Ernest Vane (Regency-Klassiker) - Alexander Baillie Cochrane - E-Book

Ernest Vane (Regency-Klassiker) E-Book

Alexander Baillie Cochrane

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Beschreibung

*Frühlingsangebot: Nur 0,99 EUR statt 1,99 EUR!!! England, ca. 1830. Die blutjunge Ida, eine Halbwaise, die ihre Mutter schon im Kindbett verloren hat, ist der Augenstern ihres alternden Vaters, eines Kaufmanns, der durch Handelsgeschäfte zu großem Reichtum gelangt ist. Ida ist keine der auffälligen Schönheiten, die sofort bewundernde Blicke auf sich ziehen, wo immer sie in Erscheinung treten, sondern einfach ein reizendes Geschöpf, das den Betrachter mit jedem Blick mehr für sich einnimmt und fesselt. Bei diesen Voraussetzungen kann es natürlich nicht lange dauern, bis der erste männliche Verehrer auf der Bildfläche erscheint. Letzterer ist ein zartfühlender junger Mann namens Ernest, welcher ein kleines Landgut besitzt, das er gemeinsam mit seiner Schwester Algitha bewohnt. Zu Ernests Glück ist auch Ida dem romantischen Träumer zugetan, und so entwickeln sich bald schon zarte Bande zwischen den beiden. Doch gerade als die zwei das erste Glück ihrer jungen Liebe in vollen Zügen genießen, ziehen auch schon dunkle Wolken am Horizont auf; denn ein Nebenbuhler, der es auf die Hand der reichen Kaufmannstochter abgesehen hat, wirft seine Schatten voraus … Tauchen Sie ein in das England der Regency-Epoche und lassen Sie sich von der bewegenden Geschichte um Ida und Ernest bezaubern. Alexander Baillie Cochrane, 1. Baron Lamington, der die 1849 veröffentlichte englische Originalausgabe des vorliegenden Buches geschrieben hat, war eine bekannte Persönlichkeit im London dieser Zeit. Lange Jahre saß er als Abgeordneter im britischen Unterhaus, bevor er, nach Erlangung seiner Baronetkrone, ins Oberhaus wechselte.

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Ernest Vane

 

von

Alexander Baillie Cochrane

– Ein Regency-Klassiker –

 

 

Aus dem Englischen

von Ludwig Theodor Fort

und Marcus Galle

 

 

Quality Books

2020

Quality Books

Klassiker in neuem Glanz

 

Textgrundlage:

Die Geschwister

Acton Currer Bell [Pseud.]

Erste Auflage. 1851, Grimma und Leipzig, Verlags-Comptoir.

Englische Originalausgabe:

Ernest Vane by Alexander Baillie Cochrane;

1849, London, Henry Colburn.

 

Modernisierte und erweiterte Neufassung:

Herausgeber: Marcus Galle

Übersetzung: Ludwig Theodor Fort, Marcus Galle

Umschlaggestaltung + Grafik: Michael Sauer, Maisa Galle

 

© 2016 by Quality Books, Hameln

3., überarbeitete Auflage: Januar 2020

 

ISBN 978-3-946469-05-6

 

E-Mail: [email protected]

 

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Anschrift

 

Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung des Herausgebers nicht vervielfältigt, wiederverkauft oder weitergegeben werden.

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Alexander Baillie Cochrane (Karikatur aus der Zeitschrift "Vanity Fair" von 1871)

 

Ernest Vane

Die tragische Geschichte einer jungen Liebe

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

XXIV.

XXV.

XXVI.

XXVII.

XXVIII.

 

Über den Autor

In eigener Sache

Impressum (Anschrift)

ERNEST VANE

Die tragische Geschichte einer jungen Liebe

I.

Es war ein kalter Märzabend; die Lampen in Sackville Street waren angezündet und warfen ihr bleiches, flackerndes Licht durch die Regentropfen, die von den Dächern herab auf das Pflaster plätscherten; die gellenden Töne der Posthörner übertönten das Pferdegetrappel und das Rollen der Postkutschen, die Piccadilly entlangfuhren. Die Fensterläden der meisten Häuser waren schon geschlossen, nur ein Fenster in der ersten Etage eines an der Ecke von Sackville Street und Vere Street gelegenen Hotels war hell erleuchtet; zuweilen wurden die Vorhänge ein wenig aufgezogen und ein kleiner Lockenkopf zeigte sich am Fenster, der ängstlich die Straße hinauf- und hinabschaute, als erwartete er jemanden; aber alle Vorübergehenden, die ihren Geschäften oder Vergnügungen nachgingen, eilten vorbei, und wenn einer oder der andere zufällig einen flüchtigen Blick zu dem Fenster hinaufwarf, so zog sich das Köpfchen rasch zurück. Endlich schien die Geduld des holden Kindes gänzlich erschöpft zu sein, denn sie schellte fast unwillig, wartete an der Tür, bis jemand auf den Ruf antwortete, und fragte dann den erscheinenden Kellner, ob Mr. Leslie das Abendessen auf eine spätere Stunde befohlen habe. Der Kellner antwortete verneinend.

»Hat er nicht gesagt, um welche Zeit er zurückkehren wird?«, fragte die junge Dame weiter.

»Er hat mir gesagt, dass ich seine Kleider zur gewöhnlichen Zeit reinigen lassen soll«, war die Antwort.

Die junge Dame nahm ein Buch zur Hand und begann zu lesen; aber kaum war sie die erste Seite herunter, ließ sich ein gewichtiger Schritt auf der Treppe vernehmen; sie sprang von ihrem Stuhl auf, ließ ihr Buch und ihre Arbeit zu Boden fallen und eilte mit dem Ausruf: »Mein lieber Vater!« an die Tür.

Der Eintretende war der Typus einer Klasse, mit welcher die meisten Menschen in ihrem Leben in nähere Berührung kommen. Er war stark und schwerfällig gebaut, aber sein ungewöhnlich großer Kopf schien dessen ungeachtet nicht im richtigen Verhältnis zu seinem Körper zu stehen, denn er war ein wenig zur Seite geneigt, als würde er von seiner eignen Last niedergedrückt. Sein Haar war kurz und mit Grau gemischt und in seinem Blick lag eine gewisse Trägheit, die auf den ersten Blick den Gedanken an einen beschränkten Geist erweckte; aber ein aufmerksamer Beobachter konnte bald ein munteres Feuer in den kleinen, grauen Augen entdecken, das unter dem Schleier der überhängenden Brauen hervorblitzte. Die Gesichtszüge waren scharf ausgeprägt und verrieten den ruhigen und gründlichen Denker, und aus der ein wenig zusammengezogenen Oberlippe konnte man schließen, dass er gewöhnt war, sich selbst zu beherrschen. Und in der Tat gibt es keine gesellschaftliche Klasse, in der Selbstbeherrschung und die Kontrolle über den Gesichtsausdruck wichtiger wären als in der, welche dieser Mann repräsentierte, nämlich die Geldaristokratie, denn hier ist das äußere Kennzeichen einer Gemütsbewegung zuweilen nicht weniger zu fürchten, als der Verlust eines Schiffes oder das Fehlschlagen einer großartigen Spekulation. Wenn aber Mr. Leslie hinsichtlich aller seiner physischen Eigenschaften den vollendeten Mann des Kontors, der klugen Berechnungen und der praktischen Geschäftskenntnis verriet, so musste man zu gleicher Zeit in seiner ganzen äußeren Erscheinung auf den ersten Blick erkennen, dass er in den Gesellschaftskreisen, die er frequentierte, in hoher Achtung stand. Auf seinen Anzug verwendete er eine Sorgfalt, wie man sie bei Geschäftsmännern nur selten findet; seine Kleidung war stets von tadelloser Eleganz, man könnte fast sagen, ein wenig stutzerhaft, und die ängstliche Akkuratesse derselben stand mit dem strengen und gesetzten Aussehen, das wir eben beschrieben haben, nicht recht im Einklang.

Talleyrand hat gesagt, dass man, um einen Menschen kennenzulernen, nicht sein Gesicht, sondern seine Stimme studieren muss; aber es liegt häufig ebenso viel Charakteristisches in dem Gang eines Menschen wie in seinem Gesicht und in seiner Stimme, und ein in dieser Beziehung geübtes Ohr würde in dem schweren und abgemessenen Schritt, mit dem Mr. Leslie die knarrende Treppe hinaufstieg, sowie in dem zweiten methodischen Abstreichen seiner Füße auf der Strohmatte, obgleich er diese Operation bereits an der Haustür vorgenommen hatte, seinen ganzen Charakter erkannt haben. Als er ins Zimmer trat, war der ernste Ausdruck in seinen Zügen nur noch einen Augenblick sichtbar, denn sobald der Ausruf: »Mein lieber Vater!« sein Ohr traf, glätteten sich die düsteren Falten auf seiner Stirn, um einem freundlichen Lächeln Raum zu geben, und sein ganzes Gesicht strahlte in der vollkommenen Schönheit der väterlichen Liebe.

»Ich komme spät, meine gute Ida, und habe dich warten lassen«, sagte er, indem er mit dem einen Arm ihre schlanke Taille umfing, mit der andern Hand die vollen Locken ihres seidenen Haars zurückstrich und sie zärtlich auf die Stirn küsste.

Es war nicht anders möglich; der strenge Mann musste das schöne Kind lieben, die Eiche musste die zarte Pflanze schützen, denn obgleich sie keine auffallende, hervorragende Schönheit war, bei deren Erscheinen die Männer ihre Beschäftigungen und Vergnügungen unterbrachen, um sie zu bewundern, so gehörte ihr Gesicht doch zu denen, welche den Beschauer fesseln, wenn er sie länger betrachtet. Es gibt eine körperliche Schönheit, die beim ersten Anblick auffällt, die man anstaunt, sich aber bald wieder von ihr abwendet, um sie zu vergessen, denn nur zu oft fehlt ihr der seelenvolle Ausdruck. Dagegen gibt es andere Gesichter, und zu diesen gehörte das der lieblichen Ida, die sogleich einen angenehmen Eindruck auf das Gemüt und das Herz machen, und erst nachdem man überlegt hat, worin eigentlich ihr Liebreiz besteht, erinnert man sich des zarten Rosenhauches der Wangen, des frischen Rotes der Lippen und des milden Glanzes der blauen Augen. Es war nichts Hervorstechendes in Idas Gestalt und Gesicht, aber es war etwas in ihrer äußeren Erscheinung, was jedermann sogleich für sie einnahm und sie vor anderen Mädchen auszeichnete, weil es leider nur zu selten ist: ein so unschuldiger, kindlicher Blick, dass auch der verdorbenste Charakter geläutert werden musste, wenn er in ihr Antlitz schaute, und eine Reinheit der Gedanken, die man auf ihrer weißen Stirn und auf ihren zart geröteten Wangen lesen konnte.

»Bringen sie das Abendessen«, sagte Mr. Leslie zu dem Kellner, der ihn zum Zimmer begleitet hatte; aber der gewöhnlich harte und strenge Ton seiner Stimme war jetzt durch die Liebe gemildert, und während das Essen aufgetragen wurde, nahm er die Tochter auf seinen Schoß und ihre schönen Locken vermischten sich mit seinem grauen Haar.

Es konnte selbst Idas unerfahrenem Blick nicht entgehen, dass ihr Vater ein Geheimnis auf dem Herzen hatte, das ihn drückte; aber ebenso augenscheinlich war es, dass er sich vorgenommen hatte, für den Augenblick noch nicht davon zu sprechen. Er räusperte sich einige Male, als wollte er etwas sagen, aber sobald Ida zu ihm aufblickte, sprach er über irgendeinen gleichgültigen Gegenstand; und doch zeigte sich eine sichtbare Zufriedenheit in seinen Zügen, wenn er den Mund für die beabsichtigte Mitteilung halb öffnete, als ob es ihm Vergnügen machte, sich die Erfüllung seines Herzenswunsches noch zu versagen.

Dann und wann warf er einen verstohlenen Seitenblick auf die Wange, die an seinem Herzen ruhte, um darauf zu lesen, ob sie ahnte, dass er ein Geheimnis hatte; aber er fand nichts auf dem holden Antlitz als vertrauensvolle Offenheit und Liebe. Da Ida in London fremd war, so mochte sie wegen der längeren Abwesenheit ihres Vaters vielleicht ein wenig besorgt gewesen sein; aber jetzt, da er wieder bei ihr war und sie aus ihrer Einsamkeit erlöst hatte, nahm die Neugierde nur einen sehr kleinen Teil ihrer Gedanken ein; in diesem Augenblick konnte man in der Tat sagen, dass Unwissenheit ihr eine Wonne war.

Das Abendessen wurde fast stillschweigend eingenommen, denn Mr. Leslie war tief in Gedanken versunken, und doch lag ein heiterer Ton in seiner Stimme, als er sein Töchterchen aufforderte, mit ihm anzustoßen, als wäre der Gegenstand seines Nachdenkens ihm nicht unangenehm gewesen, und sein Gesicht strahlte vor Vergnügen, als er sich nach beendigter Mahlzeit in seinen Stuhl zurücklehnte und einen Knopf seiner Weste aufknöpfte. Er stand jetzt vom Tisch auf, rückte seinen Stuhl an den Kamin, bat Ida, an seine Seite zu kommen, und füllte sein Glas noch einmal. Dann schweiften seine Augen im Zimmer umher und ruhten endlich auf einer Zeitung, die auf dem Sofa lag.

»Hast du die heutige Zeitung gelesen, liebes Kind«, fragte er Ida.

»Ich habe einen Augenblick hineingesehen«, antwortete sie, »und als ich einen der ewig langen Artikel angefangen hatte, bei denen ich nicht begreifen kann, dass jemand die Geduld hat, sie zu schreiben, da ich nicht einmal so viel habe, sie durchzulesen, wurde mir, weißt du wer, angemeldet? Ich war ganz erstaunt, denn ich glaubte nicht, dass uns in London jemand kennt.«

»Wer war es denn, mein Kind?«

»Es war Lord Linton.«

So sehr Mr. Leslie sich auch anstrengte, ruhig zu erscheinen, so überflog dennoch eine leichte Röte sein Gesicht und es glänzte fast ein triumphierendes Lächeln in seinen Augen, als er den Namen wiederholte.

»Lord Linton? Gab er einen Grund für seinen Besuch an?«

»Ja, Papa; er sagte, er habe von ihrer Ankunft in London erfahren, er sei mit ihnen zusammen auf der Schule gewesen und er wünsche sich sehnlichst, ihre Bekanntschaft zu erneuern; er sprach wirklich außerordentlich freundlich von ihnen. Ich war übrigens so erstaunt über seinen Besuch, dass ich nicht mehr die Hälfte von dem weiß, was er sagte; ich entsinne mich nur noch, dass er viel vom Hof, von fremden Gesandten, vom Theater und von Bällen sprach. Ich fürchte, dass ich ihm sehr ungebildet vorgekommen sein muss.«

»Aber was sagte er von mir? Erwähnte er etwas davon, warum ich nach London gekommen bin? Oder fragte er dich nach der Veranlassung unseres Besuchs?«, fragte Mr. Leslie ein wenig ungeduldig.

»Nein«, antwortete Ida, »er schien es ganz natürlich zu finden; beiläufig sprach er auch von einem Landgut. Aber eben fällt es mir wieder ein: Sie haben gewiss ein Geheimnis, das sie mir vorenthalten, Papa; bitte, sagen sie es mir!« Und sie liebkoste ihn so zärtlich, dass er für seine Verschwiegenheit reichlich belohnt wurde.

»Ganz so, wie ich dachte«, sprach Leslie vor sich hin. »Ein Mensch braucht nur reich zu werden, so suchen ihn seine Freunde gewiss auf. Ich freue mich über den vermutlichen Grund für Lord Lintons Besuch, nicht um meinetwillen, sondern um deinetwillen, mein liebes Kind«, setzte er hinzu, indem er einen Arm um die Taille seiner Tochter schlang und sie näher an sich zog. »Kann dein niedliches Köpfchen noch nicht erraten, warum ich dich fragte, ob du die ›Morning Post‹ gelesen hast?«

»Nein, wahrhaftig nicht, Papa, was kann die ›Morning Post‹ mit mir, mit ihrem Geheimnis oder Lord Linton zu tun haben?«

»Sehr viel, mein Kind«, entgegnete Leslie. »Hole das Zeitungsblatt her und blicke auf die erste Spalte.«

»Da steht nichts Besonderes«, sagte sie. »Doch halt, ich sehe hier eine große Anzeige über den Verkauf der Herrschaft des Marquis von Rochedale. Welch eine lockende Schilderung! Wälder, Seen, fürstliche Besitzung, lehnsherrliches Schloss, Baronie-Rechte, mittelalterliche Bauart, es muss ein prächtiges Gut sein! – Sonst finde ich nichts, Papa.«

Während der Vater sie anhörte, stellte er sein halb volles Glas auf den Tisch, nahm ihr dann das Zeitungsblatt aus der Hand, drehte seinen Stuhl ein wenig herum und zog sie von ihrem Sitz auf seinen Schoß. Sie schien zu erraten, dass ihr etwas Wichtigeres als ein bloßes Geheimnis, etwas über ihre Zukunft Entscheidendes, mitgeteilt werden sollte, denn sie war still und liebkoste den Vater nicht, wie sie sonst zu tun pflegte, sondern sie blickte ihn mit ängstlicher Spannung an, als wollte sie in seinen Zügen lesen, was er ihr anzukündigen habe.

»Ida, mein süßes Kind, komm in meine Arme«, sagte der alte Mann mit Innigkeit; »ich will dir das Geheimnis erzählen, das mir während des Essens beständig auf den Lippen schwebte: Dieser prachtvolle Landsitz, dieses schöne Schloss Melwood, von welchem du eine so lockende Beschreibung gelesen hast, gehört dir.«

»Mir, Papa? Wie meinen sie das?«

»Ich meine es ganz so, wie ich gesagt habe«, wiederholte Leslie in etwas härterem Ton, denn sein praktischer Geschäftsgeist wurde ein wenig ungeduldig darüber, dass sie ihn nicht sogleich verstand. »Ja, Ida, während eines Lebens voll angestrengter Tätigkeit und Selbstverleugnung, habe ich mir so viel erworben, um das Schloss Melwood kaufen zu können, und dies ist ganz einfach die Veranlassung zu Lord Lintons Besuch gewesen; denn ungeachtet meiner geringen Kenntnis der Welt, argwöhne ich doch stark, dass wir, hätte er nicht etwas von diesem Kauf gehört, schwerlich mit einem Besuch des Kabinettsministers, ehemaligen Gesandten und Gouverneurs, Großkreuzes verschiedener Orden und Gott weiß, was noch alles, beehrt worden wären.«

»Oh nein, liebster Papa, sie irren sich«, erwiderte Ida, denn in ihrer unbefangenen Gutherzigkeit dachte sie in diesem Augenblick weniger an ihre neue Besitzung als an Lord Linton, der ihr so gütig und freundlich erschienen war und dessen Beweggründe ihr Vater so sehr verkannte. »Nein, ich versichere ihnen, dies ist unmöglich; er sprach zu viel und mit zu warmer Zuneigung von ihnen. Man merkt es doch, ob jemand von Herzen spricht, meinen sie nicht auch, Papa? … Also sagen sie nichts mehr gegen Lord Linton, denn ich war ganz entzückt von ihm, weil er so anders als alle anderen Leute ist, die ich bis jetzt in Liverpool kennengelernt habe. Ich kann ihnen versichern, dass er mich höchst angenehm unterhalten hat.«

»Du bist ein kleines Feuerköpfchen«, sagte Leslie, indem er seine Tochter noch fester an sich drückte; »aber was meinst du zu diesem neuen Ankauf?«

»Ich bin so überrascht davon«, entgegnete Ida, »dass ich kaum weiß, was ich dazu sagen soll; ich kann mich noch gar nicht darein finden, dass eine so große und prächtige Herrschaft wie Schloss Melwood, die dem Marquis von Rochdale gehört hat, jetzt unser Eigentum sein soll! Ich muss mich erst ein wenig mit diesem plötzlichen Wechsel in unseren Verhältnissen vertraut machen. Aber fürchten sie nicht, Papa, dass die Leute in der Nachbarschaft, die an eine so vornehme Familie, wie die des Marquis von Rochdale gewöhnt waren, es sonderbar finden werden, und …«

»Ich weiß, was du sagen willst, Ida«, unterbrach sie ihr Vater ungeduldig, denn nichts ist unangenehmer, als wenn wir unsere geheimen Zweifel und Besorgnisse von anderen bestätigt finden; »du meinst, es sei möglich, dass wir von der Nachbarschaft nicht freundlich aufgenommen werden. Ich fürchtete dies ebenfalls, aber ich will dich über diesen Punkt beruhigen und wünsche, dass du ihn dann nicht wieder erwähnst. Was ich erworben habe, ist das Resultat unermüdlicher Tätigkeit und, ich darf hinzusetzen, strenger Rechtschaffenheit. Ja, Ida«, fuhr er fort, indem er mit stolzem Selbstbewusstsein den Kopf hob, »ich habe mich nie einer Handlung schuldig gemacht, noch einen Gedanken gehegt, deren ich mich zu schämen hätte. Ich weiß nicht, welche Meinung Lord Rochdale oder Lord Linton oder irgendein anderer Lord von mir haben; aber davon bin ich überzeugt, dass sie einen Mann nicht gering schätzen werden, der aus dem Volk hervorgegangen ist; ja, aus dem Volk, dessen Energie, Rechtschaffenheit und Tapferkeit wir die Größe unseres Vaterlandes verdanken.«

Während er diese Worte sprach, glühten seine Wangen, seine Nasenflügel erweiterten sich und seine ganze Haltung war die eines Mannes, der von einer innigen Überzeugung durchdrungen ist.

Der strenge Ton seiner Stimme bewies jedoch, dass er über diesen Punkt nicht ganz beruhigt war.

Ida schwieg, denn sie fürchtete, ihn unabsichtlich beleidigt zu haben, und sie senkte die blauen Augen zu Boden, als scheute sie sich, seinem zornigen Blick zu begegnen.

Die Pause währte indessen nicht lange. Mr. Leslie war stolz auf seine Beredsamkeit und durch seine eigene Begeisterung vollständig überzeugt; außerdem beschäftigte ihn seine neue Akquisition zu sehr, als dass er lange ein anderes Gefühl als das der Freude hätte hegen können. Er nahm eine Papierrolle aus der Tasche, die vortrefflich gezeichnete Pläne der verschiedenen Teile des Schlosses enthielt, und jeder neue Ausruf des Vergnügens vonseiten Idas vermehrte sein Glück.

»Es ist sehr spät, mein Kind«, sagte er endlich, »und du hast in den nächsten Tagen Zeit genug, um über die Veränderungen nachzudenken, die wir vornehmen, und über die Blumengärten, die wir anlegen wollen. Wir müssen noch eine Woche in London bleiben, und ich werde wohl meine gesamte Zeit damit zubringen, die restlichen Aufträge für unser neues Heim zu erteilen. Doch zum Glück ist der Verkauf, wenn er auch heute erst definitiv abgeschlossen wurde, schon vor einiger Zeit eingeleitet worden, sonst hätte das Ganze noch viel länger gedauert. Also geh jetzt zu Bett, liebes Kind; es ist wahrhaftig schon zwölf Uhr! Gute Nacht, meine Ida; schlaf wohl und sei glücklich.«

Sie war in der Tat glücklich, als sie ihrem Vater eine gute Nacht wünschte.

Ihre Zimmer befanden sich nebeneinander, und bald lag der heitere Frühling und der raue Herbst des Lebens zusammen unter dem gleichen Dache in tiefem Schlaf. Sie träumte von dem Glück, das dem Vater noch vorbehalten war, er von dem Segen, den der Himmel über sein Kind ausschütten sollte, und beider Herzen, durch Raum und Dunkelheit geschieden, waren in Liebe vereint.

 

II.

Die Woche verging sehr schnell. Mr. Leslie war fast den ganzen Tag mit den zahlreichen Auftragserteilungen und Vorbereitungen beschäftigt, welche die notwendige Folge eines solchen Kaufes sind. Er war jetzt selten übler Laune, denn sein Herz war ganz von Freude über seine neue Akquisition und von dem Wunsch, seine Tochter glücklich zu machen, erfüllt. Das liebenswürdige Mädchen bat ihn, sich nicht so viel Sorge um sie zu machen; aber ihr Bitten war vergebens, seine Freigebigkeit kannte keine Grenzen. Jeden Tag brachte er ihr neue Geschenke, die, wie er ihr versicherte, in ihren zukünftigen Verhältnissen unentbehrlich waren; ein stiller Beobachter würde sich an seinen oft verkehrten Bemühungen, zu gefallen, ergötzt haben, allein zu gleicher Zeit hätte er sich über eine solche Uneigennützigkeit freuen müssen.

Wie der Geiz durch das, was ihn nährt, nur vergrößert wird, so wird es auch die Freigebigkeit. Es gibt vielleicht keinen irdischen Genuss, der dem des Gebens gleichkommt, und wenn diejenigen, die an ihren Schätzen hängen, die das Bewusstsein genießen, große Mengen an Reichtum für ihre selbstsüchtigen Bedürfnisse angehäuft zu haben, deren einziges Streben nur auf die Vermehrung desselben gerichtet ist, und die von nichts anderem als von Dividenden und Spekulationen sprechen, wenn diese nur das Vergnügen kennenlernten, von ihrem Überfluss zu geben, so würden sie imstande sein, das noch viel größere Glück derer zu beurteilen, die von ihrer Armut geben. Obgleich Mr. Leslie in der strengen Schule der politischen Ökonomie erzogen war, so hatte er doch nicht ihre herzlosen Grundsätze angenommen; die Liebe zu seiner Tochter hatte ihn bei allen seinen Anstrengungen und Unternehmungen beseelt, und er war überzeugt, dass er nur deshalb nach Reichtum strebte, um sie glücklich zu machen.

Ida selbst war ganz mit den Gedanken beschäftigt, die das Herz eines jungen Mädchens unter solchen Umständen natürlicherweise erfüllen. Sie unterhielt sich mit dem Kopieren der Zeichnungen des Schlosses Melwood und mit dem Entwerfen neuer Pläne, und jeden Tag fuhr sie mit einem Vetter ihres Vaters, der in der Nähe von Regents Park wohnte und einen altmodischen Wagen nebst zwei schwerfälligen Pferden mit reich verzierten Geschirren besaß, in dem genannten Park spazieren. Hier betrachtete sie mit Staunen den Glanz und die Pracht der Weltstadt und bemerkte alles, nur nicht die Aufmerksamkeit, die sie selbst auf sich zog, denn es kam ihr nicht in den Sinn, dass die Leute über den Kontrast zwischen ihrem schönen, frischen und holden Antlitz und dem gutmütigen, hochroten und stark markierten Gesicht ihres Cicerone lächeln könnten.

Sie war sich ihrer Schönheit nicht bewusst, und die Eitelkeit hatte in ihrem Herzen noch nicht Wurzel gefasst; sie fühlte sich schon glücklich beim Anblick der bunten Menge, des raschen Treibens und steten Wechsels in den Bildern des Weltkaleidoskops, aber um die Veränderung in ihren Verhältnissen kümmerte sie sich wenig, obgleich Lord Linton, ein Mann von fünfzig Jahren, dessen Ehrgeiz ebenso groß war wie seine überschuldeten Besitzungen, sich bei seinen regelmäßigen Besuchen in Sackville Street eifrigst bemühte, sie empfänglich dafür zu machen. Während er ihr die prachtvollen Säle und Galerien sowie die mannigfachen Schönheiten der durchbrochenen Waldungen schilderte, die sich meilenweit um Schloss Melwood erstreckten, dachte sie nur an das Pony, das ihr Vater für sie gekauft hatte, und freute sich im Voraus darauf, durch die schattigen Alleen des großen Parks zu galoppieren.

Es wäre gewiss sehr schwer gewesen, Ida zum Bösen zu verleiten. Es gibt Menschen, deren Gedanken nur auf das Gute gerichtet sind, die alles läutern, was sie in ihr Herz aufnehmen, und die gerade so viel menschliche Schwächen, Ehrgeiz und Eitelkeit besitzen, um gegen diejenigen, in denen diese Gefühle mehr entwickelt sind, nachsichtig zu sein und sie, trotz ihrer Fehler, lieb zu haben.

Von Mr. Leslie ist es nicht nötig, viel zu sagen; seine Lebensgeschichte kann man aus den vorhergehenden Ausführungen erraten; es war eine von jenen, die sowohl unserem Land und unseren nationalen Institutionen als auch ihm selbst Ehre machten. Er stammte aus einer ziemlich unbekannten Familie, hatte durch seine unermüdliche Arbeit, durch seine stets korrekte und ehrenhafte Art, mit der er seiner Handelstätigkeit nachging, in einer langen Reihe von Jahren ein Vermögen von mehr als einer Million Pfund Sterling erworben und war, im vollen Sinne des Wortes, ein Mann des Volkes.

Aus den wenigen Zügen seines Charakters, die wir angedeutet haben, kann man sehen, dass er offen und aufrichtig, freigebig und wohltätig, aber ein wenig eitel und zu Zeiten despotisch, leicht reizbar, aber ebenso leicht versöhnlich, kurz ein Gemisch von guten und schlechten Eigenschaften war, das fast sonderbar erscheinen könnte, wenn nicht alle Charaktere ihre guten und schlechten Seiten und jede gute Eigenschaft der menschlichen Natur ihren Gegensatz hätte, in dem sie häufig untergeht und der solche scheinbaren Widersprüche hervorruft. Wir wissen nur zu gut, dass jede einzelne Tugend ihr korrespondierendes Laster hat, das mit ihr Hand in Hand geht und ihr jeden Zollbreit Weges streitig macht; so die Freigebigkeit und die Verschwendung, die Gerechtigkeitsliebe und die Rachsucht, die Freiheitsliebe und die Zügellosigkeit, der lobenswerte Ehrgeiz und die Sucht, andere auf unsere Stufe herabzuziehen, das Selbstvertrauen und die Anmaßung, die Liebe der Tugend und die egoistische Tadelsucht. Wer könnte sagen, wo die Grenze zwischen Licht und Finsternis liegt und in welche Kategorie seine persönlichen Eigenschaften gehören? Wenn demnach Mr. Leslie voll von Widersprüchen war, so glich er damit nur vielen anderen Leuten; aber in keinem Zug seines Charakters war der Gegensatz auffallender als in dem rauen und kurzen Ton, mit dem er jedermann anzureden pflegte, und in dem sanften Ausdruck seiner Stimme, wenn er mit Ida sprach. Während seines bisherigen Lebens, er war nun achtundfünfzig Jahre alt, hatten sich sein Charakter und sein Gemüt kaum verändert; doch jetzt war er an dem Punkt angelangt, seinem Leben eine ganz neue Richtung zu geben, und wir werden sehen, ob sich mit den neuen Lebensverhältnissen auch sein Charakter ändern wird.

 

Auf Schloss Melwood wurden derweil große Vorbereitungen zu ihrem Empfang getroffen. Es ist betrübend, aber deshalb nicht weniger wahr: die gleiche Trompete, die das Verscheiden eines Herrschers anzeigt, verkündet zugleich die Ankunft eines anderen; ein neues Haus wird mit den Trümmern eines alten erbaut.

Schloss Melwood war in der Tat eine schöne Besitzung. Es lag am Ende einer mit hundertjährigen Eichen bedeckten Hügelkette, welche die Grenze zwischen zwei Grafschaften bildete; von den Terrassen des Schlosses selbst schweifte das Auge über unabsehbare Wälder und Wiesen hin, durch die sich zahlreiche freundliche Bäche und Flüsse schlängelten. Auf der einen Seite, in einer Entfernung von einigen Meilen, erblickte man das Meer, und man konnte die weißen Segel still und ruhig darüber hingleiten sehen wie die Visionen eines jugendlichen Herzens; unmittelbar am Fuß des Schlosses lag das Dorf Melwood, eines dieser gemütlichen, fast schon feudal zu nennenden englischen Dörfer, die den Fremden so oft in Erstaunen versetzen; die Häuser standen zerstreut umher, ohne regelmäßige Straßen zu bilden, und vor jedem derselben sah man einen geschmackvoll angelegten Blumengarten.

Die ganze Besitzung, die eine Fläche von nicht weniger als vierzigtausend Morgen Landes umfasste, war seit langer Zeit sehr vernachlässigt worden. Der letzte Besitzer, ein großer Freund der schönen Künste, hatte die Hälfte seines Lebens in Italien zugebracht und sich durch seine Extravaganzen und kostspieligen Liebhabereien ruiniert. Um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen wir sagen, dass er eine Zeit lang viel in das Gut investierte, aber eine Statue oder ein Gemälde verleiteten ihn jederzeit zu unnützen Ausgaben. Seine ersten Absichten waren stets edel, aber dahinter verbargen sich egoistische Gedanken. Ein Verdienst hatte er jedoch: sobald er die feste Überzeugung gewann, dass es ihm nicht länger möglich sein würde, seinen Verpflichtungen als Grundeigentümer nachzukommen, beschloss er, das Gut zu verkaufen; vielleicht war es ihm auch nicht unlieb, eine solche Entschuldigung zu haben, um für immer außer Landes leben zu können. Mr. Leslie, der schon längst danach getrachtet hatte, einen Teil seines Vermögens in Grund und Boden anzulegen, las die Anzeige des Angebots, und da er von einem Freund hörte, dass es wirklich eine vortreffliche Akquisition sei, so zögerte er nicht einen Augenblick, den Kauf abzuschließen. Er begab sich unverzüglich an Ort und Stelle, um das Gut in Augenschein zu nehmen, und er fand es ganz nach seinem Geschmack; allerdings erwies sich die Anlage des Kapitals als nicht so vorteilhaft, wie er anfangs geglaubt hatte; allein dies war kein Hindernis für ihn, denn der Keim des Ehrgeizes hatte schon zu tiefe Wurzel in ihn geschlagen, und so beschloss er, die ehemalige Herrschaft des Hauses Rochdale um jeden Preis an sich zu bringen.

Wer das Glück hatte, Schloss Melwood zu besitzen, war fast ein souveräner Fürst; jedenfalls war er der unumschränkte Herrscher über das gesamte Gebiet, das man vom Schloss aus überblicken konnte, und dies bestand aus umfangreichen Feldern und Wiesen, nebst der Gerichtsbarkeit über mehr als zwanzig Gemeinden.

Die einzige Ausnahme von diesem Monopol bildete ein kleines Gut von ungefähr zweitausend Pfund Sterling jährlicher Einkünfte, dass eine Meile vom Schloss entfernt zur Küste hin lag und einem Mr. Ernest Vane gehörte. Diese Besitzung war für den letzten Marquis von Rochdale eine Quelle häufigen Verdrusses gewesen; er hätte jeden Preis dafür bezahlt, aber leider war es unverkäuflich, denn es war ein Fideikommiss[1]. Es hatte stets ein feindseliges Verhältnis zwischen dem Marquis und dem verstorbenen Mr. Vane geherrscht, der im vorherigen Jahr das Zeitliche gesegnet und zwei Kinder, Ernest und Algitha, hinterlassen hatte. Die Gefühle, die Lord Rochdale dem früheren Besitzer dieses Gutes entgegengebracht hatte, waren ganz die des Haman[2], als er Mordechai am Tore sitzen sah, und wir müssen gestehen, dass das Benehmen des verstorbenen Mr. Vane durchaus nicht geeignet war, eine Versöhnung herbeizuführen, denn er mischte sich in alles ein, und da er sich beständig auf seiner Besitzung aufhielt, während der Marquis fast immer abwesend war, so kam es am Ende dazu, dass er sich tatsächlich der gesamten Autorität über die Umgegend bemächtigte. Dies alles waren im Grunde nur Kleinigkeiten, aber aus solchen Kleinigkeiten besteht die ganze menschliche Existenz.

Zuletzt gelang es der unermüdlichen Energie und Aufmerksamkeit Mr. Vanes, den Einfluss seines mächtigen Nachbars vollständig zu überbieten. Mr. Vane war ein Mann von niedriger Denkart, klug wie eine Schlange, aber nicht ganz so harmlos wie eine Taube; er ließ nie eine Gelegenheit vorübergehen, für sich oder für sein Gut einen Vorteil zu erlangen, und wenn sich die Gelegenheit nicht von selbst darbot, so führte er sie herbei.

Dazu kam, dass Mr. Vane ein Redner war, für eine gebildete Gesellschaft eine wirkliche Plage, die selbst Pharaos Herz gebrochen haben würde. Aber ein solcher Mann ist der Gott der Landbewohner, und so führte Mr. Vane den Vorsitz bei allen Festmahlen, die er bei jeder nur irgend geeigneten Gelegenheit veranstaltete. Jedes einigermaßen wichtige Ereignis wurde durch ein Diner gefeiert, damit Mr. Vane das Vergnügen haben konnte, dabei zu präsidieren. Er schlug Kandidaten für die Grafschaft vor und unterstützte sie, fuhr in dem Wagen des neu gewählten Parlamentsmitgliedes und konnte lang und breit über die Rechte des Volkes und über die Entwicklung des Nationalgeistes sprechen. Dies alles machte einen großen Eindruck auf die kleine Gemeinde, und überdies dürfen wir auch nicht leugnen, dass er gastfreundlich war. Wenn in der Nähe eine Jagd abgehalten wurde, so war in seinem Haus stets ein Frühstück für die ganze Gesellschaft bereitet; und während das alte Schloss Melwood mit seinen verlassenen und fest verschlossenen Türmen finster und traurig ins Tal schaute, lächelte Wimbourne heiter und sonnig durch die Bäume. Es war ein kleines Haus, von Blumen und Immergrün umgeben und mit einem am Fuß einer terrassenförmigen Anhöhe sanft dahinrieselnden Flüsschen. Byron bittet um:

»Ein Haus in wilder Einsamkeit,

Und drinnen eine schöne Maid«;

aber er würde wahrscheinlich die hier vorherrschende Einsamkeit vorgezogen haben, obgleich sie nicht den mindesten Anspruch auf einen wilden Charakter hatte; denn alle seine Zweifel wären gewiss ausgeräumt worden, hätte er erst einen Blick auf die schöne Maid erhascht, die dort in liebreizender Anmut waltete.