Eroberung - Laurent Binet - E-Book
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Laurent Binet

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Beschreibung

Was, wenn in der Geschichte Europas zwei Dinge anders gelaufen wären? Erstens: Die Wikinger wären mit Pferden und eisernen Waffen bis nach Südamerika gesegelt. Zweitens: Kolumbus hätte Amerika nicht entdeckt. In diesem Fall erobern die Inkas Europa. Sie landen im 16. Jahrhundert in Portugal, besiegen Karl V. in Frankreich und die Anhänger der Inquisition in Spanien. In Deutschland helfen ihnen die Fugger, das viele Gold zu verteilen. Im Herzen von Paris wird eine Pyramide errichtet, in Wittenberg schlägt man nach Luthers Tod die "95 Thesen der Sonne" an. Federschmuck ziert die Häupter der Europäer, auf den Feldern wächst Chinoa, Schafe sind heilig... Wie ginge es uns heute, fragt Binet, wären wir statt der kapitalistischen Ideologie den Lehren des Inkahäuptlings Atahualpa gefolgt? Eine mit sprühendem Witz geschriebene Alternativweltgeschichte, ein fulminantes Vexierspiel, ein brillanter Abenteuerroman. Laurent Binets Bücher sind internationale Bestseller, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die "Eroberung" Europas durch die Inkas wird in zwanzig Sprachen übersetzt und als Serie verfilmt.

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Seitenzahl: 455

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Laurent Binet

Eroberung

Roman

 

 

Aus dem Französischen von Kristian Wachinger

 

Über dieses Buch

Was, wenn in der Geschichte Europas zwei Dinge anders gelaufen wären? Erstens: Die Wikinger wären mit Pferden und eisernen Waffen bis nach Südamerika gesegelt. Zweitens: Kolumbus hätte Amerika nicht entdeckt.

In diesem Fall erobern die Inkas Europa. Sie landen im 16. Jahrhundert in Portugal, besiegen Karl V. in Frankreich und die Anhänger der Inquisition in Spanien. In Deutschland helfen ihnen die Fugger, das viele Gold zu verteilen. In Wittenberg schlägt man nach Luthers Tod die «95 Thesen der Sonne» an. Federschmuck ziert die Häupter der Europäer, auf den Feldern wächst Chinoa, Schafe sind heilig …

 

Eine mit sprühendem Witz geschriebene Alternativweltgeschichte, ein fulminantes Vexierspiel, ein brillanter Abenteuerroman. Laurent Binets Bücher sind internationale Bestseller, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die «Eroberung» Europas durch die Inkas wird in zwanzig Sprachen übersetzt und als Serie verfilmt.

Vita

Laurent Binet wurde 1972 in Paris geboren und hat in Prag Geschichte studiert. Jetzt lebt er in Paris. Sein erster Roman «HHhH» gewann den Prix Goncourt du Premier Roman und wurde von der New York Times zu den 100 besten Büchern des Jahres 2012 gewählt. «Die siebte Sprachfunktion» war in Frankreich ein großer Bestseller und wurde mit dem Prix Interallié und dem Prix du Roman Fnac ausgezeichnet. Für «Die Eroberung» erhielt Binet den Grand Prix de l’Académie française 2019.

 

Kristian Wachinger, geboren 1956 in München, gelernter Verlagsbuchhändler, studierte Germanistik und Romanistik in München, Hamburg und in Frankreich. Er lebt und arbeitet als Lektor und Übersetzer in München.

Impressum

«Civilizations» Copyright © 2019 by Les Editions Grasset & Fasquelle, Paris

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Dezember 2020

Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Civilizations» Copyright © 2019 by Les Editions Grasset & Fasquelle, Paris

Covergestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt,

nach einem Entwurf von Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung Miriam Bröckel

ISBN 978-3-644-00696-6

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

«Die Kunst erweckt zum Leben, was die Geschichte ermordet hat.»

Carlos Fuentes, Cervantes o la critica de la lectura (1976)

«Wegen der Verworrenheit, in der sie lebten, ohne jede Einigkeit untereinander, war es sehr leicht, sie zu erobern.»

Inca Garcilaso de la Vega, Comentarios Reales de los Incas (1609)

Erster TeilDie Saga von Freydis Eriksdottir

1. Erik

Es war einmal eine Königin, Aud die Tiefsinnige, die Tochter von Ketil Plattnase. Nach dem Tod ihres Gemahls Olaf des Weißen, eines königlichen Kriegers aus Irland, war die Witwe über die Hebriden bis nach Schottland gelangt, wo ihr Sohn Thorstein der Rote König wurde. Doch die Schotten verrieten ihn, und er kam in einer Schlacht ums Leben. Als Aud vom Tod ihres Sohnes erfuhr, schiffte sie sich mit zwanzig freien Männern nach Island ein und siedelte dort zwischen dem Mittagsfluss und dem Skraumawasserfall. Mit ihr kamen viele Adelige, die man bei den Wikingerfeldzügen im Westen gefangen genommen und zu Sklaven gemacht hatte.

Es war einmal ein Bauer, Erik der Rote, Sohn von Thorvald. Er hatte wegen mehrerer Totschläge Norwegen verlassen müssen. Eyjolf Vogeldreck, ein Nachbar, hatte einige von Eriks Knechten erschlagen, weil sie einen Erdrutsch ausgelöst hatten. Erik hatte Eyjolf Vogeldreck und Hrafn den Zweikämpfer erschlagen. Daraufhin war er verbannt worden.

Erik siedelte auf der Bulleninsel vor Island. Er lieh seinem Nachbarn seine Hochsitzpfähle, doch als er sie auf dem Thorsnes-Thing zurückverlangte, bekam er sie nicht wieder. Es gab Streit, und mehrere Männer kamen im Kampf ums Leben. Er wurde erneut verbannt. In Island konnte er nicht bleiben, nach Norwegen konnte er nicht zurück. So entschied er sich, zu dem Land zu segeln, das der Sohn von Ulf Krähe entdeckt hatte, als er von Island westwärts übers Meer getrieben wurde. Er hatte dieses Land Grönland getauft, denn, so meinte er, das Land würde mehr Leute anlocken, wenn es einen schönen Namen trüge.

Erik nahm sich Thjodhild zum Weibe, die Enkeltochter von Thörbjorg Brustschild von Knorr, und hatte mehrere Söhne mit ihr. Doch er hatte auch eine Tochter, von einer anderen Frau. Sie hieß Freydis.

2. Freydis

Über die Mutter von Freydis wissen wir nichts. Doch von ihrem Vater Erik hatte Freydis, nicht anders als ihre Brüder, die Reiselust geerbt. So bestieg sie das Schiff, das ihr Halbbruder Leif mit der glücklichen Hand dem Thorfinn Mannesspross geliehen hatte, um sich auf den Weg nach Weinland zu begeben.

Sie fuhren nach Westen. Sie machten Station auf Markland, dann kamen sie nach Weinland und stießen auf das Lager, das Leif Eriksson hinterlassen hatte.

Sie fanden das Land schön, es war waldbewachsen, und zwischen Wald und Meer lag ein schmaler weißer Sandstreifen. Viele Inseln gab es dort und viele Untiefen. Tag und Nacht waren ausgeglichener als in Grönland und Island.

Aber es gab auch Skrälinger, die wie kleine Kobolde aussahen, allerdings waren sie keine Einfüßler, wie man ihnen erzählt hatte. Sie hatten eine dunkle Haut und waren ganz versessen auf rotes Tuch. Die Grönländer tauschten, was sie hatten, gegen Tierfelle ein. Es wurde Handel getrieben. Doch eines Tages entkam einer von Thorfinns Stieren brüllend aus seinem Gehege und erschreckte die Skrälinger. Sie griffen das Lager an, und die Männer von Thorfinn wären in die Flucht geschlagen worden, hätte nicht Freydis, die wütend wurde, als sie sie weglaufen sah, ein Schwert genommen und sich damit den Angreifern entgegengestellt. Sie riss sich das Hemd vom Leibe und schlug sich mit dem flachen Schwert auf die Brüste, während sie die Skrälinger laut beschimpfte. Sie war außer sich vor Wut und verfluchte ihre Gefährten wegen ihrer Feigheit. Da schämten sich die Grönländer und machten kehrt, und die Skrälinger, erschrocken über den Anblick dieses üppigen Geschöpfs, das ganz außer sich war, zogen den Schwanz ein.

Freydis war schwanger und übelst gelaunt. Sie überwarf sich mit ihren Verbündeten, zwei Brüdern. Als sie deren Schiff in ihren Besitz bringen wollte, das größer als ihr eigenes war, befahl sie ihrem Gemahl Thorvard, die beiden mitsamt ihren Männern umzubringen, und so geschah es. Eigenhändig tötete sie dann noch mit dem Beil deren Frauen.

Der Winter war vergangen, es nahte der Sommer. Doch Freydis wagte Grönland nicht wieder zu betreten, denn sie fürchtete den Zorn ihres Bruders Leif, wenn er erführe, dass sie sich des Mordens schuldig gemacht hatte. Gleichzeitig spürte sie, dass man ihr seither misstraute und dass sie auch im Lager nicht mehr gern gesehen war. Sie rüstete das Schiff der beiden Brüder und ging mit ihrem Gemahl, ein paar Männern, Weidevieh und Pferden an Bord. Die in der kleinen Siedlung in Weinland zurückblieben, waren erleichtert, dass sie abreiste. Doch ehe sie in See stach, rief sie ihnen zu: «Ich, Freydis Eriksdottir, schwöre euch, ich werde wiederkommen.»

Sie nahmen Kurs nach Süden.

3. Der Süden

Die breitbauchige Knorr segelte an den Küsten entlang. Ein Sturm zog auf, und Freydis betete zu Thor. Das Schiff wäre beinahe an Felsklippen zerschellt. Die Tiere an Bord waren von Panik ergriffen und schlugen so wild aus, dass die Mannschaft kurz davor war, sich ihrer zu entledigen aus Angst, sie könnten das Schiff zum Kentern bringen. Doch schließlich beruhigte sich der Zorn des Gottes wieder.

Man hatte nicht damit gerechnet, dass die Reise so lange dauern würde. Es fand sich keine Stelle zum Festmachen, denn die Klippen waren zu hoch, und als man endlich einen Strand sichtete, standen dort Skrälinger, die mit Pfeil und Bogen drohten und mit Steinen nach ihnen warfen. Es war zu spät, um Kurs nach Osten zu nehmen, und kehrtmachen wollte Freydis nicht. So fingen die Männer Fische, und manche, die Meerwasser tranken, wurden krank.

Inmitten der Ruderer, zwischen zwei Bänken, an einem Tag, wo ihnen kein Nordwind zu Hilfe kam und die Segel blähte, kam Freydis mit einem totgeborenen Kind nieder, das sie nach seinem Großvater Erik nennen wollte und sogleich dem Meer übergab.

Endlich fanden sie eine Felsnische, wo sie festmachen konnten.

4. Das Land der Morgenröte

Das Wasser war hier so flach, dass sie zu Fuß den Sandstrand erreichen konnten. Sie hatten allerlei Vieh mitgebracht. Das Land war schön. Ihr einziges Ziel war, dieses Land auszukundschaften.

Da waren Wiesen und lichte Wälder. Es gab reichlich Wild, und in den Gewässern Fisch im Überfluss. Freydis und ihre Gefährten beschlossen, nah am Wasser im Windschatten ein Lager aufzuschlagen. An Essen herrschte kein Mangel, und so gedachten sie, hier zu überwintern, denn sie vermuteten, dass die Winter sanfter oder zumindest kürzer sein mussten als in ihrer Heimat. Die Jüngsten unter ihnen waren in Grönland geboren, die anderen kamen aus Island oder, wie Freydis’ Vater, aus Norwegen.

Doch eines Tages, nachdem sie etwas weiter ins Landesinnere vorgedrungen waren, entdeckten sie ein bebautes Feld. Es war bestellt mit gerade gezogenen Reihen von Pflanzen, einer Art goldgelber Ähren mit knackigen und saftigen Körnern. So wurde ihnen bewusst, dass sie hier nicht allein waren.

Nun wollten auch sie das knackige Getreide anbauen, aber sie wussten nicht, wie sie das anstellen sollten.

Ein paar Wochen später tauchten auf dem Hügel oberhalb ihres Lagers Skrälinger auf. Sie waren großgewachsen und ansehnlich, ihre Haut glänzte, ihre Gesichter waren von langen schwarzen Strichen durchzogen, was die Grönländer erschreckte, doch unter Freydis’ Blicken wagte diesmal niemand zurückzuweichen, aus Angst, für einen Feigling gehalten zu werden. Auch wirkten die Skrälinger weniger feindselig als vielmehr neugierig. Einer der Grönländer wollte ihnen ein kleines Beil geben, um sie zu beschwichtigen, doch Freydis verbot es ihm und schenkte ihnen stattdessen eine Perlenkette und eine Anstecknadel aus Eisen.

Dieses Geschenk schien den Skrälingern ausnehmend gut zu gefallen, sie ließen den Gegenstand von Hand zu Hand gehen und stritten sich darum, und dann wurde Freydis und ihren Gefährten klar, dass sie sie in ihr Dorf einladen wollten. Freydis nahm die Einladung als Einzige an. Ihr Gemahl und alle anderen blieben im Lager, nicht etwa, weil sie die Berührung durch Unbekanntes gefürchtet hätten, sondern ganz im Gegenteil, weil sie zuvor in ähnlicher Lage beinahe ums Leben gekommen waren. So erklärten sie Freydis zu ihrer Abgesandten und Abgeordneten, worüber sie lachen musste, denn sie hatte sehr wohl begriffen, dass keiner von ihnen den Mut hatte, mit ihr zu gehen. Wieder verhöhnte sie sie, doch diesmal hatte der Hohn keinerlei Auswirkung. So ging sie allein mit den Skrälingern, die ihr die helle Haut und das rote Haar mit Bärenfett salbten und sie danach in einem Boot aus einem ausgehöhlten Baumstamm in die Sumpflandschaft mitnahmen. Man konnte in diesem Boot leicht zu zehnt Platz finden, so dick waren die Bäume in diesem Land. Das Boot entfernte sich, und Freydis verschwand mit den Skrälingern.

Drei Tage und drei Nächte warteten sie auf ihre Rückkehr, aber niemand machte sich auf die Suche nach ihr. Nicht einmal ihr Gemahl Thorvard hätte den Mut gehabt, sich in die Sümpfe vorzuwagen.

Am vierten Tag schließlich kam sie wieder, zusammen mit einem Skrälingerhäuptling, der an Hals und Ohren Schmuck und Edelsteine in leuchtenden Farben trug. Er hatte langes Haar, das nur an einer Seite rasiert war, eine eindrucksvollere Erscheinung war kaum vorstellbar.

Freydis sagte ihren Gefährten, dass sie hier im Land der Morgenröte seien und dass die Skrälinger «Volk des ersten Lichts» hießen. Sie ständen im Krieg mit einem anderen Volk, das weiter westlich lebte, und Freydis war der Meinung, man müsse ihnen helfen. Und als sie gefragt wurde, wie sie deren Sprache verstanden habe, lachte sie und erwiderte: «Na ja, vielleicht bin ich auch eine Völva.» Sie rief den Mann, der sein Beil den Skrälingern hatte schenken wollen, und diesmal hieß sie ihn, es dem Sachem (so hießen hier die Häuptlinge), der mit ihr gekommen war, auszuhändigen. Nach neun Monaten würde sie niederkommen mit einem Mädchen, das sie Gudrid nannte, wie ihre vormalige Schwägerin, die Frau von Thorfinn, die Witwe von Thorstein Erikson, die sie nie hatte leiden können (aber wir brauchen nicht über all die Leute zu reden, die in dieser Saga nicht vorkommen).

Das Völkchen siedelte sich in der Nachbarschaft des Skrälingerdorfes an, und die beiden Gruppen lebten nicht nur ungestört zusammen, sondern halfen einander auch gegenseitig. Die Grönländer brachten den Skrälingern bei, im Torf Eisen zu finden und daraus Beile, Lanzen und Pfeilspitzen herzustellen. So konnten sich die Skrälinger wirksam bewaffnen und ihre Feinde loswerden. Sie wiederum brachten den Grönländern bei, wie man das knackige Getreide anbaute, nämlich indem man die Körner in kleine Erdhügel steckte, zusammen mit Bohnen und Kürbissen, deren Pflanzen sich um die langen Stängel schlingen konnten. So würden sie Vorräte für den Winter anlegen können, wenn ihnen das Wildfleisch ausginge. Die Grönländer wollten am liebsten in diesem Land bleiben. Als Freundschaftsgabe schenkten sie den Skrälingern eine Kuh.

Nun trug es sich zu, dass die Skrälinger krank wurden. Einer von ihnen bekam Fieber und starb. Es dauerte nicht lange, da starben die Leute einer nach dem anderen. Da bekamen die Grönländer Angst und wollten abreisen, doch Freydis war dagegen. Sosehr ihre Gefährten ihr auch klarmachten, dass die Seuche früher oder später bis zu ihnen gelangen werde, weigerte sie sich doch, das Dorf, das sie erbaut hatten, zu verlassen, und machte geltend, dass sie hier fruchtbaren Boden gefunden hatten und es keinerlei Gewähr dafür gab, anderswo Skrälingern zu begegnen, mit denen sie gut auskämen.

Doch auch der breitschultrige Sachem wurde von der Seuche erfasst. Als er in sein Haus zurückkehrte, eine Kuppel aus gebogenen Pfählen, die mit Bändern aus Baumrinde bedeckt waren, hatte er die Vision, es lägen unbekannte Tote auf seiner Türschwelle, und auf einer riesenhaften Woge würden sein Dorf und das der Grönländer fortgetragen. Sobald das Gesicht verschwunden war, legte er sich nieder, glühend vom Fieber, und verlangte, dass man Freydis hole. Als sie an sein Bett kam, flüsterte er ihr ganz leise ein paar Worte ins Ohr, damit nur sie allein sie höre, doch dann erklärte er laut, damit es alle hören konnten, selig seien, die überall auf Erden zu Hause sind, und man werde den Reisenden das Geschenk des Eisens, das sie seinem Volk gemacht hatten, nie vergessen. Er sprach mit ihr über ihre Lage und dass sie zu Großem bestimmt sei, genauso wie ihr Kind. Dann sackte er in sich zusammen. Freydis hielt die ganze Nacht Wache bei ihm, und am Morgen war er kalt. Da kehrte sie zu ihren Gefährten zurück und sagt: «Nun, es ist Zeit, das Vieh auf die Knorr zu laden.»

5. Kuba

Freydis hatte immer noch nichts anderes im Sinn, als weiter nach Süden hinunterzufahren. Viele Wochen segelten sie an den Küsten entlang, sodass sie zuletzt keinerlei Vorräte mehr an Bord hatten und sich nur von Fischen ernährten und Regenwasser tranken. Aber nirgends, wo ihnen das Land geeignet erschien, wollte Freydis festmachen, was bei ihren Gefährten zuerst Unruhe, dann Misstrauen und schließlich Zorn hervorrief. Freydis fragte sie: «Wollt ihr denn wieder in Lebensgefahr geraten? Wollt ihr, dass euch ein Einfüßler mit dem Pfeil den Leib durchbohrt?» (Denn so war ihr Halbbruder Thorvald Erikssohn zu Tode gekommen, und sie wusste, dass sich alle an dieses Verhängnis erinnerten.) «Wir setzen unsere Reise fort bis zum Ziel, oder wir sterben auf dem Meer, wenn es dem Meergott Njörd gefällt oder wenn die Totengöttin Hel es wünscht.» Aber niemand kannte das Ziel, von dem Freydis sprach.

Schließlich sichteten sie Land, vielleicht eine Insel. Freydis, die spürte, dass sie die Gefährten in ihrer Ungeduld nicht mehr länger hinhalten konnte, war einverstanden, dort anzulegen.

Die Knorr bog in einen herrlichen Fluss ein. Auf dem ganzen Weg landeinwärts fanden sie besonders wunderbares klares Wasser.

Ein so schönes Land hatten sie noch nie gesehen. Ganz nah am Fluss waren nur lauter grüne Bäume, jeder voller unterschiedlicher Blüten und Früchte von herrlichstem Duft. Große und kleine Vögel sangen sanft. Die Bäume trugen Blätter, mit denen man ganze Häuser decken konnte. Der Boden war eben.

Freydis sprang an Land. Sie gelangte zu Häusern, die sie für Fischerhäuser hielt, doch deren Bewohner flüchteten voller Entsetzen. In einem Haus traf sie auf einen Hund, der nicht bellte.

Die Grönländer ließen die Tiere an Land gehen, und die Skrälinger, durch die Pferde neugierig geworden, kamen wieder hervor. Sie waren nackt und kleingewachsen, aber wohlgestalt; ihre Haut war dunkel und sie hatten schwarzes Haar. Freydis wagte sich vor, denn sie dachte, eine schwangere Frau werde sie vielleicht besänftigen. Sie bot einem an, aufs Pferd zu steigen, und machte mit ihm, die Zügel in der Hand, eine Runde durchs Dorf. Die Skrälinger freuten sich darüber und staunten. Sie gaben ihren Gästen zu essen und luden sie in ihre Häuser ein. Sie boten ihnen auch gerollte Blätter an, die sie anzündeten und an den Mund führten, um den Rauch einzuatmen.

So ließen sich Freydis und ihre Gefährten bei ihnen nieder, und das Skrälingerdorf wurde auch ihr Dorf. Sie bauten sich eigene Häuser in der Bauweise ihrer Gastgeber: rund und mit Stroh gedeckt. Sie bauten auch einen Tempel zu Ehren Thors, mit Holzpfählen und -balken. Die Skrälinger zeigten ihnen, wie man Wasser aus den dicken Nüssen herausbekam, die an großblättrigen Bäumen wuchsen, und dieses Wasser schmeckte köstlich. Sie lehrten sie die Namen der Dinge: Das knackige Getreide etwa hieß in ihrer Sprache Mais. Sie zeigten ihnen, wie man in zwischen zwei Bäumen aufgespannten Netzen schläft, die sie Hamacs nannten. Das ganze Jahr über war es so warm, dass sie keinen Schnee kannten.

Hier kam Freydis nieder. Ihr Gemahl Thorvard behandelte Gudrid wie seine eigene Tochter, und Freydis war gerührt davon. Sie begann, Thorvard weniger hart zu beurteilen als zuvor.

Die Skrälinger wurden gute Reiter und lernten, Eisen zu schmieden. Die Grönländer lernten, mit dem Bogen zu schießen, und sie machten Bekanntschaft mit neuen Tieren. Schildkröten gab es und allerlei Schlangen, Echsen mit steinharten Schuppen und länglichem Gebiss. Am Himmel flogen Rotkopfgeier.

Die beiden Gruppen mischten sich so gut, dass anders aussehende Kinder zur Welt kamen. Manche hatten schwarzes, andere blondes oder rötliches Haar. Sie sprachen die beiden Sprachen ihrer Eltern.

Aber wieder wurden Skrälinger vom Fieber befallen und starben. Da die Grönländer auch diesmal davon verschont blieben, begriffen sie, dass sie von der Seuche nichts zu befürchten hatten, aber dass sie es waren, die sie eingeschleppt hatten. Sie selber waren die Seuche. Die Nordmänner bereiteten den Verstorbenen Grabstätten, in die sie Runen eingravierten. Sie beteten zu Thor und Odin. Doch immer mehr Skrälinger wurden krank. Die Grönländer dachten, wenn sie noch länger blieben, würden die Gastgeber alle sterben, und sie würden allein übrig bleiben. Sie hatten Mitleid mit ihnen. Schweren Herzens beschlossen sie, das Land wieder zu verlassen. Sie bauten den Thor-Tempel ab, um ihn mitzunehmen, aber sie ließen den Skrälingern ein paar Tiere als Abschiedsgabe.

Nach ihrer Abfahrt hörte das Fieber nicht auf. Die Skrälinger starben weiter, fast bis zur Auslöschung. Die Überlebenden verteilten sich mit ihren Tieren über die ganze Insel.

6. Chichén Itzá (Mexiko)

Von Freydis ist zu berichten, dass sie sich nach Westen aufmachte und, zusammen mit ihrer Tochter Gudrid sowie ihrem Gemahl Thorvard und ihren Gefährten, an der Küste entlangfuhr. Sie fanden heraus, dass das Land, das sie hinter sich ließen, tatsächlich eine Insel war. Und dann wollte Freydis wieder einmal Kurs nach Süden nehmen. Doch ihre Gefährten weigerten sich, auch nur einen einzigen Tag länger zu segeln, solange sie nicht wussten, wohin die Reise ging. Da schlug ihnen Freydis vor, die Balken des Thor-Tempels ins Meer zu werfen, damit sie ihnen den Weg wiesen. Sie erklärte, man würde dort an Land gehen, wo Thor die Balken ans Ufer trieb. Kaum waren sie über Bord, wurden die Balken gegen das am weitesten westlich gelegene Land getrieben, und den Männern vom Schiff schien es, dass sie sich schneller als erwartet entfernten. Dann kam eine Brise auf; vor dem Kap einer Insel, die sie Fraueninsel nannten, setzten sie Segel gen Westen. Sie sichteten ein großes Land, das sie für das Festland hielten, und fuhren in einen Fjord. Sie sahen, dass er riesig war, breit und tief, und rundherum von hohen Bergen gesäumt. Freydis benannte diesen Fjord nach ihrer Tochter. Danach kundschafteten sie die Umgebung aus und entdeckten, dass Thor mit den Balken einen Felsvorsprung am nördlichen Ende einer Bucht getroffen hatte.

Es gab einen Fluss voller Untiefen, in den die Knorr aber wegen ihres geringen Tiefgangs einfahren konnte. Sie fuhren flussaufwärts und gelangten zu einem Dorf. Es war schon spät, die Sonne war kurz vor dem Untergehen, und so führte Freydis ihre Leute zu Sandbänken am gegenüberliegenden Ufer. Am nächsten Tag kamen mehrere Skrälinger mit Booten; sie brachten ihnen Hühner mit roten Köpfen und etwas Mais, kaum ausreichend, um ein paar Mann satt zu machen. Sie erklärten ihnen, sie sollten die Lebensmittel nehmen und verschwinden. Nun wollten die Grönländer aber gerne bleiben, schließlich hatte Thor ihnen diesen Ort gewiesen. So kamen die Skrälinger wieder, diesmal im Kriegsgewand, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, mit Lanzen und Schilden. Den Grönländern, die zu erschöpft waren, um zu fliehen, blieb nur die Wahl, zu kämpfen. Doch bald wurden sie von der Überzahl der Skrälinger überwältigt, die zehn von ihnen verletzten und sie alle gefangen nahmen.

Sie hätten sie wohl auf der Stelle dahingemetzelt, hätte sich nicht vor ihren Augen ein unerwartetes Schauspiel zugetragen. Einer der Grönländer, der beritten kämpfte, fiel vom Pferd, und das erschreckte die Skrälinger zutiefst, sie stießen wilde Schreie aus. Sie hatten tatsächlich gedacht, Ross und Reiter seien eins. Sie hielten Rat, und dann stellten sie die Grönländer in einer Reihe auf, fesselten sie aneinander und führten sie ab. Auch ihre Tiere und Waffen nahmen sie mit.

In drückender Hitze durchquerten sie Wälder und Sumpflandschaften. Die Luft war so feucht, dass sich die Nordmänner fühlten wie Schnee, der im Feuer schmilzt. Schließlich kamen sie in eine Stadt, wie sie noch keine zuvor gesehen hatten. Aus Stein gebaute Tempel gab es da und mehrgeschossige Pyramiden und Kriegerstandbilder, in einem Säulengang aufgereiht, sowie beeindruckende Skulpturen von Schlangenköpfen, die an den Bug von Knorren und Langschiffen erinnerten, außer, dass diese Schlangen gefiedert waren.

Sie wurden in eine H-förmige Arena geführt, wo gerade ein Ballspiel stattfand. Zwei Mannschaften standen einander gegenüber, jede auf ihrer Hälfte des Feldes, und spielten sich eine dicke Kugel zu, die aus einem eigenartigen Stoff bestand, zugleich weich und hart, und beim Abprallen sehr hoch sprang. Ziel des Spiels, soweit sie verstanden, war, diese Kugel ins gegnerische Gelände zu bugsieren und in der Luft zu halten, ohne dazu Hände oder Füße zu benutzen, sondern nur Hüften, Ellbogen, Knie, Gesäß und Unterarm. Wo die beiden Hälften des Feldes aneinanderstießen, schlossen sich zwei Steinringe an die Mauer um die Grube an, aber die Grönländer kamen noch nicht dahinter, was es mit denen auf sich hatte. Tribünen erlaubten einem großen Publikum, dem Spiel zuzusehen. Als die Partie zu Ende war, wurden ein paar Spieler geopfert, indem man ihnen den Kopf abschnitt.

Zwölf Grönländer, darunter Freydis und ihr Gemahl Thorvard, wurden in die Grube geworfen. Am anderen Ende des Feldes standen ihnen zwölf Skrälinger gegenüber, die nur Knie- und Ellbogenschutz trugen. Die Partie wurde angepfiffen, und die Grönländer, die das Spiel nie zuvor gespielt hatten, mussten hinnehmen, dass der Ball auf ihrem Feld zu Boden fiel und sie ihn nicht zurückspielen konnten oder dass sie, wenn es doch einmal gelang, dabei Fehler machten, indem sie die Regeln eines Spiels verletzten, von dem sie überhaupt keine Ahnung hatten. Je mehr sie verloren, desto größer wurde die Furcht, die sie überkam, denn sie begriffen, dass sie im Fall einer Niederlage geopfert würden. Da streifte der Ball einen der Steinringe, allerdings ohne hineinzufallen, und daraufhin war in den Rängen der Zuschauer ein Raunen zu hören. Sogleich hielt Freydis ihre Mitspieler dazu an, auf den Ring zu zielen. Ihrem Gemahl Thorvard gelang mit Hilfe seines Knies ein glücklicher Schuss, sodass sich die Kugel in die Lüfte erhob und in hohem Bogen – unter dem begeisterten Geschrei des Publikums – durch den Ring fiel. Unmittelbar danach war die Partie zu Ende und die Grönländer wurden zu Siegern erklärt. Der gegnerische Mannschaftskapitän wurde geköpft. Doch was die Grönländer nicht wussten, war, dass in gewissen Ausnahmefällen auch der beste Spieler der siegreichen Mannschaft hingerichtet wurde, was er als besondere Auszeichnung zu betrachten hatte. So wurde Thorvard, dem Gemahl von Freydis, der Kopf abgetrennt vor den Augen seiner Frau und der in den Armen ihrer Mutter weinenden Adoptivtochter Gudrid. Dann sagte Freydis zu ihren Gefährten: «Wir sind auf Gedeih und Verderb in der Hand von Skrälingern, die viel wilder sind als Trolle, und wenn wir überleben wollen, müssen wir uns bei ihnen beliebt machen, indem wir alles tun, was sie von uns fordern.» Dann sang sie ein Lied:

Hört, was ich über Thorvard vernahm

Sein Leben im Süden ans Ende kam

Wie grausam die Norne, dass Odin erwählt

Weit vor der Zeit den Klingenheld

Und nachdem ihr Gesang sich in die Lüfte erhoben hatte, fiel er zum großen Erstaunen der Skrälinger am Ende wieder herab wie ein Pfeil:

So halt mich nicht für wutgenarrt,

Auf bessern Augenblick ich wart’.

Thorvards Leiche wurde feierlich in einem See tief in einer Schlucht versenkt. Die anderen Grönländer blieben verschont, wurden aber als Sklaven behandelt. Manche arbeiteten im Salztagebau oder in Baumwollplantagen, so wie es die Schweden damals aus Myklagård berichtet hatten, und dies waren die schwersten Arbeiten. Andere arbeiteten als Hausbedienstete oder bei Kultritualen für die Skrälingergötter, vornedran die gefiederte Schlange Kukulkán und der Regengott Chac.

Eines Tages kam Freydis in die Nähe einer Skulptur, die einen mit angewinkelten Knien liegenden Mann darstellte, der sich auf die Ellbogen stützte und das gekrönte Haupt zur Seite drehte. Der Skrälingerfürst, in dessen Diensten Freydis nun stand, erläuterte mit Zeichensprache, dass es sich um den Regengott Chac handelte. Da ging sie einen Hammer holen und legte ihn der Skulptur auf den Bauch. Zum Fürsten sagte sie, sie kenne diesen Gott sehr wohl, unter dem Namen Thor. Ein paar Tage später ging ein heftiges Unwetter über der Stadt nieder. Nun hatte die lange Dürrezeit ein Ende.

Ein anderes Mal vergnügte sich Freydis’ Tochter Gudrid mit einem Skrälingerspielzeug, das kleine Räder hatte. Freydis wunderte sich, dass die Skrälinger außer diesem Spielzeug keinen Karren und auch keinen Pflug hatten. Sie aber zeigten kein Interesse an solch großen Fahrzeugen, die zu schwer waren, um von Menschenhand gezogen oder geschoben zu werden. So trug Freydis ihren Gefährten auf, einen Karren zu bauen, und schickte nach einer Stute, die sie davorspannte. Die Skrälinger waren sehr froh über diese Entdeckung, und sie wurden es noch viel mehr, als ihnen klar wurde, dass ein Karren mit eiserner Pflugschar, der von einem Pferd oder Rind gezogen wurde, im Ackerbau eine große Erleichterung war und auch den Ertrag des Baumwollanbaus steigern konnte. So trug Freydis zum Gedeihen der Stadt bei, denn diese ertauschte mit ihrer Baumwolle bei den benachbarten Städten Mais und Edelsteine.

Zum Zeichen der Dankbarkeit gewährten sie Freydis und ihren Gefährten das Recht, Schokolade zu trinken, ein schäumendes Getränk, auf das sie viel Wert legten, das Freydis jedoch bitter fand.

So waren die Grönländer bald keine Sklaven mehr, sondern wurden wie Gäste behandelt. Man erlaubte ihnen, bei den Ballspielen dabei zu sein und an der Zeremonie um heilige Brunnen teilzunehmen. Die Skrälinger brachten ihnen Sternkunde bei und Grundkenntnisse ihrer Schrift, deren Zeichen wie Runen aussahen, aber sehr viel ausgefeilter wirkten.

Für eine Weile konnten sie glauben, dass die Todesgöttin Hel sie endlich vergessen habe. Doch so unachtsam war Lokis Tochter nicht. Die ersten Skrälinger wurden krank. Man gab ihnen viel Schokolade zu trinken, aber am Ende starben sie doch. Freydis wusste, sie würden in Bälde dahinterkommen, dass die Fremden ihnen die Seuche gebracht hatten. Eilends bereitete sie die Flucht ihrer Leute vor. In einer mondlosen Nacht stahlen sie sich mitsamt ihrem Vieh aus der Stadt hinaus auf die Straße, die zur Küste führte, um zu ihrem Schiff zu gelangen. Die Stute, die den Wagen zog, war trächtig und fiel zurück, aber sie wollten sie nicht alleinlassen. Am Morgen hörten sie das Geschrei aus der Stadt und wussten, dass die Skrälinger begonnen hatten, nach ihnen zu suchen. Sie beschleunigten ihren Schritt, so gut es ging. Die Knorr erwartete sie da, wo sie sie zurückgelassen hatten.

Doch die Skrälinger des Nachbardorfes hatten mitbekommen, dass sie wieder da waren, und setzten sich in den Kopf, sie aufzuhalten. Daher eilten die Grönländer so rasch wie möglich an Bord. Nun war die trächtige Stute zurückgeblieben, und als alle an Bord waren, fehlte nur noch sie. Mühevoll kam sie am Strand voran. Schon waren Skrälinger mit Kriegsgeheul hinter ihr her. Die Grönländer feuerten die erschöpfte Stute an, denn es waren nur noch ein paar Schritt bis zum Steg. Doch die Knorr, die bis zum letzten Augenblick gewartet hatte, musste schließlich die Trossen lösen, um nicht von den Angreifern eingenommen zu werden. Die Grönländer sahen noch, wie die Skrälinger die Stute am Halskamm packten, genau wie sie es sich bei ihnen abgeschaut hatten.

Ohne ein Wort zu verlieren, nahmen sie Kurs nach Süden.

7. Panama

Wer weiß, wie viele Seemeilen die Knorr zurücklegte? Wenn man bei aufgewühlter See die Segel nicht setzen konnte, ohne Schiffbruch zu riskieren, ruderten die Grönländer, den Blick zu Boden gerichtet. Tag folgte auf Nacht, Nacht folgte auf Tag. Nur das Blöken und Muhen des Viehs und das Schreien der Neugeborenen deuteten auf Leben an Bord.

Bei strömendem Regen legten sie an. Sie waren verdreckt, unrasiert und ausgehungert. Vor ihnen erstreckte sich eine Landschaft, die sie, obgleich alles grünte, als feindselig empfanden. Viele verschiedenste bunte Vögel flogen am Himmel; mit Pfeil und Bogen erlegten sie ein paar davon. Die Mehrheit wollte sich nicht vorwagen, die Gegend auszukundschaften, denn sie fürchteten, sie sei auch wieder von Skrälingern bewohnt, vielleicht noch wilderen als den vorigen. Eher neigten sie dazu, sich mit Nahrung zu versorgen und so lange zu lagern, bis sie wieder bei Kräften waren, um dann Kurs nach Norden zu nehmen und nach Hause zurückzukehren. Freydis widersetzte sich mit Leidenschaft, doch einer ihrer Gefährten sprach zu ihr die folgenden Worte: «Wir alle wissen, warum du es ablehnst, nach Grönland zurückzukehren. Du hast Angst, dass dein Bruder Leif dich für die Verbrechen bestrafen will, die du in Weinland begangen hast. Ich kann dir versprechen, dass keiner von uns etwas sagen wird, doch wenn Leif trotzdem erführe, was du getan hast, dann müsstest du dich seinem Rechtsspruch oder dem Urteil des Things unterwerfen.»

Freydis sagte kein Wort. Doch am nächsten Morgen fanden ihre Gefährten die Knorr zur Seite gekippt und halb voll Wasser. Das war ein Tiefschlag für die Schar. Niemand wagte es, sie offen zu beschuldigen, das Schiff zerstört zu haben, aber jeder dachte genau dies. Sie aber ergriff das Wort und sprach also: «Jetzt seht ihr, dass der Weg übers Meer versperrt ist. Keiner von euch wird nach Grönland zurückkehren. Mein Vater hatte dieses Land so benannt, um Isländer wie euch anzulocken und so seine Ansiedelung zu stärken. In Wahrheit war das Land nicht grün, sondern die meiste Zeit des Jahres weiß. Dieses angeblich grüne Land war längst nicht so gastlich wie dieses hier. Seht nur die Vögel am Himmel. Seht nur die Früchte an den Bäumen. Hier brauchen wir uns nicht mit Tierfellen zu kleiden, hier brauchen wir kein Feuer zu machen, um uns zu wärmen, hier brauchen wir keine Häuser aus Eis, um uns gegen den Wind zu schützen. Wir werden dieses Land nun auskundschaften, bis wir den besten Platz gefunden haben, um unsere Ansiedelung zu gründen. Denn das richtige Grönland ist hier. Hier vollenden wir das Werk Eriks des Roten.»

Manche applaudierten, andere blieben schweigsam und bedrückt, denn sie hatten Angst vor dem, was dieses Land noch für sie bereithalten mochte.

8. Lambayeque

Sie durchquerten Sumpfgebiete, Wälder dicht wie Wollfilz, tiefverschneite Berge. Wieder begegneten sie dem Frost, doch niemand zog Freydis’ Befehle in Zweifel, ganz so, als hätte der Verlust der Knorr, womit ihnen die Hoffnung auf Rückkehr genommen war, auch ihren Willen gebrochen.

Hier und da begegneten ihnen Skrälinger, die ankamen, um ihnen gegen Gold- und Messingschmuck Eisennägel oder eine Schale frischer Milch abzutauschen. Im Westen entdeckten sie ein Meer. Sie bauten Flöße. Je näher sie ans Ufer kamen, desto feiner gearbeitet waren die Schmuckgegenstände, die man ihnen anbot. Einmal schenkte ein Skrälinger Gudrid Ohrringe, die einen Opferdiener zeigten, der einen abgetrennten Kopf hielt – das gefiel ihrer Mutter. Freydis entschied, dass es richtig sei, sich bei einem Volk von Goldschmieden niederzulassen. Außerdem bebauten diese Skrälinger unabsehbare Weiten von Feldern. Kanäle durchzogen die Ebene. Sie brachte in Erfahrung, dass dieses Land Lambayeque hieß.

Die Skrälinger nahmen das Eisen und das Vieh an wie Geschenke der Vorsehung. Sie sahen in den Besuchern Abgesandte ihres mythischen Königs Naymlap. Also wurde Freydis wie eine Hohepriesterin verehrt, mit Gold überhäuft und mit großer Machtbefugnis ausgestattet. Mit ihren sichelförmigen Ritualmessern, deren Griff ein Naymlapbild zierte, opferten die Gastfreunde Freydis zu Ehren Gefangene. Es war ein Volk von Bauern, die sehr geschickt in der Metallbearbeitung waren. Schon bald nach der Ankunft der Grönländer konnten sie Eisenhämmer in voller Größe schmieden. Sie waren bezaubert von Freydis mit ihrem roten Haar.

Freydis aber wusste, was kommen würde, und prophezeite ihnen, dass eine Seuche sie heimsuchen werde. Als sie dann tatsächlich krank wurden und immer mehr von ihnen starben, wurde Freydis’ Ansehen noch größer. Sie brachte sie dazu, noch mehr Gefangene zu opfern und die Ernten weiter zu steigern. Die Grönländer mit ihrem Vieh und ihren Kenntnissen im Schmieden von Eisen erwarben sich herausgehobene gesellschaftliche Stellungen bei diesem Volk. Weil sie außerdem von der Krankheit verschont blieben, festigte sich bei den Skrälingern die Vorstellung, sie seien göttlichen Ursprungs.

Dann geschah es, dass ein Skrälinger am Fieber erkrankte, es aber überlebte und wieder zu Kräften kam. Einem anderen ging es ebenso, und nach und nach verlor das von den Fremden eingeschleppte Übel an Schrecken. Da wussten die Grönländer, dass sie am Ziel ihrer Reise angekommen waren.

9. Freydis’ Tod

Winterlose Jahre gingen ins Land. Die Grönländer lernten Kanäle ziehen und unbekanntes Gemüse anbauen, rotes, gelbes, violettes, manches saftig, manches mehlig. Freydis wurde Königin. Sie heiratete den Häuptling eines benachbarten Dorfes namens Cajamarca, und zur Besiegelung dieses Ehebundes wurde ein großartiges Festmahl aufgetischt. Das Chicha, ein Bier auf Maisbasis, floss in Strömen, und dazu reichte man gegrillten Fisch, Alpaka, eine Art in die Höhe gewachsenes Schaf, sowie Cuy am Spieß, Riesenmeerschweinchen, die wie flaumige Hasen mit kleinen Ohren aussahen und deren Fleisch zart und schmackhaft war.

Freydis bekam noch mehrere Kinder und starb mit Ehrungen überhäuft. Sie wurde zusammen mit ihren Bediensteten, ihrem Schmuck und ihrem Geschirr begraben. Ein goldenes Diadem umkränzte ihre Stirn. Ein Collier mit achtzehn Reihen roter Perlen bedeckte ihre Brust. In der einen Hand hielt sie einen Eisenhammer, in der anderen ein sichelförmiges Messer.

Gudrid war herangewachsen, und obwohl sie nicht das rote Haar ihrer Mutter hatte, war es ihr gelungen, eine herausragende Stellung bei den Lambayequern zu erlangen. Sie war es, die, als die Gegend von wüsten Unwettern heimgesucht wurde und jedermann über die verlorene Ernte und die überschwemmten Felder klagte, die Skrälinger davon überzeugte, dass Thor ihnen damit etwas sagen wollte. Für sie bestand kein Zweifel daran, dass man das Land verlassen musste, und als gute Tochter ihrer Mutter zog sie nach Süden mit einem großen Tross von Skrälingern und Grönländern, die von da an ein geeintes Volk waren. Man erzählt sich, sie hätten einen großen See gefunden, doch diese Sage hat keine weitere Bedeutung, denn niemand weiß mit Gewissheit, was danach geschah.

Zweiter TeilFragmente aus dem Tagebuch des Christoph Kolumbus

Freitag, den 3. August

Am 3. August 1492 verließen wir um acht Uhr die Bank von Saltes und machten bis Sonnenuntergang, von einem frischen Winde gegen Süden getrieben, mehr als 15 Seemeilen. Wir steuerten darauf südwestlich, dann südsüdwestlich, welches die Richtung nach den Kanarischen Inseln war.

Montag, den 17. September

Ich hoffe sehr, dass Gott der Allerhöchste, in dessen Händen jeder Sieg liegt, uns bald Land schenken wird.

Mittwoch, den 19. September

Das Wetter ist günstig; gefällt es Gott, werden wir alles andere bei der Rückfahrt sehen.

Dienstag, den 2. Oktober

Das Meer ist immer noch ruhig und brav. Gott sei es tausendmal gedankt!

Montag, den 8. Oktober

Gott sei Lob und Dank, die Lüfte so mild wie in Sevilla im April, welch Vergnügen, in ihnen zu atmen, so duftend sind sie.

Dienstag, den 9. Oktober

Man hörte die ganze Nacht hindurch Vögel vorüberziehen.

Donnerstag, den 11. Oktober

Um zwei Uhr nach Mitternacht Land in Sicht in zwei Seemeilen Entfernung.

Freitag, den 12. Oktober

Wir kamen an einer Insel an, welche die Indios in ihrer Sprache Guanahani nannten. Man sah alsbald ganz unbekleidete Menschen, und ich begab mich an Land mit Martín Alonso Pinzón, dem Kapitän der Pinta, und dessen Bruder Vicente Yáñez, Kapitän der Niña.

Kaum hatte ich Boden unter den Füßen, ergriff ich im Namen Euer Königlicher Hoheiten Besitz von der Insel.

Alsbald versammelten sich viele Inselbewohner. Damit sie Freundschaft mit uns halten möchten und weil ich wohl wusste, dass dies Volk sich viel eher durch Milde und Überredung als durch Gewalt zu unserem heiligen Glauben bekehren würde, gab ich einigen von ihnen rote Mützen, Glasperlen, welche sie sich um den Hals hängten, und eine Menge anderer Kleinigkeiten, welche ihnen große Freude bereiteten, und wir wurden so gute Freunde, dass es zum Verwundern war.

Mir schien aber, dass sie arme Leute seien. Sie gingen alle nackt, wie ihre Mutter sie geboren, auch die Frauen.

Wenn es unserem Herrn gefällt, werde ich bei unserer Abreise von hier sechs von ihnen für Euer Königliche Hoheiten mitnehmen, damit sie sprechen lernen. Auf dieser Insel habe ich kein Tier irgendeiner Art gesehen, außer Papageien.

Samstag, den 13. Oktober

Seit Tagesanbruch sahen wir am Strande eine Menge von diesen Männern, alle jung und von schlanker hoher Gestalt; sehr schöne Leute. Ihr Haar ist nicht kraus, sondern schlicht wie eine Rossmähne.

Sie kamen an mein Schiff in Kanus, aus einem Baumstamme gemachte lange Barken, einige sehr groß, sodass vierzig Personen hineinpassten.

Sie gaben alles, was sie besaßen, ganz gleich, was wir dafür boten. Ich war sehr aufmerksam und gab mir viele Mühe zu erfahren, ob Gold vorhanden sei. Durch Zeichen erfuhr ich von ihnen, dass, wenn ich mich gen Süden wendete, dort ein König sei, welcher große Gefäße voll davon habe.

So entschloss ich mich, nach Südwest zu segeln, um dort Gold und Edelsteine zu holen …

Freitag, den 19. Oktober

Ich will so viel neue Länder als mir immer möglich sehen und entdecken und im Monat April, wenn es dem Herrn gefällt, zurück bei Euer Königlichen Hoheiten sein.

Sonntag, den 21. Oktober

Schwärme von Papageien verdunkeln die Sonne.

Ich gedenke nach der anderen großen Insel zu segeln, welche ich nach dem, was mir meine Indios sagen, für die Insel Cipango halten muss; sie selbst nennen sie Kolba.

Dienstag, den 23. Oktober

Ich wollte heute zu der Insel Kuba segeln, welche Cipango sein muss, nach dem, was mir die Leute hier über deren Ausdehnung und Reichtum gesagt haben. Ich will hier nicht länger verweilen, da ich sehe, dass es keine Goldminen gibt.

Mittwoch, den 24. Oktober

Diese Nacht ließ ich die Anker um Mitternacht lichten, um in Richtung der Insel Kuba zu fahren, die, wie ich von meinen Indios höre, sehr ausgedehnt ist, wo viel Handel getrieben wird und wo es Gold, Gewürz, Schiffe und Seefahrer gibt. Nach den Zeichen, die sie mir machen, denn ihre Sprache verstehe ich nicht, ist es die Insel Cipango, von der man Wunderdinge erzählt, und auf den Sphären und Weltkarten, welche ich gesehen, liegt sie in diesen Gegenden.

Sonntag, den 28. Oktober

Das Gras steht so hoch wie in Andalusien im Monat April. Ich meine, diese Insel ist die schönste, die meine Augen je gesehen, voller schöner und hoher Berge, wenn auch nicht sehr ausgedehnt. Die Erhebung des Gebirges ähnelt der Erhebung Siziliens.

Die Indios versicherten, dass es auf dieser Insel Goldminen und Perlen gebe. Ich fand eine Stelle, die der Ausbildung von Perlen zuträglich ist, worauf die Muscheln dort hindeuten. Ich war der Meinung, dass die Schiffe des Großkhans hierher zur Perlenfischerei fahren und dass das Festland nur zehn Tagesreisen entfernt sei.

Montag, den 29. Oktober

Um Bekanntschaft zu schließen, schickte ich zwei Boote flussaufwärts zu einer Niederlassung am Ufer. Bei unserer Ankunft flohen Männer, Frauen und Kinder aus dem Dorf und ließen Hof und Hausrat zurück. Ich befahl, dass nicht daran gerührt werde. Die Häuser hatten die Form von Lagerzelten, waren aber groß wie königliche Zelte. Es fehlte die gerade Richtung der Straßen. Sie lagen zerstreut hier und dort, doch waren sie im Innern sehr rein und gut möbliert. All diese Häuser sind mit Palmenblättern gedeckt, außer einem besonders langgestreckten, dessen Dach mit Erde bedeckt und mit Gras bewachsen ist. Wir fanden darin viele Frauen-Statuen und Köpfe in Form von Masken, sehr gut gearbeitet. Ich weiß nicht, ob dergleichen zur Verzierung oder zum Gottesdienst dient. In den Häusern waren auch Hunde, die nie bellten, und kleine zahme Wildvögel.

Im Innern des Landes muss es auch Rinderherden geben, denn ich glaubte, in einem Schädel, den ich fand, den einer Kuh zu erkennen.

Sonntag, den 4. November

Die Leute hier sind friedliebend und schüchtern, wie gesagt, nackt und ohne Waffen und Gesetze. Die Erde ist sehr fruchtbar.

Montag, den 5. November

Im Morgengrauen befahl ich, erst mein Schiff an Land zu ziehen, dann die anderen, aber nicht alle, damit zur Sicherheit noch zwei vor Anker lagen, allerdings sind die Leute sehr zuverlässig, und man könnte bedenkenlos alle Schiffe aufdocken.

Montag, den 12. November

Gestern machte ein Kanu an unserem Schiff fest, und sechs junge Indios kamen an Bord, von denen ich fünf zurückbehielt, die ich mitbringen werde. Ich schickte nach einer Behausung an der Westküste, von wo man mir sieben Frauen brachte, ganz junge, erwachsene und drei Kinder. Ich tat dies in der Erwartung, dass meine Indios sich in Spanien besser aufführen, wenn sie Frauen ihres Landes bei sich haben, als wenn sie ohne sie reisen.

Diese Nacht kam der Mann einer Indiofrau, welcher zugleich der Vater dreier Kinder ist, eines Knaben und zweier Mädchen, an Bord und bat mich zu erlauben, dass er mitkommen dürfe. Dies gestattete ich gern, und nun sind sie alle zufriedengestellt, woraus ich schließe, dass sie alle verwandt sind. Der Mann ist schon vierzig oder fünfundvierzig.

Freitag, den 16. November

Meine Indios waren damit beschäftigt, große Seemuscheln zu fischen, also veranlasste ich sie, ins Wasser zu gehen, um Perlenmuscheln zu suchen. Sie fanden in der Tat eine Menge solcher Muscheln, allerdings ohne Perlen.

Samstag, den 17. November

Von den sechs jungen Leuten, welche wir von dem Rio de Mares mitgenommen hatten, gelang es heute zweien, von Bord der Karavelle Niña zu entkommen.

Sonntag, den 18. November

Ich bin noch einmal, zusammen mit vielen Männern, mit zwei Booten losgefahren, um das große Kreuz, das ich aus zwei Holzbalken hatte zimmern lassen, auf einer freien Anhöhe ohne Baumbestand aufzurichten. Es war sehr hoch und sehr schön anzusehen.

Dienstag, den 20. November

Ich möchte nicht, dass mir die Indios entkommen, die ich auf Guanahani aufgenommen habe, denn ich brauche diese Leute, um sie nach Kastilien zu bringen. Sie glauben fest daran, dass ich sie nach Hause zurückkehren lasse, sobald Gold gefunden wurde.

Mittwoch, den 21. November

Kapitän Martín Alonso Pinzón fuhr heute mit seiner Karavelle Pinta davon, ungehorsam und gegen meinen Willen. Er tat es aus Habsucht, in der Annahme, der Indio, den ich ihm auf die Karavelle geschickt hatte, werde ihm zu viel Gold verhelfen. So fuhr er los, ohne zu warten, ohne durch einen Sturm dazu genötigt zu sein, sondern nur, weil es ihm beliebte.

Dieser Mann hat mir noch vieles andere angetan.

Freitag, den 23. November

Ich steuerte bei schwachem Wind in südlicher Richtung dem Lande zu. Hinter dem Vorgebirge erschien ein Land, von dem die Indios sagten, es gebe dort Einwohner mit einem Auge mitten auf der Stirn und andere, die sie Kannibalen nannten und vor denen sie große Furcht zeigten.

Sonntag, den 25. November

Vor Sonnenaufgang bestieg ich ein Boot und machte mich auf zu dem Vorgebirge, denn mir schien, dass es dort einen guten Fluss geben musste. Tatsächlich sah ich zwei Schussweit hinter der Spitze einen mächtigen Sturzbach von hellstem Wasser unter großem Getöse den Berg herunterkommen. Ich begab mich dorthin und sah im Wasser mit goldfarbenen Flecken besetzte Steine schimmern. Da fiel mir ein, dass man in der Nähe der Mündung des Tajo am Meer Gold gefunden hatte, und es scheint mir gewiss, dass es auch hier Gold geben müsse. Ich habe mehrere dieser Steine aufsammeln lassen, um sie Euer Königlichen Hoheiten mitzubringen. Als ich zu den Bergen blickte, sah ich Pinien, so hoch, so wundervoll, dass es mir die Sprache verschlug, unermesslich lange schlanke Stangen. Mir scheint, es wird uns nun nie mehr an Schiffbauholz fehlen, um Rümpfe und Masten für die größten Schiffe Spaniens zu bauen. Es gibt dort auch Eichen und Erdbeerbäume, einen richtigen Fluss und ein Gelände, auf dem sich eine Schneidemühle errichten ließe.

Am Ufer habe ich viele vom Fluss angeschwemmte eisen- und andersfarbene Steine gesehen, die, wie man mir sagt, von Silberadern stammen.

Niemand, der es nicht selbst gesehen hat, wird glauben können, was ich hier gesehen habe. Und doch kann ich meine königlichen Gebieter versichern, dass ich nicht im allermindesten übertreibe.

Ich fuhr weiter, immer an der Küste entlang, um mir alles genau anzusehen. Das ganze Land ist voller sehr hoher und sehr schöner Berge, keineswegs trocken oder felsig, sondern gut begehbar und von herrlichen Tälern durchzogen. Wie die Berge selbst, sind auch die Täler von hohen und grünenden Bäumen bestanden, dass es eine Freude ist, sie anzusehen.

Dienstag, den 27. November

An der Südküste fand ich einen schön gelegenen Hafen, den die Indios Baracoa nennen, und auf der Südostseite wunderschöne Landstriche, sanft geschwungene Ebenen zwischen den hohen Bergen. Man erblickt eine Menge Feuer, zahlreiche Niederlassungen und vollständig bebaute Ländereien. Daher entschied ich, hier an Land zu gehen und mich mit den Einwohnern auf irgendeine Weise zu verständigen. Wir ankerten, und ich bestieg ein Boot, um den Hafen zu erkunden, und fand die Mündung eines Flusses, welcher hinreichende Tiefe hatte für eine Galeere. Ich war aufs Neue entzückt von der Frische des Klimas, der Schönheit der Pinien, dem kristallhellen Wasser nebst dem Gesang der Vögel, die den Aufenthalt so bezaubernd machten, dass ich glaubte, nie mehr von hier wegzuwollen.

Euer Königliche Hoheiten werden hier Städte und Festungen anlegen, und das ganze Land wird bald zu unserem Glauben bekehrt sein.

Zu diesem Land und zu allen ferneren Entdeckungen, denn ich gedenke vor meiner Rückkehr nach Kastilien noch manches zu entdecken, wird die ganze Christenheit beste Handelsverbindungen haben, vor allem natürlich Spanien, dem alles unterstellt sein muss.

Mittwoch, den 28. November

Ich zog es vor, im Hafen liegen zu bleiben, denn es regnet und der Himmel hängt tief. Die Mannschaften sind an Land gegangen, und manche sind weiter landeinwärts gezogen, um ihre Hemden zu waschen. Sie fanden große Ansiedelungen, aber die Hütten sind verlassen, denn die Einwohner sind geflüchtet. Auf ihrem Rückweg folgten sie einem anderen Flusslauf, und beim Appell fehlte ein Schiffsjunge. Niemand weiß, was ihm zugestoßen ist. Vielleicht hat ihn ein Krokodil oder ein Kaiman geholt, von denen die Insel voll ist.

Donnerstag, den 29. November

Da es noch immer regnet und der Himmel tief hängt, habe ich den Hafen nicht verlassen.

Freitag, den 30. November

Ungünstiger Wind von Osten her verhinderte die Abfahrt.

Samstag, den 1. Dezember

Immer noch Ostwind und Regen.

Auf einem bewachsenen Felsen am Eingange des Hafens ließ ich ein Kreuz errichten.

Sonntag, den 2. Dezember

Der Wind ist immer noch ungünstig und verhindert unsere Abfahrt. Ein Schiffsjunge hat an der Mündung des Flusses Steine gefunden, welche Gold zu enthalten scheinen.

Montag, den 3. Dezember

Da die Witterung immer noch widrig war, entschied ich, mit Booten und bewaffneter Mannschaft ein schön gelegenes Vorgebirge zu besuchen. Ich fuhr in die Mündung eines Flusses ein und weiter stromaufwärts. Hier fand ich in einer kleinen Bucht fünf von den Kähnen, welche die Indios Kanus nennen. Wir stiegen aus und folgten einem Fußpfad, der uns zu einem gut überdachten Schiffbauplatz führte. Geschützt lag ein Kanu, ebenso wie die anderen aus einem Stamme gezimmert, das die Größe von einem Boot mit siebzehn Bänken hatte. Es gab dort auch eine kleine Eisenhütte, die das Erz aus dem Torf gewann, und zu Füßen des Ofens standen Körbe mit Pfeilspitzen und Haken.

Wir bestiegen einen Berg, auf dessen Anhöhe sich ein Dorf befand. Sobald die Bewohner mich mit meinen Mannen kommen sahen, ergriffen sie die Flucht. Da ich sah, dass sie weder Gold noch andere Kostbarkeiten besaßen, hielt ich es für angemessen, umzukehren.

Doch als wir dorthin kamen, wo wir unsere Boote zurückgelassen hatten, mussten wir zu unserem Erstaunen und Missfallen sehen, dass sie nicht mehr da waren. Auch die Kanus waren weg. Das überraschte mich sehr, denn die Leute von hier hatten bisher keinen so vorwitzigen Eindruck auf uns gemacht. Im Gegenteil, sie waren so zaghaft und furchtsam, dass sie fast immer flüchteten, wenn wir kamen, oder, wenn sie uns herankommen ließen, uns gutwillig alles, was sie hatten, hergaben für jedes, was man ihnen anbot. Sie schienen mir gar nichts von Eigentum zu wissen und außerstande zum Diebstahl zu sein, denn wenn man sie um etwas bat, das sie besaßen, sagten sie niemals nein.

Derweilen ließen sich die Indios blicken. Sie waren alle rot bemalt, nackt, wie ihre Mutter sie in die Welt gesetzt, einige mit Federbüschen auf dem Kopfe, alle mit einem Bündel Speere in der Hand. Sie blieben in einigem Abstand, hoben aber von Zeit zu Zeit die Hände gen Himmel und stießen dazu laute Schreie aus. Mit Zeichen fragte ich sie, ob sie ihr Gebet verrichteten. Nein, gaben sie mir zu verstehen. Ich sagte ihnen, dass sie unsere Boote zurückgeben müssten. Die Indios schienen nicht zu verstehen. Ich fragte sie, wo ihre Kanus seien, in der Hoffnung, sie ihnen abnehmen und damit den Fluss hinab wieder zu unserem Schiff gelangen zu können.

Da ereignete sich etwas Eigenartiges. Ein Wiehern zerriss die Lüfte. Die Indios flohen.

Ich schickte vier Mann auf dem Landweg zu den Unseren, damit sie sie vor dieser Widrigkeit warnten. Doch zugleich entschied ich, mit den verbleibenden Männern in die Richtung zu gehen, aus der das Wiehern gekommen war.

Wir gelangten zu einer Lichtung, die mir ein Friedhof zu sein schien, denn sie war übersät mit aufrecht stehenden Steinen mit eingravierten Inschriften aus einem unbekannten Alphabet, das aus Strichen wie kleinen Stäbchen zusammengesetzt war, die teils senkrecht, teils geneigt verliefen.

Da es Nacht wurde, befahl ich meinen Leuten, ein Lager aufzuschlagen, denn es wäre zu gefährlich gewesen, im Dunkeln unseren Weg zurück zu suchen, zumal wir ja, da wir mit Booten gekommen waren, keine Pferde bei uns hatten. Ich hielt es auch für ein Gebot der Vorsicht, bei unserem Lagerplatz kein Feuer zu machen. So legten wir uns, ich und meine Leute, zwischen die Gräber, ohne dass uns kalt wurde, denn der Erdboden war wärmer als je zuvor.

Die ganze Nacht hindurch hörten wir das Wiehern, das die Luft zerriss.

Dienstag, den 4. Dezember

Als es tagte, ließ ich zwischen den Steinen ein Kreuz aus einem rüsterähnlichen Weichholz errichten. Meine Leute wollten unter den Stelen graben und nachsehen, ob dort Gold sei, aber ich hielt es für klüger, unverzüglich zu unserem Schiff zurückzukehren.

Ich folgte mit meinen Mannen dem Flusslauf, doch der Weg war steil, und an manchen Stellen mussten wir bis zu den Hüften ins Wasser, um das Dickicht zu umgehen. Rotkopfgeier flogen über uns hinweg. Das Wiehern hinter uns hielt weiter an, wovon meine Leute reizbar wurden, denn es erinnerte sie daran, in was für einer Lage wir waren ohne Pferde. Ich versuchte, sie abzulenken, indem ich ihnen Steine zeigte, die im Wasser schimmerten, und sagte ihnen, es gebe gewiss von diesem Fluss angeschwemmtes Gold, wovon ich tatsächlich ziemlich überzeugt bin. Ich habe mir vorgenommen, noch einmal hierher zurückzukehren, um Euer Königlichen Hoheiten Gewissheit zu geben.

Nun traf, während wir uns mühsam vorarbeiteten, einen der Unseren ein Pfeil, und er starb auf der Stelle. Das sorgte für Aufregung in unserem Trupp, und ich musste meine ganze Autorität einsetzen, um wieder Ruhe herzustellen. Ich setze Euch davon in Kenntnis, denn nichts ist so schlimm wie Feiglinge, die nie Aug in Aug ihr Leben riskieren, und damit Euch bewusst ist, dass es nicht überraschend wäre, wenn die Indios, falls sie einen oder zwei Einzelne fänden, diese töteten. Der Pfeil hatte eine Eisenspitze. Wir hielten uns also in Deckung, und ich befahl, dass jeder seinen Helm zu tragen habe, und überprüfte eigenhändig, dass jeder einzelne Brustharnisch straff geschnürt war.

Mittwoch, den 5. Dezember

Da ich keinerlei Gefahr laufen wollte, haben wir uns vorsichtig den Weg durch das Gebüsch gebahnt, das im Wasser wächst und das die Eingeborenen Mangrove nennen. (So zumindest hat es mich ein Indio gelehrt, den ich auf der Insel Guanahani aufgenommen hatte und dem wir Kastellanisch beibrachten, damit er uns als Dolmetsch diente, denn sie scheinen dort alle dieselbe Sprache zu sprechen.) Im Schlick kommen wir nur langsam voran, aber es sind keine weiteren Zwischenfälle zu vermerken. Auf dem Fluss sahen wir die Leiche eines christlich gekleideten Mannes, doch wir kamen nicht bis zu ihm hin und ließen ihn mit der Strömung vorbeitreiben.

Morgen, wenn die Gnade des Herrn, der stets über uns wacht, es will, werden wir den Hafen erreichen, wo wir unser Schiff und die Niña und den Rest der Mannschaft zurückgelassen haben.

Das Wiehern jedoch hält noch immer an.

Donnerstag, den 6. Dezember

Vor Sonnenaufgang haben wir uns auf den Weg gemacht, denn die Männer waren unruhig und ungeduldig. Als wir ans Ufer kamen, war alles ruhig, eine leichte Brise strich über die Bucht, die Rotkopfgeier zogen ihre Bahnen am Himmel, das Wiehern hatte aufgehört.

Unser Schiff lag noch vor Anker, aber die Niña war nicht mehr da.

Wir sahen ein Kanu mit einem einzelnen Indio vorbeikommen und gerieten sehr in Erstaunen darüber, wie sich der Mann bei so heftigem Winde auf dem Wasser halten könne. Wir riefen ihm zu, aber er weigerte sich, näher zu kommen, und wir hatten ohne unsere Boote keine Möglichkeit, zu ihm zu gelangen.