Entlang berühmter Flüsse - Renate Nöldeke - E-Book

Entlang berühmter Flüsse E-Book

Renate Nöldeke

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Beschreibung

 Flüsse sind Lebensadern. Sie ziehen sich durch die Kontinente, kennen keine Staatsgrenzen, durchlaufen schroffe Gebirge, grüne Auen und karge Steppen. Sie verbinden die Menschen an der Quelle und mehrere Tausend Kilometer entfernt am Delta. "Entlang berühmter Flüsse" nimmt den Leser mit auf die Reise zu kleinen Flüssen und reißenden Strömen und liefert einzigartige Inspirationen für ein einmaliges Urlaubserlebnis. 

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Impressum

© eBook: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

MERIAN ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeglicher Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Leserservice:

GRÄFE UND UNZER Verlag

Grillparzerstraße 12

81675 München

www.graefe-und-unzer.de

Autor: Renate Nöldeke, Andreas Drouve, Oliver Gerhard, Michel Rauch, Knut Diers, Christine Lendt, Mario Weigt, Rita Knobel-Ulrich, Elsemarie Maletzke, Carsten Heinke, Morten Hübbe, Katrin Parmentier, Alexandra Schlüter, Hilke Maunder, Walter Steinberg, Siglinde Fischer, Corinna Streng, Dominik Mohr, Robert Neu

Redaktion und Projektmanagement: Anne-Katrin Scheiter

Lektorat: Renate Nöldeke, München

Karten: Carolin Weidemann

Bildredaktion: Petra Ender, Nora Goth, Dr. Nafsika Mylona

Covergestaltung: ki36, München

eBook-Herstellung: Vicki Braun

ISBN 978-3-8342-3299-1

1. Auflage 2022

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Bildnachweis

Coverabbildung: © Getty Images: Matthew Micah Wright

Fotos: Shutterstock: Alice-D; Getty Images: Cavan Images RF Alamy Stock Photo: Jason Edwards; Alamy Stock Photo: John Warburton-Lee Photography; Alamy Stock Photo: Nick Fox; Alamy Stock Photo: Iliy Genkin; Alamy Stock Photo: Marcus Wilson-Smith; AWL Images: Alan Copson; AWL Images: Christopher Becke; AWL Images: Hans Georg Eiben; AWL Images: Ian Trower; AWL Images: Jan Miracky; AWL Images: Jane Sweeney; AWL Images: Jason Langley; AWL Images: Kav Dadfar; AWL Images: Richard T Nowitz; Flusskreuzfahrtschiff Aria; Drouve, Andreas; Fischer, Siglinde & Steinberg, Walter; Getty Images; Getty Images: Cavan Images RF; Getty Images: EyeEm; Getty Images: EyeEm/Germán López; Getty Images: Gary Cook; Getty Images: iStockphoto; Getty Images: RooM; Getty Images: Stone; Getty Images: The Image Bank; Getty Images: Vicki Jauron; Getty Images: Wojtek Zagorski; Getty: Pierre Longnus; Heinke, Carsten; Huber Images; Huber Images: Richard Taylor; imago: imagebroker; imago: Aurora Photos; iStockphoto; laif: Abhishek Singh/robertharding; laif: Christian Guy/hemis; laif: hemis; laif: Karl-Heinz Raach; laif: Malte Jaeger; laif: Markus Kirchgessner; laif: Tuul & Bruno Morandi; lookphotos: Design Pics; mauritius images: Alamy/Galina Bondarenko; mauritius images: Papava/ Alamy; Gerhard, Oliver; Parenti, Leonardo on Unsplash; plainpicture; plainpicture: AWL/Walter Bibikow; plainpicture: Millennium/Antoine Boureau; plainpicture: Tilby Vattard; Knobel Ulrich, Rita; Maletzke, Elsemarie; Shutterstock: Al.geba; Shutterstock: AlexelA; Shutterstock: Alice-D; Shutterstock: AlwaysSnappin; Shutterstock: Arh-sib; Shutterstock: Arnon Polin; Shutterstock Beth Ruggiero-York; Shutterstock: Dr_Flash; Shutterstock: Efimova Anna; Shutterstock: Hang Dinh; Shutterstock: Irina Mos; Shutterstock: Leonid Andronov; Shutterstock: Lopolo; Shutterstock: Malek Al Fayoumi; Shutterstock: mastersky; Shutterstock: Nastya Smirnova RF; Shutterstock: Nick N A; Shutterstock: Northern Rose; Shutterstock: Paul Prescott; Shutterstock: Pernelle Voyage; Shutterstock: Simon Dannhauer; Shutterstock: Thomas Dekiere; Shutterstock: Vadim Petrakov; Shutterstock: Valerii_M; Shutterstock: VarnakovR; stock.adobe.com: Barbara; stock.adobe.com: Benjamin; stock.adobe.com: Denham; stock.adobe.com: dietwalther; stock.adobe.com: Edyta; stock.adobe.com: Elena; stock.adobe.com: Leonid Andronov; stock.adobe.com: Objective Eye; stock.adobe.com: Roop Dey; stock.adobe.com: sergio; Streng, Corinna; Unsplash: Sebastien Goldberg; www.asia-stories.com: Mario Weigt

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Bei Interesse an maßgeschneiderten B2B-Produkten: Roswitha Riedel, [email protected]

Wichtiger Hinweis

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personenbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. Es gilt gleichermaßen für alle Geschlechter.

Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, heißt es im ersten Buch Moses – auch der Nil ist bereits in der Bibel erwähnt.

Flussparadiese auf Erden

Wie sieht es aus – leben Sie an einem Fluss, vielleicht an Elbe, Donau oder Rhein? Oder träumen Sie davon, mal Urlaub an oder auf dem Wasser zu machen? Besonders faszinieren uns die mächtigen Ströme mit klangvollen Namen und sagenhaften Metropolen an ihren Ufern – wie der Nil und der Ganges, die als zwei der vier biblischen Paradiesflüsse gelten. Zu den legendären Flüssen der Welt gehören natürlich auch Amazonas, Kongo, Mekong, Yukon, Wolga, Jangtsekiang, Sambesi, Orinoko und viele andere, die unsere Fantasie anregen.

Die Autorinnen und Autoren dieses Buches haben 30 berühmte Flüsse in Europa, Asien, Nord- und Südamerika, Afrika, Australien und Ozeanien bereist. Sie waren mit Kajaks, Fischerbooten, Einbäumen, historischen Raddampfern, einfachen Passagier- und Frachtschiffen sowie komfortablen Kreuzfahrtschiffen unterwegs – aber auch zu Fuß, mit dem Fahrrad, Auto oder Wohnmobil. Sie haben ihre persönlichen Geschichten über die Entdeckungen entlang der Flüsse festgehalten. Sie erzählen vom Leben der verschiedenen Menschen an und mit den Flüssen, von Mythen, Legenden, Religionen und Ritualen, von abenteuerlichen Begegnungen mit Piranhas, Krokodilen, Walen, Pelikanen oder Delfinen, vom Einklang mit der Natur, aber auch von Staudämmen, Schleusen und Fischtreppen sowie vom Klimawandel. Diejenigen, die es dann nicht mehr auf dem Sofa hält und die selbst zu einer Flussfahrt aufbrechen möchten, finden zudem am Ende der Reportagen einige wertvolle Reisetipps.

Die Erde ist zu 71 Prozent von Wasser bedeckt. Aber von den knapp drei Prozent Süßwasser sind gerade mal 0,3 Prozent Oberflächenwasser und davon wiederum nur zwei Prozent Flüsse. Und doch spielen diese eine große Rolle in Geschichte, Kultur und Alltag der Menschen. Entlang der Flüsse sind Länder erschlossen worden. Flüsse sind Lebensadern, Trinkwasser- und Nahrungsquelle, sie ermöglichen Fischfang, Ackerbau und Viehhaltung. Sie sind als Verkehrswege und Energielieferanten wichtig. Bei allem Segen können Flüsse aber auch Unheil bringen, immer wieder gibt es Katastrophenmeldungen von verheerenden Überschwemmungen oder Dürreperioden. Flüsse markieren Grenzen, verbinden aber auch Regionen, Religionen und Nationen. Kein Wunder, dass viele Flüsse literarisch, musikalisch und künstlerisch verewigt worden sind. Geneigte Leserinnen und Leser finden dazu in den Texten interessante Anregungen.

Was wäre Kairo ohne den Nil, London ohne die Themse, Quebec ohne den Sankt-Lorenz-Strom, Hamburg ohne die Elbe? Flüsse sichern Millionen Menschen weltweit ihren Lebensunterhalt. Immer bedeutender wird dabei der Anteil des Tourismus. Längst sind die Flüsse selbst beliebte Freizeitdestinationen. Aktivurlauber nutzen das Wasser sportlich, andere genießen die Entspannung an den Ufern mit Blick auf das erfrischend dahinfließende und scheinbar niemals versiegende Nass. Der Facettenreichtum der Flüsse auf der Erde spiegelt sich in diesem Buch wider. Viel Spaß bei der Lektüre!

Europa

Der relativ kleine Kontinent wartet mit einer Vielzahl legendärer Flüsse auf, wie mit dem von Weinbergen, aber auch Burgen und Metropolen gesäumten Rhein. Für Superlative im weltweiten Vergleich reicht es nicht, aber an den oft dicht besiedelten Ufern finden sich bedeutende Kulturstätten. Nicht nur am Rhein, auch an Mosel, Saar und Necker sowie Elbe, Donau, Themse, Loire, Moldau und Tiber locken neben malerischen Fachwerkdörfern, prächtigen Schlössern, europäischen Hauptstädten sowie bahnbrechenden Technik- und Industriedenkmälern viele Naturschutzgebiete und Nationalparks mit einer überraschend exotischen Tier- und Pflanzenwelt.

Von den hohen Felsen der Bastei lässt sich der Lauf der aus Tschechien kommenden Elbe durch die Sächsische Schweiz bestens verfolgen.

Elbe

VON TSCHECHIEN BIS AN DIE NORDSEE ENTLANG DER ELBE

Unscheinbar sprudelt die Elbe aus ihrer Quelle hoch oben im tschechischen Riesengebirge, bahnt sich ihren Weg durch schroffe Elbsandsteinformationen und durchströmt sieben deutsche Bundesländer. An ihren Ufern liegen sächsische Weinberge, die weiten Auen des UNESCO-Biosphärenreservats Flusslandschaft Elbe, Metropolen und Hansestädte. Immer frischer weht der Wind, schließlich geht es an Deichen entlang gen Nordsee. Rund 1170 Kilometer legt die zunehmend breitere Elbe bis zur Mündung zurück. Etwa 840 Kilometer können Radfahrer sie auf dem Elberadweg von der deutsch-tschechischen Grenze aus begleiten. Die Radtour endet wahlweise in Cuxhaven am linken Ufer oder in Brunsbüttel am rechten Ufer.

VON CHRISTINE LENDT

Verwaist steht ein Grenzgebäude am Felshang. Da die Tschechische Republik seit 2007 Teil des Schengenraums ist, hat der Übergang bei Schmilka ausgedient. Der Elberadweg verläuft zwar unterhalb, aber wir lassen uns zu einem Abstecher nach Tschechien verführen. Etwa anderthalb Kilometer sind es bis nach Hřensko. Die kleine Ortschaft mit ihren an Steilwänden klebenden Häusern könnte in einem Märchen mitspielen. Aus den Bergen der Böhmischen Schweiz rauscht die Kamenice heran und vereint sich hier mit der Elbe. Über der Klamm, die sie in die Felsen fraß, erhebt sich das Prebischtor, die größte natürliche Sandsteinbrücke Europas.

DURCH DAS ELBSANDSTEINGEBIRGE

Wieder zurück in Schmilka, beginnen die 840 Kilometer des durch Deutschland verlaufenden Elberadwegs. Das ehemalige Elbschifferdorf gefällt mit seinen farbenfrohen Fachwerkfassaden vor dem Schrammsteinmassiv. Es wird geprägt von einzelnen Hotels, Manufakturen und gemütlichen Lokalen. Heute gehört Schmilka mit seinen rund 150 Einwohnern zur acht Kilometer weiter nordwestlich liegenden Kurstadt Bad Schandau, die ebenfalls direkt am Elberadweg liegt und einen Aufenthalt lohnt.

Hier sorgen besondere Verkehrsmittel für Erlebnisse: Bad Schandau ist eine Station der seit 1898 bestehenden Kirnitzschtalbahn, einer Überlandstraßenbahn, die von dort durch das nach ihr benannte Tal bis zum Lichtenhainer Wasserfall fährt. Landschaftlich reizvoll ist auch eine Fahrt mit der Nationalparkbahn, der »Sächsischen Semmeringbahn«. Einmalig ist auch der 50 Meter hohe Personenaufzug von Bad Schandau aus dem Jahr 1904.

Die Felsformationen der Bastei beeindrucken aus jeder Perspektive und sind ein Besuchermagnet für Reisende auf und entlang der Elbe.

Ab Bad Schandau windet sich der noch beschauliche Fluss weiter durch die Sächsisch-Böhmische Schweiz, spektakulär ragen die Formationen des Elbsandsteingebirges in den Himmel. Es wechseln Felsnadeln, Schluchten und Tafelberge, weitläufige Ebenen und dichte Wälder. Königstein bietet mit einer imposanten Festung auf einem Tafelberg wörtlich ein Highlight. Interessant ist auch das Innenleben der mittelalterlichen Verteidigungsanlage mit einem Museum zur Militärgeschichte. Hinter Königstein ist vom linken Ufer aus die Basteibrücke, die sich bei Rathen fast 200 Meter über dem Elbniveau erhebt, schön zu sehen. Der Radweg führt in überschaubarem Auf und Ab durch den hügeligen Wald.

Nachdem auch der markante Tafelberg Lilienstein mit seinen 415 Metern passiert wurde, folgt bald das Städtchen Pirna mit einer weiteren Festung und hübschen Renaissancehäusern. Das mediterrane Flair der kleinen Altstadt überrascht. Der Radweg verläuft auf diesem Abschnitt beiderseits der Elbe meist eben und direkt am Wasser.

Bei Pirna sind erstmals mit Rebstöcken bepflanzte Hänge zu sehen. Hier beginnt die bis Diesbar-Seußlitz reichende Sächsische Weinstraße. Und der Elberadweg wird zum Inbegriff von Genuss und südländischer Lebenskultur. Am Ufer erheben sich Weinberge und -güter, Winzer laden zu Verkostungen oder Besichtigungen ein, manche vermieten Zimmer. In vielen Restaurants stehen regionale Tropfen auf der Karte.

DIE SÄCHSISCHE WEINSTRASSE

Als mögliches Etappenziel grüßt Dresden zu beiden Uferseiten: Mitten durch die Sachsenmetropole verläuft der Elberadweg – 23 Kilometer. Der Anblick der Altstadt macht Lust auf einen Besuch. Brühlsche Terrasse, Frauenkirche, Semperoper, Schloss und Goldener Reiter – viele berühmte Sehenswürdigkeiten warten. Wer die Elbmetropole hinter sich gelassen hat, radelt weiter durch die Landschaft der Sächsischen Weinstraße. Die Karl-May-Stadt Radebeul bietet mit einem Museum im ehemaligen Wohnhaus des berühmten Autors kulturelle Abwechslung. Kurz vor Meißen verläuft der Radweg wieder direkt am Elbufer, und schließlich, hinter einer Biegung, rücken die auf einer Anhöhe gelegenen historischen Quartiere der Porzellanstadt mit Dom und Albrechtsburg ins Blickfeld. In einer Ausstellung mit Schauwerkstatt können Besucher das Handwerk live erleben.

Schließlich offenbart sich der Reichtum einer europaweit bedeutenden Natur- und Kulturlandschaft: zunächst das Gartenreich Dessau-Wörlitz mit seinen Schlössern und Landschaftsparks, wie dem Georgium, dem Luisium und den Wörlitzer Anlagen, dann die Bauhausstadt Dessau mit ihren weltberühmten Bauten. Nach Dessau-Roßlau bietet sich Magdeburg als nächstes Etappenziel an. Auf Deichen in Flussnähe windet sich der Radweg durch die Elbauen, bis die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts mit Dom, Kloster und Hundertwassers »Grüner Zitadelle« erreicht ist.

FLUSSLANDSCHAFT ELBE

Nach weiteren Pedalmetern entlang der Elbe kommt bei Hohenwarthe ein Wunder der Technik in Sicht – eine Kreuzung aus Wasserwegen. Am Wasserstraßenkreuz Magdeburg wird der in den Elbe-Havel-Kanal übergehende Mittellandkanal mit einer Brücke über die Elbe geführt. Weiter geht es durch das UNESCO-Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe, der die Natur auf rund 400 Flusskilometern schützt. Die charakteristische Fluss- und Auenlandschaft mit Lebensräumen für etliche Arten fügt sich in eine über mehrere Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft und eine der letzten naturnahen Stromlandschaften in Mitteleuropa.

Die letzten Kilometer vor Tangermünde sind besonders schön zu fahren – der ebene, asphaltierte Weg, die Elbe fast immer an der Seite und zum Finale die rote Backsteinkulisse des mittelalterlichen Städtchens. Bei der Einfahrt in den Ort bietet sich von einer Brücke ein erster Ausblick über die Elbpromenade vor der hoch aufragenden Stadtmauer. Kaiser Karl IV. ließ Tangermünde von 1373 bis 1378 als seinen Zweitsitz und als Residenz der mittleren Provinzen ausbauen. Am anderen Elbufer besticht Jerichow mit einer romanischen Klosteranlage.

KLEINE UND GROSSE HANSESTÄDTE

Havelberg liegt majestätisch auf einer Havelinsel, prunkt mit einer Klosteranlage und einem imposanten Dom. Werben, beinah gegenüber an der Elbe, gibt sich dörflich und unscheinbar. Aber beide Städte gehörten der Hanse an. Werben befindet sich an der Hauptroute des Elberadwegs, Havelberg an der Alternativstrecke. Immer wieder zeigen sich Storchennester, oft von Menschenhand auf hohen Pfählen angelegt. Besonders viele gibt es im »Europäischen Storchendorf« Rühstädt und in Wahrenberg, dem storchenreichsten Dorf Sachsen-Anhalts. Beide Orte liegen nahe der »Prignitzstadt« Wittenberge, deren Türme schon von Weitem sichtbar sind, darunter der Singer Uhrenturm mit der zweitgrößten Turmuhr Europas. Fortan verläuft der Radwanderweg bis zur Nordsee fast durchgängig an beiden Flussufern. Nur um Hamburg konzentriert er sich auf die rechte Seite. Wer möglichst viel sehen möchte, kann vielerorts per Brücke oder Fähre wechseln – oder bei einer Rundtour auf der einen Seite hin- und auf der anderen zurückfahren.

Linkselbisch geht es durch Schnackenburg mit dem Grenzlandmuseum, das beschauliche und leicht hügelige Wendland sowie die Fachwerkstädte Hitzacker und Bleckede. Wer bisher kein Glück hatte und Biber in der freien Natur beobachten konnte, sieht sie im Biosphaerium Elbtalaue auf jeden Fall. Bei Hoopte muss mit der Fähre übergesetzt werden, um Richtung Norden weiterradeln zu können.

Wer von Wittenberge am rechten Ufer geblieben ist, kommt durch Dömitz mit seiner eindrucksvollen Festungsanlage, die backsteinrote Elbschifferstadt Lauenburg und die »Technikstadt« Geesthacht, in der Alfred Nobel das Dynamit erfand.

Auf beiden Seiten ist der Radweg oft neben oder auf dem zunehmend höher werdenden Deich angelegt. Das krönende Finale vor Hamburg sind die schon zur Elbmetropole gehörenden, dörflichen Vier- und Marschlande, bekannt für den Gemüseanbau. Nach vielen Kilometern im Grünen geht es geradewegs über die markanten Konstruktionen der Elbbrücken und – immer am Wasser entlang – durch das Herz der Hansestadt. Die Landungsbrücken, der Fischmarkt und die hoch aufragenden Krananlagen und Containerschiffe des Hafens liegen direkt oder nahe am Elberadweg.

ZIELGERADE ZUR NORDSEE

Nach Övelgönne wird es wieder grüner an den Elbufern. Auf der rechten Seite geht es durch die adretten Elbvororte. Besonders schön: Blankenese mit seinem Treppenviertel und herrlichen Sandstränden. Auch das schon zu Schleswig-Holstein gehörende Wedel ist mit seiner Schiffbegrüßungsanlage »Willkomm Höft« einen Stopp wert. Als Nächstes kommt das für leckeren Matjes bekannte Glückstadt mit seinem überaus netten Hafen.

Am linken Elbufer lässt sich das Alte Land erkunden, wo im Frühjahr Millionen von Obstbäumen blühen, und die Hansestadt Stade. Egal, welcher Strecke man folgt, stets ganz nah ist der immer machtvoller der Nordsee entgegenströmende Fluss, begleitet von naturgeschützten Marschlandschaften und Deichen, auf denen immer wieder Schafe blöken. Es liegt schon eine Ahnung von Meersalz in der Luft, und schließlich vereint sich die Elbe mit der Nordsee. Das technisch eindrucksvolle Finale am rechten Ufer bildet Brunsbüttel, wo die riesigen Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals zu besichtigen sind. Die linke Route endet in Cuxhaven – mit langen Sandstränden. ■

Der Elberadweg führt oft direkt am Flussufer entlang – auch in der sächsischen Metropole Dresden.

REISEINFORMATIONEN

Auskunft Der weitgehend mit blauem e auf weißem Grund markierte Elberadweg verläuft auf einigen Abschnitten beiderseits des Flusses, www.elberadweg.de

Anreise Die Deutsche Bahn fährt bis Dresden oder Bad Schandau, die S-Bahn verkehrt zwischen Meißen und der tschechischen Grenze fast parallel zum Elberadweg.

Unterkünfte Am Elberadweg sind etliche Anbieter speziell auf Radler eingestellt, www.bettundbike.de

Die Alte Brücke führt über den Neckar in die von vielen Studierenden mit jungem Schwung belebte Heidelberger Altstadt.

Saar, Mosel, Rhein

EINE KREUZFAHRT ÜBER SAAR, MOSEL, NECKAR UND RHEIN

Natürlich lassen sich Flüsse beim Schwimmen oder Rudern erkunden, genauso wie beim Wandern vom Ufer aus. Es geht aber auch anders, zum Beispiel in einem Cocktailsessel mit einem Glas Weißwein in der Hand, während das aufgeschlagene Bett schon auf einen wartet. Zugegeben, das klingt bequem. Und so ist es. Die Flusskreuzfahrt im nostalgisch angehauchten, schwimmenden Hotel führt über die vier großen Flüsse im deutschen Südwesten. Und mit der jeweiligen Uferlandschaft ändert sich die Stimmung an Bord. Die Saar wirkt nüchtern und erfrischend, die elegante Mosel verführt zum Schwärmen, der ehrwürdige Rhein ist einfach zum Staunen, und der Neckar lädt zum Chill Out.

VON KATRIN PARMENTIER

Ein Junimorgen am Ufer der Saar, das Kreuzfahrtschiff wird bald ablegen. In Saarlouis zeigt das Thermometer 25 Grad, in der Nacht hat es gewittert, die Luft ist mineralwasserfrisch, wie eben gewaschen. Linden blühen an der Ablegestelle. Enten und Höckerschwäne paddeln im Wasser. Bald werden die Süßkirschen reif sein. An manchen Bäumen stehen schon die Leitern für die Ernte bereit.

Die Saar macht sich hier so richtig breit. Sie kommt aus den Vogesen, über Elsass und Lothringen. Ein unaufgeregter, strapazierfähiger Zeitgenosse. Ein Fluss, passend zum Saarland, zu Schwenkbraten, Lyoner Wurstringen, Kohle, Stahl und alten Industrieanlagen. Man hat es hier gerne geordnet, stabil und übersichtlich, erholt sich auf langen, geraden Radwegen vom Arbeitsalltag und gibt sich schnörkellos.

SO EIN SCHIFF HAT WEILE

Das Schiff ist klein und übersichtlich. Es wird insgesamt acht Tage über Saar, Mosel, Rhein und Neckar fahren. Die Passagiere sammeln sich an Deck, haben den ersten Cocktail in der Hand, Vorfreude und Fahrtwind kommen auf. Die Route ist klassisch-romantisch, es dürfte beschaulich werden. So ein Flussschiff hat Weile. Es macht zwölf Kilometer pro Stunde, lässt die Landschaft vorbeiziehen wie eben erst gemalt.

Das Ufer bleibt im Blick, und jeder Fluss präsentiert einen eigenen Charakter. Die nüchterne Saar, die lieblich verschlungene Mosel, der üppig grüne Neckar – sie alle sind hübsch, aber irgendwie Nebendarsteller, denn mittenrein grätscht ein echter Promi und Wichtigtuer: Vater Rhein, der Chef unter den deutschen Flüssen. Breit wie eine achtspurige Autobahn und extrem wandelbar, ist er mal Beachboy, mal Burgherr, mal Hafenarbeiter und enttäuscht in keiner seiner Rollen.

GOLDEN OLDIES

An Bord nimmt eine geduldige Rezeptionistin die Kofferparade ab: »Das da ist meiner … nein, der da … der Schwarze … nein, der andere Schwarze.« »Alles klar. Ihr Zimmerschlüssel, bitte schön.« »Wer hat noch keine Kabine?« »Alles verstaut? Gut.« Im klimatisierten Salon werden jetzt Cremeschnitten und Kaffee gereicht. Aus der Ecke fächelt ein Bordmusiker im schwarzen Anzug Melodien herüber, die mit den Worten bunt und Strauß hinreichend beschrieben sind. »Like a bridge over troubled water« passt ganz gut, »Silence is golden« auch. Die Hammondorgel orgelt, es wird gemütlich. »Golden Oldies, so wie wir«, freut sich der pensionierte Kölner Professor, und tatsächlich sind die etwa hundert Passagiere größtenteils zwischen 60 und 80 Jahre alt. Sie haben gebucht, weil sie Wasserstraßen mögen und Flusskreuzfahrten sowieso, wie die vier befreundeten Witwen aus München. Weil sie nicht mehr ganz so gut zu Fuß sind und trotzdem reisen wollen, wie die Dame aus der Schweiz, oder weil sie schöne Erinnerungen an die Rheinauen haben, wie der Berliner Optiker, der abends mit seiner Frau zu »Sun Of Jamaica« tanzt.

In der Bar findet das Gesellschaftsleben statt. Mit Grand Marnier, Rum-Cocktails, und dem ungarischen Oberkellner, einem väterlichen Typen mit borstiger Meckifrisur. Das Gesellschaftsleben an Bord mag nicht so üppig wie auf einer »Aida« sein, trotzdem ist es wichtig.

Dabei wirkt das ganze Unternehmen auch immer wie aus der Zeit gefallen. Wie ein schwimmender Heinz-Erhardt-Film mit Fischgrätenjackett und Toast Hawaii. Die Kabinenfernseher sind klobig, das Gemüse buttrig, und statt mit dem Smartphone fotografieren die Gäste lieber mit Kleinbildkameras. Eine Portion WLAN kostet 30 Euro, aber das Angebot wird kaum genutzt. Das alles hat etwas Beruhigendes. »Ich bevorzuge die analoge Welt«, sagt der Herr im karierten Hemd, der 1927 geboren wurde. Er sitzt an Deck heute zufällig neben einer Bankerin im Ruhestand aus Baden-Württemberg. Die stimmt zu: »Wir sind ja hier, weil wir entspannt reisen wollen.« Sie hat die Ochsentour schon hinter sich. Hat Ozeane mit Riesendampfern überquert, Bingo auf der »Queen Elizabeth« gespielt und kennt das büfettorientierte Kreuzfahrtleben mit großer Showbühne und Disconächten. Jetzt, mit 71, bevorzugt sie das Adagio der Flüsse.

»VERY GERMAN, VERY EXOTIC«

Das Schiff fährt tagsüber, manchmal auch nachts, und jeder Halt lädt ein zur Erkundungstour. In Merzig ist Zeit für einen Abendspaziergang, untermalt vom Erdbeerduft, der aus den vielen Shisha-Bars strömt. Die Saar verabschiedet sich langsam, während am Ufer die Stadt Konz das traditionelle Rosenblütenfest vorbereitet. Die Nacht bleibt klar und sternenlos. Am Morgen greift die Mosel ins Geschehen ein. Beim Halt in Trier zeigt ein Stadtführer die römischen Badehäuser neben der Kaisertherme und den Dom, der in all seiner Pracht ein bisschen sprachlos macht. Wie gut, dass die »Weinstube Kesselstadt« regionalen Wildschweinschinken serviert – das stärkt. Zurück an Bord, steuert das Schiff durch Schieferhänge und steile Weinberge, wo die Trauben für Riesling, Müller-Thurgau und Weißburgunder reifen. Der Touristenmagnet Bernkastel-Kues wirkt in der blauen Stunde wie aus Grimms Märchen. Drei Millionen Tagesgäste kommen jedes Jahr, heute Abend aber sind die Gassen leer. Maskengesichter wachen über die Fachwerkhäuser – zum Schutz vor bösen Geistern. Am Rathaus sind eiserne Handschellen eingemauert, das Stadtwappen zeigt einen angeketteten Bären. Zimperlich war das Mittelalter nie. Deftig auch die heimische Kost: Der Stadtmetzger empfiehlt seine Winzerversper in Dosen, zusammengerührt aus verschiedenen Würsten und Schwartenmagen.

»Very German, very exotic«, finden das die beiden Australier an Bord, muntere Rentner in pastellfarbenen Polohemden. Nach eigener Aussage sind sie hier, »um das Erbe der Kinder zu verjubeln«, waren in Venedig, Salzburg und Bozen, jetzt wird das deutsche Weinland abgehakt. An Bord haben sie zusätzlich zur üblichen Vollverpflegung die Getränke-Flatrate gebucht. Für 160 Euro sind alle Drinks inklusive, auch Bier und Hauswein. Der ist okay, sagen sie, aber nicht so exklusiv wie die Spätlese, die der Jungwinzer von Brauneberg am nächsten Tag ausschenkt. Er führt in achter Generation das elterliche Weingut und lädt zum Weinerlebnisausflug. Er erklärt die Vorteile seiner Schieferhänge, die tagsüber Wärme speichern und sie nachts an die Rebwurzeln abgeben. 20 Flaschen verkauft er an diesem Vormittag den Kreuzfahrern, denn das ist ja noch so ein Plus der Flussreise: Shoppen ohne Schleppen. Das Hotelzimmer fährt immer mit.

»ERNST, ABER REIZEND«

Bei Koblenz am Deutschen Eck macht die Mosel sich dünn und der Rhein übernimmt. Ein Fluss mit raumgreifender Ansage: Platz da! Er ist aus den Alpen angereist, hat den Bodensee durchquert und bei Basel den Weg nach Norden eingeschlagen. Er bildet die Grenze zu Frankreich, dominiert sich quer durch Deutschland, um schließlich in Rotterdam in der Nordsee zu verschwinden. Natürlich. Unter der größten Hafenstadt Europas macht es so ein Bossfluss nicht. So einer hat sogar eine eigene Literaturbewegung. Friedrich Schlegel schwärmte Anfang des 19. Jahrhunderts auf einer Reise nach Paris von der bewegenden Schönheit der Rheinlandschaften, und hätte es damals die sozialen Medien schon gegeben, aus dem Travel-Autor friedrich@rhein wäre vermutlich ein wirkmächtiger Influencer geworden. Gilt er doch als geistiger Vater der Rheinromantik – einem erzählerischen Nebenfluss der literarischen Romantikbewegung. Sein Kollege Victor Hugo, noch so ein berühmter Rheinreisender, fasste den dominanten Charme des Flusses perfekt zusammen, als er auf jener Strecke unterwegs war, die das Flusskreuzfahrtschiff gerade nimmt. Vorbei an St. Goar, Bacharach und Bingen. Die Landschaft, resümiert Hugo, sei »ernst, aber reizend.« Noch heute kann man auf dem Oberdeck seine Begeisterung für das Licht und die Luft dieser Gegend nachvollziehen – vor allem am frühen Morgen: »Die Landschaft durch dichten weißen Nebel verhüllt, dessen Ränder die Sonne vergoldete. Man konnte meinen, dass eine Wolke in das Tal heruntergefallen sei.« Der Schriftsteller entwickelte eine große Liebe zum Rhein und seinen Auen. Bei ihm hing das rechte Rheinufer »voller Weinreben und Schiefer«, letzte Sonnenstrahlen »röten die Höhen«, und die Stadt Bacharach sei ja sowieso »eine Art Wunderland am Rhein«, eine »Feenstadt, wo es von Sagen und Legenden wimmelt«.

Die sagenumwobene Loreley, die Schiffern die Sinne rauben soll, ist nur ein unscheinbarer Felsen, sieht aber in Stein gehauen schöner aus.

Man kommt mit dem Schauen und dem Zuhören kaum hinterher. Zwischen Braubach und Rüdesheim zählt der Reiseleiter zwanzig Burgen auf und garniert sie mit Geschichten. Erzählt von Burg Maus und Burg Katz, von Pfalzgrafen, mittelalterlichen Zollstationen und dem Faustrecht auf Burg Reichenstein. Er unterbricht sich selbst nur für eine Durchsage: »Achtung! Jetzt die Fotoapparate zücken!« Aus dem Mittagsdunst ragt die Loreley. Der Schieferfelsen im Mittelrheintal brachte so manchem Kapitän großes Unglück. Der Rhein ist hier tückisch. Felsen ragen spitz aus dem Wasser. Daran sind viele Schiffe zerschellt.

Heinrich Heine hat der Loreley 1824 ein Gedicht gewidmet, und auf dem Sonnendeck wird es zelebriert. Die Melodie von Friedrich Silcher scheppert aus dem Lautsprecher: »Ich glaube, die Wellen verschlingen, am Ende Schiffer und Kahn; und das hat mit ihrem Singen, die Loreley getan. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …« Für die beiden Australier wird die Geschichte übersetzt, sie staunen über die schaurige Sage. Und vielleicht um die Bedeutungsschwere etwas aufzuweichen, wird es heute Abend an Bord besonders juxig.

Nach dem Dinner bittet die Crew zur »Cruise Show«. Was auf großen Kreuzfahrtschiffen professionelle Unterhaltung mit Zauberern und Popbands bedeutet, wirkt auf dem kleinen Schiff etwas hausgemachter. »Albern, aber reizend« wäre – frei nach Victor Hugo – die richtige Umschreibung. Die gesamte Crew muss ran. Der Nachtwächter aus Sachsen gibt einen wackeligen Roy Black, der durchtrainierte Kellner spielt Sketche, und die langmütige Rezeptionistin zeigt Schauspieltalent. Die Polonaise zum Schluss könnte man dann wieder »very German« nennen, wäre da nicht der studierte Herr am Nachbartisch. Nein, sagt er, die Polonaise wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts an den Höfen des polnischen Kleinadels erfunden. Von wegen deutsch.

Unter dem Treiben an Bord fließt immer noch der Rhein, unbeeindruckt, zäh und nachtschwarz. Trägt, was er tragen muss, und bringt das Schiff passend zum Gute-Laune-Abend sicher in die Karnevalsstadt Mainz. Am Morgen wird neben der Theodor-Heuss-Brücke festgemacht. In den Parkanlagen blüht gerade der Götterbaum. Seine schwere Süße hängt in der Luft und parfümiert den Tag. Über die Brücke führt ein Fußgängerweg nach Wiesbaden. Von dort hat man den besten Blick auf die Mainzer Skyline: St. Peter, Sternwarte, Karmeliterkirche, Dom. Eine Beach-Bar reicht Cocktails zum Stadtpanorama – so lässt es sich aushalten. Erst um zwei Uhr in der Nacht legt das Schiff wieder ab, passiert in der Dunkelheit Kohlenschlepper und Containerschiffe auf dem Weg ins nimmermüde Mannheim mit den Titankränen, Industrieanlagen, Imbissbuden und der Wasserschutzpolizei. Zwischen dem Nibelungen-Hotspot Worms und dem Touristenidyll Altrip, das im Sommer per Fähre zum Fischessen lädt, ist Mannheim der Arbeiter, der rackert und ranschafft. Schön ist es hier nicht, eher grau, groß und metallisch. Das Alphatier Rhein zeigt sich noch mal von seiner protzigen Seite, bis schließlich der erste Frühstückskaffee auf dem Neckar gereicht wird. Und alles wieder schrumpft, eine Nummer kleiner, idyllischer und irgendwie heidelbergiger wird.

ALLES IST POSTKARTE

Ach ja, Heidelberg. Am Altstadtufer liegt das Schiff neben der barocken Alten Brücke, die für ihre Affenfigur berühmt ist. Schon 1481 sollte ein Brückenaffe, ausgestattet mit einem Handspiegel, die Menschen vor der Eitelkeit warnen. Heutzutage erledigt den Job ein moderner Artgenosse aus Bronze. Eine Gruppe Thailänderinnen reibt seine Pfoten, das soll Glück bringen und Geld in die Börsen spülen. Alles ist Postkarte hier: die Heiliggeistkirche, das berühmte Hotel der Tuchhändlerfamilie und die Sandsteinruinen des Heidelberger Schlosses zwischen Maulbeerbäumen. Souvenirläden verkaufen Spitzenfächer mit Alt-Heidelberg-Motiv, Bierkrüge und Sammelteller. Aber die Studierenden sind im Hier und Jetzt unterwegs. Die bestellen Minztee im arabischen Restaurant, belagern die Kneipenmeile oder treffen sich auf dem Leinpfad am Neuheimer Ufer auf einen Moijto aus der Dose.

Noch putziger als in Heidelberg geht es nur in Bad Wimpfen zu – dem letzten Halt des Schiffes vor dem Zielhafen in Stuttgart. Zwischen rosafarbenen Häuschen und Fachwerk erzählt die Stadtführerin in staufischer Tracht von Handsalbungen (ein wirklich schönes Wort für Bestechungsgelder), die dem nächtlichen Stadttorwächter regelmäßig angeboten wurden. Denn kam man nicht rechtzeitig, war das Tor über Nacht zu – was zu der bis heute bekannten »Torschlusspanik« führte. Auch sonst wird es ein Stadtrundgang der aufschlussreichen Art, und am Ende kann man in der Töpferei am Schwibbogen doch tatsächlich ein »Ohrkneifer-Hotel« erwerben. Das tönerne Hütchen ist mit Holzwolle gefüllt und soll den sonst eher unbeliebten Tieren ein Heim bieten. Als Gegenleistung fressen die dann alle Blattläuse von den Blättern. Strauchdiebe in erlaubter Mission.

Und apropos Diebe: Zum Abschluss gibt es an Bord noch einen »Piratenabend«. Die Kellner tragen Augenklappen und Totenköpfe auf ihren T-Shirts, und sonst eher zurückhaltende Männer malen sich mit Kajalstiften Bärte ins Gesicht. Manche tragen Tücher um den Kopf oder die Hüfte. Dem wackeren Bordmusiker an der Yamaha-Orgel fällt dazu »Seemann, deine Heimat ist das Meer« ein, und die Piraten schunkeln.

Man kann darüber lächeln – oder einfach mitmachen. Was schöner ist. Denn so eine Woche an Bord eines deutschen Minikreuzers mit viel Sechziger-Jahre-Nostalgie und wenig WLAN wirkt fast wie eine Ayurvedakur – durch und durch entspannend. So rundum entschleunigt fällt einem erst beim Abschied in Stuttgart ein, mal wieder online zu gehen, um die Mails zu checken. Da wartet sie, die elektronische Post. Und mit ihr die schnöde Gegenwart. Was ein bisschen schade ist.

REISEINFORMATIONEN

Reisezeit Die Monate von Mai bis September versprechen viele Sonnenstunden auf dem gut beschirmten Deck, alles blüht.

Flussfahrt Nicko Cruises Schiffsreisen GmbH (www.nicko-cruises.de) bietet diverse Flusskreuzfahrten auf dem Rhein und den Nebenflüssen an. Onlinebuchungen sind möglich.

Lektüre Elke Heidenreich, Alles fließt, Hamburg, 2018.

Das literarische Reisebuch beschreibt wortmächtig den Rhein.

Victor Hugo, Der Rhein, Berlin, 5. Auflage 2021.

Der Franzose hielt die Eindrücke seiner Rheinreisen 1839 und 1840 zeichnerisch und schriftlich fest. Er schildert Sagen, Märchen und Ruinen, Kindheitserinnerungen sowie die politischen Zusammenhänge.

An den sonnenbeschienenen Ufern der Themse ist Platz für Jung und Alt, beschauliche Ruhe und anregende Gespräche.

Themse

DER SOUNDTRACK ZUM FLUSS – AUF DEM THEMSEPFAD

Die Themse ist der zweitlängste Fluss Großbritanniens. Über 296 Kilometer folgt ihr ein offizieller Wanderweg. Der Themsepfad führt von der Quelle bei Kemble in Gloucestershire bis zum Sperrwerk in London. Wer sich zu Fuß aufmacht, kann die Etappen selbst einteilen. Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten gibt es unterwegs reichlich. Die Uferlandschaft erzählt je nach Abschnitt von Idyll, Exzentrik, von Grusel, fliegenden Schweinen und immer wieder von Musik. Den Themsepfad haben wir übrigens einem ausgestorbenen Gewerbe zu verdanken: Früher wurden die Schiffe auf dem Fluss getreidelt, das heißt, Pferde zogen sie von Land aus mit Seilen vorwärts.

VON KATRIN PARMENTIER

Wer entlang der Themse geht und es nicht allzu eilig hat, der kann hören, wie der Fluss klingt. Doch, wirklich. Oder es sich zumindest vorstellen. Immerhin sind wir im Mutterland des Pop unterwegs, und auch die sich ständig ändernde Uferlandschaft zwischen Schafweiden, Skylines und Docklands, scheint einem eigenen Soundtrack zu folgen.

Mal sieht alles nach weichgezeichnetem Folk aus, mal nach Jazz, Punk oder Barock. Der Fluss ist mit seinen 346 Kilometern zwar nicht der allerlängste, legt aber über weite Strecken große Auftritte hin. Außerdem ist der Weg gespickt mit Anekdoten über Musiker, Songschreiber und klassische Komponisten, die, vom Mythos inspiriert, Spuren hinterlassen oder der Szenerie ihren Stempel aufgedrückt haben.

Über 296 Kilometer kann man von West nach Ost dem Themsepfad folgen, einem offiziellen Wanderweg des National Trail, und immer wieder ins Staunen geraten. Darüber zum Beispiel: Dank der Gezeiten variiert der Wasserstand der Themse bis zu sieben Meter. Einmal am Tag liegt der Uferschlamm frei. Schatzsucher graben dann im Morast, und man glaubt, zwischen all dem graubraungrünen Schlamm, den Steinen und Scherben The Clash rufen zu hören: »I live by the river«. Und die Vögel kreischen dazu. Das läuft ab wie ein Film. Es sind solche Songs, die auf unserer Tour den Rhythmus vorgeben und das Leben am Fluss beschreiben. Sie ordnen die Themse wie ein Inhaltsverzeichnis, von sanft bis wild, von kaum sichtbar bis bräsig oder breitschultrig.

AM ANFANG ABER IST RUHE

Am Anfang aber ist Ruhe. Eine Wiese in Gloucestershire, die Cotswolds Hills, ein Zaun, ein Wegweiser aus Holz, ein großer Stein. Diese Minimalausstattung zeigt den Ursprung des mächtigen Flusses an, der hier, in Thames Head, klein anfängt. Also richtig klein, praktisch ist er gar nicht vorhanden. An der Oberfläche ist nur Gras zu sehen, kein Wasser. Die Quelle der Themse ist tiefergelegt und murmelt im Untergrund. Erst zwei Felder weiter fließt sie endlich an der Oberfläche, zaghaft aber motiviert: die »Babythemse«. Begleitet von Schafherden und Frühnebel knickt sie Grashalme, gluckert über Steine. Die erste Brücke nur ein Brettersteg, das erste Dorf, Gärten und Gatter. Zwischen Butterblumen picken Schwäne auf der Wiese, und wenn jetzt irgendwo die Goldmarie aus dem Märchen einen Apfelbaum schütteln würde, keiner wäre verwundert. Die Landschaft wirkt gezuckert wie in einem Liebesroman, und so kann man sich auch das Leben in den Cotswolds vorstellen. Man sieht aus dem Fenster eines Cottage, trägt Twinsets zu festem Schuhwerk und reicht den Nachmittagstee mit Clotted Cream, extradickem Rahm. Hinter hohen Thujahecken leben Kate Moss und Hugh Grant dezent vor sich hin, mehr »village«, mehr »lovely« geht nicht. Davon singt auch Mick Conner, ein vergessener Folkbarde der frühen 1980er-Jahre, in »The Cotswolds«: von Sehnsucht nach diesem Landstrich. Und sein Song klingt wie ein Sommermorgen zwischen Schäflein und Schwänlein, pluckpluck zupft die Gitarre, es ist herrlich hier, bezaubernd und sehr britisch.

TRADITIONEN UND SPLEENS

Die Halfpenny Bridge in Lechlade gilt als Beginn der schiffbaren Themse. Ab hier schlingert sie wie ein angetrunkener Teenager auch durch das prächtige Oxford. Wo Tweedjacketts und historische Gemäuer den Ton angeben, gibt es reichlich Traditionen und Spleens. Manche Studierende springen da nach den Prüfungen halbnackt in den Fluss oder bewerfen sich zum Examensende mit Glitzer und Pudding. Warum nicht? Die Rahmenbedingungen sind konservativ genug: am Ufer vor allem Boote, Rudermannschaften in bunten Leibchen, Sonnenschirme und ausladende Weiden, die ihre Zweige im Wasser versenken. Es gibt Waffeln, Eiscreme, und Deftiges zum Abendessen. Nicht umsonst wird die Stadt auch »city of dreamy pies« genannt. Die gefüllten Teigkuchen sind goldgelb und mit Kalbsragout oder Waldpilzen gefüllt. Besser schmecken nur die mit Thymian, Salbei und Bohnenkraut gewürzten Oxford-Sausages. Die Melodie zum Fluss ist so kernig wie die Mahlzeiten, komponiert von der bekanntesten Oxford-Band aus den 1990er-Jahren. Supergrass scheinen immer irgendwas von »wir sind jung, frei und alright« zu singen und liefern passgenaue Hymnen aufs Studentenleben.

Windsor und Eton liegen über die Themsebrücke nur einen Katzensprung voneinander entfernt.

Elitärer wird es in Eton, 50 Meilen flussaufwärts, wo die Themse nach einem Schlenker über Pangbourne das berühmte Collegestädtchen vom Nachbarort Windsor trennt. In Pangbourne wurde übrigens – das nur nebenbei – Kenneth Grahame, der Autor des Kinderbuchklassikers »Der Wind in den Weiden«, geboren. Um die Ecke steht das Mapledurham House, angeblich die Inspiration zu Toad Hall, dem Anwesen des eitlen Kröterichs. Zeichner Ernest Shepard, der auch »Pu der Bär« illustrierte, soll Mapledurham als Vorlage genutzt haben – ein mächtiges Herrenhaus für den Angeber Mr. Toad, der mit seinem Lifestyle heute bestimmt viele Follower hätte.

Aber zurück nach Eton, wo, abseits von ernsthaften Studien der sehr englische Nachtisch Eton Mess, ein Matsch aus Früchten, Baiser und Eiscreme, erfunden wurde. Dass auch der Brexit als Eton Mess bezeichnet wird, weil so viele der agierenden Politiker in Eton studiert haben, ist dem treffsicheren britischen Humor zu verdanken. Zwanzig englische Premierminister, inklusive Boris Johnson, studierten am College, das nur männliche Studenten aufnimmt und ihnen eine Jahresgebühr von rund 50.000 Euro in Rechnung stellt.

Vom royalen Leben auf Schloss Windsor können die meisten Menschen nur träumen.

Das royal geprägte Windsor liegt am gegenüberliegenden Ufer und ist per Fuß über die Windsor Bridge erreichbar. Hier residiert die königliche Familie in Windsor Castle, und am Bahnhof hat sich »The Queen« bereits zur Ruhe gesetzt – der alte Sonderzug gehörte einst Königin Victoria.

Den Sound zu Fruchtdesserts und adeligen Lokomotiven liefert der Jazzmusiker Humphrey Lyttelton, 1921 in Eton geboren. Sein »Bad Penny Blues« von 1956 klingt so aufgeräumt und gleichzeitig aufgekratzt wie die ganze geschichtsträchtige Umgebung. Altmodisch und doch wegweisend, wenn das irgendwie Sinn macht. Humphrey nahm seine Songs mit George Martin lange vor den Beatles in den Abbey Road Studios auf. Von ihm inspiriert, arbeiteten die Fab Four seinen Piano-Riff aus dem Penny Blues in ihren Hit »Lady Madonna« ein.

FAREWELL VORSTADTTRISTESSE

Noch einmal kann man durchatmen und das ländliche Idyll inhalieren, bevor alles langsam Richtung London steuert, durch Vororte wie Hounslow und Richmond. In Sachen Musik hat das ansonsten nur mäßig attraktive Hounslow einiges zu bieten. Hier kamen Phil Collins und Jimmy Page zur Welt, und in den 1960er-Jahren öffnete in der High Street ein Ricky-Tick-Club, in Südengland damals eine erfolgreiche Kette berüchtigter Beatschuppen. Heute verkauft ein Schnellimbiss in demselben Gebäude Brathühnchen, wo damals Jimi Hendrix und Pink Floyd für ein paar Shilling ihre Liveshows spielten, und der junge Stevie Wonder, nach seinem Auftritt, im hauseigenen Modeladen »Boutick« Samthosen kaufen ging. Sein »I‘m free, like a river« klingt nach großer Sehnsucht und funktioniert als Farewell an die Vorstadttristesse von Hounslow, diesen Mix aus Chinese Takeaways, Nagelstudios und endlosen Reihen »terraced houses«, kleiner brauner Backsteinhäuser.

Im benachbarten Richmond reihen sich – viel putziger – anarchisch schrammelige Hausboote aneinander. Mit Dachterrassen, Blumenkübeln und Liegestühlen an Deck. Der Weg in die Innenstadt führt durch Chiswick und Barnes, wo eine blaue Plakette vom Spätromantiker Gustav Holst erzählt, der Anfang des 20. Jahrhunderts hier lebte und komponierte. Seine »Somerset Rhapsody« untermalt den Auftritt der Hammersmith Bridge, die in sanften Rundungen über dem Wasser zu schweben scheint. Sie gilt vielen als die schönste und am aufwendigsten ornamentierte Themsebrücke. Auf einer Terrasse serviert das Café im Ruderklub Sausage Rolls zu starkem Kaffee. Männer tragen umgedrehte Kanus auf dem Kopf, Boote ziehen vorbei.

GROSSSTADTGEFÜHLE

Und während der Fluss ab hier immer breiter durch London grätscht, werden Großstadtgefühle wach. Bald baut sich die Battersea Power Station am Südufer gegenüber Chelsea und Pimlico auf. Das Ziegelsteingebäude mit den vier Schornsteinen war früher als Kohlekraftwerk in Betrieb. 1977 wurde es weltberühmt, als Pink Floyd für ihr Plattencover zum Album »Animals« ein Schwein darüberfliegen ließen. Natürlich hat man sofort das zirkusorgelhafte Intro und die schneidende Gitarre von »Pigs« im Ohr, der Progressive-Rock-Song macht den Weg frei, direkt ins Herz, ins Innere von London. »Big man, pig man, haha, charade you are«.

Die Scharade, die große Inner-City-Glittershow, geht jetzt richtig los: Hinter der Lambeth Bridge präsentiert sich die Stadt als makellose Fototapete für Smartphone-Kameras. An der Waterloo Bridge buhlen alte und neue Sightseeing-Schwergewichte wie The Shard, St Paul’s Cathedral, das London Eye oder Big Ben um Aufmerksamkeit. Reiseführer aus aller Welt arbeiten sich an ihnen ab. Besser für das Flussgefühl: unterhalb der Brücke in Wassernähe bleiben, den Text zu »Waterloo Sunset« von den Kinks im Ohr haben und mit Ray Davies notieren: »Dirty old river, must you keep rolling … Taxi light shines so bright.«

Und apropos schmutziger Fluss: Die Themse war immer auch ein Ort für finstere Machenschaften und arme Schlucker. Oft sind es leicht zu übersehende Plätze wie das dunkle Stück Themsepfad unter der Blackfriars Bridge, die die besten Geschichten erzählen. Wer früher zur Blackfriars fuhr, der wollte wahrscheinlich seine Sozialhilfe bei der DHSS (Department of Health und Social Security) abholen, die von 1968 bis 1988 dafür zuständig war. In den Thatcher-Jahren bot das bisschen Geld oft die Grundlage für ein einigermaßen stabiles Künstlerleben. Man kaufte sich in dem Sandwichshop links vor der Brücke Cheddar und Pickle auf Toast und holte den wöchentlichen 26,50-Pfund-Scheck ab. Im DHSS-Gebäude waren die Bänke und Stühle fest im Boden verschraubt, damit keiner der Kunden sie zu Wurfgeschossen umfunktionierte. Sogar das glamouröse Popduo Wham mit Sänger George Michael dichtete 1982 noch im Working-Class-Stil: »I am a soul boy, I am a dole boy«. Mit Dole war das Arbeitslosengeld gemeint, für das man an der Blackfriars Bridge auch anstehen konnte. »I may not have a job, but I have a good time… I said D-H-S-S.« Ein Lifestyle aus schmalen Budgets und dicken Posen.

Was wäre die Themse ohne Ruderboote – und ohne das jährliche Boat Race der Universitäten Cambridge und Oxford.

DUNKLE GEWÄSSER

Bessergestellt als der junge George Michael, wenn auch nur finanziell, war vermutlich jener Mann, der im gleichen Jahr unter der Brücke ums Leben kam. Roberto Calvi war ein Mailänder Banker mit zwielichtigen Verbindungen. Er tätigte Geschäfte für die Mafia und den Vatikan und wurde »der Banker Gottes« genannt. Der gute Draht nach oben nützte ihm wenig: Calvi wurde in einer Juninacht erhängt unter der Blackfriars Bridge gefunden, bis zur Taille im Themsewasser baumelnd, die Taschen voller Ziegel und Zement. Die Zeiger seiner Armbanduhr waren stehen geblieben, und die Staatsanwaltschaft verbuchte das Ganze als Mordauftrag der sizilianischen Mafia.

Es ist nur eine der vielen gruseligen Geschichten, die die Themse in London umwehen. Fantasien werden auch durch entsprechende Romane angeregt. In »Das Geheimnis der Themse« gerät ein Paar nach einem Leichenfund am Ufer in Gefahr, und »Die Frau in der Themse« ist vermutlich tot und wird im eiskalten Wasser gesucht. Die Szenerie ist trotz allem poetisch beschrieben: »Eine dunkle Nacht begann aus dem Fluss aufzulodern und durch die Stadt zu kriechen, und der Kohlenebel lichtete sich zu einem wässrigen Grau.« Dass die weiblichen Hauptfiguren in diesen Büchern meistens Charlotte heißen, ist erstaunlich, aber vermutlich Zufall.

Auch im wahren Leben werden immer wieder Tote angespült, oder zumindest Teile von Toten. Wie der Torso von 1966, der noch heute in einem Youtube-Video diskutiert wird. Der verstümmelte Körper einer jungen Frau wird am Fuß der Flusstreppe in Wapping gefunden, das Verbrechen dem Serienmörder »Jack the Stripper« zugeordnet, aber nie aufgeklärt. Und nein, der Name ist kein Schreibfehler, sondern eine Verballhornung des berühmteren Jack the Ripper, der hundert Jahre zuvor sein Unwesen nahe der Themse trieb. Für True-Crime-Fans geben die dunklen Gewässer durch alle Zeiten etwas her.

Aber auch weniger unheimliche Fundstücke warten darauf, im Uferschlamm entdeckt zu werden. Der britische TV-Promi Johnny Vaughan begab sich in der Dokuserie »Mud Men« auf Schatzsuche mit sogenannten Mudlarks. Das sind Schlammbuddler, die mit Gummistiefeln, Gartenschaufeln und viel Geduld das Ufer der Themse nach Wertvollem oder Kuriosem absuchen. Schon im 18. und 19. Jahrhundert stöberten arme Kinder im Morast nach Brennholz oder Kohle. Weil der Unterschied im Wasserstand durch Ebbe und Flut so gewaltig ist, kann man einmal täglich im geschrumpften Fluss herumwaten. Was da alles zum Vorschein kommt: alte Silberringe, verrostete Gewehre und ganze Pub-Tische. Die Musik zur Buddelei spendieren The Clash. Der braune Matsch und der meist graue Bleihimmel darüber erinnern irgendwie an das apokalyptische Szenario von »London Calling«: »London is drowning and I live by the river«. Der Text basiert übrigens auf einer pessimistischen Folklore, die man sich einst am Tresen im Pub zuraunte: »Wenn die Themse irgendwann überläuft, geht ganz London unter.« Die Band filmte dazu in einer Dezembernacht ein verregnetes Video und spielte den Song auf einem Lastkahn unter der Albert Bridge.

An den geschäftig leuchtenden Bürotürmen der Londoner Docklands findet das Flussidyll der Themse ein Ende.

KULISSE FÜR HOLLYWOODFILME

Solche Lastenkähne sah man früher häufig, vor allem im Osten von London, den die Themse jetzt durchquert. In Rotherhithe, an den Surrey Quays und auf der Isle of Dogs, wo die Hafenarbeiter schufteten. Die Halbinsel, so sagt man, wurde nach den Hundezwingern Heinrich des Achten benannt. Heute stehen die einst so hartgesottenen Docklands als Sinnbild für die völlig veränderten Lebensbedingungen am Fluss. Statt Sozialwohnungen und Hafenbaracken, die noch in den 1980er-Jahren dominierten, werden Bürokomplexe und Wohntürme mit schicker Aussicht hochgezogen. Früher legten hier die Transportschiffe nach Belgien und Frankreich ab, mit Holzscheiten und Briketts beladen. Und die Isle of Dogs war ein guter Ort, um die weniger glanzvolle Seite der Themse kennenzulernen: Als bräunlich-schäumenden Arbeitgeber für Malocher, die in Greasy Spoons genannten Cafés Nierenkuchen mit Bratensoße aßen. Es war die eigensinnigbritische Welt vor der Globalisierung, vor Gastropubs und Frappuccino to go. Am Ausgang der U-Bahn-Stationen in East London schien stets ein scharfer Wind zu wehen, es gab karge weite Flächen, Grünbrachen und Housing Estates, die man am Abend höchstens für ein paar Pints im Fullers Pub verließ oder gar nicht. Am nächsten Morgen ging es früh wieder los, und zur Arbeiteruniform gehörte im East End das grobe Donkeyjackett aus blauem Wollfilz, an den Schultern mit schwarzem Plastik verstärkt. Es schützte vor Regen und schmutzigen Gegenständen, die auf den Schultern getragen werden mussten. Daher der Name: Ein Donkey, ein Esel, ist ja als Lastenträger bekannt.

Heute dient die Isle of Dogs, vor allem die Gegend um Canary Wharf, die inzwischen wie Klein-Manhattan aussieht, als Kulisse für Hollywoodfilme. Batman Christian Bale verkehrte im Restaurant »The Plateau«, Ralph Fiennes versuchte in »Der ewige Gärtner« im alten »Reuters Plaza« mehr über den Tod seiner Frau zu erfahren. In den 1960er-Jahren, als der Hafenbetrieb noch brummte, war die Gegend in vielen britischen Filmen zu sehen. Aber die alten Haudegen wurden immer weniger. So belud im Sommer 1970 ein gewisser Bob Roberts, seines Zeichens Schiffer und Folksänger, zum letzten Mal seine »Cambria«, eines jener kleinen Frachtsegelschiffe, die früher so zahlreich waren wie Flundern im Wasser. Und weil er als »der singende Kapitän« berühmt wurde, gibt es ihm zu Ehren die Schallplatte »Working River – Songs and Music of the Thames«. Traditionelle Lieder über Hafenarbeiter, Schiffe und die Working Class. Flüsse weltweit nennen sich ja gerne »the hardest working river«, und auch die Themse möchte da mithalten, zumindest musikalisch. »Strike for better wages« ist ein Protestlied des Dockarbeiterstreiks von 1889. Das vertonte Gedicht »The Wreck of the Princess Alice« erzählt vom Untergang eines Vergnügungsdampfers, bei dem 700 Passagiere ertranken. Die schönste Liebeserklärung an die Themse aber stammt von Ewan MacColl, dem Vater der berühmteren Sängerin Kirsty MacColl: »Sweet Thames Flows Softly«. Butterweicher Folk, oft gecovert, unter anderem von Sinead O’Connor. »I met my girl at Woolwich Pier. Beneath the big cranes standing.« Ein Lied über eiserne Kräne und zarte Gefühle.

Bei Woolwich endet der Themsepfad dann auch, nach 296 Kilometern. Den Fluss stört das kaum, er macht es sich bequem und fügt sich der Thames Barrier, einer gigantischen Sturmflutsperre. Wie ein futuristisches Bollwerk aus einem Star-Wars-Film ragt sie aus dem Wasser, unwirklich und kühn. Zehn silberglänzende Tore, jedes bis zu 1500 Tonnen schwer, bewachen den Fluss wie Bodyguards auf der ganzen Breite. Schiffe können passieren, kündigt sich aber eine Sturmflut von der Nordsee an, wird in nur 15 Minuten alles dicht gemacht.

Das ist ein dramatischer Schlusspunkt für den alten Treidelpfad, der in den Cotswolds so märchenhaft und rotwangig begann. Zur Wirkung bringt ihn am besten Händels »Wassermusik«, im Jahr 1717 eigens für die Themse komponiert. Als König George I. an einem heißen Tag im Juli eine Fahrt auf seiner Barke unternehmen wollte, bat er Georg Friedrich Händel vorab um musikalische Begleitung. Das Orchester fuhr auf einem Kahn dem König hinterher und spielte das frisch gesetzte Werk. Mit Geigen, Trompeten und Hörnern verabschiedet sich der Fluss ins Nirgendwo, Richtung Nordsee, überlässt Wildpflanzen und Vögeln die Logenplätze am Ufer. Und beim letzten Blick auf die Wellen fühlt man sich ein bisschen wie der Maulwurf aus »Der Wind in den Weiden«, als er seinen Fluss beschreibt: »So ein glattes, geschmeidiges, machtvolles Geschöpf, das wisperte und flüsterte … Alles rieselte und rann, funkelte und blendete, sprühte und schäumte.« Ein ganz normaler Nachmittag, hier unten, am Fluss. ■

REISEINFORMATION

Auskunft www.thames-path.org.uk

Reisezeit Zwischen April und Oktober bieten Frühling und Herbst – trotz manchmal nassen Wetters – besonders reizvolle Landschaftsimpressionen, außerdem sind weniger Spaziergänger und Wanderer unterwegs. Im Sommer ist es voller, aber auch an heißen Tagen sorgt die Nähe zum Fluss für ein frisches Lüftchen.

Einreise Touristen aus der EU benötigen für die Einreise nach Großbritannien einen Reisepass.

Anreise Per Flug geht es nach London Gatwick oder Heathrow, und weiter mit Zug oder Auto nach Kemble in Gloucestershire. Oder man wählt gleich Zug und Auto für die Anreise. In Kemble führt ein kurzer Fußweg zur Quelle in Thames Head.

Unterkünfte Als erste Station für eine Übernachtung nach der Anreise bietet sich das sechs Kilometer von Kemble entfernte Cirencester an: Stratton House Hotel & Spa (www.strattonhousehotel.com), The Old Brewhouse Bed & Breakfast (www.theoldbrewhouse.com) oder King’s Head Hotel (www.kingshead-hotel.co.uk). In Gloucestershire werden außerdem viele Cottages an Feriengäste vermietet.

Allein mit sich, dem Boot und dem Wasser bleiben nicht alle der vielen Kanuten auf der Loire.

Loire

DIE LOIRE – EINE TOUR DE FRANCE IM KANU

Eine Kanuwoche auf der Loire, dem bekanntesten Strom in Frankreich, knapp einhundert Kilometer flussabwärts: von Decize über die pittoresken Orte Nevers und La Charité-sur-Loire nach Cosne-Cours-sur-Loire. Das ist kein Selbstläufer, sondern eine echte Herausforderung. Weit weg liegen die berühmten Loire-Schlösser mit ihrem touristischen Hochbetrieb. Im Gegensatz dazu stehen hier Natur und Stille im Fokus. Erschöpft lässt man abends am Lagerfeuer und im Zelt den Paddeltag noch einmal an sich vorüberziehen: die Passagen am Grünsaum aus Auenwäldern und steilen Uferböschungen, die weiten Flussschleifen, kleinen Strudel, Sandbänke, die Tänze von Schmetterlingen.

VON ANDREAS DROUVE

»Willkommen im Loire-Dschungel!«, ruft Kanuguide Herbert, als die Paddler ein paar Kilometer vor La Charité-sur-Loire in einen Nebenarm der Loire abdriften. Der Strang verliert sich in engen Schleifen, zieht sich vorbei an Sandbänken, einem dichten Saum aus Grün. Treibholzstücke ragen wie winzige Drachenbuckel auf. Dann verbreitert sich der Fluss. Im Hintergrund zeichnet sich La Charité-sur-Loire ab. Geschafft, das Tagesziel. Eine halbe Stunde Fußmarsch vom Ort entfernt schlägt das Grüppchen das Camp auf.