Erávior - Das Erbe der Kaiser - - Robert Gevers - E-Book

Erávior - Das Erbe der Kaiser - E-Book

Robert Gevers

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Beschreibung

Eravior ist eine Fantasywelt, welche seit Jahrzehnten von drei Kaisern regiert wird. Zwerge, Menschen und Schattenläufer leben friedlich Seite an Seite. Doch dunkle Zeiten ziehen auf und mit ihnen drei Charaktere, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Noch wissen sie nichts von dem gefährlichen Weg, den die Götter und das Schicksal für sie gewählt haben. Beim Schreiben des Buches inspirierten Geschichten wie "Herr der Ringe" , aber auch "Game of Thrones" und nicht zuletzt der Rollenspiel-Klassiker "Das schwarze Auge"

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Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Erávior - Das Erbe der Kaiser -

Titel SeiteKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13 - BrodinKapitel 14 – AriaKapitel 15 – AlrikKapitel 16Kapitel 17Epilog

Erávior

-Das Erbe der Kaiser-

-Robert Gevers-

für meinen Sohn Jakob

(geschrieben 2017-2019)

Kapitel 1

Der warme Regen des Spätsommers prasselte auf Alriks Robe. Seine Kapuze hatte er tief in die Stirn herunter gezogen. Für seinen großen Marsch in die Hauptstadt Tries hatte er sich wahrlich besseres Wetter gewünscht, dennoch blieb er bei seiner guten Laune und vorfreudigen Stimmung. Das Haus seiner Eltern in seinem Heimatdorf Dról, südlich von Windheim, hatte er am frühen Morgen hinter sich gelassen. Bei sich trug er nur das nötigste an Gepäck, in seinem Rucksack befanden sich ein Laib Brot, Hartwurst, Wurzelgemüse und ein paar Äpfel, der Trinkschlauch war gefüllt mit Wasser und in einer weiteren Tasche befand sich sein Zelt und Kleidung zum wechseln. Der Breitdolch seines Vaters war an Alriks Stiefel befestigt und sollte ihn im Falle eines Falles vor Gefahren schützen. Alrik hatte sich auf den Weg nach Tries gemacht, um dort die Akademie des ewigen Wissens zu besuchen. Drei lange Jahre, des Lernens und erwachsen werden lagen vor ihm. Nicht jeder Bewohner des großen Landes Erávior erhält hierzu die Gelegenheit und so erfüllte es Alrik mit großem Stolz, diesen Weg gehen zu dürfen. Sein Lehrer, der alte Jamek hatte für Alrik eine Empfehlung an die Akademie geschrieben und vor einer Woche wurde es dann Wirklichkeit, als ein kaiserlicher Bote zu Pferd nach Dról geritten kam, um Alrik seine Aufnahmebestätigung auszuhändigen. Alrik glaubte seinen Augen nicht und konnte sein Glück kaum fassen. Mit der Nachricht des Boten rannte er an jenem Tag direkt zum Schulgebäude von Dról, einem windschiefen Häuschen mit grünen Fensterläden und einem großen, schweren roten Tor, das beim öffnen jedes Mal so laut ächzte, dass es das ganze Dorf hören konnte, wenn jemand zu spät zum Unterricht erschien. Jamek hockte in der kleinen Bibliothek der Schule als Alrik auf ihn zugerannt kam. Er hob seinen Blick von den Zeilen, in die er gerade noch vertieft aus seinen kleinen, grauen Augen geschaut hatte und fiel beinahe von seinem Stuhl, als Alrik ihn aus dem Lauf heraus fest in den Arm nahm. „Danke Magister Jamek, ich wurde angenommen, ich darf nach Tries!“ Jamek grinste Alrik an und klopfte achtungsvoll auf seine Schulter. „Nicht mir musst du danken mein Junge, das hast du selbst zu verantworten, du bist mein bester Schüler gewesen, was blieb mir da anderes übrig, als denen in Tries zu schreiben, dass sie sich von nun an mit deinem Wissensdurst plagen sollen.“, sprach der liebenswerte Magister und drückte dabei Alrik etwas in seine Hand. „Möge dich dieser Talisman auf deinen Wegen schützen und dich sicher an jedes deiner Ziele bringen.“ Alrik bekam auch jetzt wieder eine Gänsehaut, als er an diesen Moment dachte und hielt den Talisman, den er vom alten Jamek geschenkt bekommen hatte fest zwischen seinen Fingern. Auf einer kleinen runden Scheibe, die an einer Kette hing, waren die Symbole der drei Götter eingraviert, sicher kein wertvolles Schmuckstück, aber für Alrik war es das kostbarste, was er je besessen hatte und für ihn von besonderer, persönlicher Bedeutung. Jamek war mehr für ihn gewesen als nur sein Magister, vieles hatte er dem weisen und gutherzigen, alten Mann zu verdanken. Manches Mal fühlte Alrik sich von Jamek besser verstanden und mehr angenommen, als von seinen eigenen Eltern. Sich von ihnen zu verabschieden war dennoch das schwerste. Als einziges Kind der Familie mussten Alriks Eltern ihn schweren Herzens ziehen lassen. Die mütterliche Sorge über ihren einzigen Sohn, allein auf Wanderschaft und dann fort für drei Jahre in der großen, bunten und verrückten Hauptstadt Tries, das wollte Alriks Mutter zunächst nicht wahr haben. Alriks Vater hingegen plagten mehr die Gedanken, wie es ohne die Hilfe seines Sohnes auf dem kleinen Hof weitergehen sollte, schließlich blieb nun all die Arbeit der folgenden Jahre an ihm haften und dabei würde er nicht jünger werden. In Gedanken an den Abschied versunken erreichte Alrik am frühen Abend seiner ersten Tagesreise die Tore Windheims. Bis hierher kannte er den Weg. Einige Male war er ihn bereits an der Seite seines Vaters gegangen, um zum großen Viehmarkt zu ziehen. Windheim zählt zu den größeren Städten Eráviors und wirkt dennoch sehr provinziell. Die Bewohner sind einfache Bauern oder Handelsleute, einige Handwerksbetriebe und Gasthäuser findet man hier ebenso, wenn man sich durch die engen Gassen, über das Kopfsteinpflaster hinweg bewegt. Die Häuser stehen dicht an dicht und sind äußerlich von Fachwerk verziert, ihre Dächer ragen spitz in den Himmel und alle Wege der Stadt verlaufen sternförmig zum großen Marktplatz. Dort findet man auch den Windheimer Dreigöttertempel. Ein ziemlich großes, etwas klobig wirkendes Bauwerk, aus Holz und Stein mit drei Pforten, die jeweils in den Farben der Götter Xania, Horis und Fairo gehalten sind. Alrik steuerte direkt auf den Tempel zu. Bislang hatte er ihn immer nur von außen gesehen. Als erster Stopp auf seiner Reise war ihm ein Besuch in den heiligen Hallen eine Herzenssache und außerdem eine Gelegenheit, sich bei den Göttern für ihr Wohlwollen mit ihm zu bedanken und den Schutz für seine Reise zu erbitten. Alrik durchschritt das rote Tor der Göttin Xania, nicht weil er sich zu ihr mehr hingezogen fühlte, als zu Horis oder Fairo, viel mehr, weil sich Alrik davon versprochen hatte, die Göttin des Lichts um besseres Wetter zu bitten. Seine Robe war äußerlich vom Regen durchtränkt und hatte sich bereits mit Wasser vollgesogen, jedoch hielt sie ihn darunter immer noch trocken und nach kurzem prüfen, stellte Alrik fest, dass auch sein restliches Reisegut unter dem Schutz des dicken, mit Leder verstärkten Stoffes nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war. Alrik löste seinen Rucksack vom Rücken, stellte diesen beiseite und betrat ehrfürchtig die Tempelhalle. Sein erster rundumblick verriet ihm, dass zu dieser Stunde bis auf eine Hand voll Geweihter niemand außer ihm da war. Die Halle war innen sehr kühl und wirkte riesig, in den Bankreihen brannten vereinzelt Kerzen und am hinteren Ende des Tempels befanden sich drei Altare, die im Halbkreis zueinander aufgestellt waren. Jeder Altar trug das Gesicht eines Gottes, es wirkte so, als würden sie sich gegenseitig anschauen und dabei gleichzeitig den Blick auf alles und jeden richten, der sich ihnen näherte. So wie es von klein auf einem jeden beigebracht wurde kniete Alrik vor den Altären nieder und hielt für einen Moment inne. Als er sich erhob bemerkte er, dass ein Geweihter in grüner Kutte direkt neben ihm stand. „Fairo und seine Geschwister grüßen dich.“, sprach der Geweihte und fasste dabei Alrik an die Hände. Die Hände des Geweihten strömten eine angenehme Wärme und Wohlbehagen aus. „Du bist willkommen, bleib solange du magst.“ „Vielen Dank.“, entgegnete Alrik und verneigte sich vor seinem Gegenüber. „Mein Name ist Alrik Rodensen, ich komme aus Dról. Für meine Reise nach Tries möchte ich die Götter um ihren Schutz bitten.“ „Soso, ein junger Wandersmann auf der Reise nach Tries.“, sprach der Geweihte und legte dabei seine Kapuze ab. Alrik schaute in das Gesicht eines Mannes, dessen Augen Weisheit und Reife verrieten, seine feinen, glatten Gesichtszüge hingegen schienen fast jugendlich. „Mein Name ist Phileas, wenn du magst sprechen wir gemeinsam zu den Göttern.“ Alrik nahm das Angebot dankend an und folgte Phileas zum Altar von Fairo, dem Gott der Pflanzen- und Tierwelt, sowie der Ernte und Schöpfung. In den Altar war eine kleine Mulde eingelassen, in der sich neben ein paar Kupfer- und Silberstücken auch verschiedene Kräuter und Sträucher befanden. „Wenn du magst kannst du dir aus der Schale etwas für deinen Weg mitnehmen. Fairo und seine Geschwister meinen es gut mit dir, das kann ich spüren. Bevor du dann gehst, gibst du wiederum eine Kleinigkeit von dem ab, was du entbehren kannst und legst es in die Schale.“ Alrik griff sich einen Zweig Wirselkraut, diese Pflanze hat er gleich erkannt, sie wächst vor allem in höheren Regionen und ist im Mittelland recht selten. Getrocknet lässt sich aus ihr ein schmerzlindernder Tee zubereiten, kaut man die frische Pflanze verhilft sie einem zu einem langen, erholsamen Schlaf. Alrik bedankte sich bei Phileas, verstaute den Zweig Wirselkraut in seinem Gepäck und nahm einen seiner Äpfel, welchen er dann in die Altarschale legte. „Fairo dankt dir für deine Gabe und falls du noch kein Nachtlager haben solltest junger Wanderer, so sei dir sicher, dass Fairo seine schützende Hand über dein Zelt halten wird, Xania wird noch heute Nacht, den Himmel aufklaren lassen und Horis sendet dir Mut für jeden deiner Schritte. Du bist besser beraten Alrik Rodensen, wenn du die zwielichtigen Herbergen und Wirtshäuser dieser Stadt meidest und nördlich der Stadttore am Wegrand dein Zelt aufschlägst.“ „Habt vielen Dank Phileas für euren Rat, ich bin mir sicher, ich werde da draußen irgendwo ein gemütliches Plätzchen finden und morgen früh dann weiter Richtung Tries ziehen.“ Alrik und Phileas verabschiedeten sich voneinander und als der junge Wanderer den Tempel verließ hatte es aufgehört zu regnen, so wie Phileas es gerade gesagt hatte. Alrik setzte seinen Weg fort und tat dies nun mit etwas schnellerem Schritt. Bald würde es dunkel werden, höchste Zeit also, das Nachtlager aufzuschlagen dachte er bei sich und zog durch die Gassen Windheims Richtung Nordtor weiter. Einige Leute huschten eilig durch die Straßen um letzte Besorgungen zu verrichten, hier und da verriegelten Geschäftstreibende ihre Läden, ein Hund wechselte bellend die Straßenseite und jagte einer aufgescheuchten Katze hinterher. Im Grunde genommen dachte Alrik, ist alles hier ähnlich wie in Dról, bloß größer und voller. Wie es wohl erst in Tries werden würde. Bislang kannte er die Hauptstadt nur aus den Geschichten und dem Unterricht bei Magister Jamek. Alrik wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich direkt vor seiner Nase mit viel Schwung eine Tür öffnete und diese ihn um ein Haar getroffen hätte. Kurz darauf folgte mit ebenso viel Schwung ein Mann der torkelnd direkt in Alriks Arme lief. „Hey Bürschheeen passs uff wode hinläufst, sonst gibt’s eine!“ Alrik hatte nicht vor sich zu prügeln und eine Diskussion mit dem betrunkenen Mann erschien ihm ebenso zwecklos, also sagte er nur kurz „Verzeihung“, und setzte seinen Weg fort. Alrik drehte sich noch einmal prüfend zu dem Mann und dem Haus um und blickte dabei auf ein Schild mit der Aufschrift „Wirtshaus zum torkelnden Mann“. Durch diese Begebenheit und der freundlichen Vorwarnung von dem Geweihten Phileas ging Alrik nun frohen Mutes auf seine Nacht unter freiem Himmel zu. Als er das Nordtor passierte, schnarchte der Torwächter im kleinen Türmchen über ihm so laut und mit voller Inbrunst, das Alrik sich ein schmunzeln und Kopfschütteln nicht verkneifen konnte. Eine ganz eigene und besondere Art der Stadtmauerverteidigung dachte er mit leichtem Sarkasmus, oh oder gar Abschreckung vor Streunern aus dem Umland? Oder vielleicht doch die hohe Kunst des Bärenbrummens, um Wildtiere von der Stadt fernzuhalten? Wie auch immer, Alrik konzentrierte sich wieder voll und ganz auf sein erstes Etappenziel und sah sich um. Vor ihm lag ein Weg mit Steingeröll, der sich in zwei Richtungen gabelte. Zu beiden Seiten des Weges verlief Mischwald. Ein Wegweiser zeigte nach Osten, dort stand geschrieben:

„Zorndal - fünf Tagesmärsche“

das andere Schild zeigte nach Norden

„Ackerfurth - zwei Tagesmärsche“

Alriks weitere Reise gen Tries führte eindeutig Richtung Norden. Unweit der Weggabelung, etwas abseits vom Wege, fand der junge Wanderer ein nettes Plätzchen und dort baute er sein Zelt auf.

Kapitel 2

Brodin trank bereits sein einundzwanzigstes Bier und hielt nur noch mit Mühe seinen Kopf mit den kräftigen Armen fest, die er auf der Theke im „Wirtshaus zum torkelnden Mann“ aufgestützt hatte. Der rundliche Wirt schaute ihn prüfend an. „Hey Winzling, das war jetzt dein letztes Bier, es ist spät, ich will nach Hause und du hast mehr als genug.“ Langsam hob Brodin den Kopf und pustete sich durch seine wildzerzausten Barthaare. „Niemand nennt Brodin Eisenbart Sohn des Grim einen Winzling und niemand sagt mir wann ich genug habe. Ein Zwerg hat Ehre und Stolz und weiß selbst am besten wann das Wirtshaus schließt und wann es Zeit ist zu gehen, mach mir noch ein Bier Wirt!“ Zur Bekräftigung seiner Aufforderung hatte Brodin Eisenbart den Stiel seiner Streitaxt fest umgriffen, die noch neben ihm und dem Barhocker ruhte. Noch bevor der Wirt auch nur ein Wort entgegnen konnte gab es einen lauten und dumpfen Knall. Den betrunkenen Zwerg hatte es schlichtweg vom Hocker gezogen und jetzt lag er für einen Moment wie ein Käfer auf dem Rücken mitten in der Gaststube, welche bis auf ihn und dem Wirt zu dieser späten Stunde bereits komplett leer war. Brodin versuchte sich am Stiele seiner Axt hochzuziehen und schlug ein weiteres Mal um, dabei fluchte er unverständliches Zeugs in seinen Bart. Beim zweiten Versuch auf die Beine zu kommen hatte er es geschafft und ging stark schwankend auf die Theke zu. Der Wirt wich einen Schritt zurück und lies mit zittriger Hand einen Bierkrug fallen, der auf dem Boden in tausend Teile splitterte. „Die Rechnung bitte guter Mann, ihr habt eine wunderschöne Taverne und ein wirklich gutes, kräftiges Bier, ich werde in meiner Heimat nur Gutes über euch berichten, doch jetzt ist es Zeit zu gehen. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Brodin Eisenbart...“, „Jaja Sohn des Grim ich weiß.“, entgegnete der Wirt. „Soso, dann wisst ihr also wer ich bin? Schön zu hören, dass die Heldentaten meiner Ahnen sich bis hier ins Mittelland nach Windheim rumgesprochen haben.“ Der Zwerg konnte zwar noch halbwegs geradeaus sprechen, er hatte aber ganz offensichtlich neben großen Problemen mit seinem Gleichgewicht inzwischen auch Aussetzer im Denkvermögen dachte der Wirt bei sich und kassierte schnell die fälligen sieben Silbertaler. Dann nahm er Brodin vorsichtig am Arm, öffnete ihm die Tür, schob ihn so behutsam es nur ging an die frische Luft nach draußen und verschloss unmittelbar danach das „Wirtshaus zum torkelnden Mann“ von innen. Während der Wirt tief durchatmete und die Scherben aufkehrte stand Brodin mitten in einer großen Pfütze in den Straßen Windheims und grinste dabei zufrieden. „Wahrlich nette Menschen hier, das hätte ich nicht gedacht.“, sagte er laut zu sich selbst, klopfte einmal kräftig seinen Lederwams mit dem schweren Kettenhemd ab, schüttelte sich und setzte erstaunlich geraden Schrittes seinen Weg fort. Der Zwerg stimmte ein Lied an und begann aus voller Kehle zu singen. Die Stille der Nacht, welche sich über Windheim gelegt hatte war dahin.

„Mit Stolz erfüllt die Fäuste hart, die Axt so scharf, ein Eisenbart. So höret hin und seht, wenn der König vor euch steht, so höret hin und seht, wenn der König vor euch st-scht-schte-scheiße!“

Das etwas eigenwillige Ende von Brodins lauthals gesungenem Vers begründet sich mit dem Eimer Wasser, den ihm gerade ein genervter Bewohner aus seinem Schlafgemach über den Kopf geschüttet hatte. „Ruhe jetzt da unten!“, brüllte der Mann hinterher und Brodin stand da wie ein begossener Pudel, wie ein wütender, begossener Pudel. Nass zwar, aber dafür schlagartig nüchtern. Für einen Augenblick griff ihn der Jähzorn und zeitgleich seine Hand zur Axt, doch dann beruhigte Brodin sich wieder und er besann sich auf sein eigentliches Ziel und das es besser wäre, allmählich einen Schlafplatz aufzusuchen. Sein eigentliches Ziel war die Hauptstadt Tries, hier soll er nämlich an der Akademie des ewigen Wissens die Ausbildung zum Horisgeweihten antreten. Drei lange und schwere Jahre des Lernens lagen vor ihm und viel lieber hätte Brodin die Akademie der Kampf- und Kriegskunst besucht, oder die hoch angesehene, meisterliche Ausbildung zum Waffenschmied angetreten, aber wie es die Familienhierarchie so will und vorschreibt, ist für den drittgeborenen aus dem Königshaus der Zwerge der Weg als Geweihter vorbestimmt. Ganz recht, Brodin Eisenbart ist ein Königssohn. Sein Vater ist kein geringerer als Grim Xakosch Eisenbart, Herrscher über Zorndal und Zwergenkönig eines ganzen Volkes. Als direkter Thronfolger gilt sein erstgeborener Sohn Darol, Brodins ältester Bruder. Ihm wurde als vorbestimmter Thronfolger die Ehre zu Teil, auf der Akademie des ewigen Wissens die Kampf- und Kriegskunst zu erlernen. Er wurde als einer der besten Kämpfer des Landes ausgebildet und hat großes Wissen über die Etikette in Königreichen und von der kaiserlichen Führungspolitik erlernt. Er versteht es ein Volk zu führen, Militär strategisch zu lenken und eines Tages wird er ein mächtiger Führer und würdiger Erbe des Throns sein. Bis zu diesem Tage hat man Brodins Bruder Darol die hohe Bürde übertragen, in der kaiserlichen Leibgarde zu dienen. Jene Männer, die hierfür vorgesehen sind, gelten als die Besten ihrer Zunft. Es gibt nur zwölf dieser ehrenwerten und begehrten Positionen. Darol ist der ganze Stolz der Familie Eisenbart. Einen anderen Weg den sich Brodin für sich selbst ebenso hätte vorstellen können, musste sein zweitältester Bruder, der Mittlere sozusagen, Aldasch nehmen. Er kam erst vergangenes Jahr zurück ins heimische Zorndal, der Hauptstadt der Zwerge im Osten des Landes. Von der Ausbildung zum Schmiedemeister brachte Aldasch eine göttergefällige Streitaxt mit, die er selbst geschmiedet hatte und wie es sich gehört seinem Vater Grim zum Geschenk machte. Aldasch war von allen drei Söhnen der ruhigste, er sprach nur dann wenn es sein musste und konnte dafür wie kein anderer stundenlang ohne einen Augenschlag ins Schmiedefeuer schauen und mit größtem Geschick filigrane Arbeiten verrichten. Brodin hatte diese Gabe bei weitem nicht, er war schon immer von allen drei Söhnen der gröbste und es machte ja eh keinen Sinn sich über seine Bestimmung und dem ihm bevorstehenden Weg Gedanken zu machen. Diesem vorbestimmten Schicksal hatte er zu folgen, ob es ihm beliebte oder nicht. Als zukünftiger Geweihter des Horis, dem Gott der Schmiedekunst und des Kampfes würde er selbst eines Tages in Zorndal am Königshaus seines Vaters dienen um jenes Wissen, das noch darauf wartet ein Teil von ihm zu werden, an andere weiter zu geben. Brodin war sich sicher, dass es noch sehr lange dauern würde, sich damit anzufreunden, in Büchern, verstaubten Folianten und alten Schriften zu lesen und anderen davon und daraus zu erzählen, anstatt jene Dinge selbst zu erleben. Brodin erinnerte sich an die Worte seines Vaters, wie er wieder und wieder eindringlich und fast beschwörend die ihm bevorstehende Rolle beschrieb und scheinbar versuchte sie ihm schmackhaft zu machen. Brodin empfand sein Schicksal ungerecht. Ein junger Zwerg lebt dafür zu kämpfen und zu raufen, zu schmieden und zu trinken und diejenigen, die unter den Zwergen Geweihte wurden taten dies erst, als sie zu alt wurden um ihre Streitaxt zu halten und ihre Augen zu trüb waren um die Klinge rechtzeitig aus der heißen Glut des Schmiedefeuers zu ziehen. Aber Brodin war jung und weit davon entfernt, zumal Zwerge trotz rauer Lebensweise an die Zweihundert Jahre alt werden und Brodin mit seinen 30 Jahren somit bei seinesgleichen fast noch als Kind galt. Wie hatte sein Vater König Grim doch immer gesagt?

„Ein Geweihter lebt ehrfürchtig vor seinem Gott und handelt stets in dessen Namen. Du wirst die Aufgabe und Verantwortung haben, die Interessen der drei Kaiser zu vertreten und ihr Wort in alle Städte Eráviors zu übermitteln und durchzusetzen. Geweihte sind die Stimme und Berater der Kaiser und des Volkes, die im Namen ihres Gottes lehren und für die Kaiser wichtige Botschafter darstellen, um das höchste Gut Eráviors, den Frieden zu wahren. Du mein Sohn wirst ein Geweihter, du wirst Bewahrer des Friedens.“

Frieden gibt es solange Brodin denken kann. Große Schlachten und Kriege hatte zuletzt sein Vater Grim erlebt und dabei selbst als junger Mann auf dem Schlachtfeld gekämpft. Erzählungen und Aufzeichnungen aus vergangenen Tagen sprechen von dem Krieg der drei Völker. Jene Völker, welche nun friedlich miteinander und nebeneinander wohnen und gemeinsam regieren. Menschen, Zwerge und Schattenläufer.

Das alte Erávior hat vielleicht genau diesen Krieg gebraucht, um sich zu dem zu verändern, was es jetzt ist. Der Verzicht auf Macht eines einzelnen unter Berücksichtigung der Interessen aller, war zum damaligen Zeitpunkt ein Modell, das sich niemand recht vorstellen konnte. Es heißt, dass die Verhandlungen zum Abkommen und der Regierungsantritt der drei Kaiser einhundert Tage und einhundert Nächte gedauert haben sollen. Gemeinsam etwas zu bewegen und zu erreichen, heißt immer auch für den Einzelnen einzulenken und zu verzichten, Zugeständnisse zu machen und Kompromisse einzugehen.

„...Vor dieser Zeit war Erávior ein schroffes Land. Gewalt und Kriege bestimmten die Jahre. In den Mooren und Sümpfen bei Moorhus beschwörte der dunkle Magier Narkemus eine Armee der Finsternis herauf. Es war sein persönlicher Rachezug gegen den damaligen König Egir, der ihn als Hofmagier verwiesen hatte. Narkemus säte Unmut, Konflikte und Habgier, die wie eine Seuche die großen Völker befiel und sie dazu führte, gegeneinander die Waffen zu erheben. Hordal der Rote erhob sich im Osten des Landes. Als kluger und einflussreicher Stammesführer der Barbaren hatte er Jahr für Jahr mehr Gefolgschaft um sich versammelt, sich scheinbar unsichtbar und diplomatisch aus Konflikten und Kämpfen zurückgehalten und in der Gunst der Stunde, seine Mannen in eine große Schlacht geführt. Eine Schlacht gegen alle, die nicht zu seinem Gefolge gehörten, einfach gegen alle und jeden. Menschen, Zwerge und Schattenläufer waren zu diesem Zeitpunkt bereits so lange in ihren eigenen, Kämpfen verwickelt, dass sie zu geschwächt waren, als sich ein Gegner hervorhob, dem sie nichts entgegen zu setzen hatten. Hordal der Rote hatte sich bereits bis zum Königspalast vorgekämpft, um sich selbst als neuer Herrscher zu krönen. Jedoch stellte sich König Egir dem Drachen Levton und tötete ihn und damit auch den dunklen Magier Narkemus. Die Barbaren feierten bereits ihren Sieg und rechneten nicht damit, dass sich die bereits geschlagenen Völker aufbäumten und verbündeten. Der dunkle Bann aus Zwietracht war gebrochen...“

(*Text, aus den Erzählungen eines Zeitzeugens)

Brodin schaute ein letztes Mal grimmig zu dem Fenster hoch, aus dem er noch vor einem Augenblick beim Lobgesang auf seinen Vater einen Eimer Wasser abbekommen hatte. Dann schüttelte er sich kräftig wie ein nasser Hund, so das dicke Tropfen von seinem kleinen rundlichen Körper in alle Richtungen flogen. „Windheim mach es gut, so schnell werden wir uns nicht wiedersehen. Tries ich komme.“ Mit diesen Worten stapfte der Zwerg geradewegs auf das Nordtor der Stadt zu und lies einen weiteren Teil seiner bisherigen Reise hinter sich.

Kapitel 3

Alrik hatte eine Weile gebraucht, bis er in seinem Zelt am Wegesrand Richtung Ackerfurth eingeschlafen war. Die Geräusche des Waldes waren ungewohnt für ihn, genauso die Einsamkeit. Zu allem Überfluss war natürlich auch die Aufregung vor dem was vor ihm lag ein stetiger Begleiter und nicht gerade förderlich um schnell einzuschlafen. Irgendwann jedoch hatte der Fußmarsch des ersten Tages seiner Reise an Wirkung überhandgenommen und seine Augen fielen zu. Alrik träumte von einem Schatten, der durch den Wald schnellte, ein Schatten in Gestalt eines Menschen. Ein Gesicht konnte er nicht erkennen. Der Schatten bewegte sich durchs Unterholz und im nächsten Augenblick über Äste hinweg in schwindelerregende Höhen und bis in die Kronen der höchsten Bäume. Alrik sah plötzlich von hoch oben auf eine Weggabelung herab und wenige Schritte davon entfernt stand ein Zelt. Er sah sein eigenes Nachtlager von oben und wie sich langsamen Schrittes eine Gestalt auf sein Zelt zubewegte. Alrik schreckte aus seinem Traum hoch und hörte unmittelbar vor seinem Zelt das knacken und zerbrechen von Ästen. Geistesgegenwärtig griff Alrik nach seinem Breitdolch, den er von seinem Vater bekommen hatte. Der Geweihte Phileas aus dem Tempel der drei Götter in Windheim hatte ihm Fairos Schutz über seinem Zelt prophezeit und ihm gesagt, dass der Mut von Horis ihn begleiten würde. Aber wo war dieser Mut jetzt? Alrik zitterte am ganzen Körper, er spürte unter seiner Brust wie sein Herz kräftig und schnell hämmerte. Mit der einen Hand umklammerte er seinen Dolch und mit der anderen hielt Alrik den Talisman von Magister Jamek fest, den er seit seinem Aufbruch von Zuhause in seiner Brusttasche trug. Dies war kein Albtraum, es war Realität und es passierte in diesem Moment. Abwartend und so still es eben ging verharrte Alrik in seiner Position und sah, wie sich der Schatten nun unmittelbar vor dem Eingang seines Zeltes befand. Langsamen Schrittes bewegte sich der Schatten und jeden Augenblick könne es passieren, dass sich ein umherstreunender Fiesling mit Gewalt sein Hab und Gut nehmen würde, oder schlimmer noch, eine alte Waldhexe seine Spur gewittert hat, um aus seinen nun auch deutlich zitternden Beinen einen Eintopf zu kochen. „Und nun?“, dachte er still bei sich, „Soll ich nun warten, auf das meine Reise hier vielleicht schon endet? Das mir jemand sein Messer ins Herz rammt? Zu lange überlegt, zu lange gewartet. Wenn dieses Etwas vor meinem Zelt mich hätte attackieren wollen, warum ist es nicht längst passiert? Vielleicht hat der Schatten selbst Angst? Angriff ist die beste Verteidigung!“, keimte es in Alrik auf. Dann ein letzter Blick zum Schatten. Alrik sah, wie dieser nun beinahe regungslos direkt vor dem Eingang seines Zeltes stand, so nah, dass Alrik den Atem des Schattens hören konnte. Der Wind pfiff dazu ein leises schauriges Lied und holte die ersten Blätter von den Bäumen. Eine Eule durchbrach mit ihrem Ruf die vermeintliche Nachtidylle, dann sprang Alrik auf und öffnete mit dem Dolch voran von innen sein Zelt. Im Dunkel der Nacht konnte Alrik nicht viel erkennen, doch als er hastig seine Zeltplane beiseitegeschoben hatte, erhaschte er im milden Mondschein ein paar Augen, welche ihm direkt in die seinen schauten. Erschrocken kreuzten sich beide Blicke. Hunderte von Szenarien und Gedanken im Bruchteil einer Sekunde und schließlich entschied Alriks Instinkt und das Adrenalin was zu tun ist. Er brüllte. Er brüllte so laut er nur konnte und auch sein Gegenüber wurde nun laut und brüllte ebenso. Es klang wie eine Mischung aus überraschtem Angstschrei und wildem Kampfesruf. Alrik setzte zum Sprung an und stürzte sich mit voller Wucht auf den Fremden. Jetzt war sich Alrik sicher, sein Gegenüber und jetzt Gegner war weder Monster, noch Zauberwesen, sein Gegenüber war ein Mann, nicht sonderlich groß, aber dafür ziemlich kräftig. Dies bekam Alrik zu spüren, denn sein eigentlicher Gedanke, den Mann durch seinen Sprung umzureißen, sah in der tatsächlichen Umsetzung so aus, dass dieser ihn mit nur einem Arm festhielt, als habe er gerade ein kleines Kind geschultert. Mit dem anderen Arm packte er Alriks Hand, in dem er stoßbereit seinen Dolch hielt. Ein fürchterlicher Schmerz durchfuhr Alrik. Sein Gegenüber verdrehte ihm das Handgelenk, so dass Alrik nicht anders konnte und den Dolch fallen ließ. Jetzt schrie er, dieses Mal vor Schmerzen. Sein Herz schlug nun so heftig, dass Alrik für einen Augenblick dachte es würde von allein aus seiner Brust springen. Es heißt, dass ein schwer angeschlagenes Tier in dem Moment seines drohenden Todes das Vielfache seiner Kraft mobilisieren kann und es muss bei Alrik ein solcher Moment gewesen sein. Am Rande der Niederlage, gegen einen viel zu starken Gegner, welcher ihn fest im Griff auf dem Arm hielt, dazu noch entwaffnet und mit einem verdrehten Handgelenk, schlug Alrik plötzlich und entschlossen, wieder und wieder mit seiner linken Faust auf den Mann unter ihm ein. Von den Schlägen zeigte sich Alriks Gegner weitestgehend unbeeindruckt, er strauchelte lediglich leicht zur Seite. Alrik verpasste ihm noch mehr Schläge und dann endlich. Der Mann stolperte über eine Baumwurzel und stürzte zu Boden. Alrik, der immer noch festgehalten wurde stürzte mit ihm und hielt sich dabei krampfhaft im dichten Bart seines Gegners fest. Dieser windete sich noch im Fallen in alle Richtungen und schimpfte: „Nicht der Bart!“, dann schlugen sie auf. Der Aufprall war so heftig, dass beide mit ihren Köpfen zusammenschlugen. Dann wurde es still und dunkel.

Kapitel 4

Als Brodin aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, war es bereits wieder hell geworden. Nur Bruchstücke von dem was vergangene Nacht passiert war, kamen in seiner Erinnerung hoch. Da war dieses Zelt, unter dessen Vordach er es für eine gute Idee hielt sich abzulegen. Warum sich selbst die Arbeit machen, wenn es bereits ein anderer Reisender getan hatte, so dachte er noch nichtsahnend, als er gemütlich seine Sachen ablegte. Ehe er sich jedoch versah, kam dieser Jüngling mit gezogenem Dolch aus dem Zelt gestürmt und hatte ihn angesprungen. Dann war es zum Kampf gekommen und dann ist da eine Lücke in Brodins Gedächtnis. Was war geschehen? Sein Kopf brummte ihm wie nach einem ordentlichen Saufgelage unter seinen Freunden. Er wollte sich aufrichten, doch es gelang dem Zwerg nicht. Seine Beine und Arme, sowie sein gesamter Oberkörper waren fest von einem feinblättrigen Kraut umwickelt und hielten ihn an dem dicken Stamm einer Eiche gefesselt. Brodin brauste auf und versuchte sich mit Leibeskräften zu befreien, doch damit machte er es nur noch schlimmer. Mit jedem kleinsten Zucken zogen sich die Stränge der Pflanze fester um seine Gliedmaßen. Er blickte um sich und sah im Augenwinkel das Zelt. „Hey!“, tobte Brodin lauthals „Ist da jemand!? Macht mich verdammt nochmal von diesem verdammten Kraut los! Hallo!? Ohhh ihr werdet meinen Zorn noch zu spüren bekommen! Niemand fesselt den Sohn des Grim ungestraft an einen Baum!“ Gerade wollte Brodin erneut verbal ausholen, als sich die Zeltplane beiseiteschob und eine große, hagere Gestalt aus dem Zelt heraustrat. Mit gemächlichem, beinah lautlosem Schritt bewegte sich der Mann auf Brodin zu. Brodins lückenhafte Erinnerung konnte zumindest einordnen, dass es sich bei diesem Mann nicht um seinen Gegner der letzten Nacht handelte. „Wer zur Hölle seid ihr denn? Habt ihr mich hier festgebunden?“ Der fremde Mann stand nun direkt vor Brodin. Er hatte langes, weißes Haar, aus dem spitze Ohren hervorstachen. Der Mantel den er trug, war aus feinstem Stoff gefertigt und glitzerte silbrig in der Sonne. Grüne und schwarze Ornamente zierten den Mantel. Um seinen Hals trug der Mann eine Kette aus allerlei Geäst und Blättern. Seine Augen funkelten eisblau und kühl. Langsam hob er seine knöchrige Hand und Brodin sah auf lange, spitze Fingernägel, welche passend zum Mantel, abwechselnd die Farben Grün und Schwarz trugen. Der Mann sprach kein Wort, er schaute Brodin bloß mit tiefem Blick an und hob weiter seine Hand, als würde er etwas Unsichtbares anheben, oder etwas herbei beschwören. Brodin spürte, wie sich das Schlingkraut lockerte, er konnte seine Beine bewegen, auch seine Arme waren freier als eben noch. Flüchtig warf Brodin einen Blick über seine Schulter und stellte dabei zufrieden fest, dass seine Axt noch an Ort und Stelle in seinem Rückenhalter steckte. Jetzt oder nie, ergriff der Zwerg für sich die Situation und wollte gerade aufspringen, seine Axt ziehen und sich dem fremden zum Kampf stellen. Doch so wie ihm der Gedanke kam, so zogen sich auch gleich und dieses Mal noch fester als zuvor, die Schlingen des Krautes um ihn und pressten ihn zurück gegen den Baumstamm. Gerade wollte Brodin erneut wütend los toben, als der Mann in einem beinahe melodisch, singendem und sehr ruhigen und weichen Ton endlich antwortete. „Mein Name ist Vasaris und ja Brodin Eisenbart, ich habe euch festgebunden, oder sagen wir es so, ich habe das Schlingkraut gebeten euch zu fesseln. Aber ich werde es auch sein, der euch davon wieder befreien wird, allerdings liegt dafür noch viel zu viel Groll und Jähzorn in eurem Gemüt. Ihr würdet die Axt ziehen und bevor wir die Chance hätten, uns einander vorzustellen, oder kennenzulernen, damit versuchen mir meinen Kopf von den Schultern zu schlagen.“ „Genau das würde ich tun! Du scheinst gar nicht so dämlich zu sein, wie du ausschaust Spitzohr!“, schimpfte der Zwerg. „Doch woher kennst du meinen Namen?“ „Ich weiß so einiges Brodin und ich komme viel herum. Dabei sehe ich so einige Dinge, andere werden mir von den Tieren oder dem Wind zugetragen. Wie ihr richtig festgestellt habt, bin ich ein Spitzohr, auch wenn wir uns selbst lieber Schattenläufer nennen. Unsere Völker Brodin Eisenbart, die euren Zwerge und die meinen Schattenläufer haben sich ebenso bekriegt, wie sie auch Frieden geschlossen haben und da ihr mich bis zu dieser Stelle weder unterbrochen habt, noch erneut geflucht habt, nehme ich an, dass ihr nun ausreichend ruhig für ein Friedensangebot meinerseits seid?“ Tatsächlich hatte die ruhige und wohlklingende Stimme des Schattenläufers Vasaris eine beruhigende Wirkung auf den Zwerg. Brodin saß sichtlich entspannter da, er atmete ruhig und die Zornesfalten auf seiner Stirn hatten sich aufgeweicht. Mit ihm entspannten sich auch allmählich die Fesseln des Schlingkrauts. „Mein Friedensangebot lautet, ich befreie euch vom Schlingkraut und schenke euch eure Freiheit und somit das Leben. Im Gegenzug verzichtet ihr darauf, mir mit der Axt den Kopf abzuschlagen und schenkt mir das Leben. Seid ihr einverstanden Brodin Eisenbart?“ Prüfend blickte Vasaris auf den Zwerg. „Einverstanden.“, grummelte Brodin knapp, dann hob Vasaris seine Hand spreizte seine langen und knöchrigen Finger und zeigte in Richtung des Schlingkrauts, welches Brodin immer noch festhielt. Vasaris schloss für einen Moment die Augen, als er sie wieder öffnete zog sich nach und nach Schlinge für Schlinge von Brodins Körper ab. Das Kraut schien tatsächlich auf den Schattenläufer zu hören und verzog sich zurück ins Unterholz, wie eine flüchtende Schlange. Brodin war frei. Langsam richtete er sich auf, sein Kopf machte ihm weiterhin zu schaffen. Er griff an seine Stirn und spürte einen Verband, dann blickte er fragend zu Vasaris. „Nun sprich Spitzohr was willst du? Was genau ist passiert und wo ist der Bursche, der mich aus diesem Zelt heraus angegriffen hat?“ Vasaris verzog seine dünnen Lippen zu einem kurzen lächeln. „Ich verzeihe euch eure Umgangsform Brodin Eisenbart. Für gewöhnlich hätte ich erwartet, ihr sagt so etwas wie Danke Vasaris, dass ihr mich von dem Kraut befreit und meine Kopfwunde versorgt habt. Aber nun gut, da wo ihr herkommt, beginnt eine Konversation erst wenn eure vom Bier benetzten Schnauzbärte den Schaum in alle Richtungen schleudern und sie enden damit, sich dann die leeren Krüge gegenseitig über den Schädel zu schlagen. Ist es nicht so? Dennoch möchte ich euch gerne eure Fragen beantworten. Ihr fragtet wo der Bursche ist, so wenn ich euch meine Antworten gegeben habe wird er aus seinem Zelt heraus stolpern, auf uns zukommen und in einem Anflug von noch andauerndem Schwindel auf die Knie sacken. Ihr werdet euch früh genug richtig kennenlernen. Ihr fragtet ebenso, was ich wolle, nun im Grunde will ich euch beide auch kennenlernen, mir ein leibhaftiges Bild meiner Vision machen und sehen, wer die Begleiter meiner Tochter tatsächlich sind.“ Vasaris unterbrach kurz für ein herzliches Lachen, dazu schüttelte er ungläubig den Kopf, dann setzte er fort. „Was passiert ist Brodin Eisenbart? Der Sohn des Grim, ein starker Zwerg, welcher sich eher zum Kampf und Heldentaten hingezogen fühlt, als zu der Lehre eines Geweihten wollte sich für sein Nachtlager so wenig Mühe machen wie möglich und sich ins gemachte Nest legen. Der Bursche wie ihr ihn nennt hatte Angst um sein Leben, als ihr nachts um sein Zelt geschlichen seid. Er nahm all seinen Mut zusammen und hat euch angegriffen.“ Vasaris stoppte erneut für ein Lachen, „…und dann hat der Bursche den starken Zwerg niedergerungen. Bei eurem Sturz seid ihr dann so heftig mit euren Köpfen zusammengeschlagen, dass der dumpfe Knall noch in hunderten Metern Entfernung schlafende Rehe aufgescheucht hat. Ich habe euch und den Jungen bereits einige Zeit beobachtet und wusste, dass sich eure Wege hier kreuzen würden. Dass ihr allerdings gleich in einen Kampf miteinander geratet hatte ich nicht vermutet. Schließlich habe ich die eure und die Wunde des Jungen versorgt, euch als reine Schutzmaßnahme vor eurem jähzornigen Gemüt an den Baum gebunden und den Jungen in sein Zelt getragen, wo er sicher bald mit ziemlichem Kopfschmerz erwachen wird.“ Ehe Brodin weitere Fragen stellen konnte, verschluckte er sich an seinem ersten Wort und starrte auf das Zelt. Der Junge trat heraus, seinen rechten Arm hatte er verbunden. Zur Stabilisierung war dieser an seiner Schulter in einer Schlaufe befestigt. Die linke Hand des Jungen schob zittrig und schwächlich die Plane der Zeltöffnung beiseite. Er blickte irritiert auf Brodin und dann auf Vasaris. Gerade wollte er etwas sagen, da taumelte er zwei Schritte nach rechts und einen zurück nach links und sank auf seine Knie. Vasaris nickte bestätigend zu Brodin angesichts seiner zutreffenden Prophezeiung und half Alrik auf die Beine. Er stützte ihn und deutete ihm sich zu setzen. Dann griff Vasaris in seinen Mantel und reichte Alrik einen Wasserschlauch. „Hier Alrik Rodensen, trink erst mal und komme wieder zu Kräften. Du bist in Sicherheit, aber wir sollten reden.“ Nun deutete Vasaris auch Brodin das er sich setzen möge, was der Zwerg auch ohne großes Murren und mit immer noch staunend, offenstehendem Mund tat. Als die Raufbolde der letzten Nacht so friedlich beisammen saßen ließ sich auch Vasaris zu ihnen nieder. Er begann damit, in seinem melodischen Tonfall den beiden alles zu erzählen und dies war bitternötig, denn die beiden saßen da wie zwei leicht Verwirrte, mit verbundenem Kopf und Arm, die nicht den blassesten Schimmer hatten, was hier gerade wirklich vor sich ging. „Ich denke ich bin euch einige Antworten und Erklärungen schuldig, also erlaubt mir, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Mein Name ist Vasaris, ich bin ein Schattenläufer. Wir sind eins mit den Tieren, den Pflanzen und dem Wetter. Als Schattenläufer habe ich die Gabe des Gottes Fairon, gewisse Elemente zu lenken, oder zu verändern. Entgegen dem, was ihr Menschen und Zwerge über uns wisst und sprecht, kann ein Schattenläufer sich nicht in ein Tier verwandeln, wohl aber in seinen Geist fahren, wenn es das Tier zulässt. Auch die Pflanzen haben ihr eigenes Leben. Hin und wieder gelingt es uns auch zu ihnen eine Verbindung herzustellen, nicht wahr Brodin Eisenbart?“ Verächtlich verzog der Zwerg seine Stirn in Zornesfalten und schnaufte grummelig in seinen dichten Bart. „Wenn ihr mich fragt, das ist Hexerei.“, schimpfte der Zwerg. „Nennt es wie es euch beliebt Brodin.“, fuhr Vasaris fort. „Wir nennen es eine Gabe und ein weiteres Geschenk, was Fairon uns Schattenläufern gab ist der Grund, weshalb wir drei uns hier begegnen.“ „Oho, kommen wir endlich mal zum Punkt ja? Ich würde nämlich gerne bald weiterziehen.“, raunte Brodin und auch Alrik, der bislang still und zurückhaltend zugehört hatte stimmte nun mit ein. „Verzeiht Vasaris, aber auch ich möchte meinen Weg schnellstmöglich fortsetzen. Ich will nicht unhöflich sein, jedoch stehe ich erst am Anfang meiner Reise und habe noch einen weiten Weg vor mir.“ „Macht euch beide keine Sorgen.“, sagte Vasaris. „Ihr werdet euer Ziel noch früh genug erreichen. Die Akademie des ewigen Wissens nicht wahr? Euer beider Weg führt dorthin, das weiß ich und wie ich eben bereits angedeutet habe, hat der große Fairon manchen von uns Schattenläufern auch eine weitere Gabe geschenkt. Die Gabe der Visionen. Manchmal sind es kurze Einblicke in das gegenwärtige Geschehen, das jetzt und hier, manches Mal aber auch Bilder von Geschehnissen, die erst noch vor uns allen liegen. Ich habe euch gesehen Alrik Rodensen und Brodin Eisenbart. Ihr zwei an der Seite meiner Tochter Aria. Ich konnte sehen, wie ihr sie auf einer gefährlichen Mission begleitet. Ihr solltet wissen, es steht nicht in meiner Macht, den Verlauf der Zukunft durch meine Vision zu verändern, oder zu beeinflussen, es wird sich so abspielen, das ist sicher. So habe ich mich schließlich auf den Weg gemacht, um mir ein Bild von euch zwei zu machen. Nur darum ging es mir, ich hatte nicht vor in eure Begegnung einzugreifen. Aus den Schatten heraus habe ich euch beobachtet. Mal aus den Augen einer Katze, die verschreckt davon huschte, als du Brodin Eisenbart betrunken vom Hocker im Wirtshaus „Zum torkelnden Mann“ gefallen bist und einmal in einer Unterhaltung mit einer zweitausend Jahre alten Eiche, flüsterte sie mir zu, wo du Alrik Rodensen dein Nachtlager aufgeschlagen hast. Als ich dann jedoch sah, dass ihr zwei euch beim ersten Aufeinandertreffen gleich die Köpfe einhaut, habe ich mich entschieden, eure Wunden zu versorgen und euch etwas mit auf den Weg zu geben. Wisst ihr, es ist nicht meine Wahl, dass ihr es sein werdet, die meine Tochter Aria begleiten werden, das haben die Götter so vorgesehen und ich habe es zu akzeptieren, auch wenn es mir schwer fällt, nach allem was ich bisher gesehen habe, daran zu glauben, dass ihr eine gute Auswahl seid. Alrik Rodensen so spreche ich zu dir, dein Herz ist rein, doch dein Geist ist noch sehr unreif. Du bist mutig, aber auch naiv. Bei deinem Vorstoß gegen den Zwerg hättest du ebenso in seiner Axt landen können. Wende auf deinem Weg List und Tücke an. Du hast den Kopf dafür, benutze ihn! Und du Brodin Eisenbart, Sohn des Grim, vermutlich werden wir zwei, ähnlich wie alle anderen unserer Völker nicht die besten Freunde, aber versprich mir als der älteste in der Gruppe immer die Verantwortung zu übernehmen, trinke weniger Bier und nutze deine Kraft wenn sie erfordert wird. In euren und in den Händen meiner Tochter Aria liegt ein großes vorbestimmtes Schicksal. Meine Vision ist nicht eindeutig, doch eines sah ich ganz klar. Allen Völkern und Bewohnern Eráviors stehen schreckliche Zeiten bevor und ihr drei seid von den Göttern als Bewahrer des Friedens bestimmt worden. Zeigt, dass ihr würdig seid und passt gut auf Aria auf. Ich werde euren Weg so lange aus den Schatten verfolgen und beobachten, wie es mir das Schicksal und die Vision erlaubt.“ Vasaris senkte seinen Kopf und stand auf. Ehe Alrik oder Brodin etwas sagen konnten war er lautlos und wie durch Magie verschwunden. Nur ein Eichhörnchen starrte von einem Ast auf die beiden herab und flüchtete dann in die Baumkrone, während es im Unterholz raschelte und eine Wühlmaus ihren Kopf neugierig aus dem Laub hoch streckte. Hinter einem der nahe stehenden Bäume tauchte noch einmal Vasaris auf. „Ich sagte doch, ich werde euch aus den Schatten heraus beobachten.“, dann war der Schattenläufer endgültig so lautlos verschwunden, wie er zuvor erschienen war. „Hexerei, sag ich doch!“, brummte Brodin. Alrik hingegen fehlten die Worte. Noch nie zuvor war er leibhaftig einem Schattenläufer begegnet. Er kannte sie allenfalls aus Lehrbüchern und Geschichten seines Magisters Jamek. „Was hat das zu bedeuten?“, brach es nun aus Alrik hervor und er blickte fragend zu Brodin herüber. „Was weiß ich denn? Mir dröhnt schon so der Schädel.“ „Tut es noch sehr weh?“, erkundigte sich Alrik. „Ein Kratzer, bloß ein Kratzer. Du glaubst doch nicht, dass ein Bursche wie du mir ernsthaft weh tun könnte, ha! Wie geht es deiner Hand?“ „Gebrochen ist nichts glaube ich, wird schon wieder.“, entgegnete Alrik tapfer. „Entschuldige Brodin Eisenbart, dass ich dich angegriffen habe. Ich gebe zu, ich hatte Angst um mein Leben, als ihr um mein Zelt geschlichen seid.“ „Hmpf, nicht gerade die freundlichste Art und Weise, aber Entschuldigung angenommen Alrik Rodensen.“ Brodin erhob sich vom Waldboden und schüttelte sich einmal kräftig Geäst und Laub von seinem dicken Lederwams, dann schulterte er seinen Rucksack. „Also dann, lass dich nicht wegschnappen Bursche, gibt nen paar fiese Typen unweit dieser Wälder. Ich werde meine Reise nun fortsetzen. Außerdem ist schon fast Mittag, höchste Zeit eine Taverne zu finden.“ „Halt, wartet!“, unterbrach Alrik den aufbrechenden Zwerg. „Du kannst doch jetzt nicht einfach so gehen. Was ist mit der Vision des Schattenläufers? Willst du Vasaris Worte ungeachtet lassen? Vielleicht sollten du und ich gemeinsam reisen, wenn es wirklich unsere Bestimmung ist?“ Brodin bremste ab und drehte sich nochmal zu Alrik um. „Also meine Bestimmung ist es, die Reise nach Tries fortzusetzen, um dort ein Geweihter des Horis zu werden. Meine Bestimmung, meine Reise, meine Entscheidung. Klar? Ich bestimme wann ich esse, was ich und wie viel ich trinke, wo ich lang gehen möchte und wo mir danach ist, mich schlafen zu legen. Ich brauche kein Kind an meiner Seite und schon gar nicht werde ich die Verantwortung für die Tochter eines Schattenläufers übernehmen. Wenn die Götter wirklich etwas anderes wollen, dann werden wir uns sicher wieder begegnen. Wenn nicht, dann gute Reise Alrik Rodensen und nochmal Tschüss.“ Die Sturheit des Zwerges verärgerte Alrik. Sie war wie im Buche beschrieben und einen leibhaftigen Zwerg hatte er bislang ebenso wenig, wie einen Schattenläufer zu Gesicht bekommen. Voller Gedanken obgleich dieses besonderen Aufeinandertreffens der drei großen Völker Eráviors, gab sich Alrik geschlagen und blickte Brodin hinterher, bis dieser auf dem befestigten Waldweg hinter einer Biegung aus seinem Blickfeld verschwand und allein davon zog.

Kapitel 5