
»Es war ein Zebrastreifen«, erklärte ich mit verschränkten Armen vor der Brust. Diese wurden dadurch in die Höhe gequetscht und der Knopf meiner weißen Bluse drohte jeden Moment wegzuspringen. Sein Blick huschte unerwartet über meine Wölbungen und er biss sich auf die Unterlippe. Ihm gefiel anscheinend, was er sah. Hatte ich tatsächlich eine Chance bei Blake Cunningham? Irgendwie törnte mich diese Vorstellung an. Ivy! Du hast einen Freund!
»Ja, man überquert einen Zebrastreifen und bleibt nicht darauf stehen.«
»Sollte man auf der Straße nicht auf den Verkehr achten, anstatt sich von einem billigen Flittchen einen blasen zu lassen?«, konterte ich.
»Manche können beides«, gab er überheblich zurück.
»Du scheinbar nicht.«
Er erwiderte nichts und fuhr sich mit seiner Zunge über seine vollen Lippen. Mein Gott. Das Problem war, dass dieses Gespräch etwas in mir entflammte. Er durfte mich nicht mit seinen Augen verschlingen. Etwas lag in der Luft. Ich musste ihn ablenken, mich ablenken.
»Und übrigens sah deine Beifahrerin auch nicht gerade deiner blonden Freundin ähnlich, sondern eher ihrer besten Freundin Sarah.« Seine Miene verfinsterte sich und sein Mund wurde zu einer schmalen Linie. Ich hatte damit eine Grenze übertreten, einem Cunningham sagte man nicht die Wahrheit ins Gesicht, man log. Manchmal war ich ein wenig zu vorlaut, aber so war ich schon immer gewesen, ich konnte einfach nicht anders.
»Das geht dich einen feuchten Dreck an.«
»Du gehörst wohl zu der Sorte: Ich bin reich und kann mir alles erlauben. Glaub mir, irgendwann wirst du aufwachen und der Realität ins Auge blicken, dass du es nicht kannst.«
»Okay, wenn ich jetzt zu dir sagen würde, komm mit mir ins oberste Stockwerk und ich werde Dinge mit dir anstellen, die du nie wieder vergisst. Du wirst dafür belohnt, und damit meine ich nicht nur materiell gesehen, würdest du tatsächlich ablehnen?«, erwiderte Blake und kam noch einen Schritt auf mich zu.