Ernst Weiß: Autobiographische Werke (Notizen über mich selbst + Reportage und Dichtung + Briefe + Anmerkung zum dramatischen Schaffen und mehr) - Ernst Weiß - E-Book

Ernst Weiß: Autobiographische Werke (Notizen über mich selbst + Reportage und Dichtung + Briefe + Anmerkung zum dramatischen Schaffen und mehr) E-Book

Ernst Weiß

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Beschreibung

Dieses eBook: "Ernst Weiß: Autobiographische Werke (Notizen über mich selbst + Reportage und Dichtung + Briefe + Anmerkung zum dramatischen Schaffen und mehr)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Ernst Weiß (1882-1940) war ein österreichischer Arzt und Schriftsteller. 1928 wurde Weiß vom Land Oberösterreich mit dem Adalbert-Stifter-Preis ausgezeichnet. Weiß debütierte mit seinem Roman Die Galeere. Inhalt: Warum haben Sie Prag verlassen? Anmerkung zum dramatischen Schaffen Balzac als Romanfigur. Gespräch mit Ernst Weiss Reportage und Dichtung Adliges Volk Autobiographische Skizze Die Einwirkung der Kritik auf die Schaffenden Bücher, die ungerecht behandelt wurden Ernst Weiss, Die Feuerprobe (Selbstanzeige) Notizen über mich selbst An Willi Bredel An F. C. Weiskopf (Briefe)

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Ernst Weiß

Ernst Weiß: Autobiographische Werke (Notizen über mich selbst + Reportage und Dichtung + Briefe + Anmerkung zum dramatischen Schaffen und mehr)

Bücher, die ungerecht behandelt wurden + Adliges Volk + Autobiographische Skizze + Warum haben Sie Prag verlassen? + Die Einwirkung der Kritik auf die Schaffenden

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-3546-2

Inhaltsverzeichnis

Warum haben Sie Prag verlassen?
Anmerkung zum dramatischen Schaffen
Balzac als Romanfigur. Gespräch mit Ernst Weiss
Reportage und Dichtung
Adliges Volk
Autobiographische Skizze
Die Einwirkung der Kritik auf die Schaffenden
Bücher, die ungerecht behandelt wurden
Ernst Weiss, Die Feuerprobe [Selbstanzeige]
Notizen über mich selbst
An Willi Bredel
An F. C. Weiskopf

Warum haben Sie Prag verlassen?

Inhaltsverzeichnis

Ich habe Prag vor einem Jahr verlassen. Ich habe in dieser Stadt meine liebsten Freunde, meine nächsten Verwandten. Ich danke viel dem Direktor des deutschen Theaters und seinem Dramaturgen. In Prag hatte ich vor allem das Bewußtsein, daß ich und meine Arbeit den Menschen nicht fremd sind. Die Menschen waren mir nicht fremd; wenn irgendwo, hatte ich hier heimatliches Gefühl. Die Stadt war meinem Schaffen günstig. Die eigentümliche Atmosphäre der Stadt, die Begegnung der Hügel mit der grenzenlosen Ebene, des ziehenden Flusses mit den ragenden Kathedralen, die engen Gassen und die weiten Gärten auf den Bergen, alles tat mir wohl. Trotzdem ergab sich mir die Notwendigkeit fortzugehen aus zweierlei Gründen: materiellen und geistigen.

Die materiellen liegen darin begründet, daß es einem deutschen Schriftsteller, dessen Werke in Deutschland erscheinen und in Mark bezahlt werden, in dem letzten Jahre unmöglich wird, in einem Lande mit höherer Valuta zu leben, und mag er seine Lebensansprüche noch so bescheiden stellen. Ich habe daher um Gastrecht in Deutschland gebeten und es in Berlin erhalten, wo man leben kann.

Über diesen materiellen Grund hinaus, der letzten Endes nie zwingend wäre, kommt ein anderer: daß ich, ohne Kenntnis der tschechischen Sprache, die jetzt noch zu erlernen ich nicht fähig bin, mir in Prag von Tag zu Tag mehr als Fremder, als Ausländer erschien. Selbst dies wäre zu ertragen gewesen, da ich in Prag einen Kreis mir sehr nahestehender Menschen gefunden habe. Da wirkte erschütternd im inneren, entscheidend im äußeren Leben, die Wegnahme des alten Landestheaters. Es war die einzige Bühne, die ich wirklich geliebt habe, sie war für mich etwas Unersetzliches.

Anmerkung zum dramatischen Schaffen

Inhaltsverzeichnis

Meine eigenen dramatischen Arbeiten »Tanja«, »Olympia« haben mich davon überzeugt, daß ich kein Dramatiker bin. Trotzdem diese Gestalten von ganz außerordentlich starken Persönlichkeiten auf der Bühne verkörpert worden sind, ist so viel Ungelöstes, Unvollkommenes geblieben, daß ich für mein Teil dem dramatischen Schaffen Adieu sagen will, mit der festen Überzeugung, daß dabei weder mir noch der Welt Schaden geschieht. Dieser Abschied von der Bühne gibt mir die Möglichkeit, eine ganz kleine, vielleicht an sich unbedeutende Beobachtung mitzuteilen, ohne mich dem Verdachte auszusetzen, pro domo zu sprechen.

Der dramatische Dichter lebt, wenn er heute lebt, in einer besonders schweren Zeit. Der Selbstauflösungsprozeß der jüdisch-christlichen Weltanschauung greift, nachdem er das europäische Staatengefüge bis auf die Wurzeln gelockert hat, auf die Kunst über; eine seit Menschengedenken unerhörte Entwertung hat alles ergriffen, was Menschen hoch, heilig, lebenswert erachteten, es kann sich kein Wille, auch kein revolutionärer, entfalten, weil eben nichts mehr zu wollen ist, und das ist, wie schon die alte Redensart »da ist nischt zu wollen« beweist, der äußerste Grad der Hoffnungslosigkeit. Ich sehe nicht den Untergang aller Kunst voraus, eher eine neue Blüte in der Richtung zum Schönen und Holden hin, aber eine neue Blüte dramatischer Produktion erscheint mir trotz so starker Ansätze wie Kaiser, Bronnen, Brecht kaum mehr zu erwarten. Um so mehr müßte ein jedes Schaffen für die Bühne mit besonderem Wohlwollen begleitet und mit besonderer Zartheit behütet werden. Wir sind heute nicht reich genug für lange Irrwege, die schließlich in günstigeren Zeiten zum Ziele geführt hätten. Wir haben keine Zeit. Entweder entsteht in den nächsten drei bis vier Jahren eine Produktion, die, von den großen Bühnen ausgehend, doch die meisten mittleren Bühnen noch erfaßt, oder der dramatische Dichter tritt, für länger oder kürzer, von der Bühne ab und überläßt diese dann andern Schaustellungen, die sich, wie gesagt, in den Bahnen des Schönen, Gefälligen, Zarten bewegen werden. Am nächsten kommen diesem Ideal die französischen Stücke der neueren Zeit, die sich wahrscheinlich, trotz der auch in Frankreich sehr fühlbaren Stagnation des dramatischen Schaffens, im Sinne des einfach Überlebenden, alle europäischen und amerikanischen Bühnen erobern werden.

Was die Franzosen zu dieser Leistung befähigt, ist nicht etwa ihre besondere Begabung fürs Drama, sondern ihre besondere Geschicklichkeit im Theatralischen. In dieser Richtung geht auch die kleine Bemerkung, die ich machen will. Alle neueren Stücke, ich will nicht Namen im einzelnen nennen, sind wüst gebaut. Oder kühn gebaut, kühner, als es der Augenblick erträgt. Nicht der Augenblick, gesehen von der Loge des gut bezahlenden Theaterabonnenten, sondern gesehen vom Manne der Zeit, der sich klar ist darüber, daß die Kühnheit, die einem Georg Büchner angemessen war, nun als viel zu weites Gewand über den allzu zarten Gliedern des dramatischen Dichters von 1924 schlottert. Büchner hatte noch etwas vor sich, um es zu stürzen, zu vernichten, und mehr als das, er konnte, dem Stürzenden gerade gegenüber, Gesicht gegen Gesicht, Faust gegen Faust, Wort gegen Wort, das Auferstehende, Lebenswerte aufbauen, ich möchte das so ausdrücken, er baute seine Stücke nicht horizontal, wie Goethe, dessen »Iphigenie« uns Deutschen ein unnachahmliches Muster darstellt, sondern er baute vertikal, so daß sich im selben Moment Spiel und Gegenspiel die theatralische Waage halten. Hier ist ihm auch Wedekind gefolgt. Beide bringen nicht den Menschen, sondern in jeder Sekunde die Spannungen zwischen den Menschen, deren Existenz von vornherein als sicher und echt vorausgesetzt wird. Solche Menschen, deren Existenz als sicher und echt in jedem Augenblick vorausgesetzt wird, fand der Naturalismus, als ein späteres Stadium des obenerwähnten, unheilvollen Entwertungsprozesses der jüdisch-christlichen Weltanschauung, nicht mehr von Hauptmann entwickelt durchaus horizontal, es sind menschliche Existenzen, die auf der Bühne stehen, freilich auch nicht ein Atom mehr als das. Von hier aus war ein Weg nicht mehr möglich. Der Naturalismus, der mit der starken, blühenden, überlebendigen Natur ohnehin nie viel gemein hatte, hat sich selbst erschöpft und seine eigene Leiche selbst begraben.