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Regine Schneider

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Beschreibung

Neue Bescheidenheit – so nennt sich eine Lebensphilosophie, die dem Rennen um Konsum, Statussymbole und Prestige eine Absage erteilt. Dieses Prinzip der lustvollen Selbstbeschränkung findet auch bei uns immer mehr Anhänger. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Regine Schneider

Entdecken, was wirklich zählt

Das Konzept der Neuen Bescheidenheit

FISCHER E-Books

Inhalt

VorwortKonsum als LebenszweckWie wir lebenWas uns manipuliertGeld regiert die WeltViele haben wenigDie Vision einer Neuen BescheidenheitFreiwillige SelbstbeschränkungSparsam ist nicht geizigEine Idee geht um die WeltEntdecken, was wirklich zähltDie Entdeckung der LangsamkeitGlück ist nicht käuflichGewinnen durch VerzichtEmpfehlenswerte Bücher

Vorwort

Die goldene Ära des Wirtschaftswachstums ist vorbei. Der nächste Aufschwung scheint eine trügerische Hoffnung zu sein, und das, obwohl in einigen Branchen durchaus ökonomisches Wachstum herrscht, das allerdings nicht wie früher neue Arbeitsplätze schafft. Bescheidenheit, Sparsamkeit, freiwillige Selbstbeschränkung, den Gürtel enger schnallen müssen, sind die Schlagworte unserer Zeit. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über neue Sparpläne, Haushaltslöcher, Steuererhöhungen, Subventionskürzungen oder Solidaritätszuschläge berichtet wird. Bund und Länder sind in Billionenhöhe verschuldet, allein die Schuldzinsen machen zweistellige Milliardenbeträge aus. Es gibt kaum noch einen Lebensbereich, der von Sparzwängen verschont bleibt. Ein großer Teil der Menschen in unserer Gesellschaft ist gezwungen, seine Ansprüche zurückzuschrauben. Auskommen mit dem, was man hat, oder gar einschränken ist angesagt. Zum Heer der Arbeitslosen zählen inzwischen nicht mehr nur die ungelernten Arbeiter, sondern auch Facharbeiter und Leute des Mittelstandes: Juristen, Ingenieure, Manager, Ärzte. Die heutige Jugend ist die erste Generation nach dem Zweiten Weltkrieg, die nicht selbstverständlich nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz bekommt. Das ist die eine Seite.

Die andere: Der übermäßige Konsum in unserer Überflußgesellschaft hat groteske Züge angenommen. »Die Not der Konsumenten, alles zu haben, und die Not der Produzenten, kaum noch etwas verbessern zu können«, diagnostizierte eine Ausstellung des Deutschen Werkbundes mit dem Titel: »Welche Dinge braucht der Mensch?« Die Wohlstandsbedürfnisse der meisten Menschen sind längst befriedigt. Da sie schon alles haben, nehmen neue Produkte immer bizarrere Formen an: Brotbackautomaten, sensorgesteuerte Pfeffermühlen mit Beleuchtung, die auf Knopfdruck Pfeffer mahlen, oder Datenbank und Terminplaner für die Kids. Der Staubsauger Hoover Sensotronic-Audio erinnert mit menschlicher Stimme daran, daß der Staubsaugerbeutel voll ist. Ein Rückfahrwarner »Magic Watch« macht uns mit immer schnellerem Piepen darauf aufmerksam, daß der Abstand zur nächsten Stoßstange immer kleiner wird. Aus reiner Lust am Kaufen schaffen wir uns das 20. Kleid, die 40. Bluse, den 26. Pullover an. Es muß die fünfte Fernreise für die ganze Familie sein und der dritte Familienwagen für den gerade volljährig gewordenen Sohn, der dann fürs Abitur den neuesten Macintosh-PC geschenkt bekommt. Der alte war schon drei Jahre alt und nicht mehr up to date.

Bei Kindern war lange Zeit das Argument: »Dafür fehlt uns das Geld« unbekannt. Die Autorin Astrid von Friesen hat den Begriff »Konsumkid«[1] mit Inhalt gefüllt. Sieht man sich beispielsweise die Zimmer von Kindern aus den Industrienationen an: Alles ist massenhaft da. Nicht drei Stofftiere, sondern 30, nicht eine Barbie, sondern zwölf, nicht fünf Spiele, sondern 35. Kinderzimmer sind zu Spielhöllen geworden, in denen sich die Kids aber nicht wie im Schlaraffenland fühlen, sondern sich langweilen. Shoppen gehen ist für Jugendliche ein selbstverständlicher Zeitvertreib geworden.

10000 Dinge haben die Menschen in den westlichen Industrienationen pro Person im Laufe der Zeit um sich herum angehäuft. Vom elektrisch betriebenen Brotmesser bis zum elektronischen Garagenöffner und batterieerwärmten Autoschlüssel mit Minitaschenlampe fürs Schlüsselloch. Es ist eine Form der »Fettlebe« entstanden, die nichts mit Zweckmäßigkeit oder Genuß, sondern mit vermeintlichem Sozialprestige zu tun hat. Die Protestgeneration ist zu einer Generation der Superkonsumenten geworden. Wenn wir in dieser Geschwindigkeit weiterkonsumieren, werden unsere Kinder als Erwachsene schon 20000 Artikel angehäuft haben, unsere Enkel gar 40000. Im Vergleich: Der Indianerstamm der Navajo kommt mit 250 Dingen aus. Diese Zahlen errechnete der Professor für Sozialwissenschaften René Frey von der Universität in Basel. Die Frage, auf wessen Kosten wir im Überfluß leben, stellt schon lange niemand mehr.

Um Preise stabil zu halten und Profite zu sichern, ist jedes Mittel recht. Lebensmittel werden vernichtet, während woanders unzählige Menschen hungern. Wir gehen sträflich leichtfertig mit unserem Planeten um. Der nicht unhinterfragte Massenkonsum, das Ex und Hopp, haben uns vor große Umweltprobleme gestellt. Eine Verschwendungsmentalität hat sich breitgemacht, dazu ein Hang zur Bequemlichkeit, der vernichtend für unseren Lebensraum ist. Und so fließen nicht nur gesellschaftliche und ökonomische Aspekte mit ein, sondern auch ökologische. Wir können es uns nicht leisten, so wie bisher unsere Umwelt, unseren natürlichen Lebensraum durch Müllberge und Giftstoffe zu schädigen, Gewässer zu verunreinigen und Regenwälder zu vernichten. Kürzeste Strecken werden mit dem Auto statt zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt. Wir verschwenden Energie und Wasser.

Die Wirtschaftskrise hat mittlerweile jedoch auch eine »Rezessionskultur« zur Folge. Eine neue Subkultur, die »Geizhalsbewegung«, verspricht dem, der die edle Kunst beherrscht, kaum Geld auszugeben, sich von Konsumzwängen zu befreien, ein zufriedeneres Leben. Geiz ist »in«. Bescheidenheit oder auch Neue Bescheidenheit wird als Wert wiederentdeckt. Jahrelang haben wir über unsere Verhältnisse gelebt, Geld zum Fenster hinausgeworfen, und die »Geizhalsbewegung« ist die Antwort darauf. Zu dieser Bewegung zählen Leute, die es eigentlich nicht nötig hätten, zu sparen. Sie tun freiwillig, was für andere bitter nötig ist. Sie betreiben Sparen als Sport und rufen Lessness, Purismus und Einfachheit zum modernen Lebensstil aus. Die Grenzen zwischen gesunder Sparsamkeit, bewußtem Geldausgeben und zwanghafter Knickerigkeit bis hin zu krankhaftem Geiz sind dabei fließend. Geiz ist ein Ausdruck, der ursprünglich einen pathologischen Zustand beschreibt. Die Vertreter der Geizhalsbewegung, allen voran das »geizigste Ehepaar Europas«, die Holländer Hanneke van Veen und Rob van Eeden, haben versucht, diesen Begriff humorvoll umzudefinieren, ihm den unsympathisch-skurrilen Beigeschmack zu nehmen und ihm die Bedeutung einer Lebensstrategie zu geben, die zeitgemäß ist. Es ist ihnen zu verdanken, daß Sparsamkeit enttabuisiert wurde.

Konsumverzicht, überlegt Geld ausgeben, muß dabei nicht mit einem Verzicht an Lebensqualität einhergehen. In der Regel sind es heute geistig orientierte Menschen, die diesen Lebensstil praktizieren. Sie haben erkannt, daß das von Verhaltensforschern ausgemachte und von der Werbung genutzte Bedürfnis nach ständiger Konsumerweiterung nicht zwingend sein muß. Und so praktiziert der intellektuelle Mittelstand freiwillige Selbstbeschränkung.

Durch die Demokratisierung des Luxus konnten viele Menschen am eigenen Leibe erfahren, daß Konsum und Überfluß in unserer Wegwerfgesellschaft nicht glücklich machen. Jeden Abend essen gehen wird man leid. Sich der Tretmühle einer Karriere unterzuordnen, nur um Klamotten und Statussymbole anzuhäufen, ist fad und anstrengend. Es wird bezweifelt, daß viel kaufen Lebenssinn geben kann. Es ist heute kein Ziel mehr, für Anschaffungen zu arbeiten. Ansprüche herunterfahren ist angesagt. Werte wie Zeit haben, Ruhe, Muße pflegen können, stehen hoch im Kurs. Statt des materiellen Luxus wünscht man sich Zeit und Raum für sich. Es gibt immer mehr Menschen, die sagen, ich pfeife auf die Karriere, der Preis ist mir zu hoch.

Bereits seit zehn Jahren gibt es in Amerika eine Bewegung, die sich »freiwillige Einfachheit« nennt. In einem Land, das Wohlstand lange Zeit als Beweis für Effektivität feierte, ist dies ein deutliches Signal. Teure Autos, edler Schmuck und Delikatessen haben an Bedeutung verloren. Statt dessen ist man zurückhaltender im Erwerb und Zeigen von Besitz geworden. Konsum wird mit zunehmender Skepsis betrachtet, und man besinnt sich auf Vorzüge und Fähigkeiten, die nicht mit Geld zu erwerben sind. Besserverdienende mit einem Jahreseinkommen ab 120000 Dollar gaben bei einer Umfrage an, daß ihnen Lebensqualität wichtiger sei als Reichtum.[2] Nicht-materielle Werte wie Freizeit, ein neues, verantwortungsvolles Bewußtsein für die Umwelt und soziales Verhalten spielen heute nach Ansicht von Watts Walker, dem Präsidenten des Shulman-Instituts, eine deutlich größere Rolle.[3] Viele Amerikaner verzichten inzwischen bewußt auf Statussymbole. Umgekehrt sind die Menschen in den USA auch immer weniger bereit, andere für ihren Reichtum zu bewundern. Wer reich ist, wird nicht mehr vorbehaltlos als Vorbild gesehen.

Sogar im seit Jahren von Wirtschaftskrisen gebeutelten Japan gilt die Selbstbeschränkung als schick. Im Land der Workaholics wird Ryokan, ein Zen-Mönch, als Autor und Kultstar gefeiert. Er predigt Askese und Bescheidenheit.

Noch werden Menschen, die bewußt sparsam leben, als Exoten vorgeführt – trotz all der Schnäppchenführer und der Führer für preisgünstigen Fabrikverkauf, trotz der Preisagenturen, die wie Pilze aus dem Boden schießen, trotz der Tauschbörsen für Waren und Dienstleistungen aller Art. Armut ist ein Stigma und wird versteckt und übertüncht, solange es eben geht. Wer beim alltäglichen Konsum nicht mithalten kann, fühlt sich ausgegrenzt. Doch: Umdenken müssen wir alle. Die Durchschnittsfamilie hat keine Alternative: Sie muß sparen. Sparsamkeit ist aber eines der letzten Tabus in unserer Gesellschaft. Niemand in der Überflußgesellschaft möchte als arm gelten. Sparen müssen ist mit Prestigeverlust verbunden. Man versucht, es zu verstecken. Man versucht, weniger auszugeben, ohne daß es nach außen sichtbar wird. Noch bietet die Überflußgesellschaft genügend Reserven dafür an. Aber zwangsläufig müssen wir alle in diese Richtung marschieren. Wir müssen bei allem, was wir kaufen, kritisch fragen: Brauchen wir das wirklich? Oder ist das jetzt ein Impulskauf, der für kurze Zeit meine Seele streichelt, aber nicht dazu führt, daß ich mich dauerhaft besser fühle. Habe ich jetzt fremdbestimmt funktioniert oder eine bewußte Entscheidung getroffen? Kaufsucht ist nur die Spitze des Eisberges unseres Konsumverhaltens. Sie wird als Krankheit anerkannt. Aber ist nicht auch der alltägliche Konsumrausch schon der ganz normale Wahnsinn?

Der Zukunftsforscher Matthias Horx schreibt: »Rezessionskultur, das bedeutet auch eine gewisse Müdigkeit im Herzen unserer Gesellschaft. Zuviel Schlemmerei, zuviel schlechten Sex, zuviel Neues, Unerhörtes haben wir uns zugemutet … So gesehen ist Rezession eben nicht nur eine Katastrophe, sondern auch Hoffnung. Sie ist eine Katharsis, eine Krankheit, aus der Heilung entstehen könnte, wenn wir sie richtig begreifen. Die Kultur, unsere Wertesysteme werden Wege finden, dies zu entdecken und auszudrücken, und die Industriekultur wird, ob sie will oder nicht, diesen Prozeß nachvollziehen können.«[4] Die Art und Weise wie wir konsumieren, ist Ausdruck der Entwicklung unserer Persönlichkeit. Es zeigt, wie erwachsen wir sind. Und wer dahin kommt, bewußt zu verzichten, der ist sich vielleicht selbst ein Stückchen näher gekommen. Es geht darum, sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen. Herauszufinden, was wirklich zählt. Bescheidenheit heißt, nein sagen zu können. Grenzen setzen zu können. Bewußt über sich, sein Leben und seinen Konsum entscheiden, statt in dieser an ihre Grenzen gestoßenen Leistungsgesellschaft wie ein Hamster im Laufrad zu funktionieren. Es heißt, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Sich bewußt zu fragen: Macht es mich wirklich glücklich, wenn ich mir jetzt dieses oder jenes anschaffe? Der Lohn könnte sein: Innere Freiheit, Heiterkeit, weniger Sorgen und Existenzängste, vielleicht sogar Glück.

Konsum als Lebenszweck

Wie wir leben

Wer seine Wünsche zähmt,ist immer reich.

Voltaire

Eine Durchschnittsfamilie in den westlichen Industrieländern besitzt rund 10000 Teile an Inventar, von der Kopfschmerztablette bis zum Fernsehprogramm, vom Schlagbohrer bis zum Wok, von der Dschungelbuchbettwäsche bis zum Dampfbügeleisen, vom ausgestopften Fuchs bis zur Gummibärchenleuchte. Müllhalden, Speicher und Sperrmüllcontainer quellen über. Aber wir kaufen weiter. Ständig werden neue Bedürfnisse geweckt. Jede Generation findet einen neuen Kick. Wer es sich noch leisten kann, kauft. Neue Sportarten, Modetrends und Kommunikationsformen sorgen für neuen Bedarf und lassen neue Geschäftszweige entstehen, deren Ladenkassen klingeln. Selbst für Haushalte, wo es schon alles gibt, werden immer neue Dinge erfunden. Einen elektronischen Garagenöffner oder batterieerwärmten Autoschlüssel mit Minitaschenlampe fürs Schlüsselloch mögen ja schon Hinz und Kunz haben. Doch eine sensorbetriebene Pfeffermühle mit Beleuchtung, einen Staubsauger, der uns mit menschlicher Stimme daran erinnert, daß der Beutel voll ist, oder gar ein Rückfahrwarner, der piepst, wenn der Abstand zur nächsten Stoßstange immer kleiner wird, fehlt vielleicht in manchem Haushalt.

Wenn wir in diesem Tempo weiterkonsumieren, werden unsere Kinder als Erwachsene 20000 Artikel angehäuft haben, unsere Enkel gar 40000. Im Vergleich dazu: Der Indianerstamm der Navajo kommt mit 250 Dingen aus. Diese Zahl errechnete René Frey, Professor für Sozialwissenschaften an der Universität Basel. Und eine Ausstellung des Deutschen Werkbundes mit dem Titel: »Welche Dinge braucht der Mensch?« diagnostizierte die »Not der Konsumenten, alles zu haben, und die Not der Produzenten, kaum noch etwas verbessern zu können«[5]. Es ist eine Form der »Fettlebe« entstanden, die nichts mit Zweckmäßigkeit oder Genuß zu tun hat, sondern mit vermeintlichem Sozialprestige. Man hat gewisse Dinge halt, wenn man dazugehören will. Auch, wenn sie eigentlich total überflüssig sind. »Angesichts dieser Pattsituation wuchert nicht nur die Phantasie der Designer. So manches Stück von zweifelhaftem Nutzen wird dem Kunden als sinnvolle Neuerung angedreht … elektronische Bröselabsauger oder eine Mikrowelle, bei der kleine rote Lämpchen die Beschaulichkeit eines offenen Feuers vorgaukeln. Neue Heinzelmännchen wie der elektrische Entsafter, der Teeautomat oder die Kräutermühle sollen die Küchenarbeit leichter machen, doch Expertinnen wie die Berliner Professorin für Haushaltslehre Gerda Tornieporth haben ihre Zweifel. Das Saubermachen der Kräutermühle kostet mehr Zeit als das Zerkleinern der Kräuter, der Geschmack des Getränks aus dem Automaten ist für Teetrinker eine Zumutung, und die Kräutermühle ignoriert kleine Mengen und schleudert sie an den Rand der Schüssel. Wer Abstellfläche, Zeit und Geld sparen möchte, dem rät Gerda Tornieporth zu einer schönen Teekanne, einem solide gearbeiteten Hackmesser und einem Mörser aus Porzellan.«[6]

Für die, die die Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht erlebt haben, sind exklusive Forderungen an den Alltag eine Selbstverständlichkeit. Man kannte es bis vor kurzem nicht anders. Immer mehr, immer höher, immer weiter. Die Protestgeneration ist zur Generation der Superkonsumenten geworden. Der Satz: »Dafür fehlt uns das Geld«, war lange Zeit aus dem Vokabular gestrichen. Für diese Generation ist der Abbau, der zur Zeit stattfindet, neu und beängstigend. Hat doch nie jemand darüber nachgedacht, daß sich das Rad auch wieder rückwärts drehen könnte.

Aber es gibt ja noch genug, die kaufen können. Und während der Spielraum für Haushaltswaren begrenzt ist, freuen sich neue Zweige im Bereich für Sport und Freizeit wachsender Profite. Alte Sportarten werden neu entdeckt und zum Trend hochstilisiert. Selbstredend, daß von der Unterhose bis zu Schuhen, Anorak und Sportgerät alles aufs I-Tüpfelchen stimmen muß. Das Outfit hat hohen Erkennungswert, und wenn es nicht stimmt, macht man sich lächerlich. »Damit die Erwachsenen durch die Stadt gleiten können, gibt es jetzt einen neu entwickelten Spezialroller – und das dazugehörige Outfit. Ob Snowboard, Gleitschirm, Badmintonschläger oder Trampolin, jede neue Sportart erschließt so einen eigenen Markt bis hin zum Spezialgetränk. Die Branche konnte im vergangenen Jahr zweistellige Zuwachsraten schreiben, weil sich die Mehrheit der Konsumenten selbstverständlich mit eigenem Zubehör auf der Piste zeigen will.«[7] Es gibt heute kaum noch etwas, das nicht outfitmäßig erfaßt ist. Selbst der ganze Schulzubehörbereich ist uniformiert, und Kinder, die schreibmappen- oder tornistermäßig aus dem Rahmen fallen, werden verlacht. Auch der Fachhandel für Informationstechnik und Telekommunikation schreibt schwarze Zahlen. Allein die Zahl der Mobiltelefone wuchs 1996 um 30 Prozent auf 2,6 Millionen Stück, erwartete Zuwachsrate steigend. Für den deutschen PC-Markt sieht es ähnlich aus. »Um einen leistungsfähigen Zugang zur Internet- und Online-Welt zu besitzen, werden Computer ausrangiert, die zum Teil noch nicht mal zwei Jahre alt sind.«[8] Was das an Ressourcen und Energie verschwendet, darüber macht sich niemand Gedanken. Über 3,8 Millionen Tonnen an Sperrmüll wurden 1993 in Deutschland gelagert, verbrannt oder zerkleinert. »Allein die jährlich ausrangierten 130 Millionen Elektrogeräte geben eine Schlange vom Nordkap bis nach Sizilien. Um tausend Deutsche mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, werden pro Jahr 13700 Tonnen Treibhausgase in die Luft geblasen, die Spediteure kommen auf 4,3 Millionen Tonnenkilometer, und am Ende müssen 187 Tonnen giftiger Sondermüll entsorgt werden.«[9]

Wir schmeißen Dinge immer schneller weg, weil wir mit immer neuen Designs, Farben und angeblich verbesserten Funktionen überhäuft werden. Wer die Flohmärkte in den Tageszeitungen vergleicht, stellt fest, daß der Berg ausrangierter Güter immer größer wird: Die Angebote füllen Seiten, Kaufgesuche nehmen nur einen Bruchteil von diesem Platz ein. Niemand will gebrauchte Sachen kaufen, weil er selbst genug davon hat. Ich selbst habe vor kurzem auf so einem Flohmarkt ein gut erhaltenes Wohnzimmersofa für Selbstabholer angeboten. Obwohl ich keine Mark haben wollte, hat sich niemand gemeldet. Selbst »arme Leute« scheinen noch viel zu haben. Mein Sofa landete also auf dem Sperrmüll.

Fernsehgeräte gehören bereits zur nichtpfändbaren Grundausstattung, ohne die Möglichkeit, E-Mails zu empfangen, gilt man als leicht verschroben. Eierkocher, Toaster, Kühlschrank, Gefrierschrank, Staubsauger und Bügeleisen haben 90 von 100 Haushalten ganz selbstverständlich. Darüber hinaus besitzen die meisten noch Mikrowelle, Dunstabzugshaube, Grillgeräte und Allesschneider. Wenn die Großeltern sterben und es an die Haushaltsauflösung geht, wird vieles verramscht oder landet auf dem Sperrmüll, weil die Enkel selbst schon alles in modernerer, aktuellerer Ausführung haben. Omas alter Kram ist überholt, es sei denn, er ist so alt, daß er als Antiquität gilt und deshalb wieder schick ist.

Im 18. Jahrhundert schrieb der französische Abbé Coyer in einem Pamphlet über den Luxus: »Der Luxus gleicht insofern dem Feuer, als er ebensowohl wärmen als verzehren kann. Wenn er einerseits reiche Häuser zugrunde richtet, so hält er andererseits unsere Manufakturen am Leben. Er frißt das Vermögen des Verschwenders auf, aber er ernährt auch unsere Arbeiter … Wollte man unsere Lyoner Seidenstoffe, unsere Goldbeschläge, unsere Juwelen mit dem Bann belegen, so sähe ich die Folgen kommen: Mit einem Schlag lägen Millionen Arme brach, und ebensoviel Stimmen erhöben sich, die nach Brot riefen.« Montesquieu bestätigt: »Ohne Luxus geht es nicht. Wenn die Reichen nicht reichlich ausgeben, werden die Armen Hungers sterben.« (Vom Geist der Gesetze) Wir jedoch leben in einer Epoche, in der nicht nur die Armen sparen, weil sie müssen, sondern auch die Reichen ihre Lust verloren haben, Geld auszugeben. So entdeckte der Spiegel als eines der ersten politischen Magazine den Trend zur Neuen Bescheidenheit. In einem langen Leitartikel mit dem Titel »Von der Ware Luxus zum wahren Luxus« schreibt er: »Luxusproduzenten, Marktforscher und Soziologen beobachten nun, gegen Ende des protzigen halben Jahrhunderts, einen zunehmenden Überdruß am Überfluß – die einen haben genug von dem teuren Zeug – die anderen haben zu wenig Geld.«[10]

Seit Kriegsende sind die Ausgaben eines jeden Bürgers für den privaten Verbrauch kontinuierlich gestiegen. 1950 träumten noch 60 Prozent der Deutschen von einem Kühlschrank. Bis 1975 besaßen 70 Prozent der Bürger einen Staubsauger, 55 Prozent hatten einen Kühlschrank und 43 Prozent saßen vorm eigenen Fernseher, zwei Programme, schwarz-weiß. 30 Prozent lenkten bereits ihr eigenes Auto. In den siebziger Jahren kam der Farbfernseher, und die erste Mikrowelle tauchte auf. »Zu Beginn der achtziger Jahre ging der private Verbrauch erstmals nach dem Kriege zurück, die Grenzen des Wachstums schienen erreicht. Als Mitte der Achtziger die Deutschen wieder mehr konsumierten, entdeckten die Medien prompt den ›Luxusdeutschen‹, den ›Yuppie‹, den ›Ultrakonsumenten‹ und andere Typen, die praßten, was die Kreditkarte hergab.«[11] Luxusgüter wurden mehr und mehr zu Allgemeingütern. Das »bestimmt der Verfall seines Preises und seines Wertes: 1985 mußte der durchschnittliche Konsument über 102 Stunden für ein Fernsehgerät arbeiten, jetzt nur noch 66 Stunden. Eine Waschmaschine ist heute für 14 Arbeitsstunden weniger zu haben als vor zehn Jahren.«[12]

Inzwischen ist von Luxusrausch keine Rede mehr. Die, die noch können, wollen angesichts des wachsenden Elends nicht mehr. Und viele können nicht mehr. »Sparen statt Prassen: Im ersten Quartal 1996 legte jeder private deutsche Haushalt durchschnittlich 720 Mark aufs Sparkonto, 100 Mark mehr als im letzten Jahr.«[13] Gespart wird an Kleidung, Möbeln, Schmuck, der Zigaretten- und Sektverbrauch ist zurückgegangen. »Für den Konsumsetter der Neunziger ist der Kauf Ausdruck von Weltanschauung geworden: In dem, was ich nicht kaufe, drückt sich aus, wie ich denke; in dem, was ich kaufe, drückt sich aus, was die Leute denken sollen, was ich denke.«[14] Pelzmantelverweigerinnen zeigen, daß sie tierlieb sind. Wer ein ökologisches Bewußtsein hat, kauft Spülmittel der Marke Frosch. Wer Fahrrad statt Auto fährt, ist umweltbewußt. Selbst bei Aldi kaufen ist ausgesprochen in, zeugt es doch von Selbstbewußtsein. Die berechtigte Befürchtung von Jugendlichen, die erste Nachkriegsgeneration zu sein, die einen niedrigeren Lebensstandard als den der Eltern erreicht, führt auch unter jungen Menschen zu einer Haltung von Lessness, »jene Form von Konsumverachtung, die weniger Warenverbrauch zum Nachweis von mehr Moral erklärt«.[15]

»Die relative Sättigung des Luxusbedarfs schlägt gerade bei vielen Beziehern höherer und mittlerer Einkommen um in Überdruß am Überfluß«, so der Spiegel.[16] Und Hans Magnus Enzensberger sagt über den Luxus: »Flächendeckend bis zum Überdruß hat er die Fußgängerzonen und die Cash- und Carrymärkte erobert …«[17] Enzensberger stellt auch fest, daß es nicht die Armen waren und auch heute nicht sind, die sich gegen den Luxus auflehnten. »Radikale Intellektuelle vom Schlage eines Robbespierre, eines Lenin, eines Mao Tse-tung oder Pol Pot sind es gewesen, also Advokaten, Gutsbesitzersöhne, Soziologen, die in der Askese den Gipfel der Tugend sahen und bereit waren, sie, wenn nötig, mit allen Mitteln des Terrors durchzusetzen. Unter den Armen, Entrechteten und Erniedrigten kann man lange nach Predigern der Enthaltsamkeit suchen.«[18] Ganz deutlich zeigte sich das nach dem Fall der Mauer: »… als die DDR ihrem verdienten Ende entgegenging, mußten tugendhafte Schriftsteller ohnmächtig mit ansehen, wie Millionen wehrlos den diabolischen Versuchungen des Überflusses in Gestalt exotischer Südfrüchte erlagen.«[19]

Es gab eine Zeit in den achtziger Jahren, da konnten sich auch die »kleinen Leute« einen relativen Luxus leisten. Enzensberger: »In den Jahren des Booms hat der private Luxus, kaum bemerkt von seinen alten Feinden, eine unerwartete und fatale Wendung genommen. Er hat sich zu Tode gesiegt.«[20] Es gab eine »Proletarisierung des Luxus«, wie der Modemacher Wolfgang Joop es nennt. Die Massenproduktion machte es möglich. In Zukunft, so Enzensberger, wird es um andere Prioritäten gehen als um die gerechte Verteilung der Massenproduktionsgüter: Knapp, selten, teuer und begehrenswert sind in Zeiten wuchernden Konsums nicht schnelle Automobile und goldene Champagnerkisten und Parfums, Dinge, die an jeder Straßenecke zu haben sind, sondern elementare Lebensvoraussetzungen wie Ruhe, gutes Wasser und genügend Platz. In Zukunft ist nicht der von der Industrie produzierte Überfluß begehrenswert, sondern das, was wir damit zerstört haben: Natur, Zeit, Raum, Ruhe, Gesundheit und Umwelt. Ruhe und Stille sind Luxusgüter geworden, die man sich bewußt suchen muß. Wir werden heute beim Einkaufen, im Auto, in Restaurants zugedudelt. Wohnungen in Mehrfamilienhäusern sind so leicht gebaut, daß wir den ganz normalen Lärm der Nachbarn mitbekommen. Unsere Sinnesorgane sind so strapaziert, daß wir Einsamkeit und Stille fast fürchten. Sind sie doch völlig ungewohnt. Saubere Luft und Wasser waren früher eine Selbstverständlichkeit und standen – wenn auch sonst nicht viel zur Verfügung stand – den Armen selbstverständlich zur Verfügung. Heute sind es die Reichen, die sich die letzten sauberen Winkel unserer Erde leisten können. Wer wenig Geld hat, kann sich oft keine unvergifteten Lebensmittel aus biologischem Anbau leisten, sondern muß auf die billige Massentierhaltung und gespritztes Obst und Gemüse zurückgreifen.

Zusammenfassend kann man mit Enzensberger sagen, die Zukunft »des Luxus liegt nicht in der Vermehrung, sondern in der Verminderung, nicht in der Anhäufung, sondern in der Vermeidung. Der Überfluß tritt in ein neues Stadium ein, indem er sich negiert. Die Antwort auf das Paradox wäre dann ein weiteres Paradox: Minimalismus und Verzicht könnten sich als ebenso selten, aufwendig und begehrt erweisen wie einst die ostentative Verschwendung.«[21]

Man muß immer etwas haben, auf das mansich freut, und das ist schon eine gescheiteGewohnheit, sich einen Wunsch vorzunehmen,auf dessen Erfüllung man spart.

Eduard Mörike

Lisa: »Ich fand es abstoßend, wie hier konsumiert wird.«

Ich komme aus der ehemaligen DDR. Ein Durchschnittsverdiener hatte 800 Mark, ein besser Betuchter vielleicht 1000 Mark. Ein Chefarzt verdiente 200 Mark mehr als ein Facharbeiter. Bei uns haben immer beide verdient. Mann und Frau. Und die Miete für eine Zweizimmerwohnung betrug 30 Mark, für eine Vierzimmerwohnung 80 Mark. Die Miete fiel, egal wie wenig du verdient hast, überhaupt nicht ins Gewicht.

Als ich hierher kam, habe ich sehr schnell gemerkt, daß diese Art von Verbrauch, die hier betrieben wird, sehr ungesund ist. Das hat mich sofort abgestoßen. Ich hatte von Anfang an nicht das Gefühl, ich muß alles nachholen, was die hier schon lange haben. Im Gegenteil. Ich wollte in Ruhe rauskriegen, was von den Dingen, die wir nie besaßen, ich wirklich brauche. Damit es mir bessergeht. Dafür habe ich mir Zeit gelassen. Ich bin beispielsweise das erste halbe Jahr überhaupt nicht groß einkaufen gegangen. Nicht, wie viele meiner Landsleute, die nach der Maueröffnung erst mal in Scharen hierher strömten und alles Geld, das sie besaßen, ausgaben.

Mich hat anfangs schon diese irre Auswahl an Lebensmitteln völlig fertig gemacht. Diese vielen Wurst- und Käsesorten. Ich habe immer nur eine Salamisorte gekauft. Ich konnte mich gar nicht damit befassen, wie viele es gibt. Ich bin schon Jahre hier, aber bis heute höre ich immer wieder Begriffe, die ich nicht kenne. Neulich bekam ich zum Geburtstag Grappa. Den Namen habe ich bis dahin nie gehört.

Ich habe mit meinem westdeutschen Mann in so einer Feine-Leute-Vorstadtgegend gewohnt, da ist ein großes schickes Einkaufszentrum. Das größte und schickste dieser Stadt mit vielen Nobelläden. Da fuhren wir öfter bummeln und einkaufen. Mir kam das vor wie ein außerirdischer Ort. Weil das wie so ein Terminal auf vielen Ebenen umgeben mit Parkflächen war. Schon sein Auto zu parken und wiederzufinden ist eine Wissenschaft für sich. Die Menschen kamen aus allen Himmelsrichtungen auf dieses Ding zu, und auf mich wirkte es wie ein Moloch, der die Leute ansaugt. Wie Ameisen, die zwanghaft ihren Weg ziehen. Drinnen fühlte ich mich völlig abgestoßen und auch überlegen. Ich hatte nicht das Gefühl, ich armer Ossi komme in die tolle Glitzerwelt. Ich hatte eher das Gefühl, nein, das braucht der Mensch nicht zum Leben.

Abartig fand ich beispielsweise, daß Familien mit kleinen Kindern ein Ausflugsziel darin sahen, dort hinzufahren und spazierenzugehen. Das waren Familien, denen man ansah, daß sie sich die Schaufensterauslagen nie leisten können. Die kauften auch nicht, sondern drückten sich sehnsuchtsvoll die Nasen platt. Das kam mir im Vergleich zu den Ausflügen, die wir früher machten, nämlich zu Wäldern und Seen, sehr armselig vor. Seinen Kindern eine Uhrenauslage zu zeigen oder Sportschuhe, ist doch blöd. Da werden nur Wünsche geweckt, die man sich sowieso nicht erfüllen kann. Und dann wird man unzufrieden.

Diese Riesenproduktpalette finde ich heute noch schrecklich. Allein die vielen Waschmittel, die es gibt. Ich verweigere mich dem. Ich will weder meine Zeit damit verbringen, Kaffeesorten zu unterscheiden, noch Waschmittel zu testen. Ich habe keine Lust das zu durchdenken. Waschpulver kaufe ich bei Aldi. Da bin ich sowieso. Und da vergleiche ich nicht die Preise, ich nehme das Aldiwaschpulver mit. Es wäscht zufriedenstellend, und Punkt. Das reicht mir. Vielleicht gibt es tatsächlich eins, das noch besser wäscht. Aber das ist mir nicht wichtig genug, daß ich mir den Kopf darüber zerbrechen möchte. Bei uns ist dieses Differenzieren auch nicht geschult. Bei uns war ja diese Riesenauswahl nicht da. Es gab eine gute Kaffeesorte, Mokka Fix. Ein gutes Waschmittel, Spee. Und das Problem war eher, ob die Produkte überhaupt vorrätig waren. Wenn das Waschmittel gerade ausgegangen war, haben wir mit Haarshampoo improvisiert. Und wenn Mokka Fix da war, kaufte man gleich acht Tüten auf Vorrat. Den hatte man immer auf Reserve, weil der jederzeit alle sein konnte. Du mußtest nicht nachdenken, was Mokka Fix kostet und ob ein anderer Kaffee besser schmeckt. Die Preise waren fest, und etwas anderes gab es nicht. Daß es nur ein Produkt gab, hat niemand als Mangel empfunden. Der Mangel war, daß das Produkt nicht ständig verfügbar in den Regalen lag. Ich käme heute noch prima mit einer Kaffeesorte aus.

Mein Verhältnis zu Geld ist gleichgeblieben. Konsum macht süchtig, aber nicht glücklich. Wir waren übers Fernsehen erreichbar für die hiesige Konsumideologie. Deshalb haben wir natürlich immer geglaubt, daß uns etwas fehlt. Die Sehnsucht wird erst gestillt sein, wenn alle außer den Westautos, die inzwischen jeder fährt, den Zweitwagen für Mutti und alles andere, was hier alle besitzen, ebenfalls haben.

Sich etwas leisten können war etwas anderes als hier im Westen. Wer sich bei uns etwas leisten konnte, machte eine tolle Reise nach Bulgarien ans Schwarze Meer. Die war inadäquat teuer. Eine Reise 2000 Mark. Autos waren im Vergleich zu den Einkommensverhältnissen auch viel zu teuer.

Es ist zwar nicht so, daß Konsum glücklich macht. Aber in Maßen konsumieren können, sich mal etwas leisten können, bringt schon Freude. Ich freue mich immer tierisch über ein schönes neues Parfum. Ich liebe schöne Parfums. Es ist eine echte Freude für mich, wenn ich ein neues Parfum entdecke und ich mir das auch tatsächlich kaufen kann. Das genieße ich. Der Kaufvorgang an sich ist schon ein Genuß. Das Ausprobieren. Ich glaube, das ist es, worum es geht. Wenn jeder Luxus eine Selbstverständlichkeit ist, dann kannst du nicht mehr genießen. Du hast keine Freude mehr. Die größten Genüsse sind für mich aber immer noch die, die nichts kosten. Durch den Wald gehen und Luft, Sonne und Natur riechen, sehen und fühlen.

Was mich hier auch sehr abgestoßen hat: Mein Ehemann – wir sind inzwischen geschieden – mußte ständig etwas im Mund haben. Das habe ich auch bei anderen beobachtet. Diese orale Ersatzbefriedigung. Ich finde das furchtbar. Er stieg ins Auto, wir mußten eine halbe Stunde fahren, und er fragte sofort: »Haben wir denn etwas zum Knabbern dabei?« Ein erwachsener Mann. Ich dachte immer, das darf doch wohl nicht wahr sein. Der mußte ständig was in den Mund schieben. Ich habe das bewußt dann auch bei anderen beobachtet. Schon die kleinen Kinder nuckeln und saugen und lutschen ständig auf irgend etwas herum. Ich finde das abnormal. Das kann nicht gut sein. Daß Bedürfnisse schon befriedigt werden, ehe sie überhaupt da sind. Durch so ein Verhalten werden Bedürfnisse künstlich geweckt. Wenn du ständig etwas im Mund hast, merkst du gar nicht mehr, ob du Hunger oder Durst oder Lust auf Süßes hast. Dieses vorauseilende Befriedigen halte ich für einen abstumpfenden Prozeß. Du mußt ständig zu Höherem greifen, wenn du schon alles hast, bevor du es wirklich brauchst. Das ist eine nie endende Spirale. Man sieht das ja auch an den Kinderzimmern. Das sind die reinsten Schlaraffenländer. Die Kinder sitzen in ihrem ganzen Spielzeug und wissen nichts mit sich anzufangen. Abstoßend daran ist, daß die Dinge nicht mehr geschätzt werden, sondern man ihren Wert nicht erkennt, weil alles selbstverständlich dazugehört. Ich halte es mit den Konsumartikeln so: Ich kaufe mir ein schönes Paar Schuhe, eine Handtasche, einen neuen Hosenanzug. Die Sachen dürfen ruhig hundert Mark mehr kosten. Die sind’s dann aber. Und ich trage die, bis sie kaputt oder ausgeleiert sind. Hier dagegen wird soviel gekauft, daß man vor lauter Klamotten gar nicht alles tragen kann. Wenn ich meine schönen Sachen stehen sehe, freue ich mich daran. Ich handele nach dem Motto, weniger ist mehr. Ich bescheide mich mit einem Teil. Das darf edel und qualitativ hochwertig sein. Meine Freude daran ist größer, als wenn ich zehn Teile davon hätte. Vielleicht halte ich das so, weil es bei uns drüben immer nur ein Waschmittel oder einen Kaffee oder einen Sekt gab.

Das hat hier schon etwas Perverses. Als ich zum Beispiel die ersten Lokale sah mit rohen Mauerwänden, diese fabrikhallenartige Aufmachung, mußte ich lachen. Ich dachte, jetzt kommen ihnen hier ihr polierter Marmor und ihr Granit und ihre Glitzerfassaden zum Hals heraus. Alles haben sie ausgereizt, dieses Blitzblank-Edle, dieses übertrieben Aufgestylte, jetzt setzen sie sich in Ruinen rein und finden das toll. Sie nennen das ihr neues Edeldesign, und dabei ist es nur ’ne rußgeschwärzte Mauer. Weil ihnen der zur Schau gestellte Luxus zum Hals raushängt. Für mich hat das eine erheiternde Komponente. Wir haben ja nun Jahrzehnte in Ruinen gewohnt, und daß hier im Westen die Ruinen plötzlich up to date sind, hat schon etwas Komisches. Die Ex-DDR ist voll von solchen wunderbaren Ruinen. Da braucht man nur ein paar Lampen reinzuhängen und ein paar wackelige Tische und Stühle reinzustellen, dann sind das plötzlich In-Lokale. Schön schäbig. Ich halte dieses für eine Art Gegenbewegung zu diesem viel zu protzig-reichen Gehabe, was lange Zeit angesagt war.

Auch dieses Schielen nach anderen, das hier an der Tagesordnung ist, das hat etwas Krankmachendes. Der Nachbar hat schon wieder ein neues Auto. Dann müssen wir auch bald eins haben. Das ist abartig. Es hat etwas Leeres. Wenn man nur zu bedenken hat, was man wann mehr konsumiert, das ist ärmlich. Es macht unfrei.

Da fällt mir noch etwas ein. Wenn ich hier eingeladen wurde, wurde jedesmal gefragt, lieber Tee oder lieber Kaffee. Ich habe immer gesagt, egal. Bei uns gab es nämlich nur entweder oder, und was gerade da war, trank man. Ich habe gemerkt, daß die Leute hier genau wissen, was sie wollen. Dadurch, daß sie sich immer schon von klein auf für irgendeine der vielen Varianten entscheiden mußten. So’n Eis oder so’n Eis? Rosa oder braun oder weiß? Diesen Saft oder jenen Saft? Wir drüben waren schon froh, wenn es überhaupt Eis oder Saft gab – es ist ja auch ein Zwang, wählen zu müssen. Hier hörte ich zum Beispiel folgende Sätze: »Nachmittags nach 13 Uhr trinke ich nie Kaffee« oder: »Ich trinke grundsätzlich nur Tee, Kaffee bekommt mir gar nicht.« Auf solche Sachen wäre ich im Leben nicht verfallen. Viele Ossis nicht. Ossis sind beispielsweise auch keine Allergiker. Allergien gab es gegen null. Dieses »Ich vertrage das nicht, davon kriege ich eine trockene Zunge, und davon rast mein Herz«, das kannten wir gar nicht. Die Beschäftigung damit, welche Sorte mir am besten oder nicht bekommt, hat bei uns nicht stattgefunden. Wir haben uns über Tee oder Kaffee gleichermaßen gefreut und nicht in uns gelauscht, was das mit uns macht. Man hat sich nicht spezialisiert, was man mag und was nicht, sondern es war nett, wenn man überhaupt etwas angeboten bekam. Man konnte entscheiden, ob mit oder ohne Zucker, und das war’s. Auch das finde ich bis heute komisch. Ich glaube, viele Wehwehchen hier kommen daher, daß man sich mit tausenderlei Varianten von etwas und deren Wirkung auf einen selbst befassen muß. Und hier weiß jeder ganz genau, ich mag nur dieses Produkt, und ein anderes nehme ich gar nicht. Ich mag nur Jakobs Krönung, oder ich trinke nur Eduscho Milde Bohne. Ich nehme nur Dash und ich nur Ariel. Das hat so etwas Künstliches. Das hat meines Erachtens nichts damit zu tun, in sich hineinzuhören, was tut mir gut und was ist schädlich für mich? Das wäre ja gut. Eine Form von Freiheit. Aber hier das ist keine Freiheit, sondern eine Produktbindung. Eine Scheinfreiheit.

Wenn hier von Neuer Bescheidenheit die Rede ist, das verstehen die im Osten so, daß ihr hier inzwischen satt seid. Übersatt. Daß gleichzeitig eine wirtschaftliche Situation entstanden ist, wo abgespeckt werden muß. Wo um den Wohlstand gebangt wird. Der Normalverbraucher muß inzwischen rechnen. Und diese Bewegung kommt nicht rein aus dem Kopf, sondern hat viel mit dem gesellschaftlichen Sein zu tun. Mit einer Notwendigkeit. Die im Osten verstehen das schon, aber selbst wollen die so was noch lange nicht. Die wollen, nachdem sie jetzt alle Westautos fahren, erst mal neue Küchen haben mit echten Kacheln und vernünftigen Geräten, neue Fernseher, neue Videogeräte, High-Tech-Produkte. Auf den Bildern von der Flutkatastrophe sah man, was bei uns im Osten angesagt ist. Viele der überschwemmten Häuser hatten neue Küchen, frisch gekachelte Badezimmer, große moderne Fernseher. Die Menschen streben in allem nach Weststandard. Und der ist noch lange nicht erreicht. Mit Neuer Bescheidenheit kannst du einem Ossi momentan wahrscheinlich nicht kommen.

Arm ist ja relativ. So wie ich im Osten gelebt habe, hatte ich sicher viele Neider. Aber für einen hier im Westen lebte ich ärmlich. Klar, taten es unsere Waschmaschinen auch, unsere Küchengeräte. Aber eine Kaffeemaschine oder ein Toaster aus dem Westen war etwas anderes.