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Marc Antonius Aurelius, ein römischer Centurio aus dem 1. Jahrhundert, findet sich wider Erwarten im Schottland des 21. Jahrhunderts wieder. In einer Welt, die ihm fremd und rätselhaft erscheint, muss er lernen, sich zurechtzufinden. Dabei begegnet er Elfie - einer außergewöhnlichen Frau, deren Vergangenheit auf überraschende Weise mit seiner Familie verknüpft ist. Je mehr er über sie erfährt, desto stärker wächst seine Faszination. Doch die Rückkehr in seine eigene Zeit scheint unausweichlich.
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Seitenzahl: 432
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Über die Autorin
Ich heiße Sheyna Jordan, wurde 1968 in Schotten/Hessen geboren, bin gelernte Bankkauffrau, verheiratet und Mutter von drei Töchtern. Die Ahnen- und Ortsforschung ist eine meiner großen Leidenschaften.
Schon als Kind war ich fasziniert von Zeitreisen und romantischen Erzählungen. Da ich sehr heimatverbunden bin, entstand früh der Wunsch, eine eigene Geschichte zu verfassen – eine, die regionale Gegebenheiten mit einer fesselnden Handlung verbindet. Aus dieser Idee entwickelte sich die Liebesgeschichte zweier Menschen aus unterschiedlichen Welten vor dem Hintergrund meiner Heimatregion und dem historischen Ereignis der Varusschlacht. So formte sich die Sturmfels-Reihe, in der Herzen über Jahrhunderte hinweg zueinanderfinden.
Für Elvi
meine beste Freundin,
kluge Ratgeberin,
Namenspat in zwischen den Zeilen,
und ewige Verbündete.
Ohne dich gäbe es
keine Bücher,
keinen Mut, der wagt –
mit Stil und Witz ,
ohne dich wär’s nur ein Geistesblitz.
Prolog
Kapitel 1 - Tasha
Kapitel 2 - Elfie
Kapitel 3 - Marc
Kapitel 4 -
Kapitel 5 -
Kapitel 6 -
Kapitel 7 -
Kapitel 8 -
Kapitel 9 -
Kapitel 10 -
Kapitel 11 -
Kapitel 12 -
Kapitel 13 -
Kapitel 14 -
Kapitel 15 -
Einige Monate später
Epilog
Genealogie
Personenverzeichnis
Ortsverzeichnis
MEIN MANN MEIN RÖMER
Die Romane
»Geheimnis am Sturmfels 1«,
»Entscheidung am Sturmfels 2«,
»Schicksal am Sturmfels 3« und
»Echo am Sturmfels 4«
erzählen die packenden Liebesgeschichten zweier außergewöhnlicher Paare.
Die ersten beiden Bände handeln von Mara Schneider, einer taffen Polizistin, die durch einen unerwarteten Zwischenfall in eine längst vergangene Epoche gerät. Plötzlich befindet sie sich zweitausend Jahre in der Zeit zurück, mitten im Konflikt zwischen Römern und Germanen, unmittelbar vor der Varusschlacht.
In den Folgebänden 3 und 4 begibt sich Tasha auf die Suche nach ihrer verschwundenen Schwester und wird dabei ebenfalls in diese archaische Welt gezogen.
Doch wer das Portal durchschreitet, hat keinen Einfluss darauf, in welches Jahr, Jahrzehnt oder Jahrhundert es ihn verschlägt, auch wenn bisher der Weg aus der modernen Welt stets ins Reich der Römer führte.
Ein weiteres Rätsel: Die Zeit zwischen den Welten folgt keiner festen Regel – zumindest keiner, die der menschliche Verstand erfassen könnte. Reisende aus der Gegenwart verbringen oft Wochen oder Monate in der Fremde, bis zu ihrer möglichen Heimkehr, während in ihrer eigenen Welt nur wenige Tage verstreichen. Mitunter verlaufen beide Zeiten synchron, dann wieder driften sie willkürlich auseinander.
Warum das so ist, ob auch andere Zeitkonstellationen denkbar sind, und was letztlich eine Zeitreise auslöst, bleibt ein Mysterium – ein mögliches Zusammenspiel aus Genetik, besonderen Himmelsereignissen und den geheimen Energien bestimmter Tage im Jahr, die die Tore zwischen den Welten zu öffnen scheinen. Vielleicht ist es aber auch bloße kosmische Willkür, die das Geschehen bestimmt.
So kommt es, dass Tasha auf ihrer letzten abenteuerlichen Reise in die Vergangenheit Marc Antonius Aurelius begegnet – dem Enkel ihrer Schwester. Der römische Centurio steht ihr zur Seite und findet sich am Ende unfreiwillig in der Gegenwart wieder.
Erfahrt jetzt, was Tashas Großneffe im 21. Jahrhundert erlebt – und seht, wohin ihn sein Schicksal führt …
Eves Anruf ist schlagartig zur Nebensache geworden. Den Hörer habe ich unbewusst aufgelegt. Die aktuelle Situation überfordert mich. Was hier gerade passiert, kann unmöglich wahr sein – weil nicht sein kann, was nicht sein darf!
Wäre da nicht Ermin, der mich vor dem Umfallen bewahrt, indem er mich schnell und hart am Arm packt, würde ich es nicht glauben. Doch der Schmerz ist sehr präsent, also ist das, was hier gerade geschieht, real.
Marc Antonius Aurelius steht leibhaftig vor mir. Ein zweitausend Jahre alter Römer, in voller Montur. Auch er wirkt fassungslos, ist kreidebleich und sehr still.
Unterdessen versucht Ermin zu mir durchzudringen, aber er muss seine Worte mehrmals wiederholen.
»Tasha, hörst du mich?«
Träge nicke ich.
»John brachte ihn her. Er griff ihn bei Dunnicaer auf.«
Ich bin noch nicht vollständig im Hier und Jetzt und reagiere erneut mit Unverständnis. »Aber wie kann das sein? Ich verstehe das nicht.«
Der Anblick des Römers, die ganze Situation, bleibt unwirklich.
Nun sind bereits zwei Menschen aus der Vergangenheit im 21. Jahrhundert: Nechtan, ein altertümlicher Schotte, der schwerverletzt im Krankenhaus liegt, und jetzt auch noch dieser Römer, mein Großneffe, der Enkel meiner Schwester Mara.
Wie sollen wir ihre Anwesenheit bloß erklären?
Und vor allem: Wie bringen wir die beiden wieder zurück in ihre Zeit?
O Gott, was für ein Schlamassel!
Plötzlich räuspert sich Aurelius. Seit seiner Ankunft hat er kein Wort gesagt, doch nun bricht es stockend und mit Schrecken aus ihm heraus: »Was in Jupiters Namen war das für ein Ungeheuer? So laut, so schnell, so stinkend … und wo bin ich hier überhaupt?«
»Was?« Ich begreife nicht sofort.
Ermin aber schon. Er schaut Aurelius an und erklärt: »Das war eine Kutsche aus Metall, ohne Pferde.«
Ah, es geht um das Auto – den Wagen meines Chefs.
Für jemanden, der diese Art der Fortbewegung nicht kennt, muss es tatsächlich wie ein wildes Tier aus der Unterwelt anmuten. Zu Aurelius' Pech ist er ausgerechnet auf John getroffen. Er ist ein lieber Kerl, aber ein miserabler Autofahrer – unsicher und immer viel zu schnell unterwegs. Deshalb fahre ich ungern mit ihm. Andererseits war es für Aurelius eine glückliche Fügung, auf ihn zu treffen.
Gut, mein Verstand kommt allmählich wieder in Schwung und beginnt zu arbeiten. Eine Frage drängt sich auf, die ich sogleich auch stelle: »Woher wusste John überhaupt, dass er dich zu uns bringen kann?«
Aurelius antwortet nicht, er blickt mich nur mit großen blauen Augen ratlos an.
Ermin mischt sich ein: »Tasha, er versteht dich nicht. Du musst Latein mit ihm sprechen.«
Er hat recht – ich wiederhole meine Frage.
Als Antwort zückt er das Foto, das ich ihm zur Erinnerung an seine Großmutter, meine Schwester, zugesteckt hatte. Darauf ist nicht nur Mara abgebildet, sondern auch ich – allerdings war ich damals noch ein paar Jahre jünger.
»Ah, verstehe, aber wo ist John? Warum ist er weggefahren, ohne Fragen zu stellen? Das ist nicht seine Art.« Mein Boss ist ein äußerst neugieriger Mensch, und das Aussehen dieses Fremden verlangt geradezu nach einer Erklärung.
Ermin liefert sie prompt: »Ich habe kurz mit ihm gesprochen. Für ihn ist klar, dass Aurelius zu einer Schaustellertruppe gehört. Es hat ihn zwar gewundert, dass er kein Wort spricht, aber er schob das lachend auf seinen Fahrstil. Aurelius hatte ein Bild von dir, und John erkannte dich natürlich. Also brachte er ihn hierher. Er lässt dich grüßen, musste aber direkt weiter nach Aberdeen zu einem dringenden Termin.«
Es dauert einen Moment, bis ich diese Informationen verarbeitet habe, und dann fallen mir noch weitere Fragen ein, darunter: »Wie zur Hölle ist er durch die Passage des Zeittunnels gelangt?«
»Vermutlich mit uns«, antwortet Ermin.
»Aber wir sind doch schon seit gestern zurück. Was hat er in der Zwischenzeit gemacht?«
»Frag ihn doch«, fordert Ermin mich auf und nickt in Aurelius’ Richtung.
Dieser große Kerl in römischer Rüstung wirkt in meinem Haus, in meiner Welt, in meinem Leben völlig deplatziert, doch ist er auch Familie. Mit seinem ängstlichen und gleichzeitig um Hilfe bittenden Blick rührt er mein Herz.
Nun gut, es ist, wie es ist. Am besten fangen wir bei null an. Ich frage ihn auf Latein: »Hast du Hunger? Durst?«
»Bitte nur etwas Wasser«, antwortet er zaghaft.
Ich führe ihn in die Küche, fordere ihn auf, Platz zu nehmen, und schütte ihm ein Glas Wasser ein. Dann wende ich mich an Ermin: »Kannst du ihm Kleidung von dir geben? So kann er ja nicht herumlaufen.«
Mein Liebster nickt und bemerkt dabei, dass meine Hände zittern. Bevor er geht, zieht er mich in seine Arme und streicht beruhigend über meinen Bauch. »Es wird alles gut. Wir sind zu Hause, und dem Baby geht es ebenfalls gut. Alles andere wird sich finden.«
Ich atme tief ein und aus. Ja, das stimmt. Wir sind zu Hause, in Sicherheit und irgendwie werden wir unsere beiden Gäste schon zurückbringen.
Ich schmiege mich eng an meinen Fels, meinen Beschützer. Wieder einmal gibt er mir das Gefühl, mit ihm an meiner Seite Berge versetzen zu können. Er schenkt mir noch einen zärtlichen Kuss, dann verlässt er den Raum.
Aurelius, oder besser gesagt Marc, hat sich inzwischen neugierig umgesehen. Sein Blick wandert über die vielen seltsamen Gegenstände um ihn herum.
Schließlich stellt er erneut die Frage: »Wo bin ich hier?«
Ich setze mich ihm gegenüber und blicke ihm direkt in die Augen. »Das ist die Welt, aus der deine Großmutter stammt …« Ich mache eine kurze Pause, bevor ich den schwierigeren Teil ausspreche: »Eine Welt, die zweitausend Jahre nach deiner Zeit liegt.«
Seine Augen weiten sich. Schweiß tritt auf seine Stirn. Wortlos setzt er seinen Helm ab und legt ihn auf den Tisch. Dann fährt er sich mit beiden Händen durchs Haar, murmelt tonlos: »Nein … ich muss im Tunnel gestorben sein.«
Entschlossen packe ich seine Hände. Mit fester Stimme wiederhole ich: »Glaube mir, es ist wahr: Du bist in einer anderen Zeit, auch dein Großvater kam damals hierher … unfreiwillig, genau wie du.«
Marc schüttelt den Kopf. Noch weigert er sich, die Wahrheit anzuerkennen.
»Nun gut.« Ich lasse seine Hände los, lehne mich zurück und denke laut nach: »Was könnte dich überzeugen?«
Marc wirkt entrückt, verloren in seinen Gedanken. Sein Ausdruck der Hilflosigkeit lässt mein Mitgefühl für ihn wachsen.
»Hör mal, Marc, du hast doch schon von deiner Großmutter einiges Seltsames gehört und vielleicht sogar gesehen. Ich bin wie sie, und all das hier ist doch mehr als ungewöhnlich …« Mit einer weiten Geste umfasse ich die Umgebung, um seine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. »Ich kann dir nichts beweisen, wenn du nicht willens bist, es auch glauben zu wollen.«
Zögernd bewegt er sich, als müsste er erst wieder in die Realität zurückfinden. Dann fragt er leise: »Was war das für eine Tibia?«
Tibia - Flöte?
Was meint er damit?
Es dauert einen Moment, bis ich den Zusammenhang erkenne: Er spricht vom Telefon, das bei seiner Ankunft geklingelt hatte.
»Ah, du meinst das Geräusch vorhin? Das war das Telefon«, erkläre ich. »Ein Gerät, mit dem ich mit jedem auf der Welt sprechen kann.«
Er blickt mich ungläubig an. »Du redest mit dem … Ding?«
Ich muss schmunzeln. »Nein, ich spreche da nur hinein und ein anderer Mensch, weit weg von hier, der ebenfalls so einen Apparat besitzt, kann mich hören und mir antworten.«
Er reibt sich über das Gesicht, als könne er das Gehörte nicht fassen.
Okay, so komme ich nicht weiter. Ich muss es anders versuchen und habe auch schon eine Idee.
Ich packe ihn am Handgelenk und ziehe ihn ins Wohnzimmer. Dort angekommen, drücke ich ihn aufs Sofa. Überrascht bleibt er sitzen, ohne zu murren, während ich nach einer bestimmten DVD suche.
Gefunden!
Schnell lege ich sie in den Player und starte die Wiedergabe.
Als die bewegten Bilder über den Bildschirm flimmern, zuckt Marc heftig zusammen. Reflexartig will er aufstehen, doch ich dränge ihn genervt zurück.
»Erkennst du sie nicht? Das sind Mara und Marcus, deine Großeltern. Ich habe das vor ein paar Jahren aufgenommen … äh, angefertigt. Und da ist auch deine Urgroßmutter und meine älteste Schwester Jenny …«
Er weicht meinem Blick aus, hält Abstand.
Meine Geduld schwindet. Schärfer als beabsichtigt fordere ich: »Sieh endlich mal hin!«
Zögernd wendet er sich dem Film zu.
Kein Wort, keine Regung – nur hin und wieder ein kaum merkliches Kopfschütteln. Seiner Miene nach erkennt er Mara, aber der Zweifel bleibt.
Ermin ist mittlerweile zurückgekehrt und beobachtet die Szenerie grinsend. Lässig wie eh und je lehnt er am Türrahmen und schmunzelt beim Anblick von Marcs Skepsis. Ich gehe zu ihm und kneife ihm ärgerlich in die Seite.
»Hey, ich habe doch gar nichts gemacht«, verteidigt er sich halbherzig.
»Du solltest ihn doch am besten verstehen«, entgegne ich vorwurfsvoll.
»Er wird das schon verkraften. Er ist seinem Großvater verdammt ähnlich.«
»Ja, nicht wahr? Schon irgendwie komisch, dass uns das bei unserem ersten Aufeinandertreffen nicht gleich aufgefallen ist.«
Gemeinsam beobachten wir Marc und versuchen zu erahnen, wie weit seine Erleuchtung gereift ist. Zumindest ist er ruhiger geworden. Als der Film endet, blickt er uns fragend und ein wenig hilflos an.
»Soll ich ihn noch einmal laufen lassen?«, schlage ich vor. Er nickt.
Mein Germane beginnt sich unterdessen zu langweilen. »Hier sind die Kleidungsstücke, die du wolltest. Ich muss jetzt zu den Pferden. Kommst du ohne mich zurecht?« Dabei legt er die Sachen auf den Tisch.
»Ja, geh nur.«
Er verlässt den Raum, und Marc und ich schauen uns noch ein paar weitere Familienfilme an.
Es schmerzt, Mara so jung und voller Leben zu sehen. Für Mom wiegt der Verlust ihres Kindes schwerer. Sie versteht die zeitlichen Differenzen zwischen den Epochen noch weniger als ich. Für sie zählt nur die Hoffnung – die Hoffnung, dass ein Wunder ihre Tochter zurückbringt. Doch während sie hofft, bleibt mir nur die Gewissheit, dass Mara Nachkommen hatte und mit ihrem Römer zeitlebens glücklich war.
Spontan ergreife ich Marcs Hand. Tränen steigen mir in die Augen. Marc ist vermutlich in meinem Alter, doch ich fühle mich ihm gegenüber reifer. Das liegt wohl daran, dass ich faktisch seine Großtante bin.
Neugierig betrachtet er mich. »Du vermisst sie«, bemerkt er treffend.
»Ja, sehr. Deine Oma war eine außergewöhnliche Frau. Ich kenne niemanden, der so mutig und stark war wie sie. Sie hat es geschafft, mit deinem Opa in deiner Zeit zu leben. Ich hätte das niemals gekonnt.«
»Das klingt, als wärst du schon einmal dort gewesen?«, fragt er überrascht.
»Ja, vor etwa vier Jahren, auf der Suche nach Mara geriet ich in deine Welt. Mit viel Glück fand ich sie … sie hatte gerade ihr erstes Kind bekommen, deine Tante Freya.«
Marc runzelt die Stirn, sichtlich verwirrt. »Das verstehe ich nicht. Vier Jahre? Das passt nicht zusammen. Du bist noch so … jung. Warum?«
»Das weiß ich auch nicht.« Jetzt muss ich lachen, so wollte ich mich nicht ausdrücken.
Sein irritierter Blick bringt mich dazu, schnell hinzuzufügen: »Also, was ich damit meine, ist, dass ich keine Ahnung habe, wie diese Reisen funktionieren oder warum es den zeitlichen Unterschied gibt. Die Zeit zwischen den Welten vergeht eben anders, warum auch immer.« Es fällt mir schwer, das Ganze in Worte zu fassen – jeglicher Erklärungsversuch endet kompliziert. Es ist eben Chaos, auch wenn selbst darin eine gewisse Ordnung zu liegen scheint, nur erschließt sie sich uns nicht in Gänze.
Marc wirkt niedergeschlagen, als er leise murmelt: »Ich muss in einem Traum gefangen sein, aus dem es kein Erwachen gibt.« Doch dann sieht er mich direkt an und will wissen: »Wann kann ich wieder nach Hause?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Dieses Wunder folgt seinen eigenen Regeln, meist an besonderen Tagen im Jahr. Wenn du und Nechtan Glück habt, vielleicht in sechs Wochen, zum Lammasfest.«
Oder auch nie, denke ich still bei mir, denn ich habe nicht vor, mitzugehen. Laut der Seherin Deirdre, die uns damals aufforderte, Nechtan in unsere Welt zu bringen, sollte seine Heimkehr auch ohne uns möglich sein – dank der besonderen Sternenkonstellation, die bei unserer Rückreise herrschte. Aber kann ich dem wirklich trauen? Die alte Überlieferung besagt, dass nur diejenigen, die gemeinsam durch das Portal reisten, auch zusammen zurückkehren können. Wobei die Gefahr lediglich für Nechtan besteht, nicht für mich, denn ich werde in keinem Fall einen solchen Wahnsinn noch einmal vollziehen. Doch was ist mit Marc? Er ist völlig unbeabsichtigt hier gelandet.
»Nechtan?«, fragt Marc verwundert.
Ach ja, davon weiß er noch nichts. Ich kläre ihn auf: »Er ist ein junger Krieger aus deiner Welt, im Kampf schwer verwundet. Wir nahmen ihn mit, weil man ihm hier helfen kann.«
»Warum?«, fragt er verblüfft.
»Weil es in meiner Welt Heilungsmöglichkeiten gibt, die ihm dort nicht zur Verfügung stehen.«
»Könnte man das nicht auch bei anderen tun?«
Seine Frage lässt mich innehalten. Mein Ton wird schroff. »Wie meinst du das? Menschen durch die Zeit schicken, um sie zu heilen?« Der Gedanke, dieses Tor für medizinische Behandlungen oder für noch Schlimmeres zu missbrauchen, ist mir zutiefst zuwider.
Wenn es stimmt, was Nechtans Mutter Cadha glaubt, verbirgt sich der Schlüssel zu dieser Macht in einem bestimmten genetischen Code, den nur wenige in sich tragen. Das Marc zu erklären, wäre schwierig – ich habe es selbst nur im Ansatz verstanden. Zwar besitze ich eine seltene Blutgruppe – AB negativ –, aber auch wenn nur ein Prozent der Weltbevölkerung diese Eigenschaft teilen, wären das immer noch mehrere Millionen potenzielle Reisende. Ob das wirklich der Schlüssel für die Zeitsprünge ist oder vielleicht nur eine Komponente davon?
Marc lässt nicht locker. »Warum reagierst du so ablehnend? Ihr habt ihn schließlich hierhergebracht. Warum nicht auch andere?«
»Es ist kompliziert. Wir sind zufällig in deine Welt geraten, und obwohl wir einige Kräfte des Zeitensprungs verstehen, können wir nie sicher sein, dass es immer gut gehen wird. Dass wir zurückkehren konnten, bleibt ein kleines Wunder.«
Ich halte kurz inne, bevor ich fortfahre. »Was Nechtan angeht: Eine Seherin aus seiner Welt bat uns, ihn mitzunehmen. Sie sagte, er müsse gerettet werden, weil er für ihr Volk von großer Bedeutung sei. Hätten wir Nein sagen sollen?«
Ich gebe ihm damit viel von Nechtans zukünftiger Rolle preis, die sicherlich auch für die Römer von Interesse sein wird. Hoffentlich ist das Vertrauen, das ich instinktiv in Marc setze, gerechtfertigt.
Mir fällt da noch etwas ein. »Sag mal, Marc, wir sind seit gestern wieder zurück. Wo warst du in der Zwischenzeit?«
Er antwortet nicht sofort, dann entgegnet er müde: »Bevor ich den Tunnel verlassen konnte, wurde ich von herabstürzenden Steinen getroffen und verlor das Bewusstsein. Als ich schließlich wieder zu mir kam und einen Weg nach draußen fand, war alles so fremd und eigenartig … grelle, unbekannte Lichter leuchteten hektisch in der Ferne und ohrenbetäubende Geräusche hallten durch die Luft. Ich hielt es für sinnvoll, abzuwarten.« Er unterbricht seine Schilderung und trinkt etwas.
Sein Blick und seine Haltung verraten deutlich, dass er erschöpft, aber entschlossen ist, den Rest seiner Geschichte zu erzählen.
»Am Morgen schaute ich wieder nach. All die seltsamen Kreaturen vom Vortag waren verschwunden. Ich fasste Mut, traf aber doch noch auf eines der Ungeheuer. Ich muss zugeben, ich war wie gelähmt. Der Mann, der es beherrschte, sprach mich an, und dabei fiel dein Bild zu Boden. Er erkannte dich und brachte mich hierher.«
So, das reicht jetzt!
»Marc, wir können unsere Unterhaltung später fortsetzen. Du solltest dich jetzt erst einmal ausruhen.«
Er nickt dankbar.
Schwerfällig steht er auf und folgt mir ins Obergeschoss. Ich führe ihn in das Gästezimmer, das über ein eigenes Bad verfügt. Schnell erkläre ich ihm die wichtigsten Dinge des modernen Lebens: vom Lichtschalter über die Dusche bis hin zur Toilettenspülung. Ob er alles verstanden hat, wage ich zu bezweifeln, auch wenn er trotz seiner Müdigkeit sehr wissbegierig ist. Am meisten faszinieren ihn die Lichtschalter. Ich hoffe, dass er mit allem zurechtkommt und lasse ihn allein. Morgen sehen wir weiter.
Und wieder klingelt das Telefon. Noch bevor ich die Treppe hinunter bin, ist Ermin zur Stelle. Er ist gerade zur Haustür hereingekommen und hat den Anruf entgegengenommen. Er spricht nicht viel, aber das tut er ohnehin nie. Telefonieren ist ihm suspekt, weil ihm kein Gesprächspartner gegenübersteht; selbst Skypen findet er schräg. Ich hingegen mache das gerne und oft, besonders mit meinen Lieben in Deutschland.
»Ist es Mom?«, frage ich flüsternd.
Er schüttelt den Kopf.
»Eve?«
Er nickt, und damit endet auch das Gespräch.
»Was hat sie gesagt?«
»Sie wollte wissen, warum du vorhin einfach aufgelegt hast.«
»Und? Was hast du ihr erzählt?«
»Nichts.« Er bemerkt meinen genervten Gesichtsausdruck und fügt grinsend hinzu: »Nur, dass es dir nicht gut ging.«
Okay, das wird sie wohl auf die Schwangerschaft zurückführen.
Ich überlege kurz und schlage dann vor: »Wir sollten Marcs Anwesenheit so lange wie möglich geheim halten. Einverstanden?«
Ermin stimmt zu. »Wo ist er eigentlich?«
»Er schläft … oben.«
Endlich kann ich durchatmen, aber gleichzeitig überkommt mich ein Gefühl der Überforderung. Eng an Ermin geschmiegt, drücke ich meine Unsicherheit aus: »Wie sollen wir die beiden bloß wieder nach Hause schaffen? Und wie erklären wir ihre Anwesenheit?«
»Da wird uns schon was einfallen. Aurelius ist bei uns in Sicherheit und Eve kümmert sich um Nechtan. Sie hat ihm eingetrichtert, sich still zu verhalten. Wir werden den beiden helfen, diese Welt zu verstehen, solange sie hier sind. Ich habe es schließlich auch geschafft.«
Unvermittelt hält er inne, ein verschmitztes Lächeln umspielt seine Lippen. »Wurden wir nicht unterbrochen?«, fragt er flüsternd und zwinkert mir zu. »Ich beabsichtige, unser Spiel fortzusetzen.«
Oh, ich weiß, was er damit meint.
Ehe ich mich versehe, hebt er mich hoch und trägt mich ins Schlafzimmer. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich nur spärlich bekleidet bin. Marc kommt mir in den Sinn – er hat mich so gesehen und schläft nur wenige Schritte entfernt. Was ist, wenn er uns hört? Wie peinlich! Doch Ermin vertreibt mit seinen Küssen all diese Gedanken.
Nachdem er mich sanft auf dem Bett abgesetzt hat, befreit er mich von meinem Morgenmantel, dabei wandern seine Augen begierig über meinen nackten Körper. Er startet seine Liebkosungen an meinem Ohrläppchen und arbeitet sich forsch weiter nach unten. Seine Zärtlichkeiten lösen ein wohliges Kribbeln und Gänsehaut in mir aus. Als auch ich aktiver werden möchte, hält er mich zurück. Diesmal will er das Tempo bestimmen. Der Gedanke, welches Ziel er verfolgt, lässt mich erschauern.
Ermin bemerkt meine Reaktion und gibt brummende Laute der Zufriedenheit von sich.
Ich antworte mit einem leisen, lustvollen Stöhnen, während er sich genüsslich meinen erhitzten Knospen widmet – daran saugt und knabbert, als wären sie Bonbons. In der steigenden Erregung presse ich ihm intuitiv mein Becken entgegen. Doch er hält mich sanft zurück und setzt seinen Weg unbeirrt fort.
Alles um uns wird unwichtig, ich nehme nichts mehr wahr; es zählt nur noch unsere Zweisamkeit und das Liebeskarussell, in dem wir uns drehen.
Nicht lange darauf erreicht er sein Ziel. Voller Hingabe beginnt er, mein intimes Dreieck mit gezielten Küssen zu überschütten, um dann Sekunden später mit seiner Zunge meine empfindlichste Stelle zu liebkosen.
Ich kann es nicht verhindern, wollüstige Schreie entweichen mir. Mein Liebster nimmt dies mit sichtlicher Genugtuung wahr. Er leckt und saugt mit immer stärker werdender Intensität an meiner Knospe, bis ich in einem Höhepunkt mit unzähligen kleinen Explosionen aufblühe. Dabei lege ich reflexartig meine Schenkel um seinen Kopf. Er deutet es als Einladung und dringt mit seiner Zunge wieder und wieder tief in mein warmes Inneres vor. Und obwohl ich bereits mein Ziel erreicht habe, reagiert mein Körper erneut auf diese Reize. Wenig später erlebe ich einen weiteren Orgasmus.
Völlig erschöpft gebe ich Ermin frei und liege schwer atmend auf dem Bett. Er sieht mich mit einer Zufriedenheit an, die nur Männern eigen ist.
»Ich habe nie eine Frau gekannt, die so leidenschaftlich beim Liebesakt ist«, bemerkt er fasziniert.
»Dazu braucht es den richtigen Mann«, erwidere ich schmunzelnd und füge hinzu: »Was ist eigentlich mit dir? Du hattest gar nicht deinen eigenen … Spaß.«
»Oh, den hatte ich«, raunt er schelmisch. »Ich werde dich noch nehmen, meine Blume.« Ein verführerisches Funkeln blitzt in seinem Blick auf. Ich weiß, dass es ein Versprechen birgt, das über die Worte hinausgeht. Dann sagt er mit ruhiger Bestimmtheit: »Aber nach allem, was du durchgemacht hast, ist es nun an der Zeit, dich auszuruhen. Wir sind erst seit gestern zurück. Du hast viel erlebt, der Schlaf wird dir helfen, wieder zu Kräften zu kommen.«
Er hat recht. Während ich mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liege, spüre ich Ermins zarte Berührungen. Er hat sich auf die Seite gelegt, seinen Kopf auf einem Arm abgestützt und streichelt mich. Ich genieße es – und auch die Stille, die zwischen uns schwebt.
Als seine Fingerspitzen zärtlich meine Brüste umkreisen, bemerkt er anerkennend: »Sie sind größer geworden. Das gefällt mir.«
»Und da wird noch mehr wachsen«, erwidere ich frustriert.
Ermin lacht. »Also, ich freue mich darauf. Ich liebe jedes kleine Polster an dir, meine Blume. Da habe ich immer etwas zum Greifen.« Zur Bestätigung zwickt er mir liebevoll in den seitlichen Hüftspeck.
»Hey, lass das! Du hast ja gar keine Ahnung. Ich werde in den nächsten Monaten bestimmt zum Kugelfisch mutieren«, antworte ich gespielt empört, aber mit einer Spur Unsicherheit in meiner Stimme.
Er nimmt mich in den Arm, sein Lächeln ist breit und warm. »Und wenn schon. Du bist meine Sonne, strahlend schön und groß.«
Seine Lippen suchen die meinen. Es ist ein Kuss tiefer Verbundenheit, ein stiller Schwur, gemeinsam durch dick und dünn zu gehen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Als er mich kurz freigibt, wird er ernst. »Ich bin zehn Jahre älter als du und nicht mehr so fit wie damals. Doch du liebst mich ohne Vorbehalte. Das …«
»Schluss damit!«, unterbreche ich ihn forsch, aber auch sanft. »Wir werden beide älter und verändern uns. Das ist der Lauf der Dinge. Ich liebe dich, weil du von Anfang an bereit warst, mich zu retten, vor allem vor mir selbst, und weil du am Ende für mich alles aufgegeben hast.«
Ermin hört aufmerksam zu und hat sich hinter mir in Löffelchenstellung positioniert. Gerührt flüstert er: »Unser Kind hat Riesenglück, dich als Mutter zu bekommen.«
Ich möchte etwas entgegnen, doch er verhindert es, indem er einen Finger leicht auf meine Lippen legt. »Pst! Du musst jetzt schlafen, meine Blume.«
Ich gebe nach. Es dauert nicht lange und ich bin eingeschlummert, wohlbehütet durch Ermins starken Körper und der Gewissheit, in meiner Welt zu sein – in meinem Bett, in Sicherheit. In dieser Nacht träume ich nicht.
Das Sonnenlicht weckt mich. Ermin muss vergessen haben, die Vorhänge zuzuziehen.
Meine Augen sind noch vom Schlaf getrübt, und die unzähligen kleinen Staubteilchen, die in den morgendlichen Lichtstrahlen wild umherwirbeln, erscheinen mir wie tanzende Feen und Elfen. Für die meisten Einheimischen sind sie ein Potpourri aus Fantastereien, während sie Touristen gerne mit Geschichten über Kobolde, Hexen und allerlei Aberglauben auf die Schippe nehmen.
Wo ist eigentlich mein Germane? Er liegt nicht mehr neben mir. Vermutlich ist er bereits in der Küche, denn der verlockende Duft von frisch gebrühtem Kaffee steigt mir in die Nase. Eigentlich möchte ich das Bett nicht verlassen. Es ist urgemütlich, weich und warm – ganz anders, als die harten, mit Krabbelzeug versifften Strohbetten in der anderen Zeit. Mag sein, dass ich übertreibe, aber mein eigenes Nest fühlt sich am heimeligsten an. Doch der braune Wachmacher ist auch sehr verführerisch.
Schnell mache ich mich frisch und ziehe den beigefarbenen Hasen-Jumpsuit an, den Ermin so liebt. Ausgiebig duschen kann ich nach dem Frühstück.
Im Erdgeschoss angekommen, höre ich die Stimmen von Ermin und Marc. Es ist mir ganz recht, dass sich Ermin seiner annimmt – immerhin ist er derjenige, der am ehesten in der Lage ist, Marc die wichtigsten Lektionen unserer Zeit beizubringen. Die beiden sollten sich aufgrund ihrer ähnlichen Wurzeln gut verstehen, auch wenn Marc davon nichts ahnt. Denn kaum jemand weiß schließlich von Ermins wahrer Identität – der des historischen Arminius.
Marc stellt unermüdlich Fragen, auf Latein, und mein Germane beantwortet sie mit bemerkenswerter Geduld. Unwillkürlich muss ich lächeln. Es erinnert mich an seine Arbeit mit den Pferden, auch dort beweist Ermin eine beeindruckende Ruhe. Er wird ein großartiger Vater sein. Die Vorstellung von einer Familie, einem Leben hier, mit ihm … ein warmer Gedanke, der mir ein wohliges Gefühl im Bauch bereitet.
Gut gelaunt betrete ich die Küche. »Guten Morgen, ihr beiden.«
Ich steuere direkt auf meinen Germanen zu, der mir amüsiert zuzwinkert – wie gesagt, er mag mich in dem hasenartigen Outfit.
Marc hingegen verschluckt sich bei meinem Anblick und muss husten, was mir ein Schmunzeln entlockt. Im Vorbeigehen klopfe ich ihm fest auf den Rücken. Kurz zuckt er zusammen, fängt sich aber schnell wieder. Er trägt eine Jeans von Ermin und dazu einen blauen Pulli – ein ungewohnter Anblick, ganz ohne seine Rüstung.
»Du siehst fesch aus, die Kleidung steht dir gut«, bemerke ich anerkennend und nehme die Tasse Kaffee entgegen, die Ermin mir reicht. Dabei lächelt er mich liebevoll an.
»Mhm, danke«, murmle ich leise und halte die Tasse einen Moment an meine Nase. Der verführerische Duft, den ich so lange vermisst habe, steigt mir intensiv in die Sinne – ein Moment, den ich einfach genieße.
Während ich an meinem heißen Getränk nippe, schweifen meine Gedanken kurz ab. Seit unserer Rückkehr habe ich nichts mehr von Adam gehört – ich sollte ihn mal anrufen. Die ganze Geschichte hat ihm stark zugesetzt. Und dann fällt mir noch etwas ein. »Sag mal, Ermin, seid ihr schon länger auf?«
Er wirft einen bedeutungsvollen Blick zu Marc. »Ja. Das liegt an ihm. Er ist seit vier Uhr früh wach, und ich auch. Er hat Panik bekommen.«
Ich sehe ihn überrascht an. »Wieso das?«
»Er hat versehentlich den Wecker angeschaltet. Um vier Uhr ging er los. Das hat ihn so erschreckt, dass er alles Mögliche im Zimmer umgestoßen hat.« Ermin runzelt die Stirn. »Ehrlich gesagt, wundert es mich, dass du von dem Lärm nichts mitbekommen hast.«
»Nein, ich habe wirklich nichts gehört. Ich war wohl einfach zu erschöpft und erleichtert, endlich wieder zu Hause zu sein, das hat mich in einen tiefen Schlaf versetzt. Warum hast du mich nicht geweckt?«
»Das wollte ich nicht. Du hast so schön geschlafen.«
Besorgt sehe ich zu Ermin. »Geht es Marc denn gut?«
Ermin grinst. »Na, sieh doch selbst. Er lebt und scheint Appetit auf Kaninchen zu haben.« Eine Anspielung auf mein Outfit, versteht sich.
Ich kneife ihn zum Spaß, und er zieht theatralisch an meinen Hasenohren, bevor er mich in den Arm nimmt und küsst.
»Stopp! Das könnte für unseren Römer zu viel des Guten sein«, mahne ich und entziehe mich seinen Zärtlichkeiten.
»Er versteht uns doch nicht«, entgegnet Ermin amüsiert.
»Aber er ist nicht blind«, tadele ich leise.
Marc hat bisher keinen Ton von sich gegeben, er beobachtet uns nur sehr aufmerksam.
Ich will nun wissen: »Und? Was habt ihr in den letzten Stunden gemacht?« Immerhin ist die Sonne längst aufgegangen.
»Ich habe ihm die Gegenstände in seinem Zimmer erklärt und noch einiges mehr«, antwortet Ermin sachlich.
»Wie macht er sich?«
»Gut. Er ist nicht dumm. Er hat eine schnelle Auffassungsgabe. Das ist eine gute Basis.«
Genau in diesem Moment räuspert sich das Subjekt, über das wir die ganze Zeit gesprochen haben.
Ermin und ich blicken gleichzeitig zu ihm.
»Könntet ihr euch bitte so ausdrücken, dass ich es verstehe?«, kritisiert Marc uns und hat damit nicht unrecht.
Für den Augenblick ist das fair. Trotzdem spricht nichts dagegen, dass er, solange er in unserem Jahrhundert verweilt, ein bisschen Englisch lernt.
Ich sehe ihn an und räume ein: »Entschuldige, Marc, du hast recht. Dennoch wird es sinnvoll sein, dir ein paar Wörter in unserer Sprache beizubringen.«
Ermin nickt bestätigend und sagt: »Zumindest so lange, wie du hier bei uns bist.«
»Einverstanden«, entgegnet Marc, ohne zu zögern, aber sein verwirrter Gesichtsausdruck bleibt.
»Es ist meine Kleidung, nicht wahr?«, frage ich belustigt.
Mit großen, ungläubigen Augen fixiert er mich. »Sind das die normalen Gewänder der hiesigen Frauen?«
Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen, aber darauf eingehen werde ich nicht und winke ab. »Du wirst noch vieles lernen müssen, nicht alles bedarf einer näheren Erklärung. Nimm es einfach hin. Es gibt Schlimmeres.«
»Also, mir gefällt’s«, mischt sich Ermin breit grinsend ein.
Das weiß ich. Und während ich ihm einen schnellen Schmatzer auf die Wange gebe, verabschiede ich mich mit den Worten: »Ich gehe jetzt duschen und mich umziehen. Kümmerst du dich …«
Ermin beendet meinen Satz, »… um ihn.« Dabei schiebt er mich sachte Richtung Tür und ergänzt: »Ja, das werde ich. Ich nehme ihn mit zu den Pferden. Mach dir keine Gedanken.«
Nun ja, mein Frühstück hatte ich mir anders vorgestellt, auch wenn der Kaffee fürs Erste reicht. Dann werde ich eben später essen.
Ich stehe lange unter der Brause. Das warme Wasser tut meinen Knochen und meiner Seele gut.
Leider passen mir nur noch wenige Jeans, der Bund ist das Problem, das wird in den nächsten Monaten nicht besser. Aber ich denke nicht weiter darüber nach, sondern erinnere mich daran, dass ich noch einen Frauenarzttermin ausmachen muss. Es muss sein. Ich werde bei der Ärztin im Community Hospital bleiben – sie wirkte kompetent und nett. Nur wenige Minuten später habe ich einen Kontrolltermin: Ende nächsten Monats.
Mir gehen die kommenden Wochen durch den Kopf. John, mein Boss, hat mir das Arbeiten untersagt. Er macht sich Sorgen um mich, weil ich verschüttet war und wegen der Schwangerschaft. Bei seinem Krankenhausbesuch hat er mir eindringlich geraten, eine Auszeit zu nehmen – was eher einem Befehl gleichkam. Nicht die schlechteste Idee. Wir werden die Zeit brauchen, vor allem für unsere Gäste.
Jetzt sollte ich aber mal nachsehen, wo meine beiden Urzeitdinos abgeblieben sind. Bevor ich mich aber auf die Suche mache, schmiere ich mir noch schnell ein Käsebrot und esse es auf dem Weg nach draußen.
Ich finde die beiden auf dem Round-Pen, einem runden, eingezäunten Platz, auf dem Ermin mit Wotan arbeitet. Ich komme gerade dazu, als er Marc seine Arbeit erklärt.
»Pferde wollen mit uns reden. Sie sagen und zeigen uns, was sie bewegt, und das lässt sich am Boden besser wahrnehmen als auf ihrem Rücken.«
Marc erwidert: »Ja, das stimmt. Anspruchsvolle Pferde sind oft sensibel und zugleich wild. Ihr Charakter und Temperament können herausfordernd sein.«
»Genau«, pflichtet Ermin ihm bei. »Die Arbeit am Boden hilft mir, klare Regeln aufzustellen. Wenn ich es richtig mache, wird das Pferd mir selbst in schwierigen Situationen vertrauen und folgen.«
»Es soll schließlich dein Freund sein, kein Sklave«, betont Marc ruhig.
Die beiden Männer scheinen sich gut zu verstehen, der Kitt ist ihr gemeinsames Interesse für Pferde. Das ist schon bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der eine überzeugter Römerfeind ist und der andere das genaue Gegenteil.
»Hallo, ihr zwei«, begrüße ich sie fröhlich. »Wie läuft es mit deinem Problemvierbeiner?«
Ermin bekundet stolz: »Sehr gut, er hat Vertrauen gefasst.«
Und Marc äußert bewundernd: »Ein prächtiges Tier. Es ist größer und kräftiger als die Pferde, die ich kenne.«
»Ein Englisches Vollblut«, werfe ich ein, stolz auf mein Halbwissen. »Diese Rasse wurde erst vor etwa dreihundert Jahren gezüchtet.«
»Das meiste, was ich über Pferde weiß, habe ich von meinem Großvater gelernt«, bemerkt Marc beiläufig, während er das Tier als auch Ermin genau beobachtet.
Der unerwartete Hinweis auf seinen Opa versetzt mir einen Stich im Herzen. Wieder wird mir bewusst, was ich und meine Familie verloren haben. Ein Gefühl, das mich sicher noch öfter überkommen wird. Tränen sammeln sich in meinen Augen, die ich hastig wegwische, als plötzlich ein Auto mit quietschenden Reifen vorfährt. Es ist Adam, mein Kollege, in seinem Mini Cooper.
Ermin schnaubt leise. Er hält wenig von dieser Art von Autos und findet sie unmännlich, was sein Bild von Adam nur weiter verstärkt. Ich mag den Mini, vor allem wegen seiner beeindruckenden 180 PS. Ermin hingegen fährt einen Land Rover Defender mit einer deutlich höheren Leistung – ganz nach seinem Geschmack und, wie er immer betont, passend für einen Mann wie ihn.
Der Mini kommt vor uns zum Stehen. Marc fährt der Schreck in die Glieder. Seine Furcht lähmt ihn, er braucht noch Zeit, um sich an die Gegebenheiten meiner Epoche zu gewöhnen. Doch die Situation entwickelt sich heikel. Adam hat Marc bestimmt schon entdeckt. Das könnte ungemütlich werden, sofern er ihn ohne römische Rüstung erkannt hat.
Stürmisch und mit verkniffenem Gesichtsausdruck kommt Adam auf uns zu.
»Was macht der denn hier?« Seine Hände wirbeln hektisch durch die Luft, seine Augen blicken wild, während er nervös um uns herum tänzelt.
Okay, er hat Marc erkannt.
Adams Stimme ist schrill, als er eher zu sich selbst als zu uns spricht: »Das kann doch alles nicht wahr sein! Hört das denn nie auf?«
Ermins Miene verfinstert sich. Er hat seine liebe Mühe, Wotan unter Kontrolle zu halten, der durch Adams aufbrausendes Auftreten scheut. Meinem Germanen gefällt das alles ganz und gar nicht, das kann jeder sehen. Doch Adam juckt das nicht. Wütend und völlig außer sich tobt er weiter, vor allem gegen Marc, der erstaunlich ruhig bleibt. Bemerkenswert.
Marc mag Adams Worte nicht verstehen, wohl aber entgehen ihm weder dessen aggressiver Ton noch dessen Gestik. Vielleicht ist er aber auch noch von Adams Auto abgelenkt, das er misstrauischer beäugt als seinen Besitzer.
Adams Benehmen ist jedenfalls unmöglich und nicht duldbar. »Adam, beruhige dich …«, wage ich einen Beschwichtigungsversuch.
Aber er unterbricht mich mit bösem Blick: »Spinnst du! Der und seine Kumpels hätten uns fast abgemurkst. Warum zum Teufel ist er hier? Was will er?«
Auch ich werde nun lauter, denn sein ausuferndes Gebaren ist nicht hinnehmbar. »Schrei nicht so rum! Marc ist versehentlich mit uns gereist, und außerdem hat er uns doch gar nichts getan.«
Zwischenzeitlich hat Ermin Wotan in den Stall gebracht. Er ist schnell zurück und steuert direkt auf unseren Schreihals zu. Ohne Vorwarnung packt mein zwei Meter großer Hüne Adam am Kragen und hebt den schottischen Wichtel mühelos in die Luft. Bedrohlich zischt Ermin: »Gib mir nur einen Grund …«
Der Wichtel kann, selbst wenn er wollte, nur ein paar erstickte Laute hervorbringen, seine Augen weit vor Angst aufgerissen.
»Das ist nicht der richtige Weg, Ermin. Bitte, lass ihn los«, fordere ich ruhig, aber bestimmt.
»Tasha, er ist eine verdammte Nervensäge und …«
»Ja, ich weiß, aber er hat nur Angst. Offenbar verkraftet er das alles schwer.«
Adam beginnt zu hyperventilieren. Ermin seufzt genervt und lässt ihn abrupt runter.
Sofort sackt Adam nach vorn, stützt sich schwer atmend auf die Knie und hustet, während er keuchend nach Luft schnappt.
»Das … das wird ein Nachspiel haben!«, presst er mühsam hervor.
Er hat es geschafft, denn jetzt werde selbst ich ärgerlich. »Also, für mich stellt sich das so dar: Du bist auf unser Land gekommen und hast uns bedroht.«
Auf diese unterschwellige Warnung richtet er sich schlagartig auf und wehrt sich: »Das ist doch völliger Unsinn, ich …«
Ich lasse ihn aber nicht ausreden. »Sei mal ehrlich, Adam, du brauchst Hilfe.«
Sein Blick jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken, so habe ich ihn noch nie erlebt.
Um die Spannung zu lösen, berühre ich ihn sanft am Arm, doch er schüttelt mich unwirsch ab. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, dreht er sich um und geht. Seine Wut ist in jeder seiner Bewegungen zu spüren, und sie entlädt sich endgültig, als er mit quietschenden Reifen davonbraust.
Marc rührt sich wieder. »Was ist mit ihm?«
»Na, du bist!«, entgegne ich trocken.
»Ich? Das verstehe ich nicht.«
»So wie dir deine Reise und all die bisherigen Erlebnisse Angst machen, hat Adam in deiner Welt Todesängste ausgestanden. Und jetzt bist du hier! Für ihn ist das ein lebendig gewordener Albtraum. Er braucht Hilfe, vielleicht einen Arzt«, versuche ich es ihm zu erklären.
Marc runzelt die Stirn und fragt ungläubig: »Dafür gibt es Medizin?«
»Nein … also, ja … aber nicht so, wie du denkst.« Ich suche nach den richtigen Worten. »Es gibt Ärzte, die Menschen helfen, indem sie ihnen zuhören und Ratschläge geben, wie sie mit ihren Ängsten umgehen können. Medizin kommt nur in absoluten Notfällen zum Einsatz.«
»Und das hilft?« Marc bleibt skeptisch.
»Ja, das kann es. Viel schlimmer wäre es, wenn man alles verdrängt und nicht darüber spricht.«
Er wirft einen fragenden Blick zu Ermin, der mit den Achseln zuckt, dann aber beipflichtet: »Es gibt Leute, die schwören darauf.«
Da unterbricht uns plötzlich das Klingeln meines Handys. Ein ungewohnter Klang nach all den Wochen in der Vergangenheit. Es hatte erst aufgeladen werden müssen, bevor ich die Nachrichten abrufen konnte. Einige sind von meiner Mom, andere habe ich noch nicht abgehört. Jetzt aber ruft Elfie an, die Freundin meiner Schwester Mara aus Kindertagen.
»Hallo Elfie, wie geht …«, ich breche mitten im Satz ab. Meine Miene lässt wohl tief blicken, denn Ermin will sofort wissen: »Was ist los?«
»Verflucht! Elfie ist auf dem Weg zu uns. Sie sitzt bereits im Taxi«, antworte ich geschockt.
»Die Ärztin? Etwa heute, jetzt?«
Ich nicke.
Elfie hat damals Ermins Leben gerettet. Sie kennt zwar nicht seine wahre Identität, wohl aber, woher er stammt. Und sie weiß um einige Details unserer Zeitreise. Allerdings hat sie ihre Zweifel nie ganz ablegen können.
Vor einigen Monaten kündigte sie ihren Besuch für heute an. Den Termin habe ich total verschwitzt. Kein Wunder, angesichts der turbulenten Ereignisse der letzten Tage.
»Das lässt sich dann wohl nicht mehr ändern«, stellt mein Liebster nüchtern fest.
»Aber wie sollen wir das alles regeln? Wo soll sie schlafen? Das Gästezimmer hat er«, begehre ich frustriert auf und deute auf Marc.
Gelassen wie immer entgegnet Ermin: »Willst du sie etwa nach Hause schicken?«
Er mal wieder. Ich grolle – sichtbar. Denn er weiß genau, dass ich das nicht tun kann. Und natürlich grinst der verdammte Kerl jetzt wissend.
Nun meldet sich auch Marc zu Wort, der nichts von unserer Unterhaltung verstanden hat. »Was ist? Schlechte Nachrichten?«
»Wie man’s nimmt«, murmele ich mürrisch.
Seltsam. Es war ausgemacht, dass Tasha mich heute am Flughafen in Aberdeen abholt. Doch als ich ankam, war sie nicht da. Ich wartete eine Weile, dann rief ich sie an.
Das Gespräch war eigenartig, sie klang wirklich überrascht. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sie meinen Besuch schlichtweg vergessen hat, was für sie sehr untypisch ist. Vermutlich gibt es eine plausible Erklärung dafür. Immerhin konnte ich ihr noch mitteilen, dass ich mir ein Taxi genommen habe, bevor unser Gespräch plötzlich unterbrochen wurde. Ich hoffe nicht, dass etwas im Argen liegt – vielleicht mit Ermin? Der Gedanke, dass er aus einer anderen Zeit stammen soll, erscheint mir nach wie vor völlig unwirklich. Dieses ganze Thema der Zeitreisen ist mir suspekt.
Vor zwei Jahren habe ich die Burgruine aufgesucht, die Tasha und Mara als eine Art Zeitportal beschrieben hatten. Ich wollte mir selbst ein Bild machen. Doch da war nichts – keine Spur von Magie, kein seltsames Beben, nichts Außergewöhnliches, nur die verfallene Ruine.
Trotz all meiner Zweifel bleibt eine bittere Tatsache bestehen: Meine Freundin Mara, Tashas Schwester, ist spurlos verschwunden, ebenso wie ihr Freund Marcus, als hätte sich der Erdboden unter ihnen aufgetan und sie mit Haut und Haaren verschlungen.
Tasha versuchte mir das Ganze zu erklären. Dabei spielte ein Brief ihrer Schwester eine wichtige Rolle. Es war ihr Abschiedsbrief, in dem Mara mir von ihrer Zeitreise und ihrem Römer berichtete, und dass sie in seine Welt zurückkehren werde. Ich gebe zu, ich war fasziniert von all den Details, sowohl den kleinen als auch den großen. Alles schien so einleuchtend. Und dann ist da auch noch die Geschichte von Tasha und ihrem Ermin. Er kam schwer krank zu uns in die Klinik, sprach Latein und trug fremdartige Kleidung. In vielerlei Hinsicht verhielt er sich wie ein unwissendes, naives Kind. So schlüssig die Indizienkette aber auch wirkte, meine Vorbehalte wollten nie ganz verstummen.
Wie sollte eine solche Reise funktionieren? Dafür müsste es doch eine physikalische Erklärung geben? Warum sollten uns Zeittunnel in die Vergangenheit bringen? Und warum ausgerechnet in die Epoche der Römer? Warum nicht in die Steinzeit, ins Mittelalter oder in die Zukunft? All das ergibt für mich keinen Sinn – es wirkt völlig willkürlich. Oder geht es hier eher um das Prinzip von Yin und Yang? Zwei entgegengesetzte Kräfte, die dennoch miteinander im Einklang stehen. Alles hat seinen Gegenpol, das eine kann nicht ohne das andere existieren. Kein Gift ohne Gegengift. Kein Gut ohne Böse.
Darüber zermartere ich mir nun schon seit damals das Gehirn, und auf der Fahrt zu Tasha kommt nun alles wieder hoch. Doch es ist nicht nur das. Eine innere Stimme wirft mir Ignoranz vor, die möglicherweise als Neid interpretiert werden könnte. Neid auf das, was die beiden in der anderen Welt gefunden haben, was mir hier bisher verwehrt geblieben ist.
Ja, vielleicht bin ich neidisch, aber nicht missgünstig, denn ich gönne ihnen ihr Glück von Herzen – solange es anhält. Ich hingegen habe das Vertrauen in die Liebe und die Ehrlichkeit in Beziehungen verloren. Schuld daran ist meine letzte Partnerschaft. Mara hatte mich gewarnt, insbesondere vor Beziehungen mit Polizisten. Hätte ich doch nur auf sie gehört!
Zu spät erfuhr ich, dass er noch verheiratet war. Monatelang hatte er mich belogen und ausgenutzt, und als die Wahrheit ans Licht kam, ließ er mich wie eine heiße Kartoffel fallen. Seitdem habe ich mich auf keinen Mann mehr eingelassen. Mein Misstrauen ist groß. Mittlerweile würde ich eher ein Arrangement zu beiderseitigem Nutzen in Erwägung ziehen, da es weniger schmerzhaft wäre.
Leidenschaftliche Liebe und sexuelle Anziehungskraft werden ohnehin überschätzt. Anfänglich ist alles rosarot. Man hat Schmetterlinge im Bauch, bekommt Blumen und kleine Geschenke, sieht sich regelmäßig, hat oft und guten Sex. Doch dann … dann landet man hart auf dem Boden der Tatsachen. Die Aufmerksamkeiten bleiben aus, er geht seltener ans Telefon, die Kurznachrichten werden weniger, kürzer und nicht mehr sofort gelesen, es gibt nur noch unverfängliche oder gar keine Smileys. Am Ende werden Treffen mit fadenscheinigen Ausreden abgesagt, und wenn man schließlich mal Sex hat, ist er schnell und bedeutungslos.
Ich redete mir damals ein, der arme Kerl habe einfach viel zu tun, bis eines Tages seine Frau vor meiner Tür stand und mich aufklärte.
Der ganze Stress führte dazu, dass ich bei der Arbeit unachtsam wurde. Ein Mann wäre beinahe unter meiner Obhut gestorben, weil ich zu spät und falsch reagiert hatte. Man riet mir, eine Auszeit zu nehmen, und das tat ich auch. In dieser Zeit wurde mir klar, dass ich mein Leben grundlegend ändern musste. Ich sattelte um und bin nun als Psychotherapeutin im Traumabereich tätig. Es ist zwar auch nicht leicht, aber zumindest kann ich selbst entscheiden, wann und mit wem ich arbeite.
Jetzt, wo Ruhe in mein Leben eingekehrt ist, gönne ich mir ein paar freie Tage. Warum ich mich ausgerechnet für Schottland entschieden habe und nicht für die sonnige Karibik, lässt sich nur durch ein tiefes inneres Bedürfnis erklären – den Drang, die Wahrheit hinter Maras und Tashas fantastischen Reisen zu entdecken. Ich muss einfach wissen, was an den Geschichten dran ist.
Lange habe ich gezögert, mich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Vielleicht aus Angst vor dem, was ich entdecken könnte? Doch nun bin ich hier, und was passiert gleich zu Beginn – Tasha vergisst mein Kommen. Vielleicht ein Omen?
Ah, wir sind da. Die Fahrt hat nicht mal eine halbe Stunde gedauert. Vor dem Haus wartet bereits Tasha auf mich. Schon von Weitem erkenne ich, dass sie bedrückt wirkt. Schnell bezahle ich den Fahrer und begrüße sie stürmisch mit einer festen Umarmung.
»Hallo, mein Mädchen.«
»Oh, Elfie, wie schön, dich zu sehen«, erwidert sie leise, aber ehrlich.
Neugierig beäuge ich sie. »Sag mal, ist alles in Ordnung? Du hast vergessen, dass ich heute komme, nicht wahr? Das passt gar nicht zu dir.« Ich grinse breit, während sie verlegen zu Boden schaut. Also hatte ich recht.
»Tasha, falls etwas sein sollte, kann ich auch gerne in eine Pension oder ein Hotel gehen. Das ist wirklich kein Problem.«
Sie winkt sofort ab. »Nein, nein, das ist schon okay. Wir …«
Während sie spricht, fällt mein Blick auf einen großen dunkelhaarigen Mann, der am Gatter eines Pferdelongierplatzes steht. Er sieht aus wie … aber, kann das wirklich sein?
Ohne Tasha ausreden zu lassen, unterbreche ich sie: »Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«
Sie reagiert überrascht: »Was meinst du?«
»Wo ist deine Schwester? Ist sie im Haus?«
»Äh, wie kommst du denn darauf?«, fragt sie verwundert.
»Na, da drüben! Das ist doch Marcus.« Ich deute in die Richtung des Gatters und rufe ihm gleichzeitig zu: »Hallo, Marcus!«
Ich habe ihn zwar nie direkt zusammen mit Mara getroffen, aber ich kenne ihn aus dem Krankenhaus. Er hatte damals einen Autounfall, worüber ich Mara informierte.
»Das … das ist nicht Marcus«, stottert Tasha.
»Was? Quatsch, natürlich ist er es!«
»Nein, Elfie, das ist Marc.«
Ich schüttle lachend den Kopf. »Klar, Marc … Marcus … was soll diese Wortspielerei? Ist das irgendein Geheimding?«
Sie blickt mich mit großen, traurigen Augen an. Es sieht nicht danach aus, als würde sie einen Jux machen wollen.
»Jetzt red endlich und sag was«, fordere ich ungeduldig.
Inzwischen ist die Marcus-Kopie näher an uns herangetreten. Ein ernst dreinschauendes Mannsbild, sehr gut gebaut, und er mustert mich intensiv.
Nun erkenne ich es selbst: Das ist nicht Maras Römer. Er sieht ihm ähnlich, verdammt ähnlich, aber tatsächlich ist etwas an ihm anders. Nur was genau, erkenne ich noch nicht.
Mittlerweile ist auch Ermin zu uns gestoßen. »Hallo, Elfie, es ist schön, meine Lebensretterin wiederzutreffen.«
Er spielt darauf an, dass er ebenfalls bei uns im Krankenhaus gewesen ist, nachdem Tasha ihn zu uns gebracht hatte. Er war vergiftet worden, aber wir konnten ihm noch rechtzeitig helfen.
Spontan drücke ich ihn. Es scheint, als hätte ich ihn damit überrascht, denn er zuckt leicht zusammen.
Frotzelnd schlage ich ihm auf die Schulter und schmunzle. »Beruhige dich, du bist nicht mein Typ.« Dabei muss ich ganz schön hochblicken, denn Ermin ist ein echter Riese, größer als die meisten – was bei mir auch kein Kunststück ist, schließlich bin ich klein, sogar noch kleiner als Tasha.
Ermin bricht in schallendes Lachen aus. Herrlich!
Der triste Willkommensgruß ist sofort vergessen. Selbst Tasha beginnt zu kichern, während dieser Marc weiterhin ernst bleibt. Sein Blick ist bohrend. Er begutachtet mich von oben bis unten, als wäre ich ein Pferd. Solche Blicke reizen mich, was gewöhnlich zu spontanen Aktionen führen kann. In diesem Fall bleibt es auch nicht aus: Ich beginne zu wiehern!
Alle drei schauen mich nun verwirrt an. Ich nehme die Erklärung vorweg: »Bitte entschuldigt, aber er sieht mich an, als stünde ich zum Verkauf auf einem Fleisch- und Viehbasar.«
Ermin und Tasha reagieren belustigt, Marc zuckt nicht mal mit der Wimper.
Jetzt drehe ich den Spieß um und inspiziere ihn von allen Seiten. Gut, es scheint ihn zu irritieren.
»Was ist mit ihm? Ist er taub?«, will ich von Tasha wissen.
»Nein, er spricht unsere Sprache nicht«, erklärt sie, noch immer schmunzelnd.
Aha, das ergibt Sinn.
»Jetzt mal Klartext: Was ist hier los?« Eindringlich suche ich den Augenkontakt zu ihr.
Sie bleibt ruhig und entgegnet gelassen: »Komm erst einmal mit ins Haus, das erzählt sich nicht in zwei Minuten.«
Nicht die schlechteste Idee, zumal ich dringend auf die Toilette muss.
Nachdem Tasha mir das WC gezeigt hat, erwartet sie mich in der Küche mit einer Tasse Früchtetee. Sie kennt meinen Geschmack. Das englische Nationalgetränk trinke ich lieber als Kaffee.
»Wo sind die beiden Männer?«, will ich wissen.
»Draußen, damit wir ungestört sind«, antwortet sie, ihre Miene verrät Anspannung.
Ich starte: »So, meine Liebe, lass uns jetzt in Ruhe und von vorn beginnen. Ich habe Zeit.« Mit einem leichten Pusten in die Teetasse und einem Augenzwinkern blicke ich sie abwartend an.
Tasha beginnt träge. Man merkt, dass sie nach dem richtigen Einstieg sucht. Sie holt tief Luft. »Also, vor ein paar Tagen stießen wir bei unseren Ausgrabungen auf eine Höhle … und einen Tunnel …«
Sie stockt kurz, ich lasse ihr die Zeit. Druck und Hetze bringen jetzt nichts. Natürlich bin ich mit ihrer Arbeit und dem Thema ihrer archäologischen Untersuchungen – den Pikten – vertraut. Sie hatte mir darüber geschrieben. Vielleicht will sie mir beichten, dass sie einen bedeutenden Schatz entdeckt hat und etwas davon beiseitegeschafft wurde – auch wenn das überhaupt nicht zu ihr passen würde.
Nun fährt sie fort: »Ich weiß, dass du noch Bedenken hegst, was meine damalige Reise angeht, daher bitte ich dich, mir bis zum Ende zuzuhören. Ja?«
Sie versteht es, Spannung zu erzeugen. Ich nicke und neige den Kopf leicht zur Seite, um ihr zu zeigen, dass ich voll und ganz bei ihr bin.
»Also … es war für mich ein richtiger Schock, denn auch dieser Tunnel hat seine Magie entfaltet und mich zurück in die Vergangenheit gebracht …«
Was sagt sie da? Sie redet nicht weiter, sondern mustert mich intensiv. Erwartet sie eine Reaktion von mir? Doch ihre Worte sind noch nicht ganz bei mir angekommen – ich ringe mit dem, was sie mir gerade enthüllt.
Habe ich das denn wirklich richtig verstanden?