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Sóren Kierkegaard

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Beschreibung

Søren Kierkegaard (1813-1855) gilt als Wegbereiter der Existenzphilosophie - einem Denken, das sich nicht mit abstrakt-theoretischen Problemen befasst, sondern mit der alltäglichen Frage nach dem Glück des Menschen. Kierkegaard schrieb allgemeinverständlich und persönlich, die Fachsprache der Philosophen war ihm ein Graus. Es gibt wenige Philosophen, die mit solch einer authentischen Intensität geschrieben haben wie Søren Kierkegaard. In seinem Hauptwerk "Entweder - Oder" von 1843 geht es um existentielle Fragen über die Liebe, den Sinn des Lebens und das Glück. Das vorliegende Buch wurde sorgfältig editiert und enthält Søren Kierkegaards Werk "Entweder - Oder" im Original-Wortlaut der deutschen Übersetzung.

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Entweder - Oder

VorwortVorwort von Søren KierkegaardErster Teil (A.) | DiapsalmataDie unmittelbar-erotischen Stadien oder das Musikalisch-ErotischeDer Reflex des Antik-Tragischen in dem Modern-TragischenSchattenrisseDer UnglücklichsteDie Wechsel-WirtschaftDas Tagebuch des VerführersZweiter Teil (B.'s Papiere) | Die ästhetische Gültigkeit der EheDas Gleichgewicht des Ästhetischen und Ethischen in der Entwicklung der PersönlichkeitUltimatumDas Erbauliche des Gedankens, daß wir vor Gott immer unrecht habenImpressum

Vorwort

Søren Kierkegaard (1813-1855) gilt als Wegbereiter der Existenzphilosophie – einem Denken, das sich nicht mit abstrakt-theoretischen Problemen befasst, sondern mit der alltäglichen Frage nach dem Glück des Menschen. Kierkegaard schrieb allgemeinverständlich und persönlich, die Fachsprache der Philosophen war ihm ein Graus. Es gibt wenige Philosophen, die mit solch einer authentischen Intensität geschrieben haben wie Søren Kierkegaard.

In seinem Hauptwerk „Entweder - Oder“ von 1843 geht es um existentielle Fragen über die Liebe, den Sinn des Lebens und das Glück.

Das vorliegende Buch wurde sorgfältig editiert und enthält Søren Kierkegaards Werk „Entweder - Oder“ im Original-Wortlaut der deutschen Übersetzung.

Vorwort von Søren Kierkegaard

Motto

Ist die Vernunft allein getauft?

Die Leidenschaften, sind sie Heiden?

Vorwort von Søren Kierkegaard Vielleicht wandelte dich, geneigter Leser, zuweilen ein kleiner Zweifel an, ob es mit dem bekannten philosophischen Satze sich ganz richtig verhalte: »Das Äußere ist das Innere, das Innere das Äußere«. Du selbst magst ein Geheimnis bei dir bewahrt haben, von welchem du dir sagtest: es sei dir in der Freude, die es birgt, oder seinem Schmerze, allzu wert, als daß du andere in dasselbe einweihen könntest. Dein Leben hat dich vielleicht mit Menschen in Berührung gebracht, von denen du ahntest, daß so etwas in ihnen vorgehe, ohne daß du, sei's mit Gewalt, sei's durch Überlistung, im stande warst, ihr Verborgenes ans Licht zu bringen. Vielleicht trifft von den angeführten Fällen keiner bei dir oder in deinem Leben zu, und dennoch ist jener Zweifel dir nicht unbekannt; hin und wieder schwebte er wie ein flüchtiger Schatten an deiner Seele vorüber. Ein solcher Zweifel kommt und geht, und niemand weiß, woher er kommt, oder wohin er fährt. Ich an meinem Teile war über diesen Satz der Philosophie von jeher ketzerisch gesinnt, und habe mich daher früh gewöhnt, so gut ich konnte, selbst Beobachtungen und Nachforschungen anzustellen. Ich fragte auch bei solchen Autoren nach, deren Anschauungsweise ich in diesen Dingen teilte. Kurz, ich habe gethan, was irgend in meiner Macht stand, um der Empfindung, welche philosophischen Schriften bei mir zurückließen, daß ihnen etwas fehle, abzuhelfen. Mit der Zeit ward das Gehör mein liebster Sinn. Denn sowie unsre Stimme die Offenbarung des für das Äußere einmal inkommensurablen Innern, so ist unser Ohr das Werkzeug, mit dem dieses Innere aufgefaßt wird, das Gehör der Sinn, durch den wir uns dieses aneignen. So oft ich nun einen Widerspruch entdeckte zwischen dem Gesehenen und dem Gehörten, jedesmal fand ich meinem Zweifel bestätigt, und meine Lust an eigner Beobachtung nahm hiedurch zu. Ein katholischer Beichtvater ist durch ein Gitter von dem Beichtkinde getrennt: er sieht nicht, er hört bloß. Und unter dem Zuhören gestaltet er sich allmählich selbst ein Äußeres, das dem Gehörten entspricht; also gerät er in keinen Widerspruch. Anders dagegen, wenn man zu gleicher Zeit sieht und hört, und dennoch ein Gitter zwischen sich und dem Redenden gewahrt. Das Resultat meiner zu solchem Zwecke angestellten Beobachtungen ist zu verschiedenen Zeiten ein sehr verschiedenes gewesen. Bald hatte ich das Glück auf meiner Seite, bald nicht; und Glück gehört immer dazu, um auf diesem Wege einige Ausbeute zu gewinnen. Indessen ging die Lust, meine Nachforschungen fortzusetzen, mir nie verloren. War ich in einem Falle nahe daran, meine Ausdauer zu bereuen, so krönte wieder in einem andern Falle das Glück meine Bestrebungen. Solch unerwartetes Glück war es, welches mich auf überaus seltsame Art in den Besitz der Papiere gesetzt hat, die ich hiemit mich beehre, dem lesenden Publikum vorzulegen. Mittels dieser Papiere bekam ich Gelegenheit, einen Einblick zu thun in das Leben zweier Menschen; und dieser Einblick bestärkte meinen Zweifel, daß das Äußere ohne weiteres auch das Innere sein solle. Besonders gilt dies von dem einen der beiden. Sein Äußeres stand mit seinem Inneren in völligem Widerspruch. Auch von dem andern gilt es bis zu einem gewissen Grade, sofern er nämlich unter einem ziemlich unbedeutenden Äußern ein bedeutendes Inneres verbarg.

Jedoch dürfte es das beste sein, daß ich der Ordnung halber zunächst erzähle, wie ich in den Besitz dieser Papiere gekommen bin. Heute ist es ungefähr sieben Jahre her, als ich bei einem Trödler hier in der Stadt einen s. g. Sekretär sah, der sogleich da erste Mal, da er mir in die Augen fiel, meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er war nicht von moderner Arbeit, ziemlich gebraucht; dennoch fesselte er mich. Für diesen Eindruck einen Grund anzuführen, ist mir unmöglich; aber etwas Ähnliches haben wohl die meisten in ihrem Leben erfahren. Mein täglicher Weg führte mich bei dem Trödler und seinem Sekretär vorüber; und niemals unterließ ich im Vorbeigehen einen Blick nach diese zu werfen. Allmählich bekam nun der Sekretär für mein Inneres eine Art Geschichte: ihn zu sehen, ward mir zu einer Notwendigkeit, und so schlug ich denn, wenn ein ungewöhnlicher Weg zu machen war, ihm zu Gefallen unbedenklich einen Umweg ein. Je öfter ich ihn betrachtete, desto stärkeres Gelüste erwachte, ihn zu besitzen. Ich sagte mir freilich das sei ein seltsames Gelüste, da ich solches Möbel schlechterdings nicht brauche. Es war Verschwendung, es anzuschaffen. Jedoch bekanntlich sind die Gelüste von sophistischer Natur. Ich machte mir bei dem Trödler ein Geschäft, fragte nach andern Dingen, und im Weggehen that ich flüchtig auf den Sekretär ein Gebot. Ich dachte, möglicherweise schlüge der Tödler ein; so wäre es ein Zufall gewesen, der das Möbel mir in die Hände spielte. Es geschah wirklich nicht des lieben Geldes wegen, daß ich mich so benahm; nein, ich that so meines Gewissens halber. Es mißlang: der Trödler war ungewöhnlich entschieden. Wiederum ging ich eine Zeitlang täglich vorüber und blickte mit verliebten Augen nach dem Sekretär. »Du mußt dich entschließen,« dachte ich; »gesetzt, er würde verkauft, so hättest du das Nachsehen; und selbst, wenn's dir glückte, seiner wieder habhaft zu werden, so wäre es doch immer nur hinterdrein, und du bekämest nie wieder von ihm den nämlichen Eindruck.« Mir klopfte das Herz, als ich bei dem Trödler eintrat. Der Sekretär wurde gekauft und sofort bezahlt. »Dieses soll das letzte Mal sein,« dachte ich, »daß du so verschwenderisch bist! Ja, es ist ein Glück, daß du ihn gekauft hast; denn so oft du ihn ansiehst, wirst du daran denken, wie verschwenderisch du gewesen bist; mit dem Sekretär soll in deinem Leben, deinem Haushalt ein neuer Abschnitt beginnen.« – Ach, das Gelüste weiß schöne Worte zu machen, und die guten Vorsätze sind immer bei der Hand.

Der Sekretär wurde also auf mein Zimmer gesetzt; und sowie ich während der ersten Zeit der Verliebtheit meine Freude daran hatte, von der Straße her zu betrachten, so wandelte ich jetzt zu Hause an ihm vorüber. Nach und nach lernte ich sein ganzen reichen Inhalt kennen, seine vielen Schubläden und Versteckte; und in jeder Hinsicht freute ich mich an meinem Schreibtisch. Doch sollte es nicht so fortgehen. Im Sommer 1836 erlaubten mir meine Berufsarbeiten, auf acht Tage eine kleine Landpartie zu machen. Der Postillion war zu Schlag 5 Uhr früh bestellt. Was ich an Effekten mitzunehmen hatte, war am Abend vorher eigepackt: alles war in Ordnung. Schon um 4 Uhr erwachte ich; aber das Bild der schönen Landschaften, die ich besuchen sollte, wirkte auf mich so berauschend, daß ich wieder in Schlummer oder ins Träumen versank. Mein Diener mochte mir vermutlich gern allen Schlaf gönnen, den ich bekommen könne, denn erst um 6 1/2 Uhr ruft er mich. Der Postillion bläst schon; und obgleich sonst gerade nicht geneigt, den Befehlen andrer zu gehorchen, habe ich doch immer mit einem Postillion und seinen so poetisch klingenden Weise eine Ausnahme gemacht. Schnell war ich in meinen Kleidern; ich stand schon in der Thür, als mir einfiel: Hast du auch Geld genug in deinem Taschenbuch? Hierin fand sich nicht viel. Ich schließe den Sekretär auf, um meine Geldschublade herauszuziehen, und mitzunehmen, was der Hausstand vermag. Siehe, da will die Schublade sich nicht rühren. Vergeblich ist jedes angewandte Mittel. Wie fatal! gerade in dem Augenblicke, als in meinen Ohren noch die lockenden Klänge des Posthorns widerhallen, auf solche Hindernisse zu stoßen! Das Blut stieg mir zu Kopfe; ich wurde erbittert. Sowie Xerxes das Meer peitschen ließ, so beschloß auch ich jetzt eine schreckliche Rache. Ein Handbeil wurde herbeigeholt. Mit diesem brachte ich dem Sekretär einen Hieb bei, der zum Entsetzen war. Schlug ich fehl in meinem Jähzorn, oder war die Schublade ebenso starrsinnig, wie ich, genug, die beabsichtigte Wirkung blieb aus. Dagegen geschah etwas anders. Hatte mein Hieb gerade auf die Stelle getroffen, oder that es die Erschütterung in der ganzen Architektur des Sekretärs? ich weiß es nicht; aber so viel weiß ich, daß eine geheime Thür aufsprang, welche ich bisher nie bemerkt hatte. Diese gehörte zu einem Verschluß, dessen ich natürlich ebensowenig je gewahr geworden war. Hier fand ich nun zu meiner großen Überraschung eine Masse Papiere – eben die Papiere, die den Inhalt gegenwärtiger Schrift ausmachen. Mein Plan blieb derselbe. Auf der ersten Station wollte ich eine Anleihe machen. In größter Eile wurde ein Mahagonikasten, in welchem sonst ein Paar Pistolen zu liegen pflegte, ausgeleert, und die Papiere hier deponiert. Die fröhliche Stimmung hatte gesiegt, und einen unerwarteten Zuwachs erhalten. In meinem Herzen bat ich den Sekretär und Verzeihung ob der unsanften Verhandlung, während ich in meinem vorigen Zweifel und in der Ansicht bestärkt wurde, daß das Äußere doch nicht das Innere sei, und mein Erfahrungssatz bekräftigt, daß Glück dazu gehört, solche Entdeckungen zu machen.

In der Mitte des Vormittags erreichte ich Hilleröd, das zwischen Meer und Wald gelegene, brachte meine Finanzen in Ordnung und ließ mich von der herrlichen Gegend hinnehmen. Schon am folgenden Morgen trat ich meine Exkursionen an, welche jetzt einen ganz andern Charakter annahmen, als ich ursprünglich gedacht hatte. Mein Diener folgte mir mit dem Mahagonikasten. Ich suchte mir eine romantische Stelle im Walde aus, wo ich gegen eine Überraschung so geschützt wie möglich lag. Hier holte ich denn meine Dokumente hervor. Mein Wirt, welcher auf diese häufigen Wanderungen in Gesellschaft des Mahagonikastens aufmerksam geworden war, meinte: ich übte mich vielleicht im Pistolenschießen. Für diese Äußerung war ich ihm verbunden und ließ ihn in seinem Glauben.

Ein flüchtiger Blick in die entdeckten Papiere ließ mich ohne Mühe erkennen, daß sie zweierlei Schichten bildeten, deren Verschiedenheit auch in ihrem Aussehen ausprägt war. Die eine Hälfte war auf eine Art Postvelin geschrieben, in Quatro, mit ziemlich breitem Rand. Die Handschrift war leserlich, zuweilen sogar etwas zierlich, an einzelnen Stellen etwas beschmutzt. Die andere war auf ganzen Bogen Amtsstuben-Papiers mit gespalteten Kolumnen geschrieben, so wie gerichtliche Aktenstücke und anders der Art geschrieben wird. Die Handschrift war deutlich, etwas langgezogen, einförmig und gleichmäßig; sie schien von einem Geschäftsmanne herzurühren. Auch dem Inhalte nach erscheinen die Abteilungen verschiedenartig. Die erste enthielt eine große Anzahl größerer und kleinerer ästhetischer Abhandlungen; die zweite bestand aus zwei längeren Untersuchungen und einer kürzeren, sämtlich von ethischem Inhalte, wie es mir vorkam, und zwar in Briefform. Bei genauerer Durchsicht fand ich diese Verschiedenheit vollkommen bestätigt. Die zweite Schicht Papiere besteht nämlich aus Briefen, geschrieben an den Verfasser der ersten Hälfte.

Es wird jedoch nötig, einen kürzeren Ausdruck zur Verzeichnung der zwei Verfasser zu finden. Zu diesem Zwecke habe ich die Papiere sehr sorgfältig durchmustert, aber nichts, oder so gut wie nichts, oder so gut wie nichts gefunden. Was den ersten von den beiden Verfassern, den Ästhetiker, betrifft, so findet sich über seine Person gar keine Auskunft. Hinsichtlich des andern, des Briefschreibers, erfährt man, daß er Wilhelm gehießen hat und Gerichtsassessor war, ohne daß jedoch angegeben wird, an welchem Gericht. Wollte ich mich nun genau dem Gegebenen anschließen und ihn Wilhelm nenne, so würde mir doch für den ersten eine dementsprechende Beziehung fehlen: ich müßte ihm willkürlich irgendeinen Namen beilegen. So habe ich's denn für das beste gehalten, den ersteren A. zu nennen, den zweiten aber B.

Außer den im ersten Konvolut befindlichen Abhandlungen fand sich, zwischen die Papiere eingestreut, eine Menge Zettel oder Papierschnitzel, auf welchen Aphriorismen, lyrische Ergüsse, Reflexionen geschrieben standen. Schon die Handschrift bewies, daß sie jenem A. gehörten, und der Inhalt bestätigte das.

Ich suchte nun die Papiere aufs beste zu ordnen. Mit B.s Handschrift war dies leicht geschehen. Ein Brief weist auf den andern zurück. Indem zweiten Briefe begegnet einem ein Citat aus dem ersten; der dritte Brief setzt zwei frühere voraus.

A.s Papiere zu ordnen, war nicht so leicht. Daher habe ich die Ordnung vom Zufalle bestimmen lassen; das will sagen: ich habe sie in Ordnung, in der ich sie vorstand, belassen, natürlich ohne entscheiden zu können, ob diese Ordnung chronologischen Wert, oder doch eine ideelle Bedeutung habe. Die Papierschnitzel lagen lose in dem Verschluß; ihnen mußte ich daher einen Platz anweisen. Und zwar ließ ich sie voranstehen, weil es mir vorkam, sie ließen sich am besten als die vorläufigen, sprühenden Funken dessen ansehen, was in den großen Aufsätzen mehr zusammenhängend entwickelt wird. Ich habe sie Diapsalma überschrieben und als eine Art Motto hinzufügt: ad se ipsum (d. h. zu sich selbst). Dieser Titel und dieses Motto sind gewissermaßen von mir, und doch nicht von mir. Von mir sind sie, sofern sie auf die ganze Sammlung angewandt sind; dagegen gehören sie eigentlich A. selbst: denn auf einem der Zettel stand das Wort: Diapsalma geschrieben und auf zweien die Worte: ad se ipsum. Auch einen kleinen französischen Vers, welcher über einem jener Aphorismen geschrieben stand, habe ich auf der Innenseit des Titelblattes abdrucken lassen, ähnlich wie A. selbst es öfter gemacht hat. Da nun die meisten Aphorismen einen lyrischen Zuschnitt haben, so hielt ich es für ganz angemessen, das Wort Diapsalma1 als Haupttitel zu verwenden. Sollte der Leser die Wahl eine unglückliche nennen, so bin ich der Wahrheit schuldig zu bekennen, daß sie mein Einfall ist, daß aber A. selbst das Wort von dem einzelnen Aphorism, über dem es zu lesen war, mit Geschmack gebraucht hat. Was die Aufeinanderfolge der Aphriorismen betrifft, so ließ ich den Zufall walten. Daß die einzelnen Äußerungen oft einander widersprechen, fand ich völlig in der Ordnung: denn das rührt von der wechselnden Stimmung her. Sie so zusammenzustellen, daß die Widersprüche weniger in die Augen fielen, schien mir der Mühe nicht wert. Ich folgte dem Zufalle; und ein Zufall ist es auch, welcher aber meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, daß der erste und der letzte Aphorismus einander einigermaßen entsprechen. Der eine ist gleichsam durchdrungen von der Empfindungen des Schmerzlichen, das darin liegt, ein Dichter zu sein; der andere genießt die Befriedigung, die es gewährt, die Lacher immer auf seiner Seite zu haben.

Was die ästhetischen Abhandlungen von A. angeht, so habe ich nichts Besondres in bezug auf sie hervorzuheben. Sie lagen alle druckfertig da; und soweit sie die eine und andere Schwierigkeit enthalten, muß ich sie für sich selbst reden lassen. Für meine Person habe ich zu bemerken, daß ich den griechischen Citaten, die sich hin und wider vorfinden, eine Übersetzung hinzugefügt habe, die ich dem einen oder andern der besseren deutschen Übersetzer entlehnt habe.

Das letzte der A.-Papiere ist eine Erzählung, betitelt: »Des Verführers Tagebuch.« Hier stoßen wir auf neue Schwierigkeiten, sofern A. sich als Verfasser angibt, sondern nur als Herausgeber. Das ist ein alter Novellistenkniff, gegen welchen ich nichts weiter einzuwenden hätte, würde nur nicht meine Stellung zur Sache dadurch so verwickelt: denn nun liegt der eine Autor hier in dem andern, gerade wie die Schachteln in dem chinesischen Schachtelspiel. Näher zu erörtern, was mich in meiner Meinung bestärkt, ist hier nicht am Orte; nur so viel will ich bemerken, daß die in A.s Vorwort herrschende Stimmung einigermaßen den Dichter verrät. In der That scheint dem A. von seiner einigen Dichtung bange geworden zu sein, so daß sie, einem unruhigen Traume gleich, ihn zu ängstigen fortfährt, auch während sie erzählt wird. War es eine wirkliche Begebenheit, deren Mitwisser er gewesen, nun, so ist es mir auffallend, daß jene Vorrede nichts von einer Freude merken läßt, nämlich darüber, die Idee, welche ihm öfter vorgeschwebt hatte, hier realisiert zu sehen. Angedeutet findet sich die Idee des Verführers sowohl in dem Aufsatze über das Unmittelbar-Erotische, wie auch in »den Schattenrissen«, jene Idee nämlich, daß der Gestalt des Don Juan ein solch reflektierter Verführer entspreche, wie er in die Kategorie des »Interessanten« gehöre, wonach also nicht in Frage komme, wie viele er verführt, sondern wie er's anfängt. Von einer derartigen Freude finde ich in der Vorrede keine Spur, wohl aber, wie bemerkt, ein Zittern, einen Schauder, welcher gar wohl seine Ursache in dem dichterischen Verhältnis zu jener Idee haben kann. Und daß es dem A. so ergangen ist, wundert mich nicht: denn auch mir, der doch mit dieser Erzählung gar nicht zu thun hat, ja von dem ursprünglichen Verfasser durch zwei Glieder entfernt ist, auch mir selbst ward zuweilen ganz seltsam zu Mute, wenn ich in der Stille der Nacht mich mit diesen Papieren beschäftigt hatte. Es war mir, als wandle der Verführer einem Schatten gleich durch mein Zimmer, als hefte er auf mich einen dämonischen Blick und spreche: »Nun, Sie wollen meine Papiere herausgeben! Das ist übrigens von Ihnen unverantwortlich: Sie jagen ja alle lieben Mädchen Angst ein. Indessen, wie sich von selbst versteht, dafür machen Sie mich und meinesgleichen unschädlich. Darin, mein Herr, irren Sie sich jedoch: denn ich verändere nur die Methode: dadurch werden meine Chancen nur verbessert. Wie laufen einem die kleinen Fräulein scharenweis in die Arme, sobald sie den verführerischen Namen: ein Verführer! zu hören bekommen. Geben Sie mir ein Halbjahr: und ich bringe eine Geschichte zuwege, die interessanter sein soll, als alles, was bisher erlebt habe. Ich stelle mir ein junges, entschlossenes, geniales Mädchen vor, wie sie die ungewöhnliche Idee faßt, ihr ganzes Geschlecht an mir zu rächen. Sie meint, sie werde mich zwingen können, werde mich die Schmerzen unglücklicher Liebe kosten lassen. Sehen Sie, das ist gerade ein Mädchen für mich. Geht sie etwa selbst nicht genug auf ihre Idee ein, ich werde ihr schon zu Hilfe kommen. Ich werde mich winden wie ein Aal. Und habe ich sie auf den Punkt gebracht, wo ich sie haben will: dann gehört sie mir.«

Jedoch, vielleicht habe ich schon meine Stellung als Herausgeber gemißbracht, indem ich den Lesern meine persönlichen Betrachtungen aufdringe. Die Veranlassung muß zu meiner Entschuldigung dienen. Ich ließ mich eben hinreißen durch das Mißliche meiner Stellung, was darin liegt, daß A. sich nur als Herausgeber, nicht als Verfasser jener Erzählung bezeichnet.

Übrigens habe ich, jedoch nur in meiner Qualität als Herausgeber, über diese Erzählung etwas hinzuzufügen. Ich glaube nämlich eine Zeitbestimmung in ihr zu entdecken. Im Tagebuch findet sich hin und wieder ein Datum; was dagegen fehlt, ist eine Jahreszahl. Danach scheint's, daß nicht weiter zu kommen sei. Indem ich aber die einzelnen Datums mir genauer ansah, glaubte ich einen Wink zu gewahren. Freilich ist es ausgemacht, daß jedes Jahr einen 7. April, einen 3. Juli, einen 2. August etc. hat; aber nicht jeder 7. April fällt auf einen Montag. Ich habe nun nachgerechnet und gefunden, daß dieses Jahre 1834 zutrifft. Ob A. an dieses Jahr gedacht hat, kann ich nicht entscheiden, ich sollte es kaum glauben. »Also war Montag,« beginnt ein Stück der Erzählung, womit denn eine Zeitbestimmung gegeben wird. Dagegen ist jeder Versuch, den ich bisher anstellte, mit Hilfe derselben die Zeit der übrigen Abhandlungen zu bestimmen, mißlungen.

Was B.s Papiere betrifft, so ordnen sie sich leicht und natürlich. Dagegen habe ich mir erlaubt, sie zu betiteln, nachdem die Briefform den Verfasser gehindert hat, diesen Untersuchungen eine Überschrift zu geben, für welche ich also verantwortlich bin.

B.s Manuskript habe ich sorgfältig wie ein Aktenstück betrachtet. Selbst Soglosigkeiten, wie sie ja einem Briefschreiber begegnen, habe ich stehen lassen, und nicht im Berichtigen zu weit zu gehen. Wenn B. dafür hält, daß von hundert jungen Leuten, die in der Welt umherirren, 99 durch Frauen gerettet werden, und nur einer durch die göttliche Gnade, so sieht man leicht, daß er in der Rechnung nicht ganz genau gewesen ist, sofern er keinen Platz läßt für die, welche verloren gehen. Wie leicht wäre es gewesen, eine kleine Änderung vorzunehmen; ich meine aber, daß etwas weit Schöneres in B.s Fehlrechnung liegt. Und wenn er einmal einen griechischen Weisen Myson anführt, welcher das seltene Glück gehabt habe, unter die sieben Weisen gezählt zu werden: woher hatte er eine so ungewöhnliche Notiz? Nun, irrte nicht, da ich auf den alten Litterarhistoriker Diogenes von Laerte riet, daß dieser ihn etwas in die Irre geführt habe. Allerdings herrscht bei den Alten einige Unsicherheit darüber, welches die sieben Weisen gewesen seien. Jedoch habe ich's auch hier der Mühe nicht wert gefunden, etwas zu ändern. Es schien mir, daß seine Bemerkung, wenn auch nicht historischen, einen andern Wert hatte. –

Schon vor fünf Jahren hatte ich die Papiere so geordnet, wie sie jetzt vorliegen, und es war beschlossen, sie in Druck zu geben. Indessen fand ich es schicklich, noch einige Zeit zu warten, wofür gerade fünf Jahre mir als passendes Spatium erschienen. Diese fünf Jahre sind verlaufen, und ich knüpfe da wieder an, wo ich damals abbrach. – Daß ich kein Mittel, den Verfassern auf die Spur zu kommen, unbenutzt ließ, das bedarf für den Leser wohl keiner Versicherung. Der Trödler führte kein Buch, was ja auch selten von dieser Art Leuten geschieht. Wem das Möbel gehört habe, wußte er nicht; er meinte es auf einer gemischten Auktion gekauft zu haben. Die Erinnerung an meine vielen vergeblichen Versuche ist mir selbst verdrießlich genug: den Leser will ich mit der Aufzählung derselben nicht ermüden. In das Resultat kann ich dagegen den Leser in aller Kürze einweihen. Das Resultat war – nichts.

Ein Bedenken erwachte jedoch; ich spreche es offenherzig aus. Machte ich mich einer Indiskretion schuldig gegen die unbekannten Verfasser? Je vertrauter ich indes mit den Papieren ward, desto mehr schwand jenes Bedenken. Sie ließen nirgends auf eine oder andre Persönlichkeit raten. Vorausgesetzt raten. Vorausgesetzt also, daß die unbekannten Verfasser noch existierten, daß sie hier in der Residenz lebten, daß die unerwartete Bekanntschaft mit ihren eignen Papieren machten, so würde dennoch, falls sie selbst sich nur ferner schweigend verhielten, aus der Herausgabe nichts resultieren. Denn von diesen Papieren gilt es im strengsten Sinne, was man von allem Gedrückten zu sagen pflegt: sie schweigen.

Auch fiel mir ein, diese Papiere könnten als Geldwerte in Betracht kommen. Ein Honorar, als wäre ich der Verfasser, für mich zu beanspruchen, lag mir fern. Die Sache war indes geordnet. Sowie dort in der »Weißen Dame« die ehrlichen schottischen Bauern sich entschließen, das Gut zu kaufen, um es danach den Grafen von Evenel zu verehren, wenn diese einmal zurückkehren sollten, so beschloß ich, das mir als Herausgeber etwa bewilligte Honorar auf Zinsen zu legen, um es den unbekannten Verfassern, falls sie sich eines Tages melden sollten, nebst Zins und Zinseszinsen, zu überantworten. Der Leser wird über meine Naivität lächeln. Ist doch selbst in Dänemark ein Honorar, wie es dem Verfasser zu gute kommt, kein Landgut, und die Unbekannten müßten lange fortbleiben, wenn ihr Honorar, mit allen Zinsen, als Geldwert in Betracht käme. Mein Gewissensbedenken wurde somit auf die leichteste Weise gehoben.

Aber nur erübrigte noch eins: diesen Papieren einen Titel mitzugeben. Sollte ich sie bloß als »hinterlassene«, als »gefundene«, als »verloren gegangene« Papiere bezeichnen, und bekanntlich gibt's der Varianten noch mehr; aber keiner von diesen Titeln sagte mir zu. So habe ich mir denn eine Freiheit, einen Betrug gestattet, von welchem ich suchen werde, Rechenschaft zu geben. Unter der unausgesetzten Beschäftigung mit diesen Papieren ging mir ein Licht auf: man könnte ihnen eine neue Seite abgewinnen, wenn man sie als einem und demselben Menschen angehörig betrachte. Ich weiß recht wohl, was sich alles dagegen einwenden läßt: es sei ungeschichtlich, es sei unwahrscheinlich, ja ungereimt, daß derselbe Mensch beide Hälften verfaßt haben sollte, auch wenn der Leser sich zu dem Wortspiele versucht fühlen sollte, daß, wer A. gesagt, auch B. sagen müsse. Indessen habe ich meinen Gedanken nicht aufgeben mögen. Der Verfasser würde also dann ein Mensch sein, der in seinem eignen Leben beide Richtungen durchgemacht oder doch in beide sich hineingedacht hätte. A.s Papiere zeigen uns nämlich eine Reihe von Ansätzen und Anläufen zu einer Lebensanschauung, bloß vom ästhetischen Gesichtspunkte aus. Eine in sich zusammenhängende ästhetische Lebensanschauung läßt sich schwerlich vortragen. B.s Papiere enthalten eine durchgeführte ethische Lebensanschauung. – Je länger ich jenem Gedanken nachsann, desto klarer ward es mir, daß er sich wohl dazu eigne, den Titel zu bestimmen. Der Titel, den ich gewählt habe, drückt eben das Gesagte aus. Was der Leser etwa dadurch verliert, kann nicht von Belag sein. Er mag bei der Lektüre immerhin den Titel vergessen. Ist er mit der Lektüre fertig, alsdann kann er vielleicht an den Titel denken. Dieser wird ihn dann erlösen von Fragen, wie sie ihm zuletzt aufsteigen mochten: ist A. wirklich eines Besseren belehrt? hat er bereut? hat B. gesiegt? oder ist das Ende vom Liede etwa gewesen, daß B. zuletzt überging zu A.s Ansichten? In dieser Hinsicht haben nämlich diese Papiere keinen Abschluß. Findet man das nicht in Ordnung, so ist man doch nicht berechtigt zu sagen: Es ist ein Fehler! Man muß es eher ein Unglück nenne. Ich für mein Teil halte es für ein Glück. Findet man nicht zuweilen Novellen, in denen gewisse Personen sich einander entgegengesetzte Lebensansichten vorgetragen? Das Finale pflegt zu sein, daß eine den andern überzeugt. Während die entwickelte Anschauung für sich selbst sprechen sollte, wird der Leser mit dem geschichtlichen Resultate bereichert, daß der andre sich habe überzeugen lassen. Ich muß es für ein Glück halten, daß diese Papiere in jener Hinsicht keinen Aufschluß geben. Ob A. seine ästhetischen Abhandlungen geschrieben hat, nachdem er B.s Briefe empfangen, ob seine Seele, auch nach dieser Zeit, nicht abgelassen hat, sich in wilder Zuchtlosigkeit umherzutummeln, oder ob sie sich hat beruhigen lassen, darüber vermag ich gar keinen Aufschluß zu geben, da die Papiere keinen solchen enthalten. Auch findet sich nicht die leiseste Andeutung, wie's dem B. ergangen, ob er die Kraft besessen, seine höhere Anschauung festzuhalten, oder nicht. Hat man das Buch gelesen, so sind beide, A. sowohl als B., vergessen; nur die verschiedenen Anschauungen stehen einander gegenüber und erwarten keine schließliche Entscheidung in der einen oder andern bestimmten Persönlichkeit.

Weiter habe ich nichts zu bemerken; nur fällt mir ein, daß die geehrten Verfasser, wenn sie von meinem Vorhabenden wüßten, vielleicht den Wunsch haben würden, ihre Papiere mit einigen Worten an den Leser zu begleiten. Daher will ich ein paar Worte mit möglichst zurückhaltender Feder hinzufügen. A. würde wohl gegen die Herausgeber seine Papiere nichts einzuwenden haben; dem Leser würde er vermutlich zurufen: »Lies sie, oder lies sie nicht; du wirst beides bereuen.« Was B. sagen würde, möchte schwer anzugeben sein. Vielleicht würde er mir den einen oder andern Vorwurf machen, namentlich wegen der Veröffentlichung von A.s Papieren; er würde mich fühlen lassen, daß er seine Hände in Unschuld waschen könne. Nachdem er dies gethan, würde er vielleicht diese Worte an das Buch richten: »So gehe denn in die Welt hinaus; entziehe dich womöglich der Aufmerksamkeit der Kritik; besuche einen einsamen Leser zu guter Stunde; und solltest du auf eine Leserin stoßen, so möchte ich ihr sagen: Meine liebenswürdige Leserin, du wirst in diesem Buche einiges finden, was du vielleicht besser nicht wüßtest, anderes, was zu wissen dir wohl frommen dürfte. So lies denn jenes so, daß, nachdem du's gelesen, du sein könntest wie eine, die es nicht gelesen, das andre aber so, daß, nachdem du's gelesen, du sein könntest wie eine, die das Gelesene nicht wieder vergessen hat.« Ich als Herausgeber will nur den Wunsch hinzufügen, daß der Leser das Buch in einer guten Stunde vornehmen möge, und daß es der liebenswürdigen Leserin gelinge, den wohlgemeinten Rat B.s streng zu befolgen.

Søren Kierkegaard

Kopenhagen, im November 1842.

Grandeur, savoir, renommée,

Amitié, plaisir et bien,

Tout n'est que vent, que fumée:

Pour mieux dire, tout n'est rien.

Was ist ein Dichter? Ein unglücklicher Mensch, der heiße Schmerzen in seinem Herzen trägt, dessen Lippen aber so geartet sind, daß, während Seufzer und Geschrei ihnen entströmen, diese dem fremden Ohr wie schöne Musik ertönen. Es geht ihm, wie einst jenen Unglücklichen, die in Phalaris' Stier durch ein sacht brennendes Feuer langsam gemartert wurden, deren Geschrei nicht bis zu den Ohren des Tyrannen dringen konnte, ihn zu erschrecken: ihm klangen sie wie heitere Musik. Und die Leute umschwirrenden Dichter und sprechen zu ihm: »Sing uns bald wieder ein Lied;« das heißt: mögen neue Leiden deine Seele martern, und mögen deine Lippen bleiben, wie sie bisher gewesen; dein Schreien würde uns nur ängsten, aber die Musik, ja, die ist lieblich. Und die Rezensenten treten herzu und sprechen: So ist es richtig; so soll es gehen nach den Regeln der Ästhetik. Nun, das versteht sich, ein Rezensent gleicht einem Dichter auf ein Haar, nur daß er nicht die Pein im Herzen, nicht die Musik auf den Lippen hat. Siehe, darum will ich lieber Schweinehirte sein auf Amagerbro und von den Schweinen verstanden werden, als Dichter sein und von den Menschen mißverstanden werden.

* * *

Die erste Frage in dem ersten, dem kompendiösesten Unterrichte, den ein Menschenkind erhält, ist bekanntlich diese: Was soll das Kind haben? Die Antwort lautet: Da – da! Mit solchen Betrachtungen beginnt das Leben, und dennoch leugnet man die Erbsünde. Und wem hat dasselbe für die ersten Rutenstreiche zu danken? wem anders, als den Eltern!

* * *

Ich unterhalte mich am liebsten mit Kindern: denn von ihnen darf man doch hoffen, daß sie noch vernünftige Wesen werden; die es aber (so sagt man) geworden sind – o Jerum, Jerum!

* * *

Die Menschen sind doch unverständig. Von den Freiheiten, die sie besitzen, machen sie nie Gebrauch, fordern aber die, welche sie nicht besitzen. Denkfreiheit haben sie: sie fordern Redefreiheit.

* * *

Ich mag gar nichts. Ich mag nicht reiten: es ist für eine Motion zu stark; ich mag nicht gehen: es ist zu anstrengend; ich mag mich nicht niederlegen: denn entweder müßte ich liegen bleiben, und das mag ich nicht, oder ich müßte mich wieder erheben, und das mag ich erst recht nicht. Summa Summarum: ich mag gar nichts.

* * *

Bekanntlich gibt es Insekten, die im Augenblicke der Begattung sterben. So ist's mit aller Freude: der Moment des höchsten und herrlichsten Genusses im Leben kommt in Begleitung des Todes.

* * *

Probate Ratschläge für Autoren

Man schreibt seine Gedanken nachlässig nieder; man läßt sie drucken. Bei den verschiedenen Korrekturen wird man dann allmählich eine Menge guter Einfälle bekommen. Fasset daher Mut, die ihr euch noch nicht erkühnt habt, etwas drucken zu lassen. Auch Druckfehler sind nicht zu verachten; und witzig zu werden mit Hilfe von Druckfehlern, darf man als eine legale Manier ansehen, auf welche man es wird.

* * *

Überhaupt haftet allem Menschlichen diese Unvollkommenheit an, daß man erst mittels des Entgegengesetzten zum Besitze des Begehrten kommt. Ich will gar nicht reden von der Mannigfaltigkeit menschlicher Formationen, welche dem Psychologen am meisten zu schaffen macht (der Melancholische hat am meisten Sinn für das Komische, der Üppigste oft für das möglichst Idyllische, der Ausschweifende oft für das recht Moralische, der Zweifler ebenso für das Religiöse); sondern ich will nur daran erinnern, daß man erst durch die Sünde ein offenes Auge bekommt für die Seligkeit.

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Außer meinem sonstigen zahlreichen Umgangskreise habe ich noch einen intimen Vertrauten: meine Schwermut. Mitten, in meiner Freude, in meiner Arbeit, winkt er mir, ruft mich auf die Seite, auch wenn ich dem Leibe nach am selben Flecke bleibe. Meine Schwermut ist die treueste Geliebte, die ich kennen gelernt! Was Wunder, daß ich sie wieder liebe?

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Es gibt einen Aufmarsch von Räsonnements, welcher in seiner Endlosigkeit sich zu dem, was dabei herauskommt, geradeso verhält, wie die unübersehbare Reihe ägyptischer Könige zu der geschichtlichen Ausbeute, die man davon trägt.

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Das Alter verwirklicht die Träume der Jugend. Zeigt sich dies nicht an Swift? Er baute als Junge ein Tollhaus; in seinem Alter ging er selbst in ein solches.

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Sieht man, mit welchem hypochondrischen Tiefsinn die Engländer einer früheren Zeit entdeckt haben wollen, was für ein zweideutiger Vorgang es sei, welcher dem Lachen zu Grunde liege, so muß einem ganz ängstlich zu Mute werden. Dr. Hartley hat die Bemerkung gemacht: daß, wenn sich das Lachen zuerst bei Kindern zeigt, so ist es ein entstehendes Weinen, welches durch Schmerz erregt wird, oder ein plötzlich gehemmtes und in sehr kurzen Zwischenräumen wiederholtes Gefühl des Schmerzes (vgl. Flögel, Geschichte der komischen Litteratur Bd. I S. 50). Wie? wenn alles, was in der Welt vorgeht, auf ein Mißverständnis hinausliefe! Wie? wenn Lachen im Grunde Weinen wäre!

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Es gibt Fälle, wo es einen so namenlos schmerzlich berühren kann, einen Menschen ganz allein in der Welt dastehen zu sehen. So sah ich neulich ein armes Mädchen, das ganz allein zur Kirche ging, um konfirmiert zu werden.

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Cornelius Nepos erzählt von einem Feldherrn, der mit einer bedeutenden Reiterei in einer Festung eingeschlossen war, daß er alle Tage die Pferde peitschen ließ, damit sie von dem vielen Stillestehen nicht Schaden nähmen. So lebe ich in dieser Zeit wie ein Belagerter. Um aber nicht vom vielen Stillesitzen Schaden zu nehmen, weine ich mich müde.

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Ich sage von meinem Kummer, was der Engländer von seinem Hause sagt: Mein Kummer is my castle. Manche Menschen betrachten dies, daß sie einen Kummer haben, als eine der Einrichtungen in Haus und Leben, ohne welche ihnen nicht wohl wäre.

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Mir ist zu Mute, wie einem Steine im Schachspiel es sein mag, wenn der Mitspieler von ihm sagt: Der Stein kann nicht mehr gerückt werden.

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Daher hat die Lektüre des Öhlenschlägerschen »Aladdin« etwas so Erfrischendes, weil in diesem dramatischen Gedichte eine echt kindliche und geniale Kühnheit uns begegnet, welche sich auch in den allerflüchtigsten Wünschen ausspricht. Wie viele mag es wohl in unsern Tagen geben, die noch mit voller Wahrheit einen Wunsch, eine Bitte wagen, die es wagen, sich an die Natur, sei es mit einem kindlichen: Bitte! bitte! zu wenden, oder auch in der Raserei eines verlornen Individuums? – In unsern Tagen reden doch die Leute genug davon, daß der Mensch geschaffen sei nach Gottes königlichem Bilde: wie viele erheben denn in diesem Bewußtsein wahrhaft ihre Kommandostimme? Oder stehen wir nicht vielmehr alle da, wie jener »Nureddin«, machen unsre Bücklinge und Scharrfüße, und sind voller Angst, ob wir nicht zuviel verlangen, oder auch zu wenig? Oder setzt man nicht jedes großartige Begehren allmählich tiefer und tiefer herab, bis daraus eine krankhafte Reflexion hervorgeht über das eigne Ich? Mahnen wir nicht die Natur, nicht unser Geschick, nun, so mahnen und plagen wir uns selbst; und das ist's ja, wozu wir erzogen und angelernt werden.

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Verlegen stehe ich da, wie ein hebräisches (tonloses) Schwa, schwach und überhört, wie ein Dagesch lene, in der Stimmung eines Buchstabens, der mitten in der Zeile auf den Kopf gestellt ist, und dennoch eben so unmanierlich, wie ein Pascha von drei Roßschweifen, eifersüchtig auf mich selbst und meine Ge danken, wie die Bank auf ihre Notenausgaben, überhaupt so in mich selbst reflektiert, wie irgend ein pronomen reflexivum. Ja, sollte von Leiden und Sorgen dasselbe gelten, was von selbstbewußten guten Handlungen, daß die, welche sie thun, ihren Lohn dahin haben; ja, gälte dies auch von Sorgen, alsdann wäre ich der glücklichste Mensch: denn ich nehme alle Bekümmernisse voraus, und doch bleiben sie alle da.

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Unter anderm äußert sich die ungeheure poetische Kraft der National-Litteratur auch darin, daß sie so heftig nach Neuem begehrt. Hiermit verglichen ist die Begehrlichkeit des heutigen Geschlechts ebenso sündhaft, wie sie ermüdend ist. Sie begehrt, was des Nächsten ist. Jene ist sich gar wohl bewußt, daß der Nächste (etwa ein Nachbarvolk) das von ihr Gesuchte ebensowenig besitzt, wie sie selbst. Und begehrt sie geradezu in sündhaftem, gemeinem Sinne, dann wird ihr Gebaren so himmelschreiend, daß es die Menschen empört. Durch kühle Wahrscheinlichkeitsberechnungen eines nüchternen Verstandes läßt sie sich übrigens nichts entwinden. Noch schreitet Don Juan über die Bühne mit seinen 1003 Geliebten. Aus Ehrfurcht vor der alt-ehrwürdigen Tradition wagt niemand, die Rechnung zu belächeln. Hätte in unsern Tagen ein Dichter dieselbe gewagt, so wäre er ausgelacht worden.

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Wie eigen wehmütig wurde ich gestimmt, als ich einen armen Menschen durch die Straßen schleichen sah in einem ziemlich abgetragenen, hellgrünen, ins Gelbe spielenden Frack. Es that mir leid um ihn; was jedoch den stärksten Eindruck auf mich machte, war, daß die Farbe des Frackes mich so lebendig an die ersten Versuche erinnerte, die ich in meiner frühesten Jugend in der edlen Kunst der Malerei gemacht hatte. Eine meiner Lieblingsfarben war gerade jene Farbe. Ist es nicht traurig? diese Farbenmischungen, an welche ich heute noch mit so großer Freude zurückdenke, nirgends findet man sie mehr. Alle Welt findet sie grell, auffallend, nur noch anwendbar auf Nürnberger Spielwaren. Begegnet man ihnen einmal, alsdann soll jedesmal die Begegnung eine ebenso unerfreuliche sein, wie meine neuliche. Jedesmal soll es ein Irrsinniger, ein Verunglückter, kurz jemand sein, welcher sich fremd im Leben fühlt, und welchen die Welt nicht für voll gelten läßt. Und nun ich, der ich meine Helden immer mit jenem ewig unvergeßlichen hellgrünen Anstriche ihrer Kleidung gemalt habe! – Geht es nicht ebenso mit allen Farbenmischungen in unsrer Kindheit? Der Lichtglanz, den damals unser Leben hatte, wird mit den Jahren für unsre matten Augen zu stark, zu grell!

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Ach, die Thür des Glückes geht nicht nach innen, so daß man auf dieselbe losstürmen und sie aufdrücken könnte. Sie geht nach außen; man kann also nichts dabei machen.

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Mut habe ich zum Zweifeln, wie ich glaube, an allem; ich habe Mut, zu kämpfen, wie ich glaube, gegen alles und jedes; aber ich habe nicht den Mut, etwas zu erkennen, nicht den Mut, es zu besitzen, als mein eigen. Die meisten Menschen klagen darüber, daß die Welt so prosaisch sei, daß es im Leben nicht so zugehe, wie im Roman, wo die Gelegenheit immer so günstig sei. Ich klage darüber, daß es im Leben nicht ist, wie im Roman, wo man hartherzige Väter, Kobolde und Zauberer zu bekämpfen, verzauberte Prinzessinen zu befreien hat. Was sind doch alle diese Feinde zusammengenommen gegen die bleichen, blutlosen, lebenszähen, nächtlichen Scheinen, mit denen ich kämpfe, und die ich selbst ins Leben rufe!

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Wie ist meine Seele so dürre, mein Nachdenken so unfruchtbar, und doch beständig gepeinigt mit inhaltsleeren, oder lüsternen, oder qualvollen Bildern! Soll denn niemals das Zungenband des Geistes mir gelöst werden? soll ich immer nur lallen? Was ich bedarf, ist eine Stimme, so durchdringend, wie der Blick des Lynkeus, welcher durch Erde und Felsen hindurchdrang, erschreckend wie das Seufzen der Giganten, anhaltend wie ein Naturlaut, spottend wie ein eiskalter Windstoß, boshaft wie der herzlose Hohn des Echo, umfangreich vom tiefsten Baß bis zu der schmelzendsten Bruststimme, moduliert vom andächtigen Lispeln bis zur Energie der Raserei. Das bedarf ich, um Luft zu bekommen, um aussprechen zu können, was mir auf dem Herzen liegt, um bei den Menschen beides, sowohl Zorn als Sympathie, in Bewegung zu setzen. Aber meine Stimme ist heiser, wie der Schrei einer Möwe, oder hinsterbend, wie der Segen auf den Lippen des Stummen.

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Was wird geschehen? was wird die Zukunft bringen? Ich weiß nicht; ich ahne nichts. Wenn eine Spinne sich von einem festen Punkte aus in ihre Konsequenzen hinabstürzt, da sieht sie vor sich beständig einen leeren Raum, in welchem sie nirgends Fuß findet, wie sehr sie auch zappeln mag. Geradeso geht es mir. Vorn immer ein leerer Raum; was mich vorwärts treibt, ist eine Konsequenz, deren erster Anstoß hinter mir liegt. Dieses Leben ist ein verkehrtes und schreckliches, nicht zum Aushalten.

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Die schönste Zeit ist doch die erste Periode der Verliebtheit, wo man von jedem Zusammentreffen, von jedem gewechselten Blicke etwas Neues mitnimmt, worüber man zu Hause sich freuen kann.

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Meine Ansicht von diesem Leben ist eine völlig sinnlose. Ich nehme an, daß ein böser Geist ein paar Brillen auf meine Nase gesetzt hat, in welchen das eine Glas nach einem ungeheuren Maßstabe vergrößert, während das andre Glas nach eben solchem Maßstabe verkleinert.

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Ein Zweifler ist ein Memastigômenos (Gepeitschter). wie ein Kreisel hält er sich kürzere oder längere Zeit unter den Peitschenschlägen auf der Spitze. Stehen kann er nicht, so wenig wie der Kreisel.

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Von allen lächerlichen Dingen will es mir als das lächerlichste vorkommen, in der Welt emsig beschäftigt zu sein, ein Mann zu sein, der muntren Mutes und eilig bei seinem Geschäfte ist. Sehe ich denn, wie just im entscheidenden Augenblicke eine Fliege sich auf die Nase eines solchen Geschäftsmannes setzt, oder daß er von den Rädern eines Wagens über und über schmutzig wird, der ihm in noch größerer Hast vorbeijagt, oder die Schiffsbrücke vor ihm in die Höhe steigt, oder gar ein Ziegel herabstürzt und ihn zu Boden schlägt: da lache ich aus Herzens Grund. Und wer könnte sich des Lachens erwehren? Was richten sie wohl aus, diese eiligen Geschäftsleute? was haben sie davon? Geht es ihnen nicht, wie jener Frau, die in ihrer Verwirrung darüber, daß Feuer im Hause war, die Feuerzange rettete? Was ist es wohl Besseres und mehr, was sie aus der großen Feuersbrunst des Lebens retten?

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Mir fehlt überhaupt die Geduld zum Leben. Ich kann das Gras nicht wachsen sehen; wenn ich aber das nicht kann, so mag ich gar nicht dahin gesehen haben. Meine Anschauungen sind flüchtige Betrachtungen eines »fahrenden Schülers«, der in größter Hast durchs Leben stürzt. Man sagt: Gott der Herr macht den Magen eher satt als die Augen. Das vermag ich nicht zu merken. Meine Augen sind satt und alles Dinges überdrüssig, und doch hungert mich.

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Man frage mich, was man will! Nur frage man mich nicht nach Gründen. Einem jungen Mädchen vergibt man es, daß sie keine Gründe anzugeben weiß. »Sie lebt in Gefühlen,« heißt es. Anders mit mir. Im allgemeinen habe ich so viele und meistens einander widersprechende Gründe, daß es aus diesem Grunde mir unmöglich ist, Gründe anzugeben. Auch was Ursache und Wirkung betrifft, so will es mir scheinen, daß die eine mit der andern nicht zusammenhängt. Bald geht aus ungeheuren und gewaltigen Ursachen eine sehr geringfügige, eine unansehnlich kleine Wirkung hervor, zuweilen gar keine; bald erzeugt eine winzig kleine Ursache eine kolossale Wirkung.

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Und nun die »unschuldigen Lebensfreuden«! Das muß man ihnen lassen: sie haben nur einen Fehler, daß sie so unschuldig sind. Dazu soll man sie mit Maßen genießen. Wenn mein Doktor mir meine Diät vorschreibt, so läßt sich das hören: zu einer gewissen bestimmten Zeit enthalte ich mich bestimmter Speisen; aber noch diätetisch zu sein bei der Beobachtung der Diät – das ist wirklich zu viel verlangt.

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Das Leben ist mir ein bitterer Trank geworden, und dennoch muß ich ihn einnehmen wie verordnete Tropfen, langsam, zählend.

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Keiner kehrt von den Toten wieder; keiner ist anders in die Welt eingegangen, als weinend; keiner fragt einen, wann man hereinwill; keiner, wann man herauswill.

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»Die Zeit geht dahin«; »das Leben ist ein Strom« etc. So sprechen die Leute. Ich kann's nicht merken: die Zeit steht stille, und ich mit ihr. Alle die Pläne, die ich entwerfe, springen gerade so auf mich selbst zurück. Will ich ausspeien, so speie ich mir selbst ins Gesicht.

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Wenn ich morgens aufstehe, gehe ich sogleich wieder zu Bette. Ich befinde mich am besten des Abends, in dem Augenblicke, wenn ich das Licht ausblase, die Decke mir über den Kopf ziehe. Noch einmal richte ich mich empor, sehe mich mit einer unbeschreiblichen Zufriedenheit im Zimmer um, und so, gute Nacht, unter die Decke!

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Wozu ich tauge? Zu gar nichts, oder zu allem Möglichen. Das ist ein ungewöhnliches Geschick. Aber wird man's im Leben zu schätzen wissen? Gott weiß, ob die Mädchen einen Platz finden, welche eine Kondition suchen, sei's als allein dienende, oder im Notfall als »Mädchen für alles.«

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Rätselhaft muß man nicht allein andern sein, sondern auch sich selbst. Ich studiere mich selbst; bin ich dessen müde, so rauche ich zum Zeitvertreib eine Zigarre und denke: Gott der Herr weiß, was er eigentlich mit mir gemeint hat, oder was er aus mir machen will.

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Keine Kindbetterin kann wunderlichere und ungeduldigere Wünsche haben, als ich. Diese Wünsche betreffen bald die unbedeutendsten Dinge, bald die erhabensten; jeder ist aber, in gleich hohem Grade, momentan die Leidenschaft der Seele. In diesem Augenblicke wünsche ich einen Teller Buchweizengrütze. Ich erinnere mich aus meiner Schulzeit, daß wir alle Mittwochen Buchweizengrütze aßen. Ich erinnere mich, wie eben, wie weißschimmernd die Grütze angerichtet war, wie aus ihrem Zentrum die Butter mir zulächelte, wie der Anblick der Grütze so wohlthat, wie hungrig ich war, wie gespannt auf die Erlaubnis, anfangen zu dürfen. Solch ein Teller Grütze ! ich hätte mehr dafür gegeben, als mein Erstgeburtsrecht.

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Der Zauberer Virgilius ließ sich selbst in Stücke hauen und in einen Küchengrapen hineinthun, um acht Tage lang gekocht und durch diesen Prozeß verjüngt zu werden. Er stellte einen andern an, der aufpassen sollte, daß kein Unbefugter in den Graben hineingucke. Der Aufpasser konnte indes der Versuchung nicht widerstehen, es geschah vor der Zeit: Virgilius verschwand, als Kind, mit einem Schrei. Ich habe auch zu früh in den Grapen, die Retorte des Lebens und der geschichtlichen Entwickelung geguckt, und bringe es niemals weiter, als daß ich ein Kinde bleibe.

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»Niemals darf man den Mut verlieren; wenn die Trübsale sich am furchtbarsten über einem türmen, dann erblickt man in den Wolken eine hilfreiche Hand.« Also sprach Se. Wohlehrwürden Jesper Morten im letzten Nachmittagsgottesdienste. Ich bin nun gewohnt, mich fleißig unter freiem Himmel umherzutreiben; aber so etwas habe ich nie bemerkt. Vor einigen Tagen ward ich auf einer Tour über Feld solch ein Phänomen gewahr. Eigentlich war's wohl keiner Hand, eher einem Arme ähnlich, der sich aus dem Gewölke hervorstreckte. Ich versank in Nachdenken. Es fiel mir ein: wäre nur Jesper Morten jetzt zur Stelle, um zu entscheiden, ob er diese Erscheinung gemeint habe! – Wie ich so mitten in diesen Gedanken dastehe, werde ich von einem Wanderer angeredet, welcher, nach den Wolken emporzeigend, spricht: »Sehen Sie die Wasserhose? in diesen Gegenden sieht man sie seltener: sie reißt zuweilen ganze Häuser mit sich fort.« »Ih, Gott bewahre!« dachte ich, »ist das eine Wasserhose?« Und ich nahm Reißaus, so schnell ich konnte. Was hätte der ehrwürdige Pastor Jesper Morten an meiner Stelle gethan? –

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Laß andre darüber klagen, daß die Zeit böse sei: ich klage darüber, daß sie jämmerlich ist, denn sie ist ohne Leidenschaft. Die Gedanken der Menschen sind dünn, zart und hinfällig, wie Spitzen, welche selbst so bemitleidenswert sind, wie die armen Spitzenweberinnen. Ihre Herzensgedanken sind zu erbärmlich, um böse und sündhaft zu sein. Für einen Wurm würde es vielleicht als Sünde gelten können, solche Gedanken zu hegen, nicht für einen Menschen, welcher nach Gottes Bilde geschaffen ist. Ihre Lüfte sind gemessen und mattherzig, ihre Leidenschaften schläfrig. Sie thun ihre Pflicht, diese Krämerseelen, erlauben sich aber doch, hierin den Juden ähnlich, die Gold- und Silbermünzen ein bißchen zu beschneiden; sie mei nen, daß, auch wenn unser Herrgott noch so ordentlich Buch führe, man dennoch insgeheim ihn schon ein wenig anführen könne. Pfui über sie! Daher wendet meine Seele sich immer zum Alten Testamente und zu Shakespeare zurück. Da empfindet man doch: das sind Menschen, die da reden; da haßt man, da liebt man, bringt seinen Feind um, verflucht seine Nachkommen durch alle Geschlechter hindurch; da sündigt man.

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Meine Zeitteile ich so ein: die halbe Zeit schlafe ich, die andre halbe verträume ich. Während ich schlafe, träume ich niemals, das wäre Sünde; denn zu schlafen, das ist die höchste Genialität.

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Ein vollkommener Mensch zu werden, ist doch das Höchste. Nun habe ich Leichdörner bekommen: eine solche Plage, sie hilft doch immer an ihrem Teile mit.

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Mein Lebensresultat kommt hinaus auf ein reines Nichts, eine Stimmung, eine einzelne Farbe. Mein Resultat wird einigermaßen dem Gemälde jenes Künstlers ähnlich, welcher den Durchgang der Juden durchs rote Meer malen sollte, und zu dem Ende die ganze Wand rot anstrich, indem er erklärte: die Juden waren hinüber, die Ägypter ertrunken.

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Die menschliche Würde findet doch noch Anerkennung in der Natur: denn will man die Vögel von den Obstbäumen fern halten, so stellt man ein Etwas auf, das wie ein Mensch aussehen muß; und sogar die sehr entfernte Menschenähnlichkeit, wie eine Vogelscheuche sie darstellt, genügt, um Respekt einzuflößen.

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Wenn Liebe etwas zu bedeuten haben soll, so muß sie in ihrer Geburtsstunde vom Monde beschienen sein, sowie der Gott Abis, um für den wahren Abis zu gelten, im Mondeslicht glänzen mußte. Die Kuh, welche Apis gebar, mußte im Augenblick der Zeugung vom Monde beschienen sein.

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Der beste Beweis, den man für die Jämmerlichkeit des Daseins führt, ist derjenige, der von der Betrachtung seiner Herrlichkeit entnommen wird.

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Die meisten Menschen laufen so heftig dem Genusse nach, daß sie an ihm vorbeilaufen. Es geht ihnen, wie es jenem Zwerge ging, der eine entführte Prinzessin in seinem Schlosse bewachte. Eines Tages erlaubte er sich einen Mittagsschlaf. Als er eine Stunde darauf erwachte, war sie davon. Rasch zog er seine Siebenmeilenstiefel an: mit einem Schritte war er weit an ihr vorbei.

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Meine Seele ist so schwer, daß kein Gedanke sie mehr tragen und aufrecht halten kann, daß kein Flügelschlag sie zum Äther emporhebt. Setzt sie sich in Bewegung, dann streicht sie nur am Boden hin, wie die Vögel in ihrem niedern Fluge, sobald es in den Lüften braust und ein Unwetter droht. Auf meinem Innern lastet eine Beklemmung, eine Angst, wie die Ahnung eines Erdbebens.

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Wie leer und bedeutungslos ist das Leben! – Man begräbt einen Menschen, begleitet ihn zu Grabe, wirft drei Spaten voll Erde auf seinen Sarg. Dabei fährt man in der Kutsche hinaus, fährt in der Kutsche nach Haus, und tröstet sich damit, daß noch ein langes Leben vor einem liege. Wie lang ist es denn, wenn's auf 7×10 Jahre hinauskommt? Warum macht man's nicht lieber auf einmal ab? warum bleibt man nicht draußen und steigt mit hinab ins Grab, und wirft das Los darüber, wem das Unglück widerfahren soll, der Letztlebende zu sein, welcher die letzten drei Spatenwürfe besorge für den letzten Toten?

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Die Mädchen gefallen mir nicht. Ihre Schönheit vergeht wie ein Traum und wie das Gestern, wenn es gewesen ist. Ihre Treue – ja, ihre Treue! Entweder sind sie treulos – nun, dem denke ich nicht weiter nach – oder sie sind treu. Gesetzt, ich träfe eine solche, dann würde sie mir gefallen, in anbetracht, daß sie eine Seltenheit sei. Inanbetracht der Länge der Zeit würde sie mir nicht gefallen. Denn entweder bliebe sie beständig treu, und alsdann würde ich ja ein Opfer meiner experimentierenden Idee, sofern ich mit ihr aushalten müßte; oder es käme ein Zeitpunkt, wo sie aufhörte, es zu sein. Nun, dann hätte ich ja die alte Geschichte.

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Klägliches Schicksal! Vergebens schminkst du, gleich einer alten Kurtisane, dein runzliges Gesicht auf; vergebens betäubst du die Ohren mit Narrenschellen. Du langweilst mich; es ist doch immer dasselbe, idem per idem. Keine Variation, immer nur Aufgewärmtes. Komm, letzter Schlaf! komm, Tod! Du versprichst nichts, du hältst alles.

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Horch, zwei wohlbekannte Violinstriche! Diese zwei Violinstriche, hier in diesem Augenblick, mitten auf der Straße! Habe ich den Verstand verloren? ist es mein eignes Ohr, welches aus Liebe zu Mozarts Musik schon aufgehört hat, zuzuhören? Ist es ein Geschenk der Götter an mich Unglücklichen, der wie ein Bettler an des Tempels Thür sitzt? ein Ohr, das selber vorträgt, was es selbst vernimmt? Nur diese zwei Violinstriche: denn jetzt höre ich nichts weiter. Sowie sie in jener unsterblichen Ouvertüre aus tiefen Choralklängen hervorbrechen, so arbeiten sie sich hier aus dem Gelärme der Straße hervor, mit der vollen überraschenden Kraft einer Offenbarung. – Es muß doch hier in der Nähe sein: denn jetzt höre ich deutlich die leichte Tanzmelodie. – Also, ihr seid's, das unglückliche Künstlerpaar, dem ich diese Freude verdanke. – Der eine von ihnen, etwa siebzehn Jahre alt, trug einen grünen Kalmucksrock, mit großen Hornknöpfen. Der Frack war für ihn viel zu groß. Er hielt die Violine dicht unter dem Kinn; die Mütze war tief in die Augen gedrückt; seine Hand war unter einem fingerlosen Handschuh versteckt, die Finger von der Kälte rot und blau. Der andre war älter; er hatte einen Kutschermantel an. Sie waren beide blind. Ein kleines Mädchen, vermutlich ihre Führerin, stand vor ihnen, steckte ihre Hände unter ihr Halstuch. Allmählich sammelten wir wenigen Bewunderer dieser Töne uns umher: ein Postbote mit seinen Briefpaketen, ein kleiner Junge, ein Dienstmädchen, ein paar Lastträger. Die herrschaftlichen Karossen rollten lärmend vorüber; die Lastwagen übertönten diese Musik, welche in einzelnen Tönen auftauchte. – Unglückliches Künstlerpaar, wisset, daß diese Töne alle Herrlichkeit der Welt in sich schließen. – War dies nicht wie eine Ratsversammlung?

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In einem Schauspielhause geschah es, daß die Kulissen Feuer fingen; der Bajazzo trat vor, um das Publikum davon zu benachrichtigen. Man glaubte, es sei ein Witz, und applaudierte. Er wiederholte die Anzeige: man jubelte noch lauter. So, denke ich, wird die Welt unter allgemeinem Jubel witziger Köpfe zu Grunde gehen, die da glauben, es sei ein Witz.

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Worin besteht überhaupt die Bedeutung dieses Lebens? Teilt man die Menschen in zwei große Klassen, so kann man sagen: die eine arbeitet, um zu leben; die andre hat dies nicht nötig. Aber zu arbeiten, um leben zu können, das kann ja nicht die Bedeutung des Lebens sein: denn es liegt doch ein Widerspruch darin, daß die unablässige Herbeischaffung der Bedingungen die Antwort auf die Frage sein soll nach der Bedeutung dessen, was dadurch bedingt wird. Das Leben der übrigen hat im allgemeinen auch keine Bedeutung, außer der einen, die Bedingungen desselben zu verzehren. Will man sagen, daß die Bedeutung des Lebens diese ist: einmal zu sterben, so scheint das gleichfalls ein Widerspruch.

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Der eigentliche Genuß liegt nicht in dem, was man genießt, sondern in der Vorstellung. Gesetzt, ich hätte zu meinen Diensten einen unterthänigen Geist, welcher, wenn ich ein Glas Wasser verlangte, mir von aller Welt Enden her die köstlichsten Weine, lieblich gemischt in einem Pokale, darbrächte: so würde ich ihn verabschieden, bis er lernte, daß der Genuß nicht in dem, was ich genieße, liegt, sondern darin, daß ich meinen Willen bekomme.

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Also bin ich nicht der Herr meines Lebens; ich bin mit einer der Fäden, die in den Kattun des Lebens hineingesponnen werden sollen! Nun immerhin: kann ich auch nicht spinnen, so kann ich den Faden doch durchschneiden.

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Alles will in der Stille erworben und schweigend in göttliches Wesen verklärt werden. Es gilt keineswegs nur von dem zu hoffenden Kinde der Psyche, die Zukunft desselben werde davon abhängen, daß diese im Schweigen verharrt.

Mit einem Kind, das göttlich, wenn du schweigst,

Doch menschlich, wenn du das Geheimnis zeigst.

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Ich scheine dazu bestimmt, alle möglichen Stimmungen durchleiden, Erfahrung in allen Richtungen machen zu sollen. In jedem Augenblicke liege ich da wie ein Kind, welches schwimmen lernen soll, weit ins Weltmeer hinaus. Ich schreie (was ich von den Griechen gelernt habe, von welchen man das Reinmenschliche lernen kann). Denn ich habe zwar ein Zugseil um den Leib; aber die Stange, die mich oben halten soll, erblicke ich nicht. Diese Art, Erfahrungen zu machen, ist schrecklich.

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Es ist merkwürdig genug, daß man sich durch die furchtbarsten Gegensätze eine Vorstellung machen kann von dem, was die Ewigkeit ist. Denke ich mir jenen unglücklichen Buchhalter, der von Sinnen kam aus Verzweiflung darüber, daß er in einer Abrechnung gesagt: 7 und 6 sei 14, und hierdurch den Ruin eines Handlungshauses herbeigeführt habe; denke ich mir, wie er einen Tag wie den anderen, von allem Übrigen unberührt, sich selber dieses Eine wiederholt: 7 und 6 ist 14, so habe ich ein Bild der Ewigkeit. – Denke ich mir eine üppige weibliche Schönheit in einem Harem, wie sie mit allen ihren Reizen auf einem Divan ausgestreckt liegt, ohne sich um irgend etwas in der Welt zu kümmern, so habe ich wiederum ein Bild der Ewigkeit.

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Was die Philosophen von der Wirklichkeit sagen, ist oft geradeso täuschend, wie wenn man bei einem Trödler auf einem Schilde liest: »Hier wird gerollt.« Käme man nun mit seiner Wäsche, um sie gerollt zu bekommen, so wäre man angeführt: denn das Schild steht da bloß zum Verkaufe.

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Für mich ist nichts gefährlicher, als – mich zu erinnern. Habe ich mich irgend eines früheren Verhältnisses erinnert, so hat das Verhältnis selbst aufgehört. Man sagt, daß Trennung dazu helfe, die Liebe aufzufrischen. Das ist durchaus wahr; aber diese wird dadurch auf rein poetische Art aufgefrischt. In der Erinnerung zu leben, ist das am meisten vollendete Leben, das sich denken läßt. Die Erinnerung befriedigt reichlicher, als alte Wirklichkeit, und sie hat eine Sicherheit, wie sie keiner Wirklichkeit eigen ist. Ein in der Erinnerung fortlebendes Verhältnis ist schon in die Ewigkeit übergegangen und hat kein zeitliches Interesse mehr.

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Müßte irgendein Mensch ein Tagebuch führen, so müßte ich es, und zwar, um meinem Gedächtnis etwas zu Hilfe zu kommen. Nach Verlauf von einiger Zeit geht es mir öfter so, daß ich völlig vergessen habe, welche Gründe mich zu diesem oder jenem vermochten, und das gar nicht nur in betreff geringfügiger Dinge, sondern der allerentscheidendsten Schritte. Fällt mir dann der Beweggrund ein, so kann er mitunter so sonderbarer Art sein, daß ich nicht einmal selbst es glauben mag, dieses sei der Grund gewesen. Ein solcher Zweifel würde beseitigt, wenn ich irgend etwas Geschriebenes hätte, mich daran zu halten. Ein Grund ist überhaupt ein sonderbares Ding. Sehe ich ihn mit meiner vollen Leidenschaft an, so wächst er empor zu einer ungeheuren Notwendigkeit, welche Himmel und Erde in Bewegung setzen kann; bin ich ohne Leidenschaft, dann blicke ich höhnisch lächelnd auf ihn herab. – Ich habe nun schon längere Zeit darüber spekuliert, welcher Grund mich eigentlich bewegen hat, meine Adjunktur (d.h. das Lehreramt an einer gelehrten Schule) niederzulegen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, so kommt es mir vor, daß eine derartige Anstellung just etwas für mich war. Heute ist mir ein Licht aufgegangen: der Beweggrund war eben die ser, daß ich mich für diesen Posten ganz besonders geschickt halten durste. Wäre ich damals in meinem Amte geblieben, so hätte ich alles einzusetzen und alles zu verlieren gehabt, nichts zu gewinnen. Deshalb sah ich es als das Richtigste an, meinen Posten aufzugeben und bei einer umherziehenden Schauspielergesellschaft ein Engagement zu suchen, aus dem Grunde, weil ich kein Talent hatte und also alles zu gewinnen.

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Es gehört doch eine große Naivität dazu, um zu glauben, es solle helfen, in der Welt zu rufen und zu schreien, als ob hierdurch jemandes Schicksal geändert würde. Man nehme es, wie es geboten wird, und stehe ab von allen Weitläufigkeiten. Kam ich als junger Mann in eine Restauration, so sagte ich auch, wie andre, zum Kellner: »Ein gutes Stück, ein recht gutes Stück, vom Rücken, nicht zu fett.« Der Kellner hörte vielleicht gar nicht meinen Rat, geschweige daß er ihn berücksichtigen sollte, geschweige daß meine Stimme bis in die Küche hineinbringen, den Vorschneider rühren sollte; und selbst, wenn alles dieses geschah, so war vielleicht an dem ganzen Braten kein gutes Stück. Jetzt rufe ich nicht mehr.

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Das soziale Streben und die dasselbe begleitende schöne Sympathie verbreitet sich immer mehr. In Leipzig hat sich ein Komitee gebildet, welches aus Sympathie mit dem traurigen Ende alter Pferde den Beschluß gefaßt hat, diese zu essen.

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Ich habe nur einen Freund; das ist das Echo. Und warum ist es mein Freund? Weil ich meinen Kummer liebe, und diesen nimmt es mir nicht fort. Ich habe nur einen Vertrauten, das ist die Stille der Nacht; und warum ist sie meine Vertraute? Weil sie schweigt.

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Sowie es, der Sage nach, dem (Pythagoräer) Parmoniskus ging, welcher in der throphonischen Höhle die Fähigkeit zu lachen verlor, aber auf Delos sie wiederbekam beim Anblick eines unförmlichen Klotzes, welcher als Bildnis der Göttin Leto ausgestellt wurde, gerade so ist es mir ergangen. Als ich sehr jung war, da verlernte ich in der throphonischen Höhle das Lachen; als ich die Augen aufschlug und die Wirklichkeit betrachtete, da fing ich an, zu lachen, und habe seit dieser Zeit hiermit nicht aufgehört. Ich habe gesehen, daß die Bedeutung des Lebens darin besteht, ein Brot, eine Verfolgung zu bekommen, das höchste Ziel darin, Justizrat zu werden; daß das heiße Verlangen der Liebe darauf hinausgeht eine gute Partie zu machen; daß der stetige Genuß der Freundschaft so viel heißt, als einander in Geldverlegenheiten auszuhelfen; daß die Weisheit nichts weiter ist, als was eben die meisten dafür gelten lassen; daß Begeisterung so viel heißt, als eine Standrede zu halten; daß der Mut sich darin bewährt, es darauf zu wagen, daß man in 10 Rbd. Mulkt verurteilt werde; daß Herzlichkeit bedeutet, nach einem Diner zu einander: »Wohl bekomm's! gesegnete Mahlzeit!« zu sagen; die Frömmigkeit darin, einmal im Jahre zum Abendmahl zu gehen. Das habe ich gesehen, und ich lache.

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Was ist's, was mich fesselt? – Woraus war die Kette geschmiedet, mit welcher der Fenriswolf gefesselt wurde? Sie war zusammengeschweißt aus dem Geräusch, das die Füße des Katers machen, wenn er über den Erdboden streicht, aus den Bärten der Weiber, den Wurzeln der Felsen, der Streu des Bären, dem Atem der Fische und dem Speichel der Vögel. So bin auch ich mit einer Kette gefesselt, die aus düsteren Einbildungen, schreckhaften Träumen, unruhigen Gedanken, bangen Ahnungen, unerklärlichen Beängstigungen geschmiedet ist. Diese Kette ist von sehr großer Geschmeidigkeit, weich wie Seide, der stärksten Anspannung nachgebend und gar nicht zu zerreißen.

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Seltsam genug, immer ist es dasselbe, was durch alle Lebensalter hindurch einen beschäftigt; und immer kommt man gleich weit, oder vielmehr, man geht zurück. Als ich fünfzehn Jahre alt war, schrieb ich auf dem Gymnasium mit vieler Salbung über die Beweise für Gottes Dasein und die Unsterblichkeit der Seele, über den Begriff des Glaubens, über die Bedeutung des Wunders. Für das examen artium (vor meiner Immatrikulation) verfaßte ich eine Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele, wofür mir das Zeugnis prae caeteris (nämlich laudabilis) zu teil wurde. Später gewann ich durch eine Abhandlung über diese Materie den Preis. Wer sollte glauben, daß ich, nach einem so soliden und vielversprechenden Anfange, jetzt, in meinem 25. Jahre, dahin gekommen bin, daß ich nicht einen einzigen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele zu führen weiß. Lebhaft erinnere ich mich aus meinen Schuljahren, wie ein von mir geschriebener Aufsatz über denselben Gegenstand von dem Lehrer außerordentlich gerühmt und vorgelesen wurde, und zwar ebensosehr der Vortrefflichkeit des Inhalts wie der Sprache wegen. Ach! ach! ach! Diesen Aufsatz habe ich schon längst fortgeworfen. Welch ein Unglück! Vielleicht würde meine zweifelnde Seele durch denselben zur Festigkeit gebracht worden sein, sowohl durch die vortreffliche Sprache als den Inhalt. Daher ist es eben mein wohlgemeinter Rat an Eltern, Vorgesetzte und Lehrer, den ihnen anvertrauten Jungen einzuschärfen, die im fünfzehnten Jahre abgefaßten Aufsätze ja aufzubewahren. Diesen Rat zu erteilen, ist das Einzige, was ich zum Besten der Menschheit zu thun vermag.

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Zur Erkenntnis der Wahrheit bin ich vielleicht gekommen, zur Seligkeit sicherlich nicht. Was soll ich thun? »In der Welt wirken!« so antworten die Menschen. Sollte ich der Welt also mein Herzeleid mitteilen, einen Beitrag zu dem Beweise liefern, wie traurig und jämmerlich alles ist, vielleicht einen neuen Flecken im Menschenleben entdecken, der bisher unbeachtet geblieben war? Ich könnte alsdann den seltenen Lohn einernten, berühmt zu werden, gleich dem Manne, der die Flecken im Stern Jupiter entdeckt hat. Ich ziehe es doch vor, zu schweigen.

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Wie doch die menschliche Natur durchweg sich gleich bleibt! Mit welcher angebornen Genialität kann oft ein kleines Kind uns in lebendigem Bilde darstellen, was in den größern Lebensverhältnissen vor sich geht. Heute amüsierte ich mich über den kleinen Ludwig. Da saß er in seinem kleinen Stuhl; mit besonderem Behagen blickte er um sich. Da ging das Kindermädchen Maren durch das Zimmer. »Maren!« rief er. »Ja, kleiner Ludwig,« antwortete sie mit gewohnter Freundlichkeit und trat zu ihm. Er legte seinen Kopf etwas auf die linke Seite, richtete auf sie seine großen Augen mit einer gewissen Schelmerei und sagte danach ganz phlegmatisch: das sei nicht die Maren; das sei eine andre Maren. Was thun wir Erwachsenen? Wir winken der ganzen Welt; und ist sie uns nun freundlich entgegengekommen, dann sagen wir, das sei nicht die Maren.

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Mein Leben ist wie eine ewige Nacht. Sterbe ich einmal, so kann ich mit Achilles sagen:

»Du bist vollbracht, Nachtwache meines Daseins.«

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Mein Leben ist völlig ohne Sinn. Wenn ich seine verschiedenen Epochen betrachte, so geht es mit meinem Leben, wie im Lexikon mit dem Worte »Schnur«, welches fürs erste ein Seil bedeutet, zum andern eine Schwiegertochter. Es fehlte nur, daß das Wort »Schnur« drittens ein Kamel bedeute, viertens einen Staubbesen.

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Um mich steht es ungefähr so, wie von dem Schwein der Lüneburger Heide erzählt wird. Mein Denken ist eine Leidenschaft, welcher ich folgen muß. Ich verstehe mich trefflich darauf, Trüffeln aufzuwühlen; selbst habe ich an ihnen keine Freude. Ich nehme die schwierigsten Fragen auf meine Nase; aber mehr kann ich mit ihnen nicht anfangen, als sie über meinen Kopf hinweg hinter mich werfen.

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Vergeblich kämpfe ich dagegen. Mein Fuß gleitet. Mein Leben bleibt doch eine Dichter-Existenz. Kann man sich etwas Unglücklicheres denken? Ich bin dazu ausersehen; das Schicksal lacht mich aus, wenn es mir plötzlich zeigt, daß alles, womit ich gegen dasselbe anarbeite, ein neues Moment eines solchen Daseins wird. Ich bin im stande, die Hoffnung so lebendig zu schildern, daß jede hoffende Persönlichkeit sich zu meiner Schilderung bekennen wird; und dennoch ist sie ein Falsum: denn während ich sie schildere, denke ich an die Erinnerung.

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Es gibt doch noch einen Beweis für das Dasein Gottes, welchen man bisher übersehen hat. Er wird in Aristophanes' »Rittern« V. 32 ff. von einem Diener geführt.

DÊMOSTHENÊS. Poion bretas; eteon hêgei gar theous;

NIKIAS. Egôge.