Erlebnispädagogik mit dem Pferd -  - E-Book

Erlebnispädagogik mit dem Pferd E-Book

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Beschreibung

Erlebnispädagogik ist aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Dieses Buch regt mit einer Fülle von Projekten und Ideen dazu an, Pferde bei erlebnispädagogischen Maßnahmen einzusetzen. Die Autoren sind ReitpädagogInnen und ReittherapeutInnen. Ihre Projekte sind spannend - mal ernst, mal spielerisch, immer im pädagogischen Rahmen oder mit therapeutischen Zielen. Geklärt werden auch die Voraussetzungen, Ziele, Möglichkeiten und Grenzen der Erlebnispädagogik mit dem Pferd. Das Buch ist eine Fundgrube für alle, die das Pferd erlebnispädagogisch einsetzen oder dies planen.

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Marianne Gäng / Barbara Gäng (Hg.)

Erlebnispädagogik mit dem Pferd

Erprobte Projekte aus der Praxis

Mit Beiträgen von

Sabine Boehm, Marianne Gäng, Elisabeth Groll, Ingrid Hatz, Angela Knoerr, Elvi Lange, Eberhard Laug, Erhard P. Müller, Susanne Ortelli-Jurklies, Bernhard Pflug, Barbara Ritz, Kathrin Schäffer, Almut Schulz, Dagmar Schwab, Henrike Struck, Ulrike Wintermeyer, Dorothee Wintersohle, Liliane Wydler

Mit 81 Abbildungen

5. Auflage

Ernst Reinhardt Verlag München

Marianne Gäng (1934 – 2019) war Dipl. Soz.-Päd., Ausbildungsleitung für Reitpädagogik und Reittherapie, Gründerin und Präsidentin der Schweizer Gruppe Therapeutisches Reiten (SG-TR), Rodersdorf (Schweiz).

Barbara Gäng ist Sozialpädagogin mit M. A. Behinderung und Partizipation FHNW, Absolventin der Therapiehund-Ausbildung (CH), Lehrgangsleiterin bei SG-TR und seit 2019 Vorsitzende der Fachinstanz HPR / TR.

Von Marianne Gäng im Ernst Reinhardt Verlag außerdem erhältlich:

– Therapeutisches Reiten. ISBN (978-3-497-03037-8)

– Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren. ISBN (978-3-497-02552-7)

– Mit Tieren leben im Alter. ISBN (978-3-497-01757-7)

Warnhinweis: Wer Pferde sozialpädagogisch oder heilpädagogisch verantwortlich einsetzt, sollte eine Doppelqualifikation besitzen, d. h. sowohl mit den Kindern und Jugendlichen bzw. Erwachsenen professionell umgehen können als auch den fachgerechten Umgang mit Pferden beherrschen. In der Regel sollte eine Ausbildung zum Reitpädagogen oder eine vergleichbare Qualifikation vorhanden sein. Die Durchführenden sind auch dafür verantwortlich, im Einzelfall auf die Helmpflicht zu achten.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03178-8 (Print)

ISBN 978-3-497-61715-9 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61716-6 (EPUB)

5. Auflage

© 2023 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i. S. v. § 44 b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Abb. 51, 53 – 55: Madeleine Weber, Aachen

Abb. 74 – 81: Liliane Wydler, Oberkulm

Satz: Rist Satz & Druck GmbH, 85304 Ilmmünster

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Vorwort

Einführung in eine Erlebnispädagogik mit dem Pferd

Von Marianne Gäng

Erlebnispädagogik für alle: Pferde auf der Jugendfarm

Von Sabine Boehm

Wanderreiten. Erlebnispädagogische Aktivitäten im Kinderhof Campemoor

Von Eberhard Laug

Umzugswanderung mit Pferden

Von Susanne Ortelli-Jurklies

Der Schulritt – Schulische Integration vom Sattel aus

Von Eberhard Laug

Reiten & Fußball

Von Eberhard Laug

Trecking mit ehemaligen Drogenabhängigen

Von Bernhard Pflug

Erlebnispädagogik und Heilpädagogisches Reiten: Erwachsene Menschen mit Behinderungen

Von Henrike Struck und Kathrin Schäffer

Erlebnispädagogik und Heilpädagogisches Reiten: Wanderreiten

Von Elisabeth Groll

Erlebnispädagogik und Heilpädagogisches Reiten: Parelli-Spiele

Von Barbara Ritz

Integrative Erlebnispädagogik: Indianerwoche mit Pferden

Von Dagmar Schwab

Integrative Erlebnispädagogik: Theater mit Pferden

Von Erhard P. Müller und Ulrike Wintermeyer

Projekt: Theaterspielen mit Kindern und Pferden

Von Almut Schulz

Integratives Märchenspiel mit Pferden: „Drei Brüder, die auszogen, um vernünftig zu werden“

Von Ingrid Hatz

Filmprojekt: „Pferdediebe in Botzelaer“

Von Elvi Lange und Dorothee Wintersohle

Projekt Erlebnispädagogische Mädchenarbeit: Auf den Spuren der Indianer

Von Angela Knoerr

Von der grünen Wiese zum Kinderabenteuerhof

Von Liliane Wydler

Die AutorInnen

Vorwort

Meine Mutter, Marianne Gäng, hat das Vorwort der letzten Auflage geschrieben. Sie hat ein sehr schönes Beispiel aus meiner Kinderzeit zum „Erleben“ geschildert, das ich dem Leser dieses Buches nicht vor­enthalten möchte:

„Ich erinnere mich noch sehr gut, als in unserer Familie das erste Islandpferd ,Bjarni‘ Einzug hielt: ein Pferd, drei begeisterte Mädchen, eine (verantwortungsbewusste) Mutter und ein Berg von Wünschen, was man nun alles zusammen unternehmen könnte. Die Mädchen wollten Bjarni am liebsten für sich alleine haben, ohne die Mutter; deshalb war der erste Wunsch, alleine mit Bjarni einen Sonntagsausflug zu machen, auch nicht verwunderlich: Zu Fuß – Bjarni sollte nur den Rucksack mit dem Proviant tragen. Meinem Mann und mir wurde er­laubt, zum Mittagspicknick dazuzustoßen. Hier werden Bilder wach: Ich sehe dieses Grüpplein am Waldrand, Bjarni angepflockt, friedlich grasend; auf einem weißen Tischtuch am Boden sind alle Picknickherrlichkeiten ausgebreitet, daneben stehend unsere drei Mädchen mit glücklichen Gesichtern und erwartungsvoll auf uns gerichteten Augen: Endlich kommt ihr.“ (M. Gäng)

So durfte ich inmitten der Erlebniswelt Mensch / Pferd aufwachsen. „Etwas erleben“, wie meine Mutter sagte, beinhaltet die Vielfältigkeit der Erlebnispädagogik. Aktive, gesunde Menschen und Menschen mit Beeinträchtigungen sollten heute erst recht die Möglichkeit haben, zusammen mit den Pferden etwas erleben zu dürfen.

Dabei ist pädagogisches und therapeutisches Fachwissen auf der Basis des eigenen Grundberufes und einer speziellen Ausbildung zur Reitpädagogin oder zum Reitpädagogen und zur Reittherapeutin oder zum Reitherapeuten unabdingbar. In den vergangenen Jahren wurden von entsprechenden Personen die verschiedensten erlebnispädagogischen Projekte entwickelt. Ihre Angebote sind für unsere KlientInnen als weiterführende Maßnahme vielfältige Möglichkeiten, sich in einer Gruppe weiter entwickeln zu können.

Ich selber konnte über mehrere Jahre solche Projekte anbieten. Auf zwei spezielle Erlebnisse blicke ich gerne zurück: Ich hatte zwei Personen in der Ausbildung zur Reitpädagogin, die mit mir zusammen auf meinem Hof mit meinen Pferden ein Indianerlager für Kinder mit und ohne Beeinträchtigung durchführten. Meine zwei eigenen Kinder konnten dabei auch mitmachen. Es war sehr schön zu sehen, wie Berüh­rungsängste abgebaut wurden, zusammen gelacht, gesungen, gekocht, geritten und eben „erlebt“ wurde.

Das zweite Erlebnis bezieht sich auf ein Mädchen aus einer Insti­tution für Kinder mit einer Beeinträchtigung, in der ich jede Woche Erlebnispädagogik mit Pferden für die Schulklassen anbiete. Dieses Mädchen bekam mit sechs anderen SchulkameradInnen jeweils zwei Lektionen. Inmitten der freilaufenden Ponys hatten alle Kinder viel Freude, die Ponys so zu erleben; es wurde gelacht und gehüpft. Hierbei sprach dieses Mädchen sein allererstes Wort überhaupt.

Dieses Buch liegt nun in der 5. Auflage vor. Als Nachfolgerin von Marianne Gäng und begeisterte Sozial- und Reitpädagogin, möchte ich auf ihren Wunsch diese wunderbare Arbeit weiterhin mit interessierten LeserInnen teilen.

Mit den folgenden Beiträgen möchten die AutorInnen und ich die noch immer topaktuellen Anregungen zur Durchführung von erlebnis­pädagogischen Maßnahmen mit dem Pferd weitergeben.

Ich selber konnte bei vielen dieser Angebote anwesend sein und erhielt einen umfassenden Einblick, wie mit einfachen Mitteln, viel Ideenreichtum, fachlich engagierten Personen und gut ausgebildeten Pferden Vieles möglich wird.

In der heutigen Zeit, mit zunehmendem Leistungsdruck, lebenseinschränkenden Maßnahmen und neuen Familienstrukturen, ist es noch wichtiger denn je, sich Zeit zu nehmen und mit anderen Menschen und Pferden Momente zu erleben.

Die Beiträge sollen dazu anregen, selber Ideen zu entwickeln und Lust auf Neues zu entdecken.

Die Themenwahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Mühlau (CH), im November 2022

Barbara Gäng

Einführung in eine Erlebnispädagogik mit dem Pferd

Von Marianne Gäng

Was ist ein Erlebnis?

Bei meiner Frage, was für sie das Wort „Erlebnis“ bedeute, haben Kin­der während des Erzählens das Erlebte oft intensiv nochmals durchlebt. Jugendliche haben zunächst überlegt, abgewogen, ob das Mitzuteilende auch wirklich ein Erlebnis sei und wenn ja, ob sie es preisgeben soll-ten. Erwachsene wollten oft präzisiert haben: ein fröhliches oder ein trauriges Erlebnis? Sie stellten auch fest, dass ein Erlebnis einen Menschen verändern könne. Hier einige Stichworte aus den Antworten zu der Frage, was „Erlebnis“ heißen kann:

Eine besondere Erfahrung – neu – Unbekanntes – einmalig – kann traurig sein, ist aber viel mehr lustig – Abenteuer – geheimnisvoll, man erlebt es nicht jeden Tag – man muss selber etwas dazu tun – man weiß nie im Voraus, was passiert – etwas, das man immer wieder erleben möchte – kann die Erfüllung eines Wunsches oder eines Traumes sein – von einem Erlebnis ist man selber betroffen – man ist beteiligt, es ist nicht nur Schauen – ein Erlebnis in der Gruppe ist anders, es erzeugt innere Spannung, es weckt Erwartungen, Vor­stellungen – es vermittelt unterschiedliche Gefühle – ein Erlebnis beschäftigt mich gedanklich sehr lange – ist einmalig – lebt vom Augenblick, klingt aber lange nach.

Muss ein Erlebnis immer auch ein Ereignis sein? Tenor der Antworten: eher nein. Die Antworten lauteten z. B.:

Mir genügt, wenn ich im Kreis von Freunden dabei sein kann – wenn ich von einem hohen Berg ins Tal schaue – wenn ich mit meinem Hund frühmorgens durch den Wald laufe – wenn ich einfach dasitze und die Natur auf mich einwirken lasse – wenn ich meinem Pferd beim Grasfressen zuschaue – wenn ich ungestört Musik höre oder ein Buch lese.

Was ist Erlebnispädagogik?

Erlebnispädagogik ist ein Teilgebiet der Pädagogik, in dem das Lernen durch Erleben eine zentrale Rolle spielt. Ziel von erlebnispädagogischen Maßnahmen ist es, Veränderungen im emotionalen, sozialen, kognitiven und praktischen Kontext zu bewirken (weiterführend hierzu insbesondere Heckmair/Michl 2012). Konkret an die Praxis führen folgende „Generalisierte Thesen“ (nach Evang. Erziehungsverband o. J.): In der Erlebnispädagogik

■ bietet sich die Möglichkeit, durch das Bewältigen von schwierigen Situationen während der Maßnahme das Selbstbewusstsein zu stärken und die Frustrationstoleranz zu erhöhen. Im günstigen Falle kann der Teilnehmer seine neuen Erfahrungen später auf andere Situationen übertragen;

■ treten die individuellen Defizite der beteiligten Persönlichkeiten auf, dies ist bedingt durch die gegenseitige Abhängigkeit, Nähe und geringe Ausweichmöglichkeit;

■ sind vorhandene Normen und Werte durch gemeinsame Ziele und gemeinsames Erleben besser überprüfbar; neue, die Gruppe betreffende Normen und Werte entwickeln sich natürlich und werden deshalb leichter angenommen;

■ besteht für das Kind und den Jugendlichen die Chance, den Erwachsenen neu, anders und in seiner Gesamtheit zu erleben; dies gilt auch umgekehrt;

■ wird das soziale Verhalten in einer Gruppe gefördert, jeder einzelne wird gefordert, gegenseitige Wertschätzung und Hilfestellung sind notwendig;

■ sind lebenspraktische Fähigkeiten gefordert und werden schnell erlernt, da eigene Bedürfnisse erfüllt werden müssen;

■ wird Kreativität gefördert, genau so wie Improvisationsvermögen.

Erlebnispädagogik mit dem Pferd

Erlebnispädagogik mit dem Pferd unterscheidet sich von anderen erleb­nispädagogischen Projekten dadurch, dass das Lebewesen Pferd im Zentrum des Geschehens steht. Der Umgang mit dem Pferd spricht die emotionale Seite des Menschen unmittelbar an. Ihm soll mit Hilfe und durch die Präsenz des Pferdes ein neuer Zugang zu sich und der Umwelt ermöglicht werden. Dem Pferd in seinem Umfeld kommt dabei eine tragende Rolle zu. Unternehmungen mit dem Pferd sollen den Teilnehmer zu eigenem Denken, zu Fantasien und zu spontanen Handlungen ermuntern. Er soll Zeit zum Verweilen haben, neue Eindrücke auf sich wirken lassen, eigene Kreativität entwickeln. Solche Begegnungen und Erlebnisse ermöglichen elementare und vielseitige Erfahrungen.

Erlebnispädagogik mit dem Pferd ist für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, für gesunde und behinderte Menschen geeignet. Unter der Bezeichnung „Erlebnispädagogik mit dem Pferd“ werden vielerlei Projekte angeboten, oft mangelt es ihnen jedoch an einer klaren Zielsetzung. Erlebnispädagogik mit dem Pferd, wie sie in diesem Buch dargestellt wird, kann eine flankierende Maßnahme vor, während oder nach einer Reittherapie sein.

Erlebnispädagogik mit dem Pferd – wenn sie dieser Bezeichnung gerecht werden will – ist vor allem an der Art und Weise des Einsatzes des Pferdes innerhalb eines Projektes zu messen: Wie oft und wie lange ist das Pferd unmittelbar am Projektablauf beteiligt? Wird ihm ein bestimmter, nur von ihm zu erfüllender „Auftrag“ zugewiesen? Soll es durch seine bloße Anwesenheit „mitwirken“? Ist das Pferd die Hauptsache, welche die Durchführung des Projektes erst möglich macht? Ist es Lastenträger und Kamerad?

Ein Projekt darf als „Erlebnispädagogik mit dem Pferd“ betitelt werden, wenn das Pferd während einer Maßnahme mindestens zu einem Drittel der Zeit unmittelbar dabei, greifbar, spürbar ist und man sich zu einem weiteren Drittel mit seinem Umfeld befasst, d. h. dem Stall, dem Gelände, den Werkzeugen etc.

Die Rolle des Pferdes

Die Rolle des Pferdes in erlebnispädagogischen Projekten ­unterscheidet sich vom Heilpädagogischen/Therapeutischen Reiten durch die Art und Weise seines Einsatzes: Ist das Pferd im Heilpädagogischen/Therapeuti­schen Reiten Beziehungsobjekt und steter Mittelpunkt, so wird ihm dagegen in erlebnispädagogischen Projekten ein bestimmter Auftrag zugedacht. Es wird mit vielfältigen Aufgaben konfrontiert und soll entsprechend flexibel reagieren, um den wechselnden Anforderungen gerecht zu werden.

Was bringt diese Art des Einsatzes dem Pferd? Es erlebt Abwechslung, andersartige psychische und physische Belastung. Der überwiegende Aufenthalt in der freien Natur ist pferdegerecht und macht das Pferd wach und offen. Wird es artgerecht eingesetzt und behandelt, sind solche Einsätze für das Pferd bereichernd und stimulierend; es wird dieser Einsätze nicht überdrüssig.

Wer kann Erlebnispädagogik mit dem Pferd anbieten?

Erlebnispädagogik mit dem Pferd bieten in der Regel ausgebildete ReitpädagogInnen und ReittherapeutInnen an. In ihrer Ausbildung lernen sie auch, behinderte Menschen im Umgang mit dem Pferd zu betreuen und anzuleiten. Eine zweckmäßige Infrastruktur und entsprechend ausgebildete Pferde ermöglichen verantwortbares Arbeiten. Ein reiterlicher Zusatzabschluss als Trekkingführer und ein Fahrabzeichen sind für Anbietende von Vorteil. Für Veranstalter und Teilnehmer muss ein angepasster, genügender Versicherungsschutz vorhanden sein.

Der durchführende Verantwortliche muss fähig sein, eigenverantwortlich und selbstständig mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Pferden zu arbeiten. Seine Berufsausbildung zum Pädagogen sowie seine Zusatzausbildung zum Reitpädagogen/Reittherapeuten geben ihm den theoretischen Hintergrund und den praktischen Boden für Projekte der Erlebnispädagogik mit dem Pferd. Exakte Vorbereitung und Planung sind notwendig; nur so können vorhandene Unwägbarkeiten verantwortet werden. Als wichtig erachte ich, dass alle am erlebnis­päd­agogischen Projekt beteiligten Mitarbeiter sich damit identifizieren können.

Literatur

Evangelischer Erziehungsverband in Bayern e.V. (o. J.): Erlebnispädagogik – Generalisierte Thesen

Heckmair, B., Michl, W. (2018): Erleben und Lernen. Einführung in die Erlebnispädagogik. 8. Aufl. Ernst Reinhardt, München

Erlebnispädagogik für alle: Pferde auf der Jugendfarm

Von Sabine Boehm

Die Jugendfarm Elsental ist die älteste Jugendfarm Deutschlands (gegründet 1962). Es gibt in Deutschland rund 85 Jugendfarmen, davon die meisten mit Ponys/Pferden, wovon wiederum ein Teil auch Heilpädagogisches Reiten anbietet.

In diesem Beitrag soll stellvertretend für viele Jugendfarmen der Erlebnisbereich „Pferd“ vorgestellt werden. Auf eine allgemeine Erklärung, was Jugendfarmen sind und warum sie pädagogisch sinnvoll sind, soll an dieser Stelle verzichtet werden. (LeserInnen, die sich hierüber informieren wollen, sei das Büchlein „Kinder brauchen Abenteuer“ von Th. Lang empfohlen.)

Die Jugendfarm Elsental hat 14 Ponys und zwei Esel (Offenstallhaltung). An fünf Nachmittagen (Öffnungszeit 14.00 – 18.00 Uhr) in der Woche kommen ca. 40 bis 100 Kinder im Alter zwischen sieben und fünfzehn Jahren sowie jugendliche Helfer (ohne besondere Anmeldung, im Rahmen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit) ins Elsental. An drei Vormittagen in der Woche wird Heilpädagogisches Reiten für Schulklassen von Förderschulen angeboten, an zwei bis drei Nachmittagen werden Kinder aus Sonderschulen in den offenen Farmbetrieb integriert.

Der Pferdebereich auf der Jugendfarm Elsental

Aus der Vielfalt der Möglichkeiten, die eine Jugendfarm ausmachen, soll im Folgenden nur der Pferdebereich beschrieben werden.

Die Herde besteht aus zuverlässigen und kindererprobten Ponys im Alter zwischen 8 und 38 Jahren. Wir halten Isländer und Shetties, aber auch Mischlinge und Welsh. Junge, noch unerfahrene Tiere sind ebenso im Bestand wie alte Tiere, die vor allem unserer Pflege bedürfen. Die Kinder kennen die Ponys mit all ihren Eigenheiten und Begabungen ganz genau und entwickeln starke emotionale Bindungen zu den Tieren. Die Pferde haben bei uns in der Regel eine Lebensstellung, sie gehören ganz und gar dazu und sind nicht beliebig auswechselbar. Wir halten das für wichtig, um den Kindern Vertrauen in stabile Beziehungen zu vermitteln. Die Farm soll auch in diesem Bereich für das Kind ein Ort der Verlässlichkeit sein.

Abb. 1: Die Farm

Abb. 2: Kleine Alleinreiter üben Bahnfiguren im Trab

Es taucht immer wieder die Frage auf, wie die Pferde mit so vielen Kindern zurechtkommen. Dahinter steht meist die Vermutung, dass so eine Jugendfarm ein rechter Chaosbetrieb sein müsse. Dem ist nicht so. Es gibt eine ganze Reihe Regeln, die von allen eingehalten werden müssen. So werden die Pferde nicht außerhalb der Fütterzeiten mit Leckerlis gefüttert. Während der Futterzeiten dürfen die Tiere nicht gestört werden. Die Futterzeiten werden pünktlich eingehalten. Die Pferde leben im Herdenverband im Offenstall. Sie können sich immer frei bewegen und miteinander spielen oder aber sich im Stall zurückziehen. Alle haben feste Anbindeplätze neben Pferdekollegen, mit denen sie sich vertragen. So gibt der äußere Rahmen den Tieren Sicherheit für ihr Verhalten, dies überträgt sich auf die Kinder.

Neue Kinder dürfen sich noch nicht alleine bei den Pferden aufhalten. Erfahrene Farmjugendliche, die schon seit vielen Jahren auf der Farm sind, oder Betreuer leiten in der Regel das Putzen und Versorgen mit den Jüngeren an und halftern die Pferde auf. Das Reitenlernen läuft in mehreren Schritten ab. Zunächst auf dem geführten Pferd, später an der Longe, und bis der Sitz auch im Trab unabhängig ist, reiten die Kinder nur am Halfter, eventuell sogar mit Führhelfer.

Das Misten

Wenn um 14.00 Uhr die Farm öffnet, nehmen sich alle Ankömmlinge ein Mistbesteck oder einen Besen und beginnen mit der Arbeit. Mit dem Misten beginnt jeder Farmtag. Gelassen stehen die Pferde derweil im Auslauf. Die Kinder nutzen gerne die Gelegenheit, ihre Ponys zu begrüßen, zu schwatzen und bei den Betreuern ihre Wünsche für den Tag anzumelden. Alle arbeiten gemeinsam, bis alles fertig ist. Dabei entwickelt sich ein Gefühl für die Gemeinschaft. Wer drückt sich vor der Arbeit, wer setzt sich übermäßig ein – vielleicht sogar zu stark? Wer kommt immer zu spät zum Helfen und braucht deshalb noch eine Extraaufgabe am Abend? Wem gesteht man zu, heute einmal nur zu den Hasen zu gehen?

Die Kinder erleben beim täglichen Arbeiten, dass die Aufgaben gemein­sam rasch zu erledigen sind. Sie erfahren, dass sie sinnvoll, Schulter an Schulter und ebenbürtig mit den Erwachsenen ihre Arbeit tun, und sie lernen mit der Zeit, tatkräftig zuzupacken, bis alles geschafft ist.

Abb. 3: Mädchen kratzen die Hufe aus

Das Putzen der Pferde lieben vor allem die Mädchen. Wie sich dabei die Beziehung zwischen Mensch und Pferd vertiefen kann, wurde schon vielfach in der Literatur beschrieben.

Reiten lernen auf der Jugendfarm

Das Allgemeine Reiten

Am Allgemeinen Reiten dürfen alle Farmbesucher teilnehmen. Eine Runde dauert ca. 10 min. Die Pferde werden dabei von den erfahrenen Kindern geführt, sie sind entweder aufgegurtet oder gesattelt. Das Allgemeine Reiten selbst leiten Jugendliche und junge Mitarbeiter/Praktikanten an. Sie machen mit den kleinen Reitern Geschicklichkeitsübungen, wie das Begrüßen des Pferdes am Hals und an der Kruppe, Damensitz, innere Hand zum inneren Fuß, Arme kreisen oder Bälle fangen und werfen und vieles mehr. Die Runde endet mit einem Trab.

Neue Farmer, die regelmäßig mehrmals wöchentlich auf die Farm kommen und mit sieben bis neun Jahren bei uns zu den Kleinen zählen, sind etwa ein halbes Jahr oder auch länger im Allgemeinen Reiten. Sie werden mit der Bewegung der Pferde vertraut, sie erleben von den Großen, wie diese mit den Tieren umgehen, sie lernen alle Pferde kennen und erüben sich, ohne dass sie es selber merken, eine gewisse Umsicht im Umgang mit den Pferden. Danach sind sie so weit, dass sie beim Pferdeputzen mit dabei sein dürfen und in eine Reitgruppe zur Longe eingeteilt werden können.

Die Longenkinder und Zügelreiter

Zur Zeit gibt es etwa 20 Longenkinder auf der Farm. Sie dürfen einmal wöchentlich, meist bei ihrem jugendlichen Helfer, Voltigierübungen machen. Im Schritt, Trab und Galopp, zumeist auf einem der kleinen Shetties, erüben sie sich Geschicklichkeit und Koordination auf dem Pferderücken. Zwischen den Jugendlichen und den Kindern bilden sich oft Freundschaften, und die Farmgemeinschaft wächst auf diese Weise zusammen. Die Frage, wer dabei mehr lernt, Kinder oder Jugendliche, lässt sich nicht immer eindeutig beantworten.

Die Führgruppe

Etwa ab neun Jahren sind die Kinder so weit, dass sie lernen können, ihr Pferd zu führen. In der Regel fehlt den Kindern davor noch die richtige Umsicht. In der Führgruppe haben immer zwei Kinder ein Pferd. Eines darf reiten, das andere darf führen. Der Schwerpunkt der kleinen Reitstündchen und Spazierritte ins Gelände ist unterschiedlich. Mal richtet sich die Aufmerksamkeit auf das selbstständige Reiten, mal wird der Umgang mit Gerte und Führstrick intensiver geübt. Wenn die Kinder darin sicher geworden sind, dürfen sie sogenannte „einfache Pferde“ im Allgemeinen Reiten führen und werden zu „kleinen Alleinreitern“.

Kleine Alleinreiter

„Kleine Alleinreiter“ reiten in der Regel selbstständig auf dem blanken Pferd ohne Gurt und Sattel. Beim Traben springt nach Bedarf ein Führhelfer mit dazu. Wenn das Traben ohne Festhalten und Hilfe klappt, werden auch Bahnfiguren im Trab geübt, die Kinder dürfen in der Bahn galoppieren und sind dann schon richtige Alleinreiter. Jetzt dürfen die Kinder auch Spazierritte in die nähere Umgebung machen.

Ausreiten mit Kindern

Nachdem die Kinder etwa zwei bis drei Jahre ohne Sattel und Gebiss geritten sind, lernen sie das Sattelreiten – zunächst im leichten Sitz – und den Umgang mit der Zäumung. Bevor die Kinder, frühestens im Alter von 11 – 12 Jahren, zu Ausreitern werden, müssen sie die Farmausreitprüfung machen und zeigen, dass sie die ganze Farm, mit allen Tieren, selbstständig versorgen können. Misten, Füttern, Extrafutter geben, Tore richtig auf- und zumachen gehört genauso dazu wie die Funktion und Wirkungsweise der Gebisse zu kennen und ganz sicher im Sattel zu sitzen.

Reiten mit den Jugendlichen

Das Reiten mit den jugendlichen Helfern ist anspruchsvoller. Die Pferde werden von ihnen Korrektur geritten. Die meisten haben eine besondere Beziehung zu einem bestimmten Pferd entwickelt und arbeiten mit ihm auch immer wieder selbstständig. Einmal im Jahr veranstalten wir ein Jugendseminar und beschäftigen uns gemeinsam intensiv mit dem Pferdebereich. Dabei wird besprochen, wie wir den Reitbetrieb gestalten wollen, was die Kinder z.B. im Allgemeinen Reiten lernen sollen und wie wir es in Zukunft besser machen können.

Raum für Abenteuer

Was für die Kleinen ein großes Abenteuer ist, wäre für die Größeren schon langweilig. So ist es für ein Führgruppenkind ein großes Ereignis, wenn es im Allgemeinen Reiten zum Führen eingeteilt wurde, hingegen unter Umständen für eines der größeren Mädchen eine lästige Pflicht. Dagegen gibt es auch für die Größten Aufgaben und Si­tuationen, in denen sie voll gefordert sind, sei es bei einem Wanderritt in fremdem Gelände oder beim Verladen der Pferde in einen Hänger. Für jeden Schritt des Reitenlernens gibt es erneut die Phasen des Ausprobierens, des Neuen und Unbekannten, verbunden mit dem prickelnden Gefühl, „ob ich das wohl schaffe?“.

Kinder aus Förderschulen

Nina Henco, Betreuerin der Jugendfarm Elsental, beschreibt ihre Erfahrungen mit Kindern aus einem sozialen Brennpunktgebiet in Stuttgart:

„Seit Jahren kommen Kinder aus den 3. und 4. Klassen von Sonderschulen im Rahmen von Schüler-AGs nachmittags auf die Jugendfarm. Die Schulen liegen in der Innenstadt und die meisten der Schüler wohnen in sog. ,sozialen Brennpunkten‘. In einer Klasse mit neun Kindern gibt es fünf verschiedene Nationalitäten.

Wie uns die Lehrer immer wieder berichten, ist der Jugendfarm- Nachmittag der wöchentliche Höhepunkt des Unterrichts, die Kin-der nehmen die angebotenen Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeiten mit großer Begeisterung auf. Der geschützte Rahmen einer festen Gruppe innerhalb des Farmgetümmels, der nach einigen Malen ,bekannte‘ Ablauf und die Kontinuität der Farmnachmittage helfen ihnen, anfängliche und auch ureigenste Ängste abzubauen, sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen und sich immer größere Spielräume zu er­obern.

,Jugendfarm-Tag‘ heißt für diese Schüler, dass sie in der Schule zu Mittag essen und dann mit ihrer Lehrerin den Weg auf die Farm an-treten: 20 min Straßenbahn und 15 min Fußweg. Auf der Farm ange­kommen, begrüßt sie ,ihre‘ Betreuerin, die Kinder nehmen sich gleich Schubkarren und Mistbesteck und helfen beim Misten auf dem Sandplatz, zwischen den Pferden. Nach dem Misten gibt es einen Tee und einen Austausch von Neuigkeiten, man trifft sich im Farmhaus und hat ein wenig Zeit zusammen, alle weiteren Aktivitäten werden be­sprochen.

Die Pferde sind sehr wichtig für die Kinder. Meist ist die allererste Frage: ,Reiten wir heute?‘, und in der Regel ist das Pferdeputzen und Reiten auch das zentrale Element des Nachmittags und nimmt entsprechend viel Raum ein. Beim Putzen werden die Kinder von Jugendlichen angeleitet, nach Möglichkeit sind jeweils zwei Kinder immer beim gleichen Pony und der gleichen ,Helferin‘ und können so eine Beziehung aufbauen. Auch beim Reiten kommt es auf den Bezug zum Pferd an, die Kinder lernen ,ihr‘ Pferd ständig besser kennen sowie genauer wahrzunehmen und zu beobachten.

Nach dem Reiten, wenn das Pony verabschiedet wurde, können die Kinder noch weitere Bereiche der Farm kennenlernen, später selbst ,erobern‘. Die Betreuerin oder Lehrerin ist zunächst immer dabei: beim Klettern am Hang, beim Feuermachen, beim Besuch im Hasenhaus usw. Ist die Begleitung zunächst unverzichtbar, wird sie im Laufe der Zeit immer weniger nötig: Die Schüler werden vertraut mit den Gepflogenheiten auf der Farm, sie lernen die anderen Farmkinder und Betreuer kennen und können die Spielregeln einhalten – und dadurch immer mehr auch Freiräume ergreifen.

Der Jugendfarmtag wandelt sich im Laufe eines Schuljahres – am Beginn sind andere Aspekte wichtig als in der Mitte oder gegen En-de des Jahres: Kennenlernzeit, Vertrauen entwickeln, Ausprobieren, Erübtes festigen, Neues erproben, ,Selbstständigwerden‘ – alles zu seiner Zeit und doch mit Rückhalt im bekannten Ablauf des Nachmittags.

Auch das Wetter, die Jahreszeiten und ihr Wandel werden auf der Farm hautnah erlebbar – beim Misten im Matsch und Regen (trotzdem gehört es dazu!), beim Iglubau auf dem Reitplatz bei Frost und Schnee, beim Ritt durch die blühenden Obstgärten im Frühling und bei der Bacherkundung barfuß im Sommer … Für die meisten der Kinder aus den Schüler-AGs sind all diese Naturerlebnisse sehr fremd und neu, doch nach anfänglicher Scheu sind sie meist mit größerer Begeisterung bei der Sache als die anderen Farmkinder, sie saugen alle Angebote förmlich in sich auf.

Auch das Schaffen auf der Farm, z. B. Gras holen, Heu fahren mit der Schubkarre (wie viele Ballen passen darauf?), Mist aufladen auf den Hänger – solche Tätigkeiten finden immer wieder engagierte Anhänger in den Gruppen, vor allem bei den Jungs, die geradezu darin schwelgen, im ,Schaffen‘ ihre Fähigkeiten und Kräfte zu beweisen, was ihnen auf anderen Gebieten schwerfällt.

Lernt man eine Schülergruppe ganz neu kennen, kann man sich oft nicht vorstellen, was am Ende des Schuljahres (hoffentlich!) alles möglich sein wird – so viele Ängste und so häufiges ,ich kann nicht‘ werden da formuliert. Andere Schwierigkeiten stellen sich im Tun sehr bald heraus: Einige Kinder können nicht mit der Katze im gleichen Raum sein, andere Kinder ekeln sich vor dem Pferdemist. Ein Kind klettert zwar den Hang mit hinauf, kann aber nicht mehr hinunter. Manche Kinder können nicht auf den breiten Holzzaun steigen, auf dem man aufs Reiten wartet. Viele Kinder können nicht abwarten, viele können nicht teilen.

So werden vermeintlich ,kleine‘ Aufgaben zum Abenteuer. Eine Aufgabe zu meistern, die anfänglich unter die Rubrik ,Abenteuer‘ fiel, stärkt das Selbstvertrauen in großem Maße. Am Schuljahresende hat oft die ganze Gruppe unerwartet große Fortschritte gemacht.“

Abb. 4: Das Sommerfest ist jedes Jahr ein ganz besonderer Höhepunkt im Farmjahr. Es finden Vorführungen mit Ziegen, Schafen, Eseln und Pferden statt, es gibt Nummern mit Volkstanz und Akrobatik. Die Kinder zeigen den 500 – 600 Zuschauern, was sie im letzten Jahr alles geübt und gelernt haben. Alle wachsen ein wenig über sich hinaus, und jeder gibt sein Bestes.

Der Aspekt der Integration spielt auf der Jugendfarm eine ganz wesentliche Rolle. Für uns ist es immer besonders schön, wenn es glückt, dass aus Förderkindern echte „Farmkinder“ werden. Sie haben dann einen ganz wesentlichen Schritt in ihrer Entwicklung getan, wenn sie auch in ihrer Freizeit die Farm selbstständig aufsuchen und mit ihrem Verhalten nicht anecken, sondern ihren Platz in der Gemeinschaft finden.

Literatur

Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze e.V. (Hrsg.) (1996): Rahmenkonzeption für pädagogisch betreute Spielplätze. 5. Aufl. Stuttgart

Henco, N. (2000): Abenteuer auf Jugendfarmen – mit Kindern aus Förderschulen; Archiv Jugendfarm Elsental

Lang, T. (2006): Kinder brauchen Abenteuer. 3. Aufl. Ernst Reinhardt, München/Basel

Wanderreiten. Erlebnispädagogische Aktivitäten im Kinderhof Campemoor

Von Eberhard Laug

Das Heim – Die Kinder – Die Pferde

Der Kinderhof Campemoor ist eine stationäre psychotherapeutische Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung für „Mädchen und Jungen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in ihrer Ursprungsfamilie leben können“, heißt es in der Konzeption. Als Problemstellungen sind genannt: „Erziehungsschwierigkeiten, Entwicklungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Folgen sexuellen Missbrauchs, Sprach- und/oder Kör­per­behinderungen, Schulprobleme, emotionale Störungen, postpsy­chia­trische Nachbetreuung, Eltern-Kind-Konflikte“.

Der Kinderhof Campemoor liegt etwa 25 Kilometer nördlich von Osnabrück im „Großen Moor“ zwischen den Ausläufern des Wiehengebirges und den Dammer Bergen. Hier wurde eine kleine landwirtschaftliche Hofanlage mit Stallungen und Nebengebäuden zu einem Kinderhof umgestaltet. Das Hauptgebäude und die beiden massiven Nebengebäude umschließen einen gepflasterten Innenhof. An die Gebäude schließen sich die Stallungen, ein Reitplatz sowie weitläufige Weiden und Wiesen an. Das Grundstück mit seinem alten Baumbestand, einem Zier- und Gemüsegarten, dazu sein ländliches Umfeld, bietet die idealen Voraussetzungen für freies, zugleich aber risikoarmes Spiel und den Einsatz erlebnispädagogischer Maßnahmen. Touren zu Fuß, mit dem Fahrrad und dem Pferd durch das weitläufige Moorgebiet helfen, um bei den weitgehend aus städtischem Milieu stammenden Kindern Raum zu schaffen für neue Lebensstrukturen. Seit die Diplom-Sozialpädagogin und Diplom-Reitpädagogin Gudrun Struck Anfang der 1980er Jahre den Kinderhof Campemoor gegründet hat, ist er außerdem geprägt durch den Einsatz von Pferden in der Arbeit mit den Kindern.

Die Kinder und Jugendlichen, die auf dem Kinderhof Campemoor leben, haben schwerwiegende Entwicklungsverzögerungen zu bewältigen. Auffälligste Störungen sind: Ausfälle in einzelnen Bereichen der Wahrnehmung, autistische Tendenzen und Hyperaktivität, starke Aggressionen und Schwierigkeiten, sich in so­ziale Gemeinschaften einzufügen. Deswegen war von Anfang an das Heilpädagogische Reiten ein therapeutischer Schwerpunkt im Kinderhof Campemoor. Zeitweise gehörten Hühner, Enten und Ziegen, immer Katzen, Hunde und eine Herde Islandpferde sowie ein Reitplatz zur Einrichtung. Die Anlagen für die Reittherapie wurden um ein Reitlabyrinth ergänzt. Zudem wurde eine ehemalige Scheune in einer gemeinsamen Aktion mit den Kindern und Jugendlichen so umgestaltet, dass sie als „Indoor-Arena“ die Möglichkeit bot, auch wetterunabhängig mit den Pferden zu arbeiten. Im Laufe der Zeit wurden auf diesem Hof unterschiedliche Methoden des Therapeutischen Reitens entwickelt, getestet und den Erfordernissen, die die besondere Klientel im Kinderhof Campemoor verlangt, angepasst.

Wanderreiten als pädagogische Maßnahme gehörte zu den ersten Angeboten im Kinderhof Campemoor. Schon unter dem Aspekt der gemeinsamen Unternehmung und gemeinsamer Erlebnisse ist dieser Ansatz plausibel und entspricht als „tiergestützte Abenteuerpädagogik“ aktuellen Vorstellungen zur Förderung der hier lebenden Kinder und Jugendlichen. Aus diesem Grundansatz entstehen immer wieder Aktionen, die über das Leben und Arbeiten mit den Pferden neue Erlebnisse und Kontakte zu anderen gesellschaftlichen Bereichen entstehen lassen.

Über die Region hinaus bekannt geworden ist die Aktion „Reiten und Fußball“ (s. S. 59 – 63), die einen neuen Weg zeigte, Kinder und Jugendliche aus dem Kinderhof in örtliche Vereine zu integrieren. Auch die schulische Integration (s. S. 53 – 58) gehört zu den Hauptzielen der Arbeit im Kinderhof Campemoor, weil auch sie eine Voraussetzung ist für die Integration in die Gesellschaft.

Das Therapeutische Reiten im Kinderhof Campemoor ist aufgebaut auf der Definition der Schweizer Gruppe Therapeutisches Reiten (SGTR). Darüber hinaus ist es darauf ausgerichtet, alle Bewohnerinnen und Bewohner auf die Teilnahme an Wanderritten vorzubereiten, um innere Gelöstheit mit neuen Erfahrungen zu kombinieren. Die Lösung emotionaler Spannungen führt dabei zur Offenheit auch für neue soziale Erfahrungen. Therapeutisches Reiten bedeutet hier:

■ Stärkung des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls beim Reiter, der „die Zügel in der Hand hat“, zugleich aber

■ Akzeptanz von Fremdbestimmung,

■ Aufbau von Frustrationstoleranz,

■ Wiederaufbau von verlorenem Vertrauen,

■ Wahrnehmungsförderung,

■ Harmonisierung der Psychomotorik,

■ Vermittlung von Grenzen und Grenzerfahrungen,

■ Soziales Training,

■ Steigerung von Konzentration und Ausdauer.

Die dabei eingesetzten Islandpferde leben in robuster Gruppenhaltung mit viel Auslauf und großen Weideflächen direkt am Kinderhof in einem großzügig angelegten Offenstall. Dadurch gehören sie zum häuslichen Umfeld der Kinder und Jugendlichen. Der selbstverständliche tägliche Umgang mit den Pferden und die Beobachtung ihres Herdenverhaltens helfen mit, ohne Erwartungs- und Leistungsdruck neue Beziehungserfahrungen zu sammeln. Der stufenweise Kontakt­aufbau führt dazu, dass insbesondere beziehungsgestörte Kinder wieder oder erstmals mit ihrer Umwelt oder mit Partnern angemessen kommunizieren.

Die artgerechte Haltung und der tägliche Kontakt der Bewohner des Kinderhofs mit den Pferden ermöglichen die ständige För­derung von Beziehungen zu den Pferden. Die Beobachtung des na­türlichen Verhaltens im Herdenverband, Rangordnungskämpfe, die nach festgelegten Ritualen und Regeln verlaufen, gegenseitige Fellpflege, auch der gemeinsame Weidewechsel und die Futtersuche bieten vielfältige Anregungen, das natürliche Leben in einer Arten-Gemeinschaft ohne erhobenen Zeigefinger und losgelöste Moralappelle kennenzulernen. Der Herdenverband, der gutmütige Grundcharakter und die Nervenstärke der Isländer bieten darüber hinaus die Vo­raussetzung, auch Reitanfänger zu Ausritten mitnehmen zu können: Die Herde bleibt zusammen, weil die Pferde daran gewöhnt sind, miteinander in einer festgelegten Reihenfolge durch die Landschaft zu ziehen.

Alle im Kinderhof Campemoor lebenden Kinder und Jugendlichen nehmen an mindestens einem oder zwei Nachmittagen in der Woche am regelmäßigen Reitprogramm teil. Dazu kommen besondere Unternehmungen am Wochenende und die Möglichkeit der reittherapeutischen Intensivbetreuung, die unter anderem mit Lernförderprogrammen kombiniert werden.